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[132] Es gereicht unserem fortgeschrittenen Zeitalter keineswegs zur Ehre, daß selbst das Publikum, das auf Bildung Anspruch macht und sich zu den sogenannten besseren Gesellschaftskreisen rechnet, Leute, die die Befugnis haben, ihrem Namen das Wörtchen »von« vorzusetzen oder sich gar Baron bzw. Freiherr oder Graf zu nennen, als etwas Höheres betrachten. Das Wort »Bürgerstolz« wird wohl vielfach im Munde geführt, es ist aber in Wahrheit nur selten vorhanden. Früher konnte von den Gerichten auch auf Verlust des Adelsprädikats erkannt werden, diese Strafe ist im Interesse des Ansehens der Bürger seit sehr langer Zeit aufgehoben. In den verschiedenen Revolutionen ist der vergebliche Versuch unternommen worden, den erblichen Adel abzuschaffen. Wenn das Wort »noblesse oblige« (Adel verpflichtet) Wahrheit wäre, dann würde gewiß niemand gegen das Fortbestehen des Adels etwas einzuwenden haben. Allein eine Reihe Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre haben bewiesen, daß der Adel vor dem Bürgertum in sittlicher Beziehung nicht das mindeste voraus hat. Ich bin entfernt, den gesamten Adelsstand, der zweifellos im allgemeinen ebenso achtbar ist wie der Bürgerstand, für Ausschreitungen einzelner verantwortlich zu machen. Die dem Adel eingeräumten Vorrechte widersprechen aber jedenfalls den modernen Anschauungen. Ein Zeichen kultureller Rückständigkeit ist es jedenfalls, daß die, wenn auch nur fälschliche Bezeichnung mit dem Wörtchen »von«, Baron, Freiherr oder Graf auf weite Volkskreise wie ein Zauber wirkt und das geeignetste Mittel ist, Eingang in die Kreise[132] der besten Gesellschaftsklassen zu finden sowie die ärgsten Betrügereien zu begehen. Was mit einem wirklichen Grafentitel, ganz besonders wenn er von gutem Klang ist, selbst in der Hauptstadt des Deutschen Reiches fertiggebracht werden kann, ist nicht nur durch den Prozeß wider den Grafen Gisbert v. Wolff-Metternich bewiesen worden. Es gibt eine ganze Anzahl Aktiengesellschaften, die in den Aufsichtsrat vollständig mittellose Grafen und Freiherren wählen, lediglich um durch diese hochtönenden Namen größeres Vertrauen im Publikum zu gewinnen und ihre Aktien besser an den Mann zu bringen. Graf Gisbert v. Wolff-Metternich, ein noch sehr junger Mann, der keineswegs in seinem Äußeren den Grafen verrät, kam vor einigen Jahren vollständig mittellos nach Berlin. Er hatte weder einen Beruf noch irgendwie Neigung zu ehrlicher Arbeit. Sein Vater, der in Holland ein prächtiges tiges Schloß bewohnte und umfangreiche Rittergüter sein eigen nannte, hatte ihn gewissermaßen aus dem Hause gejagt, da er dem Vater nur Verdruß bereitete. Schon als fünfzehnjähriger Gymnasiast hatte Graf Gisbert starken Verkehr mit der weiblichen Halbwelt unterhalten und erhebliche Schulden gemacht. Da er, wohl infolge seines ausschweifenden Lebens, auf dem Gymnasium nicht vorwärtskam, nahm ihn der Vater von der Schule und hielt ihn auf seinen Gütern zur Erlernung der Landwirtschaft an. Aber auch hier machte der junge Graf erhebliche Schulden und führte ein schwelgerisches Leben. Der Vater schickte ihn schließlich nach Argentinien. Dort machte er es nicht besser. Da er, aus Argentinien zurückgekehrt, sein schwelgerisches Leben in den heimatlichen Gefilden fortsetzte, wies ihn der Vater aus dem Hause. Der alte Graf erklärte sich bereit, dem Sohn eine monatliche Unterstützung von 30 Mark zu gewähren, das übrige sollte er sich durch ehrliche Arbeit verdienen. Der junge Graf empfand aber zur Arbeit wenig Lust; um so größer war seine Neigung, sich in den Strudel der weltstädtischen Vergnügungen zu stürzen. Sehr bald war er Stammgast in den Lokalen, wo die feine Berliner Lebewelt verkehrt, wo man bei perlendem Sekt auf schwellendem Polster mit der in Seide rauschenden Halbwelt soupiert, während ein lustiger[133] Walzer durch den Saal wirbelt und junge »Damen« in seidenem nem Trikot die neuesten Tänze vorführen. Die väterliche Unterstützung von monatlich dreißig Mark reichte selbstverständlich zu einem solchen Leben bei weitem nicht aus. Aber einem Grafen Metternich, dessen Vater ein ungemein begüterter Schloßherr in Holland ist, dessen Oheim Botschafter des Deutschen Reiches in London und ein zweiter Oheim lebenslängliches Mitglied des preußischen Herrenhauses ist, öffnen sich nicht nur die Pforten zu den besten Gesellschaftskreisen, er hat auch überall Kredit. Als jedoch die zahlreichen Gläubiger die Wahrnehmung machten, daß der Vater des lebenslustigen jungen Grafen keineswegs willens war, die Berliner Schulden seines Sohnes zu bezahlen, da versiegte sein Kredit. Er borgte darauf Kokotten an und soll sich schließlich aufs Falschspiel verlegt haben. Er machte die Bekanntschaft mit dem »König der Falschspieler«, dem internationalen Hochstapler Stallmann, einem ehemaligen Handlungsgehilfen, der unter dem hochtönenden Namen »Baron v. Korff-König« in Offizierskreisen Eingang gefunden hatte. Mit diesem soll Graf Metternich eine ganze Anzahl Offiziere durch Falschspiel um Unsummen betrogen haben. Als diesen Falschspielern in Berlin die Polizei auf den Fersen war, verlegten sie eiligst ihre Tätigkeit nach London und von dort nach Paris. Sie wurden steckbrieflich verfolgt. Graf Metternich tauchte schließlich in der Hauptstadt Österreichs auf, während es Stallmann gelang, nach Kalkutta zu entkommen. Graf Metternich verheiratete sich in Wien mit einer Schauspielerin und soll in der Tat in Wien auch fleißig gearbeitet haben. Er wurde jedoch sehr bald (Mitte Dezember 1910) infolge des Steckbriefes in Wien verhaftet und nach Berlin ausgeliefert. Bezüglich des Falschspiels reichte jedoch zunächst das Belastungsmaterial nicht aus, um eine Anklage zu begründen, zumal Stallmann spurlos verschwunden war. Da man sich aber nicht, wie im Falle des Fürsten Eulenburg, den Vorwurf machen lassen wollte, daß man die Kleinen hängt und die Großen laufen läßt, und es auch wohl Aufsehen gemacht hätte, wenn Graf Metternich wegen Mangels an Belastungsmaterial wieder entlassen worden wäre,[134] so wurden auf Grund der Zivilprozeßakten die zahlreichen Gläubiger des Grafen als Zeugen geladen. Die österreichische Regierung erklärte sich einverstanden, daß der von ihr wegen Verdachts des Falschspiels ausgelieferte Graf Gisbert v. Wolff-Metternich auch wegen anderer Betrugsfälle bestraft werden könne. Es wurde deshalb Anklage wegen Betruges der zahlreichen Gläubiger des Grafen erhoben. Am 13. Juli 1911 hatte sich Graf Metternich vor der zehnten Strafkammer des Landgerichts Berlin I zu verantworten. Er bestritt, die Gläubiger betrogen zu haben. Er war der Überzeugung, daß es ihm möglich sein werde, die Schulden sämtlich zu bezahlen, da er zu der Annahme berechtigt war: er werde sehr bald der Schwiegersohn des großen Warenhausbesitzers Wolff Wertheim werden. Frau Wertheim versicherte jedoch als Zeugin: der Angeklagte habe wohl in ihrer Familie verkehrt und sollte auch als »Reisemarschall« nach Italien mitkommen. Er konnte aber nicht annehmen, daß ihm ihre Tochter die Hand zum Ehebunde reichen werde. Ihre Tochter hatte zum Oberleutnant v. Fetter bedeutend größere Zuneigung und habe oftmals gesagt: »Fetter ja, Metter nich.«
Diese Aussage veranlaßte den Verteidiger, R.-A. Dr. Walter Jaffé die Ladung mehrerer Zeugen zu beantragen, die bekunden sollten, daß Frau Wertheim vollständig unglaubwürdig sei. Der Gerichtshof gab diesem Antrage statt, sah sich aber infolgedessen genötigt, die Verhandlung auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Am 3. Oktober 1911 begann die Verhandlung vor derselben Strafkammer von neuem. Es entwickelte sich nunmehr ein Skandalprozeß, wie er glücklicherweise zu den größten Seltenheiten gehört. Der Angeklagte schien durch die lange Untersuchungshaft körperlich schwer gelitten zu haben; er sah sehr blaß und kränklich aus. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte, ebenso wie das erstemal, Landgerichtsdirektor Crüger. Die Anklage vertrat Staatsanwaltschaftsrat Dr. Porzelt. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Dr. Walter Jaffé und Rechtsanwalt Dr. Max Alsberg. Vor Verlesung des Anklagebeschlusses nahm das Wort Verteidiger, R.-A. Dr. Jaffé: Der Angeklagte fürchte, daß der Vorsitzende durch eine Anweisung des Justizministers[135] beeinflußt sei. Es sei eine Anweisung des Justizministers an den Untersuchungsrichter in der mit dieser Strafsache eng zusammenhängenden Anklagesache wegen Falschspiels vorhanden, durch die der Untersuchungsrichter gehindert worden sei, die Voruntersuchung gegen den Angeklagten Grafen W.-M. schon jetzt (was der Untersuchungsrichter wollte) zu schließen. Dieser Eingriff benachteilige den Angeklagten, gegen den bisher nicht der geringste Schuldbeweis wegen Falschspiels erbracht sei, und sei gesetzwidrig, weil der Justizminister dem Untersuchungsrichter nach dem Gerichtsverfassungsgesetz überhaupt keine Anweisungen geben dürfe. Der Untersuchungsrichter dürfe nach § 188 StPO. die Voruntersuchung nicht weiter ausdehnen, als erforderlich sei, um eine Entscheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Der Angeklagte befürchte ferner eine Benachteiligung, weil die vorliegende Strafsache wegen Kreditbetruges erst eingeleitet worden sei, a) nachdem in der Strafsache wegen Falschspiels, in der allein der Angeklagte ausgeliefert war, sich herausstellte, daß ein Schuldbeweis wahrscheinlich scheinlich nicht zu führen sei und die Staatsanwaltschaft somit möglicherweise einen Fehlschlag getan habe, b) obwohl der Angeklagte von der Staatsanwaltschaft wegen derselben Beschuldigungen bereits früher außer Verfolgung gesetzt war, c) obwohl ferner keinerlei neue Anzeigen vorlagen, sondern vielmehr der Untersuchungsrichter sämtliche Zivilprozeßakten gegen den Angeklagten erst benutzen mußte, um ein Betrugsverfahren zu erzielen. Der Angeklagte fühle sich weiter benachteiligt, weil der Oberstaatsanwalt, wie vermutet werde, mit Rücksicht auf die Auffassung des Justizministers, nicht nur dem von der Verteidigung als Zeugen geladenen Staatsanwaltschaftsrat Dr. Schwickerath verboten habe, über seine Eindrücke und Entschließungen bei der Bearbeitung eines von Frau Wolff Wertheim veranlaßten Strafverfahrens auszusagen, obwohl nach § 53 2 StPO. die Genehmigung hierzu nur versagt werden dürfe, wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohle des Reichs oder eines Bundesstaates Nachteile bereiten würde. d) Weil der Herr Oberstaatsanwalt sogar dem[136] Herrn Landgerichtspräsidenten, der bereits dem ebenfalls von der Verteidigung als Zeugen benannten Landrichter Dr. Katz die generelle Genehmigung zur Aussage gegeben hatte, nahegelegt habe, diese Genehmigung wieder zurückzuziehen. Alle diese Umstände hätten in dem Angeklagten, der schon in der vorigen Verhandlung lung eine Voreingenommenheit seiner Richter wahrzunehmen glaubte, die Annahme hervorgerufen, daß man an höherer Stelle eine Freisprechung besonders unangenehm empfinden würde, weil sie zum Ausdruck brächte, daß man einen Neffen des deutschen Botschafters in London auf unzureichenden Verdacht hin vom Auslande habe ausliefern lassen und über neun Monate in Untersuchungshaft gehalten habe.
Der Angeklagte meine, daß ebenso wie dem Untersuchungsrichter und vermutlich auch der Staatsanwaltschaft, auch dem Herrn Vorsitzenden eine Auffassung des Justizministers über die Behandlung der Beweisaufnahme mitgeteilt sei, und daß der Vorsitzende hierdurch beeinflußt sei. Anders könne es sich der Angeklagte nicht erklären, daß der Herr Vorsitzende der Verteidigung vor der Verhandlung mitgeteilt habe, er werde jede Beweisaufnahme ablehnen, welche Angriffe gegen die abwesende Frau Wertheim enthalte, obwohl nach Ansicht des Angeklagten das Verhalten der Frau Wertheim zu der Auffassung zwinge, daß sie böswillig von Gerichtsstelle fernbleibe. Der Antrag der Verteidigung, dies durch Entsendung eines Gerichtsarztes festzustellen, sei mit unzureichenden Gründen abgelehnt worden. Falls sich die Vermutung des Angeklagten bezüglich eines Eingriffs des Herrn Justizministers nicht bestätigen sollte, so lehne er den Vorsitzenden auch deshalb ab, weil dieser ser eine Parteilichkeit zugunsten der Frau Wertheim bekundet habe, indem er erklärte: er werde jeden Angriff gegen Frau Wertheim hindern und, falls Angriffe erfolgten, die Verhandlung vertagen. Hierdurch sei gleichzeitig eine Voreingenommenheit gegen dem Angeklagten zum Ausdruck gebracht worden. Es sei unzulässig, Beweisanträge deshalb abzulehnen, weil sie die Interessen von Zeugen verletzen könnten. Im vorliegenden Falle sei die Ablehnung auch begreiflich, weil die betreffende Zeugin offensichtlich böswillig der Verhandlung[137] fernbleibe, da sie damit rechne, daß auch ohne ihr Erscheinen ihre in der vorigen Verhandlung abgegebene Erklärung, in der sie die Behauptung des Angeklagten auf Aussicht einer Heirat mit Frau Dolly Landsberger bestritten, nachwirke. Der Angeklagte lehne aber auch den Beisitzer Landrichter Kriener ab, weil dieser in der vorigen Verhandlung mehrfach Zwischenbemerkungen gemacht habe, die erkennen ließen, daß er Dinge, die er auf privatem Wege erfahren zu haben glaubte, bei seiner richterlichen Tätigkeit benutzen wollte. Diese Dinge könnten aber hier schon deshalb nicht nachgeprüft werden, weil er sie nicht angegeben, sondern nur verschleiert angedeutet habe. So habe Landrichter Kriener auf einen Einwurf des Angeklagten, daß er zu der fraglichen Zeit im Besitze von Geld gewesen sei, wörtlich folgende Bemerkung gemacht: »Ja, woher hatten Sie denn das Geld? Ich weiß es ja, aber ich darf es nicht sagen.« Ferner habe Landrichter Kriener zu dem von der Verteidigung gestellten Antrag auf Vernehmung des Justizrats Meschelsohn wörtlich gesagt: »Ist Justizrat Meschelsohn etwa Syndikus der Firma A. Wertheim? So. So. Das wollte ich nur wissen.« Aus alledem folgere der Angeklagte eine Befangenheit des Landrichters Kriener.
Verteidiger R.-A. Dr. Alsberg: Der Angeklagte ist zur Ablehnung eines Richters befugt, wenn er die Besorgnis hat, daß der abgelehnte Richter befangen ist. Diese Besorgnis kann der Angeklagte haben, wenn der Richter ihm gegenüber das Gesetz verletzt hat. Ob diese Verletzung eine vorsätzliche oder eine fahrlässige war, ist, wie das Kammergericht erklärt hat, gleichgültig. Der Angeklagte kann diese von ihm behauptete Gesetzesverletzung damit begründen, daß der Herr Vorsitzende der Verteidigung erklärt hat, er werde die Verhandlung vertagen, sobald Angriffe gegen die abwesende und damit an ihrer Verteidigung gehinderte Zeugin Wertheim erfolgten. Die Zeugin bleibt ohne zwingenden Grund von Gerichtsstelle fort.
In keinem Falle ist der Herr Vorsitzende berechtigt, den Angeklagten durch die Drohung, zu vertagen und damit die Untersuchungshaft zu verlängern, an der Führung eines Beweises zu hindern. Der Beweis ist von der Kammer selbst früher als erheblich[138] anerkannt worden, denn sie hat die erste Verhandlung nach zweitägiger Dauer vertagt, ausschließlich, um diesen von dem Angeklagten angebotenen Beweis zu erheben. Jetzt auf einmal soll dieser Beweis nicht mehr erheblich sein, weil Frau Wertheim nicht erscheint. Mit dem § 200 der StPO., der besagt, daß der Richter frei seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Verhandlung schöpfen soll, will man uns beweisen, daß das geltendes Recht sei? Wenn sich dieser Rechtszustand aus dem § 200 StPO. ergäbe, so wäre dieses Gesetz geradezu jämmerlich. Soll der Angeklagte, wenn er hier seine Verteidigung vorträgt, es einfach ignorieren, daß er vor zwei Monaten von einer Zeugin, der der Herr Staatsanwalt das Prädikat »vorzüglich« gegeben hat, als Lügner gebrandmarkt ist?
Der Verteidiger schloß hieran längere rechtliche Ausführungen über das, was »gerichtskundig« ist, und fuhr alsdann fort: Der Gegenbeweis des Angeklagten muß zugelassen werden, um Ihnen die richtige Überzeugung von dem Wert oder Unwert der gerichtskundigen Behauptung der Frau Wertheim beizubringen. Ebenso wie sich der Angeklagte dagegen verwahrt, daß der Vorsitzende Dinge nicht als gerichtskundig ansehen will, die es zweifellos sind, verwahrt er sich auf der anderen Seite dagegen, daß Herr Landrichter Kriener Dinge verwertet, die schlechterdings dings nicht gerichtskundig sind.
Der Angeklagte Graf Wolff-Metternich betonte, daß dieses Ablehnungsgesuch direkt von ihm veranlaßt worden sei. Er selbst dehne diese Ablehnung auf die Ablehnung aller Richter der zehnten Strafkammer des Königlichen Landgerichts I aus und erbitte sich die Namen der Beisitzer. Er sehe sich zu dieser Maßnahme leider dadurch genötigt, weil ihm noch unmittelbar vor dem Termin von seiner Frau mitgeteilt worden sei: es habe ihr jemand aus authentischster Quelle hinterbracht, daß die Kammer bereits ein Urteil nach der vorigen nicht zu Ende gekommenen Verhandlung festgelegt habe. Das Urteil soll lauten: ein Jahr Gefängnis unter Anrechnung von sechs Monaten der Untersuchungshaft! Das sei eine beispiellose Ungeheuerlichkeit, beispiellos in der Justiz aller Länder und zeige doch wohl, daß das Gericht befangen sei. Jener Richter[139] begründete folgendermaßen das Urteil: »Man könne doch einen Grafen Metternich, der noch dazu der Neffe des deutschen Botschafters in London sei, nicht so lange in Untersuchungshaft lassen, ohne ihn entsprechend zu bestrafen.« Er beantrage darüber die eidliche Vernehmung seiner Frau und jenes Richters. Seine Befürchtung der Befangenheit werde auch durch folgendes bestärkt: Erst nachdem sein Onkel, Se. Exzellenz Graf Paul Wolff-Metternich, Botschafter des Deutschen Reiches in London, auf Anfrage der Staatsanwaltschaft, »ob er die Schulden des Neffen bezahlen wolle oder Einspruch gegen dessen Vernehmung erheben würde«, erklärt hatte: »er würde nicht zahlen und man könne ruhig vorgehen, aber dafür sorgen, daß sein Name möglichst dabei nicht genannt würde«, erst dann sei die Verhaftung verfügt worden. Das sei ein neuer, unzulänglicher Eingriff in die Rechtspflege und beweise, daß die Justizbehörde sich von anderen hohen Beamten und anderen Gesichtspunkten als von der Gerechtigkeit allein beeinflussen lasse. Wenn er, wie die Anklage behauptet, die Lieferanten betrogen habe, so hätte ihn weder sein Name noch die Stellung seines Onkels schützen dürfen. Das Anerbieten der Staatsanwaltschaft an den Onkel, daß bei Bezahlung der Schulden weitere Schritte unterbleiben würden, sei unstatthaft gewesen. Dieses Vorgehen des Staatsanwalts beweise aufs neue, daß es bei uns eine Klassenjustiz gebe. Da unmöglich anzunehmen sei, daß die Oberstaatsanwaltschaft in dieser gesetzwidrigen Weise vorgegangen sei, so bleibe nur übrig, daß ein Betrug von seiten der Staatsanwaltschaft überhaupt nicht angenommen werde. Dann aber sei wieder die heutige Verhandlung nicht zu erklären. Durch alle diese Vorkommnisse komme er zu der Befürchtung einer Beeinflussung der Richter auch von seiten der vorgesetzten Behörde. Die Behörde wolle unter keinen Umständen zugeben, daß sie mit seiner Verhaftung einen Fehler begangen habe. Staatsanwaltschaft und Gericht wollen ihn unter allen Umständen verurteilen. Seine Verhaftung habe solchen Staub aufgewirbelt, daß man eine Übereilung nicht zugestehen wolle. Erstens der bekannte Name, dann der Neffe des Botschafters, ferner die Verwandtschaft[140] seiner Familie mit dem österreichischen Kaiserhause. Das alles seien Punkte, weswegen die Behörde durch eine Verurteilung nun auch die Berechtigung einer Verhaftung beweisen wolle. Dahinaus laufe ja auch die Begründung des bereits jetzt schon über ihn gefällten Urteils, das jener Richter dieser Kammer seinem Freunde mitgeteilt habe.
Auf Ersuchen des Angeklagten teilte der Vorsitzende diesem die Namen der Beisitzer mit: Landgerichtsrat Brieskorn, Landgerichtsrat Elsner, Landrichter Kriener und Landrichter Menard. Da Landgerichtsrat Brieskorn neu in das Kollegium getreten war, so lehnte diesen der Angeklagte nicht ab. Unter Vorsitz des Landgerichtsrat Brieskorn trat hierauf, entsprechend den Vorschriften der Strafprozeßordnung, ein Dreirichterkollegium in Tätigkeit, um die Berechtigung der vorgebrachten Ablehnungsanträge zu prüfen.
Der Angeklagte begründete in erregtem Tone nochmals seinen Ablehnungsantrag und fügte hinzu, daß auch seine Behandlung im Gefängnis auf eine Befangenheit der zehnten Strafkammer hindeute. Diese Behandlung handlung sei stellenweise ungeheuerlich gewesen. Er sei durch die Gefängnishaft krank und schwach geworden, habe, da ihm dies erlaubt sei, auf dem Bett gelegen, und als er nicht sofort aufstand, als ein Oberaufseher in die Zelle trat, sei er bestraft worden mit Entziehung des ganzen Essens und habe 48 Stunden bei Wasser und Brot zubringen müssen. Er habe sich darüber bei der zehnten Strafkammer beschwert, die Strafkammer habe aber die Beschwerde ohne richtige Begründung abgelehnt. Auch daraus habe er das Gefühl der mangelnden Unbefangenheit des Kollegiums erhalten. Die zehnte Strafkammer habe ihm geantwortet: er habe sich unvorschriftsmäßig verhalten; es gebe aber keine Vorschrift, in welcher bestimmt werde, daß ein Untersuchungsgefangener beim Erscheinen eines Aufsehers sich zu erheben habe. Er beantrage, den Vorsitzenden auf seinen Diensteid zu befragen, ob er vom Justizminister beeinflußt sei.
Staatsanw.-Rat Porzelt erklärte, daß der Angeklagte doch nicht Sachen vorzubringen habe, die gar nicht hierher gehören und überhaupt niemals geschehen seien.
Angekl.: Sie sind doch geschehen!
[141] Vors.: Ich muß auch dringend ersuchen, sich nur an die Erörterung der Frage zu halten, inwiefern die vier abgelehnten Richter befangen sein sollen.
Angekl.: Ich bin doch kein Rechtsanwalt und kann das, was ich vorzubringen habe, nicht in drei Worten sagen.
Vors.: Sie müssen sich aber an die Sache halten.
Angekl. (erregt): Wenn ich hier wieder vergewaltigt werde, wenn man mich wieder mit Füßen tritt, dann sage ich kein Wort mehr. Es ist mein gutes Recht, mich zu verteidigen. Alles hackt hier auf mir herum, man will mir das Wort entziehen.
Vors.: Wollen Sie sich nun sachlich äußern oder nicht?
Angekl.: Jawohl! Aber wenn Sie mich immer unterbrechen, kann ich es nicht! Es ist durchaus richtig, daß bei meinem Onkel, dem Botschafter Grafen Wolff-Metternich angefragt worden ist, ob er meine Schulden bezahlen wolle. Das ist wahr, das steht in den Akten! Wahr ist auch, daß der Untersuchungsrichter Dr. Sprockhoff, der den die Sache führenden Untersuchungsrichter vertrat, einen Brief des Grafen v.d. Schulenburg unterschlagen hat.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ich muß doch derartige Äußerungen und beleidigende Behauptungen, die durchaus nicht zutreffen, entschieden zurückweisen.
Vors.: Es sind derartige Vorwürfe nicht zulässig, wie sich der Angeklagte selber sagen muß, denn er wirft damit einem Richter eine strafbare Handlung vor!
Angekl.: Ich sehe darin auch eine strafbare Handlung! lung!
Der Vorsitzende, Landgerichtsrat Brieskorn, vernahm alsdann in öffentlicher Sitzung die abgelehnten Richter.
Landgerichtsdirektor Crüger: Ich erkläre dienstlich, daß ich mich in keiner Weise für befangen halte, sondern dem ganzen Straffall völlig unbefangen gegenüberstehe, wenn sich auch persönlich eine gewisse Meinung gebildet hat, wie es bei jedem der Fall sein wird, der die Akten sorgfältig und ernst studiert hat. Was die einzelnen Punkte betrifft, so erkläre ich dienstlich, daß mir von keiner Seite irgendein Wort zugetragen worden ist, weder versteckt noch offiziell, welches darauf hindeuten könnte, ich solle beeinflußt werden. Ich habe von einer angeblichen Verfügung des Herrn Justizministers nichts gewußt und kann mir gar nicht vorstellen, daß die Justizbehörde, wie[142] behauptet worden, die Verurteilung des Angeklagten wünsche. Ich habe nichts in den Akten gefunden, daß irgendwie ein derartiger Wunsch des Justizministers zum Ausdruck gekommen ist. Wenn so etwas in den Akten Stallmann stehen sollte, so muß ich bemerken, daß ich diese Akten niemals gesehen habe. Was Frau Wertheim anbetrifft, so möchte ich folgendes hinzufügen: Der Angeklagte hatte zu seiner Verteidigung angeführt, daß, er auf die Heirat mit der Tochter der Frau Wertheim, der Frau Dolly Landsberger, rechnen durfte. Die Ermittelungen ergaben das Gegenteil. Frau Wertheim war nach ihrer Aussage in der ersten Verhandlung, unter Zustimmung des Verteidigers entlassen worden, und als dann ein gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin gerichteter Antrag der Verteidigung kam, habe ich öffentlich erklärt, und die Kammer hat es gebilligt, daß man nicht gegen eine abwesende Zeugin, die sich nicht verteidigen kann, ehrenkränkende Anschuldigungen zulassen, sondern die Sache vertagen werde. Es haben dann zwischen den Verteidigern und mir Besprechungen stattgefunden; ich habe mich dabei aus meiner ursprünglichen Reserve herauslocken lassen. Was ich gesagt habe, habe ich aber nur für meine Person und nicht namens der Kammer gesagt. Dann kam der unerwartete Brief der Frau Wertheim, daß sie nicht kommen könne. Ich habe mich wieder mit den Verteidigern unterhalten, was nun geschehen solle, und wieder in meinem Namen und nicht im Namen der Kammer meine Ansicht über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Angriffen gegen eine abwesende Zeugin ausgedrückt. Ich stehe auch jetzt noch persönlich auf dem Standpunkt, daß das Gericht grobe Anwürfe gegen eine abwesende Zeugin nicht zulassen könne. Ich habe nicht erklärt, daß die Sache vertagt werden würde, sondern nur, daß ein Gericht sich wohl nicht dazu hergeben werde, solche Anwürfe in Abwesenheit der betreffenden Zeugin entgegenzunehmen. Ich habe gefragt, ob die Verteidiger nicht auf eine Reihe vorgeschlagener Zeugen verzichten wollten, da sonst wohl eine Vertagung notwendig werden würde. Ich werde in Zukunft mein Benehmen danach einrichten, daß solche privaten Besprechungen nicht in dieser[143] Weise verwertet werden. Die Entsendung eines Gerichtsarztes nach Meran habe nicht ich, sondern die Kammer abgelehnt. Wir haben uns gesagt, daß eine einmalige Untersuchung durch einen Gerichtsarzt zu nichts führen könne, abgesehen davon, daß ein preußischer Gerichtsarzt in Österreich nicht zuständig ist und die Zeugin nicht gezwungen werden kann, aus dem Auslande hierher zu kommen. Von einer schlechten Behandlung des Angeklagten im Gefängnis ist mir nichts bekannt. Was die Behauptung des Angeklagten betrifft, daß das Urteil bereits nach der ersten Verhandlung festgestellt worden sei, so weiß ich nicht, wer so etwas erzählt haben soll; ich weiß aber, daß wir in der Kammer, keinen irgendwie dahin auszulegenden Beschluß gefaßt, noch irgend etwas über die Höhe der Strafe gesprochen haben. Es ist also in keiner Weise ein Urteil schon festgelegt. Was die behauptete Anfrage des Staatsanwalts bei dem Onkel des Angeklagten, dem Botschafter in London, betrifft, so erkläre ich, daß ich von der Sache absolut nichts weiß.
Landrichter Kriener: Ich erkläre, daß ich mich nach keiner Richtung hin für befangen halte. Von einer Äußerung über den Erwerb des Geldes durch den Angeklagten weiß ich überhaupt nichts mehr. Dagegen erinnere ich mich, die Frage an Justizrat Meschelsohn, ob er Syndikus der Firma A. Wertheim sei, gerichtet zu haben. Ich erkläre, daß dies lediglich zu meiner persönlichen Information dienen sollte.
Landgerichtsrat Elsner: Ich erkläre, daß ich mich nach keiner Richtung hin befangen fühle. Da gegen mich irgendwie bestimmt präzisierte Ablehnungsgründe nicht geltend gemacht worden sind, muß ich annehmen, daß die Verteidigung vielleicht vermutet, jene Äußerung, der Angeklagte werde zu einem Jahr Gefängnis, unter Anrechnung von sechs Monaten der erlittenen Untersuchungshaft verurteilt, rührt von mir her. Ich weise diese Vermutung mit Entschiedenheit als falsch zurück.
Landrichter Menard gab eine ähnliche Erklärung ab.
R.-A. Dr. Alsberg und R.-A. Dr. Jaffé verwahrten sich entschieden gegen den aus der Auslassung des Direktors Crüger herauszulesenden Vorwurf, daß die Verteidiger vertrauliche Mitteilungen hier verwendet hätten. Weshalb nicht gestattet worden, daß Staatsanw.-Rat[144] Schwickerath über seine Eindrücke, die er bei Gelegenheit einer Strafsache über den Charakter der Frau Wolff-Wertheim erhalten, hier aussage, sei unerfindlich, denn durch diese Aussage würde doch nimmermehr das Staatswohl gefährdet. Landgerichtsdirektor Crüger habe ausdrücklich gesagt: »Ich lasse eine Zeugin, die nicht hier ist, nicht an den Pranger stellen, und das kann ich Ihnen sagen: wenn solche Sachen vorgebracht werden, dann werde ich vertagen!«
Staatsanw.-Rat Porzelt: Der Angeklagte hat bestritten, geisteskrank zu sein; es scheint aber, als wollte er durch solche Behauptungen doch wieder Zweifel an seiner Geistesklarheit wachrufen. Für die Einbringung dieser Anträge des Angeklagten habe ich sonst keine rechte Erklärung. Der Angeklagte ist ein ausgestoßener Sprößling einer hochangesehenen Familie, im übrigen aber ist er ein Betrüger, der seit Jahr und Tag viele Personen geschädigt hat. Der Angeklagte schätzt sich doch sehr niedrig ein, denn ein Mann, der so lange betrogen hat, verdient mindestens zwei Jahre Gefängnis. Außerdem sitzt der Angeklagte auch wegen der Sache Stallmann in Untersuchungshaft.
Die Verteidiger traten den Ausführungen des Staatsanwalts in sehr scharfer Weise entgegen.
Nach kurzer Beratung des Gerichtshofes erklärte Landgerichtsrat Brieskorn: Der Gerichtshof hat den Antrag der Verteidigung und des Angeklagten abgelehnt, da zu einer Ablehnung der vier Richter nicht der geringste Grund vorhanden ist.
Der ordnungsmäßige Gerichtshof unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Crüger trat darauf wieder in Tätigkeit. Es wurde der Anklagebeschluß verlesen und darauf zur Vernehmung des Angeklagten geschritten. Der Angeklagte gab an: Er sei am 15. November 1886 zu Schloß Arcem in Holland als Sohn des Rittergutsbesitzers und Königlichen Kammerherrn Grafen Lewin v. Wolff-Metternich geboren. Er habe die Klosterschulen und Gymnasien zu Betburg, Bonn und Münster besucht. Er habe als sehr junger Gymnasiast einmal einen Selbstmordversuch unternommen. Auf den Rat des Professors Dr. Aschaffenburg sei er von seinem Vater vorübergehend in eine Privat-Irrenanstalt gebracht worden. Auf Befragen des Vorsitzenden äußerte sich darauf der Angeklagte[145] über seine Beziehungen zu der Familie Wertheim: Frau Dolly Landsberger, geb. Pincus, Stieftochter des Herrn Wolff Wertheim wurde mir auf einem Fest im hiesigen Landwehrkasino von einem Leutnant der Reserve vorgestellt. Einige Tage später lernte ich die Mutter der jungen Dame, Frau Wertheim, bei einem bei Kroll stattgefundenen Wohltätigkeitsfest kennen. Auf Einladung der Frau Wertheim besuchte ich die Familie Wertheim, und zwar fast täglich. Ich habe von Anfang an die Absicht gehabt, mich um die Tochter zu bewerben. Zeuge hierfür ist der Leutnant Rittweger, ein Schwiegersohn des Justizrats Prerauer. Andere Zeugen wissen, daß ich den Silvestertag als den Termin meiner Erklärung angegeben habe. Sie haben mir viele Avancen gemacht, ich bin aber am Silvesterabend nicht mit der Erklärung hervorgetreten, da ich die Einladung der Frau Wertheim zu der Reise nach dem Süden erhalten hatte. Bei dieser Reise hatte ich keineswegs die Rolle eines »Reisemarschalls« gespielt. Ich habe stundenlang täglich mit Frau Dolly Landsberger verkehrt, wir haben allein ein Auto genommen und sind spazieren gefahren; es ist auch vorgekommen, daß die Eltern abends zu Bett gingen und ich der Tochter, auf Aufforderung der Mutter, noch bis ein Uhr nachts Gesellschaft leistete. Sie legte sich dann auf eine Chaiselongue, und ich saß auf einem Taburett vor ihr. Wir haben uns du genannt und auch geküßt, und der ganze Verkehr ließ mir keinen Zweifel, daß ich als Schwiegersohn angenehm sei. Ich habe mit Frau Dolly Landsberger verkehrt wie Braut und Bräutigam; es ist mir jedenfalls nirgends angedeutet worden, daß ich nicht angenehm sei. Herr Wolff Wertheim hatte auch einmal gesagt, er habe ein Gut bei Cladow, das er seiner Stieftochter als Hochzeitsangebinde geben werde. Ich habe auch manchmal den Vermittler in der Familie spielen müssen, da sehr starke Gegensätze bestanden. Eines Morgens habe ich Mutter und Tochter in Tränen und in einer heftigen Aussprache gefunden. Die Tochter sagte zur Mutter: Du mit deiner Vergangenheit darfst dir doch überhaupt nichts erlauben. Ich beruhigte beide, und da hat Frau Wertheim den Kopf an meine Schulter gelehnt und mir gedankt. Mehr als einmal hat Herr[146] Wertheim zu mir gesagt: »Ich danke Ihnen, daß Sie zu mir kommen. Sie üben einen so guten Einfluß auf meine Tochter aus.«
Vors.: Wie war es nun am Silvesterabend?
Angekl.: Die Reise war also vorbereitet, und ich dachte, daß ich auf der Reise bessere Gelegenheit haben würde, meine Werbung anzubringen. Silvester war ich schon zum Frühstück von Wertheims eingeladen. Abends war eine Gesellschaft von dreißig Personen geladen, alle Arrangements waren mir übertragen worden. Da kam Frau Wertheim auf die große Reise zurück. Sie forderte mich auf, im Februar mit ihr nach Italien zu reisen und erbot sich, für die Kosten aufzukommen. Sie wiederholte dabei mehrfach, daß die Tochter mich sehr gern habe und ich ihr sehr angenehm sei. Ich habe über diesen Heiratsplan auch mit meiner Schwester korrespondiert.
Vors.: Wie konnten Sie denn annehmen, daß Sie ohne Mittel besondere Chancen hatten?
Angekl.: Es war ja mehrfach angedeutet worden, daß Frau Wertheim ihre Tochter gern wieder verheiraten wollte. Deren erste Ehe war schiefgegangen, und nun sollte die Tochter einen Grafen haben.
Vors.: Aber kurze Zeit darauf war die ganze Sache zu Ende.
Angekl.: Frau Wertheim schrieb mir am 8. Januar: vorläufig möchte ich nicht kommen, die Tochter sei krank. In Wahrheit lag die Sache so, daß der Kommandeur des 2. Garderegiments z.F. seinen sämtlichen Offizieren verboten hatte, im Hause Wertheim zu verkehren. Das war ihnen natürlich unangenehm, und deshalb wurde die Krankheit vorgespiegelt. Wie sehr man mich schätzte und keineswegs als den untergeordneten »Reisemarschall« betrachtete, geht u.a. daraus hervor: Eines Tages begrüßte ich in einem Restaurant den Prinzen Salm-Salm, der mit einer Tante von mir und auch mit dem österreichischen Kaiserhause verwandt ist. Frau Wertheim war ganz entzückt, als sie hörte, daß ich somit auch mit dem österreichischen Kaiserhause verwandt sei. Am Silvesterabend habe ich die Tischordnung gemacht, und Frau Wertheim sagte zu mir: Es ist selbstverständlich, daß Sie meine Tochter zu Tisch führen.
Vors.: Zu jener Zeit scheinen sich Mutter und Tochter ganz gut verstanden zu haben.
Angekl.: Nein, sie standen sich nie gut, ich habe[147] immer Veranlassung gehabt, zwischen Mutter und Tochter zu vermitteln, denn es kam oft zu argen Szenen zwischen beiden. Ich habe übrigens einen großen Teil meiner Läpperschulden bezahlt. Ich wiederhole, daß ich nicht etwa als Schuhputzer mit auf die Reise gehen sollte, sondern daß man selbst auf mich als Schwiegersohn reflektierte.
Vors.: Nun sind die Wertheims aber doch anderen Sinnes geworden. Wie erklären Sie sich das?
Angekl.: Sie hatten wohl gehört, daß ich auf die Aussicht einer reichen Heirat schon Geld aufzunehmen suchte. Der Angeklagte gab auf weitere Fragen an, daß er auch noch andere Aussichten hatte, zu Geld zu kommen. So habe er Aussicht gehabt, in den Aufsichtsrat einer großen Gesellschaft zu kommen; in dieser Position hätte er über 12000 Mark im Jahre verdient. In Scheveningen habe er dann seine jetzige Frau kennengelernt und sie geheiratet. Er habe seiner Frau sofort gebeichtet, welche Schulden er habe und überlegt, wie er sie am besten abtragen solle. Er sei dann mit ihr zu einem Zivilanwalt in Wien gegangen und habe diesem die Sachlage mitgeteilt. Der Anwalt habe gesagt: Ach, das sind ja Läpperschulden. Lassen Sie die Leute noch ein halbes Jahr warten und bieten Sie ihnen dann 60 Prozent. Seine Frau habe eigenes Vermögen und ein jährliches Einkommen von 50 bis 60000 Kronen. Er könne darauf verweisen, daß er zur kritischen Zeit in der Tat auf eine reiche Heirat hinzielte, er hatte zwei Heiratsvermittlerinnen an der Hand. Diese können bekunden, daß er gesagt habe: »Unter eine Million tue ich es nicht, es muß aber auch eine gute Familie sein.«
R.-A. Dr. Jaffé wiederholte den Antrag, den Medizinalrat Dr. Hoffmann nach Meran zu senden, und beantragte ferner, Frau Margarete Fröhlich, verw. Bornstein, Inhaberin des Ehevermittelungs-Instituts Bornstein, Kurfürstendamm 33, als Zeugin und Sachverständige darüber zu vernehmen, daß einem Heiratskandidaten, der den Namen Graf Wolff-Metternich trägt, mit Leichtigkeit Partien mit Mitgiften von vielen hunderttausend Mark vermittelt werden könnten. Daß ferner Personen mit derartigen Namen auch wiederholt zu »Namensheiraten« gesucht würden, von vornherein[148] mit der Absicht, die Ehe nach kurzer Zeit zu lösen. Daß für solche »Namensheiraten« Summen von vielen Tausenden Mark gern gezahlt würden.
R.-A. Dr. Alsberg unterstützte diese Anträge. Frau Bornstein würde auch bekunden, daß es nichts Ungewöhnliches sei, wenn Heiratskandidaten mit nach dem Süden genommen würden.
Die Anträge der Verteidiger wurden nach kurzer Beratung mit der Begründung abgelehnt, daß die Aussagen der Frau Wertheim aus der ersten Verhandlung für den Gerichtshof nicht von Einfluß seien.
Es wurden alsdann zwei Krankenschwestern vernommen, die Frau Dolly Landsberger nach ihrem bekannten Sprung aus dem Fenster gepflegt haben, und die über das schlechte Verhältnis zwischen Mutter und Tochter Auskunft geben sollten. Die Krankenschwester Alex bestätigte, daß das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter das denkbar schlechteste gewesen sei. Frau Wertheim habe der Tochter gegenüber die gemeinsten Schimpfwörter gebraucht, wie: eklige Jüdin, Biest, Dirne, Frauenzimmer und andere aus dem Sexualleben entnommene Schimpfwörter.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist es richtig, daß Frau Wertheim einmal von der schlechten Erziehung ihrer Tochter gesprochen hat, und als die Tochter fragte, warum man sie nicht in eine Pension gegeben habe, Frau Wertheim geantwortet hat: Dann wärst du nach sechs Wochen, von einem Hausdiener schwanger, wieder nach Hause gekommen?
Zeugin: Das ist richtig.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist es richtig, daß Frau Wertheim ihre Tochter wiederholt veranlassen wollte, in dem Ehescheidungsprozeß gegen Dr. Landsberger falsche Anschuldigungen zu erheben?
Zeugin: Jawohl.
R.-A. Dr. Alsberg: Ist es richtig, daß Frau Dolly Landsberger vielfach nach ihrem Manne verlangte und Frau Wertheim sie mit Gewalt von ihrem Manne fernzuhalten suchte.
Zeugin: Jawohl. Frau Wertheim hat wiederholt Briefe des Dr. Landsberger abgefangen und nicht abgeliefert. geliefert.
R.-A. Dr. Alsberg: Entsinnen Sie sich, daß davon gesprochen wurde, Frau Dolly Landsberger habe, als sie hörte, ihre Mutter verbreite alles mögliche, was sie über ihren Mann gesagt haben solle, geäußert: »Solche Gemeinheit, meine Mutter hat mir das alles erst[149] eingeredet«?
Zeugin: Jawohl.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist es richtig, daß Frau Wertheim einmal geäußert hat: Sie und ihre Tochter lügen beide, wenn sie aber selber lügt, dann versteht sie es besser?
Zeugin: Das ist mir nicht erinnerlich.
Krankenschwester Rose Kolb bestätigte auf Befragen der R.-A. Dr. Jaffé und Dr. Alsberg, daß es öfter zu heftigen Szenen zwischen Mutter und Tochter gekommen sei. Bei der ersten Ausfahrt der Frau Dr. Landsberger nach ihrer Erkrankung durch den Tiergarten habe sich Frau Dr. Landsberger geniert gefühlt, daß sie viele Bekannte trafen. Als sie deshalb gebeten habe, einen anderen Weg einzuschlagen, habe Frau Wertheim laut geschrien : »Wenn sie dich sehen, sehen sie nichts weiter als ein ...« (es folgte ein nicht wiederzugebendes Schimpfwort). Richtig sei es auch, daß Frau Dr. Landsberger dauernd zu ihrem Manne zurückzukehren verlangte und oft schrie: »Ati, mein Ati, ich hab dich ja so lieb.« Sie habe dann verzweifelt in die Kissen geschluchzt, wenn die Mutter dazukam kam und sie mit den unflätigsten Schimpfwörtern belegte. Auf weiteren Vorbehalt bestätigte die Zeugin folgendes: Frau Wertheim habe bei einer Gelegenheit zu ihrer Tochter gesagt: ihr Großvater habe nicht umsonst die Millionen zusammengestohlen, damit sie nur Champagner saufen und sich amüsieren konnte.
R.-A. Dr. Alsberg: In ihrer eidesstattlichen Versicherung vor dem R.-A. Dr. Marwitz haben Sie auch bekundet: Eines Tages saß die Tochter am Klavier, spielte ein Lieblingsstück ihres Mannes und weinte. Da machte ihr Frau Wertheim eine heftige Szene und sagte: Ich will dir nur eins sagen, ich habe deinen Vater zugrunde gerichtet und richte auch dich zugrunde.
Zeugin: Was ich eidesstattlich versichert habe, ist richtig, ich besinne mich jetzt aber nicht mehr darauf. Alsdann wurde Oberleutnant v. Fetter vernommen, der längere Zeit im Hause Wolff Wertheim verkehrt hat. Er erklärte, daß er nicht die Absicht gehabt habe, Dolly Pincus zu heiraten, und daß er einige Wochen, nachdem er in das Haus Wolff Wertheim eingeführt war, dies auch in einer Unterredung Frau Wolff Wertheim ausdrücklich erklärt habe. Der Angeklagte Wolff-Metternich sei im Hause Wolff Wertheim ebenso behandelt[150] worden wie alle anderen Gäste.
Der Angeklagte fragte den Zeugen, ob es seiner Meinung nach zwischen Mutter und Tochter so weit gekommen sei, daß die Tochter der Mutter alles gebeichtet habe. Der Zeuge glaubte dies bestimmt verneinen zu können, da auch er den Zwist zwischen Mutter und Tochter bemerkt habe. Er habe auch dem Angeklagten auf dessen Anfrage erklärt, daß er nicht die Absicht habe, sich um Frau Dolly Pincus zu bewerben. Leutnant v. Ziesar war nur zweimal im Hause Wolff Wertheim. Ihm hat Oberleutnant v. Vetter ebenfalls erklärt, daß er sich nicht um die Tochter des Hauses bewerben wolle. Von einer schlechteren Behandlung des Angeklagten im Hause Wolff Wertheim gegenüber anderen Gästen sei auch ihm nichts bekannt.
Zeugin Fräulein von Hanstein, die ehemalige Erzieherin der Dolly Landsberger bekundete gleichfalls, daß oft böse Szenen zwischen Mutter und Tochter stattgefunden hätten. Erstere habe oft sehr unanständige Wörter gebraucht, die in gebildeten Kreisen nicht üblich sind und auch manchmal auf sexuellem Gebiete lagen. Auch habe sie gesagt, sie hasse ihre Tochter und habe sie schon vor der Geburt gehaßt.
R.-A. Dr. Jaffé: Hat Frau Wertheim nicht gesagt, sie habe monatelang vor der Geburt nur Kognak getrunken und Salat gegessen? Das Gericht lehnte diese Frage ab. Weiter bekundete die Zeugin, daß Dolly Landsberger, die sich mit fünfzehn Jahren verheiratet hatte, mehrfach von der Mutter mißhandelt worden sei.
R.-A. Dr. Alsberg: Danach ist der Zwiespalt zwischen beiden so groß gewesen, daß Frau Dolly Landsberger ihre tiefsten Seelenzustände wohl kaum der Mutter offenbart haben wird. (Zur Zeugin): Legte Frau Wertheim noch immer besonderen Wert auf klangvolle Namen?
Zeugin: Jawohl.
Dr. Alsberg: Hat sie nicht einmal gesagt: »Jetzt wäre der Herzog der Abruzzen für dich fällig gewesen.«
Zeugin: Jawohl, das hat sie gesagt. (Heiterkeit.) Hierauf wurde Staatsanw.-Rat Dr. Schwickerath als Zeuge vernommen. Dieser hatte eine Strafsache gegen Dr. Landsberger bearbeitet, die, wie er den Verteidigern berichtigend bemerkte, nicht auf einer Strafanzeige der Frau, sondern des Herrn Wertheim beruhte. Es seien damals zahlreiche Briefe von Dr. Landsberger eingereicht[151] worden, die ihm seine Frau geschrieben hatte.
R.-A. Dr. Jaffé hielt dem Zeugen eine Reihe dieser Briefe vor. Der Zeuge bestätigte in jedem einzelnen Falle, daß er sich daran erinnere. In einem Brief vom 11. Juni hieß es: Frau Wertheim ist wieder einmal im Bett, und ich sitze auf dem Balkon und harre ihrer Befehle. Und wenn sie mir sagt, wie schlecht sie sich fühlt, warum regt sich da kein Mitleid in meinem Herzen? zen? Eins ist sicher, daß seit dem 1. Juni etwas in mir erstorben ist, als diese Frau, die meine Mutter ist, mich bespuckte. Mir war, als ob etwas in mir tot sei und ich weiß, es wird auch nie mehr in mir aufleben.
In einer Reihe anderer Briefe heißt es u.a.: »Ich fühle mit dieser Frau, die mich geboren hat, keinen seelischen und keinen körperlichen Zusammenhang, und sie ist doch meine Mutter.« »Es ist doch so traurig, täglich und stündlich mit einer Frau zusammen zu leben, die die Mutter ist und der man so fremd, ach so fremd gegenübersteht, die man nicht einmal achten kann.«
»Es tut mir weh, dieses Haus meine Heimat nennen zu müssen.« Eines Tages erklärte Frau Wertheim, daß sie am Wannsee bei Cladow für die Bewerber Dollys eine Villa gemietet habe. An einem andern Tage erklärte Frau Wertheim: »Mir ist es lieber, du wirst die Mätresse eines Prinzen, als die Frau irgendeines Herrn Mayer.« In einem Briefe von Ende 1907 heißt es: »Ich bin schon gehaßt worden, ehe ich lebte. Mama erzählte mir hundertmal, wie sie mich hasse. Nur den einen Wunsch hatte sie in dieser Zeit, befreit von der ?Unbequemlichkeit? zu sein. Ich war das Kind des Mannes, den sie haßte, und sie trug mich auch im Haß. Meine erste Erinnerung aus meiner Kindheit ist: Ich lag im Wagen, Mama zeigte mir ein Bild und sagte: ?Das ist deine Tante.?
Es war ein Bild einer Mätresse meines Vaters.«
»Von diesem Sumpf, der in der Seele dieser Frau liegt, die meine Mutter heißt, machst Du Dir keine Ahnung. Du, laß mich nicht zu lange in dieser Hölle.«
»Ich schäme mich, diese Frau als Mutter zu haben.« ... In einem andern Briefe hieß es: Frau Salbach bat Frau Wertheim, ihr doch einige Billette zur Unterstützung für einige arme jüdische Kinder abzunehmen. Frau Wertheim äußerte bei Empfang des Briefes:[152] »Nein, fällt mir gar nicht im Traum ein; wenn mich nicht eine Exzellenz bittet, denke ich gar nicht daran, zu geben.«
Als nächster Zeuge wurde der frühere Staatsanwalt, jetzige Landrichter Dr. Katz vernommen. Er hatte eine Strafsache gegen die Schwiegermutter der Frau Wertheim, Frau Pincus, geführt. Diese war durch eine Strafanzeige der Frau Wertheim veranlaßt worden und lautete auf Meineid. Frau Pincus wurde außer Verfolgung gesetzt, weil nicht genügende Beweise vorlagen.
Vors.: Aus den Akten stelle ich fest, daß Frau Pincus damals siebzig Jahre alt war und über Dinge vernommen wurde, die neun Jahre zurücklagen.
R.-A. Dr. Alsberg: Hat der Zeuge nicht den Eindruck gehabt, daß Frau Wertheim die Anzeige aus Gehässigkeit oder aus dem Grunde erstattet hat, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen?
Zeuge: Über die Motive kann ich mich nicht äußern.
Aus den Akten wurde darauf festgestellt, daß Frau Pincus als Zeugin vom Kammergericht vernommen wurde, und Frau Wertheim hat Fragen an sie gerichtet auf Grund von Briefen aus alter Zeit. Die Angaben der alten Dame sollen nach der Behauptung der Frau Wertheim unrichtig gewesen sein.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist dem Zeugen bekannt, wie man bei der Kgl. Staatsanwaltschaft sonst über die Glaubwürdigkeit der Frau Wertheim denkt?
Zeuge: Darauf kann ich kaum antworten. Gewiß ist manches gesagt worden, was nicht günstig war, auf der anderen Seite aber auch das Gegenteil.
R.-A. Dr. Jaffé: Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat in der vorigen Sitzung die Frau Wertheim für eine »vorzügliche Zeugin« erklärt. Hat man sich nicht darüber gewundert und gesagt, man könne darin dem Staatsanwalt nicht beipflichten?
Zeuge: Darüber kann ich mich auch nicht äußern; ich bin hier Zeuge und nicht Sachverständiger.
Am zweiten Verhandlungstage erklärte der Angeklagte: Ich bin am Weihnachts-Heiligabend als einziger Fremder bei Wertheims eingeladen gewesen und habe von Dolly Landsberger ein kostbares Weihnachtsgeschenk, eine Reitpeitsche mit silbernem Griff, erhalten. Ich war dann auch am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag bei Wertheims. Ich habe täglich an Dolly Landsberger Blumen geschickt, ebenso auch[153] an Frau Wertheim selbst, wie es doch ein »Diener« oder »Angestellter« nicht tun würde. Ich war oft eine Stunde lang in dem elektrischen Kupee mit der Dolly ausgefahren und wurde häufig telephonisch nach dem Tattersall bestellt, in dem Dolly Landsberger Reitübungen unternahm. Bei den Abendbesuchen im Boudoir sollte ich ihr einmal ihr schönes schwarz-blaues Haar aufmachen. Ich war ganz überzeugt, mit Kußhand aufgenommen zu werden und auf der Reise im Süden die Sache perfekt machen zu können.
R.-A. Dr. Jaffé verlas darauf folgendes, von Dr. Arthur Landsberger an ihn gerichtetes Telegramm: Da mir der Name des Vorsitzenden unbekannt ist, teile ich Ihnen mit, daß ich infolge Erkrankung am Erscheinen verhindert, wüßte auch sonst in Sachen Wolff-Metternich, der mir, wie seine Affäre, nur aus den Zeitungen bekannt ist, keinerlei Bekundungen zu machen. Sollte sich meine Vernehmung aber auf mein einstmaliges Verhältnis zum Hause Wolff Wertheim beziehen so erkläre ich, daß ich, selbst auf die Gefahr des Zeugniszwangsverfahrens hin, keine Bekundungen gegen Frau Dolly machen würde. Diesen Standpunkt werde ich auch dann nicht ändern, wenn mich die Wertheim, gleichwie in welcher Form, verleumden sollte. Damit jedoch mein Schweigen nicht falsch ausgelegt wird, entbinde ich die Herren Justizrat Sello und Dr. Marwitz von ihrer Amtsverschwiegenheit hinsichtlich aller Punkte, die sich nicht gegen Frau Dolly richten. Stelle, falls Herr Maximilian Harden erscheinen sollte, anheim, ihn über alle das Haus Wertheim und mich betreffenden Punkte zu befragen. gez. Dr. Arthur Landsberger, z.Z. Prag, Hotel »Blauer Stern«.
R.-A. Dr. Jaffé legte ferner einen Artikel aus dem »Herold« vor.
Staatsanw.-Rat Dr. Porzelt: Ich sehe, es soll immer wieder auf die Glaubwürdigkeit der Frau Wertheim eingegangen werden. Ich habe schon gestern betont, ich habe keinerlei Interesse an den Bekundungen der Frauen Wertheim und Dolly Landsberger. Die ganze Ära Wertheim hat nur ganz kurze Zeit gedauert. Die Straftaten des Angeklagten fallen in eine ganz andere Zeit. Es ist deshalb unerfindlich, weshalb der Angeklagte aus dem »Fall Metternich« einen »Fall Wertheim« machen will.[154] Ich erkläre, daß ich bereit bin, die Fälle, die in die Ära Wertheim fallen, auszuschalten. Wir haben kein Interesse daran, ob Frau Wertheim glaubwürdig ist oder nicht. Diese ganze Sache ist anscheinend deshalb nur so stark hervorgehoben worden, um das Interesse von dem Angeklagten selbst abzulenken und Sensation zu machen.
Vors.: Die Zeugen sind geladen und müssen vernommen werden.
R.-A. Dr. Jaffé: Die Ausführungen des Staatsanwalts treffen nicht zu. Der Fall Wertheim ist schon in der Voruntersuchung hineingezogen worden, er zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Affäre hindurch. Es kommt darauf an, daß der Angeklagte sichere Chancen bezüglich der Frau Dolly hatte, und wenn dies sich ergibt, dann ist vielleicht der Schluß zu ziehen, daß er auch in anderen Fällen glauben konnte, gute Chancen auf eine reiche Heirat zu haben.
Angekl. Graf Metternich: Ich bitte den Herrn Vorsitzenden, mich in Schutz zu nehmen gegen die Ausfälle des Staatsanwalts, der gestern gesagt hat, ich sei für die Staatsanwaltschaft nur ein gemeiner Betrüger. Heute sagte er wieder, ich wolle Sensation machen. Meine Verteidiger haben geglaubt, jene Beweisanträge stellen zu müssen. Ich will keinesfalls Sensation machen.
Vors.: Was Ihren Schutz betrifft, so muß ich darauf hinweisen, daß der Staatsanwalt doch nur seine eigene Ansicht hat, wie Sie auch vielerlei Ansichten kundgegeben haben.
R.-A. Dr. Alsberg beantragte, einen Artikel aus dem »Herold« zu verlesen, der von Frau Wolff Wertheim herrühren soll. Der Artikel wird ergeben, so führte der Verteidiger aus, daß Frau Wertheim in der Sucht, sich und ihre Klugheit in den Vordergrund zu stellen, so weit geht, daß sie nicht davor zurückschreckt, öffentlich ihren Mann zu beschuldigen, er sei bereit gewesen, einen Meineid zu leisten. Diese Beschuldigung bringe sie nur vor, um von einem geschickten Coup zu berichten, den sie damals inszeniert habe. Auf eine Zeugin, die sich so ihrem eigenen Manne gegenüber verhält, kann nichts gegeben werden, wenn sie Dritte beschuldigt.
Justizrat Dr. Meschelsohn, juristischer Berater der Firma A. Wertheim, bekundete alsdann als Zeuge: In der Zeitschrift »Herold« erschien eines Tages ein Artikel, der, Bezug[155] nehmend auf einen Rechtsstreit, die Firma Wertheim und auch ihn, Zeugen, aufs heftigste angriff. Der Inhalt dieses Artikels, der aller Vermutung nach von Frau Wertheim herrührte, ging darauf hinaus, daß man versucht habe, Herrn Wolff Wertheim durch eine Art Komplott zur Ableistung eines Meineides zu drängen, um ihn dann mit Hilfe des daraus sich ergebenden Strafprozesses aus der Firma A. Wertheim auszuschließen. An der ganzen Geschichte sei absolut nichts Wahres gewesen, es sei eine völlig hirnverbrannte Geschichte, an welcher weder objektiv noch subjektiv auch nur das geringste wahr sei. Er (Zeuge) sei dann an den Staatsanwalt herangetreten, um gegen den verantwortlichen Redakteur vorzugehen. Diese Angelegenheit wurde schließlich dadurch aus der Welt geschafft, daß Abbitte geleistet und eine Buße gezahlt wurde. Später wandte sich Frau Wolff Wertheim an ihn mit der Bitte, in einer Angelegenheit ihre Interessen wahrzunehmen. Er habe das mit den Worten abgelehnt: Wie ist das möglich, daß Sie, die Sie damals diesen schändlichen Artikel geschrieben haben, glauben, daß ich Ihr Rechtsbeistand werden könnte? Frau Wertheim habe darauf erwidert: Aber Herr Justizrat, mir war gesagt worden, wir kriegen zehn Millionen, wenn der Artikel kommt. Er (Zeuge) hatte das Gefühl, daß mit dem Artikel eine Erpressung beabsichtigt gewesen sei.
Vors.: Ist man denn mit Geldforderungen an Ihre Klienten herangetreten?
Zeuge: Nein, aber man kann doch auch Erpressungen inszenieren, indem man zunächst horcht, welches Gebot gemacht wird.
Aus der weiteren Vernehmung des Zeugen ergab sich, daß eine Broschüre über dieselbe Angelegenheit erschienen sei, und ein Strafverfahren gegen den Verfasser geschwebt habe.
R.-A. Severin Behrend bekundete als Zeuge: Frau Wertheim hat einen Prozeß gegen ihren Schwiegervater, den Kommerzienrat Pincus, geführt. Es handelte sich damals um Zahlung von 60000 Mark. Im Anschluß an diesen Prozeß hat Wolff Wertheim eine Anzeige gegen Kommerzienrat Pincus wegen Fälschung einer Urkunde erstattet.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist es richtig, daß in dem Zivilprozeß über 60000 Mark Frau Wertheim die Echtheit ihrer eigenen Unterschrift[156] bestritten hat?
Zeuge: Ja, das ist geschehen. Es war damals ein Eid normiert worden, den Frau Wertheim leisten sollte. Sie ist dann aber zu dem Eidestermin nicht erschienen. Weiter berührte R.-A. Dr. Jaffé durch zahlreiche Fragen an den Zeugen noch einen Wust von Vorkommnissen, in denen Frau Wertheim eine häßliche Rolle gespielt haben soll. So wurde erwähnt, daß Frau Wertheim gegen ihre Schwiegermutter und ihren Schwiegervater einen Prozeß auf Herausgabe von gewissen Briefen geführt habe. Die siebzigjährige Frau sei sogar zu einem Offenbarungseid getrieben worden und habe schwören müssen, daß sie die Briefe nicht habe. Auf Anfrage des R.-A. Jaffé bestätigte R.-A. Behrend, daß zu der Zeit, als das Meineidsverfahren gegen die eigene Schwiegermutter der Frau Wertheim eingeleitet war, in der Zeitschrift »Morgen« unter der Überschrift »Tiergarten-Skandal« ein Artikel erschien, in welchem von einem zweifellos Eingeweihten angekündigt wurde, daß eine solche Affäre im Gange sei. Er und seine Klienten hatten keinen Zweifel, daß Frau Wertheim die Urheberin dieses Artikels war.
Im Anschluß hieran wurde auf einen Prozeß zurückgegriffen, rückgegriffen, der einmal gegen die Mutter der Frau Wertheim, Frau Tietzer, geschwebt hatte.
R.-A. Dr. Alsberg ersuchte, aus den Akten festzustellen, daß sich Frau Wertheim von ihrer Mutter eine schriftliche Erklärung des Inhalts hat geben lassen: »Liebe Trude! Hierdurch bestätige ich Dir, daß ich, Deine Mutter, die Unterschrift geleistet habe. Paula Tietzer.« Es stehe fest, daß unmittelbar danach Frau W. bzw. ihr Mann gegen Frau Tietzer Anzeige wegen Urkundenfälschung bei der Staatsanwaltschaft erstattet habe.
R.-A. Dr. Jaffé erwähnte: Nachdem Herr Hentschel, ein Onkel der Frau Wertheim, verstorben war, behauptete diese, Hentschel habe Selbstmord begangen, weil er in ihrem Prozeß einen Meineid geleistet habe.
Zeuge R.-A. Behrend bestätigte, daß dies erzählt worden sei. Tatsächlich sei Herr Hentschel an schwerer Zuckerkrankheit gestorben.
Zeuge Kühn, früherer Privatsekretär des Herrn Dr. Arthur Landsberger, bekundete: Frau Dolly Landsberger habe sich häufig beklagt, daß sie von ihrer Mutter mit den gemeinsten Schimpfworten belegt werde.[157] Auf Befragen des R.-A. Dr. Jaffé erklärte Zeuge: Es sei richtig, daß die in dem Hause Wertheim angestellt gewesene Miß Giffin folgendes eidesstattlich versichert hatte: Frau Wertheim habe einmal geäußert: Die Dolly und ich, wir müssen beide lügen, die Dolly ist aber zu ungeschickt, bei der merkt man es immer, bei mir merkt man es jedoch nicht.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist es richtig, daß Miß Giffin erzählt hat, Frau Wertheim habe eines Tages folgendes zu ihr gesagt: Die Dolly darf nicht vor ihrem 22. Jahre heiraten. Zwischen 18 und 22 Jahren kann sie meinetwegen Verhältnisse haben, aber jede Woche ein anderes?
Vors.: Na, das geht doch aber wohl etwas zu weit. Wir können doch hier nicht Angaben irgendeiner Person, über deren Glaubwürdigkeit nicht das geringste bekannt ist, wiedergeben lassen. Es kann dies ja der ärgste Dienstbotenklatsch sein. Es ist dies jedenfalls ein ganz ungewöhnliches Prozeßverfahren, um etwas zu beweisen.
R.-A. Jaffé: Die Verteidigung will auf die Wiedergabe der Äußerungen der Miß Giffin verzichten und wird den Zeugen nur noch nach Dingen fragen, die ihm die Dolly Landsberger selber erzählt hat.
Vors.: Das geht doch eigentlich auch nicht, wenn wir die Zeugin Dolly Landsberger nicht persönlich hier haben.
R.-A. Jaffé: Dann stehen wir hier bis zum Jüngsten Tag, denn die Dolly Landsberger erscheint doch niemals vor Gericht. Sie hat Herrn Justizrat Dr. Mamroth in Breslau erklärt, daß sie unter keinen Umständen den erscheinen und sich auch weigern werde, sich von einem Gerichtsarzt untersuchen zu lassen.
Vors.: Wir könnten ja Frau Dolly Landsberger kommissarisch vernehmen lassen.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich glaube aber, daß wir durch eine kommissarische Vernehmung nie ein richtiges Bild bekommen werden.
Vors.: So doch aber auch nicht. Hier werden Zeugen vernommen, die erzählen, was ein nicht anwesender Zeuge zu einem andern ebenfalls nicht anwesenden Zeugen gesagt hat. Ob das ein richtiges Bild gibt, halte ich für noch fraglicher.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich bitte, dem Zeugen eine Anzahl Fragen vorlegen zu dürfen, die er aus eigener Kenntnis beantworten kann. Herr Zeuge, ist es richtig, daß Frau Wertheim geäußert hat: »Unter einem Vanderbilt oder[158] einem Rothschild machen wir es nicht.«
Zeuge: Jawohl.
Verteidiger R.-A. Dr. Jaffé wies hierauf mehrere Briefe vor, in denen es hieß: »Mutter baut wieder Fürstenschlösser.«
»Sie (Frau Wertheim), antwortete mir: O nein, da nehme ich das Rakett und schlage dich, bis du Gehirnhautentzündung hast – und das ist meine Mutter!« – »sie sei von diesem Weib (Frau Wertheim) hypnotisiert worden und müsse alles tun, was sie wolle.«
In einem Gutachten des Geheimen Medizinalrats Prof. Dr. Eulenburg hieß es: Bei Durchsicht dieser Briefe und Aufzeichnungen glaubt man stellenweise etwas von der von schwülem Parfüm durchzogenen Dunstschicht und dem heißen Atem einer modernen Salome, der würdigen Tochter einer modernen Herodias, zu spüren.
Vors.: Das schreibt ein Professor, Donnerwetter ja!
R.-A. Dr. Jaffé: Ja, allerdings, und zwar Geheimrat Eulenburg.
Vors.: Ja, ja, ich kenne ihn schon.
In einem an die damals infolge ihres Sturzes aus dem Fenster des Esplanade-Hotels schwerkranke Dolly Landsberger gerichteten Briefe schrieb Frau Wertheim: Warum habe ich für Deinen Vater Pincus, der meinen Namen fälschen wollte, die Wechsel unterschrieben, die der herrliche Karl Wolff bezahlte. Damit Dir das Zuchthaus nicht anhängen sollte, in das Dein Vater ohne Gnade hineinspaziert wäre.
Auf einige andere Anregungen der Verteidiger, welche noch mehrere Äußerungen der Frau Wertheim über ihre Tochter festgestellt haben wollten, erklärte der Vorsitzende: Es ist ja bekannt, daß Dr. Landsberger ein 15jähriges Mädchen gegen den Willen ihrer Eltern in England geheiratet hat. Daß da die Mutter nicht sehr freundliche Äußerungen gemacht haben wird, ist begreiflich.
Die Verteidiger beantragten die Vorladung zweier neuer Zeugen, eines Bildhauers und eines Architekten, die über den Verkehr des Angeklagten im Hause Wolff Wertheim bekunden sollten.
Die Verteidiger beantragten weiter die Verlesung einer Eingabe der Frau Wertheim zu den Akten.
R.-A. Dr. Alsberg: Es kommt nur darauf an, festzustellen, daß Frau Wertheim aus Gehässigkeit Unwahres sagt. Ich frage deshalb den Zeugen Kühn: Ist es wahr, daß seinerzeit die Flucht der Dolly Pincus, die zu dem Zweck geschah,[159] Dr. Landsberger zu heiraten, unter der Ägide von Maximilian Harden stattfand?
Zeuge Kühn: Kein Wort ist davon wahr.
R.-A. Dr. Alsberg: In der Eingabe der Frau Wertheim, deren Verlesung wir beantragen, spricht Frau Wertheim diese Beschuldigung aus. Vorher frage ich den Zeugen, ob nach seiner Ansicht Frau Wertheim diese Auffassung haben konnte?
Zeuge Kühn: Nein. Frau Wertheim kennt die Geschichte der Flucht und weiß bestimmt, daß Maximilian Harden von der Sache nicht das geringste wußte.
R.-A. Dr. Alsberg: Die Verlesung der Eingabe wird ergeben, daß Frau Wertheim auch Herrn Dr. Goldmann, den Berliner Vertreter der »Neuen Freien Presse«, ebenso wie andere einwandfreie Personen, verleumdet hat. Dr. Goldmann ist im Saale anwesend und wird die Unwahrheit der Behauptung der Frau Wertheim bezeugen.
Der Gerichtshof lehnte den Antrag ab, da eine solche Verlesung nach der Strafprozeßordnung unzulässig sei.
Hierauf wurde Schriftsteller Edmund Edel über seine Beobachtungen an dem im Wolff Wertheimschen Hause verlebten Silvesterabend 1909 vernommen. Er bekundete: Ich war mit meiner Frau eingeladen; es war eine Gesellschaft von 40 bis 50 Personen. Der große weiße Saal war sehr schön dekoriert. In der Mitte des Saales stand eine große Tafel. Graf Metternich führte die Tochter des Hauses zu Tisch. Wir unterhielten uns in der Gesellschaft über diese Erscheinung und waren uns darüber einig, daß irgend etwas vorgehe. Es war ja bekannt, daß für Dolly Landsberger Heiratspläne im Gange waren, und so dachte man, Graf Metternich sei wahrscheinlich der präsumtive Thronfolger. Im übrigen hatte man auch den Eindruck, daß irgendeine prominente Persönlichkeit als Tafeldekoration herangezogen werden sollte.
Vors.: Und für solche prominente Persönlichkeit hielt man den Angeklagten?
Zeuge: Ja. Es waren sehr viele Künstler, Schriftsteller, Vertreter der Industrie anwesend, das Essen war allerdings nicht gut. (Heiterkeit.)
Vors.: Ich muß doch bitten, solche Bemerkungen zu unterlassen. Das gehört nicht zur Sache und sieht aus wie eine Verhöhnung des Gerichtshofes!
R.-A. Dr. Jaffé: Hat der Zeuge nicht seinen Eindruck dahin zusammengefaßt:[160] »Gestern ist Graf Metternich als Schwiegersohn an der Tafel herumgereicht worden?«
Zeuge: Ich habe dies Herrn Dr. Arthur Landsberger gegenüber geäußert. Interessant war auch noch eine Episode, die Dr. Landsberger erzählte: Es sei eines Tages ein Geldvermittler bei ihm erschienen, der 5000 Mark von ihm für den Grafen Metternich haben wollte. Als Dr. Landsberger ihn ob dieses Ansinnens auslachte, sagte der Geldvermittler: Es wäre doch für Sie von Vorteil, wenn Sie das Geld besorgen könnten, denn der Graf braucht es als Bewegungsgeld. Dem Dr. Landsberger würde es doch sicher sehr angenehm sein, wenn er aus der ganzen Sache herauskäme.
R.-A. Dr. Alsberg: Wurde es nicht als eine besondere Bevorzugung angesehen, daß der Angeklagte Frau Dolly Landsberger zu Tisch führen durfte?
Zeuge: Jawohl; es wurde allgemein so aufgefaßt.
R.-A. Dr. Alsberg: Waren Sie auch anwesend, als die vielbesprochenen Pfannkuchen aus dem Hotel Esplanade geholt wurden?
Zeuge: Ich wußte nichts von der Herkunft der Pfannkuchen, ich weiß bloß, daß sie das einzig Genießbare an jenem Abende waren, (Heiterkeit.)
Hof- und Gerichtsadvokat Mayr-Günther (Wien) bekundete hierauf, Graf Metternich sei, als er sich mit der Schauspielerin Claire Vallentin verheiratete, mit ihm (Zeugen) wegen seiner Schulden in Verbindung getreten. Der Angeklagte habe die Summe seiner Schulden auf 40000 Mark angegeben, wobei jedoch zu berücksichtigen war, daß ihm manche Beträge viel zu hoch berechnet waren. Der Graf habe zweifellos den Willen bekundet, seine Schulden zu bezahlen. Nach den Besprechungen mit dem Angeklagten habe er (Zeuge) die Ansicht gehabt, daß es sich um Schulden gewöhnlicher Art handle, die einen Grafen Metternich unmöglich besonders drücken konnten, denn einem Grafen Metternich könne es nicht schwerfallen, jeden Augenblick eine reiche Frau zu bekommen. Er habe sich auch an die verschiedenen Gläubiger gewandt und ihnen den Aufenthalt des Grafen in Wien angezeigt; es haben sich aber nur wenige gemeldet. Die eingeleitete Regulierung sei durch die Verhaftung des Angeklagten durchquert worden.
Die Verteidiger stellten fest, daß der[161] Angeklagte sich in keiner Weise unsichtbar gemacht, sondern in vollem Ernst darauf hingearbeitet habe, seine Schulden zu bezahlen. Bei dieser Gelegenheit beklagte sich der Angeklagte über seine Verhaftung und behauptete wiederholt, es sei von der Staatsanwaltschaft bei seinem Onkel, dem Botschafter des Deutschen Reiches in London wegen seiner etwaigen Verhaftung angefragt fragt worden.
Hierauf wurde die Ehefrau des Angeklagten, Frau Gräfin Claire v. Wolff-Metternich, geborene Vallentin, eine kleine, aber sehr hübsche und schneidige junge Dame, als Zeugin aufgerufen. Sie war sehr schick gekleidet.
Vors.: Sie sind die jetzige Gräfin Wolff-Metternich. Sie wissen, daß Sie die reine Wahrheit zu sagen haben, wenn Sie nicht von Ihrem Recht der Zeugnisverweigerung Gebrauch machen sollten.
Zeugin: Ich werde die reine Wahrheit sagen. Ich bitte aber um einen Stuhl, da ich mich nicht ganz wohl fühle.
Ein Gerichtsdiener brachte der Zeugin einen Stuhl.
Vors.: Sie haben Ihren Gatten in Scheveningen kennengelernt?
Zeugin: Jawohl.
Vors.: Wann haben Sie geheiratet?
Zeugin: Am 28. September 1910.
Vors.: Hat Ihnen Ihr Gatte vorher Aufklärungen über seine Vermögensverhältnisse gegeben?
Zeugin: Jawohl. Er hat mir lange vor der Hochzeit gesagt, daß er nicht nur nichts besitze, sondern daß er Schulden in beträchtlicher Höhe habe.
Vors.: Wie hoch hat er die Schulden angegeben?
Zeugin: Auf etwa 20000 Mark. Ich habe mich sofort bereit erklärt, sämtliche Schulden meines Mannes zu bezahlen.
Vors.: Sie sind dann nach Wien gegangen, wo Sie noch am Theater tätig waren. Was hat Ihr Gatte dort gemacht?
Zeugin: Sein eifrigstes Bestreben war, sich eine Stellung zu schaffen. Er fand auch bald eine solche, in der er 300 Kronen monatliches Gehalt erhielt. Da er sehr fleißig und tüchtig war, hatte er, wie mir gesagt wurde, die besten Aussichten, bald ein erheblich höheres Gehalt zu beziehen.
Vors.: Die 300 Kronen reichten doch selbstverständlich nicht aus?
Zeugin: Für ihn schon, da er sehr sparsam war und keine großen Ausgaben machte. Für alle übrigen Dinge kam ich selbstverständlich selbst auf.
Vors.: Sind die Schulden von Ihnen bezahlt worden?
[162] Zeugin: Ich habe zuerst nur einen Teil bezahlt, da uns unser Anwalt riet, damit nicht zu voreilig zu sein, sondern die Leute ruhig einige Zeit warten zu lassen, weil es sich ja um wirklich lächerliche Schulden handelte, bei denen mein Mann bis über die Ohren übervorteilt war.
Der Angeklagte Metternich brach hierbei in heftiges Schluchzen aus.
Zeugin (fuhr fort): Der Anwalt sagte uns, daß wir ganz erheblich übervorteilt wären.
R.-A. Dr. Jaffé: Weiß die Frau Zeugin, ob Ihr Gatte besonders leichtgläubig, besonders optimistisch war, ob er, wenn er irgendeine Hoffnung hatte, sich an dieser mehr anklammerte als ein anderer normaler Mensch?
Zeugin: Das habe ich mehrfach wahrnehmen können.
R.-A. Dr. Alsberg: Ist es Ihnen aufgefallen, daß Ihr Gatte auffallend hohe Rechnungen bei Schneidern und Ausstattungsgeschäften hatte?
Zeugin: Ich weiß nur, daß mein Mann sehr gern gut angezogen geht, sich eben so kleidet, wie er es seinem Namen schuldig ist.
R.-A. Dr. Alsberg: Meinen Sie, daß dies besonders hohe Schulden darstellte, die Ihr Gatte eigentlich nicht verantworten konnte?
Zeugin: Nein, derartige Schulden können alle Tage vorkommen.
Dr. Alsberg: Meinen Sie, daß Ihr Mann vielfach übervorteilt worden ist?
Zeugin: Er ist fast immer übers Ohr gehauen worden.
R.-A. Dr. Alsberg: Hat er Ihnen mitgeteilt, weshalb er sich berechtigt glaubte, diese Schulden machen zu können?
Zeugin: Jawohl. Mein Mann hat mir gesagt, er hätte damals Frau Dolly Landsberger heiraten können oder sollen, so daß er die Schulden ohne weiteres hätte bezahlen können. Wenn jemand hier in das Gefängnis gehört, so ist es der Vater und nicht mein Mann.
R.-A. Dr. Alsberg: Was hat er Ihnen über sein Leben in Berlin erzählt, insbesondere darüber, weshalb er gezwungen war, Schulden zu machen?
Zeugin: Er sagte, er hätte damals sehr luxuriös leben und großen Aufwand als zukünftiger Schwiegersohn der Wertheims treiben müssen. Da er von seinem Vater nur 30 Mark monatlich erhielt, habe er selbstverständlich Schulden machen müssen. Mein Mann sagte mir: Er sei unter solch traurigen Verhältnissen gezwungen gewesen, eine sogenannte Namensheirat zu[163] machen, obwohl es stets sein sehnlichster Wunsch war, eine Liebesheirat einzugehen.
Vors.: Glauben Sie, daß Sie von Ihrem Gatten aus Liebe geheiratet worden sind?
Zeugin: Ganz bestimmt. Mein Mann hat damals den ganzen Tag gejammert, daß er nicht schnell genug eine Stellung finden konnte. Er sagte: Er könne es nicht ertragen, von meinem Verdienst zu leben.
R.-A. Dr. Alsberg: Sie würden doch auch nichts dagegen haben, wenn Ihr Gatte nichts tun würde?
Zeugin: Natürlich, nicht das geringste. Es ist gestern hier gesagt worden, mein Mann sei von seiner Familie verstoßen worden.
Vors.: Woher wissen Sie das?
Zeugin: Ich lese doch die Zeitungen. Ich kann nur sagen: es ist unrichtig, wenn behauptet wird, mein Mann sei von seiner Familie verstoßen. Ein Brief seiner Schwester besagt: Es sind die besten Aussichten vorhanden, daß in nächster Zukunft alles beigelegt werden wird. Die Schwester hat meinem Gatten geschrieben: »Schau nur, daß Deine Frau nicht beim Theater bleibt, und alles wird gut werden.« Der Vater meines Gatten hat ihn im Gefängnis besucht. Der Vater sagte zu mir: Wenn ich dafür sorge, daß mein Mann ins Irrenhaus kommt, dann wolle er alles tun. Ich lehnte dankend ab mit dem Bemerken: ich habe keine Veranlassung mich Ihrem Willen zu fügen.
Sachv. Privatdozent und Oberarzt in der Königl. Charité Dr. Forster: In den Akten befindet sich ein Gutachten eines Dr. Zerner, in welchem es heißt, daß Ihr Gatte an moralischer Idiotie leidet. Es ist mir bekannt, daß sich dieses Gutachten an ein bestimmtes Vorkomnis knüpft.
Zeugin (den Sachverständigen unterbrechend): Über meine Privatangelegenheiten würde ich keinerlei Auskunft geben.
Sachv.: Ich will auch hierauf gar nicht näher eingehen, sondern nur fragen, ob damals Ihr Gatte sehr eifersüchtig war?
Zeugin: Ich wäre sehr beleidigt gewesen, wenn mein Gatte nicht eifersüchtig gewesen wäre. Das Gutachten des Dr. Zerner ist wohl darauf zurückzuführen, daß dieser in seinem guten Willen, meinen Mann zu retten, zuweit gegangen ist.
Kaufmann Eduard Buchwald bestätigte auf Befragen, daß er einige Schritte unternommen habe, um eine Heirat des Grafen Metternich mit[164] einer reichen Amerikanerin ins Werk zu setzen. Er habe vom Angeklagten einen Provisionsschein über 50000 Mark erhalten, die fällig sein sollten, wenn eine reiche Heirat mit einer Millionärin zustande käme oder wenn er von Hause ein größeres Kapital erhielte. Von Wertheimscher Seite wurde an den Angeklagten fortwährend telephoniert; am Heiligen Abend wurde an den Grafen telephoniert, daß er an diesem Abend unter keinen Umständen fehlen dürfe. Allgemein war man der Ansicht, daß der Graf Frau Dolly heiraten würde.
Die Anklage legte dem Grafen Metternich weiter folgendes zur Last: Im Sommer 1909 lernte der Angeklagte die in der Halbwelt unter dem Spitznamen »Brillanten-Mietze« bekannte Tänzerin Elvira Gustke, genannt »Elvira Commero«, kennen. Metternich trat sehr vornehm auf und warf mit dem Geld ziemlich umher. Schon nach dreitägiger Bekanntschaft erzählte er der Gustke, er müsse nach Baden-Baden reisen, wo seine Heirat mit einer reichen Amerikanerin perfekt werden würde, und bat sie, ihm 1000 Mark zu borgen. gen. Die Gustke ging auch darauf ein und erhielt von Metternich einen Wechsel über 1200 Mark, den er bereits fertig geschrieben aus der Tasche zog. Zwei Tage später erhielt die Gustke von Metternich aus Baden-Baden einen Eilbrief, in welchem er sie nochmals um 300 Mark bat. Die Gustke ließ jedoch nichts mehr von sich hören und gab den Wechsel dem Juwelier Stöß in Zahlung, bei dem sie eine größere Schuld hatte. Bei Fälligkeit wurde der Wechsel von Metternich nicht eingelöst. Später zahlte Metternich an Stöß in Raten 800 Mark zurück. Der Angeklagte hatte schon früher bestritten, von der Gustke überhaupt 1000 Mark erhalten zu haben. Er habe der Gustke den Wechsel lediglich zum Geschenk gemacht.
Der Angeklagte bestritt, sich in diesem Falle schuldig gemacht zu haben. Er habe die Gustke in »Moulin rouge« kennengelernt und sei morgens gegen 4 Uhr in angeheitertem Zustande mit ihr nach ihrer Wohnung gegangen. Dort habe er ihr auf ihre Bitten, als Beitrag zu einem Brillantkollier, zu dessen Erwerb auch andere Kavaliere beitrugen, einen Wechsel über 1200 Mark geschenkt. Er habe sich nach[165] einigem Zögern breitschlagen lassen. Er habe auch mit ihr gesprochen, daß er nach Baden-Baden fahren wolle, um sich dort mit einer Amerikanerin zu verloben. Er habe auch mit einer anderen Dame eine kleine Wette abgeschlossen, daß er sich bald verloben würde. Auf seine Bemerkung, daß es in Baden-Baden sehr teuer sei, habe sich die Gustke bereit erklärt, ihm im Bedürfnisfalle 300 oder 500 Mark zu schicken. Er habe dann auch aus Baden-Baden geschrieben und um 500 Mark gebeten, hierbei habe er allerdings fälschlich gesagt: »Die Braut ist da!«, doch habe er das nicht zur Täuschung der Zeugin getan, sondern mit Rücksicht auf die kleine Wette, die er abgeschlossen hatte.
In dem Brief, der alsdann zur Verlesung gelangte, hieß es: »Die Braut ist gestern angekommen; sie ist reizend. Es wird bestimmt etwas! Hurra! Ich freue mich auf ein Wiedersehen. Das wird ein fideler Abend werden!«
Fräulein Elvira Gustke, eine fein gekleidete, sehr hübsche junge Dame, bekundete darauf als Zeugin: Ich habe dem Angeklagten, der s.Z. ein eigenes Automobil hatte und sehr viel Geld in den Nachtlokalen ausgab, ein Darlehen von 1000 Mark gegeben. Ich hatte kein Bedenken, daß ich das Geld wiedererhalten werde, ich hatte nur Bedenken, daß es überhaupt ein Graf Metternich war. Als ich dann aber aus Baden-Baden den Brief erhielt und dem Grafen noch mal 300 Mark pumpen sollte, verhielt ich mich ablehnend, da Metternich allem Anschein nach bei mir eine »Pumpstation« anlegen zu können glaubte. Metternich lauerte mir dann auf der Straße auf und machte mir beinahe auf der Straße eine Szene. Ich habe Metternich dann noch wiederholt in Nachtlokalen gesehen, wie er einen Tausendmarkschein wechselte. Zu den Freunden des Grafen gehörte auch ein Herr von Rauch, der ein ganzes Paket Blankowechsel des Grafen bei sich trug. Als ich diesen auf den zweifelhaften Wert der Wechsel hinwies, schrie von Rauch: »Mein Freund Gisbert ist mir sicher!«
Vors.: Graf Metternich behauptet jetzt, er hätte nie einen Pfennig von Ihnen erhalten, sondern Ihnen den Wechsel zum Geschenk gemacht?
Zeugin (in großer Entrüstung): Das ist nicht wahr. Graf Metternich hat mir sogar drohen lassen, mich[166] wegen Wuchers anzuzeigen, weil ich 200 Mark Zinsen genommen hatte. Das ist gar nicht meine Profession. (Heiterkeit.)
Angeklagter: Die Zeugin sagt hier die Unwahrheit. Ich habe ihr den Wechsel geschenkt, dies hat sie auch im Moulin rouge mehreren anderen Mädchen erzählt.
Zeugin: Tatsächlich ist mir von dem Rechtsanwalt Alfred Ballien gesagt worden, daß der Graf mich wegen Wuchers anzeigen wolle.
R.-A. Dr. Jaffé: Hat die Zeugin nicht anderen Mädchen gesagt, sie habe das Geld von Metternich geschenkt bekommen?
Zeugin: Nein. Ich habe meines Wissens nur einer einzigen Dame etwas von dem Grafen Metternich gesagt. Ob ich da beiläufig das Wort »geschenkt« gebraucht braucht habe, weiß ich nicht.
R.-A. Dr. Jaffé: Haben Sie nicht damit geprahlt, welch horrendes Honorar Sie vom Grafen Metternich erhalten haben? Haben Sie nicht von 12 blauen Lappen gesprochen?
Staatsanw.-Rat Porzelt: Haben Sie den Angeklagten manchmal gemahnt?
Zeugin: O gewiß, sehr oft! Es hat bei solchen Mahnungen nicht an entsprechenden Titulaturen von seiner und auch von meiner Seite gefehlt. Ich habe auch in Gegenwart dritter Personen gemahnt.
R.-A. Dr. Jaffé: Was waren das für Leute?
Zeugin: Teils Heiratsvermittler, teils Geschäftsleute u. dgl.
R.-A. Dr. Jaffé: Wieso wußten Sie denn, daß der Graf von Heiratsvermittlern begleitet war?
Zeugin: Ich habe sie so taxiert. (Heiterkeit.) Ich weiß es positiv, daß der Angeklagte mit Heiratsvermittlern gearbeitet hat.
R.-A. Dr. Jaffé: Können Sie welche nennen? Das sind doch lauter Redensarten.
Zeugin: Wenn sie mir einfallen, werde ich sie nennen.
R.-A. Dr. Jaffé: Es wäre gut, daß es Ihnen einfiele, denn Sie stehen unter dem Eide!
Zeugin: Was hat das für einen Zweck, Namen zu nennen. Ich habe doch an anderes und wichtigeres zu denken, als an den Grafen Metternich!
R.-A. Dr. Jaffé: Wir wollen eben Ihre Glaubwürdigkeit prüfen.
Zeugin: Das kann ich allein! (Heiterkeit.)
Auf weitere Fragen und Vorhaltungen des R.-A. Dr. Alsberg antwortete die Zeugin: Sie sei zur Zeit des vorigen Termins aus Rußland, wo sie ein Engagement gehabt, nach Berlin gekommen und habe nur wenige Tage sich in Berlin aufgehalten. Der Angeklagte[167] hatte ihr vor Hingabe der 1000 Mark gesagt, er beziehe 2000 Mark monatlich. Auf eine weitere Frage erklärte die Zeugin: Sie habe auch in einzelnen anderen Fällen an Kavaliere Geld gegen Wechsel gegeben. Sie wisse auch, daß der Angeklagte manchmal Tausendmarkscheine gewechselt habe.
R.-A. Dr. Alsberg: Der Angeklagte hat schon vor dem Untersuchungsrichter bei der Gegenüberstellung der Zeugin mit aller Entschiedenheit erklärt, daß sie das nicht beschwören könne, sonst würde sie einen Meineid leisten. Wenn der Angeklagte 2000 Mark bezöge, dann hätte die Zeugin sich sagen können, daß der Angeklagte nicht auf riesig großem Fuß hätte leben können.
Zeugin: Das geht mich doch gar nichts an. Es gibt ja Leute, die viel weniger haben und doch sehr großartig leben.
Auf ferneres Befragen bekundete die Zeugin, daß sie im Alter von siebzehn Jahren nach Berlin gekommen sei; vorher sei sie drei Jahre Soubrette in Varietés gewesen und allmonatlich an einem anderen Orte aufgetreten.
R.-A. Dr. Jaffé: Wie lange ist es her, daß Sie vom Varieté fort sind?
Zeugin: Einige Jahre. Dann war ich nicht mehr beschäftigt; ich war krank, machte Reisen und hatte anderwärts zu tun.
R.-A. Dr. Jaffé beantragte, über die Vergangenheit der Zeugin Auskünfte einzuziehen.
Juwelier Stöß: Er habe der Gustke ein Brillant-Halsband für 10000 Mark geliefert. Bei Bestellung wurden 1000 Mark gezahlt, bei Lieferung sollten 2000 Mark gezahlt werden, die Zeugin zahlte aber nur 1000 Mark und brachte nach einigen Tagen den Wechsel des Grafen Metternich.
Zeuge Amtsgerichtsrat Graf v.d. Schulenburg bekundete darauf als Zeuge: Er habe den Angeklagten auf dem Tennisplatz kennengelernt. Graf Metternich habe ihm viel von seiner Heirat mit Dolly Landsberger erzählt. Er (Zeuge) hatte die feste Überzeugung gewonnen, daß es mit dieser Sache ernst war. Er habe dem Grafen 6000 Mark geliehen, er fühle sich aber nicht geschädigt.
Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Alsberg bekundete der Zeuge: Er habe mit dem Angeklagten wiederholt darüber gesprochen, daß es ihm angesichts seines klangvollen Namens ein leichtes sein würde, eine reiche Heirat zu machen. Er habe das Verhalten des Angeklagten[168] nicht als betrügerisch angesehen. Es komme ja häufig vor, daß sich Leute mit solchen Namen durch eine reiche Heirat arrangieren und vorher zu Repräsentationszwecken große Ausgaben machen.
Pensionsinhaberin Frau Uhrmann: Der Angeklagte habe ein volles Jahr bei ihr gewohnt. Er zahlte monatlich, einschließlich voller Beköstigung, 120 Mark. Sie habe dem Angeklagten außerdem viel Geld geliehen. 1500 Mark habe sie zurückerhalten. 12-1500 Mark sei ihr der Angeklagte noch schuldig. Sie habe dem Angeklagten den Kredit gewährt im Hinblick auf seinen Namen und weil er ihr sagte: er werde von Hause einmal eine Viertelmillion erhalten, auch hoffe er, reich zu heiraten. Der Angeklagte habe ihr auch einen Brief eines Heiratsvermittlers aus Paris gezeigt, der ihn veranlaßt habe, nach Baden-Baden zu reisen. Zu dieser Reise habe sie dem Angeklagten 800 Mark geliehen. Sie sei nicht betrogen worden. Sie habe dem Angeklagten den Kredit gewährt, weil sie überzeugt war, daß er eine reiche Heirat machen werde. Der Angeklagte habe keineswegs ausschweifend, sondern einfach bürgerlich gelebt.
Angeklagter: Ein Agent Cohn habe ihm einmal nahegelegt, hegelegt, zur Erlangung eines größeren Kredits eine feinere Wohnung zu nehmen und diese mit Leihmöbeln auszustatten. Er habe aber erwidert: Er lasse sich darauf nicht ein, denn das wäre Betrug.
Es folgte die Erörterung einiger Fälle, in denen Personen durch Diskontierung von Wechseln, auf denen der Name Graf Metternich stand, geschädigt sein sollten. In dem einen Falle erklärte ein Zeuge, der diesen Wechsel diskontiert hatte, daß er sich nicht geschädigt fühle, sondern erst von der Staatsanwaltschaft zur Auskunft über die Angelegenheit vorgeladen worden sei. Den fraglichen Wechsel hatte Graf Metternich einer ihm bekannten Dame gegeben, um ihr pekuniär behilflich zu sein.
Staatsanw.-Rat Porzelt hielt eine Schädigung doch für vorliegend.
R.-A. Dr. Alsberg: Wenn der Staatsanwalt in diesem und in andern Fällen einen solchen Standpunkt vertritt, dann würde ich beantragen müssen, einen Sachverständigen für Wechselverkehr zu laden, der die Ansicht des Staatsanwalts sofort als irrig nachweisen würde.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ich beantrage,[169] den Antrag als ungehörig abzulehnen.
R.-A. Dr. Alsberg: Das gibt es nach der Strafprozeßordnung nicht!
Am dritten Verhandlungstage nahm das Wort Staatsanw.-Rat Porzelt: In dem Ablehnungsantrag des Angeklagten wird u.a. gesagt, es sei aktenkundig, daß der Untersuchungsrichter durch eine Verfügung des Justizministers gehindert worden sei, seine Absicht, die Voruntersuchung zu schließen, auszuführen. Ich war nicht Dezernent in der Sache Stallmann, ich habe hier die Akten Stallmann und stelle sie zur Verfügung. Es findet sich keine einzige Verfügung des Justizministers in den Akten, die irgendeine Anweisung in bezug auf das Verfahren gegen den Angeklagten enthält. Dem Justizminister war die Lage des Verfahrens nicht bekannt. Verfassungsmäßig hat er sich mit der Sache Stallmann alias Korff-König nur insoweit befaßt, als es sich um die Auslieferung des Stallmann handelte. Sämtliche in den Akten befindliche Schreiben des Justizministers befassen sich nur mit dieser Auslieferung; von irgendeiner anderen Anweisung an den Landgerichtspräsidenten ist keine Rede. Ich bitte zu veranlassen, daß die Verteidiger aus den Akten eine solche Verfügung, die darin enthalten sein soll, zeigen.
R.-A. Dr. Jaffé: Der Herr Untersuchungsrichter, Landrichter Dr. Dreist, dessen Vorladung ich beantrage, wird bestätigen müssen, daß er selbst dem Angeklagten die Verfügung des Justizministers an den Landgerichtspräsidenten vorgelesen hat. Der Untersuchungsrichter hatte dem Angeklagten erklärt: sobald er authentische Nachricht darüber erhalte, daß tatsächlich Stallmann nicht ausgeliefert werde, werde er sofort die Voruntersuchung schließen. Dies ist nun geschehen, die Voruntersuchung aber infolge der Anweisung des Justizministers nicht geschlossen worden. In der Anweisung steht: »Ich ersuche, den Untersuchungsrichter anzuweisen, eine Reihe näher bezeichneter Telegramme zu erlassen, damit Stallmann festgenommen werden könne, man vermute, daß er in Batavia oder Ceylon weile.« Nun weiß doch jeder, welche Arbeit derartige Tätigkeit erfordert. Wir bleiben dabei, daß der Justizminister solche Anweisungen nicht geben darf, denn der Untersuchungsrichter muß in seinen Entschließungen und Maßnahmen[170] vollständig frei sein. Da dadurch eine dem Angeklagten höchst empfindliche Verzögerung eingetreten ist, so ist unsere Behauptung richtig. Ich mache nochmals darauf aufmerksam, daß der Untersuchungsrichter selbst die Anweisung vorgelesen und ihm gewissermaßen bedauernd ausgedrückt worden ist: unter diesen Umständen kann die Voruntersuchung noch nicht geschlossen werden. Ferner habe ich noch folgendes vorzutragen: Es wird von dem Staatsanwalt fortwährend behauptet, daß der Angeklagte ein Lügner sei. Nun ist schon gestern die Behauptung des Angeklagten erörtert worden, ob bei dem deutschen Botschafter in London, dem Onkel des Angeklagten, angefragt worden ist, bevor die Verhaftung erfolgte.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ich bestreite das entschieden; es befindet sich eine derartige Anweisung nicht in den Akten.
R.-A. Dr. Jaffé: Zum Beweise der Glaubwürdigkeit des Angeklagten beantragen wir, die Stallmann-Akten vorzulegen. Es wird sich daraus ergeben, daß tatsächlich eine derartige Äußerung vorhanden ist: »Der deutsche Botschafter in London sei angefragt worden, ob er eingreifen oder intervenieren wolle.« Darauf habe er erklärt, daß er dies nicht tun wolle, dem Verfahren solle freier Lauf gelassen werden, er bitte nur, dafür zu sorgen, daß sein Name nicht unnütz in die Öffentlichkeit gezogen werde.
R.-A. Dr. Alsberg: Der Staatsanwalt stellt es als ungeheuerlich dar, daß sich der Angeklagte durch die Anweisung beschwert fühlt. Die Anweisung des Justizministers verstößt gegen § 188 StPO. Dieser Paragraph statuiert einen Schutz des Angeklagten dahingehend, daß die Voruntersuchung nicht weiter ausgedehnt werden dürfe als erforderlich sei, um eine Entscheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Damit ist es völlig unvereinbar, daß man die Voruntersuchung gegen einen Angeklagten mit der Begründung nicht schließt, man müsse erst noch einen weiteren Angeschuldigten zur Haft bringen, von dem man zugibt, daß man ihn bis jetzt noch nicht hat und vielleicht nie bekommen wird. Der Untersuchungsrichter gibt selber zu, daß das, was an Belastungsmaterial gegen den Angeklagten Grafen Metternich zu beschaffen[171] war, seit langem vollständig zur Stelle war. Deshalb durfte er nicht an der Schließung der Voruntersuchung gehindert werden. Da der Angeklagte sich in diesem Punkte durch einen Eingriff des Justizministers beschwert fühlt, so hat er die Befürchtung ausgesprochen, daß derartige weitere Eingriffe auch in diesem jetzigen Verfahren erfolgt sein könnten.
Vors.: Wird denn behauptet, daß in der Anweisung steht, es sollen noch die und die Schritte in der Stallmann-Sache betreffend dessen Ergreifung getan werden, oder wird behauptet: es ist die Anweisung an den Untersuchungsrichter ergangen, die Untersuchung nicht zu schließen?
Staatsanw.-Rat Porzelt: So war es behauptet worden.
R.-A. Dr. Jaffé: Wenn Anweisungen zur Festnahme des auf dem Meere schwimmenden Stallmann gegeben werden, so muß der Untersuchungsrichter selbstverständlich annehmen, daß er noch alles mögliche veranlassen soll, um Korff-König zur Stelle zu schaffen. Im Effekt ist das also eine Verhinderung des Abschlusses der Voruntersuchung.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Das Auslieferungsverfahren liegt in den Händen des Untersuchungsrichters und nicht des Staatsanwalts. Das Schreiben des Justizministers vom 22. September geht doch nur dahin, in Batavia die Festnahme zu beantragen und alle sonst erforderlichen Schritte zu tun. Wie darin eine gesetzwidrige Einwirkung auf den Untersuchungsrichter liegen soll, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Da Korff-König einer der gefährlichsten Hochstapler ist, hat die hiesige Justiz das dringendste Interesse, daß er ausgeliefert wird. Ich will aber dem Angeklagten in einem Falle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die Behauptungen, daß seitens der Staatsanwaltschaft bei dem Botschafter in London angefragt sei, ob er intervenieren wolle, ist ganz absurd. Ich habe bei dem Ersten Staatsanwalt Dr. Cretschmar und beim Oberstaatsanwalt Dr. Preuß angefragt, ob irgendein Schreiben dieser Art an den Botschafter ergangen ist und habe eine vollständig verneinende Antwort erhalten. Der Angeklagte ist aber vielleicht durch folgendes zu einem Irrtum veranlaßt worden: Bei dem Kaiserl. Kgl. Generalkonsulat in London war von Wien angefragt worden, welcher Reichsangehörigkeit der Angeklagte[172] sei. Es sind in London Ermittelungen angestellt worden. Man hat sich an die deutsche Botschaft gewendet, ob der Botschafter die Schulden seines Neffen bezahlen wolle, und in diesem Zusammenhange hange ist dann die Bemerkung gelegentlich gemacht worden, daß der Botschafter nicht für seinen Neffen eintreten, sondern dem Verfahren seinen Lauf lassen wolle. Es ist gar keine Rede davon, daß hier von amtlicher Seite eine Anfrage an den deutschen Botschafter gerichtet worden ist. Frau Risch hatte sich allerdings an den Botschafter gewendet.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich bleibe dabei, daß die Art und Weise, wie hier die Anweisung des Justizministers ergangen, nicht gesetzlich ist, und erkläre: Im Interesse einer richtigen Aufklärung dieser Sache würde ich eventuell auf das Zeugnis des deutschen Botschafters in London, Grafen Metternich Bezug nehmen.
R.-A. Dr. Alsberg: Die ganze angebliche Anfrage nach der Reichsangehörigkeit des Angeklagten wäre völlig widersinnig. Man stellt doch nicht im Auslande fest, ob jemand deutscher Reichsangehöriger ist.
Angeklagter: Ich war damals in Berlin polizeilich gemeldet, befand mich aber in Österreich auf Reisen. Außerdem war es doch eigentlich sehr naheliegend, daß ich deutscher Reichsangehöriger sei. Wenn der Bruder meines Vaters deutscher Botschafter in London ist, so kann ich doch schlechterdings nicht Franzose oder Chinese sein. Ich vermute deshalb mit Recht, daß hinter dieser Anfrage ganz etwas anderes steckt. Ich behaupte, daß man erst bei meinem Onkel anfragte, ob und was gegen mich unternommen werden den solle. Ich stelle deshalb den Antrag, meinen Onkel, den deutschen Botschafter in London, und ferner auch noch den Kriminalkommissar von Manteuffel zu laden, der seinerzeit die polizeilichen Feststellungen getroffen hat.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen, da er für die Entscheidung in dieser Sache ohne jede Bedeutung ist und überhaupt nicht zur Sache gehört. Dieser Antrag steht auf derselben Höhe wie die übrigen Anträge des Angeklagten.
R.-A. Dr. Alsberg: Es ist doch eigentümlich, daß der Herr Staatsanwalt jetzt plötzlich sagte: »Gehört nicht zur Sache.« Gerade der Herr Staatsanwalt hat heute morgen damit angefangen[173] und hat nochmals auf die in dem Ablehnungsantrag enthaltenen Dinge zurückgegriffen.
R.-A. Dr. Jaffé: Der Herr Staatsanwalt hat soeben gesagt, »der Antrag steht auf derselben Höhe wie die übrigen Anträge des Angeklagten«. Ich muß mir diese Kritik des Staatsanwalts ganz energisch verbitten.
Der Gerichtshof beschloß, die Anträge der Verteidigung abzulehnen. Die Ladung des Botschaften werde abgelehnt, weil aus der Anweisung des Justizministers vom 22. September in keiner Weise hervorgeht, daß der Justizminister auf den Untersuchungsrichter eingewirkt habe. Die Ladung des Kriminalkommissars von Manteuffel werde abgelehnt, weil als wahr unterstellt werde, daß der Angeklagte in gutem Glauben gewesen, die in dem Beweisantrage erwähnte Anfrage sei erfolgt.
Kaufmann Gaibler bekundete darauf als Zeuge: Ich habe sehr viel geschäftlich und auch gesellschaftlich im Hause Wolff Wertheim verkehrt und dabei den Angeklagten Grafen Metternich kennengelernt. Es ist ausgeschlossen, daß der Graf etwa wie ein Reisemarschall oder wie eine Art Bedienter von Frau Wertheim behandelt worden ist; im Gegenteil, der Graf war völlig gleichberechtigt mit den übrigen Gästen. Ich war empört, als ich die Aussage der Frau Wertheim in der vorigen Verhandlung las. Ich halte Frau Wertheim für total krank, hysterisch oder sonst noch was. Sie hat die unglaublichsten Dinge unternommen, mich sogar des Nachts telephonisch angerufen und zu sich bestellt. Bei dieser Gelegenheit äußerte Frau Wertheim einmal: »Ich will, daß mein Mann zugrunde geht; sein Geschäft soll meinetwegen auch zugrunde gehen.«
R.-A. Dr. Alsberg: Es ist bisher noch nicht recht aufgeklärt, warum die Familie Wertheim s.Z. so auffallend plötzlich die Beziehungen zu dem Grafen Metternich abgebrochen hat. Es wird von der Verteidigung folgendes hierzu geltend gemacht: Herr Wolff Wertheim hat die Beziehungen zu dem Grafen Metternich nur deshalb abgebrochen, weil er erkannt hat, daß es in seinen finanziellen Verhältnissen zu Ende ging. Er hat schließlich eingesehen, daß er einen vermögenden Schwiegersohn haben müsse und er sich nicht mehr den Luxus eines gräflichen Schwiegersohns leisten könne. Tatsächlich[174] soll der Nachfolger des Grafen M. auch ein sehr vermögender Herr gewesen sein. (Zum Zeugen:) Ist Ihnen über diesen Punkt etwas Näheres bekannt?
Vors.: Ich lasse diese Frage nicht zu.
R.-A. Dr. Alsberg: Ich halte es für sehr wichtig, zu erfahren, daß nicht der Angeklagte, sondern die finanziellen Verhältnisse Wolff Wertheims die eigentliche Ursache zu dem Abbruch der Beziehungen gebildet hatten. Ich frage deshalb nochmals den Zeugen, ob er hierüber etwas Näheres weiß.
Vors.: Ich lehne diese Frage ab.
R.-A. Dr. Alsberg: Ich beantrage einen Gerichtsbeschluß hierüber.
Vors.: Das Gericht lehnt es ab, die Frage zuzulassen. Eine Reihe anders formulierter Fragen über denselben Punkt werden vom Gericht ebenfalls abgelehnt, ebenso der Antrag, diese Fragen bzw. die Ablehnung zu protokollieren.
Es wurde alsdann wieder auf die Affäre mit der gestern vernommenen Zeugin Gustke zurückgegriffen und nochmals die Streitfrage erörtert, ob der Angeklagte der Gustke den Wechsel über 1200 Mark geschenkt, schenkt, oder ob diese dem Angeklagten gegen diesen Wechsel Geld geborgt hat. Es wurden zwei Besucherinnen des Moulin rouge und des Palais de danse vernommen. Die eine wußte nicht, ob ihr die Gustke gesagt habe, daß sie die 1200 Mark vom Grafen geschenkt bekommen habe. Die andere Zeugin war Fräulein de Lor. Vor ihrer Vernehmung ersuchte R.-A. Dr. Jaffé, zu veranlassen, daß während dieser Aussage die Zeugin Gustke aus dem Saal entfernt werde. Es ist durch einen zuverlässigen Ohrenzeugen festgestellt, so etwa äußerte R.-A. Dr. Jaffé, daß die Zeugin Gustke gestern nach ihrer Vernehmung beim Heraustreten aus dem Saale zu der de Lor gesagt hat: »Ich habe meine Aussagen unter Eid gemacht; du weißt, wie du dich zu verhalten hast.«
Es kam zu einem hitzigen Wortgefecht zwischen der Zeugin Gustke und der Zeugin de Lor, wobei die erstere nicht bestritt, diese Äußerung getan zu haben.
Der Gerichtshof lehnte den Antrag des Verteidigers ab.
Zeugin de Lor bekundete auf vielfache Fragen der Vert. und des Vorsitzenden: Die Gustke habe sie eines Tages herausgerufen und in voller Freude gesagt, der Graf habe ihr zwölf blaue[175] Lappen geschenkt.
Zeugin Gustke erklärte mit großem Aufwand an Worten: die Bemerkung zu der de Lor war vollständig gerechtfertigt, da sie der Meinung war, sie müsse die de Lor zur Bekundung der Wahrheit auffordern. Die Gustke äußerte alsdann: Mehrere der Besucherinnen des Palais de danse und auch die Zeugin de Lor haben ihr erzählt, daß ein Mann dort erschienen sei, der sie ausgefragt und alles aufgeschrieben habe, während sie bei Tische gesessen und Sekt getrunken haben. Darauf habe sie den Damen gesagt: Wenn ihr bei Sektgelagen sitzt und Romane schwatzt, dann könnt ihr die Suppe auslöffeln, die ihr euch aufgetan habt!
Trotz vielfacher energischer Vorhaltungen der Gustke blieb die Zeugin de Lor bei der Behauptung, daß die Gustke ihr gesagt habe, die 1200 Mark seien ihr geschenkt worden. Auf eine weitere Frage des R.-A. Dr. Jaffé antwortete die Zeugin de Lor: Fräulein Gustke nehme es mit der Wahrheit nicht sehr genau und liebe es, zu renommieren.
Bei der weiteren Erörterung verschiedener Fragen kam es zu sehr heftigen Zusammenstößen zwischen der Verteidigung und dem Staatsanw.-Rat Porzelt. Dieser hatte eine Äußerung über nicht ganz korrektes Vorgehen des Verteidigers Dr. Jaffé gemacht.
R.-A. Dr. Jaffé (mit lauter Stimme): Ich muß es mir mit aller Entschiedenheit verbitten, daß mir von irgendeiner Seite der Vorwurf eines inkorrekten Verhaltens in diesem Verfahren gemacht wird.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ich erinnere daran, daß die Gustke früher fortwährend vergeblich gesucht wurde. Sie hatte nach der ersten Verhandlung an den Verteidiger geschrieben, daß sie unter allen Umständen zum Termin erscheinen wolle. Der Verteidiger hat der Staatsanwaltschaft keine Kenntnis gegeben, und das Ende vom Liede war, daß aus dem Bureau des Verteidigers der Gustke mitgeteilt wurde, sie brauche nicht zu erscheinen.
R.-A. Dr. Jaffé (sehr erregt): Das stimmt, Herr Staatsanwalt. Ich habe den wahren Sachverhalt schon gestern dargelegt. Ich wiederhole: Ich muß es mir ganz energisch verbitten, daß hier irgend jemand es wagt, zu behaupten, ich sei nicht korrekt verfahren.
Der Vorsitzende ersuchte den Verteidiger, nicht in einem so lauten[176] Ton zu reden.
R.-A. Dr. Jaffé (noch energischer und im Ton höchster Empörung): Ich habe, wie gesagt, gestern deutlich klargelegt, wie die Sache sich abgespielt hat, und daß während meines Urlaubs der mich vertretende Referendar der Gustke gar nichts anderes antworten konnte als: sie solle tun, was sie für richtig halte. Der Herr Staatsanwalt hat bei diesen meinen Ausführungen sehr aufgepaßt, denn es wäre ein gefundenes Fressen für ihn gewesen, wenn er über uns herfallen könnte.
Vors.: Ich muß doch dringend bitten, nicht zu vergessen, daß wir uns hier im Gerichtssaale befinden. Gefundenes Fressen und ähnliche Ausdrücke sind doch nicht angemessen!
R.-A. Dr. Jaffé: Dann muß aber der Staatsanwalt nicht in solcher Weise gegen uns vorgehen, das ist auch nicht angemessen. Gestern hat er die Zeugin Gustke gefragt, ob auf sie eingewirkt worden sei, und heute kommt er mit versteckten Andeutungen über inkorrektes Verhalten. (Sehr erregt:) Ich erkläre zu den Vorgängen im Palais de danse folgendes: Die Staatsanwaltschaft hat es leicht; mit Hilfe der Kriminalpolizei Ermittlungen über Zeugen anzustellen. Der Verteidigung stehen diese Mittel nicht zur Verfügung. Frau Gräfin Metternich, die Gattin des Angeklagten, hat, was Kosten betrifft, in diesem Prozeß schon stark bluten müssen; sie hat sogar den Hof- und Gerichtsadvokaten Mayr-Günther, dessen Ladung das Gericht wiederholt abgelehnt hatte, auf ihre Kosten laden lassen und wollte nicht weiterhin noch für Detektivdienste an andere Personen zahlen. Nun hat mir der Angeklagte gesagt: im Palais de danse verkehren »Damen«, denen die Gustke sofort erzählt hat, daß der Angeklagte ihr den Wechsel von 1200 Mark geschenkt habe. Deshalb habe ich mich mit einigen Herren in das Palais de danse begeben. Jene Herren sprachen mit den Mädchen, um zu ermitteln, wer diejenigen seien, die in Frage kamen. Ich habe mich dann nachher auch an den Tisch begeben und mir persönlich auch die Adressen notiert. Das bekenne ich ganz offen, und ich möchte denjenigen sehen, der darin irgend etwas Inkorrektes findet! Ich müßte mich ganz energisch verwahren, wenn der Staatsanwalt es wagen würde, daraus den Vorwurf der Inkorrektheit[177] zu erheben.
Staatsanw.-Rat Dr. Porzelt stellte fest, daß seine Bemerkung anders gelautet habe, als der Verteidiger behaupte. Hierauf erhob sich der Angeklagte und erklärte mit lauter Stimme: Es ist vollständig richtig, was der Verteidiger gesagt hat, und es ist eine Unwahrheit was der Staatsanwalt sagt.
Vors.: Benehmen Sie sich so, wie es sich vor Gericht gebührt. Es ist bedauerlich, daß ich das einem Manne von Ihrem Stande erst noch sagen muß. Sie haben nicht das Recht, einer Behörde vorzuwerfen, daß sie die Unwahrheit spreche!
Angeklagter (erregt): Ich werde hier bei jeder Gelegenheit zurückgestoßen. Man macht hier mit mir, was man will!
R.-A. Dr. Jaffé: Was der Staatsanwalt hier behauptet hat, beweist nur, daß er die Akten nicht kennt. Es ist doch nicht Pflicht der Verteidigung, dafür zu sorgen, daß der Staatsanwalt eine Kokotte als Belastungszeugin vorführen kann!
R.-A. Dr. Alsberg: Der Staatsanwalt hat hier wiederholt Worte gegen die Verteidigung gebraucht, die leider nicht vom Vorsitzenden gerügt wurden. Wenn wir so etwas sagen, riskieren wir, sofort zur Ordnung gerufen zu werden. Was den Fall Gustke betrifft, so bin ich an den Vorgängen nicht beteiligt, ich muß aber sagen, daß der Vertreter des Dr. Jaffé nach Lage der Sache durchaus korrekt vorgegangen ist. Wenn der Staatsanwalt Anträge der Verteidigung »absurd« nennt, so ist das ebenso unzulässig wie andere Worte, die er gebraucht hat.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ich habe nicht die Anträge der Verteidigung absurd genannt, sondern die Behauptung des Angeklagten, daß eine Anfrage an den Botschafter in London gerichtet worden sei.
R.-A. Dr. Alfred Ballien bekundete: Graf Metternich sei, nachdem der Prozeß wegen der Wechsel anhängig gemacht war, eines Tages zu ihm gekommen und habe gesagt, er sei von der Gustke bewuchert worden, er habe gar nicht 1200 Mark erhalten. Graf Metternich habe in keiner Weise bestritten, daß ein Darlehen gegeben worden sei.
Der Angeklagte bestritt, in dieser Form den Ausdruck »Wucher« gebraucht zu haben.
Vors.: Der Ausdruck »Wucher« hätte doch nicht fallen können, wenn nicht von einem Geldgeschäft gesprochen worden wäre.
R.-A. Dr. Ballien bekundete[178] schließlich noch, daß Graf Metternich eines Tages zu ihm gekommen sei und unter dem Hinweis, daß er in Monte Carlo gewonnen wonnen habe, die Kostenrechnung bezahlt habe.
Als der Angeklagte darum bat, daß eine Mittagspause gemacht werde, damit er nicht wie gestern kaltes Essen bekomme, kam der Vorsitzende auf eine Szene zurück, die sich gestern in der Mittagspause abgespielt hatte. Als etwas plötzlich die Verhandlung abgebrochen und die Mittagspause gemacht wurde, war das für den Angeklagten bestimmte Essen nicht gleich zur Stelle. Der Angeklagte wurde sofort furchtbar erregt und gebrauchte gegen den Gerichtsdiener Schimpfworte wie »Verfluchte Bande«, »Hunde«, »Kerls«.
Der Vorsitzende rügte dieses Benehmen noch nachträglich und teilte mit, daß der Gerichtsdiener Strafantrag wegen Beleidigung gestellt habe.
Hierauf wurde vom Vorsitzenden ein Telegramm der Frau Wolff Wertheim mit bezahlter Antwort verlesen, in welchem sie sich beklagt, daß Briefe, die sie früher geschrieben habe, in der Verhandlung verwertet würden. Sie lasse dringend um Vertagung des Prozesses oder um ihre kommissarische Vernehmung in dem Sanatorium Stephani zu Meran bitten.
Zeugin de Lor bejahte auf wiederholten energischen Vorhalt der Zeugin Gustke, daß Graf Metternich auch sie angepumpt habe! Sie habe dem Grafen 300 Mark auf Wechsel geborgt.
Angeklagter: Im Moulin rouge haben viele Mädchen chen gewußt, daß ich der Gustke das Geld geschenkt habe. Einige haben mir gesagt: »Kleiner Metternich, das hätten wir von dir nicht geglaubt, daß du blaue Lappen verschenkst!«
Landwirt und Leutnant a.D. von Rittweger: Er habe auf einem Wohltätigkeitsfest den Eindruck gewonnen, daß Graf Metternich den Wertheims als Schwiegersohn außerordentlich erwünscht war. Es sei möglich, daß er selbst ihm gesagt habe: »Wenn Sie wollen sind Sie in sechs Wochen Schwiegersohn.« Der Angeklagte sei nach seinen Beobachtungen ein bißchen leichtsinnig, aber nicht unehrlich. Graf Metternich habe auf alle Leute, mit denen er verkehrte, einen sympathischen, vertrauenerweckenden Eindruck gemacht. Er habe auch bescheiden und sparsam gelebt, er sei ein großer Optimist und sehr vertrauensselig.
[179] Staatsanw.-Rat Porzelt richtete an die Zeugin Frau Gräfin Metternich folgende Frage: Sie haben Ihrem Manne mitgeteilt, Sie hätten erfahren: das Gericht sei schon mit dem Urteil fertig. Dieses laute: ein Jahr Gefängnis, unter Anrechnung von sechs Monaten Untersuchungshaft. Ich frage Sie, wer hat Ihnen diese Unwahrheit mitgeteilt?
Zeugin Gräfin Metternich: Wenn es unbedingt nötig ist, will ich es sagen, obwohl ich nicht noch andere Personen in diese Sache hineinbringen möchte.
Staatsanwalt: Wir haben ein dringendes Interesse, zu erfahren, wer solch' unwahre Mitteilungen in die Welt setzt.
R.-A. Dr. Alsberg: Ich beantrage, diese Frage abzulehnen, da sie zu dieser Strafsache und zur Beurteilung der etwaigen Schuld des Angeklagten nicht gehört. Wenn die Zeugin etwas erfahren hat, worüber sie Schweigen bewahren zu müssen glaubt, so kann sie die Antwort auf diese Frage ablehnen. Ich wundere mich, daß der Staatsanwalt fortwährend Fragen stellt, die nicht zur Sache gehören und nur darauf hinzielen, den Angeklagten zu schädigen.
Zeugin Gräfin Metternich (mit erregter, lauter Stimme): Ich sehe immer mehr ein, daß der erste Jurist Wiens recht hatte, als er sagte, mein Mann steht in Berlin nicht vor Richtern, sondern vor Scharfrichtern. (Große anhaltende Bewegung.)
Staatsanw.-Rat Porzelt: Die Zeugin hat eine grobe Ungebühr begangen. Ich beantrage gegen sie eine Ordnungsstrafe von drei Tagen Haft.
Zeugin Gräfin Metternich: Sie können die Ungeheuerlichkeiten noch weiter treiben und mich einsperren! Ich habe eine Bemerkung wiedergegeben, die eine kompetente Persönlichkeit gemacht hat, damit die Welt endlich erfährt, wie hier gegen meinen Mann vorgegangen wird!
Der Gerichtshof zog sich zu einer längeren Beratung tung zurück. Bei seiner Rückkehr erklärte R.-A. Dr. Jaffé im Auftrage der Zeugin: Die Äußerung hat die Zeugin nicht aus sich heraus, auch nicht zu ihrer eigenen gemacht, sie hat vielmehr nur in der Erregung sich hinreißen lassen, diese Äußerung, die ein hervorragender Wiener Jurist getan haben soll, wiederzugeben.
Nach nochmaliger Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende: Die Zeugin Gräfin Metternich[180] wird wegen Ungebühr vor Gericht in eine Ordnungsstrafe von 100 Mark genommen. Das Gericht hat lange geschwankt, ob für die höchste Ungebühr, die soeben begangen worden, die höchste Geldstrafe oder die höchste Haftstrafe am Platze ist. Das Gericht hat aber erwogen, daß die Zeugin die Frau des Angeklagten ist, der schon lange in Untersuchungshaft sitzt, und daß sich die Zeugin durch ihre hohe Erregung hat hinreißen lassen. Aus diesem Grunde ist von einer Haftstrafe Abstand genommen worden.
Alsdann ging der Vorsitzende zur weiteren Erörterung der einzelnen Anklagepunkte über.
In der Filiale der Automobilfirma Horch & Co. in Zwickau erschien der Angeklagte, um ein Automobil zum Preise von 16000 Mark zu kaufen. Er wollte 1000 Mark anzahlen und den Rest in Wechseln zu 3000 Mark begleichen. Er soll dabei angegeben haben, er stehe kurz vor der Hochzeit mit einer reichen chen Amerikanerin und brauche den Wagen zu Repräsentationszwecken. Der Wagen wurde ihm verkauft; er versetzte ihn aber später bei der Firma Hälsen für 5000 Mark. Es herrschte nun Streit darüber, ob der Wagen dem Angeklagten mit oder ohne Eigentumsvorbehalt überlassen worden sei.
Der Angeklagte bestritt, daß er sich strafbar gemacht habe. Er behauptete, dem Vertreter der Firma ausdrücklich gesagt zu haben, daß er das Automobil unter Eigentumsvorbehalt gekauft habe. Was das Darlehen betrifft, so habe er nicht ein bares Darlehen erhalten, sondern es sei vereinbart worden, daß er bei der Einlösung des Wagens statt 5600 Mark nur 5000 Mark zahlen, daß er die übrigen 600 Mark als Darlehen behalten solle und daß 260 Mark als Zinsen hinzugeschrieben werden würden.
Der Zeuge Hälsen bekundete: Der Angeklagte habe gesagt, er bedürfe des Geldes, um zu seinem Onkel nach London zu fahren; er habe auch von einer Braut gesprochen. Auf verschiedene Fragen und Vorhaltungen der Verteidiger erklärte der Zeuge noch: er habe das Darlehen im wesentlichen auf den bekannten Namen des Angeklagten gegeben. Er habe auch später nicht den Eindruck gehabt, als ob dieser sich vor ihm verstecken wollte. Der Bruder des Zeugen habe den Angeklagten zufällig in Wien gesehen, daraufhin[181] sei er zur Tilgung der Schuld aufgefordert worden, habe Ratenzahlungen vereinbart; die Raten seien auch pünktlich eingegangen.
Im nächsten Anklagefall hatte der Angeklagte bei dem Hofschuhmachermeister Breitsprecher vom Juni 1909 bis 30. April 1910 elegante und sehr teure Stiefel anfertigen lassen. Der Preis der einzelnen Stiefel schwankte zwischen 40 und 48 Mark. Der Angeklagte war der Firma 593 Mark schuldig geworden und hatte darauf 180 Mark angezahlt. Es wurde ihm nun eine betrügerische Absicht zur Last gelegt, indem behauptet wurde, er habe bei der Bestellung als Wohnort Schloß Gracht bei Wien angegeben.
Angeklagter: Ich habe in keiner Weise einen Betrug begangen. Man braucht bloß im Gothaischen Kalender nachzuschlagen, um zu sehen, daß meine Familie das Recht hat, sich Gracht zu nennen. Was die Stiefel betrifft, so ist die kontrahierte Schuld nur für Stiefel ja anscheinend etwas viel, aber man muß bedenken, daß ich aus Amerika gekommen war. Ich hatte wohl Stiefel für das Land, aber keine für die Stadt, und ich hatte in Frankfurt a.M. meine Sachen verkaufen und zu Gelde machen müssen, um die mir in Aussicht stehende Stellung annehmen zu können. Für die Stiefel sind doch auch sehr hohe Preise berechnet, das zeigt schon, daß es Preise für Gewährung von Kredit sind. Die Preise läßt Herr Breitsprecher sich zahlen, weil er einen Namen hat und für das schöne goldene Wappen an seinem Firmenschild. Das müssen wir Kunden bezahlen, weil er Hofschuhmacher ist.
Zeuge Jaenicke, Mitinhaber der Firma Breitsprecher, bekundete: Er habe dem Angeklagten hauptsächlich mit Rücksicht auf seinen klangvollen Namen die Stiefel geliefert. Was die Erwähnung des Schlosses Gracht betrifft, so sei es möglich, daß er zuerst bei der Nennung des Namens Metternich ergänzend gefragt habe, »Schloß Gracht«, um damit festzustellen, ob der Angeklagte zu jener Familie Metternich gehöre. Im ganzen habe der Angeklagte 593 Mark für Stiefel zu bezahlen gehabt und ein Darlehen von 50 Mark erhalten.
Vors.: Der Angeklagte meint, daß die Preise in Ihrem Geschäft von vornherein auf Kreditgeben bemessen seien.
Zeuge: Nein, die Preise sind völlig angemessen. Es werden sogar noch Zinsen berechnet,[182] wenn die Ware nicht bar bezahlt wird.
R.-A. Dr. Jaffé: Würden Sie dem Angeklagten auch Kredit gewährt haben, wenn er nichts vom Schloß Gracht erwähnt hätte?
Zeuge: Jawohl.
Vors.: Haben Sie gegen den Angeklagten den Klageweg beschritten?
Zeuge: Ich habe erst kürzlich geklagt, damit die Sache nicht verjährt.
Als der Angeklagte hierzu längere Ausführungen machte, bemerkte der Beisitzer Landrichter Kriener: Das ist doch aber Plädoyer!
Der Angeklagte geriet darüber in Erregung und erklärte: »Sie kommen mir schon wieder mit Zwischenbemerkungen!«
Vors.: Ich muß Ihnen derartig unnötige Bemerkungen gegenüber einem Mitgliede des Gerichtshofes entschieden untersagen!
Angeklagter: Ich werde irritiert, wenn ich im Anfange meiner Erklärungen immer durch solche Zwischenbemerkungen des Herrn Landrichters Kriener unterbrochen werde. Es muß mir doch gestattet sein, mich zu verteidigen. Solche Zwischenbemerkungen deuten eben für mich auf eine Befangenheit des Gerichts hin.
Vors. (verweisend): Wir hören mit unerschütterlicher Geduld zu und lassen Ihnen den weitesten Spielraum, und Sie wagen hier, so etwas zu behaupten!
Angeklagter: Die Öffentlichkeit ist anderer Ansicht! Wenn ich auch Angeklagter bin, so muß ich mich dagegen wehren, daß immer nur Landrichter Kriener solche Bemerkungen macht!
Beisitzer Landrichter Kriener: Ich habe nur gesagt, das ist doch Plädoyer, und man kommt doch nicht weiter, wenn fortwährend Wiederholungen gemacht macht werden.
Angeklagter: Ich habe doch auch Augen zu sehen. Ich sehe die Mienen des Herrn Landrichters und weiß, welche Gedanken er damit bekunden will. Ich weiß nicht, wie der Herr das auf seinen Amtseid nehmen will. Der Herr Staatsanwalt macht sich sofort Notizen und denkt: »Aha! Schloß Gracht hat er dem Zeugen vorgeredet«! Über das Verhalten des Landrichters Kriener lassen sich Bände schreiben, und das werde ich tun, wenn ich in Freiheit bin!
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ich beantrage, den Angeklagten in eine Ungebührstrafe von drei Tagen Haft zu nehmen, die er allerdings zurzeit nicht wird verbüßen können.
Verteidiger R.-A. Dr. Alsberg: Der Angeklagte geht ganz gewiß viel zuweit, aber[183] er hat doch nach der Strafprozeßordnung das Recht, Erklärungen zur Sache abzugeben und sich in jedem einzelnen Falle zu verteidigen. Er kann doch nicht am Schlusse der Verhandlung eine mehrstündige Rede halten und dann erst alle Belastungsmomente widerlegen.
Angeklagter: Ich will mein Recht haben!
Der Gerichtshof behielt sich eine Beschlußfassung vor.
Es sollte alsdann der Anklagefall behandelt werden, in welchem der Angeklagte von Frau Risch ein Reitpferd gekauft und dabei angeblich falsche Vorspiegelungen spiegelungen gemacht hat.
Vors.: Wollen Sie sich über den Sachverhalt äußern, Angeklagter?
Angeklagter (sehr erregt): Ich möchte zuerst Frau Risch hören. Ich halte es für viel richtiger, ganz zu schweigen, denn mir wird ja doch nichts geglaubt. Wenn ich mich äußere, wird vielleicht die Stimmung des Gerichts noch mehr beeinflußt. (Mit erhobener Stimme:) Gestern schon hat man meiner armen Frau, die empört ist über die Behandlung, die ich hier zu erdulden habe, eine Ordnungsstrafe auferlegt.
Die Verteidiger baten, eine kleine Pause zu machen, da der Angeklagte offenbar außerordentlich erregt sei.
Vors.: Ich zweifle sogar an seiner Verhandlungsfähigkeit. Man muß fast daran zweifeln, wenn sich der Angeklagte so benimmt.
Es wurde eine Pause gemacht; während dieser wurde der Angeklagte unter Zuspruch der Verteidiger und des Dr. Forster wieder ruhiger.
Nach Wiederaufnahme der Verhandlung wurde der Fall Risch erörtert.
Der Angeklagte hat am 22. Februar 1910 durch Vermittlung des Stallmeisters Meschede das im Tattersall am Kurfürstendamm stehende Reitpferd der verwitweten Frau Risch gekauft. Der Kaufpreis war auf 2500 Mark vereinbart. Der Angeklagte hat dafür einen Wechsel gegeben, soll aber das Pferd, welches er, wie er behauptet, nicht reiten konnte, weil es einen Koller hatte, sehr bald weiterverkauft haben. Der Angeklagte stellte die Sache so dar, daß er bei diesem ganzen Pferdekauf gründlich hereingefallen sei, denn das Pferd sei viel zu teuer bezahlt worden. Er bestritt auch die Behauptung der Frau Risch, daß er das Pferd zu eigener Benutzung gekauft habe. Über den Wert des Pferdes und die Umstände, unter welchen der Pferdekauf zustande gekommen war, ergaben[184] sich die üblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Zeugin und dem Angeklagten. Auf Befragen des Staatsanw.-Rats Porzelt gab die Zeugin zu, daß sie bei dem Botschafter Grafen M. in London angefragt habe, ob er die Schuld des Angeklagten begleichen wolle. Dieselbe Anfrage habe sie an den Vater des Angeklagten gerichtet, aber auch von diesem eine ablehnende Antwort erhalten.
R.-A. Dr. Jaffé suchte in längeren Ausführungen darzulegen, daß in diesem Falle nimmermehr von einem Betruge die Rede sein könne. Der Verteidiger ließ sich von dem Stallmeister bestätigen, daß dieser selbst einmal geäußert habe: der Graf sei mit dem Pferde etwas hineingefallen.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Wenn hier plädiert werden soll, dann will ich bemerken, daß der Angeklagte zu dieser Zeit mit dem Falschspieler Stallmann verkehrte. te.
R.-A. Dr. Jaffé: Wenn diese Sache angeschnitten werden soll, dann müssen wir den Fall Stallmann verhandeln. Vorläufig wissen wir doch noch gar nicht, ob Stallmann wirklich ein Falschspieler ist.
Angeklagter: Ich bemerke hierzu, daß ich etwa sechs Wochen mit Stallmann verkehrte und daß mir Stallmann von einem Gardeoffizier, den ich im Königlichen Schloß in Berlin kennengelernt hatte, vorgestellt wurde.
Die Verhandlung dieses Falles wurde unterbrochen, um den von der Verteidigung geladenen Generalmajor a.D. Pauli zu vernehmen, der gebeten hatte, mit Rücksicht auf seinen leidenden Zustand sofort vernommen zu werden.
Der 68jährige, mit dem Eisernen Kreuz und zahlreichen Orden und Ehrenzeichen geschmückte Zeuge wurde von einer Pflegerin in den Saal geleitet.
Vors.: Herr Zeuge, ist Ihnen etwas von den Heiratsprojekten des Angeklagten bekannt?
Zeuge: Jawohl. Ich habe immer angenommen, daß Graf Metternich das reichste Mädchen von Berlin hätte heiraten können.
Vors.: Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?
Zeuge: Der Graf hat ein gewinnendes Wesen, hat ein gutes Äußere und ist außerdem Graf Metternich.
Vors.: Kennen Sie irgendein bestimmtes Heiratsprojekt projekt des Grafen Metternich?
Zeuge: Jawohl! Ich habe eine Verwandte, die sehr viel Geld hat, der Graf war aber leider zu jung. Der Graf konnte jedoch irgendeine[185] andere Millionärin heiraten. Ich halte den Grafen für einen sehr vornehmen Charakter, den ich einer unrechten Handlung überhaupt nicht für fähig erachte.
Vors. (unterbrechend): Das meinen Sie. Wir müssen uns aber auf Grund der Verhandlung selbst ein Bild von dem Charakter des Angeklagten bilden.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich bitte doch aber, den Zeugen ausreden zu lassen. Es ist ohne weiteres zulässig, einen Leumundszeugen zu vernehmen.
Zeuge (fortfahrend): Ich habe nur den Eindruck gewonnen, daß Graf Metternich Geld brauchte. Ich glaube auch, daß er bei einem Geldgeber vollständig hereingefallen wäre. Nach meiner Meinung ist es Schuld des Vaters des Angeklagten, daß Graf Metternich überhaupt in diese Situation kommen konnte. Es ist unverantwortlich von dem Vater, einen so jungen Menschen allein und ohne Subsistenzmittel in Berlin zu lassen.
Vors.: Aber das ist doch keine Zeugenaussage.
Zeuge: Der Graf steht mir sehr nahe, ich habe ihn sehr gern.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Wie oft sind Sie denn eigentlich mit dem Grafen zusammengekommen?
Zeuge: Vielleicht zwei- bis dreimal.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Und das hat genügt, sich ein so umfangreiches Wissen über den Charakter des Grafen Metternich zu bilden?
Zeuge (mit erhobener Stimme): Herr Staatsanwalt, es kommt nicht darauf an, wie oft man mit einem Menschen zusammenkommt, um ihn richtig kennenzulernen. Es ist möglich, Herr Staatsanwalt, daß Sie nicht in der Lage sind, so wie ich als alter Mann, einen Charakter zu erkennen.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist es richtig, daß Sie den Grafen in eine Familie eingeführt haben?
Zeuge: Jawohl, der Graf, der damals erst 21 Jahre alt war, war aber zu jung. Er konnte doch aber von anderen reichen jungen Damen geheiratet werden.
R.-A. Dr. Alsberg: Nehmen Sie an, Herr Generalmajor, daß der Angeklagte bei seinem ganzen Auftreten sehr wohl der Ansicht sein konnte, seine Verhältnisse jeden Augenblick durch eine reiche Heirat zu sanieren?
Zeuge: Natürlich konnte er dies glauben. Außerdem hätte ich dem Grafen jeden Augenblick Geld zur Verfügung gestellt, wenn er mich darum gebeten hätte.
Vors.: Glauben Sie denn, daß irgendeine Millionärin den Angeklagten so ohne weiteres[186] geheiratet hätte?
Zeuge: Ich kenne in Berlin adlige Offiziere, die früher keinen Pfennig Geld hatten, dann eine Millionärin geheiratet und jetzt massenhaft Geld haben. Das hat ihnen keiner übelgenommen. (Heiterkeit.)
Staatsanw.-Rat Porzelt: Der Angeklagte hat sich doch ein ganzes Jahr bemüht, eine reiche Heirat zu machen. So dicht scheinen wohl demnach die Millionärinnen nicht auf den Straßen von Berlin herumzulaufen.
R.-A. Dr. Alsberg: Es ist doch zu bedenken, daß der Angeklagte allein drei Monate mit dem Gruberschen Heiratsprojekt und dann drei Monate mit dem Wertheimschen Projekt, also zusammen sechs Monate im Jahre verbraucht hat. Tatsächlich hat er doch dann auch bald geheiratet.
Angeklagter: Meine Frau hat eigentlich mehr als eine Million. Sie hat ein derartiges Einkommen und verdient außerdem durch ihr Spiel so viel, daß das Gesamteinkommen die Zinsen eines Kapitals von mindestens zwei Millionen darstellt.
Zeuge Pauli: Der Graf ist nach meiner Meinung durch Heiratsvermittler hingehalten worden.
Die Zeugin Frau Schmidt, bei der die Elvira Gustke seit mehreren Jahren wohnte, bekundete: Die Gustke habe ihr erzählt, sie habe dem Grafen Metternich gegen einen Wechsel Geld geliehen. Bei der weiteren Befragung dieser Zeugin kam es zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen Staatsanwalt und Verteidiger.
Der Staatsanwalt kam darauf zurück, daß R.-A. Dr. Jaffé, obgleich er die Adresse der Zeugin Gustke kannte, sie der Staatsanwaltschaft nicht bekanntgegeben, sondern in einem Schriftstück erklärt habe, daß die Zeugin sich der Vernehmung entziehe.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich muß nun, da der Staatsanwalt wieder auf diese Sache zurückkommt, obgleich ich sie schon völlig aufgeklärt habe, denn doch den Antrag stellen, mich als Zeugen zu vernehmen.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Über das, was aktenmäßig feststeht, brauchen wir keine Zeugenvernehmung.
Zeugin Gustke: Ich habe in verschiedenen Schreiben an Rechtsanwalt Dr. Jaffé meine Adresse: »Aquarium St. Petersburg« angegeben und ihm geschrieben, daß ich vernommen werden möchte, da man gegen mich allerlei vorgebracht habe.
R.-A. Dr. Jaffé: Es ist doch unglaublich, daß der Herr Staatsanwalt dieser Dame mehr glaubt, als der[187] Verteidigung. Das ist so ungeheuerlich, daß ich es unter meiner Würde halte, dem Staatsanwalt auch nur noch ein Wort zu erwidern. Kann denn ein Staatsanwalt verlangen, daß wir ihm die Belastungszeugen heranschaffen? Schafft denn der Staatsanwalt jemals der Verteidigung ihre Entlastungszeugen herbei? Hat denn in dem vorliegenden Fall die Staatsanwaltschaft in dieser Beziehung das geringste getan, sie, die die objektivste Behörde sein will? Ich hatte gar keine Pflicht, dem Staatsanwalt die Adresse dieser Belastungszeugin anzuzeigen.
R.-A. Dr. Alsberg: Der Angriff des Herrn Staatsanwalts gegen den Kollegen Jaffé ist ungeheuerlich. Selbst wenn in tatsächlicher Beziehung die Vorwürfe richtig wären, so ist es nicht zu verstehen, wie der Staatsanwalt eine Inkorrektheit der Verteidigung darin sieht, daß sie nicht eine Belastungszeugin zur Stelle schafft, der der Angeklagte bereits in der Voruntersuchung einen glatten Meineid vorgeworfen hat. Ich habe es noch nicht erlebt, daß der Staatsanwalt dem Verteidiger einen Entlastungszeugen zur Stelle schafft, von dem der Staatsanwalt behauptet, daß der Zeuge bereit sei, einen Meineid zu leisten. In diesem Verfahren hat sich der Staatsanwalt sogar geweigert, den sehr wichtigen Zeugen, Hof- und Gerichtsadvokaten Mayr-Günther (Wien) zu laden. Im übrigen ist auch festzustellen, daß der Staatsanwalt eine durchaus unrichtige Darstellung des Sachverhalts gibt. Die Zeugin Gustke war während des vorigen Termins in Berlin. Nachdem der Termin vertagt war, wendete sie sich nicht an den Staatsanwalt, sondern an den Verteidiger, der sie in der Verhandlung heftig angegriffen hatte, und fragte bei ihm an, ob er ihr Reisegeld zum nächsten Termin schicken wolle. Versteht der Herr Staatsanwalt nicht, was in dieser Frage liegt? Und was hat der Kollege Jaffé daraufhin getan? Er hat zum nächsten Termin die Ladung von Zeugen beantragt, die bezeugen sollten, daß die Zeugin während des vorigen Termins in Berlin war, also böswillig nicht an der Gerichtsstelle erschienen sei.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Es kommt nur auf folgendes an: Die Zeugin kommt aus Petersburg zurück; sie meldet sich bei dem Verteidiger, weil der Verdacht des Meineides gegen sie ausgesprochen war; sie gibt ihre Adresse an und gibt zu erkennen,[188] daß sie vernommen werden möchte. Das war am 14. Juli. Am 12. August kommt eine Eingabe des Verteidigers, in welcher steht, daß die Zeugin sich der Vernehmung zu entziehen bestrebt sei. Das ist es, was ich dem Verteidiger vorwerfe und was ja noch weitere Folgen haben wird.
Der Gerichtshof lehnte den Antrag auf Vernehmung des R.-A. Dr. Jaffé als Zeugen ab, weil dem Gericht der Sachverhalt aufgeklärt erschien.
R.-A. Dr. Jaffé: Gegenüber den Anwürfen des Staatsanwalts, die den ganzen Anwaltsstand angehen, möchte ich doch um die Erlaubnis bitten, den Sachverhalt klarzulegen. Der Staatsanwalt hat wiederum eine Art Drohung gegen mich ausgesprochen. Ich kann ihm nur sagen, daß solche Drohung auf mich keinen Eindruck macht. Wenn der Staatsanwalt den schon mehrmals dargestellten Sachverhalt nicht verstehen will, so ist dies seine Sache. Ich aber kann doch wohl wenigstens verlangen, daß ich mehr Glauben verdiene, als diese Dame hier. Ich bitte, mich als Zeugen zu vernehmen.
Vors.: Nach Ansicht des Gerichts ist der Fall von beiden Seiten genügend aufgeklärt.
R.-A. Dr. Jaffé bat, dann wenigstens den Inhalt seines vom Staatsanwalt so bekrittelten Beweisantrages vortragen zu dürfen. Dies geschah. Dr. Jaffé trug den Sachverhalt kurz so vor, wie ihn bereits Dr. Alsberg angegeben hatte.
Hierauf wurde noch über das von Frau Risch an den Angeklagten verkaufte Pferd sehr viel hin und her geredet und darüber gestritten, ob das Pferd ein sogenannter »Verbrecher« war, ob es sehr nervös war, einer Arsenikkur unterworfen wurde, ob es kollerig war. Der Angeklagte behauptete, daß ihm die Arsenikkur verschwiegen und das Pferd ihm als ganz gesund verkauft worden sei.
Der zu dieser Affäre vernommene Stallmeister Meschede kannte den Angeklagten noch aus der Zeit, wo er als Tertianer in Bonn weilte.
R.-A. Dr. Alsberg: Wie ist die Ansicht des Zeugen über das dem Angeklagten damals zufließende Taschengeld in Höhe von fünf Mark monatlich? Ist für einen jungen Mann, der in solchen Kreisen verkehrte, wie der Angeklagte, dieses Taschengeld ein ungewöhnlich niedriges?
Zeuge: Die jungen Leute in jenen Kreisen erhalten bis zu 300 Mark Taschengeld.
Vors.: Fünfzehnjährige[189] junge Leute? Tertianer?
Zeuge: Jawohl.
R.-A. Dr. Jaffé: Was haben die jungen Leute bloß für das Reiten monatlich ausgegeben?
Zeuge: Wohl 40 bis 50 Mark.
R.-A. Dr. Alsberg: Ist es dem Zeugen auch nicht bekannt, daß in den Kreisen von Kavalieren, die die Reitbahn besuchen, manchmal solche sich finden, die auf Pump leben und sich dann durch eine reiche Heirat völlig rangieren.
Zeuge: Jedes Jahr kommt es ein- oder zweimal vor, daß ein armer Leutnant eine reiche Heirat macht. Der Angeklagte hätte nach allgemeiner Ansicht sehr leicht eine reiche Partie machen können.
Im nächsten Anklagefall handelte es sich um folgendes: Im Januar 1910 trat der Roßschlächter und Geldvermittler Kilholz mit dem Angeklagten durch den Kommissionär Tilo in Verbindung, an den sich Metternich zur Erlangung von Geld gewendet hatte. Tilo fragte bei Kilholz an, ob er einen Wechsel über 2500 Mark unterbringen könne, der die Unterschriften des Grafen Metternich und eines Herrn von Hagenow trage. Metternich sei »prima-prima«. Durch Vermittlung lung des Kilholz machte Kaufmann Gustav Noack das Geschäft: er gab dem Tilo auf den Wechsel 1650 Mark in bar, zog sich 250 Mark als Diskont ab und verrechnete 600 Mark auf eine ältere Schuld des Kilholz. Von den baren 1650 Mark hat Tilo nur einen Teil an den Grafen Metternich abgeführt. Letzterer behauptete, nur 500 Mark erhalten zu haben. Nach diesem Wechselgeschäft hatte der Angeklagte mehrfach Darlehen bei Kilholz aufgenommen. Kilholz wollte insgesamt 1050 Mark gegeben haben. Die an Kilholz dafür gegebenen Wechsel sind mangels Zahlung protestiert worden. Angeblich sollte der Angeklagte bei diesen Geschäften falsche Angaben über seine Vermögensverhältnisse gemacht haben. Er bestritt dies ganz entschieden und versicherte, daß er von Kilholz nicht 1050 Mark, sondern nur ganz kleine Darlehen erhalten habe. Die Wechsel habe ihm Kilholz förmlich herausgeholt.
Tilo war, wie er angab, wegen Geisteskrankheit entmündigt, Kilholz saß in Untersuchungshaft und wurde zur Zeit auch auf seinen Geisteszustand beobachtet.
Angeklagter: Wenn irgendwelcher Wert auf die Aussagen dieser Zeugen gelegt werden sollte, dann würde ich die Heranziehung eines Gerichtsarztes[190] verlangen müssen. Diese Leute sind meine großen Belastungszeugen in diesem ganzen Prozeß.
Das Gericht trat hierauf in die Verhandlung des Falles Roeder ein. Die Anklage warf dem Angeklagten hierbei folgendes vor: Durch Vermittlung eines Agenten Mandus wurde der Angeklagte, der seinerzeit ein Darlehen suchte, mit dem Kaufmann Wiegking in Wandsbek bekannt. Der Sozius des Wiegking gab ihm auch ein Darlehen von 2000 Mark. Metternich mußte dafür Anteile der Teppichfabrik Roeder & Co. in Höhe von 50000 Mark übernehmen und dafür ein per 1. April fälliges Akzept geben. Metternich soll, wie die Anklage behauptete, bei der Abwicklung dieses Geschäfts verschwiegen haben, daß er überhaupt nicht in der Lage war, 52000 Mark zu zahlen. Auch in diesem Falle soll er auf die bevorstehende Heirat mit Frau Dolly Landsberger hingewiesen haben.
Der Angeklagte bestritt auf das entschiedenste, sich eines Betruges schuldig gemacht zu haben. Der Zeuge Roeder, der z.Z. wegen Betruges und Wuchers verfolgt werde und sich in Paris aufhalte, habe ihm seinerzeit gesagt, es liege ihm daran, klangvolle Namen in den Aufsichtsrat der Teppichfabrik zu bekommen. Er sei heute sehr erfreut darüber, daß er die Anteile nicht mit 50000 Mark bezahlt habe, denn drei Tage später sei die Firma Roeder in Konkurs geraten, und er hätte das Geld verloren. Bei den Besprechungen über dieses Geschäft, welches ihm als Aufsichtsratsmitglied 12000 Mark jährlich bringen sollte, habe er geäußert, es wäre ihm sehr angenehm, wenn er bald etwas Geld in die Finger bekommen würde. Roeder habe ihm hierauf die 2000 Mark mit verschiedenen Abzügen gegeben. Er habe jene Verpflichtung ruhig eingehen können, da man ihn als Aufsichtsratsmitglied doch nicht gut verklagen konnte. »Die ganze Sache lief darauf hinaus: Roeder wollte meinen Namen und ich von ihm Geld.« Auf die Vernehmung des Agenten Albert Mandus wurde verzichtet, da er in einer anderen Sache für geisteskrank erklärt sein soll.
Es wurden alsdann die weiteren zur Anklage stehenden Fälle, in welchen Kreditschwindeleien vorliegen sollen, erörtert. Es handelte sich zunächst um die Entnahme einer goldenen Uhr in dem Geschäft des Hofuhrmachers[191] Felsing.
Angeklagter: Er habe eine goldene Remontoiruhr zum Preise von 435 Mark entnommen und gleich dabei gesagt, daß er augenblicklich kein Geld zur Bezahlung habe, aber in kurzer Zeit eine größere Summe erwarte. Das sei auch richtig gewesen, denn er habe dabei an das Geld gedacht, welches ihm Kilholz unterschlagen habe; er konnte bestimmt erwarten, daß ihm aus seiner geschäftlichen Verbindung mit Roeder bald Geld zufließen werde. Er habe dem Geschäftsinhaber seinen Namen und seine Wohnung genannt, der Geschäftsinhaber habe sich nach ihm erkundigt und ihm die Uhr überlassen. Als später die Rechnung kam, habe er 100 Mark angezahlt, der Rest sei noch nicht bezahlt. Die Uhr sei ihm später in Wien gepfändet worden.
Zeuge Willibald Felsing bestätigte dies im allgemeinen. Der Angeklagte habe ihm gesagt, daß er augenblicklich nicht in der Lage sei, zu bezahlen. Er (Zeuge) habe geantwortet: es tue ihm leid, er habe nicht den Vorzug, den Grafen zu kennen, und es sei in seinem Geschäft nicht Gepflogenheit, eine solche Uhr, die der Graf gleich mitnehmen wollte, ohne weiteres mitzugeben. Als er dann durch telephonische Anfrage die Identität des Grafen festgestellt, habe er keine Bedenken getragen, einem Träger dieses Namens die Uhr mitzugeben.
Zeuge Danziger bekundete: Ich bin jetzt Brillantenhändler und war vorher längere Zeit beim Varieté. Ich kenne die Elvira Gustke nur unter dem Namen Elvira de Lor. Vor fünf oder sechs Jahren wollte sie von mir Brillanten kaufen. Sie wollte große Steine, und nur auf Abzahlung, ich sagte ihr aber: das gibt es bei mir nicht, bei mir gibt es nur Ware gegen Kasse. Ich habe mich nur als Zeuge gemeldet, weil sich die Zeugin als Artistin ausgibt. Sie mag ja vielleicht hin und wieder in irgendeinem kleinen Engagement gewesen sein, ich weiß aber nichts davon, daß sie Tänzerin ist; sie ist ja auch fortgesetzt in Berlin gewesen und im Metropoltheater gesehen worden. Ich kenne die Dame nur als Lebedame und nicht als Artistin.
Vors.: Zeugin Gustke, ich habe aus den Akten ersehen, daß Sie wegen eines Vergehens noch nicht bestraft sind. Aus den Polizeiakten geht hervor, daß sie wegen sittenpolizeilicher Übertretung mit drei Tagen Haft bestraft worden sind. Warum[192] haben Sie das nicht gesagt?
Zeugin: Ich habe daran gar nicht gedacht und glaubte, ich wurde nur gefragt, ob ich wegen Diebstahls und dergleichen bestraft sei.
Vors.: Heißen Sie denn Elvira de Lor?
Zeugin: Nein, so nannte sich die Hertha Meschinski, die hier auch vernommen worden ist.
Vors.: Diese heißt also auch nicht Elvira de Lor?
Zeugin: Nein.
Vors.: Dann hätte die Zeugin sich unter diesem Namen auch nicht vernehmen lassen dürfen. Na, sie hat sich wohl nichts dabei gedacht.
Auf eine Frage des R.-A. Dr. Jaffé erklärte die Zeugin Gustke noch: Sie trete als Tänzerin in Varietés auf, sei vom 13. Mai bis 13. Juni in Riga, dann in Moskau und dann im »Aquarium« in St. Petersburg engagiert gewesen, habe dort noch Kontrakt bis 1. Januar und sei direkt von Petersburg zum Termin hierher gekommen.
Die Beweisaufnahme kam darauf noch einmal auf den Anklagefall zurück, in welchem der Angeklagte von der Firma Horch in Zwickau ein Automobil für 16000 Mark entnommen hatte. Der Verkauf war in der hiesigen Filiale erfolgt, dessen Vorsteher als Zeuge angegeben hatte, daß er den Verkauf nach Anfrage in Zwickau auf Anweisung der Direktion unter Eigentumsvorbehalt abgeschlossen habe.
Direktor Jakob Holler von der Aktiengesellschaft Horch bestätigte als Zeuge die Angaben des Berliner Vertreters. Er habe, als die Anfrage wegen des Automobilverkaufs kam, bei dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats angefragt, wie man sich verhalten solle, und da man erwog, daß Graf Metternich einer durchaus noblen Familie angehöre, kam man zu dem Ergebnis, daß dem Verkaufe nichts im Wege stehe. Man konnte sich doch nicht denken, daß ein Mann dieses Standes jemand beschwindeln werde. Der Zeuge legte den Bestellschein vor, in welchem der Eigentumsvorbehalt enthalten war.
Der Angeklagte blieb dabei, daß ihm gesagt worden sei, es handle sich nur um eine Formsache. Der hiesige Vertreter der Firma habe ihm direkt gesagt: am 1. November Geld oder Wagen, das andere sei ihm egal!
Die Rechtsanwälte Dr. Alsberg und Dr. Jaffé suchten durch zahlreiche Fragen an den Zeugen darzulegen, daß der Abschluß des Geschäfts wohl auch dadurch erleichtert worden sei, daß erwogen wurde: es sei eine[193] große Reklame für die Firma, wenn ein Graf Metternich einen Wagen der Firma fahre. Wenn ein Graf Metternich den Wagen fahre, so sei dies eine weit größere Reklame für die Firma, als wenn ein beliebiger Schulze oder Müller dies tue. Das sei ein Valeur für die Firma, wodurch sie gewiß veranlaßt worden sei, leichter das eventuelle Risiko zu übernehmen. Der Zeuge erwiderte: Die Tatsache, daß Graf Metternich den Wagen fahren würde, sei schon bei der Normierung des Preises von Einfluß gewesen. Im übrigen sei ein solcher Wagen zu kostbar, als daß er zu Reklamezwecken hingegeben würde. Im wesentlichen sei maßgebend gewesen, daß der Angeklagte aus vornehmer Familie stamme und Neffe des deutschen Botschafters sei. In weiterer lebhafter Auseinandersetzung mit dem Zeugen behauptete der Angeklagte, daß er durchaus in gutem Glauben gehandelt habe und sich in der ganzen Affäre benachteiligt fühle. Die Verteidiger behaupteten, daß der Zeuge Amtsgerichtsrat Graf v.d. Schulenburg bei seiner neulichen Aussage bekundet habe: auf eine Anfrage bei der Firma Horch habe er den Bescheid erhalten, daß sich diese gar nicht geschädigt fühle, er selbst fühle sich auch nicht betrogen.
Zeuge Holler bestritt dies und überreichte einen Brief, welcher seinerzeit vom Amtsgerichtsrat Graf v.d. Schulenburg an ihn geschrieben worden sei. Der Gerichtshof beschloß, den Zeugen Amtsgerichtsrat Grafen v.d. Schulenburg nochmals vorzuladen.
Angeklagter: Nachdem nun 11 Fälle der angeblichen Wechselbetrügereien erledigt sind, möchte ich einmal klarlegen, in welcher Weise ich in einzelnen Fällen begaunert worden bin, was ich in den einzelnen Fällen geschrieben und tatsächlich bekommen habe. Man kann daraus den Schluß ziehen, ob ich wirklich, wie behauptet wird, in Saus und Braus gelebt habe oder vielmehr ganz bescheiden aufgetreten bin.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Es kommt dabei doch auch in Betracht, daß der Angeklagte Prolongationswechsel ausstellen mußte. Wenn er sich mit Geisteskranken in solche Geschäfte einläßt, kann er sich nicht über Gaunerei beklagen.
Angeklagter: Die Leute sind damals nicht geisteskrank gewesen und wunderbarerweise erst jetzt geisteskrank geworden.
Der Vorsitzende gab dem Angeklagten[194] anheim, diese Ausführungen am Schluß der Beweisaufnahme zu machen.
Bei den weiteren Fällen handelte es sich um Einkäufe, die der Angeklagte bei verschiedenen großen Firmen gemacht hat. Es ergab sich fast überall derselbe Vorgang: Der Angeklagte machte zunächst einige Einkäufe gegen Barzahlung, erhielt dann Kredit und blieb mit einer größeren oder kleineren Summe in Rest. So entnahm er bei der Firma Demuth, Unter den Linden, mehrere elegante Waren und blieb 134 Mark schuldig. Bei der Firma J.H. Werner und Louis Werner hat er Goldsachen gekauft, bei der Firma Gerold Zigaretten. Der Angeklagte bemerkte, daß er ein starker Zigarettenraucher sei und monatlich 2000 bis 2500 Zigaretten rauche. Zu einem ferneren Anklagefall, in welchem der Angeklagte bei der Firma Braun, Unter den Linden, und in demselben Geschäft in Wien für sich und seine Frau Sachen entnommen hatte, erklärte der Angeklagte, daß der Inhaber des Geschäfts in keiner Weise durch falsche Vorspiegelungen getäuscht worden sei. Er habe in dem Geschäft überhaupt mehr Ware gewissermaßen aufgedrängt erhalten, als er ursprünglich kaufen wollte. »Wenn man zu Braun kommt, dann ist das immer ein Kampf, wieder herauszukommen, so halten einen die Leute dort fest!« Er habe schließlich einen Vergleich mit 80 Prozent mit der Firma abgeschlossen. Da der Angeklagte sich auch auf seine Gattin berief, so erklärte diese, nochmals vorgerufen: Es stimmt ganz genau, was mein Mann bezüglich der Wiener Filiale von Singer gesagt hat. Der schuldig gebliebene Betrag kann doch gar nicht in Betracht kommen, weil ich hoffentlich gut genug für solche Summen bin. Ich bin doch die Frau meines Mannes, und die Leute wissen, daß, wenn er nicht zahlt, ich es zahle. Es ist auch richtig, daß man in dem Wiener Geschäft nicht so leicht wieder herauskommt. Da heißt es dann: Nein, Frau Gräfin, Sie müssen noch dies und jenes kaufen! Das dürfen Sie uns nicht antun, woanders zu kaufen als bei uns!
Bei einer anderen Gelegenheit erklärte der Angeklagte: Dolly Landsberger habe eine große Sammlung von etwa 500 kleinen Nippes-Elefanten, da habe er zu Weihnachten auch einen kleinen Beitrag zu der Sammlung geliefert und ihr einen kleinen Elefanten in[195] Amethyst geschenkt.
Der Angeklagte bestritt, in allen diesen Fällen sich eines Betruges schuldig gemacht zu haben. Die hierzu vernommenen Zeugen konnten den Angeklagten nicht belasten.
Der Vorsitzende verlas darauf folgenden, von dem Amtsgerichtsrat Grafen v.d. Schulenburg an den Zeugen Holler gerichteten Brief: »Vor Jahresfrist war der damals in Berlin lebende Graf Gisbert Wolff-Metternich im Besitz eines wertvollen Horch-Wagens. Da besagter Herr hier zahllose Personen, unter anderen leider auch mich, in der gröblichsten Weise betrogen hat, so nehme ich an, daß auch Sie einen Reinfall erlebt haben. Ich bin nun willens, das gesamte Material der Staatsanwaltschaft zu unterbreiten und bitte daher um gütige Mitteilung, ob und in welcher Weise Sie durch Graf Metternich betrogen worden sind.«
Inzwischen war Graf v.d. Schulenburg als Zeuge erschienen. Er erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich möchte dazu sagen, daß der Inhalt des Briefes meiner damaligen Ansicht entsprach; nachher bin ich aber anderer Meinung geworden. Damals hatte der Graf, der mir und anderen Leuten Beträge schuldete, monatelang nichts auf meine Briefe geantwortet. Ich wußte gar nicht, wo er geblieben war. Da ich von mehreren Leuten hörte, daß sie sich auch beklagten, habe ich den Brief an die Firma Horch geschrieben. Nachher haben Graf Metternich und die Gräfin sich an mich gewendet und mir genügende Garantien gegeben.
Vors.: Sie haben aber hier gesagt, der Angeklagte habe Ihnen keine falschen Vorspiegelungen gemacht. Es ist doch immerhin merkwürdig, daß Sie einen solchen Brief schreiben, der ganz anders lautet.
Zeuge: Ja, ich hatte damals wohl ein halbes Jahr lang nichts von ihm gehört.
Beisitzer Landrichter Menart hielt dem Zeugen einen Passus aus seiner früheren Aussage vor, der doch nicht recht in Einklang mit dem Briefe zu bringen sei. Nach seiner Meinung sollte sich die Firma ja auch nicht geschädigt gefühlt haben.
Zeuge Graf v.d. Schulenburg: Die Firma hat, wie ich glaube, mir geantwortet, daß sie sich nicht geschädigt fühle, da sie das Automobil zurückerhalten habe.
Vors.: Der Brief der Firma liegt in Kopie bei den Akten. Er lautet doch wohl[196] nicht so. Es steht tatsächlich kein Wort davon darin, daß sich die Firma nicht geschädigt fühle.
Zeuge: Ich war der Meinung, ich hatte den Brief so in der Erinnerung.
R.-A. Dr. Jaffé: Sie haben wohl den Brief in der Aufregung, im Affekt geschrieben?
Zeuge: Ja, natürlich, weil ich eben auf meine Briefe keine Antwort erhielt.
R.-A. Dr. Jaffé: Tatsächlich haben Sie aber doch wohl die Ansicht, daß der Angeklagte nicht auf Betrügereien ausgegangen ist?
Zeuge: Jawohl.
Vors.: Als Jurist werden Sie, Herr Zeuge, doch wissen, daß es bei der Konsumierung des Betruges nicht auf den jeweiligen Erfolg oder die spätere Abwendung eines Schadens ankommt. Das muß Ihnen als Jurist klar sein.
R.-A. Dr. Alsberg: Hat der Zeuge seine Äußerungen in dem Briefe überhaupt so aufgefaßt, daß es sich um Betrug im juristischen Sinne handle?
Zeuge: Nein.
Vors.: In dem Briefe steht aber, daß das gesamte Material der Staatsanwaltschaft unterbreitet werden solle.
Zeuge: Ja, ich fühlte mich doch damals absolut nicht sicher und wollte bei der Firma anfragen, welche Erfahrungen sie mit dem Grafen gemacht hat.
R.-A. Dr. Alsberg: War vielleicht damals in der Öffentlichkeit auch von der Affäre Stallmann die Rede und hat dies vielleicht auch auf Sie eingewirkt?
Zeuge: Das kann wohl sein. Jedenfalls habe ich damals den Brief an die Firma im Ärger und Affekt geschrieben, um eine Aufklärung zu haben, wie die Sachen liegen.
Vors.: Sie sagen aber doch, Ihnen seien von anderen Leuten Klagen zugegangen.
Staatsanw.-Rat Porzelt: In dem Briefe reden Sie sogar von »zahllosen Personen«, die der Angeklagte betrogen habe, und zwar »in der gröblichsten Weise«. In dem Briefe haben Sie doch nicht bloß von Ihrem Fall, sondern auch von anderen Fällen gesprochen. Wie war überhaupt Ihr eigener Fall? Der Angeklagte hat in Ihrem Hause verkehrt und Sie haben ihm ein Darlehen von 6500 M. zum Kauf des Automobils gegeben. Letzteres kostete aber nur 5000 Mark. Um es auszulösen, waren nur 4500 Mark nötig, Graf Metternich hat Ihnen doch also falsche Angaben gemacht?
Zeuge: Ich hätte ihm den Betrag auch gegeben, wenn er ein paar hundert Mark für andere Zwecke verwenden wollte. Ich[197] war überzeugt, daß er über kurz oder lang eine reiche Heirat machen würde.
Vors.: Ist die Sache jetzt geregelt?
Zeuge: Ja, die Gräfin hat sich dafür verbürgt.
Angekl.: Ich habe die Briefe des Zeugen nicht erhalten.
Zeuge: Ich wollte mich auf den juristischen Begriff des Betruges nicht festlegen, die Sache hat sich eben anders entwickelt, als ich anfangs annahm. Nachträglich hat sich herausgestellt ...
Vors. (unterbrechend): Nun, es hat sich herausgestellt, daß die Frau des Angeklagten die Bürgschaft übernahm. Wie Sie da zu einer Änderung Ihrer Ansicht kamen, ist nicht recht zu verstehen.
Zeuge: Ich habe meine Ansicht geändert, weil ich jetzt bestätigt sehe, daß der Graf nach seiner Verheiratung bezahlen wird.
R.-A. Dr. Jaffé: Herr Zeuge Graf Schulenburg, Sie nehmen also das, was Sie im Affekt geschrieben haben, zurück und erklären, es nicht aufrechterhalten zu können?
Zeuge: Ja.
Kaufmann Wolffheim bekundete hierauf als Zeuge: Ein Freund habe ihm erzählt, er habe von der Gustke ein goldenes Zigarettenetui geschenkt erhalten. Nachdem sich sein Freund erschossen hatte, sei die Gustke plötzlich mit der Behauptung hervorgetreten, das Etui sei ihr abgekauft worden. Die Zeugin Gustke bestätigte die Angaben. Jener Freund sei ein 18jähriger Jüngling gewesen, der sich ihr als Kommerzienratssohn vorgestellt und große Beträge auf der Rennbahn verwettet habe. Jenes Etui, das den Namen »Elvira« in Brillanten trug und bei dem Juwelier Stöß 2000 Mark kostete, habe sie für 1000 Mark verkauft. Der Freund des Zeugen habe dann damit renommiert, daß sie ihm das Etui geschenkt habe.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist Ihnen bekannt, daß Fräulein Gustke sehr mit ihren Kavalieren zu renommieren pflegte?
Zeuge Wolffheim: Es ist doch allgemein bekannt, daß derartige Damen stets zu renommieren pflegen.
Vors.: Ist Ihnen von der Gustke ein besonderer Fall bekannt?
Zeuge: Nein, ich weiß aber, daß sie in ihrer Wohnung Photographien von Fürstlichkeiten mit eigenhändigen Unterschriften hat. Einmal ist sie mit einem Fürsten zusammen im Auto photographiert worden.
Vors.: Sind Ihnen die Namen dieser Fürstlichkeiten bekannt?
Zeuge: Sie sind mir damals genannt worden, heute weiß ich sie aber[198] nicht mehr.
Vors.: Na, es gibt ja soviel
Fürstlichkeiten!
Im Anschluß an die Vernehmung des Zeugen kam es wieder zu einer erregten Szene, in der der Angeklagte schließlich rief: »Sie schwätzen ja alles durcheinander!«
Zeuge: Wenn Sie so widersinniges Zeug geredet haben und noch reden, so kann ich natürlich nur ebenso widersinnig antworten.
Es folgte die Erörterung des Betrugs gegen die Firma Herpich.
Vors.: Sie haben sich bei Herpich einen teuren Pelz bestellt?
Angeklagter: Na ja, ich konnte doch nicht frieren.
Vors.: Ich besitze keinen Pelz und viele andere Leute auch nicht.
Angeklagter: Ich kam aber damals aus Südamerika, hatte wiederholt Lungenentzündungen durchgemacht und mußte mich ganz besonders vor Erkältungen schützen.
R.-A. Dr. Jaffé ließ feststellen, daß zu der kritischen Zeit vier Damen für die Heiratspläne des Angeklagten in Frage kamen.
Zeuge Buchhändler Mandus erklärte, er müsse sich entschieden dagegen verwahren, daß behauptet werde, er sei wegen Geisteskrankheit entmündigt. Er müsse sich dies ein für allemal verbitten. Er sei nicht geisteskrank.
Der Vorsitzende erklärte, daß dann ein Irrtum des Gerichts vorliege. In den Akten sei eine solche Bemerkung vorhanden.
Der Zeuge Mandus wurde vereidigt.
Hierauf folgte das Gutachten des Oberarztes Dr. Edmund Forster, der den Angeklagten sechs Wochen in der Charité beobachtet hatte. Er erklärte: Zeichen einer Geisteskrankheit im engeren Sinne seien nicht hervorgetreten, ein Intelligenzdefekt sei nicht gefunden. Das Benehmen des Angeklagten sei im großen und ganzen korrekt gewesen, sein Auftreten sicher, er habe sich stets auf den Standpunkt gestellt, daß er geistig gesund und unschuldig sei. Er sei leicht erregbar; bei dem geringsten Anlaß geriet er sofort in heftige Erregung und erging sich in lauten, geschmacklosen Schimpfereien. Solche Erregungszustände kamen allerdings nicht ganz ohne Veranlassung vor; auch beruhigte er sich immer nach kurzer Zeit. Der Angeklagte sei ein abnorm veranlagter Mann, von impulsiver, psychopathischer Konstitution. Er will alle seine Wünsche befriedigt haben, ohne an die Folgen zu denken. Ein relativ unbedeutender Anlaß sei für ihn die Ursache gewesen, einen schweren Selbstmordversuch[199] zu begehen. Er sei nicht imstande, eine geordnete Tätigkeit dauernd zu leisten und sehe niemals ein, daß die Schuld an ihm liege. In seinem ganzen Leben prägt sich die Haltlosigkeit und die Unfähigkeit, sich zu konzentrieren, aus. Seine Straftaten tragen alle den Stempel seiner abnormen Persönlichkeit. Bei seiner ganzen Veranlagung erscheint es glaubhaft, er ist fest davon überzeugt, daß das Zustandekommen seiner Heirat nur von ihm abhängig sei. Als aus der Heirat nichts wurde, kehrte er wieder zu der früher angewandten Methode des Gelderwerbes zurück. Der Angeklagte ist leichtgläubig und hat die Tendenz, alles für sich in günstigem Lichte zu sehen. Alles in allem hat man es mit einer wohl erblichen psychopathischen Konstitution zu tun, zu der sich vielleicht ein leichter Schwachsinn gesellt hat. Zu der leichten Erregbarkeit des Angeklagten kommt eine sogenannte ethische Verkümmerung, die auf falsche Erziehung zurückzuführen ist. Das Gutachten des Sachverständigen ging zum Schluß dahin, daß § 51 auf den Angeklagten nicht anzuwenden sei, daß aber doch wegen seiner ganzen Veranlagung die unter Anklage stehenden Handlungen anders zu bewerten seien, als bei ganz gesunden Menschen.
Als der Sachverständige auf die in den Akten befindlichen Mitteilungen des Vaters zurückkommen wollte, protestierte der Angeklagte energisch und rief: »Was mein Vater gesagt hat, ist alles erlogen, erlogen, erlogen!«
Vors.: Schön ist es nicht, daß Sie so von Ihrem Vater sprechen.
Angeklagter: Ich kann leider nicht anders. Wenn ich ihm eine Millionärin gebracht hätte, wäre es ihm gewiß recht gewesen. Weil meine Frau keine Millionen hat, ist sie ihm nicht genehm. Aber eine große künstlerische Kraft hat doch ebensoviel Wert wie die Millionen!
R.-A. Dr. Alsberg: Wenn Sie die Differenzen, die der Angeklagte mit seinem Vater gehabt hat, vom psychologischen Standpunkt aus betrachten, meinen Sie nicht, daß diese Vorgänge auf ihn psychisch schädigend einwirken mußten?
Sachverst.: Hierauf kann ich nicht antworten, da ich die Dinge nur einseitig kenne und mir auch über die Persönlichkeit des Vaters nichts Näheres bekannt ist.
Es kam hierauf zur Sprache, ob der Selbstmordversuch, den[200] der Angeklagte im Alter von sechzehn Jahren unternommen hatte, darauf zurückzuführen war, daß er das Einjährigen-Examen nicht bestehen konnte.
Angeklagter: Das ist doch noch kein Grund zum Selbstmord. Mein Vater hatte mir Himmel und Hölle, Tod und Teufel angedroht, wenn ich nicht durch das Examen käme.
R.-A. Dr. Alsberg: Der Zeuge Meschede hat gestern bekundet, daß der Angeklagte in Bonn unter anderen Verhältnissen gelebt hat, wie seine Altersgenossen. Er hat nur fünf Mark Taschengeld bekommen, die anderen jungen Leute dagegen bis zu 300 Mark. Glaubt der Sachverständige, daß dies auch ein Moment ist, um in dem Angeklagten eine große Erregung auszulösen und die Differenzen mit seinem Vater ihm in einem übertriebenen Licht erscheinen zu lassen?
Dr. Forster: Allerdings würde ich es für einen Fehler erachten, wenn der Angeklagte in einem solchen Milieu mit einem so kleinen Taschengelde leben sollte.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist der Sachverständige der Ansicht, daß der Mangel an Verständnis und Liebe zu seiner Familie von Einfluß auf die Psyche des Angeklagten war, daß beispielsweise der Vater, nachdem ihm der Angeklagte aus dem Untersuchungsgefängnis in einem etwas schroffen Briefe Vorwürfe über seine Zeugnisverweigerung gemacht hat, dem Verteidiger schreibt, er würde keine Briefe mehr in Empfang nehmen und auch nicht die Selbstbeköstigung im Gefängnis ferner bezahlen. Würde es der Sachverständige für richtig halten, daß der Vater den Sohn in so jungen Jahren, nachdem er ihn in ein Irrenhaus gesteckt hatte, allein nach Amerika spedierte?
Dr. Forster: Das ist ganz gewiß nicht richtig und würde schädlich auf die Psyche des Angeklagten wirken.
R.-A. Dr. Alsberg: Sie betonen jedenfalls besonders, daß die mangelnde Liebe, die man ihm zu Hause entgegengebracht hat, auf seine Entwicklung von ungünstigem Einfluß war.
Dr. Forster: Die Erziehung war eine falsche.
R.-A. Dr. Alsberg: Hat Ihnen der Angeklagte erzählt, zählt, daß das Gutachten des Prof. Dr. Aschaffenburg unzutreffend sei, daß er ihn zu kurze Zeit beobachtet habe und daß er nicht für geisteskrank erklärt sein wolle.
Dr. Forster: Jawohl, das hat er mir gesagt.
Der Staatsanwalt kündigte hierauf an, daß er zu[201] Dienstag den Generalmajor a.D. Pauli und den Kriminalkommissar Krüger laden werde, um näheres über die Persönlichkeit des ersteren festzustellen, der mit so großer Sicherheit soviel Günstiges über den Angeklagten ausgesagt habe. »Es wird behauptet, daß Pauli gewerbsmäßiger Heirats- und Ordensvermittler und überhaupt nicht Generalmajor sei, während man geglaubt habe, es sei ein alter Offizier, auf den man die schuldige Rücksicht nehmen müsse.«
R.-A. Dr. Jaffé: Der alte Herr hatte doch die ganze Brust voll Orden und auch das Eiserne Kreuz. Es ist nicht einzusehen, warum gerade nach ihm weitere Nachforschungen gehalten werden sollen. Das Hauptkontingent der vom Staatsanwalt vorgeführten Zeugen besteht aus geisteskranken Verbrechern, Kupplerinnen, Kokotten und dergleichen, um deren Personalien wir uns doch auch nicht bemüht haben.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Dafür können wir nicht. Das ist doch das Milieu, in dem der Angeklagte lebte.
Am sechsten Verhandlungstage beantragte der Angeklagte, den Untersuchungsrichter, Landrichter Dr. Dreist, als Zeugen zu laden. Dieser soll Auskunft geben, was in der erwähnten Verfügung des Justizministers steht. Die Voruntersuchung ist nicht geschlossen, Landrichter Dr. Dreist hat vielmehr erklärt, daß er sie nicht schließen könne. Ich halte die Ladung für sehr notwendig, denn ich möchte hier nicht als Lügner und Denunziant erscheinen, der, um Reklame zu machen, die Richter ablehnt. Ich möchte beweisen, daß ich in meinem Innern durchaus der Meinung sein mußte, daß der Justizminister zu meinen Ungunsten in das Verfahren eingegriffen hat. Landrichter Dr. Dreist wird hier aussagen können, was er mir seinerzeit gesagt hat.
Staatsanw.-Rat Dr. Porzelt: Wir begegnen uns in dem Wunsche, daß diese Sache nach jeder Richtung aufgeklärt wird. Ich bitte also auch, Herrn Landrichter Dr. Dreist zu laden.
Angeklagter: Herr Landrichter Dr. Dreist hat mir gesagt, er wolle die Voruntersuchung schließen, könne es aber nicht infolge der Verfügung, die der Justizminister an den Landgerichtspräsidenten gerichtet hat zur Weitergabe an ihn selbst. Dadurch ist nach meiner Ansicht zu Unrecht in das Verfahren eingegriffen worden.
Der Gerichtshof[202] beschloß, Landrichter Dr. Dreist als Zeugen zu laden.
Zur Verhandlung gelangte hierauf folgender Anklagefall: gefall: Im März 1910 kam Graf Metternich zu dem Gärtner Riesbeck in der Neustädtischen Kirchstraße, bei dem er schon öfter kleine Bestellungen gemacht hatte. Er bestellte einen Rosenstrauß zum Preise von 50 Mark für eine Künstlerin, die im Kaiserhof wohnte. Er soll dabei gesagt haben, er kaufe sonst bei Bock, wo er einen Kredit von 200-300 Mark habe. Er werde aber dort überteuert. Die teuren Rosen, die die besten sein sollten, die es gab, wurden beschafft. Riesbeck hat später vergeblich versucht, Zahlung zu erhalten. Er mußte deshalb den Klageweg beschreiten. Erst im August 1911 ist Zahlung geleistet worden.
Der Angeklagte bestritt, sich eines Betruges schuldig gemacht zu haben. Er habe diese Bagatelle einfach vergessen.
Riesbeck: Er habe dem Angeklagten den Kredit gewährt, weil er sich überzeugt hatte, daß es sich wirklich um den Grafen Metternich handelte.
Direktor des Esplanade-Hotels Frey bekundete: Der Angeklagte hat im Esplanade-Hotel verkehrt und Essen und Trinken stets bezahlt. Einmal habe ich ihm ein Darlehen von ca. 100 Mark, das ich wiedererhalten habe, gegeben. Der Graf erzählte dabei, daß er reich heiraten werde. Eines Abends kam er wieder und wollte von neuem Geld von mir leihen; ich lehnte das aber ab. Dann kam er und gab mir einen Scheck, auf den ich ihm 100 Mark lieh. Nach drei Tagen kam der Scheck zurück, weil keine Deckung vorhanden sei. Auf Vorhalt und Drohung mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte die Deckung besorgt und den Scheck zurückerhalten. Der Zeuge bekundete weiter: Metternich habe stets von seiner Mittellosigkeit gesprochen und ihm erzählt, daß er nur 30 Mark monatlich von seinem Vater erhalte, er denke aber, Schwiegersohn der Wertheims zu werden. Er hat den Angeklagten mehrfach mit Wertheims gesehen.
Angeklagter: Sie haben in der vorigen Verhandlung bekundet, daß ich sogar Kellner angepumpt hätte. Ich möchte bitten, daß mir diese Kellner namhaft gemacht werden.
Zeuge: Ein Oberkellner wird bekunden, daß Sie ihn angepumpt haben.
Angeklagter: Ich wußte nicht, daß dies ein[203] Kellner war, ich habe den Betreffenden stets für den Hotelmanager gehalten. Außerdem will ich, wenn es darauf ankommen sollte, die Namen von Offizieren der Gardekürassiere, Gardeulanen, Gardehusaren nennen, die im Esplanade- und im Monopol-Hotel die Kellner angepumpt haben, wenn sie vom Rennen kamen und beim Jeu saßen. Im Esplanade-Hotel wird auch gejeut.
Zeuge: Das muß ich bestreiten.
R.-A. Dr. Jaffé: Es ist uns ja aus dem Harmlosenprozeß prozeß zur Genüge bekannt, daß Offiziere Kellner anborgen.
Als Zeuge wurde darauf Generalmajor a.D. Pauli aufgerufen. Der alte Herr erschien wieder mit einer großen Reihe von Orden und Ehrenzeichen geschmückt und wurde von einer Pflegerin, die ihn stützte, nach einem Stuhl vor dem Richtertisch geleitet.
Vors.: Es hat sich die Notwendigkeit ergeben, Sie noch über einige Punkte zu befragen.
Zeuge (mit erhobener Stimme): Ich möchte recht viel hier reden, denn ich bin in der schmachvollsten Weise angegriffen und beleidigt worden, und zwar vom Staatsanwalt, demselben Herrn, der schon einmal den Grafen einen gemeinen Betrüger genannt hat. Er glaubt wohl, mit mir ebenso verfahren zu können. Das gibt es nicht.
Vors.: Sie haben hier nicht in solchem Ton zum Gericht zu reden. Wieweit haben Sie die Berechtigung, Rang und Titel eines Generalmajors zu führen? Wollen Sie darüber Auskunft geben?
Zeuge: Na, warum denn nicht? Können wir ja machen! Hier liegen alle meine Patente vor mir und hier sind meine Orden und Ehrenzeichen.
Vors.: Ich frage Sie nochmals: Sind Sie preußischer Generalmajor?
Zeuge: Nein. Habe ich auch noch nie behauptet. Ich bin Major a.D., Stabsoffizier, das ist ungefähr ein Unterschied, wie zwischen einem Referendar und einem Kammergerichtsrat. Wenn sich der Staatsanwalt statt an den Kommissar Krüger an die richtige Auskunftsstelle, das Kriegsministerium, gewendet hätte, dann würde er die richtige Auskunft erhalten haben. Ich habe als preußischer Offizier den Krieg 1870/71 mitgemacht, habe das Eiserne Kreuz zweiter Klasse erhalten und bin bis zum Major avanciert. Dann erhielt ich eine Mission nach China und ging dorthin mit zwölf Offizieren und fünf Unteroffizieren, um das[204] chinesische Militär zu reorganisieren. Ich wurde zum kais. chinesischen Generalmajor ernannt und erhielt zwei hohe Orden. Später ging ich nach Peru und habe als Generalstabsoffizier mitgewirkt, die Revolution niederzuschlagen. Bei meiner Abreise wurde ich zum Generaloberst der Republik Peru befördert. Auch den Titel eines Generalmajors der Republik Honduras trage ich. Ich habe hier in Deutschland bei allen offiziellen Gelegenheiten niemals den Titel Generalmajor geführt. Hier überreiche ich zum Beweise dessen eine Schrift ... Vors. (unterbrechend): Das interessiert das Gericht nicht.
Zeuge (lebhaft): Aber was darauf steht, muß Sie interessieren.
Vors.: Was das Gericht interessiert, haben Sie nicht zu bestimmen. Ich muß Sie nochmals auffordern, hier vor Gericht einen angemessenen Ton anzuschlagen. Es tut mir leid, einem alten Herrn diese Vorhaltungen machen zu müssen.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Nach der eingeholten Auskunft des peruanischen Generalkonsuls ist ein Mann, namens Pauli, seinerzeit als mittelloser Offizier nach Peru gekommen, hat sich des Verrats gegen den Präsidenten und seinen Kriegsherrn schuldig gemacht und hat dem General noch sein bestes Pferd gestohlen. (Heiterkeit.) Der Staatsanwalt verlas die dahingehende Auskunft des Generalkonsuls, er wurde aber von den Rechtsanwälten Dr. Jaffé und Dr. Alsberg sehr lebhaft unterbrochen: Der Staatsanwalt müsse doch wohl selbst wissen, daß eine Verlesung solcher Privatäußerungen nicht zulässig sei. Eventuell werde beantragt, den Generalkonsul als Zeugen zu laden.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Wenn R.-A. Dr. Jaffé ganze Stellen aus Briefen der Frau Dolly Landsberger vorliest, wird es mir doch gestattet sein, kurz das vorzutragen, was in der Auskunft steht.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich habe nur dem Staatsanwalt Schwickerath einige Stellen vorgehalten und gefragt, ob er sich solcher Stellen erinnert.
Zeuge Pauli: Ich habe die Konsulate im Auslande kennengelernt; sie sind verächtlich, sie sagen nicht die Wahrheit. Auch hier in diesem Falle ist nicht die Wahrheit gesagt worden.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Der Zeuge hat hier mit großem Nachdruck gesagt, er würde dem Grafen Metternich jede Summe geborgt haben. Hat der Zeuge überhaupt Mittel?
[205] Zeuge: Sie müssen fragen: Hatten Sie Mittel vor drei Jahren? (Sehr laut): Ich habe inzwischen 108000 Mark verloren, ich bin wie so viele andere beschwindelt und ausgenutzt worden.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Haben Sie nicht schon den Offenbarungseid geleistet?
Zeuge: Herrgott, warum denn nicht? (Heiterkeit.)
Vors.: Haben Sie also 1904 den Offenbarungseid geleistet?
Zeuge: Ja.
Vors.: Dann können Sie doch auch nicht sagen, daß Sie dem Angeklagten jede Summe zur Verfügung gestellt hätten.
Zeuge: Damals hatte ich Geld; wenn ich es noch hätte, würde ich es ihm unbedingt zur Verfügung stellen, damit er endlich aus der Haft herauskommt und nicht wahnsinnig wird.
R.-A. Dr. Jaffé: Der Zeuge kann doch viele Orden und Ehrenzeichen vorweisen.
Zeuge: Sehen Sie sich die Orden an! Das sind doch keine Kotillonorden!
Staatsanw.-Rat Porzelt: Sie vermitteln gegen Geld Orden?
Zeuge: Gott bewahre! Das haben Sie wohl geträumt?
Vors.: Das verneinen Sie unter Ihrem Eide?
Zeuge: Haben Sie mich schon vereidigt?
Vors.: Sie sind schon einmal vereidigt worden und werden nachher nochmals den Eid leisten müssen.
Zeuge: Ich habe mit solchen Sachen noch nie Geld verdient. Haben Sie denn ein Gesetz, welches verbietet, daß man jemand aus Freundschaft Titel und Orden besorgt? Fragen Sie mich nicht so! Ich kann machen, was ich will.
R.-A. Dr. Jaffé: Nachdem der Staatsanwalt am Sonnabend schon einmal den Zeugen, der dem Angeklagten günstig war, in seiner Glaubwürdigkeit herabzumindern versuchte und dies heute wiederholt, beantragen wir, noch folgende Zeugen zu laden: 1. den Oberhofmeister der Kaiserin, Exzellenz Graf Mirbach zu Berlin, 2. Landrat a.D. Kammerherrn von Roell zu Berlin, 3. den Geheimen Hofrat René zu Berlin. Diese drei Herren sollen als Zeugen und Sachverständige bekunden, daß es in den Kreisen der hohen und höchsten Gesellschaft absolut nicht als ehrenrührig oder herabsetzend angesehen wird, wenn jemand seine Beziehungen zu Fürstlichkeiten, Regierungen oder anderen einflußreichen Stellen und auch Behörden dazu benutzt, dritten Personen, die sich darum bemühen, Orden, Ehrenzeichen, Titel, Standeserhöhungen oder sonstige derartige[206] Auszeichnungen zu erhalten, mit ihren Beziehungen in Verbindung zu bringen, um diesen Zweck zu erreichen. Der Staatsanwalt hat hier wieder Ausdrücke gegen den Angeklagten und die Verteidigung benutzt, die entschieden zurückgewiesen werden müssen. Wir verdrehen und verschieben nichts! Wenn die Verteidiger versuchten, etwas über die Kokotte Gustke vorzubringen, so wehrt sich der Staatsanwalt stets mit aller Energie dagegen. Wir haben nicht daran gedacht, den Lebenslauf dieser und anderer Damen bis ins kleinste aufzudecken; aber wenn hier ein Zeuge kommt und für den Angeklagten aussagt, so wird Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um diesen Zeugen möglichst auszuschalten.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Es werden hier immer Vergleiche mit meinem Verhalten gegenüber der Gustke angestellt. Das ist nicht zutreffend. Wir wissen alle was die Gustke ist; das ist niemals bestritten worden. Ich habe mich nur dagegen gewendet, daß versucht worden ist, diese Zeugin fernzuhalten. Ich habe auch niemals gesagt, Frau Wertheim ist eine vorzügliche Zeugin. Ich habe mich jeden Urteils enthalten, ich habe nur dagegen protestiert, daß gegen diese Zeugin hier vorgegangen wird, obwohl sie sich nicht wehren kann. Was diesen Zeugen betrifft, so trat er hier so großartig auf, daß man annehmen mußte, es handle sich um einen alten Generalmajor. Daß ich gegen einen solchen Zeugen Gegenbeweise bringe, ist mein Recht. Ich wollte zeigen, wie die Zeugen der Verteidigung beschaffen sind. Das wird auch sonst noch geschehen.
R.-A. Dr. Alsberg: Ich stelle fest, daß der Herr Staatsanwalt gegenüber der Verteidigung Ausdrücke wie »Gebaren«, »umdrehen« usw. gebraucht hat, ohne daß das Gericht es für nötig erachtet hat, einzugreifen. Das ist bezeichnend für den geringen Schutz, den wir bei dem Gerichtshof finden. Was nun die Ausführungen angeht, mit denen der Staatsanwalt sein Verhalten gegenüber dem Zeugen rechtfertigen will, so berühren sie den Kern der Dinge nicht. Dieser Kern ist folgender: Wenn hier ein Entlastungszeuge auftritt, so bemüht sich der Staatsanwalt, in der minutiösesten Weise der Vergangenheit des Zeugen bis in die entferntesten Winkel nachzuspüren. Wenn aber ein Belastungszeuge erscheint,[207] so wird er von der Staatsanwaltschaft höchst liebevoll in Watte gewickelt. Seiner Vergangenheit spürt man nicht nach! Und wenn der Herr Staatsanwalt etwas über einen Belastungszeugen erfährt, so bringt er es nicht vor. So geht die Staatsanwaltschaft vor, welche sich herausnimmt, hier von einem »Verdrehen« in bezug auf die Verteidigung zu reden. Die Verteidigung hat nicht die Mittel, dem Vorleben eines Zeugen nachzuspüren. In dem einen Falle, in dem sie es, soweit es ihr möglich war, getan hat, im Falle Wertheim, ist sie dazu dadurch genötigt worden, daß der Vertreter der Staatsanwaltschaft in der vorigen Verhandlung diese Zeugin als »vorzügliche« bezeichnet hat. Und das Gericht hat damals versagt, weil die Zeugin in der vorigen Verhandlung so dastand, daß die gegen sie gerichteten Angriffe unbegreiflich erscheinen.
Vors.: Ich würde eingegriffen haben, wenn ich glaubte, Veranlassung dazu zu haben. Das war nicht der Fall.
R.-A. Dr. Alsberg: Das ist bedauerlich genug!
R.-A. Dr. Jaffé: Der Herr Staatsanwalt bringt hier auch jetzt noch fortgesetzt Dinge vor, von denen er sich längst aus den Akten hätte überzeugen können, daß sie unrichtig sind. Er hat es trotzdem nicht für nötig gehalten, zu revozieren und sich mir gegenüber zu entschuldigen. Der Herr Staatsanwalt hat es vielmehr gewagt, mir noch mit Konsequenzen zu drohen, die sich vor der Anwaltskammer einstellen würden. Ich habe es unterlassen, ihm mit Konsequenzen zu drohen, die sein Verhalten vor der Oberstaatsanwaltschaft haben werden. Ich muß sagen, daß dieser Prozeß und die darin geübte Behandlung der Verteidigung so unglaublich erscheint, daß es wirklich Zeit ist, wenn bei der Strafprozeßreform Mittel und Wege geschaffen werden, welche es unmöglich machen, daß sich die Verteidigung eine derartig ungehörige Behandlung, handlung, die mit aller Schärfe zurückgewiesen wird, gefallen lassen muß.
Angeklagter Graf Metternich (erregt): Der Staatsanwalt hat wiederholt den Ausdruck »absurd« gebraucht. Wenn ich hier sagen würde, die Anträge des Staatsanwalts sind absurd, würde ich wahrscheinlich mit drei Tagen Haft bedacht werden. Ist denn der Staatsanwalt mehr wie der Verteidiger, nur weil er Beamter ist und der Verteidiger nicht?[208] (Im Zuhörerraum wurden vereinzelte Bravo-Rufe laut.) Der Vorsitzende verbot nochmals jegliche Kundgebungen mit der Androhung, im Wiederholungsfalle den Saal räumen zu lassen.
Der Zeuge Pauli erklärte ziemlich unvermittelt: Ich werde Strafantrag gegen denjenigen stellen, der das in die Zeitungen eingesetzt hat. Ich werde ihn verklagen wegen Beleidigung, Ehrenkränkung und Verleumdung. Sie haben mich in meinem Berufe und in meiner Existenz geschädigt, das ganze Gericht hat es getan, ich werde Sie alle auf Schadenersatz verklagen.
Vors.: Wir haben doch nichts mit den Artikeln in der Presse zu tun, da müssen Sie sich schon an den Verfasser und den verantwortlichen Redakteur wenden.
Zeuge Pauli (zum Vorsitzenden): Sie haben das doch alles hier vorgebracht, Sie sind also dafür verantwortlich.
Hierauf wurde Untersuchungsrichter Landrichter Dr. Dreist als Zeuge vernommen.
Vors.: Der Angeklagte behauptet, daß Sie von dem Justizminister die Anweisung erhalten hätten, die Voruntersuchung gegen den Angeklagten, soweit er in der Stallmann-Affäre in Frage kommt, noch nicht zu schließen?
Zeuge: Eine derartige Verfügung ist nicht ergangen, es ist dies völlig ausgeschlossen. Ich selbst habe seinerzeit, als ich die Fälle des Kreditbetruges genügend aufgeklärt, dagegen die Falschspielfälle für nicht aufgeklärt hielt, diese Verfahren voneinander getrennt. Als ich seinerzeit die Nachricht erhielt, daß der »Baron Korff-König« alias Stallmann in Kalkutta festgenommen sei, habe ich zu dem Angeklagten geäußert, ich werde, sobald ich die amtliche Nachricht erhalte, daß Stallmann nicht ausgeliefert werde, sofort die Voruntersuchung schließen. Als ich dann die amtliche Nachricht erhielt, Stallmann werde nicht ausgeliefert, ließ sich bald darauf der Angeklagte vorführen und erinnerte mich an jenes Versprechen. Ich äußerte in verbindlicher Form, daß es mir leid tue, augenblicklich nicht die Voruntersuchung schließen zu können, da ich auf Grund eines Ersuchens des Justizministers erst noch weitere Maßregeln vorzunehmen hätte. Ich hatte gar keine Bedenken, dies dem Angeklagten mitzuteilen, außerdem konnten die Verteidiger jeden Augenblick Einsicht in die Akten nehmen.
Vors.: Eine direkte Anweisung,[209] die Voruntersuchung nicht zu schließen, haben Sie also nicht erhalten?
Zeuge: Nein. Der Herr Justizminister hatte keinerlei Kenntnis über den ganzen Stand der Sache; er konnte gar nicht wissen, ob ich die Absicht hatte, die Voruntersuchung zu schließen oder nicht. Der Herr Justizminister konnte also auch gar nicht eine Anweisung geben, die Voruntersuchung nicht zu schließen. In den gesamten Akten befindet sich kein Schriftstück, welches eine von dem Justizminister ausgehende Anweisung, die von ihm unterschrieben ist, enthält. Die vorliegende Angelegenheit ist nach keiner Richtung hin anders behandelt worden, als jede andere Auslieferungssache, in denen diplomatische Verhandlungen mit Hilfe des Justizministers und des Auswärtigen Amts notwendig sind.
Auf Antrag des Angeklagten wurde hierauf die Anweisung verlesen unter Weglassung der Orte und Namen, da deren Bekanntgabe, wie der Untersuchungsrichter erklärte, die Verfolgung des Stallmann sehr erschweren würde.
Staatsanw.-Rat Porzelt (zu Landrichter Dr. Dreist): Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß der Angeklagte während der Untersuchungshaft Versuche unternommen hat, Zeugen zu beeinflussen?
Zeuge: Jawohl, diese Sache liegt sehr weit zurück. Ich besinne mich, daß der Angeklagte, während er sich in der Charité befand, Versuche gemacht hat, Briefe an seine Ehefrau meiner Kenntnis zu entziehen. Er soll die Briefe durch einen Charitéwärter und die Verwandte eines anderen Patienten hinausgeschmuggelt haben.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Ist Ihnen bekannt, daß der Angeklagte in einem dieser Briefe seine Frau ersucht hat, nichts davon zu erwähnen, daß er es gewußt habe, daß sie Geld von einem gewissen Herzfelder, mit dem sie...
Angeklagter (höchst erregt, dazwischenrufend): Das ist nicht wahr, das ist eine ganz gemeine Lüge!
Vors.: Wir wollen doch auf diese Sache hier nicht näher eingehen. Allem Anschein nach wollte der Angeklagte, daß seine Ehefrau nichts aussagen sollte, was den Verdacht der Geisteskrankheit aufkommen lassen könnte.
Angeklagter: Jawohl, nur das wollte ich, nichts anderes. Ich habe damit die Zeugin nicht günstig, sondern ungünstig für mich beeinflussen wollen.
Kriminalkommissar Krüger:[210] Meine Aussage setzt sich zusammen 1. aus den Angaben, die der Zeuge Pauli mir selbst gemacht hat, 2. aus persönlichen Feststellungen, 3. aus Feststellungen aus anderen Akten. Als ich Pauli 1908 in einer anderen Sache vernahm, nahm, ergab sich, daß er nicht über großes Vermögen verfügte und außerstande war, Geld zu verleihen. Es handelte sich damals um Vermittlung von Titeln, Orden und Würden. Im Adreßbuch von 1911 steht er als »Generalmajor a.D.«, ohne jeden erläuternden Zusatz verzeichnet. Gelegentlich einer Durchsuchung, die vor einigen Monaten in einer Hannoverschen Sache bei dem Zeugen vorgenommen wurde, wurden Briefe und Papiere gefunden, aus denen sich ergab, daß der Zeuge in großem Umfange sich mit der Vermittlung von Orden, Titeln und Würden beschäftigte, nicht nur in Berlin, sondern auch in München. Dort schwebte eine derartige Sache, bei der sich der Angeklagte an die Fürstin v. Lieffen, die die Heiratsvermittlerin Anna Wolff ist, gewendet hatte.
Staatsanwalt: Ich wollte nur beweisen, daß der Zeuge nicht Generalmajor, sondern nur Major a.D. ist und sich mit Ordens- und Heiratsvermittlungen beschäftigt.
Zeuge Pauli: Ich habe für Titel und Heiratssachen niemals einen Pfennig erhalten, das kann ich beschwören.
Vors.: Sie haben sich doch aber Geld versprechen lassen und Sie behaupten, niemals etwas bekommen zu haben?
Zeuge: I, Gott bewahre.
R.-A. Dr. Alsberg: Ist es denn eine Schande, wenn man preußischer Major a.D. ist und wenn man, um sein Leben zu fristen, im Nebenamt etwas tut, was Persönlichkeiten machen, die sich in den höchsten Stellungen befinden. Wenn diese Persönlichkeiten auch zumeist kein Geld dafür nehmen, so haben sie doch in anderer Form Vorteil davon. Daß man diesen Zeugen, weil er Orden verschafft haben soll, der Unglaubwürdigkeit zeiht, ist bezeichnend für die Art, wie die Zeugen der Verteidigung hier behandelt werden.
Zeuge Pauli: Ich könnte viele hochstehende Personen nennen, die auch Titel und Orden vermitteln, wenn die Betreffenden Geld für wohltätige Zwecke geben.
Staatsanwalt: Ich wiederhole, es kam mir nur darauf an, das Ansehen und die Stellung des Zeugen in das rechte Licht zu setzen.
Zeuge Pauli[211] (sehr erregt) schrie: Wer hat Ihnen das alles gesagt? Das ist eine Lüge. Das sind ja Redensarten. Zu mir kommen viele Leute, die etwas wollen.
Vors.: Können Sie beschwören, daß Sie für Ordens- und Heiratsvermittlungen niemals Geld erhalten haben?
Zeuge: Was soll ich schwören? Das gehört ja gar nicht zur Sache.
Vors.: Sie haben nicht darüber zu befinden, was zur Sache gehört.
Zeuge: Ich habe nie Geld genommen; versprochen hat man mir viel, aber nicht gehalten.
Staatsanwalt: Es wird behauptet, daß der Zeuge Pauli alles versetzt hat, bis auf das, was er am Leibe trägt.
Die Pflegerin des Zeugen rief empört dazwischen: Das ist nicht wahr!
R.-A. Dr. Jaffé: Ich stelle fest, daß gegen Entlastungszeugen alles mögliche vorgebracht wird, nicht aber gegen Belastungszeugen.
Vors.: Ich bitte, solche Insinuationen zu unterlassen.
R.-A. Dr. Jaffé: Ist es dem Zeugen, Kriminalkommissar Krüger, bekannt, daß Leute, wie der Duc de la Chatre oft große Blender sind? Ist es richtig, daß dieser Herr Mitglied des Travellerklubs war, und daß dieser Klub ein solches Ansehen genießt, daß der Kaiser diesem Klub ein Begrüßungstelegramm gesandt hat?
Zeuge Kriminalkommissar Krüger: Das ist mir bekannt.
R.-A. Dr. Alsberg: Es gelang also dem genannten Herrn, die hohen Herren so zu täuschen, daß er selbst Mitbegründer des Klubs werden konnte.
Der Staatsanwalt kam alsdann auf die Bemerkung des Angeklagten zurück, daß ihm der Falschspieler, Baron von Korff-König, alias Stallmann, von einem Gardeoffizier im Königlichen Schloß vorgestellt worden sei. Aus einer Auskunft des Kgl. Oberhofmarschallamts und des Oberzeremonienmeisters sei zu ersehen, daß der Angeklagte nicht auf der Liste der zu den Hoffestlichkeiten einzuladenden Persönlichkeiten stehe.
Angeklagter: Das habe ich gar nicht behauptet. Ich habe einen Gardeoffizier der Schloßwache besucht, darauf bezog sich meine Bemerkung.
Staatsanwalt: Da könnte ja jeder, der 50 Pf. für Besichtigung des Königlichen Schlosses erlegt, sagen: Es ist mir dieser und jener im Königlichen Schloß vorgestellt worden.
Angeklagter: Bei mir ist es doch etwas anderes, als mit irgendeinem Müller oder Schulze. Es wäre mir ein leichtes gewesen,[212] Einladungen zu den Hoffestlichkeiten zu erhalten; ich habe aber darauf verzichtet, weil ich keine Lust empfand, im Königlichen Schloß drei Stunden herumzustehen und zu dienern.
R.-A. Dr. Jaffé: Kann der Zeuge, Kriminalkommissar Krüger, bestätigen, daß Automobilgeschäfte, wie ein solches dem Angeklagten zur Last gelegt wird, bei Kavalieren gang und gäbe sind?
Kriminalkommissar Krüger: Jawohl. Früher machten geldbedürftige sogenannte Kavaliere derartige Geschäfte mit Pferden und Wagen, heute verschaffen sie sich durch Lombardierung von Automobilen Geld.
Staatsanwalt: Herr Zeuge Pauli, wären Sie überhaupt in der Lage gewesen, dem Angeklagten Geld zu leihen?
Zeuge: Ich bitte, mich doch zu entlassen, ich halte es nicht mehr aus. Der Staatsanwalt erzählt immer Sachen, von denen er keine Ahnung hat.
Staatsanwalt: Ich beantrage gegen den Zeugen Pauli, der gegen mich den Vorwurf der Lüge erhoben hat, eine Ungebührstrafe von 50 Mark.
Vors.: Herr Zeuge, wollen Sie sich wegen des Ausdrucks »Lüge« entschuldigen?
Zeuge Pauli: Na, dann sage ich »Unwahrheit«. (Heiterkeit.)
R.-A. Dr. Jaffé: Ich stelle fest, daß die Befragung nach den finanziellen Verhältnissen der Frau Wertheim der Verteidigung abgelehnt worden war.
Angeklagter: Das wollen unparteiische Richter sein! Das ist preußische Gerechtigkeit. Die Anträge der Verteidigung werden immer abgelehnt, die des Staatsanwalts aber angenommen!
Nach kurzer Beratung beschloß der Gerichtshof, die Anträge der Verteidigung auf Ladung der Herren v. Mirbach, René usw. abzulehnen. Gegen den Zeugen Pauli wird eine Ungebührstrafe von 24 Stunden Haft festgesetzt. Diese soll vorläufig nicht vollstreckt werden.
Zeuge Pauli: Wofür soll ich denn bestraft werden? Wollen Sie das zurücknehmen was in der Zeitung stand? Ich verurteile Sie dafür zu 1500 Mark Geldstrafe.
(Zeuge Pauli verließ empört den Saal.) Das Gericht hat ferner beschlossen, den Angeklagten wegen seiner Äußerung: »Das wollen unparteiische Richter sein,« da er Untersuchungsgefangener ist, in eine Disziplinarstrafe von Kostbeschränkung auf Wasser und Brot auf 48 Stunden zu nehmen.
Angeklagter (mit erhobener Stimme): Meinetwegen 100 Stunden[213] Wasser und Brot, meinetwegen auch Kopf ab! Die Richter sind von mir moralisch gerichtet, die Öffentlichkeit wird mir recht geben. Alles kann man in Preußen denn doch noch nicht knechten. Im übrigen will ich jetzt essen und verlange eine Pause.
Es folgte eine kurze Mittagspause.
In der Nachmittagssitzung erbat sich der Angeklagte das Wort zu folgender Erklärung: Ich protestiere gegen die 48 Stunden Disziplinarstrafe. Das Gericht hat nur das Recht, entweder eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe zu verhängen. Ich habe die Bemerkung »das wollen unparteiische Richter sein«, lediglich zu meinem Anwalt getan. Ich werde doch wohl meinem Anwalt noch meine innere Überzeugung ausdrücken können.
Vors.: Ich habe selbst jene Äußerung gehört. Außerdem ßerdem will ich Ihnen mitteilen, daß Ihnen gegen die Verhängung der Ordnungsstrafe das Beschwerderecht zusteht.
R.-A. Dr. Alsberg: Ich bitte den Gerichtshof, mir mitteilen zu wollen, auf Grund welchen Gesetzes das Gericht die Strafe verhängt hat. Nach § 179 der Gerichtsverfassung ist das Gericht nicht befugt, eine derartige Strafe zu verhängen. Der Angeklagte hat jene Äußerung als Angeklagter in der Sitzung getan und nicht als Untersuchungsgefangener.
Vors.: Das Gericht verweist nochmals auf den Weg der Beschwerde.
R.-A. Dr. Alsberg: Wenn das Gericht die Ordnungsstrafe in der Sitzung erläßt, dann muß es auch eine Beweisaufnahme hierüber zulassen. Ich beantrage deshalb, den anwesenden Oberarzt Dr. Forster zu vernehmen, daß der Angeklagte, wenn er in Erregung gerät, Sachen sagt, über deren Tragweite er sich nicht im geringsten klar ist.
Vors.: Das Gericht lehnt auch diesen Antrag ab und verweist nochmals auf den Weg der Beschwerde.
Angeklagter (halblaut): Natürlich, abgelehnt, das konnte ich vorher sagen, das ist auch eine Gerechtigkeit!
Hierauf wurde Oberleutnant von Fetter als Zeuge vernommen. Er entschuldigte sich, daß er nicht in Uniform erscheine, und gab als Grund an, daß ihn erst gestern abend die telegraphische Vorladung erreicht habe und er in aller Eile von Mainz hierher habe eilen müssen.
Staatsanw.-Rat. Porzelt (zum Zeugen): Sie haben hier bekundet, daß Sie nicht die Absicht gehabt haben, Frau Dolly Landsberger[214] zu heiraten, daß Sie dies auch zu erkennen gegeben und dem Angeklagten erklärt haben, Sie hätten nicht die Absicht, Frau Dolly zu heiraten. Nach dem neuesten, auch Ihnen wohl bekannten Zeitungsartikel mit Behauptungen des Herrn Wolff Wertheim scheint es mir doch so, als ob Sie Ihre Aussage in einigen Punkten wesentlich abändern müßten. Das bezieht sich beispielsweise auch auf Ihre Angabe über die Ihnen geschenkte Tabatiere. Ich habe den Eindruck, daß Sie doch recht wesentliche Punkte bei Ihrer Aussage verschwiegen haben. Wie oft sind Sie bei Wertheims gewesen? War es nicht täglich zwei- bis dreimal?
Zeuge: Ich bin recht oft dagewesen.
Staatsanw.-Rat Porzelt: War nicht Ihr Verkehr dort recht intim?
Zeuge: Ich glaube wohl, bei der Tochter hat die Meinung geherrscht, daß ich als Bewerber im Hause verkehrte, aber ich glaube, daß dies nur auf die Mutter zurückzuführen war, die das Bestreben hatte, das Kind, welches krank war, zu beruhigen.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Haben Sie nicht eine monatliche natliche Rente von Frau Wertheim bezogen?
Zeuge: Nein, nur ein Darlehen, bezüglich dessen ich noch vor nicht langer Zeit einen rein geschäftlichen Brief von Frau Wertheim erhalten habe. Ich habe 3000 Mark und dann noch einige Raten zu 1000 Mark erhalten.
Vors.: Haben Sie nicht angenommen, daß diese Hingabe des Geldes mit bestimmtem Endziel geschehen sei? Gewöhnlich werden doch Wertheims keine Darlehen geben.
Zeuge: Ich glaube, es damit erklären zu können, daß ich nach der Meinung der Mutter einen guten Einfluß auf das Kind hatte.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Haben Sie sich nicht mit Frau Dolly Landsberger geduzt und ihr in Briefen Kosenamen beigelegt?
Zeuge: Nicht ich habe ihr, sondern sie hat mir Kosenamen beigelegt.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Sie haben doch auch sehr wertvolle Geschenke erhalten, beispielsweise einen Pelz, eine Krawattennadel u. dgl.
Zeuge: Ich kann, wie gesagt, nur annehmen, daß alles dies mit Rücksicht auf den leidenden Zustand der Tochter geschah.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Haben Sie nicht bei Ihrer Übersiedlung nach Mainz die Wohnungsausstattung auch noch aus deren Kaufhause übernommen?
Zeuge: Nein.
Es kam noch zur Sprache,[215] daß der Zeuge kaufmännischen Unterricht genommen habe. Er erklärte das damit, daß er das auch schon früher getan habe, da er auf seinen Reisen im Auslande gefunden habe, daß er in dieser Beziehung eine Lücke ausfüllen müßte. Auf wiederholten Vorhalt erklärte der Zeuge nochmals: Er habe nicht die Absicht gehabt. Frau Dolly zu heiraten, die Tochter mag vielleicht dieser Meinung gewesen sein, und diese Meinung dürfte durch Frau Wertheim genährt worden sein, obgleich diese aus einer Unterredung mit ihm das Gegenteil entnommen haben mußte.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Warum haben Sie dies alles bei Ihrer Vernehmung nicht gesagt?
Zeuge: Meine Aussage habe ich gemacht, so wie ich gefragt worden war, und wie ich es zur Aufklärung der Stellung des Angeklagten im Hause Wertheim für genügend erachtete.
Der Angeklagte betonte nochmals, daß der Zeuge ihm von alledem nichts mitgeteilt habe. Er habe annehmen müssen, daß er (Angeklagter) der einzige Bewerber sei, und finde es komisch, daß neben ihm noch zwei oder drei Bewerber bis 2 Uhr nachts mit Frau Dolly allein zusammengeblieben waren.
Zeuge v. Fetter: Er habe der Frau Wertheim zwei-oder dreimal erklärt, daß er nicht heiraten wolle. Als Gerüchte über seine Verlobung laut wurden, habe er seinem Regimentskommandeur auch entsprechende Mitteilungen gemacht, ebenso anderen Leuten; auch habe er auf einem Ball Frau Dolly offensichtlich »geschnitten«. Er betone nochmals, daß er keine Rente, sondern nur ein Darlehen von Frau Wertheim erhalten habe.
R.-A. Dr. Alsberg: Er behaupte, daß andere Personen gleichfalls als Tafeldekorationen bei Wertheim gedient und Geld dafür bekommen haben. Mit dem jungen Thyssen sei man in gleicher Weise verfahren, wie mit dem Angeklagten, indem man ihn mit Geschenken überhäufte, weil man ihn gern als Schwiegersohn haben wollte.
Nach nochmaliger kurzer Vernehmung des Leutnants Rittweger und dessen Gattin über diesen Punkt verwies der Staatsanwalt auf ein Aktenstück, aus welchem hervorgehe, daß der Angeklagte Gerichtskosten zahlen sollte, und Amtsrichter Graf v.d. Schulenburg für ihn Schritte getan habe, um ihm kleine Ratenzahlungen zu bewilligen. Die Verteidiger[216] und der Angeklagte erwiderten, daß daran doch nichts Auffälliges sei. Der Angeklagte erklärte an der Hand einer Aufstellung, daß er an seine Lieferanten insgesamt 1956 Mark zurückgezahlt habe. Er habe auf die Wechsel 8300 Mark bar erhalten, auf diese habe er 4960 Mark bezahlt. Er habe also in dem einen Jahre nur etwa 3000 Mark für sich gebraucht. Hiervon habe er noch 900 Mark im Mai mit nach London genommen. Die Wechselleute haben ihn um 15000 Mark betrogen.
Staatsanw.-Rat Porzelt: Wie kommt es dann aber, daß immer nur ein Teil dieser Schulden bezahlt worden ist? Der Angeklagte spricht doch immer davon, daß seine Frau ein so hohes Einkommen wie die Zinsen eines Kapitals von zwei Millionen hat?
Angeklagter: Ich glaube, ich habe dies schon einmal erklärt. Der Advokat Mayr-Günther hat mir damals gesagt: »Seien Sie doch nicht verrückt, 20000 Mark zu zahlen, wenn Sie nur 8000 Mark bekommen haben.« Auch meine Frau sagte, es wäre ein Unsinn, das Geld so aus dem Fenster zu werfen. Es ist dann ein Arrangement mit den Gläubigern versucht worden. Als ich im Mai 1910 nach London fuhr, hatten die vierzehn Lieferanten noch 1863 Mark zu bekommen. Ich habe dann an Buchwald 2400 Mark geschickt, so daß er, wenn er alle Leute bezahlt hätte, noch 600 Mark hätte übrig haben müssen. Buchwald hat aber nichts bezahlt, und dies hat mich ja dann auch zu der Strafanzeige gegen ihn veranlaßt.
Vors.: Dann wären wir ja mit allem fertig. Sind noch irgendwelche Anträge zur Beweisaufnahme zu stellen oder noch nicht erledigt?
R.-A. Dr. Jaffé: Wir behalten uns eventuelle Anträge noch vor.
Am siebenten Verhandlungstage erbat sich das Wort Verteidiger R.-A. Dr. Alsberg: Ich möchte namens der Verteidigung eine kurze Erklärung abgeben. Man hat uns vorgeworfen, daß wir eine private Erklärung des Vorsitzenden bei der Ablehnung verwertet hätten, und daß wir unnötig in das Privatleben einer Zeugin eingedrungen wären. Was den ersten Punkt betrifft, so bemerke ich, daß wir aus der Konferenz mit dem Herrn Vorsitzenden lediglich der einen Punkt verwertet haben, in dem wir eine offizielle Erklärung über die Stellungnahme der Kammer zu unseren Beweisanträgen erblickt haben.[217] Der Vorsitzende wird uns zugeben müssen, daß wir von den vielen Dingen, die dabei privat gesprochen sind, auch nicht den kleinsten Punkt berührt haben. Was nun unser angebliches Eingehen auf das Privatleben von Zeugen angeht, so haben wir uns überhaupt nur mit der Zeugin Wertheim befaßt. Von dem reichen Material, welches uns über die Zeugin zugetragen wurde, haben wir lediglich einige Punkte verwertet, um beweisen zu können, daß Frau Wertheim, die den Angeklagten hier in der Verhandlung schwer angegriffen hat, auch sonst Personen zu Unrecht beschuldigt hat, vor allem aber, daß das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter nicht so war, daß Frau Wetheim dem Gericht authentisch über Heirats- und Nichtheiratsabsichten ihrer Tochter aussagen könnte. Der Staatsanwalt hat umgekehrt mit seinen reichen Mitteln dem Privatleben jedes Entlastungszeugen nachgespürt und hat dabei Dinge zur Sprache gebracht, die mit dem Beweisthema auch nicht das geringste zu tun haben.
Vors.: Bezüglich des zweiten Teils kann ich nichts sagen. Im übrigen habe ich nie behauptet, daß es eine private Unterhaltung zwischen mir und der Verteidigung gewesen sei, die gewissermaßen keinen Zweck hatte. Es war aber eine vertrauliche, nicht bindende Besprechung, die ich gehabt, und in dieser habe ich meine Ansicht, nicht die der Kammer ausgedrückt.
Es nahm alsdann das Wort zur Schuldfrage Staatsanwaltschaftsrat Dr. Porzelt: Ehe ich die einzelnen Fälle der Anklage erörtere, muß ich mich auf die ganze Prozeßgeschichte einlassen. Der Angeklagte stellt es immer so dar, als ob er nur in dieser Strafsache in Untersuchungshaft genommen worden sei, und als ob Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt würden, damit er verurteilt und somit verdeckt würde, daß man einen Grafen Metternich lange Zeit unschuldig in Haft gehalten habe. Nun ist aber festgestellt, daß die Sache, wegen derer der Angeklagte hauptsächlich in Untersuchungshaft sitzt, die Falschspielersache Stallmann ist, in welcher der Angeklagte doch eine verdächtige Rolle gespielt hat im Verkehr mit Leuten, wie Stallmann und dessen Genossen sind. Allein wegen dieser Sache sitzt er in Untersuchungshaft. Während dieser Haft kamen die Betrügereien,[218] um die es sich hier handelt, zum Vorschein. Der Untersuchungsrichter ließ sich zunächst die Zivilakten in den Fällen, in denen die Lieferanten Klage erhoben hatten, kommen, und aus diesen ergab sich dann diese Blütenlese betrügerischer Handlungen. Dieses ganze Strafverfahren spielt gegenüber der Hauptsache eine untergeordnete Rolle. Der Angeklagte kann sich nimmermehr darüber beklagen, daß er irgendwie ungerecht behandelt worden sei. Er steht der Justizverwaltung nicht anders gegenüber, wie irgendein anderer Sterblicher; er ist nicht besser und nicht schlechter wie jeder andere behandelt worden. Hierbei will ich zu der Klage des Angeklagten über seine Behandlung im Gefängnis betonen, daß er nicht deshalb disziplinarisch bestraft ist, weil er sich nicht vom Bett erhob, als der Oberaufseher kam, sondern, weil er sich dem Oberaufseher gegenüber unangemessen benommen hatte. Nach meiner Meinung hätte dieser Prozeß in ein oder zwei Tagen erledigt werden können; er bietet nichts Außergewöhnliches, es handelt sich um ganz banale Betrugshandlungen. Wenn dieser Prozeß so großes Aufsehen erregt, so ist dazu seitens der Behörde nichts geschehen. Aber der Angeklagte, der alle Veranlassung gehabt hätte, im Interesse seiner Familie und seines Namens alles Aufsehen zu vermeiden, hat alles getan, um fortgesetzt Tamtam in der Presse schlagen zu lassen. Trotz des so künstlich entfachten Aufsehens hätte sich dieser Prozeß wohl in dem gewöhnlichen Rahmen abgespielt, wenn nicht am ersten Tage der Verhandlung der seltsame Antrag auf Ablehnung des Gerichtshofes gekommen wäre. Ich muß diesen Antrag beleuchten, weil aus dessen Stellung doch der Schluß zu ziehen ist, daß der Angeklagte und seine Verteidiger einsahen, wie schlecht die Sache des Angeklagten stand. Schon die Stellung dieses Antrages erst in der Sitzung ist seltsam. Es ist doch gang und gäbe, daß vorher dem Gericht Gelegenheit gegeben wird, den behaupteten Sachverhalt sofort klarzustellen. Dies war um so mehr geboten, als es den Verteidigern bekannt war, daß weder dem Gericht noch mir die Akten in der Sache Stallmann bekannt waren. Aber das schadete nichts: die Sache sollte plötzlich, wie ein Blitz, in die Verhandlung hineinfahren,[219] und so wurden denn ganz maßlose, ungerechtfertigte Angriffe gegen die Justizverwaltung erhoben, Angriffe, wie sie wohl noch niemals vorgebracht worden sind. Keiner der vorgebrachten Gründe kann auch nur im geringsten durchschlagen. Wie es um die angebliche Anweisung des Justizministers, durch die eine Beeinflussung erfolgt sein soll, bestellt ist, das ist gestern in aller Ausführlichkeit klargelegt worden. Der unerhörte Vorwurf, daß der Justizminister vorsätzlich gegen Gesetz und Vorschrift in das Verfahren eingegriffen habe, um dem Angeklagten zu schaden, muß mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden. Was ist denn tatsächlich geschehen? Unsere Justizverwaltung ist in hohem Grade daran interessiert, daß ein Deutscher namens Stallmann, der in dreistester Weise zahlreiche Personen, auch Deutsche, durch Hochstapeleien geschädigt hat, festgenommen und daß die Strafbehörde seiner habhaft werde. Der Justizminister und das Auswärtige Amt haben alles in Bewegung gesetzt, um dieses Schwindlers habhaft zu werden, und dabei ist der vorgeschriebene Weg betreten worden; der zuständige Referent für das Auslieferungsverfahren hat die darauf bezüglichen Vorschriften genau befolgt. Der Justizminister hat nichts weiter getan, als den Sachverhalt auf dem vorschriebenen Dienstwege dem Landgerichtspräsidenten mitzuteilen. Das ist alles. Kein irgendwie erkennbares Eingreifen in dieses Strafverfahren gegen den Angeklagten, kein Wort von Metternich! Wie man aus diesem Sachverhalt eine Anweisung zuungunsten des Angeklagten herauslesen kann, wie man aus diesem Vorgange, der sich nur auf die Auslieferung des Stallmann bezog, folgern kann, daß der Justizminister wider Recht und Gesetz in das Verfahren eingegriffen habe, ist mir absolut unverständlich! Wenn dies in die Welt hinausgeschrien wird, so kann das zwei Gründe haben: Entweder versteht die Verteidigung überhaupt nichts vom Auslieferungsverfahren, oder man muß sagen: diese Beschuldigung wird wider besseres Wissen erhoben! Ebenso ist es mit dem zweiten Punkt: der Ablehnung des ganzen Gerichts wegen Befangenheit, die sich darin geäußert haben soll, daß ein Antrag, Frau Wertheim in Meran durch einen Gerichtsarzt[220] untersuchen zu lassen, abgelehnt worden ist, und daß den Verteidigern in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden dies vorausgesagt worden ist. Derartige Besprechungen, bei denen der Beamte auch einmal aus sich herausgeht, sind selbstverständlich vertraulicher Natur, und wenn dann solche Äußerung zum Ablehnungsantrag verwertet wird, so richtet sich das von selbst. Ebenso war die Frage des einen Beisitzers nach dem Verhältnis, in dem Justizrat Meschelsohn zur Firma A. Wertheim stehe, durchaus kein Beweis von Befangenheit. Dieser gänzlich unbegründete Ablehnungsantrag läßt nur die Schlußfolgerung zu, daß der Angeklagte seiner Schuld sich bewußt sei. Der Antrag ist von A bis Z unbegründet. Das mußten sich die Verteidiger als Juristen sagen, und wenn dann trotzdem ein solcher Antrag plötzlich in die Verhandlung hineinschneit, so müssen sich die Verteidiger sagen, daß er auf Juristen keinen Eindruck machen kann. Ferner erscheint es als ein geschickter aber verwerflicher Theatercoup, daß von dem Angeklagten versucht wurde, die Sache Metternich zu einem Fall Wertheim zu machen. Er hat gewußt, daß Frau Wertheim die bestgehaßte Frau in Berlin W. ist. Er wußte, daß, wenn er den Spieß umdreht und diese Frau an den Pranger stellt, er damit die Aufmerksamkeit ablenkt und ein Streit beginnt unter dem Schlachtruf: Hie Wolff-Metternich, hie Wolff-Wertheim! Das Hineinziehen der Interna aus dem Wertheimschen Haus in diese Hauptverhandlung ist vollständig ungerechtfertigt, denn von den zur Anklage stehenden Betrugshandlungen des Angeklagten fallen nur ganz wenige in die Ära Wertheim. Der Fall Wertheim muß für jeden Menschen, der die Sache übersieht, von vornherein ausscheiden. Wenn die Verteidigung auf anderem Standpunkt steht, so ist das verwunderlich. Es kam auf die Illustration der Glaubwürdigkeit der Frau Wertheim überhaupt nicht an, denn ihre Aussage in der ersten Verhandlung bestand für den Gerichtshof nicht. Gerade dies Hineinziehen des Falles Wertheim ist ein ungeheuerlicher Mißbrauch der Garantien, die für einen Angeklagten geschaffen sind. Daß das ganze Privatleben der Frau Wertheim bis zu einer langen Zeit vorher hereingezogen werden sollte,[221] war schon vorher in die Presse lanciert worden. Daraus ersah Frau Wertheim, was ihr bevorstand, und es war vorherzusehen, daß eine nervöse, überreizte Frau nach diesen Ankündigungen in der Presse und der Angabe aller möglichen Personen, die hier als Zeugen gegen sie auftreten würden, sich nicht bereit finden lassen würde, an Gerichtsstelle zu erscheinen. Die gesamten Beweisanträge in dieser Richtung hatten keinen Zweck, selbst wenn Frau Wertheim hier erschienen wäre. Und wie ist die Abwesenheit der Frau nun wieder ausgenutzt worden? Es waren widerliche, schmutzige Szenen, die hier vorgeführt wurden, von denen wir aber gar nicht wissen, ob die Behauptungen wahr sind! Man führt Briefe der Tochter der Frau Wertheim vor, die aus einer Zeit größter Spannung zwischen Tochter und Mutter stammen, und man nötigte einen Staatsanwalt durch allerlei Vorhaltungen und Fragen, diesen Schmutz zu bestätigen. Ich muß mich bei dieser Gelegenheit gegen den Vorwurf verwahren, als ob die Staatsanwaltschaft in das Privatleben von Zeugen hineingestiegen sei. Ich hatte genug Material in der Hand, um dies tun zu können. Das weiß der Angeklagte genau; mir ist auch über einen Zeugen mancherlei bekannt, ich bin aber nicht darauf eingegangen. Bei dem Zeugen Pauli war ich aber dazu verpflichtet, denn er hatte hier den Anschein erweckt, als sei er ein alter, verdienter Militär und Lebenskenner, und er hatte bestritten, Heiratsvermittler zu sein. Er hatte auch bekundet, daß er dem Angeklagten jede Summe geliehen hätte. Es ist unglaublich, wie der Herr sich hier so aufspielen konnte. Ich bekomme von allen Seiten Nachricht darüber, welchen Geistes Kind der Zeuge sei, und da muß ich doch die Glaubwürdigkeit dieses Herrn nachprüfen. Das ist wohl der einzige Fall, wo ich in das Privatleben hineingeleuchtet habe. Wie aber verhielt sich die Verteidigung in dem Fall der Zeugin Gustke? Gerade dieser zeigt, wie moralisch minderwertig, verwerflich und gemütsroh der Angeklagte vorgegangen ist. Er will auf die Brautschau fahren, geht zu einer Kokotte, läßt sich das Geld zur Reise nach Baden-Baden geben und schreibt von dort einen Brief, der falsche Angaben enthält und die Bitte um weiteres Geld vorbringt.[222] Das ist Betrug, wie er im Buche steht. Da dieser Fall einer der schwersten für den Angeklagten ist, so ist mit aller Macht daran gearbeitet worden, diese Zeugin zu beseitigen. Man hat es sogar nicht verschmäht, in Ballokale zu gehen und dort Stoff gegen die Zeugin zu sammeln.
Der Staatsanwalt kam alsdann noch einmal ausführlich darauf zurück, daß der Verteidiger in einer Eingabe an das Gericht es so dargestellt haben solle, als ob sich die Gustke ihrer Zeugenpflicht entziehen wollte, während gerade das Gegenteil der Fall gewesen sei, und der Verteidiger die Adresse der Gustke gekannt habe. Wenn die Gustke nicht so forsch gewesen wäre, zu rechter Zeit sich zu melden, so wäre wohl die Schlußfolgerung, daß sie meineidig sei, gezogen worden.
Der Staatsanwalt fuhr darauf fort: Es sind nun in der Presse Stimmen auch von bekannten Personen laut geworden, die meinten, daß das, was der Angeklagte getan, in gewissen Kreisen gang und gäbe sei, und es nichts Außergewöhnliches sei, daß sich Kavaliere in solcher Weise Geld verschaffen mit Rücksicht auf eine reiche Heirat. Ich kann nur annehmen, daß die Herren, die das behaupten, nicht wissen, wie hier die Sache liegt. Hier handelt es sich nicht um einen jungen Leutnant oder Beamten, der Schulden macht mit Rücksicht auf eine spätere Heirat, sondern es handelt sich um blanke Hochstapeleien. Dort Leute, die doch etwas sind und schließlich Rückhalt an ihrer Familie haben, hier aber ein im Leben gescheiterter Mann, der von der Familie verstoßen und nichts weiter als ein Graf Metternich ist. Das ist doch etwas anderes als die Fälle, die Herr Fedor v. Zobeltitz und Herr Dr. Oskar Blumenthal im Auge haben. Gott sei Dank ist das Rechtsempfinden in Deutschland so, daß derartige Handlungen, wie sie hier in Frage stehen, bestraft werden müssen. Ein Vergleich mit den gewöhnlichen Pumpereien kann nicht gezogen werden.
Ich komme nun zu dem bekannten Briefe des Amtsgerichtsrats Grafen v.d. Schulenburg. Dieser schrieb, daß er von dem Angeklagten in der gröblichsten Weise betrogen worden sei und die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft übergeben wolle. Einen besseren Beweis, daß das Verhalten des Angeklagten auch in den Kreisen, denen er angehört, als gemeiner[223] Betrug angesehen wird, kann es gar nicht geben. Jetzt hat allerdings Graf Schulenburg unter seinem Eide uns eine andere Auffassung mitgeteilt und gesagt, daß er nur einen zivilrechtlichen Betrug für vorliegend erachte. Das ist verkehrt; gerade er als Strafrichter, der sich dreimal wöchentlich mit Strafsachen beschäftigen muß und den § 263 ebensogut kennt wie wir, hat damals das Kind beim richtigen Namen genannt. Gerade er sprach von einem strafrechtlichen Betrug und drohte mit der Staatsanwaltschaft. Ich will gegen das Zeugnis des Grafen Schulenburg nicht zu scharf vorgehen, da es möglich ist, daß er jetzt freundlich gestimmt ist, weil ihm die Ehefrau des Angeklagten zugesichert hat, ihn schadlos zu halten. Ich betone hierbei ausdrücklich, daß es gar nicht darauf ankommt, ob der Schaden später ganz oder teilweise gedeckt ist, deshalb bleibt der Betrug. Viele Leute, besonders die kleineren Gewerbetreibenden, haben hier bekundet, sie fühlten sich nicht mehr geschädigt, da ihre Forderung bezahlt worden sei. Darauf ist der Umfall dieser Zeugen, die zuerst zur Polizei gelaufen waren, zurückzuführen. Wenn man nun etwas näher auf die ganze Persönlichkeit des Angeklagten eingeht, so muß hervorgehoben werden, daß er, als er nach Berlin kam, vollständig gescheitert war. Trotzdem lebte er als nobler Kavalier, gab im »Moulin rouge« große Summen aus, verkehrte im Esplanade-Hotel, hielt sich ein Auto, erschien im Tattersall. Dies alles konnte er natürlich sich nur mit Mitteln leisten, die geborgt waren. Der Angeklagte hat gesagt, daß er nach Berlin gekommen sei, um eine Millionärin zu heiraten. Am Sonnabend ist hier schon einmal von der kurzen Dauer der Ära Wertheim gesprochen worden. Ich will zugeben, daß der Angeklagte eine begründete Aussicht vielleicht von Mitte Dezember bis Anfang Januar hatte. Ende Dezember saß ihm aber schon das Messer an der Kehle. Der Angeklagte hat uns hier als echter Kavalier von verschiedenen Intimitäten aus dem Hause Wetheim erzählt. Ist es möglich, daß ein solcher Mann, der, wie wir hören, bis zwei Uhr nachts der Frau Dolly Landsberger auf der Chaiselongue die Haare löst, nicht diese Gelegenheit benutzt haben sollte, um sich durch ein einziges Wort der[224] Werbung aus der Klemme zu befreien, sondern damit wartete, um in mehr romantischer Weise die Werbung in Italien anzubringen? Ich halte dies für sehr unwahrscheinlich. Es wird auch in den Zeitungen gesagt, es sei ganz selbstverständlich, daß ein Graf, der in einer guten Familie eingeführt werde, die Tochter des Hauses heirate. Ich kann sagen, daß dies doch nicht so ganz richtig ist; es wäre traurig, wenn es der Fall wäre. Es betrifft nur eine ganz bestimmte Art von Familien, die emporgekommen sind und sich dann in dem Glanze des gräflichen Schwiegersohnes sonnen wollen. Jede vernünftige Mutter sieht sich ihren Schwiegersohn sehr genau an, auch wenn er Graf ist. Der beste Beweis dafür, daß man nicht so glatt eine Millionärin heiraten kann, ist, daß der Angeklagte schließlich mit ein paar hundert Mark nach London verduftete und dort in eine Falschspielerbande geriet. Ich will nun auf das Ergebnis der Verhandlung näher eingehen. Ich muß sagen, daß der Angeklagte in der ganzen Beweisaufnahme sehr viel Glück gehabt hat, weil sich der Schuldbeweis nicht mehr richtig führen läßt, da die Zeugen zum Teil krank, zum Teil sogar geisteskrank oder aus sonstigen Gründen nicht erschienen sind. Der einzige Fall, in welchem sich die völlige Unschuld des Angeklagten herausgestellt hat, ist der Fall Frey. Zahlreiche andere Fälle lassen sich nicht mehr mit genügender Sicherheit aufklären, trotzdem in diesen ein dringender Verdacht bleibt. Andere Fälle aber sind typische Hochstapeleien. Dies sind die Fälle Horch, Risch, Noack, Gustke, Kilholz, Tilo, Felsing und Werner. Bei der Strafabmessung bitte ich zu berücksichtigen, daß eine Reihe von Fällen, die zweifelhaft lagen, mit zur Anklage gestellt worden sind. Diese Fälle können zur Illustration dienen. Ich wiederhole: Der Angeklagte ist ganz mittellos im Mai 1909 hier angekommen, hat ohne redlichen Erwerb ein ganzes Jahr hindurch gelebt, alle möglichen Leute betrogen und war dann verduftet. Zahlung hat er später ter nur geleistet, wenn er dazu gezwungen war. Ich bitte zu berücksichtigen, daß die Schädigung der Leute im Moment des Betruges außerordentlich groß war. Der Angeklagte hatte gar keine begründete Aussicht, den Schaden wieder gutzumachen.[225] Es handelt sich um erhebliche Objekte, nämlich 16000 M., 2000 Mark, 1650 Mark, 1000 Mark und 800 Mark. Auf der anderen Seite muß das Sachverständigen-Gutachten zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden. Dieser ist ja moralisch minderwertig, aber wenn er in Ruhe vorgeht, dann ist er, wie wir hier gesehen, sehr klar und hat eine bewunderungswürdige Überredungsgabe. Ferner muß berücksichtigt werden seine Jugend, der Umstand, daß er von seiner Familie verlassen war, mit 30 Mark monatlich auskommen sollte, und daß er schon vor seiner Heirat den Willen bekundet hat, den Schaden einigermaßen wieder gutzumachen. Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände beantrage ich eine Gesamtstrafe von einem Jahre sechs Monaten Gefängnis.
Der Angeklagte protestierte gegen die Behauptung des Staatsanwalts, daß er von seiner Familie verstoßen sei und bat, durch ein Telegramm an seinen Vater das Gegenteil festzustellen.
Der Vorsitzende verwies den Angeklagten darauf, daß der Vater seine Zeugenaussage verweigert habe.
Verteidiger, R.-A. Dr. Jaffé: Ich muß zunächst mein Bedauern aussprechen, daß der Staatsanwalt bei seinen Ausführungen wieder damit angefangen hat, Dinge, die wir als erledigt erachteten, hineinzuziehen. Es handelt sich um persönliche Angriffe des Staatsanwalts, und ich bin genötigt, kurz darauf einzugehen.
Der Verteidiger ging alsdann auf die einzelnen Punkte ein, welche der Staatsanwalt ihm vorgeworfen hat und fuhr hierauf fort: Es ist schon unrichtig, was der Staatsanwalt bezüglich der Haft des Angeklagten gesagt hat: Wir müssen uns an das, was nicht nur in der Anklage, sondern auch an das, was in dem Eröffnungsbeschluß steht, halten. In dem Eröffnungsbeschluß steht wörtlich: »Seit dem 23. Dezember 1910 in dieser Sache in Haft.« Es ist also unrichtig, wenn der Staatsanwalt sagt, Metternich sitze in der Stallmannsache in Haft. Die ganze Anklage ist juristisch so schwach, juristisch so inhaltlos, wie selten eine Anklage, trotzdem sie von dem Oberstaatsanwalt unterzeichnet ist. Sie ist sicherlich auch nur von einem Referendar verfaßt worden, der es jedenfalls nicht bis zum Assessor bringen dürfte. Was die Form des Ablehnungsgesuches anlangt, so fehlt anscheinend[226] dem Staatsanwalt jedes Verständnis dafür, daß die Verteidigung bei einem Angeklagten, der unter so schwerem Verdacht steht und so lange in Haft sitzt, alle Bedenken, die er gegen die Objektivität eines Gerichtshofes hat, zur Sprache bringen muß. Der Staatsanwalt hat weiter behauptet, daß die Verteidiger gewisse Nachrichten in die Presse lanciert haben, um Stimmung zu machen, er ist sogar soweit gegangen, zu behaupten, daß die Verteidigung damit bezweckt habe, Frau Wertheim abzuschrecken, damit sie nicht zum Termin erscheinen solle. Die Verteidigung weist diesen Vorwurf, der zu absurd ist, mit aller Schärfe zurück. Ich will hier aber darauf hinweisen, daß es manchmal sehr angebracht wäre, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Hilfsorgan, die Kriminalpolizei, anweisen würde, mit ihren Pressenotizen etwas vorsichtiger zu sein. Man kann es täglich beobachten, daß über irgendeinen Menschen, der in den Verdacht gerät, irgendeine strafbare Handlung begangen zu haben, die unglaublichsten gefärbten Notizen durch ein bekanntes polizeioffiziöses Bureau verbreitet werden, so daß der Betreffende von vornherein als eine Art Raubmörder erscheint. Es ist Pflicht der Verteidigung, eine gewisse Stimmung hiergegen zu machen, damit die Öffentlichkeit auch das hört, was die Verteidigung sagt. Ich will nun auf die Behauptung des Staatsanwalts, wir leuchten in das Privatleben von Zeugen hinein und kramen siebzehn Jahre zurückliegende Dinge aus, eingehen. Das ist nicht wahr, gerade das Gegenteil ist der Fall. Wir haben gehört, daß gerade diejenige, die von uns angegriffen worden ist, sich selbst nicht gescheut hat, in ihrem Schlüsselroman »Baron Max« in die intimsten sten Familienangelegenheiten ihres ehemaligen Verwandten hineinzuleuchten und ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Ich muß dem Herrn Staatsanwalt auch hier wieder einen uns gemachten Vorwurf zurückgeben. Entweder hat der Staatsanwalt das ganze Prozedieren nicht verstanden, oder er will es nicht verstehen und behauptet nun wider besseres Wissen jene Dinge. Ich will anerkennen, daß Frau Wertheim in der ersten Verhandlung auf mich einen überraschend sicheren und guten Eindruck gemacht hat. Wenn ich jedoch nachher[227] erfahre, daß sie an einer Art Großmannssucht leidet und außerdem ihre eigenen Verwandten falsch denunziert hat, dann habe ich als Verteidiger nur noch diejenige Rücksicht zu nehmen, die durch die Sache selbst geboten erscheint. Ich habe dann auch, als mir bekannt wurde, daß Frau Wertheim nicht erscheinen würde, sofort auf mehrere Zeugen verzichtet, die Frau Wertheim erheblich mehr kompromittiert hätten, als es bisher geschehen ist. Wenn der Staatsanwalt im Laufe der Verhandlung gesagt hat, die Verteidigung hätte aus einem Prozeß Wolff-Metternich einen Prozeß Wolff-Wertheim gemacht, so sage ich ihm, daß er die Sache Stallmann zu der Sache Wolff-Metternich gemacht hat. Der Staatsanwalt hat während der ganzen Verhandlung alle diejenigen Zeugen, die günstig für den Angeklagten, im Gegensatz zu den übrigen, in einer Weise behandelt, wie es mir noch nicht vorgekommen ist. Ich behaupte ferner, daß der Staatsanwalt die Prostituierte Gustke besser behandelt hat wie den Zeugen Amtsgerichtsrat Graf v.d. Schulenburg. Und wie ist der alte Major a.D. Pauli hier behandelt worden. Der Herr ist preußischer Major a.D., das ist doch was! Er hat das Eiserne Kreuz und andere Ehrenzeichen. Daß er auch einmal in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, ist doch keine Schande, und daß er Orden vermittelt, schändet doch auch nicht. Das machen noch ganz andere hochstehende Persönlichkeiten, wie wir ja unter Beweis gestellt haben. Das Vermitteln von Orden ist also durchaus nichts Schimpfliches. Trotzdem hat der Staatsanwalt alle ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel benutzt, um in das Vorleben des Zeugen hineinzuleuchten. Was hat der Staatsanwalt aber noch getan? Er ist noch viel weiter gegangen! Er hat in das Eheleben des Angeklagten hineingeleuchtet und wollte hier die internsten Dinge aus den Privatverhältnissen der Ehefrau aufdecken. Der Staatsanwalt ist aber, trotzdem es fast unglaublich ist, noch weiter gegangen. Gestern sind in der Wohnung der Eltern der Ehefrau des Angeklagten in Wien Polizeibeamte erschienen und haben versucht, alle möglichen Dinge über ihre früheren Beziehungen zu erfahren. Dies kann nur vom Staatsanwalt ausgegangen sein. Wenn man mit gleichem Maße mißt, so[228] muß man sagen, daß nicht die Verteidigung, sondern gerade die Staatsanwaltschaft es ist, die in Privatverhältnisse hineingeleuchtet und sie aufgedeckt hat. Alles, was der Staatsanwalt über mein Verhalten in Sachen Gustke ausgeführt hat, trifft nicht zu, ist entstellt oder verdreht wiedergegeben. Ich kann nur dem Staatsanwalt mit seinen eigenen Worten sagen: Entweder hat der Staatsanwalt alles dies nicht verstanden oder er behauptet es wider besseres Wissen. Fast muß ich das letztere annehmen. Diese ganze Angelegenheit ist doch bis in das kleinste Detail vollständig aufgeklärt. Und wenn trotzdem der Staatsanwalt auf seinem früheren Standpunkt verbleibt und es nicht für loyal hält, mit Bedauern zu revozieren, so ist darüber nicht mehr zu diskutieren; der Staatsanwalt klammert sich daran bis zum letzten Moment. Das zeigt, wie schwach und haltlos die ganze Anklage ist. Auch der wiederholte Vorwurf, daß ich selbst Zeugen ermittelt habe, ist ganz ungerechtfertigt. Und steht der Ermittelungsapparat des Staatsanwalts nicht zu Gebote, der selbst Auskünfte von dem peruanischen Generalkonsul einzieht. Wir aber müssen selbst Kriminalpolizei spielen. Wenn ich in diesem Falle nicht Detektivs benutzte, so habe ich dies aus ganz bestimmten Gründen getan. Daraus kann mir nicht der geringste Vorwurf gemacht werden. Ich würde, wenn sich in anderen Fällen dieselbe Notwendigkeit ergäbe, immer wieder dasselbe tun. Ich behaupte, die persönlichen Angriffe des Staatsanwalts gegen den Angeklagten und die Verteidigung lassen sich nur erklären aus dem Gefühl, daß die Anklage auf ganz schwachen Füßen steht. Auch der Antrag des Staatsanwalts überrascht mich nicht, denn der Staatsanwalt hat ja schon ganz im Anfange der Verhandlung den Angeklagten als einen »Betrüger« bezeichnet und ihn damit schon als einen verurteilten Betrüger hingestellt.
Der Vorsitzende unterbrach hier und stellte fest, daß die betreffende, vielleicht nicht ganz geschickte Bemerkung doch nur den Sinn hatte: Der Angeklagte tut so, als ob die Justizverwaltung ihm unrecht tue und ihn verurteilen wolle, damit man nicht einzugestehen brauche, daß man einen Grafen Metternich zu Unrecht so lange in Untersuchungshaft gehalten habe. Da habe der Staatsanwalt gesagt:[229] für die Justiz sei der Graf Metternich nichts anderes als jeder andere, der unter der Anklage des Betruges stehe.
R.-A. Dr. Jaffé: Der Angeklagte mußte aber auch hieraus auf eine Voreingenommenheit schließen, zumal der Staatsanwalt auch noch äußerte, der Angeklagte werde einer Strafe von mindestens zwei Jahren Gefängnis würdig erscheinen. Ein Bekannter hat mir kürzlich gesagt: Der Angeklagte hat einen großen Fehler gemacht, indem er nur solche kleine Schulden gemacht hat. Wenn er großzügiger vorgegangen wäre und 100000 Mark Schulden gemacht hätte, dann würde seine Situation eine wesentlich bessere und es wohl nicht zur Anklage gekommen sein. Die Richter müßten sich, um zu einem gerechten Urteil zu kommen, in die Seele des Angeklagten versetzen. Der Angeklagte war allein in der Weltstadt sich selbst überlassen und auf fremden Kredit angewiesen. Schon früh hat er erhebliche Abweichungen von der Norm gezeigt, dann einen Selbstmordversuch gemacht. Der Vater hat ihn dann in eine Irrenanstalt gesteckt und mit einigen tausend Mark in die weite Welt geschickt. Nach seiner Rückkehr hat er ihn mit 30 Mark monatlicher Unterstützung nach Berlin gesandt. Was sollte ein Graf Metternich und Neffe des deutschen Botschafters in London mit 22 Jahren anfangen? Er tat das, was jeder in seiner Lage und mit seiner Veranlagung getan hätte und tun mußte, nämlich Schulden machen und vom Kredit leben. Er ist das Produkt seiner Veranlagung und seiner Erziehung. Wenn man alle Menschen, die dasselbe tun, was der Angeklagte getan hat, wenn man alle solche Kavaliere einsperren wollte, dann würde ganz Berlin, ja das ganze Deutsche Reich, mit einem Dache überdeckt, nicht ausreichen, um all diese Leute in sich aufzunehmen. Es ist doch eine bekannte Tatsache, daß jeder sogenannte Kavalier Kredit bei dem Lieferanten in Anspruch nimmt und Geld bei den Schiebern sucht. Die ersten Firmen Unter den Linden haben zu diesem Zwecke ein ständiges großes Verlustkonto. Eine bekannte Anekdote erzählt folgendes: Bei Ausbruch des Krieges 1870/71 sei der einzige große Militärschneider zum alten Kaiser Wilhelm gegangen und habe ihm sein Leid geklagt, daß er bankerott machen müßte, wenn die Offiziere[230] erschossen werden würden; so ständen sie bei ihm in der Kreide. Der alte Kaiser Wilhelm hat nicht, wie der Staatsanwalt konsequent hätte tun müssen, die Offiziere ins Gefängnis gesteckt, sondern durch das Kriegsministerium die Garantie für die Offiziere dem Schneider gegenüber geleistet. Der Verteidiger beleuchtete darauf die einzelnen Fälle vom juristischen Standpunkte und schloß: Eine Verurteilung des Angeklagten würde einen argen Fehlspruch, ja einen Rechtsbruch darstellen, wie ihn die preußische Justiz noch nicht erlebt hat.
Verteidiger R.-A. Dr. Alsberg beleuchtete die scharfe Gegensätzlichkeit, die in der Verhandlung unaufhörlich hervorgetreten sei. Es sei ja nichts Außergewöhnliches, daß Gericht und Verteidigung mit ganz verschiedenen Empfindungen in den Gerichtssaal kämen. Die Richter brächten die Eindrücke mit, die aus dem toten und oft einseitig gesammelten Aktenmaterial stammten, die Verteidiger dagegen die Empfindungen, die sie aus den vertrauensvollen Besprechungen mit ihren Klienten gewonnen hätten. In diesem sem Prozeß sei aber noch etwas hinzugekommen, was den ursprünglichen und vielleicht unvermeidlichen Zwiespalt zwischen Gericht und Verteidigung in einem ungewöhnlichen Maße verschärfte. Die Anklagebehörde, die Schwesterbehörde der Gerichtsbehörde, erlebe ein nicht gerade erfreuliches Fiasko, wenn der Angeklagte in diesem Verfahren wegen Betruges freigesprochen werde. Auf einem allzu geringen Verdacht hin sei die Auslieferung des Angeklagten wegen Falschspiels aus dem Auslande betrieben worden. Da sei die weitere Strafverfolgung wegen Kreditbetruges der Staatsanwaltschaft nicht unwillkommen gewesen. War diese Strafverfolgung begründet, so wurde damit die Voreiligkeit in der Strafverfolgung wegen Falschspiels verdeckt. Es sei nicht zu leugnen, daß der beamtete Richter der Staatsanwaltschaft hier einen Mißerfolg, der in den Augen der Allgemeinheit auf die Justiz schlechthin seine Schatten würfe, nicht gönne. Deshalb könne auch der beamtete Richter dem Ausgang dieses Strafverfahrens nicht so gleichgültig und unbefangen gegenüberstehen, wie das einem unbeamteten Richter möglich sei. Die Anklage sei eine Verlegenheitsanklage. Ein Teil der[231] unter Anklage gestellten Fälle biete geradezu Schulbeispiele für das, was nicht Betrug sei. In einem anderen Teil der Fälle könne man auch nicht einmal raten, gegen wen überhaupt der Betrug gerichtet sein solle. Wer die Anklageschrift schrift lese, fühle sich in der Rechtsgeschichte mindestens um vierzig Jahre zurückversetzt, in eine Zeit, wo man sich noch völlig darüber unklar war, wie das damals neue Strafgesetzbuch auszulegen sei. Er (Verteidiger) finde den heutigen Rechtszustand, der das frivole Schuldenmachen geradezu legalisiere, durchaus nicht ideal, aber man könne doch nicht die feststehende Auslegung des Betrugsparagraphen über den Haufen werfen. Eine Bestrafung des Angeklagten wegen Betruges könne nur eintreten, wenn sein Verhalten auch nach österreichischem Recht den Begriff des Betruges erfülle. Der Angeklagte sei wegen Betruges durch Falschspiel ausgeliefert worden. Da zwischen Österreich und Deutschland nicht das sogenannte Prinzip der Spezialität bestehe, sei die Staatsanwaltschaft nicht gehindert, den Angeklagten auch wegen solcher strafbaren Handlungen zur Aburteilung zu ziehen, die nicht in dem Auslieferungsgesuch angegeben waren. Hier aber müsse der Richter nachprüfen, ob, wenn wegen dieser Handlungen eine Auslieferung begehrt worden wäre, der österreichische Staat sie auch bewilligt hätte, mit anderen Worten: ob diese Handlungen auch nach österreichischem Recht den Tatbestand des Betruges erfüllten. Der Verteidiger legte alsdann die Unterschiede in der Auffassung des Betruges nach österreichischem und deutschem Recht dar. Er wünsche aber nicht, daß der Angeklagte nur freigesprochen werde, weil er nach österreichischem Recht nicht strafbar sei. Es ließe sich einwandfrei nachweisen, daß auch nach deutschem Recht in keinem der zur Anklage stehenden Fälle der Tatbestand des Betruges nachzuweisen sei. Den Anklagefällen sei gemeinsam, daß der Staatsanwalt aus der mangelnden Zahlungsfähigkeit zur Zeit der Eingehung der Verbindlichkeiten die mangelnde Zahlungsabsicht folgere. Aber der Zahlungswille sei durch die Tatsache der Zahlung in fast allen Fällen bestätigt worden. Die Anklage gehe immer davon aus, daß der Angeklagte nicht mehr und nicht weniger[232] gewesen sei als eine finanziell gescheiterte Existenz, die objektiv und subjektiv nicht die Hoffnung auf eine Wiederaufrichtung gehabt haben könne. Dies sei vollständig widerlegt durch die Aussage des Zeugen Amtsgerichtsrats Grafen Schulenburg. Dieser Herr sei doch nicht unglaubwürdig, weil er in einem Augenblicke der Erregung ein hartes Wort über den Angeklagten gesprochen, und weil er dieses Augenblicksurteil im Gerichtssaal nicht wiedergegeben habe. Es bleibe jedenfalls aus der Aussage des Grafen Schulenburg die Tatsache, daß er dem Angeklagten lediglich auf die Heiratsaussichten hin 6500 Mark geliehen habe. Auch sonst hätten alle, die den Angeklagten kannten, die Überzeugung gehabt, daß ein Graf Wolff-Metternich schon mit Rücksicht auf seine Heiratsaussichten des Kredites tes würdig sei. Der Angeklagte habe auch wiederholt bewiesen, daß es sein ernster Wille gewesen sei, durch eine Heirat seine völlige »Sanierung« zu bewirken. Wenn der Angeklagte, um seine Freisprechung zu erreichen, den Nachweis führen müßte, daß er objektiv oder wenigstens subjektiv die Hoffnung auf eine günstige Gestaltung seiner Lebensverhältnisse haben könnte, so habe dieser Angeklagte mehr bewiesen, als vielleicht je ein vor ihm wegen Kreditbetruges Angeklagter bewiesen habe. Aber das Gesetz verlange nicht einmal einen solchen Nachweis. Der § 263 StGB. verlange vorsätzliche Schädigung der Gläubiger, und wer hier dem Angeklagten »Vorsatz« zur Last lege, der zeige, daß er die Grenzlinie zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht kenne. Das ethische Kriterium des Handelns des Angeklagten sei Leichtsinn. Von »Vorsatz« könne absolut keine Rede sein. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts stehe der Begründung des Staatsanwalts, der dem Angeklagten ein vorsätzliches Handeln vorwerfe, schnurstracks entgegen. Wenn man den dolus eventualis in dem Sinne auffasse, wie ihn das Reichsgericht festgestellt habe, so könne diesem Angeklagten ein dolus eventualis nimmermehr nachgewiesen werden.
Am achten Verhandlungstage fuhr R.-A. Dr. Alsberg fort: Selbst wenn man die Darstellung des Staatsanwalts zugrunde legt, kann man nicht zu dem Schlusse kommen, daß der Angeklagte vorsätzlich[233] seine Gläubiger geschädigt hat. Selbst wenn man im Falle Gustke alles als richtig unterstellt, was Fräulein Elvira Gustke über das Zustandekommen des Wechsels gesagt hat, so wird doch niemand behaupten könen, daß sich der Angeklagte damals gesagt hat: »Der Wechsel wird vielleicht nicht bezahlt werden können, das ist aber ganz gleichgültig.« Drei Tage und drei Nächte hatte Elvira, wie sie selbst geschildert, mit dem Angeklagten durchgebummelt, viel Geld mit ihm verpraßt und viel Geld von ihm empfangen. Und als es dann ausgegangen war, will sie ihm angeblich 1000 Mark geliehen haben gegen einen Wechsel über 1200 Mark. Wenn man ihr diese Geschichte glaubt, dann muß man auch so gerecht sein, sich in die Seele des Angeklagten hinein zu denken in dem Augenblick, wo dieses seltsame Geschäft zustande kam. In dem, wie Professor Eulenburg sagen würde, vom schwülen Dunst der Parfüms durchzogenen Boudoir sitzen der dreiundzwanzigjährige Graf und die dreiundzwanzigjährige Tänzerin, dreifach übernächtig. Damals hat Elvira gewiß nicht so fromme Stimmungen gehabt, wie sie hier den Zeugen gegenüber geheuchelt hat, die sie als Menschen und Christen ermahnt hat. Und sie wird nicht einmal mit Wilhelm Busch den Angeklagten beschworen haben:
»Ich warne dich als Mensch und Christ,
Bewahre mich vor allem Bösen,
Es macht Vergnügen, wenn man's ist,
Es macht Verdruß, wenn man's gewesen.«
Wenn noch etwas nötig war, um den Angeklagten in der Lebensfreude und dem Leichtsinn zu bestärken, dann wird Elvira Gustke dazu beigetragen haben. Ein Psychologe dürfte doch wohl kaum annehmen, daß der Angeklagte, der damals das Heiratsprojekt mit der reichen Amerikanerin betrieb, in diesen Momenten des überschäumenden Lebensgenusses sich gesagt habe: »Heute ist aller Dinge Schluß; ich werde wohl nie im Leben wieder Geld bekommen, nicht in der Lage sein, der Genossin der letzten froh verlebten Tage 1200 Mark zu zahlen.« Glauben die Richter als Menschen, die sich in die Seele eines anderen Menschen hineindenken sollen, daß der Angeklagte damals auf der Chaiselongue saß und gerade in diesem Augenblicke sich gesagt[234] hat: Du wirst vielleicht nie wieder Geld bekommen, aber das ist ja ganz gleichgültig!? Meinen Sie wirklich, daß man in einem solchen Augenblick, wo man leichtsinnig drei Tage und drei Nächte gebummelt hat, das Leben nicht mehr auf die leichte Achsel nimmt, sondern verzweifelte und verbrecherische Entschlüsse faßt? Auch im Falle Risch sowie in den übrigen Fällen entbehrt die Anklage jeder sicheren Grundlage. Gestern ist mir zugetragen worden – ich will es nicht weiter unter Beweis stellen – daß Fräulein Gustke für den Zeugen Stoeß Juwelenreklame trägt und Brillanten verkauft. Wenn das richtig ist, so wirft dies ein weiteres Licht auf die Aussage dieser Zeugin, die außerordentlich interessiert ist. Es muß wundernehmen, daß man in dem Zeitalter der psychologischen Bewertungsmethode auf eine solche Zeugenaussage überhaupt Wert legt. Vor hundert Jahren war man weiter. In der Kriminalordnung vom Jahre 1805 ist klar ausgedrückt gewesen, daß nie auf die Bezichtigung eines Zeugen etwas gegeben werden kann, wenn es sich um einen Zeugen handelt, der Interesse zur Sache hat. Und hundert Jahre nach dieser Kriminalordnung soll unter Hintansetzung aller psychologischen Erwägungen auf das Zeugnis einer solchen Zeugin Wert gelegt werden! Es ist nicht erwiesen, daß der Angeklagte in diesem Falle sich so verhalten hat, wie es vom Staatsanwalt hingestellt wird. In dem Anklagefalle Noack, den der Staatsanwalt noch aufrecht erhält, weiß man gar nicht, wer geschädigt sein soll und wem gegenüber falsche Vorspiegelungen gemacht sein sollen. Es ist gar nicht zu begreifen, was ein Jurist in diesem Falle mit dem Betruge wollte. Bei dem Automobilkauf von der Firma Horch ist auch nicht die geringste falsche Vorspiegelung vorgekommen. Der Verkäufer des Wagens hat sich von vornherein gesagt, daß der Angeklagte in die größten finanziellen Schwierigkeiten bei der Anschaffung schaffung dieses Wagens kommen und sich unter Umständen sogar auf den Wagen Geld leihen mußte. Dem Angeklagten ist im Falle Horch noch der Vorwurf der Unterschlagung gemacht worden, doch fehlen sämtliche Tatbestandsmerkmale einer Unterschlagung, denn der Angeklagte hat die bestimmte Hoffnung gehabt, die auch in der Folgezeit sich als richtig[235] erwiesen hat, daß er den Betrag, den er von der Firma Hälsen entliehen hat, zurückzahlen und dann auch das Automobil zurückerhalten werde. Es ist nicht zu verstehen, wie man hier gegen den Angeklagten wegen Unterschlagung Anklage erheben konnte, den Inhaber der Firma Hälsen aber mit einer Anklage verschont hat. Hier bestätigt sich wieder die alte Erfahrung, daß, wenn die Staatsanwaltschaft jemand als Belastungszeugen braucht, sie die auffälligsten Dinge als unbedenklich hinstellt. Wenn in diesem Falle überhaupt jemandem ein Vorwurf zu machen ist, so ist er in erster Linie der Firma Hälsen zu machen, die aus der Verlegenheit des Angeklagten einen großen Nutzen gezogen hat und nicht im Zweifel darüber sein konnte, daß der Wagen noch nicht bezahlt war.
Der Herr Staatsanwalt hat in seinem gestrigen Plädoyer seinen Rückzug in zwei Drittel der Anklagefälle durch ein auf die Verteidigung gerichtetes Geschützfeuer zu decken versucht. Wenn ihm diese persönliche Fanfare nach seiner sachlichen Chamade eine Befriedigung digung war, so gönne ich sie ihm. Meine Befriedigung in dieser Sache ist die Überzeugung, daß es nur eine Seite in dieser Verhandlung gab, auf der es mich reizen konnte, als Mensch und Jurist zu kämpfen: die Seite des Angeklagten!
Staatsanwaltschaftsrat Dr. Porzelt: Es sind gestern kräftige Worte hier gesprochen worden, Worte, wie sie selten hier im Saale gehört worden sind. Ein Rechtsanwalt hat dem Gericht für den Fall, daß es zur Verurteilung des Angeklagten käme, einen Rechtsbruch vorgeworfen; ein Rechtsanwalt hat erklärt, daß die Anklage, die der Oberstaatsanwalt unterzeichnete, wohl von einem Referendar verfaßt worden ist, der es niemals zum Assessor bringen werde. Derartiges richtet sich von selbst. Die Verteidigung hat es eben immer darauf abgesehen, die Staatsanwaltschaft anzugreifen. Sie übersieht aber den einen Punkt, daß nämlich gar nicht die Staatsanwaltschaft allein in Betracht kommt, daß vielmehr auch die Strafkammer das ganze Material zu prüfen hat und daß dann erst das Hauptverfahren selbst eröffnet wird. Wie können also die Verteidiger fortgesetzt ihre Angriffe gegen die Staatsanwaltschaft richten! Es ist nun immer wieder betont worden, die vorliegende[236] Anklage sei eine Verlegenheitsanklage, indem man von der Erwägung ausgeht, daß der Angeklagte so lange in Untersuchungshaft sitzt. Angesichts dieser Behauptungen möchte ich denn doch betonen, daß bereits am 1. April d.J. die Anklage in dem vorliegenden Verfahren eröffnet worden ist. Daß der Termin erst jetzt stattfindet, ist nicht meine Schuld. Was den Ablehnungsantrag der Verteidigung betrifft, so ist in dem Schriftsatze betont worden, daß ein gesetzwidriges Eingreifen des Justizministers in ein Verfahren vorliegt, und wenn dieser ganze Ablehnungsantrag überhaupt einen Sinn haben sollte, so war es nur der, daß der Justizminister wider Recht und Gesetz vorsätzlich Anweisungen zuungunsten des Angeklagten gegeben habe. Die Verteidiger wissen wohl selbst, wie ihre Standesgenossen über diese ganze Angelegenheit denken.
Der Staatsanwalt suchte des längeren die von R.-A. Dr. Alsberg vorgebrachten Ausführungen betreffend den Auslieferungsvertrag mit Österreich und die Angabe, daß der Angeklagte hier nur bestraft werden könne, wenn er auch nach österreichischem Gesetz zu bestrafen sei, zu widerlegen. Der Staatsanwalt hatte kein Bedenken, daß in allen Anklagefällen auch das österreichische Strafrecht Platz greift. Zuletzt betonte der Staatsanwalt, daß er nur diejenigen Fälle aufrechterhalten habe, in denen der Angeklagte nicht begründete Aussicht auf eine reiche Heirat hatte.
Vert. R.-A. Dr. Jaffé: Was die groben Ausdrücke anbelangt, so erkläre ich, daß diese lediglich ein Echo dessen waren, was sich der Staatsanwalt in diesem Termin geleistet hat. Der Staatsanwalt hat hier Ausdrücke gebraucht, wie: »die Verteidigung versteht es nicht«, »sie behauptet wider besseres Wissen«, und schließlich hat sich der Staatsanwalt sogar erlaubt, der Verteidigung Inkorrektheiten vorzuwerfen und mit Konsequenzen vor der Anwaltskammer gedroht. Daß wir dann in demselben Tone antworten, ist wohl selbstverständlich. Sind wir denn vogelfrei? Wird die Verteidigung nicht geschützt vor solchen Angriffen? Wenn dies nicht der Fall ist, so müssen wir uns selbst schützen. Stehen wir nicht gesellschaftlich und beruflich genau auf derselben Stufe wie der Staatsanwalt? Ich denke auch, wir haben in diesem Prozeß gezeigt, daß wir juristisch[237] mindestens ebensoviel verstehen, wie der Staatsanwalt. Der Vorsitzende hat es mehrfach abgelehnt, wenn der Staatsanwalt uns unterbrechen wollte und eine Rüge verlangte; der Herr Vorsitzende hatte wohl auch die Empfindung, daß der Staatsanwalt hier viel zuweit gegangen ist. Unsere Standesgenossen haben dieselbe Empfindung gehabt, daß der Staatsanwalt in diesem ganzen Verfahren persönlich der Verteidigung gegenüber beispiellos sich benommen hat. Ich muß auch noch einmal auf die mir immer wieder vorgeworfene Inkorrektheit zurückkommen und lege Wert darauf, daß dies in der Öffentlichkeit und in der Presse zum Ausdruck kommt. Ich habe den Beweisantrag bezüglich der Gustke vom 12. August gust nur gestellt, um zu beweisen, daß die Gustke, nachdem sie in der Voruntersuchung vereidigt war und in dem ersten Termin nicht erschien, sich absichtlich dem ersten Termin entzogen habe. Und dabei bleibe ich! Wenn sich die Gustke nachher gemeldet hat, so hat sie es getan entweder aus Angst oder um irgendwie Geld zu bekommen. Wie kann da der Staatsanwalt immer von neuem sagen, der Beweisantrag hätte nicht aufrechterhalten werden können! Das ist eine absichtliche Verdrehung.
Vors.: Dann ist es die Ansicht des Herrn Staatsanwalts, aber von einer absichtlichen Verdrehung kann doch keine Rede sein.
R.-A. Dr. Jaffé: Hier handelt es sich aber nicht um Ansichten, sondern um Tatsachen.
Vors.: Ich will auf die Sache selbst nicht noch einmal eingehen; es ist aber unstatthaft, dem Staatsanwalt eine absichtliche Verdrehung vorzuwerfen.
R.-A. Dr. Jaffé: Der Staatsanwalt hat auch uns gegenüber von Verdrehungen gesprochen. Bezüglich dessen, was der Staatsanwalt über den notwendigen Eröffnungsbeschluß seitens der Strafkammer gesagt hat, bemerke ich: es geschieht im allgemeinen so, wie es in der Anklage steht, und es kommt sehr selten vor, daß entgegen der Anklage nicht eröffnet wird. Es liegt in den tatsächlichen Verhältnissen und in diesem Falle in der notwendigen Eile, daß es nicht möglich ist, eine Anklage eingehend zu prüfen; hier handelte es sich um eine Haftsache, die beschleunigt werden sollte.
Vors.: Ich muß dagegen protestieren, daß eine Gerichtsbehörde hier in[238] dieser Weise heruntergesetzt wird mit Behauptungen, die absolut nicht den Tatsachen entsprechen. Wenn Sie sich den Eröffnungsbeschluß ansehen, werden Sie sich überzeugen, daß dieser von der Anklage in verschiedenen Punkten abweicht. Diesen groben Vorwurf weise ich zurück.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich habe durchaus keinen Vorwurf erheben wollen.
Vors.: Wenn man einer Behörde sagt, sie tue ihre Pflicht nicht – und es ist ihre Pflicht, sorgfältig zu prüfen, ob das Verfahren gegen einen Angeklagten zu eröffnen ist –, so ist das der Vorwurf einer Pflichtverletzung.
R.-A. Dr. Jaffé: Ich habe nur gesagt, es hat nicht so genau geprüft werden können infolge des Drängens auf Beschleunigung. Ich behaupte, und es ist mir auch von anderer Seite bestätigt worden, daß die Verhaftung des Angeklagten ein taktischer Fehler war. In bezug auf den Ablehnungsantrag muß ich mich dagegen verwahren, daß er so ausgelegt wird, wie es der Staatsanwalt getan. Es ist nicht gesagt worden, daß das Eingreifen des Justizministers vorsätzlich zuungunsten des Angeklagten geschehen sei. Der Staatsanwalt walt sollte als Jurist wissen, daß es einen Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit gibt. Was die Wertheim-Sache betrifft, so ist dies doch gar nicht zu vergleichen mit der Art, wie der Staatsanwalt in das Vorleben von Zeugen hineingeleuchtet hat. Daß diese Beweisführung nötig war, hat der Gerichtshof dadurch anerkannt, daß er unseren Antrag für erheblich erachtete, und wenn dieser Antrag erheblich war, so war auch erheblich, was wir weiter vorgebracht haben. Ich habe schon darauf hingewiesen, wieweit der Staatsanwalt geglaubt hat, in das Privatleben der Ehefrau des Angeklagten hineinleuchten zu sollen. Er hat dabei Dinge vorgebracht, die gar nicht im Zusammenhange mit dieser Strafsache stehen, er hat sogar in Wien durch Kriminalbeamte bei den Pförtnersleuten der Schwiegereltern des Angeklagten fragen lassen, ob etwas Ungünstiges über das Leben der Frau Gräfin festgestellt werden könne.
R.-A. Dr. Alsberg: Es ist unrichtig, wenn der Staatsanwalt die größere Hälfte der Schuld auf die Eröffnungskammer abwälzen will. Die Anklageschrift soll genau angeben, worin der strafbare Tatbestand zu finden[239] ist. Aber diese Anklageschrift läßt manchmal überhaupt nicht erkennen, wer geschädigt ist. Sie weist viele Fehler auf. Für solche Fehler darf sich die Staatsanwaltschaft nicht auf die Eröffnungskammer berufen. Es ist ja bekannt, daß von oben nach unten hin sehr oft Ideen gegeben werden, und es ist kein Geheimnis, daß der Justizminister den Landgerichtsdirektoren häufig seine Auffassung über die Stimmung mitteilt. Ja, der Justizminister hat sogar einem bestimmten Richter in einem Falle über die Auslegung des G.-m.-b.-H.-Gesetzes Mitteilung gemacht. Die Verteidigung hat bei dem Ablehnungsgesuch den Zweck verfolgt und erreicht, eine Klärung darüber zu schaffen, in welchem Umfang die Beweisaufnahme zulässig war. Was den Vorwurf betrifft, daß sich die Standesgenossen gegen uns gewandt haben wegen der Art der Verteidigung, so habe ich heute morgen das entgegengesetzte Urteil aus dem Munde eines hochangesehenen Kollegen gehört. Ich habe erst vor kurzem einen höchst dramatischen Vorfall hier oben im Schwurgerichtssaal erlebt. Die Staatsanwaltschaft stellte durch Befragung einer Zeugin fest, daß die Frau des Angeklagten früher unter sittenpolizeilicher Kontrolle gestanden hatte. Der Angeklagte, der keine Ahnung hiervon hatte, brach bei diesen Feststellungen völlig zusammen. Es ist ein interessanter Zufall, daß in dem Augenblick, wo wir hier diese Dinge behandeln, in den »Münchener Neuesten Nachrichten« Oberamtsrichter Riß über eine ungenügende Garantie der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber der vorgesetzten Behörde Klage geführt hat. Schließlich noch ein Wort über den Fall Wertheim. Ich konstatiere re ausdrücklich, daß alles, was ich nach dieser Richtung hin in der Beweisaufnahme getan habe, dem einen Zweck diente, festzustellen, daß Frau Wertheim nicht berechtigt war, dem Angeklagten den Glauben an eine Heirat mit ihrer Tochter zu bestreiten, und daß die Gründe, die sich der Verehelichung entgegenstellten, nicht in der Person des Angeklagten lagen. Der Herr Vorsitzende hat auch in der Verhandlung ausdrücklich erklärt, daß meine Fragen zur Sache gehörten. Warum hat Frau Wertheim nicht erklärt: »Meine Tochter ist eine zu selbständige Person, sie ist eine geschiedene[240] Frau und hat ihre eigenen Boudoirs. Ich kann unter meinem Eide nicht sagen, wie sie über eine Heirat mit dem Grafen Metternich gedacht hat.« Der Verteidiger wies zum Schluß die juristische Replik des Staatsanwalts als mit dem Gesetz und der Rechtsprechung des Reichsgerichts unvereinbar zurück. Darauf erhielt das letzte Wort der Angeklagte: Ich muß zunächst einige allgemeine Bemerkungen machen. Es ist recht charakteristisch, wie der Staatsanwalt gegen meine Zeugen vorgegangen ist. Er hat mir vorgeworfen, daß ich Frau Wertheim angegriffen habe. Ist es denn nicht aber mein gutes Recht, eine Zeugin, die als klassisch in der ersten Verhandlung bezeichnet wurde, und die mich damals als einen gemeinen Lügner hinstellte, in das rechte Licht zu rücken, um zu beweisen, daß sie die Unwahrheit sagte? Der Staatsanwalt hat gegen mich und meine Frau ganz ungeheuerliche Beschuldigungen vorgebracht. Er hat es gewagt, mir eine unglaubliche Beleidigung ins Gesicht zu schleudern. Ich bin leider außerstande, hier von der Anklagebank aus ihm so zu antworten, wie ich es gern möchte ... Ich bitte aber den Staatsanwalt, mir diese Beleidigungen noch einmal ins Gesicht zu schleudern, sobald ich das Gefängnis verlassen habe. Ich werde ihm dann so antworten, wie es unter gebildeten Leuten üblich ist. Der Staatsanwalt hat angedeutet, ich wüßte von Beziehungen meiner Ehefrau zu einem Verehrer, und ich wüßte, daß sie die Revenuen von zwei Millionen beziehe. Ich hätte also von unlauteren Beziehungen gewußt und auch gewußt, woher die Gelder kommen. Das ist eine ganz unglaubliche Beleidigung. Der Herr Staatsanwalt hat den Mut, so etwas der armen Frau noch zu sagen, von der er weiß, daß sie sich nicht wehren kann. Ihm wird so etwas gestattet, aber wenn ich, der ich durch die lange Untersuchungshaft körperlich herabgekommen und nervös geworden bin, in der Erregung über das, was mir und meiner Frau angetan wird, etwas zuweit gehe, dann erhalte ich sofort eine Ordnungsstrafe. Traurig ist es, daß ein Staatsanwalt so etwas sagt; er müßte doch so objektiv sein, nicht private Dinge hier auszukramen, die noch dazu nicht wahr sind. Wir verhandeln doch hier keinen Ehescheidungsprozeß »Metternich ternich kontra Metternich!«[241] Wie konnte er bei meinem Schwiegervater die erwähnten Ermittlungen anstellen! Wenn ich meine Frau heirate, so ist das doch wohl genügend! Ich will den Herrn Staatsanwalt nicht beleidigen, wenn ich sage, er ist doch mindestens 15 Jahre älter wie ich.
Vorsitzender (unterbrechend): Es ist zweckmäßiger, wenn Sie sich weniger mit der Person des Staatsanwalts beschäftigen würden!
Angeklagter (mit erhobener Stimme fortfahrend): Es ist doch aber meine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, meine arme Frau gegen derartige infame Anschuldigungen in Schutz zu nehmen.
Vors.: Ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, daß dies nicht der Ton ist, in dem man vor Gericht spricht. Ein Prozeßverfahren ist nicht möglich, wenn Sie sich nicht parlamentarischer Ausdrücke bedienen.
Angeklagter: Ich will nun etwas über die Gustke sagen. Wenn ich wirklich von ihr das Geld bekommen hätte, aus welchem Grunde sollte ich gerade sie schädigen und ihr nichts zurückzahlen, da ich doch so vielen anderen Geld gezahlt habe? Gerade ihr hätte ich zuerst das Geld zurückgezahlt, wenn ich etwas bekommen hätte, weil ich weiß, daß dieser Fall für mich sehr ungünstig ausgelegt werden konnte. Ich behaupte und ich bin bereit, es zu beschwören, wenn ich es dürfte: die Gustke hat hier einen ganz gemeinen Meineid geleistet! Als ich nach Berlin kam, hatte ich tatsächlich nichts. Ich mußte mich ausrüsten, um standesgemäß auftreten zu können, wie dies Tausende meines Standes auch tun würden, wenn sie die Absicht haben, als letztes Mittel eine reiche Heirat einzugehen. Ich bin der festen Überzeugung: wenn ich dies nicht getan hätte und hier mit einem Anzuge und einem Paar Stiefeln herumgelaufen wäre, so hätte der Staatsanwalt mir hieraus wieder einen Strick gedreht und gesagt: »Hier seht ihr's ja. Der Angeklagte hat ja gar keine Absichten gehabt, zu heiraten, sonst wäre er nicht so herumgelaufen, sondern hätte versucht, sein Äußeres so zu gestalten, daß er Eindruck macht!« Ich kann nur immer wieder sagen: Ich war leichtsinnig, ich habe Schulden gemacht, aber ich habe nicht betrogen. Ich hatte die Absicht, mich zu rangieren, und habe dies ja auch getan. Ist vielleicht die große Schauspielerin[242] Claire Vallentin nicht noch mehr, wie die Dolly Pincus, die das Glück hat, Millionen zu besitzen, die ihr Vater erschachert und gestohlen hat, wie die eigene Mutter der Dolly erklärt hat? Ist denn das Geld allein immer nur maßgebend? Ich hätte ja in Wien von meinem Gehalt allein den kleinen Rest der Schulden bezahlen können. Es wird mir doch niemand zutrauen, daß ich so töricht sein würde, 50000 Mark an Roeder und 26000 Mark an die Metallindustrie Schönebeck noch zu zahlen. Das Wenige, was übrigbleibt, konnte ich aus eigener Kraft tilgen. Alles, was zu meinen Gunsten spricht, wird außer acht gelassen, aber das, was mir ungünstig ist, wird auseinandergetreten. Ich selbst als armer Mensch bin ja gar nicht angeklagt, aber der Name Metternich ist hier angeklagt. Das fühle ich in meinem Innern. Wenn ich nur daran denke, wie damals von dem Staatsanwalt oder der Kriminalpolizei in die Zeitungen lanciert wurde, Graf Metternich ist ein Betrüger, so –
Vorsitzender: Der Staatsanwalt lanciert nichts in die Presse!
Angeklagter: Ich sage ja, der Staatsanwalt oder die Kriminalpolizei. Ich kann nur nochmals fragen: Mußte ich nicht in meiner traurigen Lage Schulden machen, um essen zu können? Deshalb bin ich doch noch kein Betrüger. Zum Schluß will ich noch ins Gedächtnis zurückrufen, wie ich im Leben behandelt worden bin. Ich wurde mit 19 Jahren nach Südamerika geschickt, ich verstand kein Wort Spanisch und mußte arbeiten wie ein gewöhnlicher Arbeiter und Knecht. Ich habe es zum zweiten Inspektor gebracht und habe die 200 Pesos nicht umsonst bekommen. Als ich dann die Stellung bei der Bank erhielt, wurde ich von meinem Vater zurückgerufen. Als ich nach Hause kam, entstanden wieder die alten Reibereien, weil wir zuviel Kinder sind und man auf mich nicht mehr gerechnet hatte. Man hat mich dann wieder allein lein in die Welt hinausgeschickt. Ich mußte mich allein durchs Leben schlagen. Nachdem ich hart gearbeitet hatte, bin ich schließlich dazu gekommen, mir zu sagen, daß ich mir endlich durch eine reiche Heirat Ruhe schaffen werde. Habe ich denn nicht auch selbst während der schönen Flitterwochen gearbeitet? Wenn mein Vater, wie er mir versprochen, die Schulden für[243] mich bezahlt hätte, dann wäre ich nie auf die Anklagebank gekommen. Als ich meine Frau heiratete, war mein Vater auch nicht damit einverstanden. Hat mein Vater für mich etwas getan, was mich veranlassen konnte, seinem Wunsche nachzukommen? Meine Herren Richter. Ich bitte, sprechen Sie mich frei. Denken Sie an die Qualen, die nicht nur ich in der kleinen Zelle des Untersuchungsgefängnisses unter Verbrechern zehn Monate lang durchmachen mußte, und auch an die Leiden meiner Frau, die mich im Gefängnis besucht hatte und abends das Publikum durch Scherze hinreißen mußte. Ich bin fürwahr durch das alles genug bestraft worden. Lassen Sie auch Ihr Herz dabei mitsprechen. Ich bitte nochmals um meine Freisprechung.
Nach mehrstündiger Beratung des Gerichtshofs verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Crüger folgendes Urteil: Um zu einer Beurteilung der Frage zu kommen: hat sich der Angeklagte des Betrugs in einer Reihe von Fällen schuldig gemacht oder nicht? müssen wir prüfen, was ist in dieser Verhandlung an objektiven Tatsachen erwiesen, und was ist erwiesen über den Charakter, die Lebensanschauungen des Angeklagten und ferner, wie läßt sich dann dieses alles unter die Paragraphen des Strafgesetzes subsummieren? Da müssen wir beginnen mit der Frage nach der Lebensanschauung, der Lebensstellung und der gesellschaftlichen Stellung des Angeklagten. Wir haben gehört, daß der Angeklagte, eigentlich von Anfang seines Lebens an, seinem Vater Sorge und Kummer bereitet hat. Auf den verschiedenen Gymnasien, auf denen er gewesen ist, hat er schon – natürlich in kleinerem Umfange – Schulden gemacht. Er mußte auch öfter die Schulen wechseln, weil er nicht recht vorwärts kam. Dann sind die Differenzen größer geworden, der Angeklagte hat einen Selbstmordversuch unternommen; sein Vater hielt es für notwendig, ihn zunächst einmal nach Amerika zu schicken, hier hielt er es nur kurze Zeit aus und kam wieder zurück. Da sich aber auch nach der Rückkehr ein einigermaßen angenehmes häusliches Verhältnis mit dem Angeklagten nicht herstellen ließ, hielt es der Vater für angemessen, ihn wieder nach Amerika zu schicken, und gab ihm dieses Mal eine größere Summe,[244] etwa 4000 Mark, mit, die die Grundlage für eine Existenz bilden sollten. Auch in diesem Falle ist es dem Angeklagten nicht geglückt, sich zu halten. Nach kurzer Zeit hatte er das ganze Geld verbracht und kam wieder nach Hause. Nun wies ihm sein Vater direkt die Tür. Er ließ sich bereit finden, dem Angeklagten noch monatlich 30 M. zu geben. Aber der Angeklagte und auch sein Vater mußten sich sagen, daß diese Summe nicht zum Lebensunterhalt ausreichen, sondern nur die Existenzmöglichkeit, die Möglichkeit einer Wohnung, gewähren konnte. Nach kurzem Aufenthalt in Frankfurt kam der Angeklagte nach Berlin. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, daß der angebliche Baron v. Teplitz-Zeuner ein Schwindler war, und daß der Angeklagte nicht gewußt hat, daß dies der Fall war, vielmehr geglaubt hat, daß dieser ihm eine Stellung verschaffen würde. Bald mußte der Angeklagte aber erkennen, daß es sich um einen Schwindler handelte, nachdem er ihm selbst einen Wechsel über 5000 Mark gegeben hatte. Nun stand der Angeklagte wieder dem Nichts gegenüber. Jetzt setzt nun das Verhalten des Angeklagten ein, wie es im Eröffnungsbeschluß ihm als Straftat zur Last gelegt wird. Er hatte nichts und hatte auch einstweilen keine Aussicht, Geld zu bekommen. Er hat alsdann in keiner ernstlichen Weise sich bemüht, sich Arbeit, eine Anstellung, überhaupt einen Verdienst zu verschaffen, sondern er hat angefangen daraufloszuleben, und dieses Leben gründete er, wie er wußte und wissen mußte, nur auf Schulden und auf eine ganz unsichere chere Aussicht, später in bessere Verhältnisse zu kommen. Erleichtert wurde ihm das sehr; Kredit wurde ihm von allen Seiten entgegengebracht infolge seines Namens. Der Angeklagte hat gelebt, und wie hat er gelebt! Das muß man bedenken. Da wird ein Automobil gekauft, ein teures Reitpferd, beim Schuhmacher wird eine Rechnung von 500 Mark gemacht in kaum einem Jahre, beim Schneider werden Sachen für 1000 Mark bestellt, dann muß eine goldene Uhr für 400 Mark angeschafft werden, und es werden Dedikationen für über 100 Mark gemacht. Der Rosenstrauß muß besonders feine Rosen haben, die erst besorgt werden müssen, weil sie sonst kaum im Handel sind. Der Angeklagte[245] verkehrt dann mit den teuersten Kokotten von Berlin in den Ballokalen und gibt dort in einer Nacht das Doppelte von dem aus, was eine Arbeiterfamilie in einem Monat zu verzehren hat. Das ist das Bild, das wir von dem Leben des Angeklagten notwendig gewinnen mußten. Er weist darauf hin, um sein bescheidenes Leben darzutun, daß er eine Wohnung für nur 30 Mark und eine Pension von 90 Mark monatlich gehabt hätte. Das hat aber wohl daran gelegen, daß es selten Pensionsmütter geben wird, wie Fräulein Uhrmann, die den Angeklagten nahm, obwohl er ihr sagte: »An Geld ist vorläufig nicht zu denken, vorläufig muß ich alles auf Borg nehmen,« und die ihm dann noch einmal 1000 Mark und dann 800 Mark zur Verfügung gestellt hat, ohne daß bestimmte Aussichten auf Rückerstattung vorhanden waren. Daß sonst das Leben des Angeklagten nicht so einfach war, sehen wir auch daraus, daß er ständiger Gast im Hotel Esplanade war, von dem wir wissen, daß es kein billiges Lokal ist. Zu diesem Leben gehörte Geld, Geld und immer wieder Geld. Wir sehen, zu wie wenig skrupellosen Mitteln der Angeklagte zum Schluß gegriffen hat, um sich Geld zu verschaffen. Mit schlimmen und berüchtigten Geldagenten ist er vielfach zusammengekommen, um Darlehen von kleinen und höheren Summen zu erhalten. Mit Leuten, die ihm ziemlich unbekannt waren, wie Hagenow, Schlesinger hat er Wechsel auf hohe Summen geschrieben, ohne sich viel darum zu kümmern, was aus den Wechseln wurde. Wir sehen, daß er ohne irgendwelche weitere Erkundigungen über die Sicherheit der Geldmänner sogar gegen ein Darlehn von 2000 Mark 50000 Mark Geschäftsanteile einer Teppichfabrik übernahm, daß er sich Lexika, Klassikerausgaben bestellte, von denen er nie Gebrauch machen wollte, nur um sich in irgendeiner Weise Geld zu schaffen. Das ist das, was der Angeklagte getan hat. Nun fragen wir, welche Aussichten hatte er, die von ihm gemachten Schulden je bezahlen zu können? Konnte er überhaupt darauf rechnen, sie in absehbarer Zeit zu bezahlen? Da hat er angeführt, daß ihm eine Aussöhnung mit seiner Familie in Aussicht gestanden hätte, er sei sogar der Meinung gewesen, daß nach zwei Jahren sein Vater ihm ohne weiteres eine große[246] Zulage gewähren würde. Das Gericht ist gegenteiliger Ansicht. Vielleicht hätte sich der Vater dazu verstanden, dem Angeklagten wieder zur Seite zu stehen. Aber wenn er wußte, wie sein Sohn hier in Berlin lebte, daß er nichts geworden war, sich um nichts bemüht hatte, daß dann ein größerer Zuschuß von seinem Vater zu erwarten war, davon kann nach Ansicht des Gerichts nicht die Rede sein. Die folgenden Vorgänge haben dies ja auch bestätigt. Der Angeklagte hat immer auf seine Heiratsprojekte hingewiesen. Es ist darüber gesprochen worden, ob seine Heiratsprojekte ihm eine Anwartschaft darauf gaben, in den Besitz großer Summen zu kommen. Auch hier kann nur betont werden: Wir haben ja den praktischen Erfolg gesehen, daß es dem Angeklagten nicht geglückt ist, eine reiche Frau zu bekommen. Er hat erst später eine Frau geheiratet, die ihm die Mittel zur Verfügung gestellt hat. Aber hier ist es ihm nicht geglückt, und er mußte Berlin verlassen, weil er sich wegen seiner Schulden nicht halten konnte. Es soll nicht gesagt werden, er flüchtete, aber er konnte sich hier nicht halten, weil er fertig war mit seiner Kreditfähigkeit. Tatsächlich konnten ihm aber auch die Heiratsprojekte, die er hatte, absolut keinen Grund geben, sich für kreditfähig hig zu halten, denn sämtliche Projekte sind nicht weiter hinausgekommen, als über einen Schriftwechsel mit einem Heiratsagenten und mit Buchwald. Bei Frau Dolly nimmt das Gericht an, daß er sich längere Zeit eingebildet zu haben scheint, daß sie ihm dereinst als Frau anheimfallen werde. Es ist dem Angeklagten geglaubt worden, daß er sich mindestens einbilden konnte, sie zu heiraten. Daß diese ganz unsicheren Heiratsprojekte ihm aber keinerlei Berechtigung geben konnten, bestimmte Versprechungen zu machen, kann keinem Zweifel unterliegen. In allen Fällen der Anklage, mit Ausnahme von einigen ganz kleinen Warenschulden, wußte er nicht, ob er die Schulden zu dem bestimmten Termin bezahlen konnte. In allen Fällen ist also ohne weiteres gegeben das Bewußtsein des Angeklagten, daß seine Gläubiger geschädigt würden. Nichts weiter ist nötig zu dem Tatbestandsmerkmal des Betruges. Er braucht nicht die Absicht gehabt zu haben, seine Gläubiger zu schädigen,[247] er brauchte nur das Bewußtsein gehabt zu haben, daß sie geschädigt würden. Dieses eine Moment, das für alle Fälle zutrifft, ergibt aber nicht allein das Tatbestandsmerkmal des Betruges, dazu gehört mehr. Daß er die Absicht hatte, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, bedarf keiner Erörterung. Zu dem Tatbestandsmerkmal des Betrugs gehört aber noch, daß er falsche Vorspiegelungen gemacht und dadurch einen Irrtum bei seinen Gläubigern erregt hat. Das Gericht geht nicht soweit, die Unterdrückung wahrer Tatsachen schon darin zu sehen, daß er nicht von vornherein mitteilte, er sei unvermögend. Das Gericht muß verlangen, um das Tatbestandsmerkmal des Betruges festzustellen, daß der Angeklagte tatsächlich durch falsche Vorspiegelungen seine Gläubiger getäuscht hat. Weil dies in den allermeisten Fällen nicht hat festgestellt werden können, ist die Mehrzahl der Anklagefälle in Wegfall gekommen. Dagegen bleiben drei Fälle übrig, bei denen die Vorspiegelung falscher Tatsachen erwiesen ist. Das ist erstens der Fall Gustke-Stöß, zweitens der Fall Horch und drittens der Fall Risch. Der Gerichtshof hat nicht den geringsten Zweifel, daß die Gustke tatsächlich dem Angeklagten ein Darlehen von 1000 Mark gegeben hat. Wenn die Gustke uns das allein bezeugt hätte, so würde es uns nicht einfallen, daraufhin den Angeklagten zu verurteilen, denn die Zeugin hat nach mancher Richtung hin doch Bedenken erregt. Die Aussage der Gustke wird aber außer Zweifel gestellt durch eine Unmenge anderer Tatsachen. Die Zeugin Haase hat bekundet, daß die Gustke zunächst zu Stöß kam und weit über 1000 Mark vorzeigte. Als sie nach einigen Tagen wiederkam, hatte sie das Geld nicht mehr, sondern einen Wechsel von 1200 Mark und sagte, das Geld habe sie einem Graf geborgt. Ferner kommt die Aussage des Rechtsanwalts Ballien hinzu, der auf Veranlassung der Gustke dem Angeklagten mit dürren Worten schrieb, er habe sich nach der Behauptung der Gustke des Betruges schuldig gemacht. Jeder andere hätte daraufhin mit Entrüstung gesagt: »Was denkt sich diese Person!« Der Angeklagte aber ging zu Rechtsanwalt Ballien und erhob den Einwand des Wuchers gegen die Gustke, weil der Wechsel auf 1200 Mark lautete, während er nur 1000 Mark erhalten habe. Wenn der[248] Angeklagte es jetzt so darstellt, als ob er den Einwand des Wuchers nur bedingungsweise erhoben habe, so hält das Gericht dies nur für eine leere Ausrede, die gegenüber der Aussage des Rechtsanwalts Ballien nicht standhalten kann. Hinzu kommt, daß der Angeklagte auch einer anderen Kokotte, der Zeugin de Lor, gegenüber das Ansinnen gestellt hat, ihm gegen einen Wechsel von 500 Mark 300 Mark zu borgen. Hinzu kommt auch noch der Brief an die Gustke, in dem er fälschlich angibt, er hätte die Braut schon getroffen. Nimmt man alle diese Punkte zusammen, so kann kein Zweifel bestehen, daß der Angeklagte das Geld von der Gustke bekommen hat und unzweifelhaft auf Grund falscher Vorspiegelungen. Er hat der Gustke erzählt, daß er 2000 Mark monatlich zu verzehren habe. Daraufhin hat sie ihm das Geld gegeben. Er kann sich nicht damit entschuldigen, daß er damals auf die Brautschau nach einer vielfachen Millionärin ging, denn er hatte die Dame noch nicht gesehen, sondern nur einen Brief von Buchwald bekommen. Bemerkenswert ist noch, daß der Angeklagte bei der späteren Auseinandersetzung an Stöß noch das Ansinnen gerichtet hatte, ihm für 3000 Mark Brillanten zu verkaufen, die er noch auf Kredit haben wollte. Es kommt der Fall Horch, in dem sich der Angeklagte ein Automobil gegen eine Anzahlung von 1000 Mark verschafft hat. Er hat es wenige Tage nachher, sobald sich ihm die Möglichkeit bot, versetzt. Der Angeklagte hat sich darauf berufen, daß ihm der Kredit auf seinen guten Namen hin gewährt worden sei. Der Gerichtshof nimmt an, daß der Angeklagte den Wagen nur zu dem Zweck gekauft hat, um sich damit aus einer großen Verlegenheit zu helfen und sich 5000 Mark zu verschaffen. Es kann nicht die Rede davon sein, daß er von dem Zeugen Bellmer die Erlaubnis erhalten habe, den Wagen zu versetzen. Dagegen sprechen alle begleitenden Umstände und die eidliche Aussage Bellmers. Wenn man sich überlegt, daß Bellmer das Geschäft ausdrücklich abgelehnt hatte und nur auf direkte Anweisung aus Zwickau es gemacht hat, so muß man doch sagen: er würde von Sinnen gewesen sein, wenn er sich in dieser Weise seiner Firma gegenüber verantwortlich gemacht hätte. Der Angeklagte war nicht berechtigt, den Wagen zu versetzen, er[249] hat auch Herrn Bellmer ausdrücklich drücklich versichert, er wolle ihn nicht versetzen, aber er hatte doch von Anfang an die Absicht des baldigen Versatzes. Das ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Er konnte auch nicht mit der Möglichkeit rechnen, daß er den Wagen werde einlösen können. Er hat den Wagen ja schließlich eingelöst, aber nur mit Hilfe des Amtsgerichtsrats Grafen v.d. Schulenburg. Dieser hat dem Angeklagten das Geld mit einigem Zögern gegeben, weil er sich sagte, der ihm befreundete Angeklagte könnte in große Verlegenheit kommen. Es ist auch charakteristisch, daß der Angeklagte 6500 Mark borgt und nur einen Teil des Geldes dazu verwendet, um das Automobil auszulösen, den übrigen Teil aber behält. Das ist eine wenig schöne Handlung, die auch dadurch nicht aus der Welt geschafft wird, daß Graf Schulenburg bekundete, es wäre ihm auch recht gewesen, wenn der Angeklagte ein paar hundert Mark zu anderen Zwecken verwendet hätte. Dann kommt als dritter der Fall Risch. Hier hat der Angeklagte das Pferd im Februar 1910 gekauft, also zu einer Zeit, als er sich schon in hoher Bedrängnis befand und als von ernsten Heiratsprojekten nicht mehr die Rede sein konnte. Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Angeklagte das Pferd lediglich gekauft, um sich darauf Geld zu machen. Wenige Tage nach dem Kauf stellte er es schon zum Verkauf, er hat sich überhaupt das Pferd wenig angesehen, und auf den Preis kam es ihm gar nicht an. Es handelte sich für ihn nur darum, Geld zu erhalten. Er hat dies nicht nur verschwiegen, sondern auch versprochen, den Wechsel am 1. Mai einzulösen, da er angeblich um diese Zeit Gelder bekomme. Das war eine falsche Vorspiegelung, denn er hatte keinerlei Sicherheit, zu diesem Termine Frau Risch 2500 Mark zahlen zu können. In allen anderen Fällen hat der Gerichtshof zu einer Verurteilung des Angeklagten nicht kommen können. Es handelt sich da zumeist um Geschäftsleute, die dem Angeklagten bereitwilligst Kredit gewährt haben, und er hat ja auch Abschlagszahlungen geleistet. Er hat in diesen Fällen auch direkte falsche Vorspiegelungen nicht gemacht. In anderen Fällen hat das Gericht deshalb nicht angenommen, daß er sich bewußt war, eine Vermögensschädigung zu begehen; das ist namentlich in allen den Fällen nicht anzunehmen, wo[250] noch andere Personen auf den Wechseln standen. Nun handelt es sich noch um die Frage: sind diese Fälle auslieferungsfähig und können sie abgeurteilt, oder muß das Verfahren eingestellt werden? Da kann es keinem Zweifel unterliegen, daß in allen Fällen die Tatbestandsmerkmale des Betruges, sowohl nach österreichischem als auch nach deutschem Recht gegeben wird. Wir kommen nun zum Strafmaß. Da ist im weitesten Maße berücksichtigt worden, daß sich der Angeklagte in schlimmer Lage befand. Er war von seiner Familie einstweilen vor die Tür gesetzt und hatte auf Unterstützung von dort nicht zu rechnen. Das war schlimm für ihn. Er war nach seinem ganzen Bildungsgange, nach seiner Zugehörigkeit zu einer altadligen Familie und seinem Charakter – der Gerichtshof folgt hierin ganz dem lichtvollen Vortrage des Oberarztes Dr. Forster – ein großer Optimist, der sich einbilden mochte, über kurz oder lang zu Gelde zu kommen, und er war ferner ein Mann, der wenig fähig war, sich im Leben zu halten. Es muß aber betont werden, daß das Gericht die Behauptung des einen Verteidigers: das Verhalten des Vaters sei eine Schändung des Blutes, aufs höchste gemißbilligt hat und der Meinung ist, daß von einer Berechtigung dieses Ausdrucks in keiner Weise die Rede sein kann. Aber anderseits muß zugegeben werden, daß der Angeklagte von der Familie hart angefaßt wurde. Er war dadurch, daß er nichts Rechtes konnte, nichts wußte, nicht arbeitsfähig, aber auch nicht arbeitswillig war, in eine sehr üble Lage versetzt, wenn auch nicht zu billigen ist, daß er sich in solcher Lage nicht auf das alleräußerste beschränkte, und nicht versuchte, sich eine Existenz zu schaffen. Der Sachverständige hat mit Recht gesagt, der Angeklagte sei das Produkt seiner Erziehung und teilweise der Verhältnisse. Es soll ihm auch im weitesten Maße angerechnet werden, daß er bei seinem Optimismus meinte, darauf rechnen zu dürfen, er werde später einmal in die Lage kommen, zu zahlen. Die spätere Erfüllung der Verpflichtungen kann ja den Tatbestand des Betruges an sich nicht beseitigen, aber dazu beitragen, die Verfehlung milder zu beurteilen.
Schließlich war zu erwägen, daß der Angeklagte in der Tat bemüht gewesen ist, den Schaden wieder gutzumachen, und mit Hilfe seiner Frau, die ihm ja in uneigennützigster[251] Weise zur Seite gestanden, versucht hat, den Schaden zu beseitigen, und daß ihm dies auch wohl gelungen wäre, wenn er nicht verhaftet worden wäre. Trotz der sehr erheblichen Objekte, und obgleich das ganze Verhalten des Angeklagten sehr leichtfertig und verwerflich war, hat der Gerichtshof sehr milde Strafen eingesetzt, und zwar: für den Fall Gustke drei Monate, für den Fall Horch fünf Monate, für den Fall Risch vier Monate. Der Gerichtshof hat diese Einzelstrafen auf neun Monate Gefängnis zusammengezogen. Da der Angeklagte lange Zeit in Untersuchungshaft gesessen, hat der Gerichtshof es für angezeigt erachtet, ihm sechs Monate auf die Strafe als verbüßt anzurechnen. Die Kosten des Verfahrens werden, soweit Verurteilung erfolgt ist, dem Angeklagten, soweit Freisprechung erfolgt ist, der Staatskasse auferlegt. Ich schließe die Sitzung.
Angekl. Graf Metternich (sehr erregt): Ich mache von dem Rechtsmittel der Revision Gebrauch! Ungerecht! recht! Natürlich! Der Name mußte verurteilt werden, das ist ja selbstverständlich, das habe ich schon vor vier Wochen gesagt. Den Grafen Metternich kann man nicht laufen lassen; wenn es ein Schultze oder Müller gewesen wäre, hätten die Herren anders geurteilt. Das ist deutsche Gerechtigkeit! In Rußland wäre so etwas nicht möglich gewesen.
Als die Verteidiger den Angeklagten zu beruhigen suchten, rief er mit lauter Stimme: Ich soll Horch falsche Tatsachen vorgespiegelt haben? Hahaha! Das ist klassisch! Bei solcher verdammten Ungerechtigkeit soll man ruhig bleiben!
Der Angeklagte wurde nach kurzer Besprechung mit seiner Gattin und den Verteidigern in das Untersuchungsgefängnis zurückgeführt.
Der Angeklagte hat schließlich auf Revision verzichtet und sich bereit erklärt, die drei Monate sofort zu verbüßen, da ein Antrag auf Haftentlassung abgelehnt wurde. Inzwischen ist gegen den Grafen Gisbert v. Wolff-Metternich und den Rumänen Bejos die Anklage wegen Falschspiels erhoben worden. Der Hauptangeklagte, der sogenannte König der Falschspieler, der angebliche Freiherr v. Korff-König, dessen richtiger Name Stallmann ist, wird auf der Anklagebank nicht erscheinen, da die Behörde in Kalkutta die Auslieferung abgelehnt hat.[252]
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