Im Trauerhause

[105] Ein Todesfall in der Familie legt den Hinterbliebenen Pflichten auf, deren Erfüllung trotz des tiefsten Schmerzes nicht umgangen werden darf.

Der Tod muß zuerst der Polizeibehörde gemeldet, dann den Verwandten, Freunden und Bekannten angezeigt werden.

Fernstehende erfahren den Trauerfall durch eine Zeitungsanzeige, Näherstehende durch gedruckte Anzeigen, die in offenen, schwarz umrandeten Umschlägen versandt werden. Man darf nicht vergessen, Tag und Stunde, Ort und Art der Beerdigung [Beerdigung oder Einäscherung] anzugeben. In den meisten Fällen wird die Leiche aufgebahrt und schon am Abend des Todestages oder am darauf folgenden Tage in die Leichenhalle gebracht und von dort bestattet. In heißer Jahreszeit, bei beschränkter Wohnung oder vorhergegangener ansteckender Krankheit ist eine solche Maßnahme sogar notwendig; Ortsgesetze und Sitten entscheiden diese Frage. Im allgemeinen findet die Bestattung zwei bis vier Tage nach erfolgtem Tode statt.

Die Angehörigen des Toten legen Trauerkleidung an; Damen tragen schwarze Gewänder aus glanzlosen Stoffen mit Kreppgarnituren, schwarze Schleier, keine oder stumpfe, schwarze Schmucksachen.[105] Herren wählen schwarze oder sehr dunkle Anzüge, einen schwarzen Flor um den Hut und eine schwarze Kreppbinde um den linken Oberarm.

Die Trauer um Gatten und Eltern wird ein Jahr getragen und dann durch ein halbes Jahr sogenannter »Halbtrauer« [grau, lila, weiß] allmählich zu lebhafteren Farben zurückgeführt.

Um Großeltern und Geschwister trauert man ein halbes Jahr, um entfernte Verwandte drei Monate. Doch ist die angegebene Zeit der kürzeste Termin, den die Schicklichkeit fordert, und das eigene Empfinden kann daher die Trauerzeit nicht abkürzen, wohl aber nach Belieben verlängern.

Kleine Kinder trauern in ihrer Kleidung nur um den Verlust der Eltern und meist nur ein Vierteljahr in schwarzen Anzügen; farbige Stoffe werden aber während des Trauerjahres möglichst vermieden und durch weiße, graue, schwarz und weiß zusammengestellte usw., ersetzt.

Öffentliche Vergnügungen während der Trauerzeit aufzusuchen, verbietet wohl jedem schon das eigene Schicklichkeitsgefühl; aber auch Hausmusik, lautes Sprechen und Lachen sind wenigstens in den ersten Wechen nach dem Trauerfall tunlichst zu vermeiden.

Bei dem Begräbnis zeigen die Angehörigen des Toten ein gefaßtes Benehmen; Anstand und guter Ton verbieten lautes Geschrei und haltloses, ungezügeltes[106] Weinen. Echter Schmerz sucht die Einsamkeit und beherrscht sich vor Zeugen.

Freunde und Bekannte der Familie senden Kränze und Palmenzweige in das Trauerhaus, falls nicht auf den Todesanzeigen gebeten ist, davon Abstand zu nehmen. Wer keine Anzeige erhielt und die Trauernachricht nur durch Zeitungsinserat erfuhr, ist nicht verpflichtet, Blumen zu schicken.

Zum Begräbnis erscheinen alle Teilnehmer an dem Ort, der für die Trauerfeier bestimmt wurde und geben den Angehörigen des Toten durch einige teilnehmende, herzliche Worte oder durch einen Händedruck ihr Mitgefühl kund. In manchen Orten ist es Sitte, daß nur Herren am Leichenzug teilnehmen und die Damen erst nach der Beerdigung auf den Kirchhof kommen; über solche Fragen entscheidet der Ortsbrauch, nach dem man sich in jedem Fall richtet.

Die Kleidung ist möglichst schwarz, jedenfalls ganz dunkel zu wählen; schwarzer Hut und schwarze Handschuhe, für Herren der mit Trauerflor umlegte Zylinder und der Flor am linken Ärmel des Rockes sind unerläßlich. Findet die Bestattung vom Trauerhause statt, so schließen sich die Leidtragenden dem Leichenzuge an; sie können aber – als Fernstehende – den Zug auch an der Kirchhofstür erwarten und sich dort erst anschließen, wenn sie das vorziehen.

Kondolenzbesuche werden acht bis vierzehn Tage nach dem Trauerfall gemacht. Auch bei dieser Gelegenheit ist[107] möglichste Zurückhaltung seitens der Besucher nur zu empfehlen, damit die Hinterbliebenen eines geliebten Toten nicht durch häufige Wiederholung der traurigen Erlebnisse immer wieder aufgeregt werden. Teilnehmende Herzlichkeit braucht darum nicht vermißt zu werden und muß auch der Inhalt der kurzen Schreiben sein, die an Stelle der Kondolenzbesuche die Leidtragenden von unserem Mitgefühl an ihrem Schmerz überzeugen sollen. Damit sind den großen, wichtigen Ereignissen, die den Turnus des Familienlebens ausmachen, einige Worte gewidmet, Ratschläge, wie man sich zu benehmen hat. Sie wollen nicht apodiktisch sein, denn Standes- und Ortsgebrauch verlangen oft ein festumschriebenes Verhalten, das sich traditionell in den Familien und den Sitten einer Stadt abspielt und bestimmte Forderungen an den Einzelnen stellt, die an anderen Orten ganz anders lauten.[108]

Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 105-109.
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