Carl-Theater

[48] Die Zeit, die ich im Carl-Theater zubrachte, war wenigstens an den Abenden eine sehr heitere. Man denke: Direktor Carl, Nestroy, Scholz, Grois, Treumann, Knaack und andere. Abend für Abend diese Tollheit! Und wenn man auch ein Stück fünfzigmal en suite gesehen hatte, die sich stets erneuernde Heiterkeit des Publikums hatte immer etwas Ansteckendes. Übrigens war Nestroy oft unerschöpflich an witzigen Extempores und manches Stück verdankte diesem seine Fortdauer. In diesen Possen waren die periodischen Opernpotpourris sehr beliebt.

An einem heißen Sommertag – damals gab es noch keine Theaterferien – erscheint Meyerbeer in der dritten Parkettreihe. Das Theater sehr leer. Nestroy sang so ein Potpourri und verhöhnte in wahrhaft grausamer Weise die Gnaden-Arie der Isabella aus »Robert der Teufel«: »Einst lag ich zu deinen[48]


Carl-Theater

Es waren glücklicherweise nicht viele da, die darüber lachen konnten und Meyerbeer – schlief oder tat wenigstens so. Er verließ nach dem Akt das Theater.

Nestroy war als Mensch äußerst ruhig, ernst, still, bescheiden, liebenswürdig; er hatte nur als Direktor mit den Mitgliedern unangenehme Erörterungen. Nestroy kümmerte sich wenig oder gar nicht um Regie – auch selbst nicht seiner Stücke – die besorgte Grois. Ich hörte nie eine szenische Anordnung oder Regiebemerkung von ihm. Es ist überhaupt merkwürdig und charakteristisch für ihn, daß ich mich nicht erinnere, in den sieben Jahren meiner Anwesenheit daselbst seine Stimme außer in seinen Rollen gehört zu haben.

Nur einmal – aber da ordentlich. Wir mußten die ganze vierstündige Probe eines Stückes aushalten, in dem gar keine Musik vorkam, außer einigen Takten Schrum-schrum zum Abschluß. So unnütze Quälerei erbittert ein Orchester. Ein Orchestermitglied konnte sich denn auch nicht enthalten, seinen Unmut darüber etwas laut zu äußern. Nestroy, der abgewendet an der Rampe stand, wendet sich hastig um und schreit zornig hinab: »Kusch!« Aber die Wirkung war nicht die beabsichtigte, denn das ganze Orchester lachte laut, als wäre es eine komische Pointe seiner Rolle gewesen. Man nahm dem gutmütigen, so beliebten Menschen nichts übel und er lachte schließlich mit, sein Zorn war bald verraucht.

Auch sonst erlebte ich um diese Zeit manches Absonderliche, die Zeit Charakterisierende. Man war in künstlerischen Dingen nicht sehr empfindlich und vieles wäre, wie ich glaube, heute wohl kaum möglich.

So war einmal auf der Bühne eine Manege gelegt und durch drei bis vier Wochen produzierte sich eine Miß Ella als Kunstreiterin. In den Vormittagsstunden, wenn wir keine Proben[49] hatten, ging ich gerne ins Theater, um auf verschiedenen Instrumenten zu üben. Da wohnte ich oft den Proben der Miß Ella bei. Und wie wurde das junge Geschöpf mit der Peitsche blutig geschlagen, wenn es vom galoppierenden Pferde das Sprungbrett verfehlte und das unten durchlaufende Pferd nicht rechtzeitig erreichen konnte! Noch heute hör ich das Hopp-HoppGeschrei, das meist von einem Peitschenhieb begleitet war.

Aus dieser Miß Ella entpuppte sich später nach Jahren der bekannte Schriftsteller Vacano. Miß Ella war ein Junge. Ebenso ästhetisch-interessant waren die Affendarstellungen Klischniggs. Diese waren übrigens mit großer Geschicklichkeit getreu der Natur abgelauscht und sehr possierlich.

Auch sonst noch allerlei artistisch-equilibristische, akrobatische Produktionen fanden statt. Daß alle diese Dinge möglich waren, erklärt sich einfach daraus, daß es damals außer dem altehrwürdigen Wirtshausbrettl mit seinen harmlosen Volksliedern keinerlei Tingl-Tangl, Varietés, Kabaretts usw. gab.

Enormes Aufsehen machte auch die schöne, graziöse spanische Tänzerin Pepita, deren Nationaltänze sich weniger durch Virtuosität als durch rein sinnliche Bewegung auszeichneten. 50 Abende en suite. Wir im Orchester hatten nicht bloß das Vergnügen, die schöne Tänzerin jeden Abend zu sehen, sondern auch all die lange Zeit keine Proben zu halten. Entzückend war allabendlich die Blumenpracht der hunderte von Buketts und Kränzen, die über unsere Häupter flogen und das ganze Haus mit Blumenduft erfüllten. Und sonderbar! Neben allen solchen Erscheinungen sah ich eine Rachel als Adrienne Lecouvreur, Dawison als Richard III. und Königsleutnant in seiner besten Zeit und andere hervorragende Schauspieler.

Eine interessante Erscheinung war der Neger-Schauspieler Ira Aldridge. Eine gedrungene Statur, der richtige Negertypus,[50] dunkel, aber nicht mohrenschwarz. Er war, abgesehen von der Originalität und Rassigkeit der Erscheinung, ein hochbedeutender Schauspieler. Selbstverständlich war Othello sein Paradestück, das man gesehen haben mußte; aber auch bedeutend als Richard III. und köstlich originell in seinen heiteren Niggerstücken.

Es war possierlich anzusehen, wie dieser riesig starke Neger unter dem Pantoffel seiner Ehegesponsin, einer großen, hageren Engländerin, stand. Sie war eifersüchtig, verließ ihn nie und war bei allen Proben. Bei einer solchen traf es sich, daß er um eine Viertel stunde zu spät kam. Man wartete. Als er endlich erschien, fuhr sie wie ein Drache auf ihn los und schrie ihn an: »How can you neglect such business?« (Wie kannst du ein solches Geschäft vernachlässigen?)

Dieser langen Theaterzeit mit all ihrer Misere, Armseligkeit und Heiterkeit verdanke ich doch ganz köstliches Gut: Ich lernte das Theater kennen, innen und auswendig. Zehn Jahre Abend für Abend die Bühne vor sich; Ernstes, Heiteres, den ganzen Mechanismus in all seinen Agenden – es war eine gute Schule, die mir später sehr zu statten kam. Nur so erklärt es sich, daß ich, der vorher nie etwas für das Theater, ja kaum noch einen Chorsatz geschrieben hatte, die »Königin von Saba« schreiben konnte, später überall meine Opern selbst zu inszenieren imstande war. Über letzteres habe ich später noch manches zu sagen.


*


In diesen sieben Jahren am Carl-Theater hatte ich keinen einzigen freien Tag, wenn ich ihn mir nicht durch einen verläßlichen Ersatzmann verschaffte, was doch zuweilen geschah. Damals gab es außer der Nord- und Südbahn noch keine anderen Bahnen. Die jetzt so beliebten Kurorte des Salzkammergutes, Tirols usw.[51] mit ihren hohen Kurtaxen existierten damals noch nicht; man begnügte sich mit dem nahen Döbling, Hietzing, Heiligenstadt usw. – ohne Kurtaxen. Die vornehme Welt ging nach Baden. Heute reist man eher nach Amerika, zum Nordkap als damals nach Gastein oder in die Schweiz.

Dies hübsche Zuhausebleiben war auch die Ursache, daß damals die fünf Theater den ganzen Sommer spielen konnten. Es gab keinen freien Tag. Aber welch ein Aufjauchzen auch, wenn ich an solch einem erkauften freien Tag mit einigen Freunden früh am schönen Sommermorgen – einen Gulden in der Tasche, in die herrliche waldreiche Umgebung Wiens hinauswanderte. Ich hatte viele Jahre keinen Landaufenthalt gekannt. Es war ein Glücksgefühl, wie aus einem Kerker entflohen zu sein.

Vieles hat sich in der Zeit geändert. Wien hat sich in seiner Baulichkeit, in seiner Einwohnerzahl mehr als vervierfacht. Als ich nach Wien kam, hatte Wien 500.000 – jetzt zwei Millionen. Was flüchten kann, geht im Sommer weit weg in die Berge; die obengenannten und noch viele andere Vororte sind Stadtgebiet Wiens geworden und doch können von 13 bis 14 Theatern heute nicht drei den Sommer über sich erhalten und schließen ihre Hallen.


*


Bisher schrieb ich nur für die Geige: Phantasien, Variationen, Konzerte. Ein glücklicher Zufall führte mich in die Kammermusik. Ein Postbeamter namens Wittrich lud mich und den tüchtigen Violoncellisten Träg von der Hofoper zu sich, um mit ihm ein Trio zu spielen. Da lernte ich den ersten Beethoven und Mendelssohn kennen. Aber was für mich entscheidend war – der Hausherr spielte mir die Sonaten von Beethoven vor; welche ungeahnte Welt ging mir da auf! Ich verlangte nun wieder und wieder Sonaten von Beethoven.[52]

Nun schrieb ich nur mehr Kammermusik. Ein Streichquartett, ein Trio, dessen erste Takte ich (nach 50 Jahren) in mein E-MollTrio aufnahm und ein Klavierquartett – letzteres damals mehrfach öffentlich aufgeführt; doch alle zusammen blieben ungedruckt; sie staken noch tief in Mendelssohn.

Quelle:
Goldmark, Karl: Erinnerungen aus meinem Leben. Wien, Berlin, Leipzig, München 1922, S. 48-53.
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