Hans von Bülow

[97] Eines Nachmittags gegen drei Uhr besuchte ich Hans v. Bülow, den ich schon vorher in Pest kennen gelernt hatte. Er nahm mich überaus freundlich auf, wir plauderten lange, dann setzte er sich aus Klavier, spielte alte und neue Musik, unter anderem eine neue Tokkata von Rheinberger, für den er sehr schwärmte. Frau Kosima, deren edles, geistvolles Gesicht ich da zum ersten Male sah, ging ab und zu durchs Zimmer. Ich wollte mich verabschieden, aber er ließ mich nicht gehen, ich mußte noch mit ihm Tee trinken – und so wurde es sieben Uhr abends, als ich ging.

Als Lord Odo Russel gefragt wurde, wieso es ihm gelang, im Hause des Kronprinzen Friedrich von Preußen sich so lange in so intimem Verkehr zu erhalten, was bei Höfen bekanntlich nicht so leicht ist, antwortete er: »Weil ich mich jedesmal fern von aller Intimität so benahm, als hätte ich den Fürsten zum erstenmal gesprochen.« Hieran mußte ich denken, als ich wenige Tage nachher nach Budapest zur Erstaufführung der »Heiligen Elisabeth« von Fr. Liszt ging. In der Genera!probe traf ich Bülow und seine Frau. Ich ging auf ihn zu und begrüßte beide respektvoll und – Bülow benahm sich, als hätte er mich nie gesehen, fremd und kalt.

Zu Hauseangelangt, ging ich aus Instrumentieren der »Sakuntala«-Ouvertüre. Im darauffolgenden Winter schickte ich sie durch einen Freund in die philharmonische Probe. Dessoff ließ sie sogleich durchspielen und sie wurde mit Akklamation zur Aufführung angenommen. Diese erste Aufführung war vonseiten des Publikums[97] nicht ganz ohne Widerspruch. Hanslick war in seinem Urteil stets gegen mich mehr ablehnend als zustimmend; das Urteil des nicht minder einflußreichen Speidel – vernichtend. Sie haben beide mein Gemüt – nicht das Stück getroffen. Ein starker Baum fällt ja nicht auf einen Streich, aber ein zartes Pflänzchen wird leicht zertreten. Das Werk eines noch wenig Bekannten wird von solcher Kritik leicht getötet. Es kam anders. Die nächsten Aufführungen brachten Budapest, Köln (Hiller), Stuttgart (Eckert). Von der »Euterpe« in Leipzig wurde ich eingeladen, das Stück selbst zu dirigieren, was ich auch tat. Das Stück ging in die weite Welt. 1866 begann ich meine »Königin von Saba«. Doch davon später.

Es nahte der Krieg mit Deutschland und Italien. Die Aufregung war furchtbar. Mich interessierten die diplomatischen Noten mehr als die meinigen. Es kamen die Tage von Lissa, Custozza und Königgrätz! Welch ein furchtbarer Krieg! Die Stimmung, die Aufregung dieser Tage in Wien werde ich nie vergessen – der Krieg mit seinen Schrecken und seinen mörderischen Schlachten ging endlich vorüber.

Eines Tages – ich saß wieder bei meiner Arbeit – trat ein junger Mann – Soldat – in mein Zimmer. Er blieb bescheiden an der Türe stehen und sagte: »Habe ich die Ehre, Herrn Goldmark zu sprechen?«

»Jawohl«, sagte ich. »Dann bin ich dein Bruder«, sagte er.

Erst geboren nach meinem Verlassen des elterlichen Hauses, hat er mich und habe ich ihn nie gesehen.

Es bedurfte einer Schlacht, wie der von Königgrätz, ihm dies zu ermöglichen. Er hatte den Feldzug und diese Schlacht mitgemacht, kam ins Spital nach Mauer (bei Wien); von dort entlassen, suchte er mich auf.


*
[98]

Bald darauf war ich zu einer vornehmen Soiree geladen, Klaviervorträge Rubinsteins waren angezeigt.

Bevor ich in den Saal trete, bemerke ich – o Schrecken! – daß ich keine weiße Binde habe. Um Rubinstein nicht zu versäumen, lief ich ohne Winterrock, im Frack bei eisiger Kälte in meine nahe Wohnung – vier Treppen hoch und zurück. Die Folge war eine Lungenentzündung; ich mußte sechs Wochen im Bett bleiben.

Da meldete mir mein Hauswirt, bei dem ich zur Miete wohnte, daß er die Wohnung verlassen, und daher ich ein Gleiches tun müsse. Da ich aber nicht transportabel war, überließen die neuen Hausleute, zwei Damen, mir mein Zimmer und ich konnte bleiben. Aber was sollte ich erleben! Abend für Abend neben mir die skandalösesten Vorgänge; ein kleines Privatbordell hatte sich hier etabliert. Sobald ich konnte, ergriff ich die Flucht.

Quelle:
Goldmark, Karl: Erinnerungen aus meinem Leben. Wien, Berlin, Leipzig, München 1922, S. 97-99.
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