Konversation.

[46] Konversation, das Plaudern in Gesellschaft, ist eine besondere Art der Redekunst, die vom lehrhaften Vortrag des Berufsredners ebensoweit entfernt sein soll, als vom seichten Geschwätz oder von unangenehmer Klatschsucht. Und trotzdem darf sie von beiden Arten etwas haben; vom einen den interessanten Inhalt, vom andern die leichte sprunghafte Form.

Konversation darf nie doktrinär, lehrhaft sein. In Gesellschaft will man Unterhaltung und nicht Belehrung; man will erfrischt, aber nicht ermüdet werden. Gelehrte und geistreiche Persönlichkeiten müssen deshalb nicht immer auch gute Gesellschafter sein. Gewöhnt, ein Thema gründlich und allseitig zu behandeln, bringen sie nur zu leicht durch ihre Ausführungen die Anwesenden zum Gähnen (wenn auch nur zum innerlichen!)


Von guter Konversation verlangt man geistreiche Oberflächlichkeit, d.h. wohl interessanten Inhalt, aber kein ermüdendes einseitiges Verweilen bei einem Gegenstand, kein zu gründliches Sichversenken und vor allem kein Erschöpfen des Themas bis zur Neige – ähnlich wie man an ein gutes Feuilleton andere Ansprüche stellt, als an eine wissenschaftliche Abhandlung.

Wenn der Kulminationspunkt des Interesses überschritten ist, gleite man geschickt in ein anderes[47] Thema über, das mit dem vorigen durch Ideenassoziation verknüpft ist.


Ein gutes Gespräch muß Schwung und Tempo haben, muß anregend, belebend und erfreuend sein wie ein Glas Sekt.

Dieses gewisse Etwas, das die Anwesenden in Atem und Spannung hält, das auch harmlose Stoffe interessant und interessante nie langweilig werden läßt, liegt sowohl in Ton und Miene, in Kürze und Prägnanz des Ausdrucks, als auch in der feinen Pointierung des Gesagten.


Konversation ist Rede und Gegenrede, ist geistreiches und witziges Parieren und Fortspinnen der Unterhaltung, ist ein schlagfertiges Ausnützen von Anknüpfungsmöglichkeiten.

Durch lebhaftes Tempo ist man sogar manchmal gezwungen, jemanden ins Wort zu fallen. Man sagt dann: »Entschuldigen Sie, ich habe Sie unterbrochen, was wollten Sie sagen?«


Man maße sich nicht an, die ganze Unterhaltung allein zu führen. Aber man bringe sich selbst zur Gel tung, ohne aufdringlich zu wirken.

Es muß sich wie selbstverständlich ergeben, daß wir hin und wieder eine Zeitlang die führende Rolle im Gespräche haben, die wir dann im geeigneten Moment mit verbindlicher Eleganz an andere abtreten.


Trotz Schwung und Tempo darf Konversation nie leidenschaftlich werden.[48]

Leidenschaften gehören nicht in Gesellschaft, sondern Gelassenheit und Sicherheit, die sich in ruhigem Sprechton und möglichst sparsamer Gestikulation äußern.


Selbstbeherrschung jedes Einzelnen muß dazu beitragen, den Geist feiner Behaglichkeit nicht zu stören. Kennt man eine Anekdote, die jemand erzählen will, auch schon längst, so verrate man dies nicht durch Worte oder Miene. Man weise niemals schroff auf eine Unrichtigkeit hin, die ein anderer vorgebracht hat; man umschreibe und mildere möglichst jedes »Nein« und quittiere jede Einladung mit einem Kompliment.


Selbstverständlich verbreitet man sich nicht über Themen, die einem Anwesenden unangenehm sein könnten, verwechsle Witz nicht mit Schadenfreude und sprühende Laune nicht mit zu großer Freiheit ...

Aber man muß es auch verstehen, sowohl eigene als fremde Mißgriffe geschickt und unauffällig zu verbessern und über sogenannte Lücken und Stockungen mit nie versagender Gewandtheit wegzuhelfen.

Es wäre geschmacklos, seine Meinung jemanden aufdrängen zu wollen. Man kann wohl seine feste Meinung über Dinge und Personen haben; aber es ist nicht nötig, meist sogar unangebracht, diese Meinung in aufdringlicher Weise zu äußern. Nur zu leicht gewinnt dann die Konversation einen streitbaren Charakter, während sie doch eine Annehmlichkeit sein soll.

Man rede nicht, ohne zuvor den Gedanken in eine prägnante Form gebracht zu haben; man spare mit seinen Worten und schwätze nicht drauf los.[49]

Man sei auch vorsichtig mit seinem Witz und bilde sich ja nicht ein, »Bonmots« prägen zu müssen, die den Gipfel der Gesprächskunst darstellen.

Bei Lob und Dank verneigt man sich mit ein paar höflichen Worten: »Es war nicht der Rede wert ... Es ist zu liebenswürdig von Ihnen.«

Werden wir im Laufe der Unterhaltung um etwas gebeten, so kleiden wir Zusage und Gewährung ebenfalls in ein paar verbindliche Worte, entweder: »Sehr gerne ... Es wird mir eine Freude sein..« oder falls wir verweigern müssen: »Ich bedaure ungemein ... Es tut mir sehr leid ...!« Es kann sich zur Lächerlichkeit steigern, wenn in solchen Fällen immer dieselbe Redeform gewählt wird; auch ist es eine leicht zu erlernende Gewandtheit eine Auswahl solcher Höflichkeitsphrasen stets zur Verfügung zu haben.

Dem Sprechenden andauernd auf den Mund zu sehen, ist eine schlechte Angewohnheit.

Man wähle seine Worte so prägnant und bezeichnend, daß man sie nicht durch Gebärden zu unterstützen braucht.

Man wisse stets mit wem man spricht und passe seine Rede den Zuhörern an. Ist es an und für sich schon gefährlich, sich an heikle Themen heranzuwagen und geschmacklos, zweideutige Wortspiele zu gebrauchen, so gebietet die Anwesenheit junger Mädchen noch eine ganz besondere Rücksichtnahme. In Gegenwart einer geistreichen Frau oder lebensklugen alten Dame ist manches Thema angängig, wenn wir es in die richtige Form zu kleiden verstehen.[50]

Ob man es wohl lernen kann, elegante Konversation zu machen und ein gewandter Gesellschafter zu werden?

Ja und nein! Es gibt unzählige Bücher, die diese Kunst zu lehren versprechen. Im besten Falle können es immer nur Anregungen sein, die wir daraus entnehmen. Denn gute Konversation ist nichts schlechthin Anlernbares. Auch hier sollen wir nicht nach dem Scheine der Vollkommenheit streben. Nichts ist lächerlicher als Talmiware in dieser Beziehung, d.h. eine sogenannte Vorbereitung auf ein Gespräch und über ein Thema. Man kann sich wohl auf einen Vortrag vorbereiten, aber nicht auf Konversation. Man kann und muß sich zwar orientieren über Tages- und Zeitereignisse, über Neuerscheinungen in Literatur und Kunst und Mode usw. Doch dies allein ersetzt nicht eine gediegene Allgemeinbildung, die der Grundstock unseres Wissens sein soll und die es uns erst möglich macht das viele Neue zu assimilieren. Doch Wissen allein befähigt noch nicht gute Konversation zu machen. Denn diese ist – wie anfangs erwähnt – kein gründliches Sprechen über ein bestimmtes Thema, sondern ein sicheres und doch leichtes Sichbewegen zwischen den allerverschiedensten Stoffgebieten und Interessen, ein elegantes Spiel mit einst mühsam erworbenen Dingen – gleichsam eine Ueberwindung der Schwerkraft. Gute Konversation ist der Duft und Schmelz unserer Bildungsblüte, deren Wurzeln tief in unserem eigensten Sein begründet liegen müssen.

Ein guter Gesellschafter wird man nicht ohne Uebung – und wer ein guter Sprecher werden will, wird seine Laufbahn als aufmerksamer Zuhörer beginnen[51] und sich anfangs hauptsächlich darauf beschränken müssen, richtige Antworten zu geben. Er wird von den Vorzügen und den Fehlern der Sprechenden lernen. Ein kluger Mensch wird dann bald herausfühlen, wofür sich sein Partner interessiert und diese Kenntnis erleichtert den Schwung in der Konversation ganz wesentlich.

Quelle:
Gratiolet, K. (d.i. Struppe, Karin): Schliff und vornehme Lebensart. Naumburg a.S. 1918, S. 46-52.
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