[10] kommt von »schleifen« – –
Ein Kiesel ist abgeschliffen worden auf seiner langen Reise von der Gebirgsschlucht bis ins breite Bett des Stromes, er wurde geglättet und abgerundet und hat alle Rauhheiten und scharfen Kanten verloren. Er verletzt nicht mehr, wenn man ihn in die Hand nimmt ... Aber mancher ist zerbrochen, lange ehe er ans Ziel kam ...
So verlieren auch Menschen im Umgang mit andern ihre scharfen Kanten und Unebenheiten und nehmen gefällige Formen an, die nicht mehr verletzen. Dieses Abgeschliffenwerden geht natürlich nicht ohne gegenseitige innere und äußere Reibung ab, eines tut dem andern weh, ehe es seine Härten von ihm nimmt. Jeden schleift das Leben ab, aber gut für ihn, wenn durch künstliches Vorschleifen in Kinderstube und Familie schon die größten Unebenheiten von ihm genommen werden und ihm das Leben nur mehr den allerletzten Schliff zu geben braucht, der notwendig aber nicht mehr schmerzhaft ist.
Doch Kieselschliff ist nur grober primitiver Schliff. Man schleift auch den Diamanten und erhöht dadurch seinen Wert. An sich und in seinem Wesen kostbar, wüßte man dennoch mit dem rohen Diamanten nicht viel anzufangen und er würde in seiner Verwendbarkeit[10] von einem Stück gut geschliffenen Glases übertroffen werden.
Was nützen alle hervorragenden Wesensvorzüge eines Menschen, wenn ihr Glanz durch eine rauhe, ungeschliffene trübe Schale beeinträchtigt wird? Die Welt weiß nicht viel damit anzufangen und gibt oft anderen, weniger wertvollen Menschen, die durch tadelloses Aeußere zu blenden verstehen, den Vorzug. Denn im Leben des Alltags urteilt nicht die Kennerschaft, die den rohen unscheinbaren Diamanten höher einschätzt als brillant geschliffenes Glas. Man achte also äußeren Schliff nicht als entbehrlich und nebensächlich. Vermag er auch den inneren Wert eines Wesens nicht zu ersetzen – Glas niemals in Diamant zu verwandeln – so erhöht er doch den Wert eines jeden Materials und macht seine Schönheit offenbar.
Man sagt von einem Menschen, er habe Schliff, wenn er sich glatt und ohne anzustoßen oder zu verletzen in die Gesellschaft einfügt und wenn die Oberfläche seines Wesens befreit ist von allen Trübheiten und störenden Schichten, so daß sie seine eigenen Vorzüge wiederstrahlt, aber auch die Geistesblitze der anderen zur Geltung bringt. Derjenige hat Schliff; der stets das tut, »was sich gehört«, d.h. in dem Fall, was von den anderen als angenehme Artigkeit, Höflichkeit, Aufmerksamkeit oder sogar Ritterlichkeit empfunden wird. Schliff ist respektvolle Liebenswürdigkeit, die namentlich die Gesetze zuvorkommendster Höflichkeit in eleganter und geschmeidiger Form erfüllt, niemals eine wohlgesetzte Entschuldigung versäumt und für alle Situationen die passenden Worte und Gebärden findet.[11]
Schliff ist etwas Aeußerliches und Erlernbares – allerdings in seinem letzten Brillieren nur durch Uebung in Gesellschaft Erlernbares und Erhaltbares.
Anders ist es mit dem