Abdampfen

[2] Abdampfen, (Inspissatio, Evaporatio,) ist eine bei Bereitung der Arzneimittel sehr häufige Arbeit, vorzüglich um in kurzer Zeit flüssige Dinge ihrer Feuchtigkeit zu berauben.

Ist die Substanz, welche zurück bleiben soll, sehr feuerbeständig, wie die meisten Salze, so bedient man sich am besten eines nach und nach verstärkten Feuers, welches die Feuchtigkeit in Dunstgestalt forttreibt. In diesen Fällen kann der Hitzgrad in freiem Feuer zulezt weit über den Siedepunkt des kochenden Wassers erhöhet werden, weil die Feuchtigkeit, je weniger ihrer wird, um desto stärker mit den festen Theilen der Mischung zusammenhängt.

Ist aber die von Feuchtigkeit zu befreiende Materie bei der Hitze des kochenden Wassers flüchtig, wie bei einigen Salzen, besonders aber bei den meisten wirksamen Säften und Aufgüssen der Pflanzen, dann gehört größere Behutsamkeit dazu, die anzuwendende Hitze in gehörigen Schranken zu halten, als über freiem Feuer, oder im Sandbade möglich ist. Hier ist die gewöhnliche Klippe, woran der Arbeiter bei Verfertigung geruchvoller oder andrer Extracte scheitert, deren Wirksamkeit in flüchtigen, oft geruchlosen Bestandtheilen liegt. Ist er noch etwas gewissenhaft, und kennt er einigermasen die Flüchtigkeit des Wesentlichen in seiner Flüssigkeit, so regiert er gewöhnlich das Feuer zwar so, daß sein Gefäß nie ins Kochen und Blasenwerfen geräth, (und so behutsam sind sie nicht einmal alle,) aber er bedenkt nicht, daß ein seiner Verdickung sich nähernder Saft, wenn er auch nicht Blasen wirft, doch eine Hitze annehmen kann, welche fast doppelt so hoch als der Siedepunkt des reinen Wassers steigt. Dieß ist bei Abdampfungen über freiem Feuer oder im Sandbade fast unvermeidlich, und daher die gewöhnliche Unkräftigkeit gewisser Extrakte, welche der gewöhnliche Schlag der Apotheker alles Zuredens ungeachtet nicht im Wasserbade abdampfen will, des eingedickten Saftes von Schierling, Belladonne, Sturmhut, Bilsenkraut u.s.w. selbst des Extraktes der Chinarinde, des Tausendgüldenkrautes u.s.w. (Mehr hievon unter dem Artikel Extrakte und Dicksaft.)

Bei allen Abdampfungen in offenen Gefäsen ist das fleisige, und[2] (bei stärkerer Konsistenz) ununterbrochene Umrühren der Flüssigkeit eine sehr nothwendige Bedingung, theils um das Anbrennen an den Wänden und dem Boden des Gefäses zu verhüten, theils aber die Zeit der Abdampfung zu verkürzen, weil beim Umrühren der Salzauflösungen, so wie der Säfte, der Aufgüsse und der Abkochungen der Pflanzen, eine immer erneuerte Oberfläche entsteht, von welcher die umgebende Luft die wässerigen Theile um desto leichter in sich aufnehmen und hinwegführen kann. Je mehr eine abzudampfende Flüssigkeit sich ihrer Konsistenz nähert, um desto fester hängt die noch übrige Feuchtigkeit mit der ganzen Masse zusammen, und um desto mehr muß man ihre Verdunstung durch stetes Umrühren befördern, wenn man die Beendigung der Arbeit nicht durch ein stärkeres Feuer beschleunigen, oder durch eine langwierige gemäsigte Hitze viel Zeit und Kohlen verlieren will.

Daß sich bei Pflanzenextrakten die Operation durch verstärkteres Feuer nicht erzwingen lasse, wenn man nicht eine bränzlichte oder unkräftige Masse zuzubereiten gedenkt, ist schon erwähnt worden; aber auch bei Abdampfungen reiner Salzflüssigkeiten leidet man von heftigem Feuer Schaden. Selbst wenn die innere Natur der Salze in dieser Hitze keine Veränderung erleidet, wie doch oft geschieht, so geht doch eine Menge derselben beim starken Aufwallen in die Luft über, besonders zuletzt, wenn sie sich ihrem Krystallisationspunkte nähern, theils unsichtbar in den nun mit mehrerer Hitzmaterie geschwängerten Wasserdünsten, theils offenbar in dem, was durch das heftige Aufwallen verspritzt. Ein Umstand, der selten beherzigt wird, und bei theuern Salzflüssigkeiten gleichwohl von Beträchtlichkeit ist.

Allen diesen Uebeln abzuhelfen, ist bei allen Abdampfungen überhaupt eine sehr gemäsigte Hitze, das fleisige Umrühren, und ausserdem vorzüglich ein sehr flaches weites Abdampfgefäß sehr ernstlich anzurathen. Je größer die Oberfläche der abzudunstenden Flüssigkeit ist, desto freier können die Dünste entweichen, desto mehr erneuerte Luft zu ihrer Aufnahme kann darüber hin spielen. In sehr flachen Gefäsen geräth die Flüssigkeit nicht leicht in starkes und schädliches Aufwallen; selbst eine unvorsichtig verstärkte Hitze wird hier unschädlicher, da die häufiger entweichenden Dünste ihr zum kräftigen Ableiter dienen, und verbindet man noch ein fleisiges Umrühren damit, so hat man in den meisten Fällen alle die Hülfsmittel einer zweckmäsigen Abdampfung vereinigt. Ich sage in den meisten Fällen; denn wo die Entweichung eines bei der Hitze des siedenden Wassers flüchtigen Bestandtheils zu befürchten ist, da muß doch noch statt des freien Feuers oder des Sandbades durchaus das Wasserbad als die dritte Bedingung bei einer kunstmäsigen Abdampfung und Eindickung zu Hülfe genommen werden, ( Dicksaft, Wasserbad, Extrakt).

Bei weniger kostbaren Salzflüssigkeiten, besonders denen, die man im Großen bereitet, kann man das Umrühren größtentheils ersparen, wenn das Abdampfgeschirr nur recht flach ist, und ein immer erneuerter[3] Luftzug über die Flüssigkeit hin spielen kann.

Bei allen diesen Abdampfungen ist die verdunstende Flüssigkeit von keinem Werthe, und man unternimmt sie daher in offenen Gefäsen; wo man aber theurere Flüssigkeiten von den festern Materien trennen, dabei aber doch erstere erhalten will, da muß die Verdunstung in verschlossenen Gefäßen geschehen. So zieht man bei Bereitung der geistigen Extrakte, des Jalappenharzes u.s.w. den Weingeist, den Aether u.s.w. in Destillirgefäsen von der Tinktur ab, wie man im Artikel Destillation sieht.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 2-4.
Lizenz: