Auflösen

[72] Auflösen, ist die Vereinigung zweier oder mehrerer ungleichartiger Körper mit einander zu einer gleichartigen Verbindung, wovon dann jede Portion der andern vollkommen gleich ist. So ist jeder Tropfen einer Auflösung des arabischen Gummi's in Wasser dem andern gleich, nämlich Schleim, ungeachtet vor geschehener Auflösung Wasser und Gummi sehr verschiedene Körper waren.

In allen diesen Fällen scheinen die beiden ungleichartigen Körper einander in ihre beiderseitigen Zwischenräume aufzunehmen, und so eine durchsichtige, durchgehends gleichartige Auflösung zu bilden. Wird die Verbindung nicht durchsichtig, wie die der Pflanzenextrakte mit Wasser, so ist dieß eine unvollkommene Auflösung; die unaufgelößten harzigen Theile machen die Flüssigkeit trübe.

Gewöhnlich wird zwar in der Pharmazie zur Auflösung eines festen Körpers eine flüssige Substanz genommen, und dann nennt man es eine Auflösung auf nassem Wege, doch finden sich auch genug Fälle, wo zwei feste Substanzen durch Feuer flüssig gemacht, mit einander gleichartig verbunden werden, und dieß nennt man Auflösung auf trocknem Wege. So wird Laugensalz und Schwefel durch Schmelzen zur gleichartigen Schwefelleber verbunden.

Die flüssigere unter den beiden, durch Auflösung zu verbindenden Substanzen nennt man gewöhnlich das Auflösungsmittel (menstruum, solvens), ungeachtet es sehr wahrscheinlich ist, daß der festere Körper sich dabei fast eben so thätig verhält. Bei zwei flüssigen[72] oder zwei trocknen Körpern hat offenbar keiner allein das Ansehn des Auflösungsmittels. Wenn Wasser und Weingeist, wenn Laugensalz und Schwefel einander auflösen, welcher von beiden Theilen war dann das Auflösungsmittel? Sie wirkten beide auf einander bis zur Bildung der gleichartigen Substanz des Branntweins, der Schwefelleber.

Eine Auflösung zu bewirken, muß man die Natur der zu verbindenden Theile kennen, ob sie sich auch zu einem gleichartigen Körper verbinden lassen, oder welche Zwischenmittel man anzuwenden habe, die sonst nicht zu erwartende Verbindung zu bewerkstelligen; und dieß lehrt die Scheidekunst. Viele Auflösungen geschehen durch die gegenseitige Einwirkung der zu verbindenden Dinge von selbst, ohne Beihülfe des Verfertigers; andre hingegen erfordern Beförderungsmittel.

Im allgemeinen werden die Auflösungen befördert:

1) Durch feine Zertheilung und Pülverung der festern Substanzen.

2) Durch Bewegung, Reiben, Umrühren und Schütteln der unter einander aufzulösenden Substanzen; hierdurch kommen alle ungleichartigen Theile in öftere unmittelbare Berührung, und können so vollkommner und in kürzerer Zeit ihre Einwirkung auf einander vollführen.

3) Durch angebrachte Wärme, das allgemeinste und wirksamste aller Auflösungsmittel.

Gewisse Flüssigkeiten nehmen nur einen bestimmten Theil andrer Körper in Auflösung zu sich, wenigstens in einem gleichen Wärmegrade; so löset Wasser nur einen kleinen Theil Salpeter, Weingeist nur eine mäsige Menge peruvianischen Balsam auf, und wenn sich dann nichts mehr bei der gewöhnlichen Lufttemperatur auflösen oder aufgelöset bleiben will, so nennt man die entstandene Flüssigkeit in der Pharmazie eine gesättigte Auflösung, ungeachtet beide Flüssigkeiten in größerer Wärme noch mehr Salpeter oder Balsam in sich aufnehmen können.

Es entstehen aber gesättigte Auflösungen nur von gewissen Substanzen. Weingeist löset nur eine bestimmte Menge einiger Harze, Oele und Salze auf, kann sich aber mit Wasser und Aether in allen Verhältnissen verbinden. Wasser löset Salze und Vitrioläther in genau bestimmbarer Quantität auf, und kann im Punkte der Sättigung nichts mehr davon in sich nehmen; es verbindet sich aber in allen Verhältnissen mit Gummi.

Doch kann das Wasser, wenn es mit der einen Art von Salze gesättigt ist, bei gleicher Temperatur noch eine bestimmte Menge eines andern, und wenn es wieder mit diesem gesättigt ist, auch wohl noch etwas beträchtliches von einem dritten, sogar vierten Salze in sich nehmen, wovon man ein Verzeichniß in Monro's Arzneimittellehre antrift. So kann auch der Weingeist, wenn er das eine Harz bis zur Sättigung in sich genommen hat, doch noch einige andre Harze auflösen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 72-73.
Lizenz: