Essig

[267] Essig (Acetum), ist jene bekannte saure Flüssigkeit, welche aus gährenden Gewächssäften mit der Zeit von selbst zu entstehen pflegt. Der beste Essig erfolgt von kräftigen jungen Weinen, die man durch angemessene Wärme (65° bis 75° Fahr.) und durch den verstatteten Zutritt der freien Luft, auch wohl noch durch mechanische Bewegung nöthigt, ihre Gährung bis zur gänzlichen Verwandlung in Säure fortzusetzen. Der helle Wein fängt an sich zu trüben, nimmt einen Sauerteigsgeruch an, geräth in sichtbare Bewegung, erwärmt sich über die Temperatur der äussern Luft (aus der er den dephlogistisirten Theil an sich zieht), läßt ein zischendes Geräusch von sich hören, und setzt eine leimichte Haut auf der Oberfläche an, welche von Zeit zu Zeit, endlich auf immer, zu Boden sinkt. Der reinsaure Geruch und Geschmack in Verbindung mit der gänzlichen Aufhellung der Flüssigkeit giebt zuletzt die beendigte Gährung zu erkennen, die man Essiggährung nennt.

Der aus Zucker- oder Traubenweine (acetum vini) verfertigte Essig ist gewöhnlich weit reiner und stärker als der aus andern Gewächssäften (der Cider-, Honig- oder Bieressig), so daß er gewöhnlich 1/30, nicht selten 1/24 seines Gewichtes an reinem Gewächslaugensalze, zuweilen noch etwas mehr sättigen kann, und sehr ungefärbt aussieht, fast wie Wasser. Man zieht ihn daher zu Arzneibereitungen stets vor, wo man eines rohen Essigs bedarf.

Der Essig überhaupt ist eine kräftigere hitzdämpfende, Schweiß und Harn treibende Arznei, dient zur Zusammensetzung mehrerer wirksamer Mittel und Salze, und giebt in verstärktem Zustande ein sehr kräftig ermunterndes Riechmittel für Ohnmächtige und Scheintode ab.

Man verfälscht den rohen Essig oft mit Vitriolsäure, mit Salzsäure, auch zuweilen mit Weinsteinsäure. Die erstere Verfälschung erkennet man an dem weißen Niederschlage auf Zutröpfelung der essigsauren Schwererde (Barytessigsalz), die zweite sieht man an der Weißtrübung auf Zugießung des aufgelösten Silbervitriols, und um die dritte zu entdecken, darf man nur etwas Essig bis zum Zehntel abdampfen, mit der Hälfte Weingeist vermischen, und konzentrirt aufgelöstes Weinsteinsalz zutröpfeln, worauf der wieder erzeugte Weinstein zu Boden fallen wird.

Der beste rohe Essig ist mit der Zeit dem Umschlagen und Schimmeln[267] unterworfen. Ihn haltbarer zu machen, darf man ihn nur in einem steinzeugnen, beschlagnen Gefäse ein einziges mal aufkochen lassen, und ihn erkaltet auf Flaschen ziehen.

Der rohe Essig schickt sich nicht wohl zu einer Menge arzneilicher Bereitungen, theils wegen der großen Menge Wässerigkeit, die er bei sich führt, theils wegen des häufig in ihm enthaltenen Extraktivstoffes, welcher aus harzig schleimigen, größtentheils aber aus thierisch leimichten Theilen zusammengesetzt zu seyn scheint.

Gegen den ersten Fehler hat man verschiedne Arten der Entwässerung eingeführt, gegen letztern Fehler aber die Destillation.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 267-268.
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