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[16] Lebensluft (Aer dephlogisticatus, vitalis, purus) nennt man den Theil unsrer atmosphärischen Luft (sie beträgt etwa ein Viertel, höchstens ein Drittel der letztern), welcher einzig zum Athemholen für Thiere und zur Unterhaltung des Feuers tauglich ist. Wenn sie rein und unvermischt ist, so brennt ein Licht und glühende Kohlen weit lebhafter und ein Thier lebt achtmal länger in ihr, als in einem gleichen Umfange atmosphärischer Luft, welche noch zwey Drittel bis drey Viertel thiertödende und Flamme auslöschende (phlogistisirte, azotische) Luft in ihrer Mischung hat.
Die Lebensluft hat gegen die atmosphärische eine spezifische Schwere von 1,103:1000 und ihre spezifische Wärme ist über vier Mahl größer als die der letztern.
Zum Behufe der Arzneikunst erhält man sie, wenn man eine gläserne, beschlagene Retorte mit einem drei Fuß langen, am Ende etwas aufwärts gebogenen Halse, mit rohem gepülvertem Braunstein (w.s.) anfüllt, sie in freiem Feuer sehr allmählich erhitzt, bis der Schnabel über die Hälfte heiß ist, dann das aufwärts gebogene Ende des Schnabels in die Mündung einer mit Wasser angefüllten, und umgekehrt in einem Wassergefäße befestigten Flasche steckt und nun die Retorte bis zum völligen Glühen bringt. So steigt die entbundene Lebensluft aus dem Braunsteine in die umgekehrte Flasche, deren Wasser sie unterwärts herausdrängt. Ist die Flasche voll dieser Luft, so wird sie auf ihrer Stelle unter dem Wasser wohl verkorkt, dann weggenommen, und eine andere gleichfalls mit Wasser angefüllte, auf gleiche[16] Art umgekehrt, mit der Oefnung des Retortenhalses in Verbindung gesetzt, und so fortgefahren, bis die Luft sich unter dem Glühen der Retorte zu entwickeln aufhört.
Man muß sehr sorgfältig bei der Regierung des Feuers seyn, und die Hitze allmählich verstärken, um durch ein jählinges Feuer nicht die Retorte zu sprengen, aber auch während dieser Arbeit das Feuer bis zu Ende nie vermindern, weil sonst die in der Retorte entstehende Luftleere das Wasser aus der Flasche anzieht, welches, so bald es in die erhitzte Retorte gelangt, sie zerknickt und die Operation vernichtet.
Um die Luft in den Flaschen unversehrt aufzubewahren, thut man wohl, den Kork dicht über dem Halse abzuschneiden und die Fläche mit brennendem Siegellacke luftdicht zu überziehen.
Man erhält auf diese Art aus sechzehn Unzen rohem Braunsteine 1528 Kubikzoll reine Lebensluft.
Die aus Salpeter auf ähnliche Art gezogene ist zu arzneilichen Absichten untauglich, weil sie immer salpetersaure Luft enthält.
Der zur Bereitung der Lebensluft gediente Braunstein ist nun braun von Farbe und sogleich nicht wie der fähig, diese Luft zu erzeugen; er wird es aber nach kurzer Zeit, wenn man ihn mit Wasser angefeuchtet an die freye Luft legt, oder nur in einem feuchten Keller ausbreitet.
Da die Lebensluft in die Lungen erstickter Personen abwechselnd geblasen und abwechselnd wieder aus denselben gedrückt (zur Nachahmung des Athemholens) das wirksamste und fast specifische Belebungsmittel für diese Scheintodten, (sie mögen nun durch eingesperrte und verdorbene Luft, durch Kohlendunst, Erdrosseln oder Ertrinken verunglückt seyn), abgiebt, so muß der Apotheker dieß unvergleichliche Rettungsmittel dem Arzte zu verfertigen wissen und, wenns verlangt wird, es vorräthig haben.
Die übrigen Arzneitugenden der Lebensluft sind noch nicht erörtert; wenigstens schadet sie im Allgemeinen in der geschwürigen Lungensucht, (für die man sie empfahl), so wie vermuthlich in mehrern entzündungsartigen Krankheiten. Sie scheint die Reizbarkeit und den Ton der Faser ungemein zu erhöhen, und Lebenswärme anzufachen.
Wird die Lebensluft, um sie bequem anwenden zu können, in Blasen verlangt, so füllt man eine gereinigte Schweinsblase (diese halten am besten) mit so viel Wasser an, als ungefähr der innere Raum der mit der Luft angefüllten Flasche beträgt, bindet dann den Hals der Blase über die Mündung der Flasche (von deren Stöpsel man vorher das Siegellack abgeschlagen hat) fest, richtet nun die Blase auf, so daß die Flasche unter ihr zu stehen kömmt, drückt von außen durch die Haut der Blase den kurzabgeschnittenen Pfropf in die Flasche, und läßt das Wasser in letztere aus der Blase laufen, die sich dagegen mit der Lebensluft anfüllt, und wohl verbunden dispensirt wird.