Pfingstrosenpäone

[203] Pfingstrosenpäone, Paeonia officinalis, L. mit zwiefach zusammengesetzten Blättern, deren Blättchen breite, lanzetförmige Lappen haben, und mit ziemlich geraden, behaarten Samenkapseln, ein etwa drei Fuß hohes Kraut mit ausdauernder Wurzel, welches im südlichen Europa, und auf den Schweizergebürgen in Hainen einheimisch, seine große, gewöhnlich dunkelrothe Blume im Juny und July trägt.

Von dieser Pflanze giebt es zwei Abarten. Die eine ist die in allen Gärten gewöhnliche sogenannte Paeonia foemina [Blackwell, herb. tab. 65.] mit schmallappigen, hellgrünen Blättern an grünen Stielen, und dunkelrothen, gewöhnlich gefüllten Blumen.

Die Wurzel hievon (Rad. Paeoniae, foeminae) bestehet aus einige Zoll langen, etwa einen Zoll dicken, durch Fasern aneinander hängenden Knollen, welche äußerlich rothbraun, inwendig weiß, von derbem Gewebe, und frisch von rettigartigem, bockigem, betäubendem Geruche, den Blumen ähnlich, und von rettigartigem, süßlichtem Geschmacke, trocken aber von unmerklichem Geruche, und fast ohne den mindesten Geschmack sind, wenn sie einige Zeit aufbewahret worden.

Die zweite Abart, die sogenannte Paeonia mas [Blackwell, herb. tab. 245.] mit dunkelgrünen, glänzenden, sehr breiten Blättern an röthlichen Stielen, und mit hellrothen, öfterer einfachen (fünfblätterigen) Blumen, ist weit seltner. Auch blühet sie weit früher und ihre Blumen fallen sehr bald ab.

Von dieser ist die Wurzel (Rad. Paeoniae maris) pfahlförmig, eines Fingers dick, steigt tief in die Erde und theilt sich dann in viele Aeste, ist auswendig röthlich und inwendig weiß. Die Alten sammelten sie am liebsten in den Hundstagen, oft mit abergläubigen Ceremonien.

Unter beiden gaben die Alten, welche dieser Pflanze großen Ruhm bei Reitzbarkeit der Nerven, beim Alpdrücken, dem Aufschrecken der Kinder im Schlafe, vorzüglich aber in Lähmung, Schlagfluß, Schwindel, Konvulsionen, Fallsucht im Keichhusten und in der Gicht beilegten, der männlichen Pfingstrosenpäone den Vorzug, und fast alle ihre Erfahrungen gehen auf diese; dahingegen in unsern Apotheken gewöhnlich nichts davon aufbewahret wird, folglich unsre fast blos mit der weiblichen Pflanze angestellten Versuche bis jetzt die Behauptungen der Alten nicht widerlegen können.

Sie gaben von der frisch im Schatten getrockneten männlichen Wurzel ein, zwei bis drei Quentchen, zweimal täglich auf die Gabe, von der grünen Wurzel aber eine Unze. Frisch getrocknet hat sie noch viel von dem widrigen Geruche der Blume, und einen widrigen bitterlichen Geschmack. Wollte man sie in die ser Verfassung gepülvert in verstopften Gläsern aufbewahren, so würden die damit angestellten Versuche beweisender werden. Unsre offizinelle ist gewöhnlich gänzlich geruch- und[203] geschmacklos, nicht nur weil sie von der sogenannten weiblichen Pflanze, den Wurzelknollen, genommen, sondern weil diese auch allzu lange unter Zutritt der freien Luft aufbewahret worden sind. An sich schon scheint diese Wurzel ungemein viel selbst durchs sorgfältigste Trocknen zu verlieren, obgleich weniger als die Wurzeln des Blau- und Wasserschwertels, die Wurzeln des Märrettigs, des Fleckenarons, u.s.w. um wie vielmehr durch langes Aufbewahren in luftigen Behältern?

Vielleicht würde der aus den frischen Wurzeln (oder dem Kraute) im Wasserbade bereitete Dicksaft weit kräftiger seyn; schon Willis brauchte den frischen Saft.

Zu gleicher Absicht gaben die Alten die eirunden erbsengroßen Samen (Sem. Paeoniae) welche unter einer glänzend schwarzen Schale einen süßen, geruchlosen, ölichten Kern enthalten. In Sibirien dienen sie statt der Halsperlen, und zu Paternostern. Bei uns finden sie sich selten, weil die weibliche gefüllte Abart unsrer Gärten keine Samen trägt. Sie scheinen auch weniger Arzneikraft zu besitzen, als die übrigen Theile dieser Pflanze.

Auch der rothen, im frischen Zustande widrig schmeckenden und sehr übel riechenden Blumenblätter (Flor. Paeoniae) bedienten sich die Alten, vorzüglich von der weiblichen Pflanze, zu gleichen Absichten in der Konserve und zum Sirup. Getrocknet aber, und wie gewöhnlich ohne Abhaltung der äußern Luft aufbewahrt, sind sie gänzlich geruch- und geschmacklos.

Ob die, epileptischen Kindern an den Hals gehangene frische Wurzel, wie bei den Alten gewöhnlich war, bei Einathmung ihres abscheulichen Geruchs die Beweglichkeit der Faser mindern könne, ist, ohne Versuche, so leicht nicht zu bestimmen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 1. Teil, Leipzig 1798, S. 203-204.
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