Purgirfingerhut

[257] Purgirfingerhut, Digitalis purpurea, L. [Zorn, pl. med. tab. 262.] mit eiförmigen, zugespitzten Blumendeckblättchen, und stumpfen Blumenkronen, deren obere Lippe uneingeschnitten ist, ein auf vier Fuß hohes Kraut mit zweijähriger Wurzel auf unfruchtbaren Heiden und Waldblößen in mürber Dammerde zwischen Nadelwäldern hoher Gebirge, am Thüringerwalde, am Harze, in der Schweitz, Schwaben, Elsaß u.s.w. wo es den Sommer überblüht.

Die großen, eiförmigen, oben und unten spitzigen, runzlichten, äußerlich dunkelgrünen, unterwärts behaarten Blätter (Fol. digitalis purpureae) haben frisch zerquetscht einen unangenehmen grusichten Geruch und Geschmack, welche beide aber doch die ungeheure Kraft nicht verrathen, die darin[257] verborgen liegt. Es giebt aber auch wenig Pflanzen, die sich so schwer im Garten ziehen lassen, als diese, wenn man ihren natürlichen Standort nicht nachahmt, und wenige, deren Kraft so viel durch die Kultur verlieret. Dieser Umstand ist Ursache, daß die Beobachtungen über ihre Wirksamkeit so verschieden ausgefallen sind. Die frischen Blätter trocknen bis zum fünften Theile ihres Gewichtes ein, und geben etwa 1/12 an Dicksafte, den man am besten an der Luft eindickt, (über Feuer verliert er viel an Kraft und dann das Gefäß, worin man ihn aufhebt, eine Viertelstunde lang in siedendes Wasser stellt, um ihm so durch und durch diesen Hitzgrad zu geben, und ihn dadurch vor Verderbniß zu verwahren. Am besten geht man so mit allen Dicksäften um nach meinen neuern Erfahrungen).

In etwas starker Gabe macht diese Pflanze heftiges Kopfweh, Verdunkelung des Gesichts (oft unter fremder Farbe der Gegenstände) langanhaltendes Sinken der Kräfte, auf drei bis vier Tage eine Verminderung des Pulses zuweilen bis zur Hälfte der Schläge, Schmerzen in den Drüsen, und den Gelenken, Wundheit im Munde, Speichelfluß, Augenentzündung, ungeheure, anhaltende Uebelkeit, auch wohl Brechen und Purgiren. Das Gegengift scheint Mohnsaft und, wie ich glaube bemerkt zu haben, vorzüglich Gewächssäure zu seyn. Vor sich dauert die Wirkung zwei bis vier Tage.

Schon die Alten kannten die Kraft der frischen zerquetschten Blätter zur Zertheilung der Drüsengeschwülste und Heilung skrophulöser Geschwüre äußerlich aufgelegt, eine Wirkung, die die Neuern auch durch innern Gebrauch erreicht haben.

Berühmter ist seine Tugend in der Wassersucht, selbst der Brustwassersucht geworden, (die Sackwassersucht und trockne Körper mit straffer Faser ausgenommen).

Lange kann man nicht mit seinem Gebrauche anhalten, der Schwächung des Körpers wegen; wenn er nicht bald hilft, so hilft er gar nicht in dieser Krankheit.

Zu dieser Absicht hat man den Aufguß der Blätter dergestalt gegeben, daß die Kraft von etwa 7 Gran auf die Gabe kam, zwei bis dreimal in 24 Stunden zu wiederhohlen, oder einen bis drei Gran des Pulvers zweimal täglich; den Dicksaft zu einem und mehreren Granen täglich. Diese Gaben wird man, wenn das Mittel seine volle Kräftigkeit hat, noch ansehnlich herunterstimmen müssen, bei vielen Personen. Die diuretische Wirkung bleibt zurück, wenn es von oben oder unten ausleert; eine verminderte Gabe und ein Münzaufguß hindern ersteres, Mohnsaft und Laugensalze letzteres. Auch sollte man nie unter zwei Tagen eine Gabe geben, da das Mittel so lange wirkt; sonst häufet sich die Arznei im Körper, und so können kleine oft wiederhohlte Gaben leicht den Tod zuwege bringen, wie man Beispiele hat.

Der Zwischengebrauch der Chinarinde erhöhet die schlimmen Zufälle aufs äußerste.

Man hat einige Beispiele, wo es Fallsucht geheilt hat, weit mehrere[258] aber von geheiltem Wahnsinn, vorzüglich dem tobenden und scherzenden.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 1. Teil, Leipzig 1798, S. 257-259.
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