Rezept

[44] Rezept ist die Vorschrift eines Arztes zur Abtheilung und Zusammensetzung einer Arznei. Da sie in lateinischer Sprache geschrieben zu werden pflegen, so ist es eine unerlässige Bedingung bei Annahme eines Lehrlings, daß er diese Sprache mehr als oberflächlich inne habe, und des sich vervollkommenden Apothekers Pflicht ist, sie zu üben. Da ferner die geringhaltigern Aerzte die Nahmen der Arzneien nur mit den Anfangsbuchstaben auszudrücken pflegen, oft weil sie das ganze Wort nebst der Endung richtig auszudrücken in Verlegenheit[44] sind, so wird die Vorschrift oft unverständlich, zumahl wenn die Hand nicht die deutlichste ist. Eben solche nicht mehr als mittelmäßige Aerzte hängen noch an der Pedanterei, das Gewicht jedes einzelnen Ingredienz durch Zeichen (lb. ʒ, ʒ, Θ gr.) anzugeben, statt sie ganz mit Worten auszudrücken, wie die Wichtigkeit des Gegenstandes durchaus erforderte, auch wohl die alchemischen Zeichen statt der Sache selbst (Rezept, Rezept, Rezept, u.s.w. Apothekerzeichen). In diesen Fällen wird, vorzüglich, wenn die Hand undeutlich ist, oft ein Zeichen dem andern so ähnlich, daß eine Art von Enträthselung zur Wahrnehmung der in Zeichen ausgedrückten Sache und des Gewichtes gehört, ja daß es zuweilen unmöglich wird, das Bezeichnete zu errathen. So wie nun bei Verfertigung jeder Arztverordnung jede Willkühr des Apothekers wegfallen muß, und die strengste Folgsamkeit desselben in diesem Falle seine heiligste Pflicht, sein größter Stolz seyn muß, so darf er in diesen Fällen durchaus nichts aufs Rathen oder aufs Gerathewohl ankommen lassen. Bei dem geringsten Zweifel muß er mit einer Art von Bescheidenheit, die dem Verordner gebührt, und ohne es sonst jemand hören zu lassen, den Arzt um Erklärung und um größere Bestimmthen bitten. Weit gefehlt, hiedurch den Anschein schwacher Enträthselungsgabe anzunehmen, wird jeder Einsichtsvolle diese Gewissenhaftigkeit ihm zur größten Ehre anrechnen; er wird dem nachlässigen Arzte durch solche Fragen den versteckten Wink geben (wie schon von selbst seine Schuldigkeit wäre), die Nahmen aller Ingredienzen, aller Gewichte, und alle Worte des Rezeptes, ohne Verfehlung eines einzigen Buchstabens in einer Verordnung deutlich auszuschreiben, von deren Genauigkeit das Leben und die Gesundheit eines Menschen abhängt.

Mit Bleistift geschriebene Rezepte kann er sich mit Anstand, und muß sie sich durchaus verbitten. Ich habe von solchen halb verwischten Zetteln gefährliche Folgen gesehen.

Es kann auch einem gesetzten Arzte widerfahren, daß er eine gefährliche Drogue in einer ungeheuern Gabe unversehenerweise verschreibt, wo er entweder ein andres Mittel oder eine andre Gabe im Sinne hatte. Irren ist menschlich, und obgleich ein Arzt ein eben geschriebenes Rezept nicht unbesehends aus der Hand geben sollte, ohne es einmahl und zweimahl wieder durchgelesen zu haben, so bleibt doch irren menschlich, das ist, ein Irrthum in solchen Fällen kann in 10000 Fällen Einmahl selbst bei dem Verständigsten und Behutsamsten verkommen.

Auch in diesem Falle ist es des Apothekers unnachlässige Pflicht, dem Arzte (unter vier Augen) eine bescheidene Vorstellung zu thun, und nie etwas davon ins Publikum kommen zu lassen.

Sollte aber der Arzt auf dem Vorgeschriebenen beharren, so ist[45] es eben so unerläßliche Pflicht des Apothekers, die Verordnung dann genau und pünktlich zu besorgen, ohne die mindesten Anmerkungen darüber im Publikum zu verbreiten, ja selbst ohne ein Wort sich darüber merken zu lassen, weder durch sich noch durch seine Leute. Aber dreimahl schändlich ist es, Vorwitz und Bosheit so weit zu treiben, daß man die zuweilen gewagt scheinenden Vorschriften eines Arztes, nach vorgängiger Verständigung mit ihm, zu seinem Nachtheile erzähle, und das zärtlichste aller Dinge, eines Arztes Ruf, (der kaum den leisesten Hauch der Verläumdung erträgt, ohne zu verwelken) mit frevelnder Zunge zu tödten.

Ich bedaure, daß ich gleichwohl solche Ungeheuer von Apothekern angetroffen habe.

Es kommen von einigen Aerzten auch unchemische, sich zersetzende, unter sich unverträgliche Mischungen vor (ob sie gleich nicht sollten) – auch hier muß ihm unter vier Augen Vorstellung mit Bescheidenheit gemacht werden, ohne Gebrauch im Publikum von solchen Vorfällen zu machen.

Sollte der Arzt den Nahmen des Kranken, den Monatstag und die Schiffer seines Nahmens unter das Rezept zu setzen vergessen haben (wie er nicht sollte) so muß der Rezeptarius es selbst gleich bei Empfang des Rezeptes thun, Verwechselung zu vermeiden und anderer wichtigen Behufe wegen. So wie aber die Bestimmung des eben verschriebenen Rezeptes ist, unmittelbar aus den Händen des Kranken in die des rezeptirenden Apothekers zu gelangen, ohne indeß den muthwilligen Glossen des Nichtkenners ausgesetzt zu werden, eben so ist es die Pflicht des Rezeptarius, diese Verordnung des Arztes bloß zu ihrer Absicht anzuwenden, das ist, sie zu verfertigen, und weiter in keines Menschen Hände kommen zu lassen, als dem es gebühret, nicht aber, wie leider geschieht, den Widersachern des Arztes oder dem um Anekdoten verlegnen Balbiere zur spöttischen Einsicht, auf dem Tische umher geworfen, Preiß zu geben. Kein Mensch, außer dem der Umstände des Kranken kundigen Arzte, kann die Zweckmäßigkeit des Rezeptes beurtheilen, kein fremder Arzt, Wundarzt oder Apotheker!

Auch das schon verfertigte Rezept kann in einigen Fällen von großer Wichtigkeit werden – zur Rückerinnerung für den Arzt in ähnlichen Zuständen dieser Person, zur Abfassung einer gründlichen dereinstigen Krankengeschichte, zur Beurtheilung eines chronischen Uebels für einen vielleicht erst nach mehrern Jahren zur Berathung mit zuzuziehenden Arzt, – auch für gerichtlich arzneiliche Nachfragen mehrerer Art. Deshalb werden in guten Apotheken alle Originalrezepte gleich nach ihrer Verfertigung in ein kleines Repositorium, und zwar jedes in das Fach gelegt, welches den Anfangsbuchstaben des Kranken führt, etwa wie das Briefrepertorium in ansehnlichen Kaufmannskomtoiren eingerichtet. Nach Verfluß des Jahres wird jeder Buchstabe zusammen gebunden, und in ein größeres entlegenes,[46] ebenfalls alphabetirtes Repertorium zu wenigstens zehnjähriger Verwahrung deponirt. Ich habe Fälle erlebt, wo eine zwanzigjährige Verwahrung von großer Wichtigkeit ward, und Offizinen gesehen, wo eine hundertjährige Aufbewahrung eingeführt war.

Es ist Observanz, daß jeder, wer die Arznei baar bezahlt, das Rezept sogleich, und jeder Kranke, der nach einiger Zeit seine Rechnung zusammen entrichtet, die sämmtlichen dazu gehörigen Rezepte gleich als eben so viel zurückzugebende Obligationen in seine Hände verlangt. Wer die Arznei aber nicht bezahlt, bekömmt das Rezept nicht. Dieß ist aber zum Theil ein Mißverständniß. Das Geschäft des Arztes wird allerdings ungemein erleichtert, wenn er beim folgenden Krankenbesuche sein vorgängiges Rezept neben der Arznei zur Einsicht beim Kranken schon vorfindet, und er kann verlangen, daß es bereit für ihn da liege. Dieß ist der einzige Nutzen der Rückgabe des Rezeptes. Aber wozu des Originalrezeptes? welches zu mehrern Zwecken am besten, wie oben gesagt ist, von dem Herrn der Apotheke verwahrt wird. Und warum soll der Arzt die Bequemlichkeit der Vorfindung seines Rezeptes bei Kranken entbehren, die vielleicht eben so gute Zahlung doch nur erst nach dem Ende der Krankheit leisten? Der Apotheker verweigere demnach keinem vom Kranken geschickten Boten eine Abschrift des Rezeptes, die aber nur in dem Falle der baaren Bezahlung mit der Nahmenschiffer des Provisors oder Apothekers bezeichnet ist; die damit nicht bezeichneten sind als unquittirt anzusehen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 44-47.
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