Rhabarber

[50] Rhabarber (Rhabarbarum verum, Rheum) ist eine nun etwas über 200 Jahr in Deutschland, (von Augsburg aus zuerst) bekannte Wurzel, die schon bei den Arabischen Aerzten in Ansehn stand.

In ältern Zeiten zog man diese Wurzel, als noch der unmittelbare Handel nach China um das Vorgebürge der guten Hofnung herum theils noch nicht eröfnet, theils noch nicht gehörig im Gange war, einzig, und als letzterer schon blühete, anfangs vorzugsweise über Augsburg, Venedig und Alexandrien von den Türken (Rhabarbarum turcicum, Alexandrinum), welche sie durch Persien von den Bucharen einhandelten, und schätzte sie höher als die aus China gebrachte, weil erstere größtentheils zu Lande, letztere aber, wie man glaubte, durch die Meeresluft der langen Seereise verdorben, zu uns gebracht werde.

Damahls war allerdings die türkische (die man jetzt wenig mehr im Handel hat, und die sich durch kaum federspuldicken Löcher von der russischen unterscheidet, der sie übrigens sehr nahe kömmt,) die vorzüglichste, und ward selbst der zu jener Zeit aus Rußland kommenden vorgezogen, weil in diesem Lande damahls die Anstalten zu ihrer Prüfung fehlten, welche in neuern Zeiten eingerichtet worden sind. Vermöge dieser in Rußland jezt bestehenden Verfassung werden vom petersburger Kommerzkollegium, durch dessen Agenten in Kiachta in Sibirien, die von den Bucharischen und Kalmuckischen, über die Gränze jährlich kommenden Kaufleuten herüber gebrachten, schon trocknen Wurzeln dergestalt eingehandelt, daß man unter Zuziehung eines dortigen dazu angestellten Apothekers bloß die tauglichsten, trockensten Wurzeln (nach vorgängiger Anbohrung zur Prüfung ihres Innern) aussucht, die untauglichen aber sogleich verbrennt, worauf das Ausgesuchte in verpichten Kisten gepackt auf das Waarenlager des Kommerzkollegiums zu Petersburg versandt, und hier (wie Einige sagen,) nach nochmahliger Prüfung an jedermann verkauft wird.

Diese russische Rhabarber (Rad. Rhabarb. russici, bucharici, moscovitici) besteht entweder aus spannenlangen länglichtrunden, kaum zwei Zoll dicken, oder platten Stücken, sämmtlich mit einem drei Viertelzoll weiten Bohrloche am Ende oder in der Mitten versehen, welches sie zur Prüfung ihrer innern Güte, nicht aber der bessern Trocknung wegen, wie man wähnt, erhalten haben; manche[50] Stücken sind so ausgehöhlt, daß sie einer Rinde ähnlich sehen. Man sieht deutlich, wie sie von außen mit roher Hand mittelst eines Messers abgeschält worden, daher ihre vieleckige äußere Gestalt. Ihre Farbe ist marmorirt aus Rosenroth, Weiß und Gelb, oft in sternförmigen Schattirungen. Ihr Gewebe läßt sich leicht mit den Fingern zerbröckeln, ihre Substanz knirscht beim Kauen merklich unter den Zähnen (wegen der inwohnenden zuckersauren Kalkerde) ist bitterlich ekelhaft, schärflicht und etwas zusammenziehend von Geschmacke, und von eigenem widrigem Geruche, der nur sehr uneigentlich aromatisch genannt werden kann. Sie ist dem Schimmel und Wurmstiche mehr unterworfen, leichter am Gewichte, röther von Farbe und mürber, als die sogenannte dänische.

Die dänische Rhabarber (Rad. Rhabarbari danici, sinici, chinensis, indici) wächst in wärmern Gegenden des chinesischen Reichs, als die bucharische oder russische, und ist daher von geringerer Güte. Sie wird in Canton in China geladen, und größtentheils durch die Dänen zu uns gebracht. Die feuchte Meeresluft auf einer so weiten Seereise kann etwas zu Verringerung ihrer Güte beitragen. Sie ist von adstringirenderm Geschmacke, hellfarbiger, schwerer, derber, fast gar nicht durchlöchert, entweder lang und walzenförmig, oder wie gewöhnlich von platter Form, die sie durch ein starkes Pressen im frischen Zustande erhalten zu haben scheint; ein Umstand, der vielleicht ebenfalls ihre Güte verringert. Sie soll auf erhitzten Steinen gepreßt und umgelegt, und dann an starker Sonnenhitze getrocknet werden. Sie ist weit wohlfeiler als die russische.

Es giebt noch eine in Rußland in den Apotheken gebräuchliche sibirische Rhabarber (Rad. Rhabarbari sibirici) welche, so viel ich weiß, nicht in den Handel auswärts kömmt, von so geringer Güte, daß drei Theile nur so viel Kraft besitzen, als ein Theil, bucharische. Die um Nertschink wachsende, wo große Pflanzungen auf bergichten Gegenden angelegt sind, ist noch die kräftigste und kömmt der bucharischen ziemlich nahe. Sie stammt von der Wurzel der sechsjährigen Pflanze des Rheum undulatum L. [Linné amoen. ac. III. tab. 4] mit etwas zottighaarigen, wellenförmigen, gestielten, gleichen Blättern.

In Europa überhaupt und in Deutschland insbesondre hat man mit großem Eifer Rhabarber zu bauen versucht, und dazu die ächte ostindische Spezies zu erhalten gesucht. Die Versuche mit Rheum Rhabarbarum L. [Zorn, pl. med. tab. 418] schlugen fehl; Farbe und Geschmack der Wurzel war wenig von denen der größten Arten Rumex verschieden. Besser war die Sorte von Rheum compactum, L. [Mill. dict. tab. 218] mit etwas in Lappen getheilten, ganz stumpfen, glatten, glänzenden und gezähnelten Blättern und dem Rheum palmatum, L. [Zorn, pl. med. tab. 255][51] mit handförmigen zugespitzten Blättern; erstere zeigte im Bruche mehr das Röthliche einer guten Rhabarber, behielt auch im Trocknen besser die gehörige Form, als letztere, welche zu unansehnlichen Stücken zusammenschrumpfte. Besser noch als beide zeigte sich die Wurzel der größten bekannten Art, des Rheum hybridum, L. [Murr. Comm. Gött. 1779. tab. 1.] mit herzförmigen, zugespitzten, ebenen Blättern, wovon die aus der Wurzel entspringenden auf beiden Seiten gewöhnlich drei Zähne haben, die des Stengels aber zurückgebogen sind.

Soviel man sich aber auch von den in Europa gezogenen Rhabarbersorten versprochen, so kühn man sie auch hie und da an Kraft der asiatischen an die Seite gestellt hat, so fehlt doch, wenigstens in Deutschland, noch viel daran, daß man seine Absicht erreicht hätte. Die Wurzeln werden beim Trocknen unansehnlich, zusammengeschrumpft, zähe; ihr Geschmack ist weit bitterer und weniger adstringirend als der der chinesischen und bucharischen, sie knirschen nicht wie diese unter den Zähnen, und enthalten keinen zuckersauren Selenit, wovon die bucharische 3/32, die indische aber sogar 9/64 ihres Gewichts enthält, daher auch letztere härter ist. Auch an abführenden Kräften steht die hiesige der ausländischen gewiß merklich nach, wie ich selbst gesehen, vermuthlich schon deshalb, weil man die Zeit zum Gewinne nicht abwartet und die Wurzel, von der Pflanzungszeit an gerechnet, schon im dritten Jahre heraus zu nehmen pflegt, welches in China erst im zehnten Jahre geschehen soll. Der Grund ihrer Verschiedenheit liegt aber auch gewiß an der verschiednen uns unbekannten Trocknungsart. Schnelle, beträchtliche Wärme, die die Chineser auf steinernen Platten zum Trocknen anwenden, fehlt bei unserer Trocknung; die Güte der Wurzel leidet sehr durch langsames Trocknen. Und eben so gewiß ist die eigentliche Pflanze noch unbekannt. Nach Pallas neuesten Nachrichten ist ein Rheum cruentum die wahrscheinlichste Mutterpflanze, welche bei Tschigatschek in Plantagen gezogen und von der chinesischen Stadt Selin oder Sinin und von der Gegend des Kokonor ausgeführt wird.

So lange daher die bei uns gezogene Rhabarber nicht der fremden an Güte gleich kömmt, sollte kein Apotheker sich herausnehmen, die vielleicht von ihm selbstgezogene unvollkommene Sorte der ausländischen unterzuschieben; er sollte sie nur dann zu Arzneien nehmen, wenn der Arzt sie aus besondern Rücksichten unter einem eigenen Nahmen (inländische Rhabarber, Rad. Rhabarbari nostratis) verordnet. Zu Tinkturen ist sie ebenfalls, ohne Vorwissen des Arztes nicht zulässig, da die abgedünstete geistige Tinktur ein mehr bitteres und weniger adstringirendes Extrakt liefert, als die asiatische.

Die gute ausländische Rhabarber, sie sei nun bucharische oder ostindische, muß trocken, leicht zerreiblich, mäßig schwer, hellgelb, inwendig mit rosenfarbnen,[52] gelben und mit etwas weiß gemischten Adern, gleich dem Innern der Muskatennüsse marmorirt seyn, den eigenthümlichen starken Geruch und Geschmack haben, im Kauen unter den Zähnen knirschen, den Speichel schnell und stark safrangelb färben, ohne dabei viel Schleimiges und Klebriges spüren zu lassen, und weder schwärzlichte Flecken haben, noch wurmstichig seyn. Sie muß bei mäßigem Kochen ein wässeriges und durch Auszug mit Weingeist ein harziges (gleichwohl in Wasser auflösliches Extrakt von wenigstens dem halben Gewichte der dazu genommenen Wurzel geben.

Die wurmstichige weiß man künstlich und betrüglich durch eine Masse von Rhabarberpulver und Gummischleim, welches in die Wurmlöcher gestrichen wird, zu vermänteln. Man bricht sie daher beim Einhandeln auf, und sucht die Wurmlöcher im Innern auf, wohin die Masse nicht hat dringen können. Die etwa beigemischten Rhapontikwurzeln unterscheiden sich theils durch Ansehn und Farbe, theils beim Kauen durch eine zähere, schleimichtere Beschaffenheit, durch einen zusammenziehenderen, weniger bittern Geschmack, und einen schwächlichern Geruch.

Die Rhabarber ist in Pulver zu 20 bis 30 Gran als ein so gewöhnliches Abführungsmittel, selbst als Hausmittel eingeführt, daß man sich wundern muß, wie eine Substanz von so ekelhaftem Geruche und Geschmacke, und die so viel Bauchgrimmen erregt, so allgemein beliebt habe werden können. Sie erregt wenig Stuhlgänge, geht aber doch mehr auf Ausleerung des Unraths der Gedärme, als viele andere Purgirmittel. In dieser Gabe bringt sie das Blut beträchtlich in Wallung, hinterläßt aber weniger Ermattung, als andere Purganzen. Da sie vor sich Bauchgrimmen und Abführen zuwege bringt und viel adstringirenden Grundstoff enthält, so könnte man schon theoretisch schließen, daß sie in Durchfällen mit Bauchgrimmen verbunden, und von Schwäche unterhalten, sehr dienlich seyn müßte, wenn es auch die Erfahrung nicht vielfältig bestätigte. Zu dieser Absicht wird sie aber nur zu einem oder ein Paar Gran in Pulver oder als Tinktur zu einigen Tropfen gegeben.

Die Durchfall hemmende Kraft in der Rhabarber von ihrer purgirenden geschieden zu erhalten, hat man in ältern Zeiten diese Wurzel geröstet (Rhabarbarum tostum), ein unnützes rohes Verfahren, da eine verringerte Gabe schon diesen Zweck erreicht; wiewohl es wahr ist, daß schon die Hitze beim starken Kochen die abführende Kraft der Rhabarber verjagt, und daß in das destillirte Wasser diese Eigenschaft übergeht. Die geistige Tinktur, vorzüglich von der ostindischen, enthält mehr von den adstringirenden als von den bittern Theilen, und stärkt daher mehr, als daß sie abführen sollte.

Bei Leibesverstopfung in Körpern von straffer Faser, oder bei entzündlicher Beschaffenheit des Bluts ist die Rhabarber nicht zulässig.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 50-53.
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