Theestrauch

[316] Theestrauch. Es giebt zwei Sträucher dieses Nahmens, von denen man noch nicht weiß, ob sie nur als Varietäten, oder als Spezies verschieden sind. Der eine: Thea Bohea, L. [Amoenit. acad. VII S. 236 Ic.] mit sechsblätterigen Blumen an Gestalt den Blumen der Hagebuttenrose ähnlich und von weißer Farbe; ein in Japan und China einheimischer, mannshoher, baumartiger Strauch, dessen Blätter oval, rauh und dunkler grün seyn sollen. Der andere: Thea viridis, L. [Regnault, Botan. tab. 317] mit neun (oder vielmehr vier bis sechs, gewöhnlich fünf) Blumenblättern; ein blos in China einheimischer baumartiger Strauch, welcher schwefelgelbe (?) Blumen und länglicht ovale, heller grüne, glatte Blätter haben soll. Noch zweifelhafter ist es, ob die im Handel befindlichen Theesorten den Grund ihrer Verschiedenheit daher entlehnen, daß die eine Sorte (etwa der Theebou?) von ersterm Strauche, die andre (etwa der grüne Thee?) von lezterm genommen werde. Glaublicher ist es, daß die Verschiedenheit der Theesorten mehr von dem Standorte der Sträucher, ihrem verschiednen Alter, der Größe der Blätter, der Sammlungsjahrszeit und der Zubereitung und Trocknungsart abhange.

So viel ist gewiß, daß die zartesten und kaum entfalteten, zu Ausgange des Februars oder Anfangs März abgepflückten Blätter den feinsten Thee, die so genannte Theeblüthe oder Kaiserthee (Thea caesarea, Flos theae) geben, welcher fast nie in den Handel kömmt. Die andern bis zum Mai gesammelten Blätter werden ausgelesen und zu verschiednen Sorten abgetheilt. Hievon hat man zwei Hauptsorten. Die erste ist der Bohethee (Thea Bohea, Thea fusca, Theebou) von dunkelbrauner Farbe, zusammenziehendem Geschmacke und rosenartigem Geruche und seine Unterarten, die geringste: der gemeine Theebou (Moji), der Congo, der Pecko, und die theuerste und beste, der Sootchuen (Suischong).

Die zweite Sorte ist der grüne Thee (Thea viridis), dessen Blätter krauser, und grüner, ins bläulichte spielen, nach Veilchen riechen und dem kochenden Wasser eine grünlichte Farbe mittheilen, und seine Unterarten, die geringste: der Singlo (Songlo), der Bing und die beste, der Hy-tiann (Heysan).

Auf eisernen, über Oefen erhitzten Platten werden die frisch gepflückten Blätter schnell umgewendet, und, wenn sie durchaus erhitzt sind, auf Binsendecken (über Tische gebreitet) gerieben und zwischen den Händen gerollt – eine Verrichtung, welche mehrmahls von neuem wiederholt werden soll, um dem Thee alle Feuchtigkeit zu entziehen, und ihm die gekräuselte Form dauerhaft zu geben.

Die Platten sollen zum grünen Thee weniger erhitzt werden als[316] zum Thebou; daher die braune Farbe des leztern. Ob aber der bei den besten Sorten so starke angenehme Geruch aus den im frischen Zustande grusicht und etwas narkotisch riechenden Blättern durch die Dörrhitze sich von selbst entwickele, oder ob er ihnen von jenen Völkern durch Benetzung des dürren Thees mit einer Tinktur der Olea fragrans, L. oder der Camellia japonica künstlich mitgetheilt werde, ist noch unentschieden, wiewohl lezteres das wahrscheinlichste ist. Am grünen Thee ist der Geruch stärker als am Thebou, lezterer enthält hingegen mehr adstringirenden Grundstoff, an 61/2 Quentchen in zwei Unzen; der grüne nur 51/2 Quentchen in gleicher Menge.

Im Aufgusse ist dieses Galläpfelprinzip stark im Geschmacke wahrzunehmen, und nächstdem eine eigne Bitterkeit.

In der Bitterkeit scheint die narkotische Eigenschaft der Theeblätter zu liegen, welche so stark ist, daß sich die Chineser ihrer zum Getränk nicht eher zu bedienen getrauen, als bis sie nach vorgängiger Röstung noch ein ganzes Jahr aufbewahret worden sind. Der davon in Menge verschluckte Staub und das Riechen großer Quantitäten Thee hat nicht selten Schwindel, Kopfweh und paralytische und apoplektische Zufälle hervorgebracht, so wie ein stärkerer Aufguß, bei reitzbaren Personen, Sinken der Kräfte, schnellen Puls, Schwindel, Schlaflosigkeit, Verdrießlichkeit, Traurigkeit, Zittern, Angst, Brustbeklemmung, Trunkenheit, Gedächtnißschwäche erregt, auch wohl Hysterie und epileptische Konvulsionen erzeugt hat. Es ist sehr möglich, daß ein schwächerer Aufguß, von nicht ans Theetrinken gewöhnten Personen genossen, gleiche Beschwerden auch zu heilen, wenigstens zu mindern im Stande seyn könnte; er wird aber selten hiezu angewendet, und der ungeheure Misbrauch der zwanzig Millionen Pfunde Thee, die jährlich aus Ostindien zur europäischen Konsumtion gehohlt werden, hindert eher die arzneiliche Beobachtung der Wirkungen dieses Krautes, statt sie ins Licht zu setzen.

Von den auf den Theemisbrauch beobachteten chronischen Uebeln kömmt dem dazu angewendeten heißen Wasser ein großer Theil zu Schulden; aber welcher genau? ist noch nicht entschieden.

Selten hat man sich des Thees zur Arznei (ohne Anwendung des heißen Wassers zum Aufgusse) bedient. Das Pulver desselben hat (zu 30 Gran) die festen Theile erschlafft, Hitze und Schlaflosigkeit gemindert, und Schweiß erregt. Bei größern Gaben entstehet Magendrücken und Brecherlichkeit. Eben deshalb hat auch das Kauen der rohen Theeblätter, vorzüglich bei Schwangern, Magendrücken geheilt. Der Theeaufguß befördert ausser der Hautausdünstung oft den Harn, und nimmt die Trunkenheit von geistigen Getränken hinweg. Doch alles dieß nur bei des Theetrinkens Ungewohnten; oder man müßte stärkere Aufgüsse als gewöhnlich, wählen. Am besten aber wäre es, wenn ja arzneilich Anwendung vom Thee gemacht werden soll, sich der geistigen Tinktur zu bedienen. Hiezu wäre der Karawanenthee, als[317] die stärkste Sorte, vorzuziehen, welcher in Kiachta eingehandelt über Petersburg in kleinen Büchsen verführt wird.

Der Theestrauch den die Chineserin großen Plantagen ziehen, und vom dritten Jahre seines Alters an bis in sein zehntes zum Blätterpflücken nutzen, wird auch schon seit einigen Jahren in Europa, vorzüglich in England erzielt, doch nur im Kleinen. Vielleicht erlauben günstigere Umstände im wärmern Europa, bei geringerm, als in England gewöhnlichem Arbeitslohne, größere Pflanzungen von dieser unentbehrlich gewordenen Drogue im Freien anzulegen, vorzüglich in der Nähe großer Ströhme an jähen Bergabhängen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 316-318.
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