Vorerinnerung

Ich hatte bei Verfertigung dieses Wörterbuchs Endzwecke, welche einigermasen von denen abweichen, die sich Andre bei ähnlichen Büchern vorsetzten.

Alle die einfachen Mittel, welche von Anfange dieses bald zu Ende gehenden Jahrhunderts an bis auf die neuesten Zeiten offizinell, oder sonst gebräuchlich waren, auch die nur von einigen Aerzten angewendeten, so wie diejenigen, welche als Hausmittel einen ansehnlichen Ruf erhielten, suche ich hier aufzustellen.

Von einem guten Dispensatorium verlangt man mit Recht, daß es nur die wirksamsten, bewährtesten Droquen aufstelle, um den unwirksamen und zweideutigen Rest alter Offizinen allmählig zu verbannen. Eine ganz andre Bestimmung aber hat ein Apothekerlexikon. Es soll nicht blos über die Mittel Auskunft geben, welche die ersten und erfahrensten Aerzte einstimmig für hülfreich[1] anerkannt und ihre genaue Anwendung in ein zuverlässiges Licht gestellt haben – eine Bestimmung, welche blos ausgewählten Arzneimittellehren eigen ist. Es soll auch von den verlegenen, aus der Mode gekommenen, wenig gebräuchlichen, auch von den unwirksamen, ekelhaften und abergläubigen Mitteln die Wahrheit sagen – weil auch an dieser Wahrheit oft viel gelegen ist. Und wieviel vorzügliches ist nicht noch in den sogenannten veralteten Mitteln, deren einige manchem neuern modischen Mittel den Vorrang streitig machen würden? Man zieht deshalb von Zeit zu Zeit ältere Arzneien aus ihrer Dunkelheit wieder hervor; in solchen Fällen ist dem Arzte und Apotheker nicht wenig daran gelegen, zu wissen, was die Alten schon von dieser Droque wußten. Dieß muß das Apothekerwörterbuch sagen. So sind auch einige einfache Mittel, deren sich die Alten als offizinelle Arzneien bedienten, immer noch als Hausmittel für Gegenden sehr schätzbar, welche keine Apotheken haben.

Wenn ich den einfachen Mitteln ihren vorzüglichsten Nutzen, und überhaupt ihre arzneiliche Bestimmung beifüge, so habe ich auch hierin einen andern Zweck, als einige neuere Apothekerbücher, welche dieß in der Meinung weglassen, als wäre dergleichen Nachricht dem Apotheker unnütz, oder wohl gar schädlich, weil es die Pfuscherei vermehre. Eine kurze Anzeige des Nutzens einer Droque kann aber gut gesinnte, ihrer edeln Bestimmung bewußte[2] Apotheker wohl nie zur Schleichpraxis verleiten; sie können unverwelklichere Bürgerkronen von treuer Ausführung ihrer Pflicht einernten. Die hohe Würde eines guten Apothekers, aus dessen unbestechlich gewissenhaften Händen Leben und Gesundheit in lauterer Quelle fließt, und unter dessen wachsamer Kenntniß die ächten Werkzeuge erschaffen werden, womit wir die zerrüttete Maschine des menschlichen Körpers zu bessern und in ihren ursprünglichen harmonischen Gang wieder zu bringen suchen, wird sich nie mit der Niederträchtigkeit einer vernunftlosen Quacksalberei besudeln, welche sich zu ihr wie der stinkende Sumpf zu der wohlthätigen Sonne verhält.

Eine so kurze Anzeige des Nutzens kann auch eine solche Halbgelehrsamkeit nicht einmal hervorbringen. Wenn man liest, daß Austerschalenpulver die krankhafte Säure des Magens wegnimmt, so weiß man deshalb immer noch nicht, unter welchen Umständen eine solche Magensäure zugegen sey, durch welche Krankheitszufälle sie sich verrathe.

Wohl aber hat eine kurze Anzeige des Nutzens einer Droque den Vortheil für den angehenden Apotheker, daß er der trocknen Beschreibung dieses Mittels desto eher Eingang in sein Gedächtniß verstattet, wenn sie ihm nun mehr als gleichgültig, wenn sie ihm der angegebnen arzneilichen Bestimmung wegen merkwürdig geworden ist, oder doch nun einigen Anspruch auf seine Aufmerksamkeit[3] macht. Dinge, deren Nutzen uns gar nicht bekannt ist, sind uns Menschen gleichgültig, wir sind so kalt dabei, als bei dem toden Buchstaben eines Wortes, dessen Bedeutung verloren gegangen ist. Nur ein Fingerzeig auf ihre Nutzbarkeit, sie sey wirklich, scheinbar oder eingebildet, giebt uns Interesse dafür; die sonst nichtswürdige Kenntniß ihrer Geschichte bekömmt nun Körper, Leben und etwas Anziehendes, Wissenswürdiges.

Da unsre deutsche Sprache alle andre Sprachen (die griechische ausgenommen) in der Fähigkeit, zusammengesetzte Worte zu bilden, weit übertrift, so habe ich mich dieses ungemeinen Vorzugs (unter Suckow's Vorgange) bedient, die Pflanzen (auch einige Thiere) unter Namen abzuhandeln, deren erster Theil die Spezies, der zweite (mit schwabacher Schrift gedruckte) aber das Genus ausdrückt. Neue Namen habe ich fast nie gemacht, nur aus den ältern, schon gebräuchlich gewesenen deutschen Benennungen habe ich sie zusammengesetzt. Das ganze Pflanzensystem scheint einer solchen Nomenklatur fähig zu seyn, wenigstens ist es unverantwortlich, die Arzneipflanzen fernerhin unter so empirischen, schwankenden Namen, als die bisher gangbaren deutschen sind, bei der so vorzüglichen Biegsamkeit und Bildungsfähigkeit unsrer Muttersprache fortzuführen, und so mit schwankender Unverständlichkeit die Gefahr, mißverstanden zu werden, zu verbinden. Wir sollten uns aus eben dem Grunde, aus dem[4] wir den Linneischen Systemnamen dem Tournefortischen, Rajischen oder Bauhinischen vorgezogen haben, entweder alle Pflanzen auch in deutschen Büchern unter Linnés lateinischen Systemnamen anführen, oder gleich ausdrucksvolle deutsche zusammensetzen. Einen Mittelweg giebt's nicht. Oder hatte etwa der schwedische Plinius mehr Recht, sich der ausgestorbnen lateinischen Sprache zu dieser Absicht zu bedienen, als wir mit unsrer Sprache zu gleichem Zwecke? Wir können Gattung und Art in Einem Worte vereinigen (ein unglaublicher Vorzug!), dieß konnte er mit dem Lateinischen nicht.

Nur wo blos eine einzige Art von einem Pflanzengeschlechte offizinell war, unterließ ich die Spezies im deutschen vorzusetzen.

Auch den größten Theil der chemischen zusammengesetzten Körper habe ich versucht, systemartig deutsch zu benennen. Sind solche Namen wohlgewählt, so sind sie sehr ausdrucksvoll, und enthalten, so zu sagen, in sich schon eine Definition ihrer Natur.

In diesem ganzen Nomenklaturgeschäfte, so mühsam es auch ist, wenn man Rechenschaft davon zu geben im Stande seyn soll, suche ich aber an meinem Theile nicht das mindeste Verdienst, und wünsche blos die gute Sache durch meine Mitwirkung in Gang gebracht zu sehen.

Die Abbildung habe ich von so viel möglich allen Pflanzen (auch Thieren) angegeben nach den wohlfeilsten Büchern, und[5] nur, wo diese nicht zureichten, auf die kostbarern Werke verwiesen. Die schlechten Abbildungen halte ich für schädlich, und habe sie deshalb vermieden anzuführen, wenn sie auch wohlfeil waren.

Nächst den einfachen Droquen berühre ich auch die Verfertigung der einfachen Arzneizubereitungen, und setze nach meiner Ueberzeugung die beste und kürzeste hin. Alle je ersonnene anzuführen, würde hier der Ort nicht gewesen seyn. Alles blos chemische – blos naturhistorische ließ ich weg.

Wenn ausgesuchte Kürze beim Bücherschreiben weniger einträglich als lange Anführungen sind, so glaube ich der guten Sache einiges Opfer gebracht zu haben.

Die schlechten, verlegnen, schwankenden und unrichtigen deutschen, lateinischen und übrigen Arzneibenennungen setze ich hin, um auf die bestimmtern, richtigern Ausdrücke hinzuweisen.

Daß die französischen und englischen Benennungen da stehen, wird wohl kein Ueberfluß seyn.

Einige nicht allgemein bekannte Werkzeuge habe ich in Holzschnitt beidrucken lassen.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 1-6.
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