Weingeist

[406] Weingeist (Spiritus Vini) wird im engern Verstande der aus Weinbeerweine, Weinhefen und gegohrnen Weintrebern (Trestern) durch zweimahl wiederholte Destillation abgeschiedene brennbare Geist von lieblichem, etwas ätherartigem Geruche und ähnlichem, reingeistigem Geschmacke, im weitern Sinne aber der von irgend einem (es sei nun aus Cider, Meth oder Getreidemaische bereitetem) Branntweine, w.s. durch nochmahlige Uebertreibung bereitete und so vom Uebermane an Wasser befreiete brennbare Geist genannt.

Da nun diese Branntweine zwar allesammt in Absicht des in ihnen enthaltenen brennbaren Geistes, der in allen von gleicher Natur ist, übereinkommen, aber durch mehr oder weniger unangenehme Nebenbestandtheile sich gar sehr von einander untscheiden (vorzüglich der aus Getreidekörnern bereitete sogenannte Kornbranntwein durch sein widriges Fuselöl), so müssen bei Bereitung des Weingeistes aus irgend einem Branntweine Handgriffe zu seiner vollkommenen Reinigung angewandt, und in der Pharmazie durchaus kein brennbarer Geist mit dem Nahmen Weingeist belegt, oder als Weingeist zu Arzneien genommen werden, welcher nicht, theils von allem widrigen Nebengeruche und Nebengeschmacke befreiet, theils gehörig entwässert ist.[406]

Den Vorzug zur Bereitung des Weingeistes haben ausser dem Weinbranntweine (der überhaupt mit dem Nahmen Franzbranntwein belegt wird) die Branntweine aus Cider, Meth, gegohrnem Zuckerwasser, u.s.w. welche dem aus Weine oft sehr nahe kommen, vor dem Kornbranntweine. Da aber lezterer zuweilen der einzige ist, den man haben kann, so muß man wissen, wie er in einen reinen Weingeist umzuändern ist.

Zu dieser Absicht wählt man geistreichen Branntwein, etwa solchen, wovon ein Fläschchen, welches bis zu einem gewissen am Halse gezeichneten Punkte 1000 Gran destillirtes Wasser fasset, zur Anfüllung bis zu demselben Punkte nur 920 Gran braucht, vorausgesetzt, daß der Branntwein von gleicher Wärme als das Wasser war (das ist, einen Branntwein von 0,920 spezifischem Gewichte). Kann man ihn nur von geringerer Stärke von 0,930 oder wohl gar nur von 0,940 spezif. Gewichte haben, so muß man ihn auch um desto wohlfeiler einkaufen, so daß man für jede zehn Grade der größern spezifischen Schwere den Einkaufpreis etwa um ein Vierzehntel (bis Zwölftel) herabstimmt.

Man gießt den zu Weingeist zu bearbeitenden Cider- Meth- Zucker- oder Kornbranntwein in die kalte Blase, mischt allmählich unter stetem Umrühren feines Pulver unmittelbar vorher geglüheter Kohlen von hartem Holze so lange hinzu, bis eine zwischen den Händen geriebene Probe davon keinen übeln Geruch weder von dem stinkenden Fuselöle des Getreides, nichts von dem süßlichtwidrigen Geruche weder des Honigs, noch des Obstes, noch auch überhaupt einigen bränzlichten Geruch mehr spüren läßt. Hiezu wird höchstens ein Pfund Kohlenpulver gegen 24 Pfund Branntwein erforderlich seyn; je weniger, desto besser, da der überflüssige Zusatz des Kohlenpulvers die Menge des Weingeistes verringert. Will man nun dem abzudestillirenden Weingeiste auch den lieblichen Geruch des Weingeistes aus Weinbranntweine mittheilen, so tröpfelt man unter stetem Umrühren nun noch so viel konzentrirte Vitriolsäure ein, daß auf jede 24 Civilpfunde Branntwein zwei Loth Vitriolöl kommen. Man setzt nun den zinnernen Helm mit dem Helmabkühler versehen, auf, legt die Vorlage (am besten die mit der Hülfsröhre bei Salmiakgeist unter Salmiak gezeichnete) an, verdichtet die Fugen und destillirt bei gelindem Feuer und unter Erneuerung des kalten Wassers im Helmabkühler so lange, bis das Uebergehende aufhört, weingeistig zu riechen und zu schmecken. Dieser einfache oder rektifizirte Weingeist (Spiritus Vini, Spiritus Vini rectificatus) ist frei von allem widrigen Geruche und Geschmacke, und, wenn, wie oben gedacht, noch etwas Vitriolsäure zum Branntweine gekommen, auch mit dem belebenden, vegetabilisch ätherischen, lieblichen Geiste geschwängert, der sonst nur dem Weingeist aus Franzbranntweine eigen ist. Man kann von diesem rektifizirten Weingeiste erwarten, daß er eine spezifische Leichtigkeit von 0,873 besitze. Er muß in gläsernen Flaschen fest[407] verstopft am kältesten Orte des Hauses aufbewahret werden.

Ehedem pflegte man den Weingeist, um ihn zu verstärken, so lange mit etwas geglühetem Potaschlangensalze zu schütteln, bis lezteres nicht mehr feucht ward, und den abgegossenen Weingeist dephlegmirten oder tartarisirten (Spiritus Vini tartarisatus) zu nennen. Er enthält aber so viel kaustisches Laugensalz aufgelößt, daß er durchaus zu keinem technischen oder arzneilichen Behufe anzuwenden ist, wozu reiner Weingeist erfordert wird.

Soll aber der Weingeist den höchsten Grad der Stärke und Reinigkeit erhalten, die man nur zu pharmazeutischen und technischen Arbeiten verlangen kann, so wird eine mit dem Wasserbade versehene Blase, das ist, eine solche, welche in einer andern mit kochend erhaltenem Wasser angefüllten Blase stehet ( die Zeichnung unter Wasserbad), bis zu zwei Dritteln mit möglichst in der Wärme ausgetrockneter noch warmer gepülverter Potasche angefüllt, und so viel von dem gedachten über Kohlen rektifizirten Weingeiste dazu gegossen, daß die Potasche nur so eben oben damit bedeckt wird. Man verstopft die Blase genau und läßt die Mischung 24 Stunden im Kalten stehen. Nun setzt man den zinnernen Helm mit dem Helmabkühler auf, dessen frisches Wasser man ununterbrochen erneuert, legt die Vorlage mit der Hülfsröhre (gezeichnet bei Salmiakgeist unter Salmiak) vor, verdichtet die Fugen aufs genaueste mit nasser Blase, und destillirt die Hälfte des eingesetzten Weingeistes ab.

Der ungemeinen Flüchtigkeit des Uebergehenden wegen ist die Frostkälte des Winters hiezu die tauglichste Jahrszeit, wobei ein nicht geringer Verlust an Geiste vermieden wird.

Zur Bereitung dieses Weingeistalkohols (Spiritus Vini rectificatissimus, s. dephlegmatissimus, s. alcoholisatus, Alcohol Vini) mittelst Potasche darf aber durchaus kein roher Weingeist aus Kornbranntweine genommen werden, der nicht über Kohlen rektifizirt ist; jeder Rest des Fuselöls darin zersetzt sich sonst bei der Dephlegmirung über Potasche zu einer Art urinösen Dunstes, der bei der Destillation dem Weiste mitgetheilt wird und ihn unangenehm macht.

Diesem Nachtheile völlig zu entgehen, (vorzüglich wenn man wegen eines Restes an Fuselöle nicht fest überzeugt ist) und zugleich einen Weingeistalkohol von wo möglich noch größerer Konzentration auf dem leichtesten Wege zu erhalten, dient die Erfindung, den über Kohlen rektifizirten Weingeist (statt der Potasche) mit einem Drittel seines Gewichts an ganz trockner kochsalzsaurer Kalkerde zu mischen (welche bis zum Anfange des Glühens geschmolzen, noch heiß ganz fein gepülvert und noch warm unter den Weingeist getragen wird), die Mischung wiederholt zu schütteln, und aus dem Wasserbade mit dem Hutabkühler, am besten bei Frostkälte wie gedacht über zu treiben. Das rückständige Kalkkochsalz kann immer wieder von neuem zu dieser Absicht gebraucht werden, wenn es wieder bis zum Glühen ausgetrocknet und gepülvert ist. (Das[408] zum Dephlegmiren öfterer gebrauchte Potaschlaugensalz hingegen wird zu dieser Absicht immer untauglicher; es sättigt sich theils hiedurch mit Kohlensäure, theils wird es zu Potaschessigsalz umgeändert, und so immer weniger zerfließbar).

Dieser Weingeistalkohol besitzt die spezifische Schwere von 0,791 oder, 0,792 und ist so flüchtig, daß bei mittlerer Temperatur der Atmosphäre ein von einiger Höhe herabfallender Tropfen nicht auf die Erde gelangt, sondern auf dem Wege verdunstet. Er siedet bei einer weit niedrigern Temperatur als 165°, eine Wärme, bei welcher der über Potaschlaugensalz möglichst rektifizirte Weingeist, dessen Leichtigkeit man bisher nicht höher, als bis 0,825 oder höchstens 0,820 zu bringen vermochte, ins Kochen zu kommen pflegt.

Wasserfreier Weingeist friert bei keiner bekannten Kälte, brennt ohne Docht und ohne vorgängige Erwärmung mit weißer, an der äussern Seite bläulicher Flamme gänzlich hinweg, ohne Wasser zu hinterlassen, und fast ohne Rus. Er bringt mit Wasser gemischt Wärme, mit Schnee gemischt aber größere Kälte hervor. Er ist die einzige brennbare, tropfbare Flüssigkeit, welche sich in allen Verhältnissen mit Wasser vermischt. Er verbindet sich mit den Mineralsäuren und der Essigsäure zu Aether und versüßten Säuren. Er löset (die meisten Arzneikräfte der Pflanzen) die wahren Harze, die ätherischen Oele, und Kampher, in der Wärme häufiger als in der Kälte, auf, und läßt sie auf Zusatz von Wasser größtentheils wieder abscheiden. Er löset die Bernsteinsäure, Benzoesäure und Sedativsäure, die kochsalz- salpeter- und essigsaure Kalk- Magnesie- und Thonerde, das kochsalzsaure Eisen- Kupfer- Zink- und Quecksilbersalz, das salpetersaure Eisen- Kupfer- Silber- und Zinksalz, das Ammoniakessig- und Ammoniaksalpetersalz, das Sodaessigsalz, das Potaschessigsalz und in geringer Menge den Sodasalpeter und den Salmiak, überdem aber die Aetzlangensalze, die Seifen, die durch Säuren, Aetzlangensalze, Feuer und Ranzigkeit veränderten ausgepreßten Oele und Thierfette, und die durch Feuer veränderten aus fetten Oelen verhärteten Substanzen, den Bernstein und Kopal, keineswegs aber die reinen ungeänderten ausgepreßten Oele, Thierfette, Bernstein, Kopal, Wachs, Wallrath, noch auch die Schleime und Gummen auf.

Arzneilich betrachtet ist er eins der kräftigsten Hemmungsmittel der Gährungen und selbst der Fäulniß, er verhärtet die Thierfaser und den Eiweißstoff, und ist wasserfrei, eins der schätzbarsten blutstillenden äussern Mittel. Die Kolik von gährenden süßen Dingen hebt er spezifisch, und besitzt unter gewissen Bedingungen Lebenskraft erhebende Tugenden. Die akuten Folgen seines übermäsigen Genusses lassen sich, so viel man weiß, durch etwas Kirschlorbeerwasser oder bittere Mandeln am besten heben, auch, wie man sagt, durch den Genuß fetter Oele.

Die Beobachtung, daß bei 65° Fahr. ein Weingeist von 0,817[409] spezifischem Gewichte, gemischt mit Wasser in einem Verhältnisse wie 9:1, eine spezifische Schwere von 0,844 – wie 8:2 von 0,869 – wie 7:3 von 0,893 – wie 6:4 von 0,915 – wie 5:5 von 0,934 – wie 4:6 von 0,951 – wie 3:7 von 0,965 – wie 2:8, von 0,976 – und wie 1:9 vermischt, eine spezifische Schwere von 0,987 erlange, bedarf Berichtigung, und kann nur als ungefähre Angabe betrachtet werden, zumahl, da der wasserfreieste Weingeist von 0,791 eigenthümlichem Gewichte nicht dabei zum Grunde gelegt worden ist. So viel ist gewiß, daß Weingeist und Wasser einen desto kleinern Raum bei ihrer Vermischung einnehmen, je größer das Verhältniß des erstern gegen das leztere war.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 406-410.
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