Zinn

[482] Zinn (Stannum, Jupiter) ist ein fast silberweißes, nach einiger Zeit mit einem dunkelgrauen, dünnen Ueberzuge sich bedeckendes, beim Biegen knirrendes und knitterndes, weiches, fast klangloses, widerlich riechendes und schmeckendes Metall, von 7,180 bis 7,299 eigenthümlichen Gewichte, welches bei 410° Fahr. vor dem Glühen, schmelzt, von der heißen, reinen Salpetersäure blos zu einem 40 Prozent schwererm Kalke zerfressen, aber nicht aufgelöset, vollkommen aber von der gemeinen Salzsäure, dem (kalt erhaltenen) Königswasser, und der aus Vitriol- und Salpetersäure,[482] so wie der aus Vitriol- und Salzsäure gemischten Säure aufgelöset wird. Die Gewächssäuren lösen nicht wenig davon auf.

Es kömmt fast nie gediegen, am häufigsten in Vereinigung mit Eisen (Kupfer) und Arsenik in der Erde vor. Wir erhalten es im Handel selten rein. Das englische Weichzinn (Tin) ist in England stets ganz fein, und blos ihr Hartzinn (Pewter) ist mit einem Zwanzigstel eines Metallgemisches aus Zink, Kupfer, Wismuth, u.s.w. versetzt. So lange sich aber die Holländer dieses Handelsartikels bemächtigt hatten, bekamen wir durch ihre Hände das sogenannte englische Zinn, welches fein seyn sollte, fast durchgängig verfälscht (unter einer Menge von Stempeln, Nahmen und Gestalten) vorzüglich aber mit Blei versetzt. Das reinste schien noch das in dünnen biegsamen Striemen, zum Löthen gebräuchliche. Dann könnte man etwa noch dem angeblich englischen Stangenzinne einigen Vorzug geben, in fingerdicken und ellenlangen Stäben. – Selbst das ostindische, gewiß sehr reine, nämlich das Bancazinn in länglichten Zainen, jeder vierzig und mehrere Pfund schwer, und das Malaccazinn in Hutform, beide Sorten mit einem grauen Roste bedeckt, ließ dieß monopolische Handelsvolk nicht rein in unsre Hände. Wenn wir daher das eigentliche englische Weichzinn nicht unmittelbar aus diesem Lande, oder das ostindische ebenfalls entweder gerade durch die Hände der Engländer oder Dänen bekommen können, so verfahren wir sichrer, das gewöhnlich untadelhafte sächsische oder böhmische Bergzinn oder Ballenzinn zu wählen, dem vielleicht nur die Verläumdung oder die Sucht nach ausländischen Erzeugnissen die Reinheit abgesprochen und eine Verfälschung mit Blei angedichtet hat.

Um sich von dem schädlichen Zusatze des Bleies, Kupfers und Wismuths zu überzeugen, digerirt man das verdächtige Zinn in heißer ganz reiner Salpetersäure (die mindeste Beimischung von Vitriol- oder Kochsalzsäure läßt einen aufgelößt bleibenden Hinterhalt von Zinn in der Auflösung zurück) und es wird völlig als ein weißer Kalk zerfallen zu Boden fallen, so daß die Salpetersäure kein Metall enthält, wenn (die Säure und) das Zinn rein war. War es aber nicht rein, so wird die helle, filtrirte Flüssigkeit auf Zusatz von trocknem Glaubersalzpulver ihren Bleigehalt als Bleivitriol niederfallen lassen. Die nochmahls filtrirte oder hellabgegossene rückständige Flüssigkeit wird ferner ihren Wismuthgehalt größtentheils zu Boden fallen lassen, wenn man sie mit dreisig Theilen Wasser verdünnt. Den Rest schlägt man aus der hellabgegossenen Flüssigkeit mit Potaschlaugensalz nieder, und zieht aus dem getrockneten und gewogenen Bodensatze das etwanige Kupfer mit mildem Salmiakgeiste aus; der Rückstand wird noch Wismuth seyn. Unmittelbar auf Arsenik probirt man das Zinn durch Auflösung in Salzsäure, wobei der[483] Arsenik als schwarzes Pulver, das ist als Arsenikkönig zu Boden fällt. Indeß ist des Arseniks, welcher nie als Verfälschungszusatz, sondern immer nur zufällig aus dem Erze zu dem Zinne geräth gewöhnlich nur eine sehr unbedeutende, ich möchte sagen, unschädliche Menge im Zinne, etwa 1/1000 sehr selten 1/576. Das sächsische Seifenzinn enthält keins.

Durch Zusatz von 1/32 Blei wird das Zinn schon von 7,321, beim Zusatz gleicher Theile Bleies aber von 8,817 eigenthümlichem Gewichte.

Das in feine Späne gefeilte, oder geschmolzen und in die hölzerne, mit Kreide ausgestrichene, Granulirbüchse gegossen (blos wenn das Zinn ein wenig vom Schmelzpunkte entfernt ist, wird es spröde genug zum Pülvern) durch schnelles und starkes Schütteln gepülverte, und durch ein Sieb von den größern Körnern geschiedene Zinn (Scobs, s. Limatura stanni, Pulvis Stanni) ist, zu einem und mehrern Skrupeln auf die Gabe eingenommen, als ein vortreffliches Mittel gegen Eingeweidewürmer, selbst gegen den Bandwurm (sogar zur Austreibung der Taenia solium, L. wie ich mit Andern erfahren) befunden worden, eine schätzbare Arzneikraft, die wohl nicht von der oft unbeträchtlich kleinen Menge Arsenik darin abgeleitet werden kann, da auch die durch Salpeter verpufften und ausgesüßten Zinkkalke diese Tugend besitzen.

Ein altes Mittel, das Schwindsuchtspulver des Poterius (Antihecticum Poterii) aus zwei Theilen Spießglanzkönig mit einem Theile Zinn zusammengeschmolzen, und mit einem gleichen Gewichte Salpeter verpufft, ausgesüßt und getrocknet – ward ehedem im Asthma (sogar der geschwürigen Lungensucht) in Hysterie und Hypochondrie und selbst im Keuchhusten gepriesen. Die Neuern haben hierüber keine bestätigende Erfahrung.

Vor sich im Flusse in offenen Geschirren gehalten, wird das Zinn allmählich in einen grauen Kalk umgewandelt, der leicht wiederherstellbar ist, durch ferneres Glühen aber in einen weißen Zinnkalk (Zinnasche, Cinis stani, Cinis Jovis) übergeht, mit zehn Prozent Gewichtszunahme, welcher in ältern Zeiten in Hysterie gerühmt worden ist. Technisch dient er zum Poliren des Glases, Stahls, u.s.w. und, im heftigsten Feuer zu milchweißem Glase geschmolzen, zur Bereitung des Emails.

Der durch anhaltendes Glühen oder durch Verpuffen mit zwei Theilen Salpeter und Aussüßen entstandene weiße Zinnkalk läßt sich zwar nicht vor Mineralsäuren, wohl aber von der Essigsäure allmählich in der Wärme auflösen, eine Auflösung, die zur Sirupsdicke abgedunstet, und dann mit einem Zwanzigstel entwässerten Weingeiste vermischt, zu harten, weißen, milden Zinnessigsalzkrystallen (Sal Jovis Mynsichti, Sal Stanni acetatum) anschießt, ein Salz, welches nach einer dunkeln Sage in Hysterie gebräuchlich gewesen seyn soll, nach gewissern Nachrichten[484] aber in holländischen Kattundruckereien Dienste leistet.

Um das Musivgold (aurum musivum, s. mosaicum) zu bereiten, mischet man 12 Theile des reinsten schmelzenden Zinnes mit 3 Theilen reinen Quecksilbers im steinernen Mörsel zu einem fein gepülverten Amalgam, reibet hierunter 7 Theile Schwefelblumen und 3 Theile Salmiak und schüttet das Gemisch in einen gläsernen Kolben, den man, mit Sand umschüttet, in einen Schmelztiegel setzt, und diesen in einer anhaltend gleichen, gelinden Hitze (etwa 8 Stunden lang) erhält, bis sich keine schwefelichtsauern Dämpfe mehr entwickeln. Dann verstärket man das Feuer etwas, wobei sich einiger Zinnoder, etwas ätzender Sublimat und kochsalzsaures Zinn sublimiren wird. Der Rückstand ist das goldgelbe, metallisch glänzende, schuppenförmige und fettig anzufühlende, geruch- und geschmacklose Musivgold, eine Verbindung von Zwei Theilen Zinn und Einem Theile Schwefel. Es wird jezt auf Reibekissen an Elektrisirmaschinen, und von den Mahlern gebraucht; ehedem auch als innere Arznei in Hypochondrie, Hysterie, u.s.w. heut zu Tage aber, wie billig, gar nicht mehr.

Reibt man ein Zinnamalgam, obgedachter Art, (aus 12 Theilen schmelzendem Zinn mit drei Theilen Quecksilber verbunden, bereitet) genau mit gleichen Theilen gepülvertem Aetzsublimat im gläsernen Mörsel zusammen, und destillirt dieses Gemisch aus einer Retorte in die mit fettem Kitte anlutirte und mit ihrer Hülfsröhre (gezeichnet unter Salmiakgeist) versehne Vorlage bei gelind erhöhetem Feuer dergestalt über, daß man die Destillation abbricht, sobald ein fester Sublimat im Halse der Retorte erscheint, so bestehet die übergegangene, dünne, bei Berührung der Luft einen dichten, weißen, erstickenden Dampf ausstoßende Flüssigkeit (Libav's rauchender Geist, Liquor s. Spiritus Libavii, fumans, auch, etwas uneigentlich, Zinnbutter genannt) aus Zinn mit oxygenisirter Kochsalzsäure übersetzt. Sie wird im Dunkeln in gläsernen Flaschen verwahrt, deren eingeriebener Glasstöpsel vor dem Verstopfen mit geschmolzenem, weißem Wachse überzogen worden ist ( unter Stöpsel), und ist in neuern Zeiten zur Bereitung eines leichten Kochsalzäthers angewendet worden.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 482-485.
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