Eigentliche Dilutionen finden fast nur bei Geschmacks- und Farbe-Gegenständen statt. Eine Auflösung salzhafter oder bittrer Substanzen wird immer unschmackhafter, jemehr ihr Wasser zugemischt wird, endlich fast ganz ohne Geschmack, man mag sie dann schütteln, so viel man wolle – so wird auch eine Auflösung einer Farb-Substanz durch Beimischung mehrern und mehrern Wassers endlich fast ganz farblos, und bekömmt durch alles erdenkliche Schütteln keine erhöhete Farbe.
Diess sind und bleiben wahre Verdünnungen oder Dilutionen, aber keine Dynamisationen.
Homöopathische Dynamisationen sind wahre Erweckungen der in natürlichen Körpern während ihres rohen Zustandes verborgen gelegenen, arzneilichen Eigenschaften, welche dann fast geistig auf unser Leben, das ist, auf unsre empfindende (sensible) und erregbare (irritable) Faser einzuwirken fähig werden. Diese vor mit unbekannten Eigenschafts-Entwickelungen (Dynamisationen) roher Natur-Stoffe geschehen, wie ich zuerst gelehrt habe, durch Reiben der trocknen Substanzen im Mörsel, der flüssigen aber durch Schütteln, was nicht weniger eine Reibung ist. Diese Bereitungen können daher nicht mit dem Namen Dilutionen abgefertigt werden, obgleich jedes Präparat dieser Art, um es höher zu potenziren, d.i. um noch ferner die darin noch verborgen liegenden Arznei-Eigenschaften zu erwecken und zu entwickeln, erst wieder mehr verdünnt werden muss, damit das Reiben oder Schütteln noch tiefer in das Wesen der Arznei-Substanz eingreifen und so auch den feinern Theil der noch tiefer liegenden Arznei-Kräfte[7] freimachen und zu Tage fördern könne, was durch alles Reiben und Schütteln der Substanzen in konzentrirterm Zustande nicht möglich wäre.
Man liest häufig in homöopathischen Büchern, dass Diesem und Jenem in einem angegebenen Krankheits-Falle diese oder jene hohe (Dilution) Dynamisation einer Arznei gar keine Wirkung gezeigt, wohl aber eine niedrige ihm gehörige Dienste geleistet habe – während Andre von höheren mehr Erfolg gesehen. Man untersucht aber nicht, woher der grosse Unterschied bei diesen Erfolgen rühren könne? Wer wehrt dem Verfertiger homöopathischer Arzneien (diess sollte der Homöopath stets selbst seyn; er sollte seine Waffen gegen Krankheiten selbst schmieden, selbst schleifen), wer wehrt ihm, dass er, um kräftige Potenzirungen zu erhalten, statt etlicher, nachlässiger Schüttel-Schläge (wodurch wenig mehr als Dilutionen entstehn, was sie doch gar nicht seyn sollten) dass er, sage ich, zur Bereitung jeder Potenz dem jedesmaligem Glase, welches 1 Tropfen der niedern Potenz mit 99 Tropfen Weingeist enthält, 10, 20, 50, und mehr starke Stoss-Schläge gebe, etwa gegen einen etwas harten, elastischen Körper geführt?
Die Vervollkommnung unsrer einzigen Heilkunst und das Wohl der Kranken scheint es wohl zu verdienen, dass der Arzt sich die nöthige Mühe nehme, seinen Arzneien die gehörige, die möglichste Wirksamkeit zu verschaffen.
Dann erhält man schon in der funfzigsten (die neuern Klüglinge wollten bisher schon über die dreisigste Potenz spotten und behalfen sich mit den niedern, wenig entwickelten, massivern Arznei-Bereitungen in hohen Gaben, womit sie aber nicht ausrichten konnten, was unsre Heilkunst vermag) Potenz, wovon jede niedere auch mit gleich vielen Stoss-Schlägen dynamisirt worden, Arzneien von der durchdringendsten Wirksamkeit, so dass jedes der damit befeuchteten, feinsten Streu-Kügelchen in vielem Wasser aufgelöset, in kleinen Theilen eingenommen werden kann und muss, um nicht allzuheftige Wirkungen bei empfindlichen Kranken hervorzubringen nicht zu gedenken, dass eine solche Zubereitung dann fast alle im Wesen der Arznei-Substanz verborgen gelegene Eigenschaften entwickelt hatte, die erst so, die erst nur zur Thätigkeit gelangen konnten. Paris, den 19. Dez. 1838.
Ausgewählte Ausgaben von
Die chronischen Krankheiten
|