XI. Schleiermacher

[155] Ich machte Schleiermachers Bekanntschaft zuerst um das Jahr 1794, als er noch in dem Schullehrerseminar angestellt war, welches unter Gedike's Leitung stand. Der Graf Alexander Dohna war es, der ihn mir zuführte. Aber diese erste Bekanntschaft war nur flüchtig, weil er bals als Hülfsprediger nach Landsberg an der Warthe ging, wo er etwa zwei Jahre blieb. Erst nach seiner Rückkehr von dort, im Jahre 1796, wurde unsere Verbindung enger. Schleiermacher war damals Prediger an der Charité, und wohnte auch in dem Charité-Gebäude, dessen Umgegend noch wüst unangebaut, ja ungepflastert war. Dennoch kam er fast jeden Abend zu uns, die wir damals in der neuen Friedrichsstraße nahe der Königsstraße wohnten. An Winterabenden war sein Weg zu uns, namentlich jedoch der Rückweg, gar nicht ohne Beschwerlichkeit. Aber er wurde noch weiter und beschwerlicher, ja an Winterabenden sogar bedenklich, als Schleiermacher während eines Umbaues in der Charité eine Wohnung auf der jetzigen Oranienburger Chaussee bezogen hatte, damals eine, Abends unbeleuchtete Landstraße, an[156] welcher nur wenige Häuser in weiten Entfernungen von einander lagen. Er hatte sich jedoch bereits in dem Maße an meinen Mann und mich attachirt, und wußte seinerseits uns ihm so aufrichtig befreundet, daß er dadurch nicht von seinen allabendlichen Besuchen abgehalten wurde. In unserer Besorgniß um ihn verehrten wir ihm eine kleine Laterne, solcher Art eingerichtet, daß er sie in ein Knopfloch seines Rockes einhaken konnte, und so angethan ging dann der kleine Mann an jedem Winterabende von uns, wenn er nicht schon so ankam.

Von einer Berühmtheit oder auch nur von einem Rufe Schleiermachers war damals noch nicht die Rede. Erst in jener Zeit fing seine literarische Thätigkeit insofern an, als er Predigten aus dem Englischen übersetzte; aber diese Art derselben war nicht geeignet ihm zu einem Namen zu verhelfen. Doch ich darf sagen, daß sowohl mein Mann als ich sehr früh seine Bedeutung erkannten. –

Als Friedrich Schlegel nach Berlin kam, beeilte ich mich ihn mit Schleiermacher bekannt zu machen, überzeugt daß ein näheres Verhältniß Beiden förderlich sein würde. Auch Schlegel wurde bald inne, welch einen Schatz an Geist der kleine Körper seines neuen Freundes barg, denn die Beziehung war in Kurzem eine vertraute geworden. Schlegel und ich nannten ihn daher bald nicht anders als unser Bijou. Wir waren es auch, welche ihn zuerst aufmunterten, selbstständig als Schriftsteller aufzutreten, indem wir ihn veranlaßten, einen Beitrag zu dem von den Brüdern Schlegel herausgegebenen »Athenäum« zu liefern. Dies war die erste Original-Arbeit, welche von ihm im Druck erschien. – Schon im Sommer 1798 wurde dann zwischen[157] ihm und Friedrich Schlegel die erste Verabredung hinsichts der Uebersetzung des »Platon« getroffen, zu welcher der Vorschlag von Schlegel ausging. Aber sie war, größtentheils durch Schlegels Schuld, noch sehr wenig vorgerückt, als dieser im Jahre 1802 Berlin verließ, und auch Schleiermacher als Hofprediger nach Stolpe ging. Von da an ließ Schlegel den Letzteren ganz in Stich, so daß er, nicht ohne Kampf und Zagen, sich entschloß das Werk allein fortzuführen. So konnte erst im Jahre 1804 der erste Band erscheinen. –

Schleiermachers erstes größeres und selbstständiges Werk waren die »Reden über die Religion«. Er schrieb sie in Potsdam, und zwar von etwa Mitte Februar bis Mitte April 1799. Wir korrespondirten während seines dortigen Aufenthalts, welcher sich noch bis in den Mai hineinverlängerte, fast täglich miteinander, und während er die »Reden« schrieb, gab er fast in jedem seiner Briefe Rechenschaft über das Fortschreiten des Werks, sowie er mir auch stets jede fertige Rede zuschickte, die ich dann gewöhnlich Friedrich Schlegeln und unserer gemeinschaftlichen Freundin Dorothea Veit mittheilte bevor sie zur Censur und in die Druckerei ging. Wir sagten ihm auf sei nen Wunsch auch stets redlich unsere Ansicht über die fertigen Theile des Werks, ohne daß jedoch unsere, hie und da von der seinen abweichende Ansicht irgend eine Aenderung zuwege brachte, denn er war zu einig mit sich bevor er ans Werk ging, als daß dies hätte der Fall sein können, und nur die Aenderungen, welche jedem Autor die Ausführung des im Ganzen und Großen conzipirten Werkes im Einzelnen, die Feder in der Hand, fast nothwendig[158] auferlegt, fanden statt; aber auch über diese gab er uns Rechenschaft.

Ueberhaupt legt seine Korrespondenz mit mir von den Jahren 1798 bis 1804, einer Zeit großer innerer und äußerer Thätigkeit Schleiermachers, ja vielleicht seiner eigentlichen Entwickelungs-Periode, das lebendigste Zeugniß für Geist und Gemüth des trefflichen Mannes ab. Wir waren in Berlin gewohnt uns täglich zu sehen, und waren wir von einander getrennt, so mußte briefliche Mittheilung den mündlichen Verkehr thunlichst ersetzen. Nun war er in dieser Zeit oft länger von Berlin abwesend, unter anderem zwei ganze Jahre als Hofprediger in Stolpe, und andererseits brachte ich, so lange er in Berlin war, den Sommer größtentheils auf dem Lande zu; daher Anlaß zu vielen Briefen. Und der Drang sich Freunden mitzutheilen, ja sich ihnen ganz bis in alle kleinsten Falten des Sinnes und Herzens hinein hinzugeben, war mächtig in ihm. Eben so nöthig jedoch waren ihm Lebens- und Liebeszeichen seiner Freunde, die er, und ich rechne mich selbst dazu, wenn er einmal von ihrer Freundschaft überzeugt war, über Verdienst hochstellte. Eine Stelle eines Briefes von ihm an mich – wie fast immer trotz der tiefen Empfindung nicht ohne die ihm eigene Beimischung von Humor – charakterisirt den Mann in den erwähnten Beziehuugen ganz. »Ach, Liebe,« – heißt es darin – »thun Sie Gutes an mir, und schreiben Sie mir fleißig. Dies muß mein Leben erhalten, welches schlechterdings in der Einsamkeit nicht gedeihen kann. Wahrlich, ich bin das allerabhängigste und unselbstständigste Wesen auf der Erde, ich zweifle sogar[159] ob ich ein Individuum bin. Ich strecke alle meine Wurzeln und Blätter aus nach Liebe, ich muß sie unmittelbar berühren, und wenn ich sie nicht in vollen Zügen in mich schlürfen kann, bin ich gleich trocken und welk. Das ist meine innerste Natur, es giebt kein Mittel dagegen, und ich möchte auch keins.«

So war der Mann, der hin und wieder des Mangels an Liebe beschuldigt worden ist, blos weil er sich in seiner Polemik bisweilen da der Form der Ironie bediente, wo ihm eben keine andere passender und eindringlicher erschien. Freilich berührte diese Ironie, wenngleich nur gegen Sachen gerichtet, doch auch die Personen der Gegner unangenehm, aber das wäre auch bei einer anderen Form kaum weniger der Fall gewesen.

Es ist begreiflich, daß Leute, welche so viel mit einander verkehrten wie Schleiermacher und ich, auch außer dem Hause oft mit einander gesehen wurden. Und da mag denn der Kontrast zwischen mir, der sehr hochgewachsenen und damals noch mit ziemlicher Fülle begabten Frau, und dem kleinen magern, nicht eben gutgebauten Schleiermacher wohl sein Komisches gehabt haben. So verstieg sich denn der Berliner Witz gar bis zu einer Karrikatur auf uns, einer damals hier noch überaus seltenen Aeußerungsweise der Satyre. Ich spazierte nämlich mit Schleiermacher, indem ich ihn als Knicker, einer damals gebräuchlichen Art kleiner zusammenzulegender Sonnenschirme, in der Hand trug, während ihm selbst wieder ein solcher Knicker im kleinsten Format aus der Tasche guckte. Diese Karrikatur blieb uns nicht verborgen, und ich glaube, daß[160] Niemand in Berlin mehr über sie gelacht hat als Schleiermacher und ich, denn der Witz derselben war eigentlich ziemlich wohlfeil.

Es fehlte auch nicht an Leuten, welche, die Innigkeit unseres Verhältnisses kennend, ein anderes Gefühl als das der Freundschaft in uns voraussetzten. Dies war ein Irrthum. Man konnte sich mit Niemandem unumwundener über das gegenseitige Verhältniß aussprechen als mit Schleiermacher, ja es war recht eigentlich sein Bestreben, sich und den Anderen über dasselbe ins Klare zu setzen, damit nicht irgend eine Täuschung in dieser Beziehung ein Verhältniß trübe, welches so wie es eben in Wirklichkeit bestand ein schönes und das allein angemessene war. So haben wir uns denn auch öfter darüber ausgesprochen, daß wir kein anderes Gefühl für einander hätten und haben könnten als Freundschaft, wenngleich die innigste, ja, so sonderbar es scheinen mag, wir setzten uns schriftlich die Gründe auseinander, welche verhinderten, daß unser Verhältniß ein anderes sein könne. –

Schleiermachers großes inneres Wohlwollen war Ursache, daß er, so vorzugsweise erfreulich ihm auch eine geistig anregende Unterhaltung war, doch auch sehr gern mit Leuten umging, die nicht auf gleicher geistiger Höhe mit ihm standen, ja überhaupt geistig nicht bedeutend waren, denn schon Gemüthlichkeit allein konnte ihn aufs mächtigste anziehen. Deshalb waren auch seine geselligen Beziehungen sehr ausgedehnt, und haben ihn viele Zeit gekostet, ja sie tragen vielleicht allein die Schuld, daß er seine Vorlesungen nicht für den Druck bearbeitet hat. Nun[161] konnte er zwar zu jeder ihm beliebigen Zeit arbeiten, und war stets gesammelt genug zur Arbeit, auch ging ihm jede auf's leichteste und schnellste von Statten, aber eben deshalb glaubte er noch mehr Zeit übrig zu haben als er in der That hatte. Selten nur wies er eine Einladung zurück, und ebenso sah er viele Leute in seinem Hause. Aber freilich konnte er sich auch unmittelbar nach dem reichsten und fröhlichsten Diner oder Souper, und nach Letzteren oft in später Nacht, an den Schreibtisch setzen, und war im Augenblick mitten in der tiefsinnigsten Spekulation. – Hatte er am nächsten Tage zu predigen, so pflegte er sich, und wenn er Gesellschaft hatte im Gesellschaftszimmer, auf etwa eine Viertelstunde an den Ofen zu stellen, und denkend vor sich hinzublicken. Seine näheren Freunde wußten, daß er dann über seine Predigt dachte, und ließen ihn ungestört. In Kurzem war er wieder mitten in der Unterhaltung. Auf irgend einem kleinen Papierstreifchen hatte er sich wohl mit Bleistift einige Notizen gemacht, dies war jedoch Alles was er von einer Predigt zuvor aufschrieb. Und nach solcher scheinbar flüchtigen Vorbereitung habe ich ihn oft am nächsten Morgen die gedankenreichste und gefühlteste Predigt halten hören.

Nie gab es überhaupt wohl einen Menschen, dessen Geist eine gleiche Macht über seine physische Natur geübt hätte, wie der Seine. Noch auf dem Sterbebette, und mit der Gewißheit, daß er nur noch Stunden zu leben habe, berichtete er über seine inneren – seligen – Zustände, zum Theil auch in der ausgesprochenen Absicht, seinen Lieben damit kundzugeben, daß er nicht so viel[162] leide als es wohl scheinen möchte. Die Geschichte seiner letzten Tage, wie sie seine Wittwe niedergeschrieben hat, giebt uns das erhabenste Bild eines bis zum letzten Athemzuge liebenden, selbstbewußten, geistesklaren, in sich befriedigten, großen Menschen.

Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 155-163.
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