[181] Ich machte diesmal von Heine's Vorschlag keinen Gebrauch und überließ es dem Zufall, mich zu führen; er war mir günstig. Zwei Gestalten sah ich herankommen, deren edle Physiognomieen mir bekannt waren, doch mußte ich einige Augenblicke nachsinnen, um meiner Sache sicher zu sein. Cornelius war es mit Wilhelm von Schadow, ich hatte sie als ältere Männer zuletzt gesehen, jetzt trugen ihre ausdrucksvollen Züge die ganze Frische reifer Jugendlichkeit. Ich stellte mich vor, meinen Namen nennend, mit der desinvoltura eines Premierlieutenants – sah aber schnell, daß es hier überflüssig das Gedächtniß aller, welchen mich ein glückliches Geschick entgegen führte, war wunderbar – Längstvergangenes war ihnen gegenwärtig. »Erinnern Sie sich noch,« wendete ich mich an Schadow, »der mir unvergeßlichen Tage, während welcher ich Ihre Gastfreundschaft genoß? Sie ließen mich mit so viel Güte und Offenheit Theil nehmen an den Ueberzeugungen und – an den Zweifeln, die Sie bewegten, und ließen sich meine laienhaften Einwürfe gefallen, mochten sie Ihre Kunst oder Ihren Glauben betreffen.« »Meine religiösen und künstlerischen Ansichten hingen eng zusammen,« erwiderte Schadow, »enger, als Viele begreifen mochten. Und doch meine ich tolerant, was Ihr so nennt, gewesen zu sein – toleranter, in manchem Sinne, als mein edler Freund hier.« »Tolerant sein zu wollen,« sagte Cornelius, »das ist mir nie eingefallen. Wenn man alle Kraft, die man besitzt, angewandt hat, um vom Ahnen zur Ueberzeugung zu gelangen, kann man wahrlich denen keine gefälligen Dinge sagen, die das Gegentheil von dem thun, was man für's Rechte hält. Wäre ich jetzt noch bei Euch da drunten, Ihr solltet noch ganz andere Dinge zu hören bekommen, so wenig es helfen würde. Denn Ihr macht Geld, die Hülle und Fülle, und das ist ja die Hauptsache.« »Sie[181] meinen doch mich nicht, verehrter Meister,« frug ich scherzend, »ich mache aber auch keine Bilder.« »Schade,« sagte Schadow; »doch haben Sie wenigstens die Beruhigung, keine schlechten Capitalanlagen zu veranlassen. Denn ich bin überzeugt, viele der ›Theuersten‹ werden einst sehr wohlfeil werden. Doch freut es mich, daß in meinem alten Düsseldorf noch so manches Gute und Schöne geleistet wird, obschon das Nest ja zu einer bedeutenden Industriestadt geworden ist. 's ist auch ganz hübsch, daß die Industrie versucht, von der Kunst zu lernen, wenn die Kunst nur nicht bei der Industrie in die Schule geht. Seine Kunst bleibe dem Künstler das erste Bedürfniß, wenn er sie auch zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verwenden muß.« »Sehen Sie,« ergriff Cornelius das Wort, »wie die Rebe langsam emporwächst und alles an sich zieht und in sich aufnimmt, was die Elemente ihr Brauchbares bieten – die Glut der Sonne verarbeitet sie und es wird zum köstlichen Wein, zum Labsal der Menschen. Die Reblaus kann die Rebe zerstören, das ist ein Unglück – aber den Wein industriell fabriciren, das ist ein Verbrechen.« »Sie sehen die Meinen in Düsseldorf,« lenkte Schadow ein. »Ich liebe sie,« erwiderte ich. »Sagen Sie ihnen,« fuhr er fort – »doch nein, sagen Sie nichts – jene wissen, daß ich in Ewigkeit treu ihrer gedenke.« »Möchten meine drei Reiter ein Phantasiebild bleiben,« rief Cornelius mir zu, »ich fürchte, Ihr werdet noch Schlimmes erleben!« »Sie scheinen mich zu verabschieden, theurer Meister!« sagte ich, »werde ich Sie nicht mehr wiedersehen?« Sie winkten mir freundlich und – ich war allein. – Sinnend blieb ich stehen, da hörte ich hinter mir die Worte: »Also wieder nicht?« »Das kann nur Thalberg sein,« sagte ich halblaut, wendete mich um und vor mir stand der aristokratischste aller Pianisten (jenen fragenden Ausruf hatte er einst längere Zeit im Munde geführt, indem er ihn mit humoristischem Eigensinn bei jedem der zahllosen Anlässe wiederholte, wo von irgend einem kleinen oder größern Ausspruch oder Vorhaben wieder Abstand genommen wurde). »Sie haben sich ja fabelhaft gut conservirt, Thalberg,« rief ich aus. »Schön und gar nicht theuer,« entgegnete er schelmisch, »ich trinke immer nur von meinem eigenen[182] Wein, für welchen ich auf der Pariser Ausstellung den Preis erhalten habe. Wir begegneten uns damals bei Rossini, erinnern Sie sich?« »Versteht sich,« sagte ich, »aber lieber gedenke ich doch Ihres ersten Auftretens in Paris, jenes Concerts in der Italienischen Oper, wo Sie das Entzücken der Menschen waren und das Aergerniß der Clavierspieler. Was hat Ihnen eigentlich mehr Spaß gemacht?« »Sie verkennen mich, alter Freund,« erwiderte er, »ich war ein aufrichtiger Bewunderer von Chopin und von Liszt und es that mir leid, daß sie mich nicht mochten. Aber ändern konnte ich mich deshalb nicht, auch hätte ich den Leuten nicht zumuthen mögen, mich auszupfeifen. Am liebsten wäre ich dem ganzen Schwindel fern geblieben und hätte mein Wiener Leben fortgeführt; aber die Meinen wünschten, ich möchte durch ein wenig Berühmtheit meinem Namen etwas von dem Glanze erwerben, der mir, von wegen der Moral, von anderer Seite nicht zu Theil geworden. Daß ich mir etwas Geld erspielen möge, schien ihnen auch sehr angemessen.« »Sie sind immer noch der Alte,« sagte ich. »Wohl, so lange ich mit Ihnen conversire,« antwortete er; »aber ich gehöre jetzt zu den hommes sérieux, was denken Sie!« »Ich denke, daß Sie, wie Maria Stuart, viel besser waren als Ihr Ruf! Denn es klingt mir noch in den Ohren, wie Sie sich ein paar mal am Clavier mit wahrer Innigkeit, mit feuriger Freude der Bewunderung schöner Musik hingaben und sie mit herrlichem Ausdruck vortrugen. Warum haben Sie ausschließlich Ihre Sachen öffentlich gespielt?« »Mußte ich nicht mich den Leuten vorführen?« erwiderte er; »mußte ich nicht meine Empfindungen zur Geltung bringen, wenn ich mich überhaupt zur Geltung bringen wollte? Denn meine Phantasieen spielte ich doch sehr anständig, das müssen Sie mir zugestehen!« »Niemals habe ich wieder das Clavier so klingen hören, wie unter Ihren Fingern,« rief ich aus; »niemals solche Wirkung eines Pianisten erlebt mit weniger Ostentation. Sie stellten das künstlerisch verkörperte oder vielmehr verklärte Gentlemanthum dar, nobler, als es im ganzen Alt-England zu finden ist. Deswegen schwärmten auch die Engländer so für Sie, und sie hätten noch Jahrhunderte lang für Sie geschwärmt, wenn Sie sich[183] darauf eingelassen hätten.« »Sie sind ja unendlich gütig gegen mich,« sagte Thalberg lachend, »da bin ich doch noch lieber hier. Aber wissen Sie, was mein Verderben war? mein Arpeggio mit durchklingenden Melodieen. Es gefiel so sehr und war so leicht nachzuahmen. Auch ich durfte ausrufen: der Himmel bewahre mich vor meinen Freunden! Alle, die für Clavier schrieben, am Clavier, auf dem Clavier, alle machten Arpeggien à la Thalberg. Ich befand mich wie in jenem Pariser Café, wo die Wände aus Spiegelglas zusammengesetzt sind – wohin man sich wendet, sieht man seinen Kopf – en face, im Profil, von vorn und von hinten, man mag sich noch so hübsch finden, zu viel ist zu viel, und wenn man sich selbst satt bekommt, wie sollte man den Anderen nicht langweilig werden?« »Aber Sie haben Bravourstücke geschrieben ohne alle Arpeggien,« sagte ich; »ich erinnere mich eines Capriccio, das Sie im Pariser Conservatoriumsconcert spielten, und eine Étude in A-moll spukt mir auch noch im Kopfe, warum schrieben Sie nicht mehr dergleichen? Ich glaube nicht, daß irgend Jemand Ihnen das erstere nachgespielt hat, und was die damaligen Herren nicht nachspielen konnten, das ahmten sie auch nicht nach.« »Lassen wir diese philosophischen Betrachtungen gut sein, lieber Hiller,« rief Thalberg, »und bedenken Sie, wo Sie mit mir sprechen. Es geht Ihnen zwar vom Herzen und Aufrichtigkeit ist überall am Orte. Und aufrichtig gesagt, ich war nicht immer aufrichtig, ich hatte eine gewisse Scheu vor dem Ernstthun, das lag in meiner guten Erziehung, ich trieb Scherz und Unsinn und wußte sehr wohl, daß es nichts Schöneres und Höheres gibt als die Offenbarungen des Genies. Ich liebte unsere Meister. Mit welcher Andacht lauschte ich als Knabe den Phantasieen Mendelssohn's, der sich alltäglich bei seiner Tante ans Clavier setzte und mich, ohne ein Wort zu sagen, mehr lehrte als alle meine Professoren. Und wie schwärmte ich für Schubert und für Rossini's Tell! Da wollte ich denn auch versuchen, ob ich nicht ein Werk schaffen könne voll Musik, voll wirklicher Musik, und schrieb meine Oper. Sie waren ja zugegen bei der Aufführung!« »Sie gaben den folgenden Tag ein reizendes Diner,« unterbrach ich ihn, »und setzten mich zwischen[184] Lablache und Costa, dafür bin ich Ihnen noch heute Dank schuldig Ueberhaupt gehören Sie zu den Künstlern, von welchen jeder nur Angenehmes zu erdulden hatte. Welch heitere Stunden verlebten wir in Frankfurt. Wissen Sie noch, wie wir im Russischen Hof von Ihrem Zimmer aus das Vorzimmer des Kaisers Nikolaus uns ansahen, wo deutsche Fürsten antichambrirten? Der Kaiser trug seine Gemahlin auf den Händen, wahr und wirklich, in den Salon hinauf. Sie waren der Einzige, dem der Wirth sein Zimmer gelassen hatte. Alte Zeiten – ich freue mich, davon mit Ihnen plaudern zu dürfen.« Aber Thalberg war verschwunden! »Also wieder nicht,« lispelte ich vor mich hin.
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