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[82] Am Vorabend hatte im Theater eine Festvorstellung statt, bei glänzendster Beleuchtung. In einem von Frau Paar verfaßten Festspiel legte Frau Lewinski, als geborene Muse, den Lorber auf den Altar der Kunst und versöhnte die heilige Cäcilie mit der Opera, die sich, wie zwei Auferstehungsengel, um die musicalische Seele Spohr's stritten. Fehlte es nicht an einem allgemein gültigen Repräsentanten der höchsten, der absoluten, der reinen Instrumentalmusik, jener Kampf hätte sich nicht entspinnen können; der Sieg würde diesem zugefallen sein. (Vielleicht könnte man Tubalkain der heiligen Cäcilie gegenüberstellen, den das alte Testament als Vater der Pfeifer und Geiger preist.) Zum Schlusse des Festspiels ahnte man die Enthüllungsfeier, als die am folgenden Tage ins öffentliche Leben tretende Statue, umgeben von den Figuren der Opern Jessonda und Faust, in ungegossener Gestalt zum Vorschein kam. Auch das Publicum betheiligte sich an der Vor-Vorstellung durch ahnungsvollen Jubel. Die gespannte Aufmerksamkeit, mit welcher das bis auf den letzten Platz gefüllte Haus der Festaufführung der Jessonda folgte machte einen[83] sehr wohlthuenden Eindruck. Publicum und Ausführende thaten ihr Bestes, den Manen Spohr's gerecht zu werden. Es war ein Gemisch von Antheil, Huldigung und Freude einem der schönsten Werke des Mannes gegenüber, der durch eine so lange Reihe von Jahren als ein Fürst des Tonreiches in der alten Residenzstadt eine milde, ideale Macht ausgeübt. Die Höhe, auf welche die Tonkunst sich in den letzten zwei Jahrhunderten geschwungen, zeigt sich nicht allein in den, den größten Schöpfungen des Menschengeistes gleichstehenden Werken derselben, – sie offenbart sich namentlich auch in der Bedeutung, die man den Tondichtern beilegt und die dann auch in äußern Zeichen der Verehrung sich kundgibt. Alt-England ging mit gutem Beispiel allen andern Nationen voran, als es Händel ein Denkmal in seinem Pantheon, der Westminster-Abtei, widmete. In den letzten fünfzig Jahren hat nun auch Deutschland den großen Meistern, welche auch dort geliebt und verehrt werden, wo man uns sonst nicht sonderlich wohl will, schöne, mühevolle Bildsäulen errichtet, hauptsächlich zum Ruhm der Städte, in welchen sie die längste Zeit gekämpft – oder auch in welchen sie geboren worden. (An einen der allergrößten, der weitverbreitetsten, der glückspendendsten, an Haydn, hat man noch nicht gedacht – sein Tag wird kommen – je entfernter er ist, je bedeutungsvoller wird die Huldigung.) Ob aber über haupt Dichter, Componisten, Männer der Kunst und der Wissenschaft auf öffentliche Plätze gehören, ist eine andere Frage – sie ist vielleicht für jeden einzelnen Fall gesondert zu entscheiden. Um auf die Dauer populär zu sein, muß man seinen Namen in die Geschichts-Annalen mit Blut eingezeichnet haben, das bekanntlich »ein ganz besonderer Saft« ist. Von Millionen Menschen, die an den Bildsäulen Kant's, Lessing's, Mozart's, ja, Goethe's vorübergehen – wie wenige, die sie mit halbwegs bewußtem Antheil beschauen!
Zur Enthüllung hatte der Himmel das prächtigste Wetter geschenkt, was um so wohler that, als der feuchtkalte Morgen bedenkliche Unruhe erregt hatte. Eine nach Tausenden zählende Menschenmenge bedeckte den Platz neben dem Theater, auf welchem die Bildsäule aufgestellt ist. Derselben gegenüber befand sich eine Tribüne für[84] Privilegirte, unter derselben ein Standpult für den Redner. Nach einem von einer großen Anzahl vereinigter Liedertafeln angestimmten Choral begann Dr. Pinder. Er hob einige der wichtigsten Puncte aus der Entwicklungsperiode Spohr's hervor und stellte dann in beredten Worten dar, wie sehr derselbe sich als Mensch und als Künstler mit dem Orte, in welchem er die Hälfte seines Lebens zugebracht, verbunden habe. »Denn er war unser« hätte er mit Goethe ausrufen dürfen. Auf der Tribüne, auf welcher er Platz genommen, erhob sich nun der Oberpräsident Graf zu Eulenburg, durch Gestalt und Stimme die für Sprechende so ungünstige Situation beherrschend. Der Stadt Kassel übergab er das Denkmal zu gewissenhafter Pflege, zu dauernder Erinnerung. Auf seinen Wink fiel der Vorhang, der diesmal zu Schauendes offenbaren sollte, und der in Erz glänzende Meister stand vor unsern Blicken. Tausendstimmiger, dröhnender, enthusiastischer Beifallsjubel erfüllte die Luft – so möchte ich berichten dürfen, – aber »das Schweigen ist von Gold« schien sich die wohlerzogene Menge gesagt zu haben, die dieselbe Ruhe, denselben Anstand bewahrte bei dem, was jetzt zu sehen war, als bei allem, was sie vorher nicht hatte hören können. Herr Oberbürgermeister Weise nahm in einfachen Worten im Namen der Stadt Besitz von dem neuen Schmucke, der ihr geworden, für die weitere Pflege der Kunst, für die der Gefeierte so lange gewirkt, auch auf die Huld des Kaisers und Königs hoffend, dem ein dreimaliges, feuriges Hoch erklang. Mendelssohn's Festgesang an die Künstler, dessen Schiller'scher Text überall angebracht ist, wo es ich um ideale Thätigkeit handelt, schloß den feierlichen Actus. Capellmeister Reiß der durch so lange Jahre neben Spohr gewirkt und diesen in seinen Dirigentenpflichten so nachhaltig unterstützt hatte, war eingeladen worden, auch heute bei seiner Verherrlichung thätig zu sein – er dirigirte den Chor, der im Verhältniß zur Größe und Höhe des Platzes kräftig genug erklang.
Und die Bildsäule? Wird man fragen. Sie ist von Meister Hartzer in Berlin modellirt, in der Gladenbeck'schen Gießerei daselbst gegossen worden. Spohr's imponirende Gestalt, seine edlen Züge[85] treten uns mächtig und klar entgegen. Der rechte Arm des Künstlers ruht auf einem Notenpult, mit der Hand scheint er eine im innern Sinne vorüberziehende Melodie rhythmisch begleiten zu wollen – die Linke umfaßt die geliebte Geige. Einige meinen nun, die würdevolle Ruhe Spohr's sei nicht hinreichend hervorgehoben, Andere finden, daß die Violine allzusehr auf den Spielmann zum Nachtheil des Tondichters hindeute; diesem behagt dies, jenem jenes nicht. Ich glaube, eine Portraitstatue erlangt erst dann das Recht, als reines Kunstwerk beurtheilt zu werden, wenn Niemand mehr da ist, der ein persönliches Verhältniß zu dem Gegossenen geltend machen kann.
Man hatte den reichen Tag damit begonnen, einen Lorber auf dem Grabe Spohr's niederzulegen, und der Oratorienverein hat ihn in seinen eigenen Tönen selig gepriesen. Die ersten Abendstunden waren der Aufführung seines Oratoriums »Die letzten Dinge« gewidmet, die unter Leitung des jetzigen Hofcapellmeisters Treiber, des rühmlichst bekannten Pianisten, und unter Mitwirkung guter Solosänger einen erhebenden Eindruck machte. Man sollte das Werk, trotz seines etwas allzu mystischen Textes, öfters zu Gehör bringen. Es ist concis gehalten, sehr vocal geschrieben und voll von jenen empfindungsvollen, wohlklingenden, wohlthuenden Weisen, wie sie Spohr angehören. Chöre, Soli sind sinnig und wirksam ineinander verschmolzen. Ueber dem Ganzen ist ein mildes Licht ausgebreitet, erhellend, nicht blendend – eine Flamme, die erwärmt, nicht versengt.
Bei Speise und Trank, in guter, zahlreicher Gesellschaft steigern sich bekanntlich unsere Empfindungen zu kaum geahnter Höhe, die Liebe wird zum Fanatismus, die Verehrung wird zur Anbetung. So wurde denn auch das Souper, welches die Festlichkeiten beschloß, die Veranlassung zum lebendigsten Austausch und Ausfluß warmer, gehobener Anschauungen. Jedoch – ein höchst seltener Fall – es wurde nicht allein gut, es wurde nicht zu viel gesprochen! Ich denke, man ist dies wie so manches Andere dem Vorsitze des Herrn Oberpräsidenten Grasen zu Eulenburg schuldig. Seine Leitung erinnerte an Spohr's leise tactirenden Violinbogen, und als er im Verlaufe des Abends in einigen Dankesworten des Kasseler Verschönerungsvereins[86] gedachte und von da aus durch eine feine enharmonische Modulation zu dem Verschönerungsverein gelangte, der unter dem Namen »Frauenwelt« bekannt ist, da war ich überzeugt, daß er sich für diese Spohr-Feier einige besonders charakteristische musicalische Wendungen des Gefeierten »in sein ein geliebtes Deutsch« übersetzt hatte. Kapellmeister Dr. Schletterer aus Augsburg, einstens Schüler Spohr's und immer noch sein leidenschaftlicher Verehrer, begann die Rede mit einer so eingehenden Charakteristik seines Meisters, daß man nach ihm kaum etwas über denselben sagen konnte, ohne in Gefahr zu gerathen, Auszüge aus dem Gehörten zu geben. Ich empfand das aufs lebhafteste, denn es wurde mir der ehrenvolle Auftrag zu Theil, im Namen der auswärtigen Festgenossen zu danken. Schletterer's Worte schienen mir jedoch die meinen im Voraus unnütz gemacht zu haben – hätte ich die Ruhe besessen, die mich hier am Schreibtisch umfängt, ich hätte etwa Folgendes gesagt:
Hochausehnliche Versammlung, geehrte Damen und Herren! Wäre die Anzahl derjenigen Nicht-Kasselaner, die sich mit ganzer Seele an dem heutigen Festtage betheiligen, nicht größer als die Anzahl derer, die hiehergeeilt sind oder ihre Gefühle dem Telegraphen anvertraut haben, es wäre traurig! Nicht für die Freunde Spohr's sondern für die deutsche Kunst und Künstlerschaft. Aber nicht Jeder hat in jedem beliebigen Moment hinreichend Zeit, Geld, Gesundheit, Freiheit, um eine Wallfahrt unternehmen zu können, wenn er für den Heiligen auch eine noch so große Verehrung hegt. Und so gibt es denn sicherlich Tausende und Abertausende, welchen es eine Herzensfreude ist, den großen deutschen Künstler so gefeiert und gefestet der Erinnerung der Nachwelt übergeben zu sehen. Denn auch diejenigen, die musicalische Pfade wandeln, auf welchen Spohr sich schwerlich heimisch gefühlt haben würde, müssen mit Liebe und Bewunderung auf einen Mann schauen, der im Leben und in der Kunst gleiche Treue und Wahrheit offenbarte, der trotz seiner scharf ausgeprägten Individualität alle Bestrebungen, die ihm ehrenwerth erschienen, ehrte, und dessen Güte, einer alten Eiche gleich, so reichen Schatten gewährte, daß vielleicht Mancher Erfrischung darunter fand, der es kaum verdiente.[87] Spohr gab sich in jedem Augenblicke wie er war – er dichtete, wie er dachte, – er spielte, wie er's empfand – daß eine außerordentliche Begabung, eine hoch entwickelte Kunstfertigkeit seinen Leistungen zu Grunde lag, macht sie bewunderungswürdig – daß die Einfachheit seines Gemüthes sich bei alledem stets gleich blieb, machte ihn so liebenswürdig. Seinen Werth durfte er fühlen – aber es fiel ihm nie ein, ihn aufbauschen zu wollen, ihn als ein Mittel zu gebrauchen zu seiner Verherrlichung, das seiner Kunst fern lag. Ein herrliches Leben hat er durchlebt; sein Genius trug ihn schwebend der Sonne zu, die seine Gedanken wärmend reifte – und wenn er dann sich wieder in seinem irdischen Heim fand, umgab ihn so herzliche Liebe, so uneingeschränktes Vertrauen, so hingebende Treue, daß es ihm schwer geworden sein mag, zu entscheiden, nach welcher Seite sein höchstes Glück lag. Deshalb wollen wir aber auch derjenigen gedenken, die so viel dazu beigetragen – seiner würdigen Gattin, die sich leider nicht unter uns befindet, seiner Kinder, Enkel, des großen ihn umgebenden Kreises edler Anverwandten – ihnen sei dieses volle Glas in dankbarer Huldigung dargebracht!
Aehnliches mag ich auch wohl an jenem Abend gesagt haben, aber es war jedenfalls nur der geringste Theil dessen, was ich in diesen Tagen über den Meister gesprochen, über sein Wesen, seine Weisen, sein Wirken, Weben und Wandeln. Im Allgemeinen war es ja leicht, sich zu verständigen, doch fand sich hier und da Veranlassung zu freilich stets sehr friedfertiger Discussion. So wurde die außerordentliche tonkünstlerische Bedeutung Spohr's gerade als Geiger von manchem seiner wärmsten Anhänger unterschätzt. Aber er ist der einzige, der eine deutsche Schule des Violinspiels geschaffen und damit die Inferiorität, in welcher wir uns nach dieser Seite den Franzosen und Italienern gegenüber befunden, ausgeglichen hat. Und wenn wir heute gern von dem sprechen, was neben den glänzenden Leistungen auswärtiger Virtuosen unsere Geiger uns so sympathisch macht, die Wärme der Empfindung, die Einfachheit des Ausdrucks, das tiefe Eingehen auf das Wesentlichste, die Seele[88] in Einem Worte, so bezeichnen wir's durch Spohr'sche Schule, wenn es auch in technischer Hinsicht nicht immer ganz passen mag – aber wir wissen, daß der große Meister seine Aufgabe so verstand –, und in seinen schönen Violinconcerten hat er ein Vermächtniß hinterlassen, aus welchem immer wieder zu erkennen sein wird, in welcher Weise die Königin der Instrumente ihre Macht auf die edelste und idealste Weise zu bethätigen vermag und bethätigen soll.
Schön ist's doch an unserer Decentralisation, daß so manche Orte eine besondere Weihe erhalten, weil sich mit dem Gedanken an dieselben die Erinnerung an einen edlen Genius vermählt, der nicht in einer Weltstadt zu leben brauchte, um die Sympathie der Nation sich zu gewinnen. Welch eine Ausnahme unter Millionen ein reiches productives Talent bildet, ist ebenfalls dabei ersichtlich – man bedenkt das nicht immner, sonst würde man Manchem, schon um der Seltenheit willen, das Dasein mehr zu erleichtern gesucht haben, als es der Fall war. Und so mag denn auch der Errichtung des Spohr Denkmals ein doppelter Antrieb erstehen – den Künstlern zur Nacheiferung, dem Publicum zur Dankbarkeit.
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