Rheinische Lieder.

Von Sophie Hasenclever, geborene v. Schadow.

[128] Man sagt, unsere Zeit sei der lyrischen Dichtkunst abhold. Wie es in Wahrheit damit beschaffen, könnte eigentlich nur durch Angaben der Verleger klar gestellt werden – und auch durch diese nicht mit Sicherheit. Unser gesellschaftliches Leben holt allerdings seinen Gesprächsstoff hauptsächlich aus dem öffentlichen Leben und den Wagner'schen Musikdramen – der Lectüre dienen vor Allem Roman und Novelle, an-und aufregend. Doch spielt daneben die Musik, gerade in ihren lyrischen Erzeugnissen, eine große Rolle. Und wenn man auch die gesungenen Verse selten versteht, oft genug kaum erräth – man berauscht sich mit Vorliebe in den sehnsuchtsvollen, glutherfüllten Tönen, die sie umfluten. Sollte nun die Anzahl derer, die in den selteneren Stunden stiller Einsamkeit sich einem lyrischen Dichter zuwenden, um in seinen Worten ausgesprochen zu finden, was ihr Innerstes bewegt und was sie nicht aussprechen können – sollte die Anzahl derselben eine so geringe sein? – man darf hoffentlich daran zweifeln.[129]

Jedenfalls muß es für Alle, die in einer oder anderer Weise es versuchen, sich poetisch gestaltend zu beschäftigen, vom ernstesten Interesse sein, das kennen zu lernen, was im Bereich der lyrischen Dichtkunst geleistet wird. Das Schale, Unbedeutende ist schnell erkannt, das Sympathische findet nicht minder schnell herzliche Aufnahme, ein schönes Gedicht entschädigt für hundert schlechte. Enthüllt sich aber dem Lesenden aus Schönem, Tiefem, Gutem, ja, auch aus Geringerem eine edle Gestalt, dann ist er reichlich belohnt. Ergötzend wirkt jedes Talent – erhebend, bereichernd wirkt es, wenn es ausspricht, was eine schöne Seele denkt und empfindet. – Vor Allem ist es nun die Aufrichtigkeit der Dichterin, der diese Zeilen gelten, die so überaus wohlthut. Vollständige Aufrichtigkeit ist nicht nur ehrenwerth, sie ist auch eigenthümlich. Nichts findet sich in diesen Gedichten, was den Eindruck machte, angeeignet zu sein – nichts, was aus dem Triebe hervorgegangen wäre, es Diesem oder Jenem nachzuthun – nichts, was gefallsüchtig. Nirgends begegnet man dem Bestreben, bedeutsam, tief, originell sein zu wollen – jeder Schein liegt der Dichterin fern. Nur was ihr Herz bewegt, ihr Nachdenken herausfordert, spricht sie aus in einfach edler Weise, und weit genug ist der Umfang des Kreises, in welchem sie poetische Anregung findet. Die Natur (Wald und Strom, Gebirge und Meer), die Liebe (die Liebenden, die Gattin, die Mutter), der Glaube (ewiges Leben, Pantheismus, Ascetismus) – sie ersehnt ein stilles Plätzchen im Leben, ein Lorberblatt nach dem Tode. Ueberall ist ihr Streben, den Bewegnissen, in welchen wir athmen, zu entfliehen, sich zu freiem Gleichmuth zu erheben, durch den Zweifel zur Hoffnung, durch den Schmerz zur Festigkeit zu gelangen. Sie liebt es, Dissonanzen zu lösen, allzu stolzem Streben frei zu entsagen. Ohne alle Uebertreibung versucht sie die Pein zu verklären, die Freude zu umfrieden. Aus localen Erlebnissen hervorgehend, entlockt ihr die, die schöne Natur zerstörende Macht der Industrie manchen Seufzer, manche Thräne – trotzdem verherrlicht sie die Kraft, mit der das Dampfroß über Berge und Abgründe hinsaust.

So innig und warm der poetische Gedanke ihrer Seele entströmt, es wird ihr nicht immer leicht, die feste sprachliche Form dafür zu[130] finden – hier und da wird die gewissenhafte Arbeit, die sie sich auferlegt, nicht vom Siege gekrönt – ein Schicksal, was sie gemeinschaftlich erduldet mit manchen der Besten. Und doch bringt sie der »Metrik« in der Form eines wohlgelungenen Sonetts ein von Ueberzeugung geweihtes Opfer dar. Auch in einer Folge von Balladen zeigt sich das vielseitige, das Beste erstrebende und häufig erreichende Talent der bedeutenden Frau.

Sollte es befremden, daß der Musiker es unternimmt, einen Band Gedichte öffentlich zu besprechen, so stehe ich nicht an, die Erklärung zu geben, daß ich mich der Freundschaft der trefflichen Dichterin rühmen darf. Daß sie es in solchem Grade sei, erfahre ich aber selbst aus dem vorliegenden Bande, und es ist die Freude, die ich darüber empfinde, die mich drängt, in die Befugnisse des literarischen Kritikers einzugreifen, nicht die Freundschaft.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 128-131.
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