Das Vorstellen.

[15] In Bezug auf alle Fragen der guten Lebensart ist die Scheidung unserer Mitmenschen in Bekannte und Fremde von großer Wichtigkeit; denn nach diesem Verhältnis richtet sich unser Benehmen ihnen gegenüber. Was haben wir nun unter dem Begriffe »eines Bekannten« zu verstehen, wen dürfen und müssen wir als einen Fremden behandeln und wodurch wird endlich die Grenze zwischen beiden überschritten? – Sobald unter drei oder mehr Menschen, die auf irgend eine Weise in gesellschaftliche Berührung kommen, auch nur zwei solche sind, die sich noch nicht kennen, so haben die übrigen die Verpflichtung, sie mit einander bekannt zu machen. Sollte diese Pflicht momentan übersehen werden, so bittet der jüngere der Unbekannten einen Bekannten oder ein Mitglied der Familie, in der er sich befindet, um die Vergünstigung vorgestellt zu werden. Zu diesem Zwecke erhebt sich die gebetene Person, welche die Vorstellung bewerkstelligt, indem sie mit einer leichthinzeigenden Handbewegung auf den geringeren (jüngeren) unter den beiden Vorzustellenden hinweist und laut und deutlich dessen Namen und Stand nennt, dann weist er mit einer eben solchen Handbewegung auf den angesehenern (ältern) und giebt auch dessen Namen und [16] Stand an. Die gegenseitig Vorgestellten haben sich in derselben Weise zu verneigen, wie dies oben vom Grüßen beschrieben worden ist. Der Vorgestellte muß abwarten bis er angeredet wird und darf dann in wenigen Worten seine Freude über die gemachte Bekanntschaft ausdrücken. Selbstverständlich sollen hierbei Überschwenglichkeiten möglichst vermieden werden und hat man sich nach den Umständen, nach den gegenseitigen Rangverhältnissen und nach der Bedeutung der Persönlichkeit, vor welcher man steht, zu richten. Es ist ja ganz natürlich, daß man, wenn man einer wirklich bedeutenden oder einer solchen Persönlichkeit vorgestellt wird, nach deren Bekanntschaft man aus gewissen Gründen längst getrachtet hat, daß man dann auch eine wirkliche Freude empfindet und dieser in angemessener Weise Ausdruck giebt. Aber es würde andererseits auch lächerlich sein, wollte man einer uns sonst gleichgiltigen Person die Versicherung geben, daß man über die Ehre ihrer Bekanntschaft entzückt sei.

Handelt es sich bei einer Vorstellung um allgemein bekannte Persönlichkeiten, so bleiben die Titel weg; bei verdienten und berühmten Persönlichkeiten fügt man indes wohl ein ehrendes passendes Eigenschaftswort bei.

Sind die vorzustellenden Personen verschiedenen Geschlechts, so erfordert es die Höflichkeit, daß man den Herrn als die geringere Person behandelt. Damen brauchen nicht aufzustehen, wenn ihnen ein junger Herr oder eine junge Dame vorgestellt wird; aber sie müssen sich erheben, wenn es eine [17] ältere oder vornehmere Person ist. Unverheiratete Damen werden stets zuerst genannt; unter verheirateten entscheidet das Alter oder der Rang des Gatten. Einer Gesellschaft gegenüber ist ein Vorzustellender stets als der Geringere zu behandeln. Eine Dame soll sich nie einem Herrn vorstellen lassen, aber sie kann wohl die Wirtin bitten, ihr besonders berühmte Personen vorzustellen.

Nach bürgerlichen Begriffen ist die bequeme und angenehme Form der Selbstvorstellung unter der Herrenwelt gleichberechtigt mit der ceremoniöseren Form der Vorstellung durch eine Mittelsperson. Jedoch bleibt es immerhin unschicklich, wollten sich Jüngere oder Geringere mittelst derselben Älteren oder Höhergestellten aufdrängen. Ebenso würde es keinen Sinn haben, sich solchen Leuten vorzustellen, mit denen man voraussichtlich nur vorübergehend in Berührung kommt, z.B. an einen Restaurationstisch in einer größeren Stadt, einem Mitreisenden im Eisenbahncoupé gegenüber. Dagegen dürfte es leicht übel vermerkt werden, wollte man sich als Fremder in einem kleinen Städtchen nur einen Tag aufhalten, ohne sich an der Tafel des Hotels den sogenannten Honorationen vorzustellen. – Bei einer Selbstvorstellung verneigt man sich vor derjenigen Person, mit welcher man bekannt zu werden wünscht, etwa mit den Worten: Ich erlaube mir – nehme mir die Freiheit – gebe mir die Ehre, mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist N.N. Den Namen und ebenfalls den Stand, obgleich dies bei der Selbstvorstellung weniger gebräuchlich ist, spricht [18] man klar und deutlich aus, damit der andere ihn unzweifelhaft verstehen kann. Hierauf kommt dieser an die Reihe, der, sich ebenfalls verbeugend, klar und deutlich seinen Namen nennt und je nach Befund die Versicherung daranknüpft, daß ihm die Bekanntschaft angenehm sei. – Da bei Vorstellungen der Name mündlich mitgeteilt wird, so wird hierdurch der Gebrauch der Visitenkarten überflüssig; jedoch wird man gut thun, das Etui mit Visites zur Hand zu haben, um mit denselben aufwarten zu können, falls sie bei einem schwer zu merkenden Namen gewünscht werden.

Quelle:
Junker, Franz: Das feine Benehmen in Gesellschaften. Styrum, vorm. Oberhausen [1887], S. 15-19.
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