VI.

[47] Der durch den Architekten Heinrich Müller in Bremen gegründete Künstler-Verein war in seinen traulichen Hallen der Sammelplatz der Künstler und der besten Gesellschaft Bremens. Welch reizende Abende wurden dort veranstaltet, wie schäumten die Wogen des Humors! Wißt ihrs noch, ihr Bremer von damals, wie »Alexander Meyer« Abschied nahm und nach Breslau übersiedelte? Ich mußte ihn kopieren, und der Mann war mindestens anderthalb Kopf kleiner als ich, auch trug er keine Absätze unter den Stiefeln, damit war also nicht abzuhelfen, daß ich sie mir auch wegnehmen ließ. Und doch gelang mir die Kopie. Euch zu Liebe ertrug ich die schlotternde Haltung, euch zu Liebe ging ich in weiten schwarzen Hosen, die er zum Glück zu tragen pflegte, mit geknickten Knieen auf eurer Bühne im Künstler-Verein als Alexander Meyer einher, daß ich drei Tage lendenlahm war.

Alexander Meyer sitzt jetzt im deutschen Reichstage. Ob er wohl noch daran denkt? Die übermütige Jugend! Was haben wir in Bremen für Streiche ausgeführt.

Fritz Hillmann, der jetzige Besitzer von Hillmanns Hotel, hatte damals das »Hotel du Nord« in der Bahnhofstraße. Er war ein junger Anfänger und hat es vom Kellnerjungen bis zum Hotelier ersten Ranges gebracht, und wer jemals in Hillmanns Hotel in Bremen abgestiegen, wird mir Recht geben, daß sein jetziges Hotel ein Hotel allerersten Ranges ist. Damals hatte er mit den Sorgen des Lebens zu kämpfen, aber durch Liebenswürdigkeit und Strebsamkeit gewann er bald sein Publikum[48] und seine Gäste in dem bis dahin so verödeten Hotel du Nord. Trotzdem Fritz stets mit weißer Binde angethan war und er sich so auf dem Bahnhofe präsentierte, wollte doch die Crême der Gesellschaft noch nicht im Hotel du Nord absteigen. Im Café des Hotels hatte sich ein Kreis von Kaufleuten und Künstlern gebildet, die manche Stunde dem fröhlichen Zechen widmeten, Anekdoten erzählten und allerlei Kurzweil trieben. Wir waren Hillmanns beste Freunde. Zu uns kam er oft ganz selig mit einem Telegramm in der Hand hereingestürzt: »Kinder, es kommen vornehme Leute. Zwei Salons und drei Schlafzimmer sind bestellt, bald ist das ganze Hotel besetzt!« – Darauf hin wurde immer noch eins getrunken, und in guter Laune kamen manchmal die tollsten Einfälle. Einer aus der Gesellschaft mußte einem Freunde in Honnover schreiben, er solle folgendes Telegramm absenden:

»Hotel du Nord, Bremen. Bitte vier Salons und sechs Zimmer reservieren. Ankunft morgen, Schnellzug halb acht.

Baron Streithorst nebst Familie und Bedienung.«

Den andern Tag nach der table d'hôte sitzen wir im Café, Fritz Hillmann kommt freudestrahlend mit dem Telegramm zu unserm Tisch und ruft: »Kinder jetzt haben wir's aber – da lest!« Mit ernsten Mienen liest alles das bevorstehende Ereignis und gratuliert Fritzen von ganzem Herzen. Wir verschwinden denn auch bald, um unsere Vorbereitungen zu treffen. Ich hatte mir aus dem Theater die feinsten Livreen besorgen lassen, Friseur und Garderobier waren bemüht, uns auf das täuschendste herzurichten als Baron Streithorst, dessen Angehörige, Kammerdiener und Lakaien. Im verschlossenen Wagen fuhren wir nach dem Bahnhof, und dort angekommen bestiegen die Lakaien den Bock. Mein Kollege Guinand, als Kammerdiener schwarz gekleidet, mit langem wohlgepflegtem Backenbarte, saß neben dem Kutscher auf dem Bocke, ich selber mit den übrigen als Baron Streithorst nebst Begleitung im Innern des Wagens. Unsere Masken waren derart, daß selbst das geübteste Auge keine Fälschung wahrzunehmen imstande war. Der Wagen rollte ab. Vor dem Hotel du Nord[49] angekommen, springt der Kammerdiener, vulgo Freund Guinand, vom Bock herunter, die Lakaien stellen sich entblößten Hauptes neben den Wagen, reißen den Kutschenschlag auf und wir steigen gravitätisch aus. Hillmann steht in Frack und weißer Halsbinde mit sämtlichen Kellnern in gleicher Galauniform vor dem Hotel[50] und weiß sich vor Komplimenten nicht zu fassen. Die Kellner stürzen auf die Handgepäckstücke los und rennen Trepp auf Trepp ab. Die Hotelglocke erschallt, die Hausdiener stürzen herbei, die Gäste des Café gaffen durch die Fenster – es war ein Aufzug, als wenn der Fürst von Marokko eingezogen wäre! Wir nahmen die Huldigungen sehr von oben herunter entgegen, Fritz Hillmann wagte vor Devotion nicht uns ins Angesicht zu sehen, was für uns sehr günstig war, und der Zug begiebt sich unbeanstandet in den ersten Stock in die festlich hergerichteten Salons. Freund Guinand redet nun immer französisch mit Hillmann. Ich weiß nicht, schien letzterem das verdächtig, verstand er nicht, was Guinand wollte, oder erkannte er von der Bühne her das wenig modulationsfähige Organ Guinands – kurz Fritz Hillmann wurde immer kühler und je mehr Guinand ihn in sein Französisch zu verwickeln suchte, desto deutscher wurde Fritz Hillmann: »Karl«, rief er einem vorbeieilenden Kellner zu, »führe die Herrschaften in den vierten Stock, die Zimmer nach hinten hinaus. Auf Rechnung wird nichts gegeben, nur gegen bar!« –

Wir standen da, gründlich blamiert – einer nach dem andern gab seine Rolle auf – Fritz Hillmann wußte nicht, sollte er sich ärgern oder sollte er lachen – er machte schließlich gute Miene zum bösen Spiel, wir kleideten uns um und verbrachten den Abend in gewohnter Heiterkeit, neue Streiche ersinnend.

Den andern Tag kam Fritz zu mir auf mein Zimmer – ich wohnte bei ihm im Hotel – und sagte wehmütig: »August, so gehts nicht mehr, Ihr vertreibt mir alle Gäste!« Aber wir waren unverbesserlich.

Mittags bei der table d'hôte ärgerte uns oft ein Herr S. durch sein hochmütiges Wesen. Er kam stets von der Börse, wie er stark betonte, erzählte beständig von seiner »Fabrik«, von seinem »Reisenden« – und ich glaube, er hat beides niemals besessen. Ich habe Freund S. nie ernsthaft nehmen können, er war nicht dazu angethan. Eines Tages ging ich mit ihm über die Straße, wir erzählten uns harmlose[51] Dinge und bogen plaudernd in eine bessere Straße Bremens ein. Plötzlich stand S. still und sagte: »Junkermann, gehen Sie jetzt lieber auf die andere Seite der Straße, hier wohnen Verwandte von mir, es könnte mir im Geschäfte schaden, wenn sie mich mit einem Schauspieler gehen sehen. Wir können uns ja da oben wieder treffen.« – Ich fühlte mich nicht beleidigt und ging lachend nach Hause

S. war die Zielscheibe unseres Spottes, unseres Witzes; es gibt Leute, die absolut dazu herausfordern. So war's mit S. Was wir nur ersinnen konnten ihm zum Schabernack – das geschah. Wie oft sind wir nachts in gespensterhaften Verkleidungen in sein Zimmer gekommen und haben ihm Gaukelspiele aller Art vorgemacht. S. lachte schließlich mit über die Dummheiten. Eine Zeit lang kam er jeden Morgen herunter mit den Worten: »Herr Hillmann, ich bitte nm meine Rechnung, ich ziehe aus« – aber mittags zog's ihn immer wieder zu uns zur table dhôte – er blieb wohnen.

Einmal empfand ich aber Reue über einen Streich, der nur zu gut gelungen. Zwei von uns hatten sich als gespenstigen Riesen verkleidet, einer saß dem andern auf dem Rücken, die ganze Figur war mit langen weißen Bettüchern so drapiert, daß, wenn jemand aus dem Schlafe erwachend, diese Riesenfigur mit dem Neptunsbart und Dreizack sah, er an Geister glauben mußte. So ging's S. Als wir auf den Fußspitzen, mit brennenden Lichtern in der Hand, uns in S.'s Zimmer geschlichen und ihn durch geisterhafte Laute geweckt hatten, fing der gute S. ein Geschrei an, das uns durch Mark und Bein ging. S. stürzte aus dem Bette an uns vorbei auf den Korridor und schrie nach Hilfe. Die Fremden stürzten aus ihren Zimmern, alles im Hotel dachte, es sei Feuer; wir rannten in unsere Zimmer und schlossen hinter uns zu. Wir hörten Fritz Hillmann auf dem Korridor fluchen und die Fremden um Verzeihung für den Lärm bitten; es pochte an meiner Thüre, es war Fritz, der mir wahrscheinlich die Wohnung kundigen wollte, aber ich erklärte ihm von innen, daß ich mich nachts nicht[52] sprechen ließe, und nach einer Weile wurde es wieder ruhig im Hotel.

Den andern Morgen kam Fritz wieder zu mir: »August, das geht nicht mehr, ich verliere alle Fremden und mein Renommee!« Aber er konnte sich des Lachens nicht erwehren, als S. mittags zur table d'hôte kam mit ernst vornehmen Gesicht und sagte: »Herr Hillmann, meine Rechnung – ich ziehe aus ...« Alle Gäste suchten S. zu beruhigen und meinten, er müsse wohl einen bösen Traum gehabt haben, so was käme ja vor, oder er litte vielleicht an Alpdrücken oder sei gar ein Nachtwandler, da solle er noch froh sein, daß er bei dem Lärm nicht wach geworden und den Hals gebrochen habe. S. wurde irre an sich selbst, als alle Gäste beteuerten, sie hätten nichts gehört, und als er nun gar Fritz Hillmann fragte, ob auch er nichts gehört habe, und dieser auch verneinte und sagte: »Ihre Rechnung können sie haben, Herr S., aber Grund zum Ausziehen hat Ihnen niemand gegeben« – da guckte S. in unsere ernsten Gesichter, schämte sich, bezahlte seine Rechnung nicht und blieb im Hotel wohnen! Aber seine Thür schloß er von da ab nachts zu! – Wir waren zu weit gegangen in unseren tollen Jugendstreichen. Wir sannen Solideres aus. Mittags, wenn S. sicher auf der Börse war, ließen wir uns durch das Stubenmädchen sein Zimmer aufschließen und nahmen allerhand geometrische Messungen vor, probierten die Tragweite einiger mitgebrachten Wasserspritzen, setzten sie mit voller Ladung Wasser von außen ins Schlüsselloch, zielten nach S.' Kopfkissen in seinem Bett, drückten ab und nahmen dann im Zimmer die Resultate der Schießübungen auf. In wenig Mittagstunden, wenn S. auf der Börse war, hatten wir es zu solcher Geschicklichkeit gebracht, wußten von außen so genau die Spritze zu legen, daß sie ihr Ziel auch nachts im Dunkeln nicht mehr verfehlen konnte In der nächsten Nacht schlichen wir uns vor S.' Thür. Mit einer eigens konstruierten Drahtzange wurde der Schlüssel, der von innen im Schlüsselloch steckte, soweit bei Seite gedreht, daß der Bart des Schlüssels uns nicht mehr genierte. Die gefüllte[53] Spritze wurde im richtigen Winkel eingelegt und losgedrückt. Wir hörten die Wasserladung auf der Bettdecke niederfallen, aber S. blieb ruhig. Zu Hause war er, wir mußten schlecht getroffen haben. Es wurde aufs neue geladen und abgespritzt. Wir hörten S. fluchend und murmelnd aus dem Bette springen und ans Fenster stürzen, vermutlich hatte er geglaubt, es regne zum Fenster herein, und wollte das Fenster schließen. S. zündete Licht an, und als er sich eben wieder niederlegen wollte, kommt unsere zweite Spritze voll. S. mußte mit seinem Körper in unsere Schußlinie geraten sein, denn wir hörten das Wasser prasseln, nicht als wenn es auf ein Federbett, sondern auf einen härteren Gegenstand gefallen wäre. Wir waren erst im Zweifel, was wir getroffen, aber S.'s Fluchen und Wettern mit Pusten und Schnaufen vermischt, machte uns bald klar, daß wir sein Gesicht getroffen, während er aufrecht sitzend im Bette sich eben wieder zudecken wollte. Unter Fluchen und Verwünschungen des Hotel du Nord von seiten S'. verließen wir den Ort der That und stahlen uns auf unsere Zimmer.

Am andern Morgen kam S.: »Herr Hillmann, ich bitte um meine Rechnung – ich ziehe aus – es spukt in Ihrem Hause.« »Aber, Herr S.«, sagt Hillmann, »was machen Sie mir für Geschichten; ich muß bitten, Sie bringen mir mein Haus in schlechten Ruf, und ehe ich das leide, ist mirs wirklich lieber, Sie ziehen aus.«

Mittags kam S. von der Börse zur table d'hôte. Die von dem Vorfall unterrichteten Gäste hatten sich allerhand gespenstige Geschichten erfunden, die ihnen in der vergangenen Nacht passiert seien, und gaben solche zum besten. S. war mäuschenstill und strafte uns diesen Mittag mit Verachtung. – – –

Auch ein Liebhabertheater wurde im Hotel du Nord etabliert. Wir feierten große Feste mit theatralischen Aufführungen, zogen mit Musik und Lärm in den Speisesaal und kümmerten uns wenig um die Ruhe der Hotelbewohner. Fritz Hillmann bekam heftige Neigung mehr zu künstlerischen als zu wirtschaftlichen Angelegenheiten, ihm war immer so, als müsse[54] ihm die Kunst eher Brot geben, als sein Hotel. Er nahm Violin-Unterricht bei mir, um, wenn alle Stricke rissen, als Musiker mit nach Amerika zu gehen. Er hats nicht nötig gehabt, er nahm sich bald ein liebes Weib, mit deren Mitgift er im Verein mit dem damaligen Geschäftsführer des Hillmannschen Hotels, Eberbach, das Hotel Hillmann erwarb, und lebt heute glücklich und zufrieden im Kreise seiner Familie.

Ich bin im Laufe der letzten Dezennien auch unter anderen Direktionen wieder oft zum Gastspiel nach Bremen gekommen. Das Bremer Publikum ist mir treu geblieben, was es mir stets durch den regen Besuch meiner Gastvorstellungen bekundet, und bei Fritz Hillmann habe ich nach wie vor manche schöne unvergeßliche Stunde verlebt.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 47-55.
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