VIII.

[62] Der damalige Theater-Direktor Feldmann war durch Verhältnisse trauriger Art gezwungen, die Bremer Theaterdirektion niederzulegen. Ich war unter die Zahl der neuen Bewerber um die Theaterdirektion getreten. Adolf Rösicke wurde mir vorgezogen, und ich entzog mich ohne jegliches Recht meinen kontraktlichen Verpflichtungen in Bremen und ging aus Aerger aus dem Engagement. Rösicke verzieh mir hochherzig meinen übereilten Schritt, er blieb mir bis heute ein lieber Freund. Von dem Rechte, mich gesetzlich verfolgen zu lassen, machte der gute Rösicke keinen Gebrauch. Nach Jahr und Tag tilgte ich durch Gastspiele bei ihm meinen Vorschuß, den ich von ihm hatte, und bin bei seiner späteren Direktionsführung in Mainz und Riga sein ständig wiederkehrender Gast und sein Freund geblieben.

Bremen hatte auch den größten Einfluß auf meine Entwicklung als Reuter-Interpret. Waren auch Fritz Reuters Schriften mir schon früher in Fleisch und Blut übergegangen und gleichsam mein Evangelium für alles was Gemüt und Humor heißt, geworden – ihre Wirkung auf das Gros des Publikums konnte ich hier erst so recht studieren. Ich war der Erste – was mir später von Vielen nachgemacht wurde – der die lebensvollen Pointen der Reuterschen Gedichte durch lebende Bilder illustrierte. Ich halte das für sehr probat, namentlich dem nichtplattdeutschen Publikum gegenüber. Ueberhaupt habe ich gefunden, daß, so viel Verehrer die Reutersche Muse auch weit und breit hat – das plattdeutsche Idiom selbst, wenn es nicht modifiziert und verständlicher[63] gemacht wird, nicht überall von gleich durchschlagender Wirkung ist. Mir erzählte eine Kollegin – geborene Mecklenburgerin – welche Höllenangst sie gepackt, als z.B. das Kasseler Publikum bei dem entzückenden Abschluß: »Wat sick de Kaustall vertellt« – keine Miene verzogen, ja selbst »Jochen Päsels« Dämlichkeiten nicht jenes herzliche Lachen hervorgerufen haben, welches meist unausbleiblich ist – da hätten denn die lebenden Bilder, von Ernst Gettke vorzüglich arrangiert, die Schlußwirkung sehr gehoben. –

Beim Vorlesen im Hörsaal allerdings kann man dies plastische Verständigungsmittel nicht anwenden, da muß der Ton, der Vortrag alles machen. Doch, wie gesagt, die Wirkung ist nicht überall dieselbe, und erzählte mir obenerwähnte Kollegin, daß ein blasierter Hofherr (ich komme später auf das dortige Hoftheater, wo ich verschiedene Male gastierte, noch zurück) nach einer ihrer Reuterdeklamationen geäußert habe: »Gnä' Fräulein, für eine Dame von Geist war das eine schlechte Wahl – sind Ihnen die Reuterschen Sachen nicht zu äh– äh– harmlos?«

Heiliger Fritz Reuter! Du! dessen scheinbare Harmlosigkeit die größte Weltweisheit: Natur atmet – uns Menschen zeichnet (allerdings keine Hofschranzen) von solcher Wahrheit, solcher Fülle des köstlichsten Humors und Gemüths, daß wir über sie so herzlich lachen und so bitterlich weinen!!

Doch zurück nach Bremen mit seinen freundlichen Gärten fast vor jedem Haus, mit seiner großartig-opulenten Gastfreundschaft. »Essen sie es man, wir essen es doch nicht mehr« – soll der Bremer nötigen, sagt man verläumderisch ihm nach – ich hab's allerdings nie gehört!

Vor allem aber sei von mir des Bremer Ratskellers mit seiner Jungfer Rose gedacht! »Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann,« ich glaube in Bremen genügend Ursache gehabt zu haben, mich zu den »braven« Männern zu zählen. – –

Von Bremen zog mich der Intendant Baron von Loën an das Hoftheater in Weimar. Die klassische Ruhe in Weimar[64] behagte meinem unruhigen Geiste nicht. Ludwig Barnay war damals Regisseur in Weimar. Er und Otto Lehfeld nahmen sich meiner aufs wärmste an, aber alle Vorstellungen ihrerseits konnten mich nicht zurückhalten – ich ging durch. Auch der gutmütige Baron von Loën ließ mich ungestraft ziehen.

Ich nahm ein Engagement bei Direktor van Lier in Amsterdam an, und kam nach Ablauf einer Saison an das Stadttheater in Nürnberg zu Direktor Reck, und von da nach Breslau.

In Bremen noch geschah es, daß ich den jetzt verstorbenen Reuter-Vorleser Kräplin hörte, und durch ihn von den Dichtungen Fritz Reuters einen noch tieferen Eindruck empfing als durch die Lektüre. Ich beschäftigte mich seit Bremen näher mit dem plattdeutschen Poeten, und schritt endlich auch zur Uebertragung Reuterscher Gestalten auf die Bühne, ohne damals freilich zu ahnen, welch außerordentlich ergiebiges Feld zur Ausnutzung meines Talentes sich mir erschlossen hatte. Schon auf dem Sommertheater in Bremen vor dem 60er Jahre spielte ich den Onkel Bräsig, freilich mit den damals unvermeidlichen Couplets versehen. Guter Fritz Reuter, ich habe mich anfangs hart an dir versündigt, aber ich glaube, ich habe es wieder gut gemacht! Die von anderen stammenden Bühnen-Bearbeitungen Reuterscher Stoffe genügten mir nicht; ich machte mich selbst ans Werk und suchte sie wirksamer und dramatischer auf die Scene zu bringen; vor allem befreite ich von Couplets und possenhaftem Beiwerk den Onkel Bräsig, diese köstlichste Figur von allen, die der nordische Dichter geschaffen. In Breslau wurden nur die Possen »Ella« und »Knecht Rup recht« vom Publikum besucht – an anderen Abenden war stets eine gähnende Leere in dem großen Hause, aber meinen Onkel Bräsig spielte ich in Breslau in meiner neuen Bearbeitung einige 40mal vor ausverkauftem Hause.

Meine Bahn war mir von hier ab vorgezeichnet. Der materielle Erfolg hielt mit dem künstlerischen gleichen Schritt, und so war denn endlich das Glück bei mir eingekehrt, das mir im Anfang meiner Theaterlaufbahn so eigensinnig den Rücken kehrte.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 62-65.
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