Elftes Kapitel

Gasthaus, Café, Konditorei.

[58] Es ist unpassend, in einem Gasthaus in lauter, heftiger Weise die Speisen und Getränke zu kritisieren.

Findet man, daß man in einem Gasthaus nach irgendeiner Richtung hin nicht gut bedient wird, dann geht man einfach nicht wieder hin, aber man verderbe durch laute diesbezügliche Äußerungen nicht anderen, denen es vielleicht gerade schmeckt, den Appetit.

Man vermeide überhaupt möglichst jede laute Kundgebung an einer öffentlichen Tafel.

An öffentlichen Plätzen erkennt man den seinen Mann am reservierten Benehmen.

Den Kellnern soll man seine Aufträge in höflicher, bestimmter Weise geben.

Man soll mit ihnen weder in vertrauter, noch in herrischer Weise verkehren.

Gegen seine unmittelbaren Tischnachbarn hat man sich, wenn man Platz nimmt, leicht zu verneigen.[58]

In einem Gasthause, Café, Konditorei ist man verpflichtet, etwas zu bestellen, selbst wenn man sich nur zur Gesellschaft eines Bekannten dort aufhält und durchaus keine Neigung verspürt, etwas zu genießen.

Seine weiblichen Angehörigen führe man nur in ein Gasthaus oder Café, in welchem auch Damen verkehren.

Es ist durchaus unpassend, Damen der guten Gesellschaft in ausschließliche Herrenkneipen zu führen.

Sind die Tische in einem Gastzimmer sämtlich besetzt, so bittet man an einem mäßig besetzten Tisch höflich um die Erlaubnis, sich mit heransetzen zu dürfen.

Hüte dich, in einem Gastzimmer zu Streit zu kommen, besonders mit einem Unbekannten.

Öffentlicher Skandal ist gegen den guten Ton und nur im Fall der äußersten Notwehr zu billigen. Der seine Mann zankt sich nicht öffentlich herum, er ignoriert, was ihm mißfällt.

Es ist unpassend, im Gastzimmer oder Café eine vielgelesene Zeitung über Gebühr lange für sich in Anspruch zu nehmen.

Es ist unpassend, die Schüsseln so abzuleeren, daß die andern das Nachsehen haben, oder sich regelmäßig mit besonderem Scharfblick die besten Stücken herauszusuchen.[59]

Hält man sich in einem sehr besuchten Gasthause, Café, Konditorei außergewöhnlich lange auf, so hat man auch demgemäße Bestellungen zu machen.

Über den Durst zu trinken, ist allemal gegen den guten Ton, besonders aber an öffentlichen Plätzen, weil man im Rauschanfall leicht zu öffentlichen Ärgernissen Veranlassung geben kann, die durchaus gegen den guten Ton sind, und deren sich der Betreffende im nüchternen Zustande unbedingt schämen würde.

Man soll an öffentlichen Plätzen nur mit Bekannten Karten oder dergleichen mehr spielen, da gerade beim Spiel sich leicht die unangenehmsten Seiten des Menschen herauskehren, die dann von einem Fremden doppelt peinlich berühren.

Man hüte sich besonders in Gasthäusern vor Streit beim Kartenspielen und ziehe sich, falls einem die Art des Partners nicht zusagt, lieber kühl und besonnen zurück, ehe man sich zu lebhaften Streitigkeiten hinreißen läßt.

Man sei besonders vorsichtig bei Bekanntschaften, die man ohne Vorstellung von Gewährsleuten selbständig in Gasthäusern schließt.

Es ist schwer, sich Leute, deren Bekanntschaft einem nachträglich nicht angenehm ist, bei anderen Gelegenheiten wieder abzuschütteln.[60]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 58-61.
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