Vierundvierzigstes Kapitel

Die Gäste.

[148] Bei einem Diner muß man genau zu der in der Einladung festgesetzten Stunde erscheinen.

Es ist ebenso taktlos zu früh, wie zu spät zu kommen. Ein Herr soll nicht eher einer Dame den Arm bieten, um sie zu Tisch zu führen, ehe ihm nicht der Hausherr die betreffende Dame, die er zu Tisch führen soll, bezeichnet hat. Eine Dame darf nie einen Herrn, der ihr den Arm bietet, um sie zu Tisch zu führen, zurückweisen und an derselben Stelle der Aufforderung eines anderen Gehör geben. Das ist eine der schwersten Beleidigungen, die eine Dame einem Herrn antun kann.

Eine Dame, die der Hausherr zu Tisch führt, darf nicht stillstehen, um eine andere Person vorangehen zu lassen, ebensowenig wie ein Herr, der eine Dame zu Tisch führt, anhalten darf, um eine andere Dame vorangehen zu lassen. Dies wäre höchstens dann nicht als Formfehler zu bezeichnen,[148] wenn die betreffende Dame, gegen die er zurücktritt, schon recht bejahrt ist. Im übrigen ist es in diesem Falle, wenn eine ältere Dame vortreten soll, Sache der jungen Dame, die der betreffende Herr führt, anzuhalten, um die Dame vor bei zu lassen.

Sind keine die Plätze anweisenden Tischkarten auf den Plätzen zu sehen, so stellt man sich bei der Tafel auf und wartet, bis einem von den Gastgebern Plätze angewiesen werden.

Die Herren haben sich nicht eher zu setzen, als bis alle Damen sitzen.

Ein Herr soll seine Serviette nicht entfalten, bis die neben ihm sitzende Dame die ihrige auseinandergelegt hat.

Man legt seine Serviette nie ganz auseinander und läßt sie auf den Knien liegen.

Man darf sich nie zu weit von der Tafel ab, nie zu nah heransetzen. Man kann auf beiderlei Weise einen linkischen Eindruck machen. Man bedränge durch seine Person möglichst wenig seine Nachbarn und mache sich nicht besonders breit, wenn der Platz ein wenig beschränkt ist.

Man soll sich nicht gegen die Stuhllehne drücken. Während der ganzen Tischzeit soll man möglichst aufrecht dasitzen.

Sein Weißbrot schneidet man niemals, man zerbricht es über dem Teller.[149]

Sendet einem die Hausfrau direkt eine Schüssel, so muß man jedenfalls etwas davon nehmen und sie nicht gleich seinem Nachbar weiterreichen, selbst wenn man das betreffende Gericht nicht liebt.

Man soll niemals bei Tische über die aufgetragenen Speisen laute Bemerkungen machen, weder tadelnde noch lobende.

Ist ein Gericht nicht nach dem Geschmack eines Gastes, so nimmt er wenig davon.

Man muß weder zu schnell noch zu langsam essen. Ein Übermaß ist nach beiden Richtungen unschön.

Das Messer nimmt man beim Essen in die rechte Hand, während man die Gabel mit der linken führt. Graziös und appetitlich zu essen, ist auch eine Kunst, die geübt und von Hause aus gewöhnt sein soll. Aus der Art und Weise, wie jemand ißt, kann man mit ziemlicher Bestimmtheit feststellen, welche Erziehung der Betreffende genossen hat. Das erste, was heutzutage von einem gebildeten Menschen verlangt wird, sind gute äußere Manieren, und zu diesen gehört wieder in erster Reihe eine gute Haltung bei Tisch. Ein heftiges Bewegen der Kinnladen beim Essen, Schnalzen mit der Zunge, das Einführen des Messers in den Mund, überlautes Klappern mit[150] Messer, Gabel und Löffel, alles das ist sehr unschön.

Man hüte sich, die Sauce im Teller aufzutunken. Fisch darf nur mit Fischbestecken oder mit zwei Gabeln oder mit der Gabel unter Zuhilfenahme eines Stückchens Brot gegessen werden. Knochen in die Hand zu nehmen, ist höchst unschicklich. Auch das Schlürfen der Suppe macht einen sehr unangenehmen Eindruck.

Will man Krebse und Hummern in Gesellschaft essen, so muß man es genau verstehen, diese geschickt zu zerlegen, weil man sonst leicht in Verlegenheit kommen kann. Auch Austern zu öffnen und zu essen, muß man gut verstehen. Im Nichtfalle weise man ein solches Gericht, wenn es einem bei der Tafel angeboten wird, lieber zurück, oder man richte sich genau danach, wie es geübte Austernesser machen. Ein kleiner Fehlgriff bei Tisch kann oft in peinliche Verlegenheit bringen.

Findet man eine Speise zu heiß, so darf man sie in Gesellschaft keineswegs kalt blasen, sondern man warte, bis sie abgekühlt ist. Wird zu Spargel oder Forellen oder zu sonst einer Schüssel Butter im Rohzustand gereicht, so darf man diese nur dem Zweck entsprechend verwenden, aber nicht etwa sein Tischbrötchen damit bestreichen.[151]

Was man nicht mit dem Messer vom Knochen lösen kann, läßt man auf dem Teller liegen.

Will man sich nicht mehr bedienen, dann legt man Messer und Gabel nebeneinander, Messer rechts, Gabel links, Hohlseite nach oben, auf den Teller. Man bedient sich der den Schüsseln beigegebenen Löffel und Gabeln, niemals der seinigen, wenn man sich etwas auflegt.

Zum Zerlegen der Dessertfrüchte benutzt man Dessert- respektive Obstbestecke.

Man zerlegt die Früchte in Viertel und schält sie der Länge nach.

Ein voreiliges Plündern der Konfitürenschalen und Dessertschüsseln ist sehr unfein. Man warte stets, bis diese herumgereicht werden.

Es ist zuweilen Sitte bei Gesellschaften, daß die Gäste durch kleine, eigens für den Zweck angefertigte Papiersäckchen, die nach Tisch herumgehen, direkt von den Gastgebern aufgefordert werden, Konfitüren mit nach Haus zu nehmen. In diesem Falle ist es gerechtfertigt, etwas mitzunehmen, aber nur in diesem Falle.

Sehr häßlich ist auch bei Tisch das Kippen mit dem Stuhl oder zu weites Vonsichstrecken der Füße. Besonders unpassend ist ein solches Benehmen gegen Damen, die gegenüber oder nebenbei sitzen.[152]

Es ist taktlos, bei Tisch mit Leuten, die ziemlich entfernt sitzen, Unterhaltung zu pflegen und ohne Rücksicht auf die nächstsitzende Nachbarschaft zu ihnen hinüberzusprechen. Ist indessen eine solche Konversation durch die Notwendigkeit geboten, dann hüte man sich ebenfalls vor überlauten Äußerungen.

Es ist taktlos, in einer Gesellschaft bei Tisch irgendeine Speise, die man anderweitig gegessen, und die im gegenwärtigen Menü nicht vorhanden ist, rühmend zu erwähnen.

Ein Herr hat hauptsächlich die Aufgabe, sich bei Tisch mit seiner eigentlichen Tischdame, also mit seiner Nachbarin zur Rechten, zu beschäftigen; er muß sich aber auch zeitweise seiner Nachbarin zur Linken widmen. Ein vollkommenes Ignorieren derselben wäre höchst unpassend und ungezogen.

Hat ein Herr ein junges Mädchen zur Tischdame, so muß er sie mit möglichst leichter Plauderei unterhalten. Er hüte sich, irgendein schwerwiegendes Thema anzubahnen. Ein Herr darf zu seiner jungen Tischdame verbindlich, aufmerksam, aber nicht aufdringlich galant sein. Jedes frivole Thema der Tischunterhaltung zwischen Herr und Tischdame ist in guter Gesellschaft ausgeschlossen.[153]

Religion und politische Themata sind, wie bereits erwähnt, in gesellschaftlichem Kreise prinzipiell auszuschließen, da sie leicht zu Diskussionen und hieran sich anschließenden Unzuträglichkeiten führen können.

Ein zweites Mal von einer Schüssel zu fordern, wenn diese nicht noch einmal gereicht wird, ist nicht fein.

Man soll ein Gericht, und wenn es noch so ungenießbar oder gar verdorben ist, niemals bei Tisch kritisieren.

Man stelle neben jedes Gedeck ein Salzfäßchen, da es durchaus nicht appetitlich ist, wenn eine größere Gesellschaft sich aus demselben Salzbehälter bedient. Wo indessen diese Sitte noch nicht eingeführt ist, da hüte man sich, das Salzlöffelchen unbenutzt zu lassen.

Es ist durchaus unpassend und unweiblich, wenn eine Dame ihrem Tischherrn zum Trinken eingießt; ebenso unpassend ist es, wenn eine junge Dame einem jungen Herrn zutrinkt. Das Anstoßen muß stets von seiten des Herrn angeregt werden. Auch ist es unpassend, wenn eine Dame sich selbst mit Wein bedient, vielmehr ist das Eingießen des Weines bei Tafel stets Sache der Herren. Der Herr gießt selbstverständlich seiner Dame zuerst ein, er gießt aber aus einer Flasche, deren Inhalt noch nichts entnommen wurde, die[154] ersten Tropfen in sein Glas, da die Flaschen zuweilen Korksplitter enthalten.

Will eine Dame keinen Wein mehr trinken, so soll ihr Tischherr sie nicht durch wiederholtes Zureden dazu veranlassen. Manche Damen vertragen nur wenig Wein und könnten sich in diesem Falle durch wiederholtes Bitten belästigt fühlen.

Ein Herr soll sich seiner Tischdame auf liebenswürdige Weise widmen. In dem Moment, wo er die Dame zu Tisch führt, hat er die Verpflichtung dazu übernommen. Versäumt er diese Pflicht, weil ihm vielleicht die ihm von den Gastgebern bestimmte Dame nicht interessiert, so beleidigt er nicht nur die letztere, sondern auch die ersteren. Ein Herr muß immer so viel Kavalier bleiben, daß er sich auch in solchem Falle kein Mißvergnügen anmerken läßt.

Besonders unpassend aber ist es, wenn ein Herr seine Tischdame ignoriert und sich vorzugsweise mit der Dame seines Nachbarn oder mit seinem Vis-a-vis unterhält.

Die Dienerschaft soll man bei Tafel nie laut anrufen. Hat man irgend etwas nötig, so wartet man, bis ein Diener in Sicht ist und macht diesem dann ein Zeichen.

Die Dienstboten dienen nur ihrer Herrschaft, indem sie für die Gäste sorgen. Man hat ihnen daher bei der Tafel für nichts »Danke« zu sagen.[155]

Ein Herr darf seiner Tischdame nicht anbieten, eine Frucht mit ihm zu teilen.

Wird man während der Tafel von irgendeinem kleinen Unfall, wie Nasenbluten, Schwindel, Schlucken oder dergleichen mehr, betroffen, so muß man sich möglichst geräuschlos, ohne Aufsehen erheben, damit kein Anwesender gestört wird, und sich in irgendeinen unbeobachteten Raum zurückziehen. Man kehre nicht eher zur Tafel zurück, als bis der Unfall völlig gehoben ist.

Hat ein Herr zufällig aus Versehen statt aus seinem Glase aus dem seiner Tischnachbarin getrunken, so muß er, ohne lange über diesen Irrtum zu scherzen, das Glas wechseln lassen und sich bei der betreffenden Dame entschuldigen.

Gibt der Gegenstand der allgemeinen Tischkonversation Veranlassung zu Scherz und Heiterkeit, so muß man die frohe Heiterkeit teilen, ohne indes in schallendes Gelächter auszubrechen. Ein lautes, schallendes Gelächter in größerem Kreise ist höchst unfein.

Es ist unpassend, die Blume eines uns in Gesellschaft servierten Weines zu prüfen und sich Bemerkungen darüber zu erlauben.

Hat man auf Wunsch einer speziell befreundeten Familie einen seiner persönlich Bediensteten bei einem Gastmahl zur Beihilfe überlassen, so ist es durchaus unstatthaft, solcher Person während[156] der Tafel Befehle oder Verweise zu geben, da man nicht in das Hausrecht eines anderen eingreifen darf, und der Diensttuende in diesem Falle im Dienste des Freundes steht.

Befindet sich ein Herr bei Tisch an der Seite eines Geistlichen, so hat er diesem dieselbe Aufmerksamkeit wie einer Dame zu erweisen. Man ruft niemals jemand von einem Ende der Tafel zum andern an.

Spricht man eine Person bei Tafel an, so hat man sich leicht gegen sie zu verneigen.

Wenn man sich. mit seiner Nachbarin unterhält, so hüte man sich, übertrieben laut zu lachen, da dies leicht mißdeutet und für einen jemand aus der Gesellschaft betreffenden Spott gehalten werden kann.

Das Erheben von der Tafel ist erst auf ein Zeichen des Hausherrn oder der Hausfrau angemessen. Man legt beim Aufstehen seine Serviette neben das Gedeck und nicht etwa auf den Stuhl. Während des Essens legt man die Serviette übers Knie. Man bindet sie sich in Gesellschaft niemals vor.

Der Herr bietet seiner Nachbarin zur Rechten seinen Arm, um sie in den Salon zurückzuführen.

Hat man bei Bekannten das Diner eingenommen, so ist man verpflichtet, auch einen Teil des Abends dort zu verbringen.[157]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 148-158.
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