Sechsundvierzigstes Kapitel

Musikalische Abendunterhaltung.

[160] Ist man zu einer Gesellschaft geladen, bei der musiziert werden soll, so hat man, wenn man im Besitze eines musikalischen Talentes ist und zur Mitwirkung aufgefordert wurde, die Einladung nur in dem Falle anzunehmen, wenn man geneigt ist, den diesbezüglichen Anforderungen an musikalische Leistungen Folge zu geben. Im Nichtfalle hat man abzulehnen.

Künstler, die man zur Verherrlichung eines Festes auffordert, hat man mindestens mit derselben Höflichkeit und Liebenswürdigkeit zu empfangen und zu behandeln wie jeden andern Gast, selbst wenn man sie bezahlt, vielleicht sogar mit größerer Auszeichnung, da sie dem Fest jene Weihe aufprägen sollen, welche die Gastgeber persönlich ihm zu verleihen außerstande sind.

Ein Herr soll sich nur auf speziellen Wunsch einer Gesangs- oder Klavierkünstlerin erlauben,[160] ihr die Notenblätter bei ihren Vorträgen umzuwenden.

Begleitet man jemand auf dem Klavier zum Gesange, so soll man dies ohne Prätension tun, da doch die Begleitung einzig und allein dem Gesang der betreffenden Künstler dienen, aber durchaus keine Leistung für sich sein soll.

Es ist unpassend, einen Salon inmitten der Ausübung eines Vortrags, sei es Klavierspiel, sei es Gesang, zu betreten.

Man hat sich, falls man nach Beginn eines musikalischen Vortrages kam, im Nebenraum aufzuhalten, bis der Vortrag beendet ist.

Während eines musikalischen Vortrages den Takt zu schlagen oder bekannte Melodien vor sich hin zu summen, ist ebenfall rücksichtslos gegen die betreffenden Künstler, deren Vortrag hierdurch sehr leicht beeinträchtigt werden könnte.

Desgleichen ist es taktlos, während musiziert wird, der Unterhaltung zu pflegen. Es ist dies einerseits eine der gröbsten Beleidigungen, die man einem Künstler antun kann, und beweist anderseits einen großen Mangel an Lebensart resp. auch an Kunstsinn.

Besonders Damen lassen sich auf diesem Gebiet oft leicht etwas zuschulden kommen. Häufig fordern Damen irgendeinen Gesangs- oder Klavierkünstler mit dem liebenswürdigsten Kunstenthusiasmus[161] dringend auf, sich hören zu lassen, und kommt der Betreffende schließlich ihren Wünschen nach, so widmen sie ihm zuweilen auch nicht eine Minute ihre Aufmerksamkeit.

Man soll in einer Privatgesellschaft keine allzu langen Musikstücke vortragen, wenn man nicht ein ganz besonders hervorragender Virtuose ist.[162]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 160-163.
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