Gratuliren.

[77] Man gratulirt zu Geburts- und Namenstagen, zu der Geburt eines Kindes, der Einsegnung, zur Verlobung und Vermählung, zur silbernen und goldenen Hochzeit, zu einer Anstellung oder Beförderung, zu einem Jubiläum, zu einem glücklich bestandenen Examen, zu einem Gewinn in der Lotterie, bei der Verleihung eines Ordens oder sonstigen Auszeichnung. Man gratulirt einem Componisten, wenn seine Oper oder sonstiges öffentlich aufgeführtes Musikwerk dem Publikum gefallen hat, ebenso einem Dichter, dessen Drama beifällig aufgenommen ist, oder dessen Buch Erfolg gehabt. Man beglückwünscht einen Redner, dessen Vortrag zündend gewirkt hat und gratulirt dem Sieger beim Wettrennen, Rudern und Velocipedfahren. So wird man verschiedentlich Veranlassung finden, seine Glückwünsche auszusprechen und gewiß werden dieselben allezeit freundlich aufgenommen werden. Aber während bei den zuletzt genannten Gelegenheiten es mehr oder weniger in unser Belieben gegeben ist, Notiz davon zu nehmen, verlangt der gute Ton unbedingt das Aussprechen einer Gratulation bei allen Familienereignissen, von denen uns unsere Bekannten mündlich oder schriftlich in Kenntniß setzen, oder von denen wir, wie bei einem Jubiläum, einer Beförderung anderweitig Kunde erlangen. Ganz[77] besonders ist diese Rücksicht unsern Vorgesetzten gegenüber zu beachten, zu denen wir, wenn wir an demselben Orte leben, uns persönlich zu begeben haben.

Im übrigen werden wir nur bei näheren Bekannten einen Besuch mit der Gratulation verbinden, bei dem wir so einfach als möglich unsern herzlichsten, wärmsten oder besten Glückwunsch aussprechen. Daß wir zu solch einem Besuche eine sorgfältige Toilette machen, versteht sich wohl von selbst, denn wir können doch immerhin darauf rechnen mit weiteren Gratulanten zusammen zu treffen, auch gehört für ein Haus, in dem man ein Fest feiert, wenn auch kein festliches, doch ein nettes Gewand.

Bei Fernerstehenden genügt es, auf eine uns gewordene Anzeige mit einer Visitenkarte zu antworten, auf der man mit ein paar Worten seine Gratulation ausspricht. Z.B.: – »erlaubt sich Herrn und Frau K. zur Verlobung ihrer Tochter, seinen (ihren) Glückwunsch zu senden«. Oder auch nur kurz: – »mit seinem (ihrem) Glückwunsch« – oder noch kürzer das französische: »p. f.« pour feliciter (um Glück zu wünschen). Die Karte wird natürlich in ein Couvert gesteckt und mit der Aufschrift des Betreffenden versehen.

Bin ich derjenige, dem man gratulirt, habe ich die Besuche freundlich anzunehmen und ihnen dafür zu danken. Da ich ja stets weiß, daß mir eine größere Visitenzahl in Aussicht steht, habe ich dafür Sorge zu tragen, daß alles zu deren Empfang bereit ist.

Also das Zimmer hübsch aufgeräumt (wie es ja eigentlich immer sein sollte), im Winter geheizt, das Dienstmädchen zum Anmelden bei der Hand und ich selbst sowie meine Angehörigen frühzeitig angekleidet.

Sollte ich – zum Beispiel bei der Verlobung meiner Tochter, Schwester etc. nicht mit der Partie einverstanden sein, würde man es doch durchaus unschicklich von mir finden, wenn ich meine Bedenken oder gar meinen Unwillen den Glückwünschenden gegenüber ausspräche. In diesem Falle genügen wenige dankende Worte und ist uns das Herz dann gar zu schwer und vermögen wir nicht etwas Freudiges zu äußern, ist es uns erlaubt,[78] auf ein anderes Thema der Unterhaltung überzugehen wozu eine Erkundigung nach dem Ergehen des Besuchenden am leichtesten die Brücke bildet.

Mit etwas Zartgefühl wird uns dieser gewiß verstehen und im weiteren Verlauf der Unterhaltung nicht wieder auf das erste Thema zurückkommen.

Daß man bei einem Gratulationsbesuche selbst Fernstehenden glückwünschend die Hand reicht, muß ich noch hinzufügen.

Die Gratulationen zum neuen Jahre nehmen immer mehr überhand, und manche Menschen legen förmliche Capitalien an beim Kauf der verschiedenartigen, geschmackvollen und reizenden Karten, die ja überall zu haben sind. Dieser und Jener erlaubt sich auch wohl eine Neckerei und foppt seinen Freund auf arge Weise. Jedermann, der irgend welchen Anspruch auf Bildung macht, wird es dabei aber streng vermeiden, unsittliche Bilder mit zweideutigen Versen zu versenden. Dergleichen ist eine Beleidigung für den Empfänger und eine Degradation für den Absender.

Was nun die Gratulationen der Kinder anbetrifft, so wird man wohl meist es ihnen überlassen können, ihre Glückwünsche in ihrer Sprache zu äußern, doch ist eine gewiße Ueberwachung anzurathen, damit nicht die gute Absicht verkannt wird und ihre guten Wünsche in das Gegentheil verkehrt.

Es könnte sonst leicht wieder ähnlich ergehen, wie jenem kleinen Knaben, der seinem Großpapa so viel gute Wünsche in selbstgemachten Versen aussprach, und als er dann nichts mehr wußte, am Schluß zu den Worten kam:


»Dann wünsch' ich Dir ein selig Ende,«

»Und daß Du kommst in Abraham's Hände,«

»Da wirst Du Tante Frieda seh'n«

»Und wie die Englein mit ihr geh'n!«


Der Großpapa war nun ein sehr empfindlicher Mann und zürnte dem Enkel sehr ob dieses so harmlosen Todeswunsches. Aber auch den Eltern des kleinen Knaben hat er diese Taktlosigkeit, wie er sich ausdrückte, nie vergeben. Und der kleine Poet hatte es so gut gemeint.[79]

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 77-80.
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