Leihen.

[97] Es ist die erste Regel, daß derjenige, der etwas entlehnt, seien dieses nun Noten, Bücher, Geräthschaften zum Gebrauch etc. dafür Sorge trägt, unaufgefordert dem Anderen sein Eigenthum wieder zuzustellen. Es ist dieses, neben seinem Dank für die erwiesene Gefälligkeit, seine erste Pflicht.

Dann aber auch hat er darauf zu sehen, das ihm Geliehene unversehrt und in dem Zustande, in dem er es erhielt, wieder zurückzugeben. Weder darf er Knicke in die Blätter der Noten und Bücher machen, noch dieselben mit Randglossen versehen, wohl gar es dulden, daß seine Kinder sich im Zeichnen darauf versuchen, oder[97] ein Fettfleck von böser Geringschätzung fremden Eigen thums zeugt.

Ich habe auch darauf zu achten, daß das, was meine Dienstboten oder Kinder Anderen ableihen, – ich denke hier an Gegenstände für den Haushalt, z.B. Körbe, Zeugleinen, Plätteisen zur Wäsche, oder Geräthschaften für den Garten, oder die Spielsachen der kleinen Freunde – unverzüglich wieder nach dem Gebrauch gereinigt und zurückgegeben wird.

Es ist gut, wenn ich von meinen Kindern und Dienstboten verlange, daß nichts ohne meine Einwilligung verliehen oder geliehen wird und ebenso daß bei dem, was sie entlehnen, die Erlaubniß der Eltern oder Herrschaft einzuholen ist. Ich bin in dieser Beziehung entschieden verantwortlich für das, was beide Theile thun und erspare mir viel Widerwärtigkeit, viel unangenehme Erörterungen, wenn ich nach diesem Vorsatz handele.

Sollte aber ohne mein Verschulden, oder wohl auch durch Nachlässigkeit beim Gebrauch der Sachen irgend etwas verdorben oder auch nur beschädigt werden, muß ich mir es angelegen sein lassen, Ersatz zu schaffen, oder das Zerbrochene, Beschmutzte wieder repariren, ist mir dieses aber nicht möglich, mit einer offenen Erklärung und herzlichen Bitte um Entschuldigung den Eigenthümer aufsuchen. Es ist nicht allein feige, es ist im höchsten Grade unnobel, durch Verheimlichen eines solchen Unfalls sich aus der Verlegenheit ziehen zu wollen, oder vielleicht gar es in Abrede stellen, den Gegenstand unbeschädigt empfangen zu haben. Lieber prüfe man in dem Augenblick, wo man uns ein Ding leiht, dasselbe und bemerke, wenn etwas nicht in Ordnung ist, solches sofort dem Besitzer.

Im anderen Fall wieder: ist mir von meinen Sachen etwas verdorben, so muß ich eine Entschuldigung freundlich aufnehmen, den Anderen zu beruhigen streben und verlangt die gute Sitte dieses sogar auch dann von mir, wenn mir der Gegenstand werth, ja unersetzlich war. Ich muß stets bedenken, wie viel dem Anderen eine solche Bitte um Verzeihung vielleicht gekostet, und[98] darf nicht zögern, durch liebenswürdiges Entgegenkommen ihm die Sache zu erleichtern. Empfange ich ihn aber, der verlegen vor mir steht, mit Vorwürfen, mit Klagen, wohl gar mit Thränen und beleidigenden Worten, so zeige ich mich ihm als ein völlig ungebildeter, unerzogener Mensch.

Noch ein paar Worte über das unerquickliche Capitel des Geldleihens. Wohl dem, der nicht zu leihen braucht, er steht viel freier, viel selbstständiger da in der Welt. Darum sei es mein Streben, durch weise Sparsamkeit, Genügsamkeit und Fleiß mich vor dieser Unannehmlichkeit, ja diesen oft ernsten Sorgen zu bewahren. Dennoch tritt der Fall an mich heran, wo es mir wünschenswerth oder nothwendig erscheint, um ein Gelddarlehn zu bitten, so werde ich, wo ich auch anklopfe, stets freundlicher empfangen, gütiger beschieden werden, wenn mein bisheriges Leben Zeugniß eines redlichen Wandels, einer ehrenwerthen Gesinnung ablegt, als wenn ich durch Leichtsinn oder Verschwendungssucht mich in Verlegenheit gebracht habe.

Es ist nun meine Pflicht, von der garnichts mich entbinden kann, die Bedingungen, die man mir auferlegt, indem man mir eine Summe Geldes anvertraut, pünktlich einzuhalten. (Ich spreche hier nicht von Wucher, wucherischen Zinsen u. dergl., das gehört nicht in den Rahmen dieses Büchleins.) Bin ich durch irgend etwas verhindert, meine Pflichten zu erfüllen, darf ich mich nicht in Schweigen hüllen, mich vor meinem Gläubiger verstecken, ihm ausweichen, wohl gar auf der Straße nicht grüßen, am dritten Orte ihn ignoriren. Nein, ich muß frühzeitig ihn benachrichtigen, daß ich außer Stande sei, für den Augenblick meinen Verpflichtungen nachzukommen, daß ich aber nie vergessen würde, was ich ihm schulde, und es mein Streben sei, ihn so bald als möglich zu befriedigen. Ich kann ihm vielleicht auch eine kleine Summe senden und bitten, durch Abzahlung nach und nach ihm gerecht zu werden. Daraus ersieht er meinen guten Willen und ist eine solche Einrichtung mir selbst eine Hilfe und Erleichterung.

Es giebt Menschen, die sich nie wieder blicken[99] lassen, sobald sie eine erbetene Summe Geldes von uns erhalten haben; die es sogar ruhig ertragen, wenn wir selbst in Verlegenheit kommen durch ihre Schuld, die alle unser Mahnen, Bitten vollständig ignoriren und nicht einmal mehr die gewöhnlichste Höflichkeit uns erweisen, ja sich geradezu in unsere Feinde verkehren. Für das Sündhafte eines solchen Benehmens giebt es gar keine Worte und wird die falsche Scham, die Feigheit, ein entschuldigendes oder bittendes Wort zu sprechen, zum schweren Unrecht. Wir täuschen das Vertrauen, das man in uns gesetzt.

Gewissenhaft zu sein, auch in kleinen Dingen, handele es sich nur um 10 Pfennig für die Pferdebahn, um eine Briefmarke oder dergleichen, muß ich von mir selbst streng fordern, um so mehr, als bei der Geringfügigkeit des Objectes der Andere oft nicht daran erinnern mag.

Kann ich aber nicht umhin, Jemanden zu mahnen, so sei es in höflicher, nicht verletzender Form. Ich darf dieses nicht in Gegenwart Dritter thun, oder ihm nicht durch eine Postkarte meine Meinung sagen. Für letzteren Fall kann er mich sogar verklagen. Darum vorsichtig und rücksichtsvoll. Es giebt allerdings Schuldner, die unsere Geduld mißbrauchen und bei denen es unmöglich ist, dieselbe länger walten zu lassen.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 97-100.
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