Musiciren.

[60] »Musik wird oft nicht schön befunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden,« – sagt der humoristische Dichter Wilhelm Busch, und daran sollten Manche denken, die durch stundenlanges Ueben die Ohren ihrer Mitmenschen peinigen.

Es ist ja selbstverständlich, daß keine Kunst ohne Uebung zu erlernen ist, so ist es auch mit der Musik, der schönen, heitern Kunst, der Freudenspenderin für Alt und Jung, Groß und Klein. Aber sei es nun, daß man durch Tonleitern und Fingerübungen auf dem Clavier sich zu vervollkommnen sucht, oder durch Solfeggien die Stimme zu bilden bestrebt ist, oder befleißige[60] man sich des Geigen-, Cello-, oder Flötenspieles, immerhin wird man es ermöglichen können, gewisse Rücksichten auf andere Menschen zu nehmen.

Also zuerst suche man, wenn es einzurichten ist, ein isolirt gelegenes Zimmer zu den Musikübungen zu benutzen. Dann aber und vor allen Dingen schließe man Thür und Fenster, damit nicht das ganze Haus, die halbe Straße Theil nimmt an unserm Studium. Es ist dieses eine Maßregel, die an einigen Orten von der Polizei sogar geboten ist, und wie wünschenswerth dergleichen Verordnungen für das Publikum sind, hat wohl Derjenige zur Genüge erfahren, der in der Nähe eines Schullehrerseminars oder Töchterpensionates wohnte. Selbst auf die Gefahr hin, durch die Wärme in unserm Fleiße und Eifer beeinträchtigt zu werden, müssen wir uns, zum Besten Anderer, die Unbequemlichkeit auferlegen. – Daß man es gerade sehr fein fände, wenn auch solche Personen, die musikalisch etwas leisten, bei offenem Fenster gewissermaßen Gratisconcerte geben, habe ich nie gehört.

Befindet sich ein Kranker oder gar Sterbender im Hause, der durch unsere Musik beunruhigt werden kann, erfordert es der Anstand, daß wir unsere Uebungen, unser Musiciren einstellen. Vielleicht finden wir im Hause unserer Bekannten oder Lehrer Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen.

Fordert man uns in Gesellschaft oder Familienkreise auf, etwas vorzutragen, dürfen wir uns nicht lange zieren, schnell dazu bereit sein und es so gut machen als wir können. Kommt dann keine Meisterleistung zu Tage, tragen wir ja nicht die Verantwortung dafür, sondern diejenigen, die uns dazu veranlaßt haben. Die Bereitwilligkeit, durch das Spielen eines Tanzes der Gesellschaft die Möglichkeit zu gewähren, sich diesem Vergnügen hinzugeben, wird stets anerkannt als besonders liebenswürdig.

Alles Reden, Lachen, Flüstern, während Jemand etwas vorträgt, ist streng zu unterlassen.

Fremde Personen soll man nicht mit den musikalischen Leistungen seiner Kinder quälen, oder so lange durch[61] Anspielungen langweilen, bis sie nicht anders können und sich in das Unvermeidliche fügend, selbst bitten, daß die lieben Kleinen etwas vorspielen. Will man das Kind aber dadurch, daß man es zum Spielen vor Fremden veranlaßt, daran gewöhnen, seine Scheu und Blödigkeit abzulegen, hat man freundlich um die Erlaubniß im Namen des jungen Schülers zu bitten, nicht aber den sehr zweifelhaften Genuß dem Dritten als Gunst anzubieten.

Für Jeden, der nach eigener Verantwortung handelt, ist es indessen besser, er traut sich nicht zu viel zu und lehnt eine Aufforderung im Kreise von Künstlern oder künstlerisch gebildeten Dilettanten etwas vorzutragen, bescheiden ab, als daß er durch Steckenbleiben oder falsches Singen sich blamirt.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 60-62.
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