Unterhaltung.

[39] Es würde nutzlos sein, wollte man Vorschriften geben, wie eine Unterhaltung sein soll, denn was hülfe es, wenn man beanspruchte, dieselbe solle geistreich, belebend oder belehrend etc. sein, wenn die Fähigkeiten, eine Unterhaltung in dieser Weise zu führen, nicht vorhanden sind. Weit leichter ist zu sagen, was in einer Unterhaltung zu vermeiden ist, wenn man Anspruch auf gutes Benehmen und Bildung macht.

Zuerst also achte man darauf, daß man nicht zu laut, aber wiederum auch nicht zu leise und undeutlich spricht, damit man uns ohne Mühe verstehen kann. Nie dürfen wir suchen den Anderen zu überschreien, ihm in's Wort zu fallen oder gar ihm dasselbe abzuschneiden. Sind wir anderer Meinung, haben wir in höflicher, möglichst ruhiger Weise unsere Ansicht auszusprechen, mit Geduld die Erwiderungen unseres Gegners anzuhören. Selbst wenn wir glauben, daß uns eine Unrichtigkeit oder gar Unwahrheit berichtet wird, schickt es sich nicht, mit dem Ausruf »Das ist nicht wahr!« oder »Nein, so ist es nicht!« oder gar »Das lügen Sie!« dazwischen zu fahren. In diesem Falle sagt man: »Ich glaube, Sie irren sich, die Sache verhält sich so und so«, oder: »Ich glaube, Sie sind falsch berichtet« – oder noch: »Sollte sich die Sache wohl wirklich so verhalten?« etc.

Auch zögere man nicht, wenn man im Laufe des Gespräches eines Anderen belehrt wird, oder seine Ansicht ändert, dieses offen einzugestehen und nicht durch unfreundliches Schweigen seinen Unmuth zu zeigen. Ein[39] rechthaberisches Wesen ist, wie im Leben schon, so auch in der Unterhaltung höchst fatal.

Niemand rede zu viel von sich selbst und seinen eigenen Interessen, sondern man suche auf die des Anderen einzugehen.

Namentlich ist davor zu warnen, lange Geschichten von den lieben Kleinen oder den Dienstboten zu erzählen; etwas, worin Mutter und Hausfrauen sich oft hervorthun. Man erzähle auch nicht seine Träume oder in Damengesellschaft Jagdgeschichten.

Daß jedes Anstößige oder Frivole aus der Unterhaltung zu verbannen ist, versteht sich wohl von selbst und können wirklich feingebildete Herren daran kein Vergnügen finden, doch mögen sie untereinander ausmachen, was sie zu thun haben. In Gegenwart von Damen oder Kindern ist so etwas sehr ungebildet und legt Zeugniß von einer schlechten Erziehung ab.

Lange Erzählungen, wenn man nicht besonders darum ersucht wird, unterlasse man und auch selbst in ersterem Falle ist es rathsam, nicht zu weit auszuholen und möglichst bald auf die Pointe zu kommen.

Daß jedes Stottern oder Wiederholen den Zuhörer langweilt, weiß wohl Jeder.

Ja, der Zuhörer! Er ist nicht immer willig und geduldig und doch erfordert die gute Sitte, daß er sich dessen befleißigt. Ich kannte eine Dame, die im Rufe großer Liebenswürdigkeit stand, ja für sehr geistreich galt; und ging man diesen Eigenschaften auf den Grund, fand es sich, daß sie nur die Kunst verstand, mit Theilnahme und Interesse zuzuhören.

Muß ich noch sagen, daß Niemand gähnt oder die Augen abwendet, oder gar auf eine Unterredung Anderer lauscht, während ihm etwas erzählt wird?

Themata, die dem Anderen peinlich sind, ihn verletzen können oder gar beleidigen, dürfen nie zur Unterhaltung gewählt werden und müssen wir sofort abbrechen oder einleiten, wenn wir unabsichtlich ein solches berührt haben oder der Lauf des Gespräches sich dahin wendet. Wohl verstanden, ich unterscheide eine Unterhaltung und eine Besprechung.[40]

Daß unangenehme geschäftliche und andere Dinge erörtert werden müssen, ist ja selbstverständlich, aber das ist dann eben keine Unterhaltung mehr.

Skandal- und Klatschgeschichten weiter zu verbreiten, ist nicht wohlanständig.

Ferner vermeide man bei einer gebildeten Ausdrucksweise jede Ziererei, sowie die häufige Anwendung von Fremdwörtern. Es giebt deren ja viele, die förmlich eingebürgert sind und die man schwer umgehen kann. Aber man unterrichte sich, wie ein solches Wort, seinem Ursprunge nach, ausgesprochen wird, wenn man selbst die fremde Sprache nicht kennt. Ein wenig Achtsamkeit in diesem Punkte ist nicht genug zu empfehlen.

In einer Sprache sich zu unterhalten, die der übrige Theil der Gesellschaft nicht versteht, gilt für rücksichtslos, es sei denn, daß man selbst nicht der Sprache der Anwesenden mächtig sei.

Ebenso darf man nie sich Bemerkungen oder Mittheilungen in einer fremden Sprache erlauben, die ein Dritter nicht versteht, denn man ladet dadurch den Schein auf sich, als wolle man etwas über ihn sagen, oder ein Geheimniß vor ihm verbergen.

In Gesellschaft zu flüstern, oder durch allerlei Gesten und Zeichen sich zu verständigen, ist unschicklich.

So wie man beim Sprechen sich der möglichsten Ruhe befleißigen muß, so ist auch jedes Gesticuliren, das Umherfahren mit den Händen, Wackeln auf dem Stuhle, oder gar das Schlagen auf den Tisch oder das Knie sehr unpassend.

Lautes Lachen, Jauchzen, Schreien darf sich Niemand erlauben. Man kann ebenso vergnügt sein, ohne daß das ganze Haus Zeugniß davon ablegt.

Damen müssen in diesem Punkte weit sorgsamer auf sich achten als Herren, denen man schon eher ein lautes Wort oder ein schallendes Lachen verzeiht.

Auch beim Verwundern, Erschrecken nicht laut aufzuschreien, kann man von sich erreichen und werden sich Damen vor mancher Unannehmlichkeit schützen, wenn sie, was ihnen auch zustoßen möge, sich still verhalten.[41]

Man sagt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – Schreien aber ist unter allen Umständen das unedelste Metall.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 39-42.
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