Vorstellen.

[36] Jüngere Leute werden Aelteren vorgestellt. Herren den Damen, und zwar geschieht dieses, indem man mit leichter Handbewegung auf den Vorzustellenden deutend, sagt: »Erlauben Sie mir« – »oder darf ich Ihnen Herrn[36] N.N. vorstellen.« Dann erst nennt man den Namen der andern Person. Herr N.N. macht dann eine Verbeugung, die von seinem vis-à-vis erwidert wird, dem nun die erste Anrede obliegt. Läßt man sich vornehmeren Leuten vorstellen, so wird nur der Name des Vorzustellenden genannt, da man erwarten kann, daß er weiß, wem er präsentirt wird.

Tritt Jemand in einen schon versammelten Kreis, so wird sein Namen von dem Wirth oder der Wirthin zuerst genannt, dann, der Reihenfolge nach, die Namen der übrigen Gäste, die bei Nennung ihres Namens sich leicht verbeugend einen Augenblick von ihren Plätzen zu erheben haben.

Da man bei größeren Gesellschaften von den Gastgebern nicht erwarten kann, daß sie genau wissen, ob und welche ihrer Gäste sich unter einander kennen, so hat eine Dame dafür Sorge zu tragen, daß sie den älteren Damen der Gesellschaft, der Herr nicht allein diesen, sondern auch den jungen Mädchen und Höherstehenden seines eigenen Geschlechtes vorgestellt wer den. Sind die Gastgeber sehr in Anspruch genommen, bittet man eine andere Person, die in der Gesellschaft bekannt ist, die Vorstellung zu übernehmen. Sich selbst vorstellen durch Nennung seines Namens, darf man nur, wenn die Gelegenheit fehlt, eine Mittelsperson darum zu ersuchen. Sind fürstliche Personen in der Gesellschaft, erwartet man eine Aufforderung sich ihnen vorstellen zu lassen.

Was nun die Anrede betrifft, so herrscht in Deutschland eine ziemlich große Verschiedenheit darüber und sind die Franzosen in diesem Punkte wirklich zu beneiden, die ohne jedes Kopfzerbrechen mit ihrem »Monsieur« und »Madame« bei Hoch und Niedrig auskommen.

Im Allgemeinen gilt die Regel, daß man dem »Herrn« oder »Frau« den Stand hinzufügt. Also »Herr Baron, Frau Gräfin«. Ist die Person adelig, sagt man »Herr von So und So, Frau von So und So«. Dieses geht auch stets dem Titel vor. Im Fall solcher bei Bürgerlichen vorhanden, sagt man, namentlich in Norddeutschland: »Herr Doctor, Frau Pastor etc.«[37]

Man kann sich Damen gegenüber auch vielfach damit helfen, daß man »Gnädige Frau« oder bei Hochstehenden »Gnädigste Frau« sagt. Im übrigen heißt es: »Herr X – Frau (nicht Madame) P.« u.s.w.

Unverheiratheten Damen gegenüber darf man nicht die Anrede »Fräulein« – gebrauchen, ohne den Namen hinzuzusetzen. Steht man sich ferner, nennt man den Familiennamen, ist man intimer oder sind mehrere Schwestern in der Gesellschaft, den Vornamen. Auch hier kann man sich aus der Verlegenheit ziehen durch die Anrede: »Gnädiges« oder »Gnädigstes Fräulein« – »mein Fräulein«. Damen können auch die Anrede »Liebes Fräulein« anwenden. Die Benennung von Fräulein, ohne jeden Zusatz, gebraucht man nur Kellnerinnen und Ladenmädchen gegenüber.

Unangenehm ist der Fall am dritten Orte oder auf Reisen, wo man oft nicht weiß, wie man die Anrede zu machen hat. Da giebt es keinen andern Rath, wenn man die Sache nicht umgehen kann, als sich mit »mein Herr, meine Dame (oder gnädige Frau), mein Fräulein«, aus der Verlegenheit zu ziehen.

Das Abpassen des richtigen Augenblickes für die Vorstellung ist wohl zu beachten. Sieht man z.B. eine höherstehende Person in einem sehr lebhaften Gespräche oder bemerkt man, daß dieselbe durch irgend etwas in Anspruch genommen wird, ist es nicht gerathen, störend dazwischen zu treten, wenn man nicht von vornherein den Eindruck eines lästigen Menschen machen will. Ein richtiger Takt und etwas Beobachtungsgabe bewahren vor solchem Mißgeschick. Wiederum sollen wir aber auch nicht mit der Vorstellung bis zum Schluß der Gesellschaft oder Vereinigung warten, um dadurch nicht den Verdacht auf uns zu laden, als liege uns nichts an der neuen Bekanntschaft.

Für Eltern gehört es sich, einem älteren Herrn, der ihnen gut bekannt ist, ihr Töchterchen zuzuführen und so die Bekanntschaft zu vermitteln, da man von ihm nicht verlangen kann, daß er mit grauen Haaren sich dem jungen Wesen im Flügelkleide, das vielleicht eben erst aus der Mädchenschule kommt, präsentiren läßt.[38]

Erfolgen viele Vorstellungen nach einander, so findet man keine Zeit zur Anrede und Unterhaltung. Es genügt dann eine Verbeugung hüben und drüben.

Ist man sich schon früher vorgestellt, haben die Jüngern die Aelteren, die Herren die Damen, wie ich es in einem andern Capitel bereits gesagt, zu begrüßen, aber dann zu erwarten, ob eine Unterhaltung oder Anrede beliebt wird. Ausnahmen von jeder, also auch von dieser Regel, giebt es aber stets.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 36-39.
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