Waidwerk

[100] Jede Jahreszeit bietet dem echten Waidmann Gelegenheit, seine Büchse oder Flinte in Wald und Feld sprechen zu lassen. Deshalb sollte man eigentlich den Ausdruck »Jagdsaison« vermeiden. Da sich jedoch in den Herbstmonaten alles jagdbare Wild auf der Schutzliste zusammendrängt, wird man für diese Tatsache kaum einen kürzeren Ausdruck finden können. Und bei näherem Zusehen ergibt sich, daß die drei Herbstmonate Oktober, November und Dezember für die große Mehrzahl aller Jäger »die Jagdzeit« bedeuten. Man braucht nur darauf hinzuweisen, daß in diesen wenigen Wochen etwa vier Millionen Rebhühner, ebensoviel Hasen und einige Hunderttausend Fasanen zur Strecke gebracht werden müssen. Dazu sind nach mäßiger Schätzung etwa 30 Millionen Schüsse erforderlich.. Die glühendste Phantasie würde nicht ausreichen, sich die Kanonade auszumalen, wenn sie innerhalb weniger Tage auf kleinem Raum stattfinden sollte. Und die summierte Kraft aller 30 Millionen Explosionen würde hinreichen, jede Großstadt in einen Trümmerhaufen zu verwandeln.

Ein Glück nur, daß die Natur diese Mißhandlung ohne jeden Schaden übersteht ...

Die Munitionsfabriken haben gegen den verschwenderischen Patronenverbrauch nichts einzuwenden. In Jägerkreisen ist man[101] sich aber klar darüber, daß es sehr wünschenswert wäre, wenn etwas weniger Löcher in die Natur geschossen würden.


Waidwerk

Hat man doch bei Kesseltreiben auf dem freien Felde nur zehn Prozent Treffer gezählt ... Das ist noch ein sehr wunder Punkt im deutschen Waidwerk. Er wird nicht verschwinden, solange jeder brave Deutsche, der über das nötige Kleingeld verfügt, sich eine Jagd pachten und ohne die geringste waidmännische Ausbildung auf das Wild losknallen darf.

In England ist es ein gesellschaftlicher Mangel, schlecht zu schießen, das heißt, nicht zu treffen. Da gilt es in vornehmen Kreisen als Ehrenpflicht, sich nicht eher waidmännisch zu betätigen, als bis man über eine gewisse Kunstfertigkeit im Schießen verfügt.

Da hat auch jeder Landsitz, der stets in der Jagdsaison eine Anzahl Gäste beherbergt, einen Schießstand, auf dem sich Damen und Herren täglich im Schießen nach Tontauben und laufenden Scheiben üben. Nebenbei bemerkt: ein prächtiger Sport, der bei uns noch viel zu wenig gepflegt wird.

Wenn die Witzblätter sich die Sonntagsjäger aufs Korn nehmen und das schlechte Schießen verspotten, so tun sie also damit ein verdienstliches Werk. Wenn sie dabei aber jeden sauber und gut gekleideten Jäger als »Jagdgigerl« verspotten, dann zeigen sie nur, daß sie um mehrere Nasenlängen hinter dem Fortschritt der Zeiten zurückgeblieben sind.

Es soll zugegeben werden, daß es früher streng verpönt war, in einem sauberen Anzug zur Jagd zu erscheinen. Man erregte dadurch den Verdacht, daß man die Strapazen, bei denen man auch den Anzug strapazieren muß, gern entbehrt. Aber bei der Hühnersuche oder bei Treibjagden sind die Strapazen wirklich nicht derart, daß man sie nur in einem vom Zahn der Zeit stark benagten Anzug überstehen könnte.

In Jägerkreisen ist die Ruppigkeit der Kleidung noch nicht völlig überwunden, aber sie wird auch je länger je mehr zwischen Schießer und Gentleman-Jäger zum Unterscheidungszeichen. Unsere Jagdverfassung bringt es leider mit sich, daß keine Qualität, sondern nur der Geldbeutel darüber entscheidet, wer die Jagd ausüben darf. Daher kommt es, daß die Waidgerechtigkeit weiter Kreise noch viel zu wünschen übrig läßt.

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 100-102.
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