293. Almanzur.

[376] (Pfeffels Vers. 2. Th. S. 194.)


In Bagdad kam einst zum Kalifen

Ein Iman mit geheimen Briefen

Von Mekkas heilgem Scherif an:

»Ich sende dir den größten Meister

In der Magie, den Menschen sahn,

Die guten und die bösen Geister

Sind seinem Machtwort unterthan.«

So lauteten die goldnen Zeilen.

Der Sultan hieß den Wundermann

Entzückt an seinem Hofe weilen,

Erwies ihm täglich neue Gunst

Und bat ihn einst, von seiner Kunst

Ihm eine Probe mitzutheilen.

Der Seher willigte darein.

Almanzur schlich am Arm des Gastes,

Bey der Gestirne heiterm Schein,[376]

Sich in den Garten des Pallastes.

Ein Anger im Granatenhain,

Geziert mit plätschernden Najaden,

Tritonen, Fannen und Dryaden,

War schon zum Schauplatz ausersehn.

Der Herrscher mußte sich bequemen,

In einem schwarzen Kreis zu stehn,

Und in den Mund den Ring zu nehmen,

Den Moses einst am Daumen trug.

So stand er, als der Wunderthäter

An eine Gruppe Nymphen schlug:

Sogleich ertönet Ach und Zeter

Wie Donner in des Fürsten Ohr.

Die Nymphen, die verschwunden waren,

Ersetzt ein abgehärmtes Chor

Von Wittwen mit zerstreuten Haren,

Die Brod von dem Despoten flehn,

Und ihre Brust in Thränen baden,

Die sich in schrecklichen Kaskaden

Zuvor nach Gottes Himmel drehn.

Nun rührt des Thaumaturgen Gerte

Den Schädel eines Drachen an,

Der einem Lamme, das sein Zahn

Mit Höllenwuth in Stücken zerrte,

Das Mark aus den Gebeinen sog.

Wie groß war des Monarchen Schrecken

Den Reichsbezier, der ihn erzog,

Im Ungeheuer zu entdecken,

Und in dem Lamm ein junges Weib,

Dem er mit Gift das Leben raubte,[377]

Weil es ihm nicht, zum Zeitvertreib,

Den Scherz des Ehebruchs erlaubte.

Um den Califen zu zerstreun,

Der plötzlich einen Teufel glaubte,

Ergriff der Iman einen Stein

Und warf ihn in den nahen Hain.

Auf einmal drangen alle Dirnen

Des Harems auf den Sultan ein.

Verzweiflung stand auf ihren Stirnen:

Und während sie mit wildem Graus

Die goldnen Ketten, die sie trugen,

Verdammten gleich, zusammenschlugen,

Rief eines der Gespenster aus:

Gieb uns, Barbar, gieb uns die Brüder,

Die Eltern, die Geliebten wieder!

Nimm uns die Fesseln weg, Barbar! –

Barbar! scholl es durch alle Bäume

Dem Chore nach, und wie die Träume

Beim Donnerschlag verschwand die Schaar.

Der Sultan wär auch gern verschwunden;

Doch gleich dem Marmor starr und bleich,

Hielt ihn des Meisters Blick gebunden,

Der langsam einem klaren Teich,

In dem ein Heer Forellen spielte,

Sich naht, und in der blauen Fluth

Mit seinem goldnen Stabe wühlte.

Schnell wandelt sich der Teich in Blut.

Auf seinen rothen Wogen schwammen

Zehntausend Leichen voller Schrammen;

Dem fehlt ein Arm, dem fehlt ein Bein:[378]

Dem floß das rauchende Gehirne,

Wie Milch aus der zerspaltnen Stirne:

Und dem enthüllt des Mondes Schein

Das Herz in seiner offnen Höhle.

Der Iman winkt, und jede Seele

Kehrt in ihr morsches Haus zurück.

Mit Todesangst im stieren Blick,

Mit röchelnder verschlemmter Kehle

Ruft jeder Leichnam: wehe dir! –

Weh dem Erobrer, der, wie Rehe,

Die Menschen hezte! wehe, wehe!

Gekrönter Henker, wehe dir!

Hier sank der Fürst. Drey bange Stunden

Lag er in dumpfer Todesnacht;

Und als er wieder aufgewacht,

War Iman und Gesicht verschwunden.

Quelle:
Laukhard, Friedrich: Zuchtspiegel für Eroberungskrieger, Advokaten und Aerzte. In: Zuchtspiegel für Fürsten und Hofleute, Paris [i.e. Leipzig] 1799, S. 376-379.
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