12.

[241] Nach und nach war ich durch Frau Artôt und die vielen Hofkonzerte in allen Hofkreisen eingeführt, sang allüberall, war bei Fürst und Fürstin Anton Radziwill, sowie bei Lord und Lady Amphtill, dem englischen Botschafter, zu allen Jours geladen. Lord Amphtill, den wir schon als Lord Russell kannten, war ein außergewöhnlich einfacher lieber Mann, mit dem ich mich gerne allein unterhielt, wobei er mir von den Anfängen seiner Studienzeit erzählte, wie er als zweiter Sohn eines Lords sich in die allerbescheidensten Verhältnisse finden mußte. Wie alle Menschen, von starkem Innenleben, war er zeitlebens einfach, ernst geblieben und machte auf mich einen selten gediegenen Eindruck. Seine bildschöne, liebe Frau flog heiter sorglos und glücklich durchs Leben, bis sein Tod sie den furchtbaren Ernst kennen lehrte.

Bei Fürst und Fürstin Anton Radziwill fand alljährlich am Vorabend von Kaisers Geburtstag eine große Soiree mit musikalischen Genüssen statt, zu der die Majestäten und der Kronprinz stets erschienen, wo es außerordentlich lebhaft und sehr gemütlich zuging. Als ich einmal neben der Obersthofmeisterin, Gräfin Perponcher sitze, tritt eine auffallend schöne, etwas zugerecht gemachte Dame am Arme ihres Gatten ein. Mir entschlüpft ein[241] leises »ah« der Bewunderung. »Kennen Sie die Dame?« frägt mich Gräfin Perponcher. »Nicht persönlich«, erwidere ich, doch erkannte ich in ihr sofort die einst berühmte entzückende Tänzerin Friedberg, jetzt Gräfin Westphalen, die ich seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hatte, die noch immer selten schön war.

Auch Bill Bismarck traf ich später dort, mit dem ich mich schon damals sehr lebhaft über Tierschutz unterhielt. Ich bat ihn, den Fürsten dafür zu interessieren. Er schrieb mir darüber, daß der Fürst, sein Vater, wenn er Zeit genug hätte, sich gern der Sache annähme; da er aber alles nur ganz und nicht halb mache, müsse er davon absehen, da seine Geschäfte es jetzt nicht erlaubten.

Hier traf ich mit Etelka Gerster zusammen, die mit vielen Empfehlungen gekommen sich in Berlin und wohl überhaupt zum erstenmal hören ließ, wobei sie sich Taubert und mir gegenüber durchaus nicht als Anfängerin benahm. Die Gräfinnen Perponcher, Danckelmann und Frau von Prillwitz, drei Geschwister, die in Hofkreisen eine große Rolle spielten, nahmen sich der jungen Sängerin herzlich an. Als sie bald darauf bei Kroll als Nachtwandlerin auftrat, überschütteten die Damen sie mit Blumen, wozu sie alle ihre jungen Freunde beisteuern ließen, und Etelka Gerster war »gemacht«. Sie hatte eine sehr liebe Stimme, viel Charme und sang sehr gut.

Ich kann dies Kapitel nicht schließen, ohne einer der liebenswürdigsten Erscheinungen am Hofe, der Hofdame Ihrer Königl. Hoheit der Frau Prinzessin Karl, Gräfin Josephine Seydewitz, nachmaliger Gräfin Carl Dönhoff, zu gedenken. Schönheit, Witz und Heiterkeit schufen ihr unendliche Feindinnen, die sie am liebsten vernichtet hätten, was ihnen aber zum Glück nicht gelang. Sie lud mich oft ein, und außerdem begegnete man sich fast täglich in allen Gesellschaften, bei denen sie allerdings mit ihrem Witz auch niemand verschonte. Noch immer schön, starb sie nach schwerem Leiden in einem Sanatorium bei Dresden, und wie mir ihre Wärterin erzählte: »wie ein Engel«.

Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 241-242.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Weg
Mein Weg
Mein Weg
Mein Weg
Mein Weg