Meiner treuen Schwester Marie
in Liebe und Dankbarkeit
gewidmet
Der Künstler, der als solcher seine Mission zu erfüllen bestrebt ist, darf nicht vergessen, daß er auch als Mensch eine gleich ernste Sendung zu erfüllen hat. Er muß Anbeter der Natur sein, deren ewig neue Wunder sich ihm nur erschließen, um ihn zu tiefinnerlichster Religion zu führen: zu Milde, Güte, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gegen alles, was da lebt und webt, d.h. gegen Mensch, Tier und Pflanze. Er muß das Allgemeinwohl fördern helfen, sich bemühen Bedürftigen seine Hilfe angedeihen zu lassen. – Als Gast nur darf er walten auf dieser Erde, deren Wohltaten er dankbar, bewußt und darum bescheiden genießen soll.
Er nimmt als Künstler die Verpflichtung auf sich, nach dem Höchsten in der Kunst zu streben, sich ihrer durch vollständige Hingabe wert zu machen, wie er die Aufgabe auf sich nimmt das Edelste im Menschtum zu erreichen.
Sein Können, Wissen, Wollen muß ein beredtes Zeugnis für seine Würde ablegen vor allen denjenigen, die ihm nahestehen oder bewundernd zu ihm aufblicken.
Erst dadurch trägt er einen kleinen Teil der großen Schuld ab für alles, was ihm die Natur als Künstler und Mensch zu erreichen vergönnte, und den Dank an alle diejenigen, die ihm dabei treu zur Seite standen oder auf seine künstlerische sowie menschliche Entwicklung Einfluß ausübten.
Grunewald, im März 1913.
Lilli Lehmann.
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