Ein Stück hinterpommerscher Gutswirtschaft

[27] Es war Herbst geworden. Der »Kartoffelkrieg« sollte beginnen. Alles rüstete sich, um die für Hinterpommerns Bevölkerung so außerordentlich wertvolle Knollenfrucht einzuernten, die nicht nur für die ärmeren Klassen, nein für die ganze Landwirtschaft dieser Gegend eine eminente Bedeutung hat. Der Boden ist dort nur durchweg leicht und für schweres Korn nicht gut geeignet. Desto besser aber gedeiht die Kartoffel. Schlag an Schlag, ja ganze Pläne sieht man mit Kartoffeln bebaut, und trotz seiner Einförmigkeit gewährt es einen schönen Anblick, wenn sich im Hochsommer auf den ausgedehnten sattgrünen Feldern Millionen weißer und bläulicher Blüten der Kartoffelstaude in den langen regelmäßigen Reihen hin und her wiegen. Da die Frucht in der Regel gut »trägt«, so erklärt es sich zur Genüge, weshalb Pommern allgemein als das »Land der großen Kartoffeln« bezeichnet wird.

Das Auspflanzen der Knollen, sowie das Instandhalten der Felder erfordert verhältnismäßig nur wenig Arbeitskräfte. In Gärten und kleinen Schlägen wird gewöhnlich »mit dem Spaten« gepflanzt. Auf den Feldern geschieht das Pflanzen durchweg »hinter dem Pfluge«; es geht daher auch bedeutend schneller. Das Hacken und Häufeln wird später ebenfalls mit eigens dazu konstruierten Pflügen besorgt. Ist dann aber die Zeit der Kartoffelernte gekommen, so werden Arbeitskräfte in großer Zahl gebraucht.

In den vorhergehenden Jahren hatte ich beim »Aufnehmen« der Kartoffeln immer »unserem« Ackerbürger helfen müssen, d.h. demjenigen, bei dem mein Vater für unsere Familie die Kartoffeln ausgepflanzt bekam. Was ich dort für meine Arbeit erhielt, wußte ich nicht. Mutter meinte, damit wäre dann der Lohn für die zwei oder drei Dungfuhren abgearbeitet, die der Ackerbürger im Frühjahr für uns geleistet hatte. Übrigens tat ich diese Arbeit ganz gern. Die Knie schmerzten zwar etwas und die Hände wurden[28] rissig, wenn man den ganzen Tag auf dem Acker umherkroch und die Knollen aus dem Boden scharrte. Doch es gab bei Ackerbürgers immer ein gut geschmiertes Stück Bauernbrot, und dafür wäre ich damals durchs Feuer gegangen. Was war das für ein Unterschied gegen die dünnen und spärlichen Brotscheibchen, die ich zu Hause erhielt! Mindestens drei Finger dick waren hier die Schnitte, und Schmalz war drauf, und »Eigengebackenes« war's. Hei, wie ich da einhaute!

Warmes Mittagessen gab's freilich nicht; dazu war's zu weit von Hause. Wer hätte auch kochen sollen! Die Frau des Ackerbürgers nebst ihren erwachsenen Töchtern waren ja alle mit den ganzen Tag auf dem Felde. Auch sie hatten es gewiß nicht leicht. Des Morgens in aller Herrgottsfrühe mußten sie aus den Federn. Dann sollte die Hauswirtschaft besorgt werden; die acht Kühe wollten gemolken sein; die Schweine verlangten ihr Fressen und so weiter. War dann der Tag auf dem Felde zu Ende, so wiederholte sich des Abends zu Hause dieselbe Arbeit wie am Morgen. Das war eben der Kartoffelkrieg! Ich aber bekam des Abends meine warmen »Klüben« bei Muttern.

Die Arbeit auf dem Felde bot mir auch insofern eine angenehme Abwechslung, als ich während dieser Zeit der strammen Schulzucht enthoben war. Welcher Junge sehnt sich nicht gerne eine Zeitlang aus der Schuldisziplin! Der Unterschied liegt nur darin, daß die Kinder bessersituierter Leute die Zeit über schwänzen und spielen konnten, während ich arbeiten mußte.

Originell war zudem mein Ackerbürger. Immer hatte der alte Hasenritter – dies war sein Name – einige Schnurren und Anekdoten auf Lager, die er während der Essenspausen oder auch während der Arbeit selbst zum Besten gab. Der Mann war auf seine Art ein Philosoph. Er hatte »über alles und noch 'n ganzen Haufen« nachgedacht, wie er sagte, und daraus die merkwürdigsten Lehren und Nutzanwendungen gezogen.

So z.B. ärgerte er sich jedesmal über die Eisenbahn, die erst vor ein paar Jahren dort gebaut war und an seinem Felde vorüberfuhr. Am meisten wurmte es ihn, daß er selbst mit dabei gewesen war, als der erste Spatenstich getan wurde. Was hatte der Bürgermeister[29] den Ackerbürgern nicht alles zu erzählen gewußt über den Wert solcher Eisenbahn. Der Verkehr sollte gehoben werden; die Stadt würde sich vergrößern, und – das Wichtigste für die Ackerbürger – ihr Grund und Boden sollte dadurch bedeutend an Wert gewinnen! Deshalb hätten sie sich bereden lassen. Als dann die erste Lokomotive anlangte, eine winzige »Teckelmaschine«, mit der die ersten Vorarbeiten zum Bahnbau begonnen werden sollten, – da hatte der Bürgermeister zur Feier dieses großen Ereignisses eine Proklamation erlassen. Honoratioren, Handwerker und auch die »hochehrenwerten Herren Ackerbürger« sollten erscheinen und das Dampfroß an den Platz seiner Tätigkeit geleiten. Alle, alle waren sie dem Rufe des Stadtoberhauptes gefolgt. Auch er hatte sich in seinen eigengewebten Schoßrock geworfen, den mein Vater ihm einst nach ältester Mode zurechtgebaut hatte. »Ja Junge«, sagte er dabei in gutem pommerschen Platt zu mir, »dein Vater, das war ein Schneider, der konnte noch nach der alten Modearbeiten.« Ich glaubte es ohne weiteres. Und dann waren sie nach dem Stadtende gegangen. Dort stand die Lokomotive – auf einem Rollwagen! Vier Pferde waren davor gespannt. Staunend hatte man das kalte eiserne Ungetüm betrachtet. Und dann hatte der Bürgermeister eine Rede geredet, und der Herr Superintendent auch. Darauf waren sie mit dem Rollwagen durch die Stadt gezogen, die Stadtkapelle voran. Am andern Ende hatte der Bürgermeister wieder geredet, und die Musikanten hatten unter dem Gesang des ganzen Festzuges gespielt: Nun danket alle Gott.

»Un wat hewwe wi nu davon?« entrüstete er sich weiter: Ein paar Probenreisende mehr in der Stadt, das sei alles. Ihn solle Gott davor bewahren, nie würde er auf dem »tratschen Zug« fahren. Noch um keinen Pfennig sei sein Grund und Boden an Wert gestiegen. Nicht mal durch sein Land sei die Bahn gegangen, so daß er dadurch wenigstens einen Vorteil gehabt hätte, sondern ausgerechnet gerade dran vorbei.

Die Bahn könne nur Unglück bringen. Jetzt wußte er auch, woher der Koloradokäfer kam, dieser Kartoffelfresser, vor dem damals so viel gewarnt wurde. Ganze Felder solle er schon verwüstet[30] haben. Allerdings, gesehen hatte ihn noch keiner, auch die Herren nicht, die so grausig davor warnten. Aber »abgemalen« war er doch auf wer weiß wie vielen Plakaten; er und sein Weibchen und seine Eier. Dieses Vieh war »nur von der Eisenbahn« hereingeschleppt worden! Wer weiß, was die alles mit sich führte an ausländischem Gut. Wie leicht konnte nicht solch Unglückskäfer in einem Güterwagen stecken, dort herausfallen und dann auf den Acker kriechen. Eine unabsehbare Hungersnot mußte die Folge sein.

Und dann die Kartoffelkrankheit! Wer hatte früher davon gewußt? Niemand. Jetzt aber lag die Ursache klar zutage. Er hatte ja seine Beobachtungen gemacht. Einzig und allein der Rauch und Dampf von der Eisenbahn waren schuld daran. Das verfliegt über die Felder meilenweit, schlägt dann nieder – und die Kartoffelkrankheit ist da!

Schüchtern wagte ich zu bemerken, daß doch unser Lehrer die Eisenbahn als eine große Erfindung gerühmt habe. Ganz alleine laufe sie; viel schneller wie Pferde, und könne auch viel mehr ziehen.

Abweisend winkte der alte Mann mit der Hand. »Jo jo«, sagte er dann, »de Minschen hewwe all väl erfunne, awer lat sei ok utkluwe wat sei wille: dat warde sei ni trecht kriege, dat dei Wagens ahne Peerd loopt.« Er starb, ohne ein Automobil gesehen zu haben.

Bei der diesmaligen Kartoffelernte wurden nun auf den umliegenden Gütern ausnahmsweise viel Arbeitskräfte gebraucht. Schon in der Schule hatten die Lehrer bekannt gegeben, daß wer von uns jetzt einen guten Groschen verdienen wolle, sich dort und dort melden könne. Dies war Grund genug für meine Mutter, sich in diesem Herbste nicht bei den Ackerbürgern zu verdingen, sondern aufs Gut zu gehen. Ich sollte mit helfen. Mit dem Voigt von Friederikenhof, der am Wochenmarktstage die »Leute« annahm, hatte sie bereits gesprochen. Alles war in Ordnung, wir konnten anfangen.

Ganz erfreut war meine Mutter über die Höhe des Lohnes. Während es in den vorigen Jahren für Erwachsene nur einen Tagelohn[31] von 45 Pfennigen und für Kinder 20 Pfennige gegeben hatte, betrug er jetzt 50 und 25 Pfennige! Dafür aber, daß meine Mutter in mir noch einen Helfer gestellt hatte, wurde ihr außerdem noch die Extravergünstigung gewährt, sich jeden Abend einen Armkorb voll Kartoffeln mit nach Hause nehmen zu dürfen. Zudem erhielten die »städtischen Leute« des Mittags freien Kaffee vom Gutshofe geliefert, damit sie auch am Tage »was Warmes in den Leib« bekämen und nicht selbst auf dem Felde zu »kochen und prösseln« brauchten, was einmal recht umständlich sei und dann auch unnützen Zeitverlust erfordere. Somit hatten die Leute »nur« für ihren täglichen Brotbedarf zu sorgen; warmes Abendbrot konnten sie sich zu Hause kochen.

Mehr wie einmal hatten wir schon freudigen Herzens zusammengerechnet, was für ein schönes Stück Geld wir diesmal in der dreiwöchentlichen Kartoffelernte gemeinsam verdienen würden. Also Mutter: bare 50 Pfennige den Tag. Das machte in der Woche einen harten Taler. In drei Wochen waren es drei harte blanke Taler. Ich: die Hälfte; das machte auch noch bare anderthalb Taler. Zusammen also vier und einen halben Taler für Mutter und Sohn in nur drei Wochen! Und wenn nun auch noch des Sonntags gearbeitet würde, was sehr wahrscheinlich sei, dann käme sogar noch ein guter halber Taler hinzu. Wir konnten mithin auf einen Gesamtverdienst von gut fünf Talern rechnen; dazu noch etwa 20 Körbe Kartoffeln!!

Friederikenhof war ein mittleres Gut, ungefähr anderthalb Stunden von unserem Städtchen. Sein Besitzer war ein Herr von Damerow. Dort also sollten wir arbeiten. Am Montagmorgen punkt 5 Uhr hatten wir uns mitsamt den übrigen Angeworbenen an dem bestimmten Treffpunkt eingefunden. Es waren etwa 30 Frauen und Kinder nebst einigen Männern, die sich gleich uns verdungen hatten. Zwei Knechte des Gutes warteten schon mit Fuhrwerk auf uns, und fort gings in schlankem Trabe durch den kühlen dämmerigen Herbstmorgen dem uns zugewiesenen Felde, dem »Plan« entgegen. Während der Fahrt hatte ich mich fröstelnd in einen alten Sack gehüllt, den ich als Schutzmantel bei etwaigem Regenwetter benutzen wollte. Gesprochen wurde nur[32] wenig. Den meisten ging's wohl so wie mir; es »hupperte« ihnen, auch war's noch ein bißchen früh am Tage. Sie alle mußten ja um 4 Uhr aufstehen, wenn sie rechtzeitig fertig sein wollten. Meine Mutter frug den Knecht, der uns fuhr, wann er denn jetzt des Morgens aufstehen müsse? »Klock drei!« antwortete er gähnend und bog von der Chaussee in einen Feldweg ein. Nach dreiviertelstündiger Fahrt waren wir angelangt. Um 6 Uhr mußte die Arbeit an Ort und Stelle beginnen.

Der Gutsvoigt erwartete uns schon mit mehreren Tagelöhnern auf dem Plan. Gleich darauf kamen auch vom Gut her eine Anzahl Tagelöhnerfrauen mit ihren Kindern. Von den letzteren waren nur wenige älter wie ich, dagegen sah ich mehrere, die erst in einem Alter von 8 bis 9 Jahren standen. Alle erhielten wir nun unsere Kartoffelreihen angewiesen; die Erwachsenen zwei, wir Kinder je eine, wobei die Kinder rechts und links neben die Erwachsenen verteilt wurden. Wie uns der Vogt sagte, hatte der Herr Inspektor schon am Sonntag von den Knechten so viel Acker anpflügen lassen, daß wir jetzt am Montagmorgen rechtzeitig und ohne Aufenthalt mit dem Sammeln beginnen konnten.

Jeder hatte nun seinen Korb oder eine Kiepe vor sich und durchwühlte mit den Händen fleißig die von der Pflugschar umgelegten Stauden, um die Knollen aufzulesen. Der Vogt und seine Tagelöhner nahmen uns die vollen Kiepen ab und schütteten sie auf große Kastenwagen aus, die mittlerweile von den Knechten angefahren worden waren. Die meisten der Knechte machten sich dann mit ihren Gespannen an das Auspflügen der Kartoffeln auf den Ackerstücken neben uns, und die übrigen fuhren die vollen Kartoffelwagen nach dem Gut und brachten die leeren wieder zurück.

Gegen 8 Uhr besuchte uns der Herr Inspektor. Schneidig kam er auf einem starken Braunen angeritten. Den fast unterwürfigen Gruß des Vogtes erwiderte er nur mit einem kurzen »'n Morgn« und noch kürzerem Tik an seine Inspektormütze. Er stieg dann ab und wechselte einige Worte mit dem Vogt, der sich inzwischen beeilte, das Pferd an einem Kartoffelwagen festzubinden.[33]

Beide schritten hierauf die Linie der emsig tätigen »Leute« ab, der Vogt stets bemüht, einen halben Schritt rückwärts an der linken Seite seines Vorgesetzten zu bleiben – denn so erforderte es der Respekt, wie mir meine Mutter später sagte. Ich konnte nicht umhin, dem großen kräftigen Manne einen halb furchtsamen, halb bewundernden Blick nachzuwerfen, als er in seinen bespornten Stiefeln, die wuchtige Reitpeitsche in der Hand, an uns vorüberging. Auffallend war mir jedoch, daß er es nicht der Mühe für wert hielt, uns Sammlern einen »guten Morgen« zu wünschen. Er notierte sich nun unsere Namen und ritt dann zu den pflügenden Knechten hinüber, wo wir ihn bald weidlich schimpfen hörten. Der Vogt meinte: »Na, dar rokt't de Knechts all drüsig in de Baud'.«

Um 10 Uhr war Frühstück. Das Signal hierzu gab der Vogt auf einer kleinen Trillerpfeife, die er an einer Schnur um den Hals trug. Er rief gleichzeitig, wir möchten uns beim Kauen aber ein wenig beeilen, denn die Pause dauere nur eine Viertelstunde.

Als wir beim Verzehren unserer Brotschnitte so alle zusammensaßen, da mußte ich unwillkürlich stille Betrachtungen über die Eigenart der Kostümierung unserer Sammlertruppe anstellen. Genau so wie ich und meine Mutter, hatten sich natürlich alle mit ihren schlechtesten Kleidungsstücken ausstaffiert, die sie zu Hause aufzustöbern vermochten. Im Kartoffelkrieg waren die alten Lumpen ja auch gut genug, zumal wir auf einsamem Felde hausten und den ganzen lieben langen Tag immer auf den Knien kriechen mußten. Dazu konnte man sich auch täglich auf Regen gefaßt machen, und bei solchem pommerschen Landregen auf dem herbstlichen Kartoffelacker kam es wirklich nicht drauf an, wie die Kleider aussahen, sondern daß sie dicht und warm hielten. Dennoch mußten besonders wir Kinder uns gegenseitig öfters anlachen wegen der mitunter geradezu grotesken Figuren, die wir in unserer »Kartoffelkledage« machten. Eine große Rolle spielte das edle Sackleinen in unseren Anzügen. Sackleinene Flicken überall, auf Ärmeln und Rücken, auf Kragen und Strümpfen, auf Knien und Hosenboden, zuweilen doppelt und dreifach;[34] die Frauen und Mädchen durchweg: sackleinene Schürzen. Aber schon war die Viertelstunde herum. Ein Pfeifensignal des Vogts, und alles ging wieder an die Arbeit.

Etwa um 11 Uhr sahen wir einen Reiter vom Gut auf uns zukommen. Mit ungezwungener Eleganz saß er im Sattel, die rechte Hand leicht auf die Lende gestemmt. Sein Fuchs ging den ruhigen, aber elastischen Schritt, der das schöne Tier ohne weiteres als edles Reitpferd kennzeichnete. »De gnä' Herr!« murmelte es allgemein, und fleißiger noch rührten sich die Hände. Jetzt setzte der Vogt seine Kartoffelkiepe auf die Erde, wischte sich schnell die Hände an den Hosen ab und ging seinem Gebieter entgegen. Sechs Schritt vor ihm blieb er stehen, nahm kurz die Hacken zusammen und zog ehrerbietig seine Mütze. Wie das aussah! Dort der Herr, hoch zu Roß, jeder Zug aristokratische Vornehmheit; hier der Vogt, barhäuptig in urpommerscher Hölzernheit – ein Charakterbild disziplinierter Demut.

Beide kamen näher. Nun zogen auch die Tagelöhner mechanisch ihre Kopfbedeckung, die sie so lange in der Hand behielten, bis der »Herr« leicht an seinen graugrünen Agrarierhut tippte. Ich hatte die Gelegenheit wahrgenommen, schnell eine kleine Kiepe mit Kartoffeln nach dem Wagen zu bringen. Meine Ge danken dabei waren, mir auf diese Weise den vornehmen Reiter und sein prächtiges Pferd in der Nähe besser betrachten zu können. Gerade stand ich am Wagen, als die Tagelöhner ihre Mützen abgenommen hatten. Ich vergaß mich fast, so sehr imponierten mir Roß und Reiter. Mit offenem Munde starrte ich bald auf den adeligen Herrn mit dem graumelierten Bart und den eleganten Reithosen, bald auf die ungeduldig scharrende Fuchsstute, die zeitweilig den schöngeformten Kopf in die Höhe warf und Schaumflocken von dem blanken Gebiß schüttelte.

Da plötzlich wurde ich aus meinen Betrachtungen gerissen. Herr von Damerow ließ sein Pferd dicht auf mich zugehen und sah mich einen Moment durchdringend an. »Hat dich dein Schulmeister noch nicht gelehrt, den Deckel zu ziehen?« fragte er scharf. Ich wußte vor Verlegenheit nicht, was ich antworten sollte. Wahrhaftig, ich hatte vor lauter Bewunderung des »gnädigen[35] Herrn« gar nicht daran gedacht, ebenfalls die Mütze abzunehmen. Verblüfft senkte ich deshalb den Kopf und schwieg.

»Welcher Person gehört der Junge?« wandte sich der Herr darauf an die Reihe der Sammler. »Es ist mein Sohn«, meldete sich meine Mutter. »Dann wird's Zeit, daß Sie ihrem Bengel beibringt, wie er einen Gutsherrn zu grüßen hat.« Sprach's und ritt nach den Knechten zu. Sinnend blickte ich ihm nach. Wie verächtlich er das Wort »Person« ausgesprochen hatte. Und in dem Er-Tone redete er meine Mutter an, so wie es zur Zeit des alten Fritz mal Mode gewesen war! Ich fühlte, daß sich meine ursprüngliche Bewunderung für den vornehmen Herrn sehr wesentlich abkühlte.

Mittag! Der Vogt hatte gepfiffen, und alles eilte mit seinem Brotränzel einer nahen Tannenhölzung zu, um sich dort im »Überwind« für dreiviertel Stunden niederzulassen. Da kam auch schon ein Dienstjunge vom Hofe mit einem Kübel voll Kaffee angefahren. Jeder holte nun seinen mitgebrachten Topf oder auch Blechmaß hervor und ließ sich von einer Tagelöhnerfrau das Getränk einschöpfen. Die Frau meinte dabei, es sei eben Leutekaffee; zu drei Vierteln aus gebrannten Gerstenkörnern und zu einem Viertel aus Cichorien zusammengebraut. Doch, hübsch warm war die Brühe, das mußte man ihr lassen.

Mit beiden Backen kauend suchte ich jetzt unseren Vogt auf, der etwas abseits saß und sein Mittagessen verzehrte, das ihm seine kleine Tochter nachgebracht hatte. Kindliche Neugierde trieb mich, ihn heimlich zu fragen, weshalb er vorhin so in gewisser Entfernung vor dem Herrn stehen geblieben sei. »Dat kümmt noch vom Kummiß, un dei Herr will dat so hewwe«, belehrte er mich. Der Herr sei Rittmeister gewesen, und da verlange er, daß jeder seiner Arbeiter, der mit ihm sprechen wolle, sechs Schritt vor ihm stehen bleibe und abwarte, bis er von ihm angeredet werde. Er als Vogt habe seine Meldung gemacht, und nachher erfordere es der Respekt, daß er den Herrn begleite, solange bis derselbe abwinke, und zwar müsse er stets an der linken Seite gehen, »nicht zu dichte ran«. Beim Inspektor verringere sich dieser Abstand etwa um die Hälfte. So, nun wußte ich Bescheid.[36]

Hurtig ging's wieder an die Arbeit. Eine Vesperpause gab's nicht mehr. Während der Kartoffelernte wurden täglich nur zwei Essenspausen gewährt, zum Frühstück um 10 Uhr und zu Mittag um 1 Uhr; beide zusammen durften die Dauer von einer Stunde nicht überschreiten. Um halb sieben Uhr war Feierabend, weil es dann dunkel wurde. Jede erwachsene Person, die ein Kind als Helfer gestellt hatte, durfte sich nun einen kleinen Korb voll Kartoffeln mitnehmen und damit den Heimweg antreten. Des Abends wurden wir nämlich nicht nach Hause gefahren, sondern mußten den anderthalb Stunden weiten Weg im Dunkeln zu Fuß gehen. Nach 8 Uhr langten wir dann müde und abgespannt in unserer Behausung an.

Vierzehn Tage waren wir nun bereits auf den Kartoffelfeldern des Herrn von Damerow tätig, ohne den Gutshof selbst auch nur einmal betreten zu haben. Wir hatten dort ja auch nichts zu suchen. Unsere tägliche Arbeit lag auf dem Acker; die Pausen aber waren zu knapp bemessen, um uns einen Gang nach dem Hofe zu gestatten, und des Abends eilte jeder, daß er nach Hause kam. Diese 14 Tage waren verstrichen in derselben monotonen Arbeit, nur unterbrochen durch einen mehrtägigen feinen Regen, der uns kalt und herb durchfeuchtete. Die Arbeit selbst hatten wir deshalb nicht ausgesetzt, höchstens daß wir mal eine Viertelstunde, wenn es gerade »Strippen« goß, hinter den Kartoffelwagen Schutz suchten. Des Sonntags war ebenfalls gearbeitet worden.

Als wir zu Anfang der dritten Woche wiederum emsig beim Sammeln waren, kam der Inspektor auf meine Mutter zu und fragte, ob sie mich wohl auf einige Wochen zu dem Instmann Kramke in Dienst geben wolle. Dessen Sohn sei nämlich erkrankt, und da der Vater laut Kontrakt für Aushilfe zu sorgen habe, so könne ich ja die Stelle des Sohnes im Gutsdienste vertreten. Ich hatte sofort Lust dazu. Meine Mutter erhob jedoch Einwendungen wegen des Lohnes. Darauf nahm der Inspektor Muttern etwas abseits und sprach auf sie ein; zu Mittag erwarte er endgültigen Bescheid. Ich hörte dann, wie meine Mutter mit dem Vogt hierüber redete. Der riet ihr sehr eifrig zu, denn bei solchem Lohn – –[37] Dabei erfuhr ich denn auch, was es mit dem Lohn für eine Bewandtnis hatte. Die Sache lag nämlich so: Der Instmann war – wie üblich – kontraktlich verpflichtet, nicht nur selbst das ganze Jahr hindurch auf dem Gute zu arbeiten, sondern auch seine Frau mindestens 200 Tage im Jahr dort arbeiten zu lassen. Außerdem hatte er einen Hilfsknecht von über 17 Jahren und einen halbwüchsigen Jungen für den Gutsdienst zu stellen. Beides konnten seine Kinder sein. War einer davon erkrankt oder sonstwie über drei Tage an der Arbeit verhindert, so mußte der Instmann eine Ersatzkraft dafür stellen. Konnte er dies nicht, so wurde ihm für die in Frage kommende Zeit von der Gutsverwaltung der doppelte Barlohn abgezogen, den der Hilfsknecht oder der Junge sonst verdient hätte, auch wurde ihm das Deputat um so viel gekürzt, als die Gutsherrschaft für angemessen hielt! Den Jahreslohn für den Hilfsknecht und den Jungen hatte der Instmann zu zahlen, ebenso mußte er beide beköstigen und ihnen eine Schlafstelle liefern.

Der Lohn betrug für den Hilfsknecht 18 Taler und für den Jungen 8 Taler für das Jahr. Dazu erhielten sie zum Herbst je ein Pfund Wolle, ein Paar Schmierstiefel und eigengewebtes Zeug zu einem Anzug.

Als Gegenleistung bekam der Instmann von der Gutsherrschaft ein entsprechendes Zugut zum Deputat, also Naturalien an Korn, Rüben, Stroh, Kaff und Kartoffelland. Waren Hilfsknecht und Junge die Kinder des Insten, so mochte dieser immerhin noch einen kleinen Vorteil aus dem Dienstverhältnis herausschlagen, denn in diesem Falle brauchte der Vater so gut wie gar keinen Barlohn zu zahlen; sie arbeiteten dann ja zusammen »in einen Pott«; einige Taschenpfennige und Jahrmarktsgroschen genügten für sie. Alle strebten dabei natürlich dahin, aus der Verwertung der Naturalien einen möglichst hohen Barerlös für Vaters Tasche zu erzielen, der den Kindern ja auch wieder zugute kam. Mußte der Instmann jedoch den Hilfsknecht oder den Jungen oder gar alle beide als »fremde« Mietlinge annehmen, so konnte es ihm allerdings herzlich sauer werden, das bare Geld für den Lohn derselben zusammenzubringen. An Barlohn bekam[38] der Inste nämlich selbst nur wenig. Der Vogt sagte, es seien im Winter je nach der Arbeit (Draußen- oder Drinnenarbeit) 30 bis 35 Pfennige; im Sommer 60 bis 80 Pfennige den Tag. In der Erntezeit »im Oost«, erhöhte sich dieser Lohn noch um ein Geringes, da das Mähen des Kornes morgenweise in Akkord geschah. Die Frau des Insten, die – wie bereits erwähnt – 200 Tage im Jahre arbeitspflichtig war, erhielt an Tagelohn je nach der Jahreszeit 25 bis 50 Pfennige. Für die Pflichtarbeitstage, an denen sie etwa krank oder verhindert war, wurde – außer dem Fortfall ihres Tagelohnes – das Deputat ihres Ehemannes ebenfalls »entsprechend« gekürzt, es sei denn, daß der Gutsherr Nachsicht übte und ihr die Einholung der verloren gegangenen Arbeitstage außer der Pflichtzeit gnädigst gestattete. Die Krankheit wurde hier also gewissermaßen bestraft. Arbeitete die Frau jedoch sonst noch außer der Pflichtzeit, so erhielt sie in der Gutsökonomie einen Tagelohn von 30 Pfennigen und in der Gutsbrennerei 40 Pfennige.

Hieraus läßt sich leicht ermessen, welch' hohen Wert bei der Instmannsfamilie das bare Geld hatte. Es war daher auch nicht verwunderlich, daß meine Mutter – da sie die Dinge aus ihrer früheren Tätigkeit als Gutsmädchen zur Genüge kannte – bei dem Anerbieten des Inspektors ziemlich weitgehende Bedenken wegen des »Jungenslohnes« äußerte. Belief sich dieser bei dem Jungen, den ich vertreten sollte, doch nur auf knapp 7 Pfennige den Tag! Ich aber verdiente dagegen beim Kartoffelaufnehmen 25 Pfennige, das aber war für meine Mutter ein ganz gewaltiger Unterschied!

Doch gut, mir wurden die 25 Pfennige auch für meinen Aushilfsdienst zugesagt, und damit wanderte ich gegen Abend nach dem Hofe, den ich bis dahin nur aus der Ferne gesehen hatte.

Je näher ich kam, desto stattlicher erschien mir dieser. Vom Hauptwege erblickte ich durch den großen herbstlich entblätterten Park das prächtige Herrenhaus. Es war ein schloßartiges Gebäude, dessen Seitenflügel den Mittelbau um die Höhe eines Stockwerks überragten. Eine breite Freitreppe führte zu dem Parterre hinauf, vor dem sich nach beiden Seiten eine mit wildem[39] Wein und Gaisblatt bewachsene Veranda hinzog. Der Vorgarten war wohlgepflegt, mit hübschen Rasenflächen verziert, aus deren Mitte eine Fülle von Herbstblumen hervorgrüßten.

Sinnend stand ich eine Zeitlang vor diesem parkbeschatteten Edelsitz der Damerows. Doch die kühle Erhabenheit, die von dem Herrenhause ausstrahlte, wirkte niederdrückend auf mich. Frostig und beklommen zog mir's durch die Glieder. Wie armselig kam ich mir doch vor im Vergleich zu denen, die hier stolz und vornehm als Besitzer und Gebieter nach ihrem Willen schalten und walten konnten.

Ich bog in den Nebenweg ein, der zu den Wirtschaftsgebäuden führte. Gerade trieb der alte Kuhhirte eine stattliche Herde von Milchkühen in den Hof hinein. Jetzt erst konnte ich den Komplex von Stallungen und Schuppen in seiner ganzen Ausdehnung überblicken. Zwei gewaltige Vierecke von Scheunen und Ställen umrahmt, die sich teils in gutem, teils aber auch in recht mangelhaftem baulichen Zustande befanden. In der Mitte große Dungstätten. Hinter den Stallungen die Gutsbrennerei, daneben das Gesindehaus mit seinen kleinen Fenstern und schiefen Türen. An der anderen Seite vom Wege, in unregelmäßiger Reihe neben und hintereinander gelegen, gewahrte ich die Hütten und Katen der Tagelöhner und Instleute. Das Ganze sah aus wie ein kleines Reich für sich, überragt und beherrscht von dem Herrenhause inmitten des düsteren Parks.

Bald hatte ich das Häuschen des Instmanns Kramke aufgefunden. Seine Frau, ein munteres bewegliches Weibchen, empfing mich mit wohltuender Freundlichkeit. Sie fragte hin und her und führte mich dann an das Lager ihres kranken Sohnes, den ich vertreten sollte. Das Jungchen sah recht angegriffen und elend aus. Einen Arzt hatten die Eltern der Kosten wegen noch nicht zu Rate gezogen. »Dat mutt so wedder bäter warde«, sagte die Frau, als verstünde sich das ganz von selbst.

Noch eine Viertelstunde, dann sollten der Mann und der Hilfsknecht zum Abendbrot kommen. Mittlerweile hatte ich Zeit, mir die Behausung des Insten ein wenig anzusehen. Die Kate mußte schon recht alt sein. Sie war aus Lehm und Fachwerk gebaut, mit[40] sehr niedrigem schadhaftem Strohdach gedeckt, das fast den Eindruck hervorrief, als wolle es den mürben windschiefen Unterbau jeden Augenblick zusammendrücken. Die kleinen, ehemals wohl quadratischen Fenster waren bedenklich aus den Winkeln geraten; die vergilbten Scheiben zeigten eine eigentümlich schillernde Farbe, wie man sie zuweilen sieht, wenn Wasser durch schmutziges Öl oder verdorbenes Fett verunreinigt wird. Mehrere Sprossen hatten überhaupt kein Glas mehr; sie waren mit Papier verklebt, eine sogar mit Lumpen verstopft. Wackelig und klappernd hing die zweiteilige Flurtür in den halbzerbrochenen Haspen. Das Häuschen enthielt neben dem schmalen Flur nur eine Stube und eine kleine Kammer. Der Flur war mit kleinen Feldsteinen ausgelegt; die Stube hatte den obligaten holperigen Lehmfußboden, der an verschiedenen Stellen ebenfalls mit kleineren oder größeren Feldsteinen »ausgebessert« war. Beim Gehen mußte man ständig achtgeben, daß man nicht unverhofft »über die eigenen Füße« fiel. An der Flurseite der Stube befand sich der Herd oder »Schweef«; etwas weiter davon an der Hinterwand stand der mächtige Ofen, aus großen sogenannten Fußsteinen zusammengemauert, in seiner Mitte die unvermeidliche »Röhre« und im Fundament – verdeckt von der breiten Ofenbank – die geräumige »Hölle«. Letztere diente gegenwärtig gerade einem etwas kränklichen, 5 Wochen alten Herbstferkelchen als Kur- und Erholungsort.

Im übrigen barg die Stube den kümmerlichen Hausrat der Familie: zwei Betten für Mann, Frau und vier Kinder im Alter von 2 bis 14 Jahren; die Bettstellen waren eigenes Fabrikat. Die wenigen Stühle und der große Tisch konnten ebenfalls keinen Anspruch darauf machen, als Meisterwerke zu gelten. Drei Füße des Tisches ruhten zudem auf soliden Mauersteinstücken, die kunstgerecht in die Löcher der Lehmdiele versenkt waren, damit das deftige Holzgestell den nötigen Halt bekam; eine Fürsorge, deren Notwendigkeit sich besonders bei den Mahlzeiten zur Evidenz ergab. Zwischen den Betten waren die beiden »Laden« verstaut, die der Inste und seine Frau bereits besessen hatten, als sie noch Knecht und Magd gewesen waren. Dies gewiß mehr wie[41] einfache Mobiliar wurde vervollständigt durch Webstuhl und Spinnrad, die in dieser Gegend gewissermaßen zum eisernen Bestand jeder Bauern- und Tagelöhnerfamilie gehörten.

Die Stubendecke, nur etwa 6 Fuß hoch, wurde aus den wurmstichigen Bodenbrettern gebildet, deren fingerbreite Zwischenräume stellenweise mit dickem Packpapier benagelt waren, um das Herabfallen von Torfmüll, Heusamen und sonstigem Gemüse aus dem Bodenraume wenigstens teilweise zu verhüten. In der fensterlosen Kammer befand sich nur das Bett des Hilfsknechts und einiges Wirtschaftsgerät.

Unmittelbar an die Kammer war der Stall angebaut. Nur zwei Wände desselben waren aus Lehm und Steinen aufgeführt, die andern beiden bestanden aus – Torfbülten, die steinartig in dem Fachwerk aufgeschichtet lagen. Der Stallraum beherbergte vier Schweine, eine Kuh, ein Kalb, eine Hecke Kaninchen, ein Dutzend Hühner und ein halbes Dutzend Gänse. Dies lebende Inventar war der Stolz, das Heiligtum des Instmannes.

Gerade kam er mit seinem Hilfsmann nach Hause. Bald saßen wir alle um den großen Tisch und verzehrten mit gesundem Appetit die dünne dampfende Kliebensuppe, in die wir uns Schwarzbrot hineinbrockten. Dabei kümmerten wir uns nur wenig um das Ferkelchen, das aus der Ofenhölle hervorgekommen war und nun quiekend und grunzend seinen Anteil am Abendbrot forderte. Nur der Hauskater schien über das Borstentier erbost zu sein, wenn es ihm zufällig zu nahe kam. Wütend spukte er sich dann in die Hände und scheuchte den kleinen Zudringling damit aus seiner Nähe.

Nach dem Abendessen setzte der Instmann seine Pfeife in Brand und schmauchte behaglich den kurzgeschnittenen »Rippenkanaster«, die billigste Sorte, die der Tabaksjude in der Stadt zu verkaufen hatte. Er nahm dann seinen Stammplatz auf der Ofenbank ein, der ihm im Sommer sowohl wie im Winter reserviert bleiben mußte, dehnte seine von der schweren Arbeit steifen Glieder und begann im breitesten hinterpommerschen Platt zu »klöhnen«: über das Wetter, über die Wrucken und Runkeln; dann fragte er mich ein wenig aus, und schließlich kam er auf sein[42] eigenes Vieh zu sprechen. Dies schien ihm das liebste Gesprächsthema zu sein. Er wurde lebhafter, und auch die Frau hörte zeitweise mit Spinnen auf, um zwischenein ihre Meinung zu sagen.

Es war ja auch zu begreiflich, daß sich das Sinnen und Denken der beiden Leute hauptsächlich auf ihr Vieh konzentrierte. Kam doch jetzt die Zeit, wo die Tiere verkauft werden sollten. Was würden sie für einen Erlös bringen? Auf wieviel Bargeld dürfte man rechnen? Bald war Martini heran, dann mußte dem Hilfsmann der Lohn gezahlt werden. Der Herbstmarkt nahte. Was gab es da alles einzukaufen! Fast die gesamten Jahresbedürfnisse wurden auf dem Herbstmarkt gedeckt; so wollte es einmal die gute alte Sitte, und dann – hatte man im Herbste auch das meiste Bargeld in den Fingern, wenigstens hoffte man es. Da wurden Stiefel und Schuhe gekauft, wenn einem der Dorfschuster zu teuer erschien; ein neues Spinnrad oder eine Waschbütte tat nötig; ein Spaten, eine Forke, eine Hacke oder eine Sense mußten ersetzt werden. Ja, wenn man sie gerade billig kaufen konnte, nahm man sich auch ein paar Herbstferkel vom Jahrmarkt mit. Freilich, das sah die Gutsverwaltung nicht besonders gern, da sie den Insten und Tagelöhnern die Ferkel aus der eigenen Schweinezucht zu ihren Preisen am liebsten selbst verkaufte. Mitunter kam es denn auch vor, daß die Leute dem Gutsinspektor einen tatsächlich niedrigeren Preis nannten, als sie ihn in Wirklichkeit für die Ferkel bezahlt hatten, nur damit dieser und mit ihm der Gutsherr ihnen wegen des Marktkaufes nicht grollen sollten. So gab es noch dutzenderlei Bedarfsgegenstände, deren Anschaffung regelmäßig auf den Herbstmarkt verschoben wurde. Deshalb denn auch die Sorge, das Hangen und Bangen um das Gedeihen des gutsherrlich gestatteten Deputantenviehes. Mehr Vieh, als wie kontraktlich erlaubt war, – von »ausbedungen« konnte nicht gesprochen werden – durften die Insten und Tagelöhner ja nicht halten; sie hätten auch nicht mehr aufziehen können, weil das Deputat nur demgemäß bemessen war. Unter allen diesen Umständen, besonders auch im Hinblick auf den geringen Barlohn der Leute, mußte es ganz natürlich erscheinen, wenn auch[43] »mein« Instmann nur einen Wunsch kannte: möglichst hohe Viehpreise!

Schon waren Händler und Schlächter von Gut zu Gut, von Dorf zu Dorf gefahren und hatten bei Bauern, Tagelöhnern und »kleinen Leuten« Umschau nach dem Viehbestande gehalten. Wie ein Lauffeuer hatte sich's dann nach Feierabend verbreitet, was da und was dort für Preise geboten worden waren. Erschien das Angebot vorteilhaft, so erfolgten auch häufig schon Zuschlag und Verkauf wochenlang vor dem Lieferungs- bzw. Abholungstermin. Genügte das Preisangebot jedoch nicht, oder stand vielleicht ein Steigen der Preise in Aussicht, so wurde mit dem Zuschlag so lange zurückgehalten, wie es nur irgend ging. Dabei konnte es dann auch vorkommen, daß die Preise inzwischen fielen. In solchen Fällen war Freude bei denen, die schon vorher den Verkauf abgeschlossen hatten, Enttäuschung und Niedergeschlagenheit aber bei jenen, die jetzt billiger verkaufen mußten. Instmann Kramke erzählte mehrere derartige Fälle und freute sich, daß er damals so mit einem blauen Auge davongekommen war.

Auch in diesem Jahre war mit seinem Vieh bisher alles so leidlich glatt gegangen. Von den vier Schweinen wollte er die drei besten verkaufen; das eine, das jedoch unter dem Normalgewicht von 200 Pfund geblieben war, sollte für den eigenen Hausbedarf geschlachtet werden; fraglich war allerdings noch, ob nicht auch der eine oder beide Schinken dieses Tieres verkauft wurden. Vielfach wurde es nämlich so gemacht, daß von dem eigenen Schlachtschwein die besten Teile ebenfalls zum Verkauf kamen. Dann sollten vier Gänse dran glauben; eine wollte man selbst behalten als Weihnachtsgans. Die Muttergans mußte noch ein oder zwei Jahre zur Nachzucht am Leben bleiben, da sie noch ziemlich jung war. Freilich hatte sie diesmal nur fünf Eier ausgesessen, während man für gewöhnlich auf sechs bis acht rechnet. Dafür hatte aber auch die Gutsherrschaft jährlings auf die kontraktliche Pflichtgans verzichtet, weil Kramke sonst von den Gänsen zu wenig Nutzen gehabt hätte. »Uns Herr is ni so«, meinte der biedere Inste hierbei anerkennend. Auch die Hälfte der Hühner[44] war für den Verkauf bestimmt. Die Durchwinterung der ganzen Zucht wäre für die Verhältnisse des Instmannes zu teuer gewesen; im Frühjahr konnten dafür ja wieder ein paar Glucken gesetzt werden. Schließlich kam noch das Kalb an die Reihe. Es war nur ein dummes Ochskalb und hatte daher nur Schlachtwert; wäre es ein gutes Kuhkalb gewesen, so hätte es vielleicht der Gutsherr zu Zuchtzwecken gekauft; das Tier hätte dann ein paar Mark mehr eingebracht. Alles in allem rechnete Kramke auf eine Gesamteinnahme von gut 80 Talern, nach damaligen Preisen.

Dies war jedoch durchaus nicht »reines Geld«. Das Kalb kostete ihm zwar nichts, denn es ging zusammen mit der Deputatkuh auf die herrschaftliche Weide. Die Gänse ebenfalls, doch diese mußten im Herbst mit Hafer und Kleinudeln zugefüttert werden, damit sie das nötige Gewicht bekamen. Nun langte das Deputat aber nicht allemal aus, um die Mästung ohne Extrakosten zu bewerkstelligen. So mußte denn von der Herrschaft Kraftfutter zugekauft werden. In noch vermehrtem Maße war dies bei den Schweinen der Fall. Abgesehen davon, daß hier schon ohne weiteres das »Ferkelgeld« abging, kann man auch mit Drank und dem gewöhnlichen Jüstfutter alleine kein Schwein fettmachen. Es braucht in der letzten Zeit ebenfalls sein Quantum Kraftfutter zu. Da heißt es dann wieder: zukaufen! Gewiß, die Herrschaft verkauft ihren Leuten das benötigte Futter; doch diese Kosten gehen auch wieder von dem Gelde ab, das der Verkauf der paar Stücke Vieh dem Instmann einbringt. So muß dieser also, wenn er die Verkaufssumme endlich in der Hand hat, noch mit der Gutsverwaltung abrechnen, und erst was dann übrig bleibt, das ist endlich seines. Treten aber Verhältnisse ein, die den Tagelöhner oder Instmann zwingen, die Abrechnung aufzuschieben (Todesfälle, Krankheit in der Familie, oder auch Viehsterben), dann wird schon für das nächste Jahr »angekreidet«. Kramke konnte mehrere Tagelöhner namhaft machen, die in solcher Art bei der Gutsherrschaft schon jahrelang in der »Kreide« saßen. Unter Umständen bleiben sie gar »ewige Schuldner« ihres Gutsherrn. »Wenn sei dod sünd, warde sei quitt«, sagte Kramke. So ging der Abend unter Erzählungen und Kalkulationen verschiedenster[45] Art zu Ende, und dann hieß es: zu Bett! Ich mußte mit dem Hilfsknecht zusammen in der Kammer schlafen; sonst hatte der jetzt kranke vierzehnjährige Knabe das Bett mit jenem geteilt. Nun aber schlief der Kranke mit in der Stube, seine zwölfjährige Schwester bei ihm! Ein achtjähriges Mädchen wurde auf die Ofenbank gepackt, und das Kleinste schlief bei seinen Eltern »zu Füßen«.

Unser Bett in der Kammer war etwas klumpig. Mein Schlafkollege sagte, das käme von der Feuchtigkeit der Wände. Im Sommer ginge es ja; im Frühjahr und Herbst aber seien die Wände dick mit Schimmelpilzen bewachsen, und im Winter glitzere das Eis förmlich daran. Auch in der Stube sei es nicht anders; eine Ausnahme mache nur die Ofenwand. Das Abwischen nütze nichts, denn das Zeugs käme doch gleich wieder. Tatsächlich konnte ich mit dem Finger meinen Namen auf die schimmeligen Wände schreiben.

Sehr ungeniert ging es beim Entkleiden zu. Da die Kammer keine Tür hatte, so konnten auch wir – gleich den Kindern – ohne Zwang sehen, wie Mann und Frau sich in aller Gemütsruhe bis aufs Hemd auszogen und ins Nest stiegen. Übrigens hätte das auch jedermann von draußen sehen können, denn die Fenster waren völlig unbehangen. Nur im Winter wurden Strohdecken davor gehängt, um die Kälte abzuhalten.

Wir schliefen prächtig; nur ein paarmal wachte ich auf, weil die Mäuse im Bettstroh etwas zu arg russelten und piepten und eine Horde Ratten in der Kammer ihren Unfug trieb. Meinen Schlafgenossen rührte das gar nicht weiter, ungestört schnarchte er seine Naht fort. Am andern Morgen meinte er auf meine Frage, das sei er schon gewöhnt; Mäuse gäbe es auf dem Lande überall, und die Ratten hätten sich vom Schweinestall her durchgefressen, dort hätten sie schon alles »holl und boll« gewühlt. Der Kater aber gehe den Beestern weit aus dem Wege, und das Ratteneisen ließen diese wieder unberührt liegen. Er wolle nächstens 'mal einen »Schwinegel« greifen, denn dessen Geruch könnten sie nicht gut vertragen.

Noch vor der Frühkost mußte ich mit dem Hilfsknecht nach dem[46] Pferdestall des Gutes und dort den Stallmist auf eine Karre laden helfen, den der Knecht dann nach dem großen Misthaufen schob. Es waren hierbei eine ganze Anzahl Knechte und Tagelöhner tätig, jeder bei seinem Gespann. Wir beide hatten auch noch die Fohlen mit zu besorgen. Nachdem ausgemistet war, mußte ich die Tränkeimer voll pumpen; das »Börnen« selbst besorgten die Knechte. Nach der Frühkost wurde ich für zwei Tage dem Gutsgärtner als Hilfsjunge zugeteilt; dieser beschäftigte mich im Park und im Garten.

Am anderen Tage wurde mit dem Vordreschen begonnen. Es war die Zeit gekommen, wo die Wintersaat in die Erde gebracht werden mußte, und dazu gebrauchte man Saatkorn. Der größte Teil der Kartoffeln war jetzt bereits eingeerntet, und die Kartoffelfelder sollten nun bis auf einen gewissen Rest mit Roggen besäet werden. Rührig waren deshalb die Knechte mit Pflug und Egge tätig, um den Acker zur Aufnahme der Saat zu bereiten. Die abkömmlichen Tagelöhner und deren Frauen erhielten dagegen Auftrag, von dem im Sommer geernteten Roggen so viel auszudreschen, als zur Wintersaat erforderlich war, vielleicht auch noch ein Quantum mehr, dessen man als Brotkorn bedurfte.

Das Dreschen geschah mit einer kleinen Göpelmaschine damaligen Systems. Für eine Dampfdreschmaschine hatte sich der Gutsherr und sein Inspektor noch nicht erwärmen können, weil ihnen der Drusch nicht gefiel. Es gab zu viel Krummstroh dabei, auch schien ihnen das Korn nicht rein genug ausgedroschen zu werden. Beide Herren vermochten sich von der alten Methode eben auch noch nicht zu trennen. Hinzu kam, daß damals alljährlich auch ein beträchtliches Quantum von schierem Stroh zum Decken der Wirtschaftsgebäude und Tagelöhnerkaten gebraucht wurde, denn diese hatten – bis auf das neue Häuschen des Brenners – samt und sonders noch das altehrwürdige Strohdach. Und dieses glatte Deckstroh ließ sich am besten und brauchbarsten durch Handdrusch herstellen. Ebenfalls war solches Stroh auch besser zu Häcksel zu verwerten, weil es leichter durch die Häckselmaschine ging und auch nicht solch rauhen Häcksel lieferte,[47] wie das mit der Dreschmaschine gewonnene Stroh. So diente die erwähnte Göpelmaschine gewissermaßen nur als Notbehelf, um einen Teil des Getreides abzuklappern. Das Hauptdreschen wurde nach wie vor im Winter ausgeführt, und zwar mit dem Dreschflegel; nur hin und wieder benutzte man je nach Gutdünken des Inspektors die kleine Maschine. Diese lieferte zudem auch nicht »bodenreines« Korn, wie ich das später kennen lernte, sondern Kaff (Spreu) und Korn blieben zusammen und mußten hernach erst mittels der Staubmühle voneinander geschieden werden.

Mir wurde nun der rühmliche Auftrag, die Pferde am Göpel, dem Triebwerk der Dreschmaschine, anzutreiben. Da der Göpel mit einer Holzplatte verdeckt war, so konnte ein Schemel darauf gestellt werden, auf dem ich Platz nahm. Stolz saß ich dort oben auf meinem Thron mit einer alten Peitsche in der Hand und rief den sechs Gäulen den ganzen lieben langen Tag mein »Hüh« und »Hüo« zu. Doch das ständige Stillsitzen auf dem vertrakten Schemel und die ewige Kreisdrehung auf demselben Fleck behagten meinem etwas lebhaften Gemüt auf die Dauer nicht gerade vom besten. Daher kam es wohl, daß ich am Nachmittage mitsamt dem Schemel von meinem Sitz herunterfiel. Glücklicherweise standen die Pferde gleich still, sonst hätte es noch leicht Malheur geben können. So geschah weiter nichts, als daß mich der Inspektor mehrmals einen dummen Bengel nannte und drohte, daß er mir ein paar überziehen würde, wenn ich noch mal so unachtsam und dusselig wäre. Darnach konnte die Karre wieder weiter gehen.

Zwei Tage später lernte ich diesen Herrn Inspektor aber von einer Seite kennen, die mir zeitlebens unvergeßlich bleiben wird. Ich saß draußen auf meinem Göpel, und drinnen bei offener Scheunentür arbeiteten die Leute an der brummenden Maschine. Plötzlich hörte ich die rauhe scheltende Stimme des Inspektors im Wortwechsel mit einer Frau. Es war die Frau eines Tagelöhners, der wegen seines steifen Beines nur allgemein der »lahme Hann« genannt wurde. Sie war mit zwei anderen Frauen beim Strohbinden an der Maschine tätig gewesen und hatte dem Inspektor[48] wohl nicht rasch genug gearbeitet, denn auf der Scheunendiele lag ziemlich viel loses Stroh. Als sie der Inspektor deswegen in seiner barschen Manier anfuhr, hatte die Frau, wie ich hernach hörte, einige bescheidene Worte der Widerrede riskiert. Das durfte sich der Gestrenge in seiner echt hinterpommerschen Auffassung von Gutsdisziplin nicht gefallen lassen. Daher wurde seine Stimme laut und lauter. Auch der Frau war nunmehr die Galle übergelaufen, um so mehr als sie glaubte, ihre Schuldigkeit getan zu haben, denn auch mein Instmann sagte mir nachdem, daß eigentlich eine Person zu wenig beim Binden gewesen wäre. Da mit einem Mal sah ich, wie der Inspektor der Frau einen derartigen Stoß in den Rücken versetzte, daß sie draußen vor die Scheunentür taumelte. Gleichzeitig brüllte er sie an mit Ausdrücken wie: faules Weibstück, Saubesen, dickfelliges Aas: »Ich werde dem Mensch Raison beibringen!« »Alte Dreckhexe!« Doch was war das! Unwillkürlich war die nach Atem ringende Frau etwas weiter zurückgetreten und der Göpelstange zu nahe gekommen. Schon hatten sich ihre Röcke in der rotierenden Stange verfangen, und mit unwiderstehlicher Gewalt wurde sie zu Boden gerissen. Bei diesem Anblick packte mich eine wilde Angst. Wie besessen schrie ich: »Prrr, prrr!« Gottlob, die Pferde standen. Noch ein paar Schritte der Tiere, noch ein paar Umdrehungen der Triebstange – und der Frau wäre rettungslos das Kreuz gebrochen worden. Jetzt schien auch der Inspektor von seinem Wutanfall zu ernüchtern; er sowohl wie auch andere inzwischen herbeigeeilte Frauen und Männer bemühten sich um die am Boden Liegende. In diesem Moment aber erschien der lahme Hann. Er hatte bis dahin im »Tap« gestanden und Garben nach der Maschine »zugeschmissen«. Während der wüsten Schimpferei des Inspektors war er auch völlig neutral geblieben – vielleicht weil derartige Szenen auf dem Gut nichts Neues waren – doch als er sah, wie seine Frau zu Boden sank, mußte ihn plötzlich der verhaltene Zorn übermannt haben. Mit der Forke in der Hand sprang er auf den Inspektor zu, als wolle er Vergeltung an ihm üben. Doch ihm selben Augenblick entfiel ihm auch schon wieder der Mut. Er begnügte sich damit, zu heulen, zu schimpfen,[49] zu drohen und zu gestikulieren. Der grobklotzige Inspektor schien seine Pappenheimer auch zu kennen. Er richtete sich auf, brüllte wieder wie ein Wüterich, zog dann seinen geschmeidigen Reitstock, – dieses unvermeidliche Requisit seiner Würde, – aus dem Stiefelschaft, und: klitsch, klatsch, sausten eine Anzahl Hiebe dem lahmen Hann über Kopf und Rücken! Und merkwürdig, keiner der anderen Männer wagte es, ihrem mißhandelten Arbeitskollegen beizuspringen und dem rohen Patron von Inspektor entgegenzutreten. »Sofort schert ihr euch vom Hofe«, rief dieser dem malträtierten Ehepaare zu, »und morgen schmeiße ich euch aus der Kate!« Stupide heulend ging der lahme Hann, und schluchzend ging auch seine Frau.

Des Abends erzählte mein Instmann, der lahme Hann könne wieder bleiben. Er sowohl wie seine Frau hätten beim Inspektor und auch beim Herrn Abbitte geleistet. Dieser habe ihnen ihre Insubordination nochmal gnädigst verziehen und von ihrer Fortjagung Abstand genommen. Nur mit dem Abzug eines Wochenlohnes wären beide bestraft worden!

Ende der dritten Woche kam meine Mutter nach dem Gut, einmal um zu sehen, wie es mir ginge, dann auch um mitzuteilen, daß mir noch eine weitere Woche Schulurlaub bewilligt sei. Der Kartoffelkrieg war jetzt ganz beendet. Die Sammler hatten ihr Restgeld erhalten und freuten sich ihres Verdienstes.

Und am Sonntag sollte »Kartoffelhochzeit« sein. Was das ist? Nun eine Art Erntefest, das alljährlich auf dem Gut gefeiert wurde, wenn die Kartoffeln befriedigend gediehen und eingebracht waren. Auch auf andern Gütern war das so Gebrauch, wenn auch nicht auf allen. Eine ähnliche Festlichkeit gab es noch kurz nach dem Roggen-Ost, die andere eben nach dem Kartoffelkrieg. Irgendeine tiefere symbolische Bedeutung war dem Worte Hochzeit in Verbindung mit der Kartoffel wohl nicht beizumessen. Wenigstens sagte mir mein Instmann, das Fest heiße deswegen so, weil es dort eben so ausgelassen herginge, wie bei einer Hochzeit; jedes Ding müsse doch seinen Namen haben. Übrigens sei es dem »Herrn« hoch anzurechnen, daß er »uns Schlag Lüd« auch mal ein Vergnügen gönne, denn sonst wüßte[50] man ja überhaupt nicht, daß man auf der Welt lebe. »Jaa – uns' Herr is ni so–o.«

Was am Sonntag nachmittag von dem gesamten Gutspersonal irgend abkommen konnte, das ging zunächst nach Grapensee zur Kirche. So hieß nämlich das etwa eine Meile entfernte Kirchdorf. Der Kirchgang war vom Gutsherrn zwar nicht direkt befohlen worden, doch wußte jeder, daß der Gnädige es gerne sah, wenn »seine Leute« nicht nur an ihren freien Sonntagen, sondern vor allem an den Tagen der Gutsfestlichkeiten erst zur Kirche gingen, ehe sie sich dem Vergnügen hingaben. Das gehörte sich nun einmal so. Direkt befohlen wurde der allgemeine Kirchgang nur am Geburtstage des »Herrn« und der »gnä' Frau«.

Des Nachmittags begann dann das eigentliche Fest. Dazu war schon vorher die große Scheunendiele aufgeräumt. Im Hintergrunde stand ein Ackerwagen, auf dem das »Orchester« Platz zu nehmen hatte. Ein würdiges Musikkorps! Drei Mann hoch. Der Dorfschneider von Grapensee mit der Fiedel, der Totengräber aus demselben Dorf mit der Klarinette, und der Gutsgärtner mit einer Ziehharmonika. So bewaffnet nahmen die »Muskanten« ihren Sitz ein. Auch längsseits der Scheunendiele waren Sitze hergestellt, und zwar aus gefüllten Korn- und Kartoffelsäcken, die man mit Wagenbrettern belegt hatte.

Die Fiedel rief – und alle, alle kamen. Die Männer in Sonntagsstaat aus »eigengewebtem« Stoff und frisch geschmierten Transtiefeln; die Frauen und Mädchen mit mindestens vier Unterröcken unter dem geblümten Kattunkleid, der taillenlosen Jacke und dem unvermeidlichen Kopftuch. Auch der lahme Hann und seine Frau waren dabei. Mein Instmann und seine »Olsch« fehlten ebenfalls nicht. Wie aufgeräumt er war, der gute Kramke. Am Vormittag hatte ich ihn schon aufrichtig bedauert, als er sich zur Feier des Tages die borstigen Bartstoppeln abrasierte. Das kratzte wie eine Schrotsäge, und die hellen Tränen liefen ihm dabei über die Backen. Jetzt aber war er ganz vergnügt.

Die jüngeren Paare hatten sich bereits einige Tänze »abgetreten«; da hieß es allgemein: »De Herr kümmt!« Stolz und vornehm wie immer, trat Herr von Damerow in den Kreis seiner Gutsuntertanen;[51] der Inspektor begleitete ihn. In ehrerbietiger Ungelenkigkeit zogen Knechte und Tagelöhner ihre Mützen; ich heute ebenfalls. Die Frauen und Mädchen gaben ihrer Unterwürfigkeit dadurch Ausdruck, daß sie den etwas zur Seite geneigten Kopf möglichst tief zwischen die Schultern duckten.

»Guten Tag, Leute!« grüßte der Gutsherr jetzt in kühler Herablassung. »Gun Dag, Herr!« klang es allseitig zurück. Rasch betupfte der Gnädige Mund und Nase mit seinem Taschentuch und hielt sodann eine kurze Ansprache an die Versammelten. Er redete von der guten Kartoffelernte; von dem Brauch, daß man sich nach der Arbeit auch einmal dem Frohsinn überlassen dürfe, und betonte, wie er in steter Fürsorge für das Wohlergehen seiner Leute ihnen auch dieses Fest gewährt habe. Darauf entbot er den Anwesenden noch den Gruß seiner Gemahlin, »Eurer gnädigen Frau«, und wünschte schließlich viel Vergnügen.

Als er seine Rede geendet hatte, trat der Gutsvogt mit einer riesigen Korbflasche hervor, stellte sie vor sich hin und rief: »Uns Herr scha läwe, vivat hoch!« Alles stimmte dreimal ein; selbst die »Muskanten« entquälten ihren Instrumenten einen mißtönigen Tusch. Mit einem unsagbaren Lächeln nickte Herr von Damerow den Leuten leicht zu und ging dann mit dem Inspektor wieder davon.

Nun waltete der Vogt seines Amtes als Festleiter. Tapfer schenkte er aus der Korbflasche ein. Es war echter, edler, hinterpommerscher Kartoffelfusel, den der »Herr« spendiert hatte und der jetzt wie Wasser die Kehlen hinabglitt. Jedes trank, und jedes trank gern, sowohl die Männer wie auch die Frauen. Selbst die halbwüchsigen Kinder, die dem Tanze zusahen, bekamen ihren Anteil.

Nach dem Abendbrot steigerte sich die Ausgelassenheit. Schon hatte der Vogt die zweite Korbflasche herbeigeholt, und der Schnaps tat bereits seine Wirkung. Hei, wie die Röcke flogen! Die meisten der Männer tanzten schon längst in Hemdsärmeln, den Rock hatten sie als überflüssigen Ballast abgelegt; und der Schweiß rann ihnen über die hochroten Gesichter, trotz der empfindlichen Herbstkühle. Auch der Herr Inspektor war mit[52] einem Mal mitten unter den Tanzenden. Fest hielt er die Frau meines Instmannes umklammert und walzte mit ihr wie ein Sturmblock die Tenne auf und nieder. Merkwürdig, wie freundlich der Mann jetzt aussehen konnte! Das war gar nicht mehr derselbe Inspektor, der noch vor ein paar Tagen den lahmen Hann und dessen Frau so brutal gemißhandelt hatte. Auch mit anderen Frauen und Mädchen schwenkte er umher, und man konnte es ihnen förmlich ansehen, wie geehrt sie sich fühlten, wenn der sonst so Gefürchtete sie zum Tanze aufforderte.

Aber wie war es nur möglich, daß sich die Frauen und Mädchen jetzt in frohem Tanz mit lachendem Gesicht und leuchtenden Augen an denselben Mann schmiegen konnten, der sonst bei der Arbeit tagtäglich ihr rücksichtsloser Antreiber war, und sie nicht selten in unflätigster Weise beschimpfte, ja sogar mißhandelte? Ein Rätsel waren mir auch die Männer. Wie manch einen von ihnen hatte dieser Inspektor nach Aussage Kramkes schon derartig mit der Reitpeitsche »verwackelt«, »daß ihnen die Augen übergingen«, und jetzt drängten sie sich wie dressierte Hunde an ihn heran, um vielleicht ein zweifelhaftes Scherzwort von ihm aufzufangen. Und auch sie betrachteten es als hohe Ehre, wenn »uns Herr Inspekter« mit ihren Frauen und Mädchen tanzte – und hübsch ungeniert an diesen herumkniff.

Den meisten der Festteilnehmer hatte der Schnaps nach und nach den Kopf fast völlig verdreht. Die Männer gröhlten, die Weiber kreischten. Vier, fünf Paare umfaßten sich auf einmal, zoteten sich gegenseitig an, lachten, scherzten, hüpften und fielen schließlich um: ein zappelndes Durcheinander von Armen und Beinen, von Transtiefeln, verschobenen Unterröcken und Strumpfbändern!

Ich hatte mich meistens in der Gegend der »Muskanten« aufgehalten. Doch wie sahen die armen Kerle nun aus! Der nüchternste war noch der Schneider mit seiner Fiedel. Dem Totengräber quollen dagegen die Augen förmlich aus dem Kopf, wenn er sich hin und wieder nochmal aufraffte, um in seine Klarinette hineinzuqietschen. Der Gärtner aber zerrte nur noch mechanisch an seiner Harmonika, die infolge der ungewohnten Strapazierung[53] schon bedenklich »Beiluft« bekommen hatte. Was die drei eigentlich zusammenspielten, das wußten sie wohl selbst nicht mehr, geschweige die übrigen.

Mit zunehmender Nachtstunde begann es mir aufzufallen, daß sich von den jüngeren Paaren bald hier, bald dort einige auf längere oder kürzere Zeit entfernten. Eng umschlungen taumelten sie meistens nach dem warmen Kuh- oder Pferdestall. Auch der Inspektor war verschwunden, und Kramkes Frau sah ich auch nicht mehr, während dieser selbst auf einem Kartoffelsack hockte und schlief.

Gegen Mitternacht kehrte ich dem Trubel den Rücken, denn wenn die Arbeit am andern Morgen auch erst eine Stunde später beginnen sollte, so war ich doch müde geworden. Ich sprach noch einiges mit dem kranken Knaben und kroch dann in mein Bett. Wann die »Alten« gekommen waren, hatte ich nicht mehr gehört. Der Hilfsknecht kam erst des Morgens gegen Fünfe; er hatte sich nach dem Getreidehause verirrt, sagte er. Kramke saß beim Frühstück und klagte über Kopfschmerz; seine Frau aber meinte gähnend »Lat man, schön wär't doch!« Das war die Kartoffelhochzeit.

Einige Tage darauf mußte ich dann wieder dem Gutsgärtner helfen, denn dieser, dem auch gleichzeitig die Beaufsichtigung des zum Gute gehörigen Waldbestandes oblag, hatte jetzt alle Hände voll mit den Vorbereitungen zur Treibjagd zu tun, die in dieser Woche abgehalten wurde. Für mich bot die Jagd nur wenig Interessantes. Ich sah an dem betreffenden Tage eine Anzahl Gäste des Gutsherrn ankommen, alles vornehme Leute; auch der Sohn des Gutsherrn, »der junge Herr«, hatte sich als Leutnant vom Stolper Husarenregiment zum Jagdvergnügen eingefunden und stolzierte nun in seiner roten Uniform mit einem Scherben im Auge sehr patent auf dem Hofe umher.

Noch ehe diese Herrschaften zu ihrem Jagdvergnügen aufbrachen, wurden wir – die Tagelöhner, Knechte, Jungens, sowie Leute aus dem nächsten Dorf – zusammengetrommelt und an den Waldrand der Gutsgemarkung in mehreren langen, geteilten Linien als Treiber aufgestellt. Ausgerüstet waren wir zu diesem[54] Zweck mit allerhand Lärminstrumenten, Rasseln, Knarren, Klappern, Blechbecken usw. Mir hatten sie eine alte ausrangierte Messingkasserolle gegeben. Auf ein bestimmtes Zeichen setzten wir Treiber uns nun in Bewegung und machten einen Heidenlärm. Wir sollten ja das Wild aufscheuchen und dieses den Herrn Jägern zutreiben. Auch schreien und – bellen mußten wir, so daß ich auf diese Art in meinem Leben auch mal Jagdhund gewesen bin.

So manchen braven Deutschen habe ich später flotte Jägerlieder singen hören, obwohl solcher Mann sicher niemals in der Lage gewesen, auf irgendein Stück Wild schießen zu dürfen. Solchem Fatzken wünschte ich dann stets im Stillen, er möchte nach einem hinterpommerschen Gut zur Jagdzeit als Treiber abkommandiert werden: ihm würde zweifellos für immer die Lust vergehen, vom »Jägervergnügen« zu singen. Das Vergnügen von der Geschichte haben eben – andere Leute, nur nicht die armseligen Treiber.

In der letzten Woche meines Aufenthalts auf dem Gut lernte ich auch noch das Gesindehaus kennen. Ich wurde jetzt nämlich auf Befehl des Inspektors hilfsweise als Pferdejunge beschäftigt, und als solcher bekam ich meine Kost nicht mehr von meinem Instmann, sondern vom Gut, d.h. ich aß mit den Knechten und Mägden im Gesindehaus.

Einen Unterschied in der Güte der Kost bedeutete das allerdings nicht. Des Morgens gab's Mehlsuppe und trockenes Schwarzbrot. Zum zweiten Frühstück ein ungefähr drei Finger dickes Stück Brot mit Schmalz beschmiert und einen Schnaps; zu Mittag entweder Erbsen oder Wrucken, Kohl oder Buttermilch und Kartoffeln, je nachdem ganz ohne Fleisch oder mit einigen Speckwürfeln durchsetzt. »Fleisch« gab's nur am Sonntag und am Donnerstag, für jeden ein »Flittchen«. Aber auch das war dann nicht etwa Fleisch, wie man es in der Regel vom Schlächter kauft, sondern gekochter Räucherspeck eigener Schlachtung, gelb und polsterig, der womöglich von einem alten Zuchteber stammte, oder von einer Muttersau, die schon ein kleines Hundert Ferkel auf dem Gewissen hatte. Frisches Fleisch bekamen[55] die Leute in der Regel nur beim Einschlachten. Sie waren auch schon so zufrieden: »Besser was, wie gar nichts.«

Das Abendessen bestand – wenn nicht Klieben oder Hafergrütze gekocht wurden – aus Hering und Kartoffeln. Bei diesem Heringsmahl zeigte sich die hinterpommersche Einfachheit im schönsten Lichte. Die große Butte mit gekochten Pellkartoffeln wurde kurzerhand auf dem Leutetisch umgekippt, so daß die heißen »Tüffken« frei auf der Tischplatte lagen. Ebenso wurde für jede Person ein Hering hingelegt, auch frei auf die Tischplatte; Teller gab's nicht. Nun holte jeder sein Taschenmesser hervor, pellte sich so viel Kartoffeln wie er brauchte, transchierte seinen »Schwimmling« und aß »wie ein Scheunendrescher«.

Nach dem Abendessen gingen die Knechte und Mägde meistens »'n bißchen auf die Nachbarschaft« zu den Tagelöhnern, bei denen jetzt, nach der Kartoffelernte, die Spinnabende begannen. Auch aus den benachbarten Katen kamen sie, so viel die Stube nur Leute zu fassen vermochte. Die Männer mit den qualmenden »Knorren«, die Frauen mit dem Spinnrad.

Es ging reihum mit den Spinnabenden, die eine Woche in dieser, die andere in jener Kate. Die Frauen brachten sich auch gleich einen Schemel mit, denn so viel Stühle, wie gebraucht wurden, hatte natürlich kein Tagelöhner auf Lager. Die Männer hatten nur Anspruch auf die Ofenbank; war diese besetzt, so mußten sie sehen, wie sie Sitzgelegenheit bekamen; es wurden dann gewöhnlich paßrechte Holzstubben benutzt, die man aus dem Stall oder vom Boden hervorholte. Bald surrten die Spinnräder und der »Klöhn« begann. Mein Instmann erzählte mit Vorliebe vom 70er Feldzuge, den er mitgemacht hatte. Als ihm hierbei mal jemand opponierte, geriet er sogar in Eifer und sagte mit Nachdruck: »Min Wort is – Uns Herr ower uß, un d' Kaiser ower uß alle; so mutt dat wäse!«

Ganz Ohr war ich bei den vielen Spukgeschichten, die der eine immer noch gruseliger zum Besten gab, wie der andere. Jeder wollte schon selbst etwas Greulich-Geheimnisvolles erlebt haben; mindestens aber wußte er bestimmt, daß das, was Onkel,[56] Vater oder Großvater und Großmutter auf diesem Gebiete erzählt, »ganz gewiß und wahrhaftig« wahr gewesen sei.

So war dem einen an der »krausen Brücke« im Walde eine Eule auf den Kopf geflogen und hatte ihn gekratzt und nach seinen Augen gehackt. Gerade zwölf Uhr nachts war's gewesen. Das hatte was zu bedeuten! Ein schwarzer Kater, schrecklich anzuschauen, hatte einen nächtlichen Wanderer begleitet und dabei bald jämmerlich, bald drohend miaut. Erst nach dem dritten Vaterunser, das sich den angstbebenden Lippen des tapferen Mannes entrang, war das Untier fauchend und prustend entwichen. Sicher konnte dies nur der Leibhaftige selbst gewesen sein. Am Kreuzwege hatte nach Mitternacht ein großer Hund geheult. Großvater wollte vorbeigehen, doch seine Füße versagten den Dienst. Wie gelähmt blieb er stehen; seine einzige Rettung war das Vaterunser. Da, um ein Uhr, also genau mit Schluß der Geisterstunde, verschwand der Köter. Welches Unheil hatte da gedroht!

So mußte allerhand harmloses Viehzeug herhalten, um mindestens als Sendboten Meister Urians verdächtigt zu werden. Tote wurden lebendig und alte Weidenstümpfe fingen an zu grinsen, und – die Leute glaubten steif und fest daran.

Hand in Hand mit diesen schaurig-schönen Spukgeschichten ging ein geradezu ins Groteske verzerrter religiöser Aberglaube, bei dem besonders die Toten eine hervorragende Rolle spielten. Nie durfte eine Leiche mit dem Kopf nach der Tür gebettet werden, denn sonst zerkratzte ihr ein Abgesandter des Bösen das Gesicht, und die Seele konnte das strahlende Himmelslicht nicht mehr sehen. Im Leichenzuge über einen Verstorbenen etwas Ungünstiges reden, galt als eine Versündigung gegen die Leiche, denn deren Seele ging unsichtbar hinter dem Sarge her, und sowie sie Schlechtes über sich reden hörte, fand sie keine Ruhe im Grabe. Ja »wandern« mußten die Toten, vielleicht jahrelang, ehe sie durch irgendein spukhaftes Ereignis »erlöst« wurden und dann zu des Herrn Freude eingehen durften. Deshalb bekam die Leiche eines Erwachsenen, dem man bezüglich seiner Seligkeit nicht recht traute, womöglich ein Paar derbe Transtiefel an und[57] Brot und Schnaps mit in den Sarg, damit ihr »das Wandern leichter falle«!

Man schüttle nicht den Kopf. Noch heute wird dort auf den Dörfern und Gütern solch Unsinn fast allgemein geglaubt. Und dabei handelt es sich um eine Gegend, wo nur die »reine« evangelisch-lutherische Lehre verkündet wird!

Meine sechs Wochen in gutsherrlich von Damerowschen Diensten waren abgelaufen. Es wurde zwar versucht, mich noch länger dort zu behalten, doch konnte meine Mutter keinen weiteren Schulurlaub mehr für mich erwirken; die Kartoffelferien hatte ich ja ohnehin schon um drei Wochen überschritten. Der Inspektor riet mir zwar, nach meiner Konfirmation wiederzukommen und auf dem Gut in regelrechten Gesindedienst zu treten, doch mir war's anders beschieden. Die Freuden des ländlichen Gesinde- und Tagelöhnerlebens sollte ich in ihrer vollen Gründlichkeit in Schleswig-Holstein kennen lernen.

Quelle:
Rehbein, Franz: Das Leben eines Landarbeiters. Hamburg 1985, S. 27-58.
Lizenz:
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Das Leben eines Landarbeiters
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Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

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