»Der Mann mit den 100 PS«

[24] Wie leicht, jemanden schlecht zu machen, und wie schwer, mit gutem Beispiel voranzugehen! Armer Mann, nach dem man dich oft und lang genug innerlich und äusserlich zerzaust, sozusagen »Belagerungszustand« über dich verhängt hat und dich vor dem Tribunal zungenfertiger weiblicher Richter mit unablässigen Anklagen verfolgte, ist die Stunde da, dir zur Seite zu treten und deine schwere Stellung, deine unleugbaren Verdienste im Bewegungskrieg des heutigen Tempos ins hellste Tageslicht zu rücken!

Kurz und gut, man wünscht von dir, daß du vortrefflichen Charakters, immer liebenswürdig, nie ungalant, niemals müde, ständig rücksichtsvoll, stets bei Kasse, blendend angezogen, ein Weltmann comme il faut, klug, sprühend vor Geist, über Durchschnitt bekannt seist, relativ monogam veranlagt – mit immer wieder verführerischen Lebenskonturen ...

Man verlangt das Wunder von dir und konstatiert in einem Atem mit bedauerndem Achselzucken, daß du um Jahrzehnte zurückgeblieben bist, keine kulturellen Fortschritte mitgemacht hast und eigentlich nur noch aus Gnade deine einstige Herrenrolle weiterspielen darfst ...

Ist denn ganz vergessen, daß du weniger denn je zum »dolce far niente« auf die Welt gekommen bist, daß von Geist und Körper doppelt soviele und doppelt so schnelle Leistungen vorausgesetzt werden, daß die Abnutzung und Abspannung der Nerven im zwanzigsten Jahrhundert auf dem Kulminationspunkt stehen, daß die Gefahren des Erwerbs, der Sturm der Ereignisse anders um die Häupter unserer Männer wirbeln als »Anno dazumal«? Von der Generalversammlung zur Börse, von der Besprechung in den Schlafwagen, vom Arbeitstisch zum Diktat, vom Stelldichein zum Zwangslunch, mit der Zeitung in der Hand nach Haus, mit dem Hörer am Ohr in den Smoking, vom Theater in die Bar, nach sechs Stunden Schlaf zum Muskeltraining und vom Büro zum Literatentee. Das ist »der Reigen« der »Männer von heute«, die uns Frauen gegenüberstehen.[24]


Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 24-25.
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