Die heilige Diskretion.

[18] In memoriam!


Halten wir ihr, der Allzusterblichen, eine kleine Gedächtnisrede. Sie war zu gut für die Erde. Sie konnte unser prosaisches Protzentum nicht mehr ertragen und zog sich in geheimnisvollere Gefilde zurück. Man hat sie hienieden ja in keiner Weise goutiert! Im Gegenteil, erst kehrten ihr die Männer den Rücken und dann – nolens volens – die Frauen ...


Die heilige Diskretion

»Wozu Diskretion?« lautet der Refrain unserer Mondänen. Heute, wo jeder stolz darauf ist, zu erleben, wo auf Haltung und Monogamie kein allzu großer Wert mehr gelegt wird, wo man sogar – leider – mit erotischen Erfahrungen Reklame macht, kurz, in der Zeit betonter Schamlosigkeit braucht man sie nicht mehr – – – und so geschah es, die Diskretion verschied, unbeweint, unbetrauert, unbeachtet – – –

Aber mit ihr vergingen Zauber des Verliebtseins, des Reizes heimlicher Schäferstunden und die Steigerungsmöglichkeit tiefer Neigungen. Es hat ja keinen Sinn mehr, etwas Besonderes zu erfahren oder in irgendein Erlebnis vielleicht etwas mehr Innerlichkeit zu legen – wenn man auch gern möchte, wenn man mitunter Sehnsucht und Verlangen danach hat – man darf es nicht riskieren, um sich nicht lächerlich zu machen, denn wie würden Freundin Lili oder Tante Erna maliziös lächeln, wenn ihnen nach üblichen Gesetzen am »lendemain« irgendwelche Vorkommnisse wahrheitsgetreu wiedererzählt würden! Dem kann man sich nicht aussetzen, und daher – Tod der Diskretion! Man kennt ja die Schlachtrufe der Kavaliere unseres Jahrhunderts zur Genüge: »Diskretion Nebensache – Hauptsache Geld« oder »Indiskretion an die Front« und wie die lieblichen Aussprüche alle heißen.

Aber dennoch, verlassen Sie sich darauf – sie wird Auferstehung feiern, die Diskretion – »on revient toujours à ses premiers amours« – besonders zu der einen Unentbehrlichen, die sowohl dem tugendhaften Schwärmer, als dem galanten Abenteurer eine unvergleichliche Tarnkappe zur Verfügung stellt, welche auf die wahrhaft »großen Frauen« noch nie ihre Wirkung verfehlt hat ...![18]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 18-19.
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