Von Unschicklichkeiten und üblen Gewohnheiten.

[9] Junge Leute haben sich oftmals gewisse Fehler angeeignet, die ihnen allmählich so zur Gewohnheit geworden sind, daß sie diese Fehler oft unbewußt zeigen und auch im Verkehr mit anderen nichts Unschickliches darin finden. In Wirklichkeit erregen sie durch ein solches fehlerhaftes Benehmen Anstoß und machen sich in guter Gesellschaft unmöglich.[9]

Gewöhne Dir das Gesichterschneiden und Körperzucken, das Schnüffeln mit der Nase, lautes Räuspern, Übungen mit den Händen, wie Gelenkknacken, Fingerschnippen, -schlagen und -trommeln, unbedingt ab. Sehr unanständig ist es ferner, sich in Gesellschaft gebildeter und gesitteter Menschen die Fingernägel zu reinigen oder zu beschneiden, Nase oder Ohren mit den Fingern zu säubern, laut zu gähnen oder in den Zähnen zu stochern, ohne die Hand vor den Mund zu halten. Kratze niemals an Pickeln im Gesicht mit den Fingernägeln herum.

Spucke in geschlossenen Räumen nicht auf den Boden. Ist im Zimmer kein Spucknapf, so benutzt man für den Auswurf möglichst unbemerkt das Taschentuch, indem man es dicht vor den Mund hält. Seufze, pfeife, summe, trillere nie in Gesellschaft an derer. Halte den Mund nicht offen. Blinzle nicht mit den Augen und ziehe die Stirn nicht in Falten. Horche nicht auf das Gespräch anderer Leute und störe dasselbe nicht ohne wichtigen Grund. Stecke Deinen Kopf nicht mit einem anderen zusammen und flüstere nicht heimlich in Gesellschaft.

Eine Ungezogenheit ist es ferner, auf andere Personen mit dem Finger zu zeigen oder sich schnell umzusehen, wenn man auf jemand aufmerksam gemacht wird. Sitzt oder steht die betreffende Person hinter uns, so dreht man sich erst nach einer gewissen Zeit bei passender Gelegenheit möglichst unauffällig nach ihr um.

Hüte Dich vor der häufig zu beobachtenden Unsitte, Schirm oder Stock wagerecht unter dem Arm zu tragen. Hierdurch ist schon manchem Mitmenschen Schaden an Körper oder Kleidung zugefügt worden, für den die betreffenden unvorsichtigen Personen haftbar sind. Jeder hat die Pflicht, dergleichen unachtsame Leute in höflicher Form auf ihr fehlerhaftes Benehmen aufmerksam zu machen.

Als erwachsener Mensch ißt man nicht auf der Straße. Gebrauche niemals anstößige Worte im Umgang mit Angehörigen oder Kameraden, Du erregst hierdurch Mißfallen und wirst im Kreise gebildeter Menschen nur ungern gesehen, vielleicht sogar verachtet.

Je überflüssiger Dir alle diese Mahnungen vorkommen, desto weiter hast Du es schon im »guten Ton« gebracht. Goethe sagt, daß man den vornehmen und gebildeten Menschen besser an dem erkennt, was er nicht tut, als an dem, was er tut.

Quelle:
Roeder, Fritz: Anstandslehre für den jungen Landwirt. Berlin 21930, S. 9-10.
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