Meine Lebensbeichte

Memoiren von Wanda von Sacher-Masoch

Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,

Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.

Faust.



Ich bin in Graz 1845 als die Tochter des Militärbeamten Wilhelm Rümelin geboren. Einige Monate vor meiner Geburt hatte meine Mutter einen Unfall, der sie zwang, den Rest ihrer Schwangerschaft liegend zu verbringen und nur so viel Nahrung zu sich zu nehmen, als sie absolut brauchte, um leben zu können. Gesund und stark wie sie war, hatte weder der Unfall noch das Hungerregime böse Folgen für sie. Dasselbe war bei mir der Fall. Ich kam zwar als ein außerordentlich kleines und zartes Kind zur Welt, jedoch nicht kränklich oder schwächlich, und ich blieb während meines ganzen Lebens gesund, war aber nie sehr stark.

Mein Vater, aus der bekannten Stuttgarter Familie Rümelin stammend, hatte in dem damaligen Kommandierenden in Graz, Prinzen Alexander von Württemberg, einen warmen Gönner gefunden, der ihn seines militärischen Dienstes fast ganz enthob und eine Art Intendanten seines Hauses aus ihm machte.

Ich war etwas über zwei Jahre alt, als der Prinz ein anderes Kommando übernahm und mit seiner Familie Graz verließ. Das war ein harter Schlag für meinen Vater; er hatte in den letzten Jahren ein fast unabhängiges, behagliches Leben geführt, und zog es jetzt vor, lieber seinen Abschied zu nehmen als wieder Dienst zu tun.

Um nicht ohne Beschäftigung zu sein, bewarb er[5] sich um eine Stelle an der damals eben eröffneten Südbahn und erhielt sie auch. Er wurde Stationschef in Kranichsfeld auf der Strecke Graz-Triest.

Die Station befand sich in ziemlicher Entfernung vom Ort und ganz einsam mitten in einem großen und schönen Wald, den die Bahn durchschnitt.

Mein Gedächtnis reicht leicht in jene Zeit zurück – und noch weiter –, während es mich für viel spätere Vorgänge oft arg im Stiche läßt. So erinnere ich mich noch ganz gut des Hauses in der Merangasse in Graz, gegenüber dem herzoglichen Palais, in dem ich zur Welt kam; auch unser Stationshäuschen im Walde sehe ich heute noch ganz deutlich vor mir. Dieser Wald mit seinem tiefen Schweigen, seinem dunklen Schatten, seiner Einsamkeit und Bewegungslosigkeit hatte für mich einen zugleich beängstigenden und beglückenden Reiz. Er war mein beständiger Aufenthalt.

Hier, noch nicht drei Jahre alt, nahten sich mir zum erstenmal Verzweiflung und Tod.

Es war an einem heißen Sommertag im Schlafzimmer meiner Eltern, vor dessen weitoffenem Fenster sich der Wald schwarz und drohend aufbaute. Meine Mutter saß auf dem Bett, hielt mich in ihren Armen und weinte, mein Vater saß ihr gegenüber und sprach sehr eindringlich zu ihr. Der Anblick der Tränen, die über das geliebte Antlitz flossen verursachte mir eine unbeschreibliche Qual. Instinktiv ahnte ich, daß es die Worte meines Vaters waren, die die Tränen veranlaßten, vergebens aber bemühte sich mein kleines Gehirn, etwas davon zu verstehen. Da hörte ich, wie mein Vater sagte: »Du brauchst dich nicht zu fürchten, es ist ganz schmerzlos: ich mache ein starkes Feuer im Ofen an, sperre[6] die Klappe ab, verschließe Fenster und Tür, wir legen uns schlafen – und wachen nicht mehr auf.«

Ich wußte damals noch nichts vom Leben und Sterben, verstand also den Sinn des Gesagten nicht, und doch begriff ich, daß es etwas Entsetzliches, Grauenhaftes war, und die Worte selbst gruben sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein.

Es ist seltsam, daß ich niemals und zu niemandem darüber gesprochen habe, selbst dann nicht, als ich zu Verstand gekommen war und von meiner Mutter eine Erklärung darüber hätte verlangen können.


Ich sehe mich im Revolutionsjahr 1848 im Kloster der »Schulschwestern« in Graz. Gegenüber dem Kloster befand sich die Militär-Verpflegungskommission. Truppen bewachten das Gebäude und Kanonen waren vor demselben aufgefahren.

Im Kloster selbst herrschte Schrecken und Verwirrung. Fenster und Türen wurden verbarrikadiert, und man war allgemein dabei, durch Abbeten von Rosenkränzen, Singen heiliger Lieder und Brennen geweihter Kerzen die Gefahr eines Überfalls der Revolutionäre abzuwenden.

Dann kamen wieder ruhige Tage. Ich hatte in der ersten Zeit meines Aufenthalts im Kloster viel nach meiner Mutter geweint, aber nach und nach verblaßte ihr Bild, und das sanft dahinfließende Klosterleben nahm mich ganz auf. Ich liebte die großen stillen Kreuzgänge und die darin lautlos wie Schatten dahingleitenden Nonnen, ihre dunklen faltigen Kleider, ihre bleichen Gesichter mit den entsagenden Augen und dem traurigen Lächeln; ich liebte[7] die Kapelle mit dem blumengeschmückten Altar, die Musik der Orgel, den Gesang der Schwestern, den Anblick der Heiligenbilder und die im gedämpften Ton gehaltenen Gespräche über Gott und seine Engel. Die fortwährende Beschäftigung mit dem Übernatürlichen, dem Höchsten gab mir das Gefühl, als ob ich hier gleichsam in einem Vorort des Himmels wäre und alles Böse weit – weit ab von mir läge. Früher hatte die Liebe zu meiner Mutter mein ganzes Herz ausgefüllt, jetzt, da ich sie nicht mehr hatte, setzte ich Gott an ihre Stelle.


Ich war vielleicht acht Jahre alt, als ich wieder mit meinen Eltern lebte, und zwar wieder in der Merangasse in Graz und in demselben Hause, in dem ich zur Welt gekommen war. Mein Vater hatte den Bahndienst verlassen und war jetzt Beamter am Rechnungshof.

In dieser Zeit fing ich an, zu bemerken, daß meine Eltern nicht glücklich zusammen lebten. Es gab oft Szenen und harte Worte. Ich konnte das nicht ertragen, das Herz schnürte sich mir zusammen und, um nichts zu sehen und nichts zu hören, steckte ich in solchen Augenblicken den Kopf zwischen die Kissen meines Bettes. Einmal hatte ich meine Mutter sagen hören, sie würde eines Tages weggehen und nicht mehr wiederkommen. Die Furcht, sie könne ihre Drohung ausführen, verließ mich nicht mehr; manchmal überfiel sie mich in der Klasse während des Unterrichts so heftig, daß ich laut zu weinen begann, und mich die Lehrerin, da sie mich für krank hielt, nach Hause schickte. Mit atemloser Hast flog ich dann heim, und wenn es sich zufällig traf, daß meine Mutter ausgegangen war, dann war ich völlig verzweifelt. Lange,[8] endlose Stunden stand ich dann vor dem Hause, schaute nach ihr aus und wartete, während sich meine Phantasie mit den schwärzesten Bildern quälte.

Meine Gesundheit war diesen zu oft wiederkehrenden Aufregungen nicht gewachsen und ich wurde krank.

Es war ein schwerer, strenger Winter, den ich, zu Hause eingeschlossen, verbrachte. Sehnsuchtsvoll er wartete ich jeden Morgen die Sonne, und wenn sie kam und langsam die Eisblumen von den Scheiben taute und siegreich in das Zimmer drang, dann badete ich mich in ihren Strahlen; ich folgte ihr, wie sie ihre Wanderung durch das Zimmer machte, und wenn ihr letzter Schimmer hoch oben am Fenster verschwand, dann war es mir, als habe sie alle Wärme aus meinem Körper und alles Licht aus meiner Seele mit sich genommen.

Der Frühling brachte mir meine Gesundheit wieder und auch Frieden in das Haus.


Mein Vater, der sein kleines Mädel sehr liebte, ging jede Woche mit mir zur Platzmusik auf den Schloßberg. Dort sah ich regelmäßig eine elegante junge Frau, Frau von K ......, deren seltene Schönheit wie ein Zauber auf mich wirkte, mich entzückte und aufregte, und beinahe wie ein Schmerz peinigte und quälte. Oft schlich ich mich an sie heran, nur um mit meinen zitternden Fingern über die Seide ihres Kleides zu streifen und den ihr entströmenden Duft zu atmen. Wie weit entfernt war ich damals, während ich in ihr liebreizendes Gesicht schaute und darüber die Welt um mich her vergaß, zu ahnen, daß mein Schicksal mich denselben Weg führen würde,[9] den sie vor mir gegangen war, daß mein Leben wie das ihre derselben Gewalt zum Opfer fallen werde.

Viele Jahre später, als mir Frau von K ..... durch die Verhältnisse näher gerückt war, sah ich sie im Bilde, von zwei bedeutenden Männern gezeichnet, wieder, und beide Male in einer mit meinen Kindheitserinnerungen und Eindrücken stark divergierenden Weise: zuerst in der »Schönheitengalerie« des Malers Prinzhofer und dann in der Heldin zu Sacher-Masochs »Geschiedenen Frau.« Die Kunst des Malers hatte, wie er mir selbst gestand, nicht ausgereicht, um den berückenden Reiz, der die merkwürdige Frau umgab, im Bilde festzuhalten; während der Schriftsteller zwar ihrer Schönheit gerecht wurde, sie aber in eine falsche Beleuchtung stellte. –


Der Friede zwischen meinen Eltern war nicht von langer Dauer. Es gab wieder Szenen und Streit und diesen folgten Tage voll Bedrücktheit, Reue und Scham. Mein Herz war zerrissen. Ich liebte meine Eltern und sie liebten mich, doch wenn sie im Zorn waren, vergaßen sie die Rücksicht, die sie auf mich hätten nehmen sollen, und ich bekam böse Worte zu hören, die mir wie glühende Flammen ins Gesicht schlugen und mich in schamvollem Schmerz zu Boden drückten.

Es war mein Vater, der, wenn die Aufregung vorüber war, das am meisten zu bedauern schien. Um mich und sich selbst aus dieser dumpfen Stimmung zu reißen, nahm er mich mit auf langen und schönen Spaziergängen. Einer derselben blieb mir unvergeßlich.

Wir waren durch den Wald von St. Leonhard hinaufgegangen, um beim »Ladenwirt« auf der Rieß ein Glas[10] Wein zu trinken. Kurz vor unserm Ziel brach ein starkes Gewitter aus. Glücklicherweise hatten wir das Wirtshaus erreicht, ehe der Sturm seine ganze Gewalt entfaltete. Vor dem Hause, im Schutz einer Veranda sitzend, die Stadt zu unsern Füßen, sahen wir dem wilden Treiben zu. Bald schien wieder die Sonne und ein prachtvoller Regenbogen spannte sich unter dem wieder ganz klaren blauen Himmel. Ich sah mit entzückten Augen auf das schöne Wunder, als mich mein Vater frug:

»Weißt du auch, was ein Regenbogen ist?«

»Nein.«

»Er ist die Brücke, die von der Welt in den Himmel führt.«

»Wie kommt man hinauf?«

»Du siehst, wie er dort in den Wald hineintaucht? Dort steht ein Häuschen ganz aus Glas, darin ist der Brückenwärter, der die Kinder einläßt – natürlich nur die guten und braven.«

»Nur die Kinder.«

»Ja freilich. Für Erwachsene wäre der Regenbogen ja nicht stark genug.«

Das begriff ich.

Schwere Gedanken, viel zu schwer für meinen kleinen Kopf, bedrückten mich auf dem Heimweg. Wie gern wäre ich die Brücke hinaufgegangen, in den blauen glänzenden Himmel, aber dann hätt' ich Vater und Mutter zurücklassen müssen, und ohne sie war der Himmel kein Himmel mehr für mich.


Ich war zwölf Jahre alt, als ein seltsamer, geheimnisvoller Vorfall mich gewaltig erregte und lange mächtig[11] in mir nachwirkte. Ich muß vorausschicken, daß ich kein krankhaftes, geistig frühreifes Kind war; ich war ganz normal entwickelt, und genoß stets einen tiefen und ruhigen Schlaf.

Das Bett meiner Mutter war ein Doppelbett, d.h. es hatte eine große Lade, die nachts herausgezogen wurde; und in dieser schlief ich. Ich lag mit dem Kopf gegen das Fenster, das auf den Garten ging, und hatte vor mir die Türe, die in das nächste Zimmer führte. Da die Wand, die die beiden Zimmer trennte, sehr dick war, bildete die geschlossene Türe eine Art Nische.

Eines Nachts erwachte ich. Nicht wie man nach einem gesunden Schlaf erwacht, mit jener angenehmen halben Bewußtlosigkeit, die erst einige Augenblicke nach dem Erwachen schwindet, sondern ich war sofort vollständig wach, als ob ich gar nicht geschlafen hätte. Auf unbegreiflichen inneren Antrieb hob ich den Kopf und öffnete die Augen. Da sah ich in der Nische die Gestalt eines halberwachsenen Knaben von wunderbarer Schönheit aufrecht stehen. Die Nische war dunkel, aber die Erscheinung ganz hell, als ob das Licht von ihr ausginge. Er trug ein langes weißes Gewand, das Hals und Arme nackt ließ. Doch das sah ich nur ganz flüchtig; seine blauen Augen blickten mich an, so beredt, so innig und so schmerzlich, als wollten sie mir etwas sagen, etwas Trauriges und Glückliches. In diesen Augen lag etwas mir Bekanntes, Vertrautes, fast so, als ob ich mit meinen eigenen Augen auf mich schaute. Zuerst war ich ganz gebannt, dann erst kam mir das Seltsame der Erscheinung zum Bewußtsein – ich fing an, mich zu fürchten und schloß die Augen. Mein Herz klopfte so heftig, daß ich meinte, es zu hören. Ich wartete eine Weile und lugte dann wieder über meine[12] Bettdecke hinaus. Die Erscheinung stand noch immer da. Wieder schloß ich die Augen und wartete. Als ich sie wieder öffnete, war die Erscheinung noch da. Jetzt überfiel mich eine furchtbare Angst; ich rief meine Mutter und bat sie, mich zu sich ins Bett zu nehmen, was sie erlaubte. Mit fest geschlossenen Augen, um nur nichts mehr zu sehen, stieg ich aus meiner Lade in das Bett meiner Mutter. Ich zog die Decke über den Kopf und versuchte einzuschlafen. Ich konnte es nicht. Neugierde trieb mich wieder hinzublicken. Da stand die Erscheinung. Fest entschlossen, nicht mehr aufzuschauen, und bebend vor Angst, drängte ich mich fest an meine Mutter, umschlang sie mit den Armen, und so schlief ich wieder ein.

Als ich am andern Morgen bei hellem Tageslicht erwachte, war mein erster Gedanke die Erscheinung, allein die Nische war wie immer kahl und leer.

Ich hatte dieselbe Erscheinung noch ein zweites Mal, und da am Tage und im Freien.


Peinlich und voll Unruhe waren für mich die Wochen, in welchen unsere Klasse zur ersten Beichte vorbereitet wurde, und wäre der Priester, der uns unterrichtete, nicht ein so lieber, freundlicher Mann gewesen, der mich, seine schlechteste Schülerin, am nachsichtigsten behandelte, würde ich noch viel unglücklicher gewesen sein.

Eine eigentümliche Erregtheit herrschte in der Klasse und alle hatten wir erschreckte und ängstliche Mienen. Dem eigentlichen Unterricht wurde gar keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Eine einzige Sache beschäftigte alle Geister: die Erforschung des Gewissens. Ist das, ist[13] jenes Sünde? Diese Fragen gingen hin und her und wurden voll banger Unsicherheit beantwortet. Alle Mädchen hatten ein länglich gefaltetes Blatt Papier in einem Buche bei der Hand, um, falls ihnen eine Sünde ins Gedächtnis kommen sollte, sie sofort zu notieren. Denn das war ja so wichtig, daß alle Sünden gebeichtet wurden, da nur dann die Absolution verzeihende Kraft besaß. Diejenigen, die ihr Sündenverzeichnis schon ziemlich beschrieben hatten, zeigten es ganz stolz den anderen, die noch nicht so weit damit waren, indem sie es in der Luft herumschwenkten. Es fiel mir auf, daß die, die in der Klasse den schlechtesten Ruf hatten, daher durch die Vorbereitung zur Beichte am meisten davon erregt sein sollten, am ruhigsten und sichersten waren. Die andern quälten sich ab, indem sie immer wieder die zehn Gebote durchnahmen, um mit ihrer Hilfe ein anständiges Sündenregister zusammenzubringen. Zu diesen Unglücklichen gehörte auch ich. Da ich mit den zehn Geboten nicht vorwärts kam, nahm ich auch die sieben Todsünden her, doch war das Resultat dasselbe. Ich war ganz bedrückt und beschämt, und blickte voll Neid auf die, die fast ohne Schwierigkeiten mit der Sache zustande kamen. Aus Mitleid mit meiner Not, bot mir eines der der Mädchen, das sich bereits auf eine annehmbare Sündenzahl hinaufgearbeitet hatte, an, mir ihr Verzeichnis zu leihen, ich brauchte es nur abzuschreiben und in der Beichte herunterzulesen, und damit sei es abgetan. Erst schien mir der Vorschlag sehr vernünftig, und ich war froh, damit der quälenden Situation ein Ende zu machen. Bald aber kamen mir Bedenken. Wie, wenn Gott in seiner Allwissenheit auf den Betrug käme? Dann war ich erst recht in der Patsche. Auch fand ich, daß es eigentlich[14] ein recht unsauberes Geschäft war, etwa so, wie wenn mir einer anböte, seine schmutzige Wäsche anzuziehen.

Aber ich mußte zur Beichte – also mußte ich Sünden haben.

So kam der verhängnisvolle Beichttag heran, und ich stand in der Kirche, verworrener und ängstlicher als je, und wartete, bis die Reihe an mich kommen würde. Ich beobachtete die Mädchen, die den Beichtstuhl verließen, und bemerkte, daß einige bestürzt aussahen, während andere kaum ein Lächeln unterdrücken konnten.

Nun kam ich an die Reihe.

Ich kniete hin, sagte das Beichtgebet und schwieg.

Der Geistliche, ein dicker Franziskanermönch, der in seinem Fett schwer atmete, wartete einen Augenblick, und, als ich beharrlich weiterschwieg, sagte er:

»Na, was ist denn? Hast du keine Sünden? Soll ich dir helfen? Hast vielleicht ...?«

Und er fing an, mich auszufragen, in sehr salbungsvollem Ton, aber nackten, ganz unverhüllten Worten und berufsmäßiger Gleichgültigkeit. Ich aber hörte ihn nicht, ich sah ihn nur an, sein aufgedunsenes rotes Bauerngesicht, von dem er sich jede Minute mit einem blauen baumwollenen Taschentuch den Schweiß abwischte, und beklagte mein Mißgeschick, das mir einen so häßlichen und so gemein aussehenden »Stellvertreter Gottes« als Beichtvater gegeben hatte. Und als er dann mit denselben nakten Worten das sechste Gebot betreffende Fragen an mich richtete, die ich zum Teil gar nicht verstand, da schloß mir trotzige Empörung erst recht den Mund, und ich fühlte, daß ich nie im Leben wieder zur Beichte gehen würde. Doch mit der Beichte war die Pein dieses Tages für mich noch nicht vorüber. Ich sollte auch kommunizieren.[15] Nun hatte meine Mutter die Gewohnheit, wenn ich nicht ganz wohl war, mir ein in Oblaten eingewickeltes medizinisches Pulver zu geben. Mit der Zeit wurde mir infolgedessen der Geschmack der Oblaten so widerlich, daß der Gedanke allein, eine verschlucken zu müssen, schon Brechreiz hervorrief. Und als ich jetzt, nachdem ich seit dem frühen Morgen wach und selbstverständlich nüchtern und von der Beichte nervös und aufgeregt war, vor »dem Tisch des Herrn« kniete, der Priester mir die Hostie auf die Zunge legte und ich den Oblatengeschmack fühlte, wurde mir so übel, daß ich nur mit Aufbietung aller moralischen Kraft mich soweit überwand, daß ich das Taschentuch mit der zurückgegebenen Hostie vor dem Mund aus der Kirche kam. Ich glaube, man hatte mich wohl im Verdacht, daß ich die Hostie nicht verschluckt hatte, allein ich war mit der Wegbringung derselben sehr flink gewesen und da kein sichtbarer Beweis dafür da war, ließ man die Sache auf sich beruhen.

Von diesem Tage an strich ich alles aus meinem Leben weg, was in der Religion Form war. Ich war ein frommes und gläubiges Kind, aber Religionsübungen, wie stundenlanges Stehen oder Knien in der Kirche, Herplappern endloser Gebete, Abküssen von Heiligenbildern, das hatte mich schon seit langem ungeduldig gemacht und jetzt war ich froh, mich davon befreit zu haben. Dagegen hätte ich gewiß nicht einschlafen können, ohne ein andächtiges Vaterunser gebetet zu haben.


Eine ganze Flut von Luxus und Vornehmheit überschwemmte unser Haus.[16]

Das Palais des Prinzen von Württemberg, dem gegenüber wir noch immer wohnten, und das viele Jahre leer gestanden, wurde plötzlich an den Grafen Herberstein verkauft und sollte sofort vollständig geräumt werden. Der Prinz hatte bei seiner Abreise von Graz einen großen Teil seiner Möbel und der verschiedensten Sachen zurückgelassen. Er ließ meinem Vater mitteilen, daß alles, was sich noch im Palais befinde, ihm gehöre, unter der Bedingung, daß die Sachen innerhalb von drei Tagen vollständig weggeräumt seien. Das war kein kleines Geschenk, das der Herzog meinen Eltern machte. Mit dem Verkauf erwarb sich mein Vater ein kleines Vermögen – das unser Unglück wurde. Um den Verkauf selbst zu führen, gab er seine Stellung auf. Das viele Geld, das er dadurch in die Hände bekam, mochte seinen Verstand wohl etwas aus dem Gleichgewicht gebracht haben, denn er, der nie Geschäfte gemacht hatte, fing an zu spekulieren. Das mußte schief gehen, und es ging schief.


Ein böser Zufall änderte mein Verhältnis zu meinem Vater, das bis dahin vertraulich und zärtlich war, vollständig.

Ich kam an einem Nachmittag aus der Schule nach Hause und fand die Wohnungstüre verschlossen. In dem Glauben, meine Mutter – mein Vater war um diese Zeit nie zu Hause – sei nur in die Nachbarschaft gegangen und werde bald wieder zurückkehren, setzte ich mich auf die Treppe und wartete. Nach einiger Zeit hörte ich in der Wohnung Schritte, die Türe wurde von innen aufgeschlossen, und eine verlumpte, gemeine Straßendirne von meinem Vater herausgelassen.[17]

Ich hatte über das, was da vorgefallen war, noch sehr unklare Vorstellungen, aber daß es etwas Häßliches, Abscheuliches war, das verstand ich doch.

Welchen Umsturz von Gefühlen hatte dies Ereignis für mich zur Folge! Das Losreißen von geliebten Menschen ist immer furchtbar, am meisten, wenn es nicht durch äußere Umstände, sondern durch Gegensätze im Empfindungsleben bedingt wird. Ich litt darunter, wie nur Kinder leiden, deren Schmerzen weder in den Hoffnungen der späteren Jugend, noch in den Räsonnements des reiferen Alters Trost und Beruhigung finden.

Ich sprach nur noch selten mit meinem Vater – ich schämte mich vor ihm und er schämte sich vor mir.


Im fünfzehnten Jahre besuchte ich eine Nähschule, die von den Töchtern nur der besten Familien der Stadt frequentiert wurde. Unter den jungen Damen befand sich ein Fräulein Anna v. Wieser, und um sie gruppierte sich das ganze Interesse der Schule. Das galt jedoch nicht ihrer Person, sondern den intimen Beziehungen, die sie und ihre Familie mit der des damaligen Polizeipräsidenten in Graz, Ritter von Sacher-Masoch, unterhielt.

Es war nämlich eben von dem Sohne dieses Mannes ein Roman erschienen, sein erster Roman, der in der Stadt viel besprochen wurde. Alle Mädchen hatten ihn natürlich gelesen und interessierten sich für seinen jungen Verfasser. Daß Fräulein v. Wieser das Glück hatte, mit dem »Dichter« persönlich zu verkehren, das machte sie in unseren Augen zu einer höchst wichtigen Person. Jeden Morgen, wenn sie kam, brachte sie eine Menge Neuigkeiten[18] aus dem Hause ihrer Freunde, auf die wir voll Spannung horchten. Auf diese Weise erfuhren wir, daß sich der junge Sacher-Masoch kürzlich mit seiner Cousine, einer reizend schönen Polin, verlobt habe, daß seine Liebe zu seiner Braut das Höchste und Idealste sei, was man nur träumen könne, was übrigens gar nicht zu verwundern wäre bei einem Manne, der, wie Sacher-Masoch, nicht nur voll Geist und Talent, sondern auch der edelste und beste Mensch sei, »so keusch und rein wie ein Mädchen.«

Für eine Nähschule konnte es gar kein interessanteres Thema geben. Den Mitteilungen von Fräulein v. Wieser folgten immer sehr lebhafte Gespräche, in welchen die Mädchen ihre persönlichen Ansichten zu dem Fall zum Besten gaben. In diesen aufregenden Unterhaltungen spielte ich die stumme Rolle. Ich war die jüngste von allen, und obgleich ich glaube, daß die andern in Liebessachen nicht mehr Erfahrung zeigten als ich, so hatten sie doch schon bestimmte Ideen darüber, vor allem aber den Mut, sie auszusprechen, und gerade darin blieb ich weit hinter ihnen zurück. Aber wenn ich wenig sprach, so dachte ich dafür um so mehr. Was Fräulein v. Wieser erzählte, gab meinen bis dahin unklaren Gedanken über Liebe und Glück eine bestimmte Form: die Ehe. Ich beneidete die Braut Sacher-Masochs, träumte mich an ihre Stelle, sah mich als seine Frau, im Schutz seiner reinen und starken Liebe, in einer schönen eleganten Häuslichkeit, umgeben von reizenden Kindern – kurz, ich malte mir ein Glück aus, das viel zu groß, viel zu erhaben war, um es mit Worten zu profanieren.

Eines Tages ging ich mit Fräulein v. Wieser durch die Heynaugasse, an dem Hause vorüber, in welchem der Polizeipräsident wohnte. Plötzlich blieb Fräulein v. Wieser[19] stehen, riß mich hastig am Arm, indem sie auf ein vor uns gehendes Paar wies und ganz aufgeregt sagte:

»Sacher-Masoch und seine Braut.«

Darüber kam ich natürlich auch in Aufregung. Wir folgten eine Weile den Beiden, und ich bemühte mich, so viel als möglich von dem interessanten Verlobten zu sehen.

In den schwarzen Kleidern, der magern Gestalt, dem bleichen bartlosen Gesicht, dessen scharfes Profil ich sehen konnte, wenn er sich im Gespräch zu seiner Braut wandte, sah Sacher-Masoch ganz so aus wie ein junger Theologe. Von seiner Braut konnte ich nur die Gestalt sehen, und ich bemerkte, daß es ihr an Eleganz fehle.

Es war seltsam, daß diese Begegnung ein Gefühl von Trauer in mir zurückließ, gleichsam, als ob meine Phantasien von Liebe und Glück durch die flüchtige Berührung mit der Wirklichkeit all ihres Glanzes beraubt wären.


Einige Monate später mußte ich die Nähschule verlassen. Meine Eltern waren ganz verarmt und hatten nicht mehr die Mittel, für meine Erziehung Geld auszugeben, ja, ich mußte daran denken, selber Geld zu verdienen. Mein Vater hatte sich angewöhnt, die Tage und halben Nächte im Kaffeehaus mit Billardspiel zu verbringen, während meine Mutter sich plagte, um mit Vermieten von Zimmern das Allernötigste zu verdienen.

Ich versuchte, mit Sticken etwas Geld zu gewinnen, aber es war kaum der Rede wert. Daß ich meiner armen Mutter nicht ausgiebiger helfen konnte, drückte mich ganz nieder.[20]

Es kam noch ärger.

Eines Tages verkaufte mein Vater alle unsere Möbel. Wir schliefen auf dem Boden, und unser Tisch war eine umgestürzte Kiste. Nachdem mein Vater das Geld für den Verkauf der Möbel ausgegeben hatte, erklärte er, daß er nach Stuttgart zu seiner Familie, die reich sei, zurückkehren wolle, und zwar zu Fuß. Er packte etwas Wäsche in einen alten Reisesack und verließ uns ohne ein Wort des Abschieds.

Ich sah ihm nach, wie er die Straße hinunter ging, den Reisesack auf seinem Stock über dem Rücken, sah seine gebückte Haltung und den etwas unsichern Gang – und ich glaubte, mein Herz würde brechen.

Ich schaute auf meine Mutter und konnte nicht fassen, daß sie ihn so ruhig, ja gleichgültig hatte ziehen lassen.

Ich habe ihn nie wiedergesehen.


Wir mieteten uns ein kleines Zimmer in dem billigsten, d.h. ärmsten Stadtteil, da, wo Armut mit Laster und Verbrechen Tür an Tür wohnt.

Wir verkauften und verpfändeten unsere Wäsche und Kleider bis aufs äußerste – und litten Hunger.

Meine Mutter empfand unsere Lage nicht wie ein Unglück, sondern wie eine Schande. Anstatt bei unsern zahlreichen Freunden und Bekannten Rat und Hilfe zu suchen, floh sie sie und verbarg sich vor ihnen. Damit war unser Schicksal besiegelt.

Wir waren dem Verhungern ziemlich nahe, als meine Mutter auf den Gedanken kam, Soldatenwäsche zu nähen. Da sich jeder diese Arbeit leicht verschaffen kann, saßen wir bald dabei und nähten von morgens bis zur Nacht[21] und waren glücklich, wenn wir zusammen zwei Gulden und achtzig Kreuzer in der Woche verdient hatten.

Nun wäre eigentlich von meinem Leben für viele Jahre nichts zu berichten. Ein Tag glich genau dem andern. Wollten wir jeden Tag essen, so mußten wir auch jeden Tag arbeiten; es gab für uns keine Sonn- und Feiertage; die Jahreszeiten gingen hin, wie die Jahre selbst; an der drückenden Hitze in unserer dumpfen Stube erkannte ich, daß es Sommer war, an meinen kalten, steifen Fingern den Winter. Wir verkehrten mit niemandem und niemand kam zu uns. In der ersten Zeit beklagte sich meine Mutter viel über ihre Lage, aber nach und nach verstummten auch diese Klagen, und es wurde so still bei uns, daß man die Zeit verrinnen hörte.

Die Stube war trüb und feucht; an meiner Bettwand wuchsen Schwämme, und die wenigen Möbel, die wir noch hatten, fielen in Stücke. Ich hatte keine Kleider mehr und ging nie mehr aus; alles, was draußen zu besorgen war, tat meine Mutter.

Wenn ich trotzdem von jener Zeit erzähle, so ist es, um zu sagen, daß ich damals nicht nur nicht unglücklich war, sondern viel glücklicher, als ich es später gewesen bin in scheinbar viel günstigeren Verhältnissen und beneidet von vielen. Denn dieses äußerlich so arme und freudlose Dasein war innerlich reich und licht.

Die Kraft der Hoffnung ist in der Jugend so groß, daß sie allen Schwierigkeiten des Lebens mit verächtlichem Lächeln gegenüber steht, und was uns in späteren Jahren als schwerer Kummer niederdrücken würde, nimmt sie voll Mut auf ihre starken Schultern. Für den, der noch ein ganzes Leben vor sich hat, ist eine dunkle Gegenwart nichts, die Zukunft alles.[22]

Es kam bei mir noch ein Umstand hinzu, der mich bis zur völligen Gleichgültigkeit gegen meine Lage abstumpfte.

Mein Gedankenleben war immer ein sehr reges; die Mißstimmung zwischen meinen Eltern, ihre Geldsorgen, unsere gänzliche Verarmung hatten zur Folge, daß ich fast gänzlich überlassen blieb und das in einem Alter, wo die Seele am empfänglichsten und die Eindrücke am reichsten sind. Ich wurde still und verschlossen, gewöhnte mich daran, mit all meinem Denken allein fertig zu werden, was wieder das Bedürfnis nach Einsamkeit und Ruhe wachrief.

Wenn ich jetzt in dem traurigen Schweigen unseres Zimmers bei der Arbeit saß, erschuf sich meine Phantasie eine schöne und glückliche Welt, in die hinein ich mich rettete, in der ich eigentlich lebte. Die Dinge, die tagsüber meinen Geist beschäftigt hatten, verwebten sich nachts mit meinen Träumen. Erst nur in verworrenen, unklaren Bildern, aber wie ich dann wieder am Tage über das Geträumte sann und es weiterspann, bekamen sie bestimmtere Formen und nach und nach einen gewissen Zusammenhang, ohne je ein Ganzes zu werden. Diese abgerissenen Bilder eines eingebildeten Lebens, diese Traumgestalten wurden mir teuer und vertraut, ich lebte in und mit ihnen, während mir mein wirkliches Leben ganz wertlos wurde und ich in ihm nur noch eine unangenehme Unterbrechung dieses entzückenden Daseins sah.

Dieses Doppelleben war jedoch durch keine krankhafte Disposition begründet, denn ich war trotz der Entbehrungen, die ich zu ertragen hatte, und der ungünstigen hygienischen Bedingungen, unter denen ich lebte, merkwürdigerweise sehr gesund und von blühender Frische.
[23]

Einige Jahre gingen in dieser Weise hin. Dann trat unerwartet eine Veränderung ein.

In einer Nacht wurde meine Mutter durch Stöhnen, das aus einem benachbarten Zimmer kam, aus dem Schlaf geweckt. In diesem Zimmer wohnte seit einigen Wochen eine junge Frau mit ihrem Kinde. Da das Jammern nicht aufhörte, stand meine Mutter auf, um nachzusehen, was es gäbe.

Sie fand die Frau sich in Krämpfen windend. Meine Mutter machte ihr Tee, hüllte sie in warme Tücher und hatte bald die Genugtuung, zu sehen, wie die Schmerzen nachließen und die Kranke ruhig einschlief.

Aus Erkenntlichkeit für die erhaltene Pflege, erbot sich die Frau, mich das Handschuhnähen zu lehren, mit dem sie sich ihren Unterhalt verdiente und das besser bezahlt wurde als Soldatenwäsche. Auch verpflichtete sie sich, mich in das Geschäft einzuführen, für das sie arbeitete und in dem auch ich gewiß das ganze Jahr Beschäftigung finden würde.

Ich nahm das Anerbieten um so lieber an, als das Handschuhnähen eine delikate feine Arbeit ist, die mir mehr zusagte, als das Nähen von grober Leinwand.

Ich verdiente damit sechzig Kreuzer täglich, und da meine Mutter weiter Soldatenwäsche nähte, waren wir beinahe reich.

Bald darauf verließen wir den entsetzlichen Stadtteil und bezogen eine kleine Hofwohnung in einem großen, beinahe eleganten Hause. Es befanden sich darin ein Bäcker- und ein Spezereiladen. Da man bei Licht nicht Handschuhe nähen kann, und um die Abendstunden nicht unbeschäftigt zu sein, bewarb ich mich bei den vielen Parteien[24] im Hause um Strickarbeit, die ich, da mir die Hausmeisterin zur Seite stand, auch bald und reichlich erhielt. In diesem Hause, in dem alle Bewohner sehr freundlich zu mir waren, bekam ich auch Zeitungen und Bücher geliehen, und da ich zum Stricken nur meine Hände, die Augen aber fast gar nicht brauchte, hatte ich, wenn ich strickend und lesend bei der Lampe saß, genußreiche Stunden.

Das Handschuhnähen hatte das Unangenehme für mich daß es mich zwang, einmal in der Woche auszugehen: ich mußte die fertige Arbeit abliefern und andere nehmen. Das war nicht nur mit Kosten verbunden, denn ich mußte wieder die notwendigsten Kleider haben, sondern es wurde mir auch dadurch peinlich, daß ich ganz entwöhnt war, unter Menschen zu gehen und immer in Angst und Aufregung geriet, wenn ich durch belebte Straßen mußte.

Wir hatten etwa ein Jahr da gewohnt, als ein frühzeitiger und sehr strenger Winter begann. Ich hatte nichts Warmes anzuziehen, auch fehlte es mir an Schuhen. In meiner Not nahm ich ein Paar weiße Atlasschuhe, die ich noch aus frühern Zeiten hatte, schwärzte sie mit Tinte und zog sie an, so oft ich ausgehen mußte. Es war mir, als ginge ich mit nackten Füßen auf dem Pflaster. Bald hatte ich mich stark erkältet und ein schmerzhaftes Magenleiden stellte sich ein. Da ich mich nicht pflegen konnte und weiter arbeiten und ausgehen mußte, wurde es immer schlimmer. Ich konnte mich um so weniger schonen, da die Militärverwaltung die Wäscheausgabe eingestellt hatte und meine Mutter schon seit Wochen ohne Arbeit war.

Es brachen furchtbare Zeiten für uns an. Jeden stand ich auf und versuchte zu arbeiten, mußte[25] es aber, von Schmerz überwältigt, bald wieder aufgeben. Ich konnte nur noch flüssige Nahrung zu mir nehmen und wurde mit jedem Tage schwächer. Alles, was wir noch von nur einigem Wert besaßen, darunter mein einziges Kleid, war bald verpfändet oder verkauft. Eine Gemüsefrau in der Nachbarschaft gab uns während einiger Wochen täglich für zwei Kreuzer Kartoffel auf Kredit, reduzierte diesen aber dann auf einen Kreuzer und stellte ihn schließlich ganz ein. Milder verfuhr unsere Milchfrau. Sie war eine arme Bäuerin, die jeden Morgen mit den schweren Milchkannen auf dem Kopf mehrere Stunden weit vom Lande nach der Stadt kam. Als wir sie nicht mehr bezahlen konnten, sagte sie kein Wort und brachte uns jeden Tag die Milch, so gut und so freundlich wie früher. Ohne die Güte dieser Bauernfrau wäre ich kaum mehr am Leben, denn ihre Milch war meine einzige Nahrung. Ebenso human verfuhren der Arzt und der Apotheker. Als es recht schlecht mit mir ging, hatte meine Mutter den uns zunächst wohnenden Arzt geholt, der eine große Praxis und einen bedeutenden Ruf hatte. Er mochte bei seinem ersten Besuch wohl erkannt haben, daß hier kein Honorar zu erwarten sei, und trotzdem kam er zwei- bis dreimal die Woche. Dem Apotheker hatte meine Mutter gleich gesagt, daß sie nicht zahlen könne und nicht wisse, ob sie es je können werde, und er gab alle Medikamente umsonst.


Meine Mutter, die sehr stark war, magerte in wenigen Wochen in erschreckender Weise ab. Der Hunger peinigte sie Tag und Nacht. Um ihn zu vergessen, sang[26] sie religiöse Lieder oder las in einem alten Gebetbuch. Sie hatte das Hungerfieber, und zuweilen, wenn ich nachts gar zu sehr litt, kam sie an mein Bett, und da sah ich, wie der Schweiß in großen Rinnen von ihrem zitternden Körper floß; dann blickten wir uns an und weinten. Wenn sie es vor Hunger gar nicht mehr aushalten konnte, stand sie nachts, wenn das ganze Haus schlief, auf, schlich vorsichtig in den Hof und suchte in der Unratkiste nach alten Brotstücken, die die Bäckerjungen oder die Dienstmädchen weggeworfen hatten. Sie reinigte sie, weichte sie im Wasser und verschlang sie mit Gier. Und wenn der Geruch von warmem Brot durch das Haus zog, stellte sie sich vor die Türe, um die köstliche Luft einzuatmen. An Markttagen ging sie mittags auf den Hauptplatz und suchte in den zurückgelassenen Resten Rüben und Krautblätter, die sie roh aß.

Ohne uns darüber auszusprechen, waren wir überzeugt, daß ich nie wieder gesund würde. Der Gedanke zu sterben, erschreckte mich nicht; ja, ich hoffte, daß es bald sein würde und wünschte nur, daß wir beide zu gleicher Zeit erlöst würden. Es war mir deshalb eine schmerzliche Überraschung, aus den Reden meiner Mutter zu merken, daß sie beabsichtigte, mich in das Spital schaffen zu lassen. Ich sah wohl, daß ich ihr eine schwere Last war, und daß ich im Spital bessere Pflege finden würde; allein der Gedanke, daß ich mich von ihr trennen sollte, jetzt, wo die ewige Trennung schon so nahe schien, war mir unfaßbar. – Ich merkte auch, daß sie ihr Gebetbuch immer an der Stelle aufgeschlagen hatte, wo die Gebete für Sterbende und Tote waren, und, um ihr zu zeigen, daß ich wußte, woran ich sei, bat ich sie, mir diese vorzulesen, was sie tat.
[27]

Darüber kam das Weihnachtsfest. Am heiligen Abend war es das erstemal, daß meine Mutter sich beklagte: der Gedanke, die Feiertage ohne Nahrung zu verbringen, entlockte ihr Tränen. Ich konnte das nicht ertragen, und, all meine Kräfte und all meinen Mut zusammennehmend, stand ich auf und setzte mich an die Maschine, um wenigstens ein Paar Handschuhe zu nähen, damit sie nur Brot habe. Während ich von Decken und Kissen umhüllt und gestützt an der Arbeit saß, ging sie aus, um, was sie jetzt oft tat, die in den Schaufenstern ausgestellten Eßwaren mit den Augen zu genießen.

Als sie heimkam, fand sie mich bewußtlos am Boden liegen.

Schon seit Monaten konnten wir kein Licht mehr anzünden, aber so schwer und drückend wie an diesem Weihnachtsabend hatten wir die Dunkelheit noch nie empfunden.

Das Schweigen dieser langen traurigen Stunden wurde plötzlich durch Klingeln an unserer Türe unterbrochen. Es war Frau Z ....., die Frau des Spezereihändlers im Hause, mit einem großen Korb voll eßbarer Dinge. Etwas verwirrt bat sie meine Mutter, das »Christgeschenk« freundlich anzunehmen; sie sagte, sie habe schon lange vermutet, daß es uns nicht gut gehe und gewünscht, uns beizustehen, aber immer gefürchtet, uns zu beleidigen; erst als sie heute nachmittag durch ihr Küchenfenster gesehen habe, wie ich, krank und elend, zu arbeiten versuchte und darüber zusammengebrochen sei, habe sie sich entschlossen, nicht länger zu warten und das Weihnachtsfest zu benützen, um uns zu Hilfe zu kommen. Frau Z ..... brachte nicht allein Eßwaren, sie sandte[28] uns auch Kohlen, Holz, Öl und Wein für mich. Das gab ein Christfest, wie wir es schon lange Jahre nicht mehr gehabt hatten. Und als ob mir nichts als kräftige Nahrung gefehlt, wurde ich schnell wieder gesund und arbeitsfähig. Auch meine Mutter bekam bald nach den Feiertagen wieder Arbeit, und so begann unser früheres Leben von neuem.

Ich selbst war nur noch äußerlich dieselbe. Während der langen Leidenszeit hatte sich mein Auge für die Dinge des Lebens geschärft, und was ich geschaut, erfüllte mich mit Schrecken und Entsetzen. Das Leben, das so ungerecht und grausam mit mir verfahren, flößte mir Furcht ein, und diese Furcht hat mich nie mehr verlassen. Mein Verstand, der bis dahin von Träumen eingelullt gewesen, war erwacht und in Schmerzen gereift. Der Entschluß, ein Leben abzuschütteln, das mir nur Erniedrigungen und Leiden gebracht hatte und auch in Zukunft bringen würde, stand fest bei mir. Wie ich ihn ausführen würde, darüber sann ich Tag und Nacht. Solange meine Mutter lebte, mußte auch ich leben – vorausgesetzt, daß ich gesund blieb und für sie arbeiten konnte –, sobald sie aber starb, wollte auch ich mich befreien.

Nachdem das in meinem Geist geordnet war, kam eine große Ruhe über mich: was jetzt auch kommen sollte, das Ärgste, es konnte mich nur der Erlösung zuführen.


Wieder gingen Jahre hin.

Ich las sehr viel. Das Lesen ersetzte mir, was mir früher meine Träume waren: es lenkte meine Gedanken vom eigenen Leben ab.

Ich war sechsundzwanzig Jahre alt, als ich die Bekanntschaft[29] einer Frau machte, die die erste Veranlassung sein sollte, daß mein Leben plötzlich eine ganz andere Wendung nahm.

Frau Frischauer, so hieß meine neue Bekannte, war – ich weiß von ihr nur, was sie mir selbst erzählte – die Tochter eines sehr bekannten Rabbiners. Sie lebte getrennt von ihrem Manne, der in Brünn eine Porzellanfabrik besessen hatte, dann verunglückt war und sich jetzt in Wien »durchzuschlagen« suchte. Für ihren und ihrer Kinder Unterhalt, sagte sie, sorgten ihre wohlhabenden Verwandten. Sie hatte drei Söhne, von welchen der älteste, Berthold, und der jüngste, Otto, mit ihr lebten, während der zweitälteste, Emil, sich Studien halber in Rom aufhalte.

Es waren noch Reste einer ehemaligen Schönheit an ihr, doch war ihre Gestalt schon stark deformiert, ihre Haltung nachlässig und ihr Gang unschön. Sie selbst aber glaubte noch an diese Schönheit und benahm sich danach. Sie war in der Stadt eine sehr gekannte Erscheinung, wohl am meisten wegen ihrer auffallenden und zugleich abgetragenen Toiletten. Sie besaß einen sehr kühnen Geist und die Gabe, ihre Gedanken schlagfertig und mit einem unerschöpflichen Reichtum von Worten zu verteidigen. Sie war skeptisch, spottete über alles, achtete nichts und glaubte an nichts – außer an sich: an die Macht ihres Geistes und ihrer Schönheit. So erschien sie mir, eine Frau voll Geist und ohne eine Spur von Verstand.

Frau Frischauer kam bald jeden Tag zu uns, und ich sah sie gern kommen, denn sie war stets mit Büchern und Zeitungen beladen, die sie mir in der freundlichsten Weise lieh. Mit ihr kam gleichsam ein Strom frischen[30] aktuellen Lebens in die Abgeschiedenheit meiner Stube, denn sie hatte alles gelesen, alles gesehen, alles gehört, kannte alles und alle und sprach über alles und alle in ihrer spöttischen, aber immer amüsanten Weise.

Es war mir gleich zu Anfang unserer Bekanntschaft aufgefallen, daß sich Frau Frischauer ganz besonders für die Gebräuche in der katholischen Kirche interessierte und mich immer danach frug. Damals glaubte ich, es sei nichts weiter als das Interesse der Jüdin an dem fremden Glauben, und erst viel später erfuhr ich, daß, gerade in dieser Zeit, ihr Sohn Emil, der sich »studienhalber« in Rom aufhielt, dort Katholik geworden sein soll. – Eines Tages erzählte ich ihr die Geschichte meiner ersten Beichte. Sie hörte mich sehr aufmerksam an und frug mich dann wieder nach all den Formen, die dabei zu beachten seien. Nachdem ich ihr alles gesagt hatte, erklärte sie, daß sie sich den Spaß machen werde, zur Beichte zu gehen und dem Geistlichen Dinge zu sagen, die ihn schwitzen machen sollten, aber in anderer Weise als meinen Franziskaner. Da ein derartiges Unternehmen, besonders bei ihrem stark ausgeprägten semitischen Typus, üble Folgen für sie haben konnte, warnte ich sie davor; das eiferte sie aber nur noch mehr an. Während einer Woche übte sie fleißig die Beichtgebete, zugleich ging sie in alle Kirchen, um unter den funktionierenden Geistlichen ihren Beichtvater zu wählen. Ihre Wahl fiel auf einen noch ganz jungen und sehr schönen Minoriten, der erst vor Kurzem zum Priester geweiht worden war.

Sie kam nach ihrem Beichtabenteuer in ausgelassener Laune direkt zu uns und erzählte mir, wie es war. Am meisten freute es sie, daß ihr der Priester die Absolution versagt und sie zu weiterem Besuch des Beichtstuhls[31] aufgefordert hatte. Ich wendete alle Mühe auf, sie davon abzubringen, auch zur Kommunion zu gehen. Nachdem sie so schlechten Gebrauch von meinem Vertrauen gemacht hatte, wich ich von nun an allen religiösen Gesprächen aus.

Eines Tages brachte mir Frau Frischauer ein Buch, das sie mir ganz besonders empfahl. Es war »das Vermächtnis Kains« von Sacher-Masoch. Aus den Zeitungen, die ich las, wußte ich, daß er, seit wir in der Nähschule für ihn geschwärmt hatten, seinen Weg gemacht und ein berühmter Mann geworden war, aber ich hatte nie etwas von ihm gelesen, und freute mich jetzt, sein bedeutendstes Werk kennen zu lernen. Da Frau Frischauer, wie einst Fräulein v. Wieser, mir sehr viel von ihm erzählte, besonders über sein Privatleben, fand ich darin gleichsam den Schlüssel zu dem, was mir in seinen Novellen manchmal unverständlich oder abstoßend war. Die genaue Kenntnis alles dessen, was Sacher-Masoch betraf, erklärte Frau Frischauer dadurch, daß ihr Sohn Berthold sein intimer Freund und fortwährend mit ihm zusammen sei, und man sie darum in der Stadt »Sacher-Masoch und sein Schatten« nannte. Nachdem ich wußte, daß Berthold Frischauer erst neunzehn Jahre alt war, Sacher-Masoch aber stark in den Dreißigern sein mußte, wunderte ich mich etwas über die »intime« Freundschaft zweier Männer von so verschiedenem Alter, und erfuhr darauf, daß Berthold sich vorbereite, Journalist zu werden, daß er Sacher-Masoch bewundere, und daß dieser solcher Verehrung gegenüber gern bereit war, dem angehenden Journalisten auf den rechten Weg zu helfen, indem er ihn mit Blättern in Verbindung brachte und ihn sonst noch mit diesem Beruf vertraut machte. Auch war Sacher-Masoch durch die Stellung[32] seines Vaters, des ehemaligen Polizeipräsidenten, sowie durch seine eigenen literarischen und verwandtschaftlichen Beziehungen zu einflußreichen und hochgestellten Personen für einen jungen strebsamen Zeitungsmann eine Fundgrube für alle Arten von Informationen. Die Freundschaft für Sacher-Masoch hatte außerdem für Mutter und Sohn noch das Angenehme, daß sie ihnen freien Eintritt in die Theater verschaffte, wovon beide täglich Gebrauch machten.

Bald war ich durch Frau Frischauer au courant über allen literarischen und Theaterklatsch, hauptsächlich aber über alle Liebschaften Sacher-Masochs. Nach ihr war er ein Mann, der alle Frauen »faszinierte,« und hinter dem sie alle her waren. Er hatte die vornehmsten schönsten und interessantesten Frauen besessen, aber noch sei keine imstande gewesen, ihn dauernd zu fesseln. Ganz unverständlich, sagte sie, sei ihr deshalb seine kürzlich stattgehabte Verlobung mit der Schauspielerin Jenny Frauenthal, denn an dem »jungen Ding« sei doch gar nichts, und ein bedeutender Mann, wie er, könne nur wieder von einer bedeutenden Frau verstanden werden. Sacher-Masoch habe Berthold zwar anvertraut, daß er all diese »interessanten« Verhältnisse satt habe, sich nach dem Frieden der Ehe sehne, und dafür sei ein junges, unerfahrenes, unschuldiges Mädchen, wie Jenny Frauenthal, gerade das, was er brauchte.

»Aber geben Sie acht,« setzte Frau Frischauer, wenn sie davon sprach, hinzu, »wenn es wirklich zu dieser Ehe kommen sollte, was ich lieber nicht glauben will, vergeht kein Jahr und wir erleben eine Scheidung. Denn wenn ein Mann nicht zur Ehe taugt, so ist es Sacher-Masoch. Dazu ist er viel zu phantastisch.«[33]

Ich dachte nicht wie Frau Frischauer und sagte es ihr. Diese Ehe gefiel mir. Ich konnte ganz gut begreifen, daß Sacher-Masoch, seiner aufregenden Verhältnisse müde, sich ein häusliches Glück zu gründen suchte, das er im Besitz einer hübschen und geliebten jungen Frau zu finden hoffen durfte. Es war sein »Märchen vom Glück,« das er sich erbauen wollte. Und dann war Fräulein Frauenthal erst siebzehn Jahre alt, ein Alter, in dem fast jede Frau mehr oder weniger »ein dummes Ding« ist, und er würde sie schon zu der Frau erziehen, die ihn glücklich machen konnte.

Frau Frischauer lachte.

»Sie kennen Sacher-Masoch nicht,« sagte sie. »Sein Märchen vom Glück ist die ›Venus im Pelz‹. Er braucht eine Frau, die ihn unterjocht, ihn an die Kette legt wie einen Hund, und Fußtritte gibt, wenn er zu knurren wagt.«

Ich war überzeugt, daß sie sich irrte. Ich kannte Sacher-Masoch länger als sie und gründlicher. Ich erinnerte mich ganz genau dessen, was uns Fräulein v. Wieser über ihn und sein reines und schönes Verhältnis zu seiner Braut erzählt hatte. Auch war ich überzeugt, daß hervorragende Menschen in ihren Handlungen immer edlen Motiven folgen. Doch darüber konnte ich mit Frau Frischauer nicht streiten. Mein Urteil entsprang meinem Gefühl und stand deshalb, das wußte ich wohl, ihrer praktischen Lebenserfahrung gegenüber auf schwachen Füßen. Auch war ich im Grunde weit davon entfernt, an Sacher-Masoch denselben warmen Anteil zu nehmen, wie sie, die bald von nichts anderem mehr sprach, und so schien es mir, auch an nichts anderes mehr dachte. Ich hörte gern, was sie mir von ihm erzählte, aber das Interesse[34] an ihrem Geplauder ging nicht tiefer, als ich es sonst an irgend einem interessanten Buch genommen hätte, d.h. es war mir eine Ablenkung meiner Gedanken von mir selbst.

Frau Frischauer brachte mir auch »Die geschiedene Frau,« und sagte mir, die Heldin sei die schöne Frau v.K..., und daß in dem Verhältnis, das Sacher-Masoch mit ihr gehabt, sich alles genau so zugetragen habe, wie es in dem Roman erzählt sei.

Während ich das Buch las, tauchte in meiner Erinnerung wieder das blasse edle Gesicht auf, dessen Anblick mich als Kind so tief bewegt hatte; doch war es mir unmöglich, es mit dem in Zusammenhang zu bringen, was der Schriftsteller von der unglücklichen Frau erzählte, und ihr Bild blieb in meinem Gedächtnis so rein und schattenlos wie früher. –

An einem Tage kam Frau Frischauer wie eine Bombe in mein Zimmer geplatzt.

»Die Verlobung Sacher-Masochs mit der Frauenthal ist verkracht!« rief sie, und in einem Strom von Worten, die sich überstürzten, durcheinander rollten, verwirrten und jagten, erzählte sie mir, was vorgefallen war.

Man hatte im Verlauf des Winters Stücke von Sacher-Masoch gegeben, in welchen Fräulein Frauenthal und der Heldenliebhaber, Herr Rall, die Hauptrollen spielten. Ich wußte von Frau Frischauer, daß Sacher-Masoch seiner Braut ihre Rollen selbst einstudiert und die Proben geleitet hatte. Das gab Veranlassung, daß sich zwischen den Verlobten und Herrn Rall ein freundschaftlicher Verkehr entwickelte; jeden Abend sah man sie zusammen im Theater und nach diesem im Hotel »Erzherzog Johann« soupieren.[35] Sacher-Masoch schien an der Gesellschaft des Schauspielers ein ganz besonderes Gefallen zu finden.

Frau Frischauer nannte das »les fiançailles à trois,« und sagte mit viel Spott voraus, was nun wirklich eingetroffen war. Nach ihrer Meinung hatte sich Sacher-Masoch mit seiner unbedeutenden Braut zu Tode gelangweilt und absichtlich den allgemein für sehr schön geltenden Schauspieler herangezogen, um durch ihn einen Grund zur Auflösung seines Verhältnisses mit Fräulein Frauenthal zu bekommen.

Es hatte mich schon oft geärgert, daß Frau Frischauer alle Dinge so lange wendete und drehte, bis sie an ihnen eine Seite entdeckte, an der sich ihre Spottsucht klammern konnte. Ich sagte ihr jetzt, daß sie doch nicht wissen könne, was eigentlich vorgefallen war, und welche Gründe Sacher-Masoch eigentlich habe, um seine Verlobung aufzulösen; die Art, wie sie die Sache auffasse, setze bei Sacher-Masoch eine sehr häßliche Denkweise voraus, denn dadurch käme alle Schuld auf das junge Mädchen, und ein Ehrenmann tue das nicht.

»Aber, um Gotteswillen,« rief Frau Frischauer, »warum soll er denn eine Person heiraten, die er nicht liebt, die nicht zu ihm paßt, und mit der er sein ganzes Leben lang unglücklich wäre, bloß deshalb, weil er sich in einem dummen Augenblick mit ihr verlobt hat?«

»Aber das, dieses Nichtzusammenpassen, ist ja hinreichend Grund, eine Verlobung in anständiger Form zu lösen; er brauchte deshalb Fräulein Frauenthal in keine schiefe Lage zu bringen.«

»Ach Gott, Sie verstehen Sacher-Masoch nicht. Von solchen Geistern muß man nicht erwarten, daß sie grade Wege gehen.«[36]

»Es gibt Fälle, und dieser ist ein solcher, wo man aus Ehrenhaftigkeit keinen anderen, als den graden Weg gehen kann.«

»Nein, Sie haben unrecht, tausendmal unrecht. Das ist gut für Spießbürger. Geniale Menschen werden mit anderem Maß gemessen. Ich wiederhole Ihnen, Sie kennen Sacher-Masoch nicht. Wollen Sie mit mir wetten, daß ihm die schlechteste, verworfenste Frau die liebste ist?«

Frau Frischauer war ihrer Sache gar zu sicher; das reizte mich, und ich nahm die Wette an. Aber, wie wollte sie den Beweis erbringen? Sie sagte, das sei sehr leicht; sie werde mit Sacher-Masoch unter falschem Namen eine Korrespondenz beginnen, und ich sollte alle Briefe, die gewechselt würden, lesen. Und gleich, noch bei mir, setzte sie sich hin und schrieb einen so schamlosen Brief an Sacher-Masoch, daß ich keinen Augenblick zweifelte, sie würde ihn entweder gar nicht absenden, oder niemals eine Antwort darauf erhalten.

Schon am nächsten Tage kam sie mit der Antwort. Sie war seltsam. Sacher-Masoch schrieb, er habe den Brief mit Entzücken gelesen, doch sei sein Vergnügen bald wieder der Überzeugung gewichen, daß sie sich mehr zutraute, als sie zu halten imstande sei: Frauen seien in allem schwach, im Guten wie im Bösen, und eine schwache Frau sei sein Ideal nicht. Aus Furcht, wieder eine schmerzliche Enttäuschung zu erleben, ziehe er es vor, den Lockungen seiner unbekannten Briefschreiberin zu widerstehen.

Die Absicht, die Absenderin zu neuen entscheidenden Schritten zu reizen, war klar.

Frau Frischauer schrieb, und zwar so, als sei sie die lasterhafteste, grausamste und kaltblütigste Person;[37] dieser Brief war ebenso abscheulich als lächerlich. Er brachte eine flammende Antwort. Sacher-Masoch warf sich seiner Korrespondentin zu Füßen und flehte sie an, ihn als ihren Sklaven in Ketten zu legen; ihr Brief habe ihn ganz berauscht, er könne an nichts anderes mehr denken und erwarte mit qualvoller Ungeduld die Stunde, wo sie die Gnade haben werde, ihm zu gestatten, den Boden zu küssen, den ihr Fuß berühre. Zum Schluß sagte er noch, er sei überzeugt, ein Weib von so dämonischem Charakter wie sie müsse prachtvolle Pelze haben und wunderbar darin aussehen; er genieße schon jetzt bei dem Gedanken, daß es ihm einst erlaubt sein würde, sein Gesicht in dem warmen Duft dieser Pelze zu baden.

Frau Frischauer hielt sich die Seiten vor Lachen. Sie triumphierte, sie hatte ihre Wette gewonnen.

Ich konnte es nicht fassen. Einen Augenblick kam mir der Verdacht, Frau Frischauer halte mich zum Besten. Doch das war unmöglich; die Briefe Sacher-Masochs hatten ein zu persönliches Cachet, sie waren in ihrer Verrücktheit zu aufrichtig, zu echt, um dem Gedanken einer Fälschung stand zu halten. Aber, war so etwas möglich? War es möglich, daß ein Mann von Sacher-Masochs Stellung und Bedeutung sich in dieser Weise einer ihm gänzlich unbekannten Person auslieferte? Ich konnte es mir nur damit erklären, daß er von seiner Seite auch nur Spaß trieb.

Der Briefwechsel ging noch eine Weile so weiter; dann aber verlangte Sacher-Masoch so dringend, seine Korrespondentin kennen zu lernen, daß Frau Frischauer einsah, sie müsse entweder abbrechen oder in ein Rendezvous willigen. Abbrechen wollte sie nicht. Ich glaube, sie hatte sich in ihre Rolle ein wenig hineingelebt, und[38] es schmeichelte ihr, Sacher-Masoch, wenn auch nur brieflich, für sie so entflammt zu sehen. Es war gerade die Zeit der Maskenbälle – die sollten sie aus der Verlegenheit reißen. Sacher-Masoch hatte sie zwar schon wiederholt gesehen, aber nie gesprochen.

In einen Domino gehüllt, der das Zuviel ihrer Gestalt verbarg – übrigens wußte sie, daß er starke Frauen liebe – und nur Augen, Hände und Füße sehen ließ, die noch sehr schön waren, konnte sie ihm, dem seine Leidenschaft wahrscheinlich nicht mehr richtig zu urteilen erlaubte, wohl gefallen.

Der Plan war gut erdacht und sie ging mit Eifer an seine Ausführung. Die Geschichte amüsierte sie jetzt um so mehr, als Berthold ihr erzählt hatte, Sacher-Masoch habe ihm gesagt, er stehe seit einiger Zeit mit einer russischen Fürstin in Korrespondenz, die das geistvollste Weib sei, das er je gekannt habe; dabei zitierte er ihm Sätze aus ihren Briefen, die Berthold nicht weniger bewunderte als sein Freund Sacher-Masoch. Ich habe schon gesagt, daß Frau Frischauer sehr eitel war. Sie war es vielleicht noch mehr auf ihre Söhne, als auf sich selbst; daß Berthold imstande war, ihren Geist so richtig zu beurteilen, machte sie ganz stolz. Da, mitten in der Freude über den schönen Verlauf ihrer Intrigue, und schon ganz voll von dem Vergnügen, das sie bei ihrer Begegnung mit Sacher-Masoch auf der nächsten Redoute erwartete, kam ein furchtbarer Schlag, der all ihre lustigen Pläne zertrümmerte.

Sacher-Masoch hatte seinem Vertrauten, Berthold, einen der Briefe seiner russischen Fürstin zu lesen gegeben, und der Sohn hatte darin die Schrift seiner Mutter erkannt. –
[39]

Es war zu einer furchtbar stürmischen Szene zwischen beiden gekommen. Frau Frischauer leugnete, leugnete bis aufs Messer. Aber Berthold wollte nicht glauben und verbot seiner Mutter, je wieder eine Zeile an Sacher-Masoch zu schreiben, wenn sie nicht Skandal in der Familie wolle.

Für Frau Frischauer war natürlich die Sache damit zu Ende. Nur ihre Briefe wollte sie um jeden Preis wiederhaben. Doch, wie sie bekommen? Sie war ganz bestürzt. Nur ich konnte helfen, denn ich allein wußte von der Sache. Sie bat mich, an Sacher-Masoch zu schreiben und ihm zu sagen, daß infolge einer Indiskretion seine Korrespondentin wegen ihres Briefwechsels mit ihm ihrer Familie gegenüber in eine schwierige Lage geraten war und ihn durch mich, ihre Freundin, bitten ließe, die Sache als abgebrochen anzusehen und mir ihre Briefe, gegen Austausch der seinen, zuzusenden. Ich schrieb den Brief in diesem Sinne, und Frau Frischauer brachte ihn zur Post. Sie hatte ihre Briefe »Wanda von Dunajew,« nach der Heldin der »Venus im Pelz,« unterzeichnet, und jetzt sollte Sacher-Masoch die Antwort an mich unter demselben Namen senden.

Den nächsten Tag brachte Frau Frischauer die Antwort von der Post. Sacher-Masoch schrieb, er wäre bereit, die Briefe zurückzugeben, jedoch nur unter der Bedingung, sie der »Freundin« persönlich einzuhändigen.

Das war eine neue Schwierigkeit.

Jetzt bat mich Frau Frischauer, ich sollte Sacher-Masoch ein Rendezvous geben, um ihre Briefe zu bekommen und ihm die seinen zu geben.

Seitdem ich nicht mehr daran zweifeln konnte, daß[40] nicht ich, sondern Frau Frischauer Sacher-Masoch richtig beurteilte, hatte mein Interesse für ihn sehr abgenommen. Was ging mich die Geschichte überhaupt an? Ich suchte ihr das begreiflich zu machen und auch, daß sie von mir nicht verlangen könne, mich persönlich einzumischen. Sie wurde aber nur noch dringender, und suchte mir, sehr beredt, zu beweisen, daß ich sie nicht in dieser Lage lassen dürfe, daß Sacher-Masoch furchtbar indiskret sei, und sie mit ihrer Familie, von der sie abhänge, in ernste Unannehmlichkeiten geraten würde, wenn dieser etwas davon zu Ohren käme, und daß sie niemanden habe, dem sie sich anvertrauen könne; auch würde es mich durchaus nicht kompromittieren, da Sacher-Masoch mich nicht kenne und die Welt von dem Rendezvous nichts erfahren würde.

Alle diese Gründe waren nicht danach, mich ihrem Wunsche geneigt zu machen. Warum hatte sie, wenn sie so wenig frei war und so ernste Rücksichten zu nehmen hatte, diesen Briefwechsel, der doch zu irgend einem Resultat, wenn auch nur zu dem, sie zu kompromittieren – zu dem wahrscheinlich am ehesten – führen mußte, so leichten Herzens unternommen? Daß mich ein Rendezvous mit Sacher-Masoch nicht bloßstellen könne, weil die »Welt« für mich ebensowenig existierte als ich für sie, es aber meiner Gefühls- und Denkweise widersprach, mich in meinen Augen herabsetzte, wenn ich es tun würde, mir die Geschichte nicht nur gleichgültig, sondern auch lästig war, und das Opfer, das sie verlangte, in keinem Verhältnis stand zu der Freundschaft, die ich für sie oder sie für mich hatte, das alles konnte ich ihr nicht sagen, und da sie mein Schweigen für halbe Zustimmung nahm, fuhr sie fort, mir zuzusetzen. Schließlich sagte sie mir, ihr[41] Vater sei ein achtzigjähriger Greis und von so strenger Moral, daß, wenn es zu einem Skandal käme, er leicht den Tod davon haben könnte.

Das, und um der Sache ein Ende zu machen, bestimmte mich, ihr ihren Willen zu tun.

War es Ungeduld, ihre Briefe wiederzuhaben oder Mißtrauen gegen mich, was Frau Frischauer den Gedanken eingab, mich zu dem Rendezvous zu begleiten und ein kleines Wegstück von da den Ausgang desselben abzuwarten?

Ich fand Sacher-Masoch zur bestimmten Zeit an dem angegebenen Ort, im hellen Licht einer Gasflamme, auf mich warten. Ich erkannte ihn sofort, obgleich er viel älter und stärker aussah als damals, da ich ihn zum erstenmal mit seiner Braut gesehen. Kaum hatte ich mich ihm genähert, als er mir auch schon das Paket Briefe reichte. Er sagte mir, es tue ihm leid, mich bemüht zu haben. Allein in meinem Brief an ihn befinde sich eine Stelle, die ihm aufgefallen sei und beunruhigt habe; da er nicht hoffen durfte, daß ich ihm auf eine schriftliche Bitte um Aufschluß antworten würde, blieb ihm kein anderes Mittel, als die Herausgabe der Briefe an die Bedingung einer persönlichen Begegnung mit mir zu knüpfen.

Die Stelle in meinem Brief, die er meinte, enthielt eine verdeckte, aber gut gefundene Anspielung auf die so wenig edle Art von Liebe, welche zu der Korrespondenz mit seiner Unbekannten geführt. Es freute mich, daß er sie bemerkt hatte. Die Aufklärung, die er darüber wünschte, gab ich ihm, indem ich ihm, selbstverständlich ohne Namen zu nennen, die Wahrheit sagte, das heißt, ich erzählte, wie ich und Frau Frischauer uns über diejenige[42] seiner Novellen, in die er seine persönliche Auffassung von Liebe gelegt habe, nicht einigen konnten. Daß meine Freundin behauptete, die Liebe, wie er sie in der »Venus im Pelz« schilderte, sei die, die seiner Natur entspräche; während ich, nach den Schilderungen, die mir eine ehemalige Bekannte von ihm gemacht, ein Recht zu haben glaubte, anzunehmen, es sei »das Märchen vom Glück,« in dem er seine persönlichen Ansichten und Ideen über Liebe und Ehe ausspräche.

Während ich gesprochen, hatte Sacher-Masoch scheinbar sehr interessiert zugehört und versucht, den dichten Schleier, den ich vor dem Gesicht hatte, zu durchdringen.

Nachdem ich schwieg, blieb auch er einen Moment ohne zu sprechen. Dann sagte er langsam, vorsichtig, beinahe schüchtern:

»Es wird mir beinahe unmöglich, Ihnen offen und aufrichtig zu antworten, so lange ich nicht weiß, ob Sie Mädchen oder Frau sind.«

Ohne nur einen Augenblick zu überlegen, sagte ich ihm, daß ich Frau sei. Es fuhr mir durch den Kopf, daß es besser wäre, wenn er mich für eine Frau hielte, und daß ich mich auch dann ihm gegenüber freier fühlen würde.

In einer wunderbar reinen Sprache, die mich gleich gefangen nahm, und in einem von überzeugender Wahrheit und tiefer, zurückgehaltener Leidenschaft durchzitterten Ton sagte er mir etwa folgendes: Er habe zwei Frauenideale, ein gutes und ein schlechtes, die sich in ihm um die Herrschaft stritten. Erst habe er mehr dem guten zugeneigt, besonders so lange er unter dem persönlichen Einfluß seiner Mutter gestanden, die ihm das höchste[43] edelste Frauenbild war; doch sei er bald zu der Überzeugung gelangt, daß er dieses Ideal nie finden würde. Die Frauen von heute seien durch die moderne Erziehung, ihre Umgebung, die Macht gesellschaftlicher Konvenienzen verfälscht und verdorben; die beste sei nur eine Karikatur dessen, was sie hätte sein können, wenn man ihrer natürlichen Entwicklung nicht Gewalt angetan hätte. Sie seien moralisch und gut aus Klugheit oder Mangel an Temperament; nichts an ihnen sei echt, und das Unglücklichste sei, daß sie selbst keine Ahnung haben, wie verlogen und geistig verkrüppelt sie seien. Nichts aber sei ihm so verhaßt, wie Unwahres und Gekünsteltes. Die schlechte Frau dagegen sei in ihrer Roheit, ihrem Egoismus und all ihren schlechten Instinkten wenigstens ehrlich. Er wünsche nichts so sehr, als eine edle und starke Frau zu finden; er habe sie gesucht, aber nicht gefunden, sei, müde von all den Enttäuschungen, die er erlebt, nun entschlossen gewesen, es mit dem bösen Ideal zu versuchen. An wahrhaft schlechten Frauen sei kein Mangel, und er ziehe es vor, sich von einem schönen dämonischen Weibe zugrunde richten zu lassen, als sich mit einer sogenannten tugendhaften Frau sein ganzes Leben zu langweilen und geistig zu versumpfen. Das Leben habe nur den Wert, den man ihm gäbe. Er schätze eine Stunde berauschenden Genusses höher, als ein ganzes Jahrhundert eines inhaltslosen Daseins.

Das war der Sinn dessen, was er mir sagte. Er sprach breiter und ausführlicher. Es klang nicht wie ein zufälliges Gespräch; alles, was er sagte, war so fertig, so vollendet als Gedanke wie als Ausdruck, daß es sich anhörte wie ein Vortrag. Es gab da kein Anhalten, kein Zögern, keine Unsicherheit, kein Suchen nach dem besseren[44] Wort, fest, sicher und klar wie die Gedanken war auch die Sprache.

Das war mir neu und fesselte mich.

Als er geendet, wandte er mir sein bleiches, scharfes, von Leidenschaften durchwühltes, beinahe entstelltes Gesicht zu und wartete, daß ich ihm antworten würde.

Was hätte ich ihm sagen sollen?

Die Dinge, auf die er hindeutete, waren mir fremd, wie mir ja das ganze wirkliche Leben da draußen fremd war. Mein sittliches Empfinden wehrte sich gegen die Richtigkeit des Gesagten, während ich aber doch auch wieder das Gefühl hatte, daß so nur die Wahrheit sprechen könne. Auch gefiel mir an ihm, daß ich durchaus nicht bemerkte, als wolle er mir imponieren oder mich belehren; das Gegenteil war der Fall: er war so bescheiden, beinahe demütig, als ob er sagen wollte: »verzeih, daß ich anderer Meinung bin als du und nimm es gnädig auf.« Das zog mich zu ihm hin, rührte und verwirrte mich und nahm mir alle Geistesgegenwart.

»Ich habe Sie doch nicht beleidigt?« frug er, da ich noch immer schwieg, und es klang so, als ob er es ernstlich fürchtete.

»Nein, nicht beleidigt,« beruhigte ich ihn, »aber, was Sie mir sagten, ist zu neu für mich, als daß ich sofort darauf antworten könnte. Ich kann nicht rasch denken ...«

Er sah mich wieder aus seinen dunkeln, tiefliegenden, heißen Augen an, und seine Züge wurden dabei noch schärfer und seine Lippen bebten.

»Ihr Brief,« sagte er, »hat mich seltsam erregt; ich konnte dem Verlangen, seine Verfasserin kennen zu lernen, nicht widerstehen .... Und jetzt entsetzt mich der Gedanke, daß, wenn wir uns die nächste Minute[45] trennen, ich Sie nicht wiedersehen werde ..... Wird es so sein?«

»Ich denke wohl.«

»Wenn ich Ihnen aber sagen würde, daß Sie mir damit einen furchtbaren Schmerz bereiten ..... Daß ich die Empfindung eines Menschen habe, der mit den Wellen kämpft und im nächsten Augenblick untersinken wird, weil sich die einzige Hand, die ihn retten könnte, nicht nach ihm ausstreckt .... Werden Sie ihn versinken lassen?«

Was sollte das sein? Eine Liebeserklärung? Ein böser Scherz? Gewiß keins von beiden. Das Gesicht, das da im hellen Gaslicht zu mir hinblickte, war weder das eines Verliebten, noch das eines Scherzenden, es war wie er sagte: das Gesicht eines Mannes, der in Todesgefahr ist und sich verzweifelt nach Rettung umsieht.

Glücklicherweise fiel mir noch rechtzeitig der leidenschaftliche Ton seiner Briefe an Frau Frischauer ein, und was sie mir über seine Phantastereien erzählt hatte, und verhinderte mich, eine Dummheit zu machen.

Ich erklärte ihm ruhig und bestimmt, daß von weiteren Zusammenkünften keine Rede sein könne. Er frug mich nun, ob er mir schreiben dürfe; ob ich dies und jenes von seinen Büchern gelesen habe; ob er mir das, was ich noch nicht kenne, senden dürfe.

Dem konnte ich nicht widerstehen: eine Korrespondenz mit Sacher-Masoch war gewiß interessant. Und die Bücher! Wie dürstete ich danach!

Ich ging also darauf ein, doch nur, wenn er sich verpflichte, nie und auf keine Weise nach mir zu forschen, was er versprach. Er sagte, es wäre das beste,[46] wenn ich den Namen Wanda von Dunajew für die Adresse behalten würde, und bat mich, gleich den nächsten Tag zur Post zu senden.

So trennten wir uns. Ich hatte ihm zum Abschied die Hand gereicht und er bedeckte sie beinahe ehrfurchtsvoll mit Küssen.

Als ich wieder mit Frau Frischauer zusammentraf, fand ich sie ganz erregt über die lange Dauer meiner Unterredung mit Sacher-Masoch, obgleich diese gewiß nicht länger als eine Viertelstunde gedauert hatte. Sie wünschte, daß ich ihr jedes Wort, das er über sie gesagt, wiederhole, und als ich ihr mitteilte, daß von ihr überhaupt nicht die Rede war, tat sie sehr verletzt. Was wir denn so lange zu reden gehabt haben? »Über Literatur,« sagte ich ihr, gab ihr ihre Briefe und eilte von ihr weg nach Hause. –

Am auffallendsten war mir in Sacher-Masochs Benehmen, daß er an meiner ärmlichen Kleidung keinen Anstoß genommen, denn ich wußte, daß er bei Frauen Eleganz und Luxus noch höher stellte als Schönheit. Die Aufklärung wurde mir viel später: er hielt sie für »Maskerade,« die es ihm unmöglich machen sollte, mich auf der Straße bei einer zufälligen Begegnung zu erkennen. »Ich glaubte um so fester daran,« sagte er mir dann, »als nichts in deinem Wesen mit diesen Kleidern übereinstimmte.«

Am anderen Tag brachte mir meine Mutter ein ganzes Paket von der Post mit Brief, Zeitungen und Büchern. Ich jauchzte vor Freude laut auf. Da war Lektüre für Wochen!

Der Brief war ziemlich kurz. Er dankte nochmals für die gewährte Unterredung, empfahl einige der gesandten[47] Novellen und schloß mit der Bitte, ihm über den Eindruck, den sie mir gemacht, zu schreiben.

Ich ließ eine Woche vergehen, ehe ich antwortete. Es war dann bald ein ununterbrochener Wechsel von Briefen und Büchern zwischen uns.

Ich glaube, ich habe in den Briefen, die ich ihm schrieb, mehr von mir verraten, als ein weltgewandtes Mädchen meines Alters getan hätte. Aber ich war nicht weltgewandt, damals am wenigsten, und ich habe auch später nur sehr Mittelmäßiges in dieser Kunst geleistet.

Darüber war der Frühling gekommen. Frau Frischauer, die nicht mehr so oft, aber doch noch hier und da zu uns kam, hatte mir erzählt, daß Sacher-Masoch nie mehr ins Theater komme, und daß ihr Berthold gesagt habe, er mache jetzt lange Spaziergänge, die seiner Gesundheit sehr zuträglich seien; er arbeite dann abends dafür um so fleißiger.

Das stimmte genau zu dem, was mir Sacher-Masoch selbst über sein gegenwärtiges Leben schrieb, und da er mich in seinen Briefen versicherte, daß die Korrespondenz mit mir ihm alles ersetze, was er bisher an Zerstreuungen gehabt habe, war ich nahe daran, mir einzubilden, daß ich Einfluß auf ihn gewonnen habe.


Seit Jahren, seitdem ich aufgehört hatte, in Träumen zu leben, überfiel mich stets im Frühjahr ein unbeschreibliches Verlangen nach irgend etwas, dem ich keinen Namen geben konnte, das aber wie eine Krankheit an mir zehrte. Von meinem Fenster aus sah ich über der Hofmauer den Gipfel eines Baumes aus dem benachbarten Garten; wenn dieser Baum Knospen ansetzte und Blüten trieb,[48] war es mir, als müßte ich aufstehen, die Türe öffnen, hinausgehen aus meinem Gefängnis, aus dem Hause, die Straße hinauf, aus der Stadt und immer weiter, zwischen Felder und Wälder, im hellen Sonnenschein, den Gesang der Lerchen und den blauen Himmel über mir.

Kurz nach Ostern erhielt ich einen Brief von Sacher-Masoch, der mich arg erregte. Er schrieb mir, daß er meine Briefe mit immer steigenderem Interesse lese, und daß er daraus die Überzeugung gewonnen habe, daß ich schriftstellerisch befähigt sei; ob ich es nicht versuchen wollte, er würde sich mit Freuden zu meiner Verfügung stellen, um meine ersten Schritte zu leiten; ich sollte irgend etwas aus meinem Leben oder sonst Geschautes beschreiben, ganz kurz, in der Größe eines Feuilletons, und ihm einsenden, er würde es, falls es brauchbar sei, einem ihm bekannten Blatt empfehlen.

Ein freudiger Schreck durchfuhr mich. Sollte das möglich sein? Möglich, daß ich nicht jung in Armut und Verlassenheit sterben mußte, daß ich die alten Tage meiner Mutter sichern konnte, daß mein Leben noch Inhalt bekommen sollte? Die Freude hielt aber nicht lange an. Zweifel und Bedenken der verschiedensten Art nahmen mir bald wieder Mut und Hoffnung. Um Schriftstellerin zu werden, fehlte es mir an Wissen, an der Kenntnis des Lebens und der Menschen; was ich auch schreiben würde, dieser Mangel würde sich immer bemerkbar machen. Und dann überkam mich wieder die Furcht vor dem Leben, das mich mehr erschreckte, als der Gedanke an den Tod.

Nein, ich hatte nichts zu tun, als still zu sitzen und das Ende abzuwarten.[49]

So grübelte ich tagsüber, doch als der Abend gekommen war, saß ich nicht lesend wie sonst, sondern schreibend an meinem Fenster.

Nach einigen Tagen sandte ich meine Arbeit an Sacher-Masoch, und er teilte mir noch denselben Tag mit, daß sie gut sei, daß er sie bereits abgeschickt habe, und daß ich gleich etwas Größeres beginnen solle. Ich tat es; doch ehe diese zweite Arbeit noch beendet war, erhielt ich von ihm einen Brief, dem zehn Gulden beilagen mit dem zu unterzeichnenden Empfangsschein eines Wiener Blattes; auch der Abdruck meines Feuilletons lag bei.

Ich reichte meiner Mutter das Geld, aber sie nahm es nicht; sie hielt ihre armen abgearbeiteten Hände fest aneinandergedrückt, damit ich nicht merken sollte, wie sie zitterten, und sah mich nur scheu und verlegen an, als schämte sie sich.

Ich schrieb eine größere Novelle. Sie ging denselben Weg und brachte mir dreißig Gulden ein. Ich hörte auf Handschuhe zu nähen, und begann einen kleinen Roman. In drei Monaten war er beendet und ich erhielt dafür dreihundert Gulden.

Dieser rasche Erfolg würde unwahrscheinlich erscheinen, wäre damals nicht eine außerordentlich günstige Zeit für literarische Produktion gewesen; es war 1872, das Jahr vor dem großen Krach, die Zeit, in der alle Welt riesig in Geld »machte« und neue Zeitungen wie Pilze aus der Erde schossen. Und dann war ich durch Sacher-Masoch, der damals auf der Höhe seines Rufes stand, eingeführt: das erklärt, was sonst unerklärlich wäre.

Ein neues Leben hatte für uns begonnen. Wir wohnten noch in demselben Hause, aber nähten nicht mehr, nährten uns gut, waren anständig gekleidet und gingen[50] täglich einige Stunden ins Freie. Wie wohl uns das beiden tat. Meine Mutter wurde wieder kräftiger und war so heiter und glücklich, wie ich sie nie zuvor gesehen. Ich selbst befand mich in einer Art Betäubung: das Glück war zu plötzlich, zu unerwartet gekommen; es wurde mir schwer, daran zu glauben; ich war beklommen und von einer unbestimmten Furcht gequält. Früher hatte ich Angst vor dem Leben, jetzt traute ich dem Glück nicht. Nur ein Gedanke, ein Gefühl war ganz bestimmt in mir: die Dankbarkeit gegen Sacher-Masoch. Es bedrückte mich, daß ich ihm diesen Dank nicht so ausdrücken konnte, wie es mir ein Bedürfnis war. Das, was ich ihm darüber schrieb, schien mir kalt und arm gegen das, was ich empfand. Doch wie hätte ich mehr sagen können? Erst wenn ich ihm meine Lage auseinandergesetzt hätte, würde er begriffen haben, was er eigentlich für mich getan, und welches Recht er auf meine Dankbarkeit habe .... und das wollte ich nicht.


Sacher-Masochs Briefe waren in der ersten Zeit kurz und vorsichtig; später wurden sie ausführlicher und vertraulicher. Er schrieb mir über alles, was er tat, was täglich bei ihm vorfiel. So wurden die Briefe eine Art Tagebuch, das er mir gleichsam zur Kontrolle seines Lebens vorlegte. In der Zeit, da ich zu schreiben angefangen, gab er mir Ratschläge und Winke, wie ich arbeiten solle, und er erzählte mir von seinen Anfängen.

Dann kam ein anderer Ton in seine Briefe. Er schrieb:

»Seit ich das Glück habe, Sie zu kennen, das heißt, seit Sie die Gnade hatten, mir zu erlauben, an Sie[51] zu schreiben und meine Briefe zu beantworten, ist mein ganzes Denken und Fühlen ein anderes geworden. Es scheint mir, daß ich alle meine verlorenen Ideale wiedergefunden habe: ich glaube und hoffe wieder.

Alle meine Pläne für die Zukunft sind mit dem Gedanken an Sie verknüpft.

Herz und Geist ist gleich voll von Ihnen. Ich weiß nichts von Ihnen, weiß nicht, wer Sie sind, nicht wie Sie aussehen, und doch geht eine geheimnisvolle Kraft von Ihnen aus, der ich mich widerstandslos unterwerfen muß, wie einer Naturgewalt.

Mein Leben gehört Ihnen, machen Sie damit, was Sie wollen.

Ich kann dem, was ich für Sie empfinde, keinen Namen geben – es hat keinen.

Wenn Sie das bedenken, werden Sie begreifen, wie beschämt ich mich fühlen muß, wenn Sie mir für die geringen Dienste, die ich Ihnen leisten konnte, danken.

Wie viel werde ich Ihnen eines Tages zu danken haben ...!

Beunruhigen Sie sich nicht; ich werde nichts tun, das gegen Ihren Wunsch und das Versprechen wäre, das ich Ihnen gegeben habe.

Sie sind mein Schicksal – wie ich das Ihre bin.

Und würden, Sie oder ich, etwas dazu tun wollen, um es zu beschleunigen oder aufzuhalten, es würde nichts nützen. Es wird sich erfüllen, wenn seine Zeit gekommen ist, wie Geburt und Tod.

Ich schreibe Ihnen das, weil ich will, daß Sie es wissen – und weil es nicht ehrlich von mir wäre, wenn ich es nicht täte.«[52]

Es wurde mir schwül, wenn ich das las. Was sollte daraus werden? Ich fühlte keinen Grund in mir, auf diesen Ton einzugehen .... und doch erregten mich diese Briefe aufs tiefste. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß Sacher-Masoch genau so dachte wie er schrieb, und das war es eben, das mich erschreckte – und freute.

Er hatte mir öfter geschrieben, daß er seit Jahren nicht so angeregt wäre und so leicht arbeitete wie jetzt; er müsse sich gewaltsam von seinem Schreibtisch losreißen, um an die Luft zu gehen, und kaum heimgekehrt, setze er sich wieder an die Arbeit. »Und das,« schrieb er, »danke ich Ihnen allein. Es ist, als ob sich mein Talent erst jetzt unter Ihrem Einfluß wahrhaft entwickelte; nur meine Mutter hat ähnlich auf mich eingewirkt.«

Wie sollte ich mich darüber nicht freuen? Ich konnte ihm also auch etwas geben, ihm, der mir so viel gegeben hatte. Gab es ein schöneres, edleres Mittel, ihm den Dank abzutragen, den ich ihm schuldete?

Trotzdem war ich sehr beunruhigt. Aus seinen Briefen erriet ich, daß er mich für eine Dame aus der vornehmen Welt hielt. Für solche Frauen hatte er eine Schwäche. Würde in seinem Gefühl für mich eine Wandlung eintreten, wenn er die Wahrheit wußte? Diese Frage wagte ich mir nicht zu beantworten. Warum aber sollte er die Wahrheit wissen? Wenn die Illusion, in der er sich befand, so glücklich auf sein Talent wirkte, warum sie zerstören? War es nicht wahrscheinlich, daß das Interesse, das er für mich hatte, hauptsächlich auf dem Geheimnis, das mich umgab, beruhte? Und wenn es so war, was lag an der Wahrheit. War es nicht das beste, ihm sein Glück so lang als möglich zu erhalten?[53] Sorgt doch das Leben schon dafür, daß kein Glück zu lange dauert.


Der Sommer war vergangen und ein kalter regnerischer Herbst angebrochen. Ich hatte täglich von Sacher-Masoch Nachrichten erhalten; plötzlich blieben diese ganz aus.

Ich fing bereits an unruhig zu werden, als ich in der Zeitung las, Sacher-Masoch sei an einer Lungenentzündung schwer erkrankt.

Ich schrieb ihm sofort, ich würde um 5 Uhr desselben Tages zu ihm kommen, wenn das möglich und ihm angenehm sei. Den Brief trug ich selbst bis an das Paulustor, gab ihn dort einem Dienstmann mit dem Auftrag, ihn in die Jahngasse zu bringen und Antwort zu verlangen, die ich hier erwarten wollte. Schon nach ganz kurzer Zeit kam der Mann mit der Antwort. Sie lautete: »Ich werde heute abend um fünf Uhr der glücklichste Mensch auf Erden sein.«

Es waren noch viele Stunden bis dahin, und ich hatte Zeit, über den Schritt, den ich zu tun im Begriffe stand, nachzudenken.

Als ich im ersten Schreck über Sacher-Masochs Erkrankung an ihn schrieb, ich würde zu ihm kommen, leitete mich die Furcht, die Krankheit könne einen bösen Verlauf nehmen und ich würde dann dem Manne, dem ich so viel zu danken hatte, mit keinem lebendigen Worte diesen Dank ausgedrückt haben.

Doch auch jetzt, da ich ruhiger war, fand ich, daß ich recht getan.

Es war klar, daß ein persönliches Zusammentreffen,[54] früher oder später, unvermeidlich war. Ich hatte mir von Sacher-Masoch das Versprechen geben lassen, nie eine Begegnung mit mir zu verlangen, und er hat sein Versprechen gehalten. Die Initiative mußte also von mir ausgehen. Wäre die Sache geblieben, was sie mir anfangs war, eine Zerstreuung, würde mir der Gedanke dazu nie gekommen sein. Aber Sacher-Masoch hatte so tief in mein Leben eingegriffen, mich so hoch erhoben, wie ich es nie zu träumen gewagt hatte, und war mir dadurch so nahe gerückt, daß immer und überall alle meine Gedanken bei ihm waren. –

Ich wußte, daß er und sein Bruder Karl beim Vater wohnten, und daß man in seiner Umgebung über den Besuch einer Frau nicht allzu erstaunt sein werde.

Ich war jetzt zwar noch immer einfach, aber elegant angezogen. Ich hatte wohl nur ein Kleid, aber es war aus schwarzer Seide und gut gemacht; dazu trug ich eine kleine schwarze Tuchjacke und schwarzen Hut. In dieser Toilette konnte mich Sacher-Masoch ganz gut für eine Frau aus der seinen Welt halten. –


Als ich die zwei Treppen zu Sacher-Masochs Wohnung emporgestiegen war und auf dem großen Flur mit den vielen Türen stand, unentschlossen, an welche ich klopfen sollte, ging eine derselben auf, und er selbst stand vor mir und ließ mich ein. Ich war überrascht, denn ich hatte erwartet, ihn im Bett zu finden.

Er führte mich durch ein kleines dunkles Vorzimmer, in dem es abscheulich nach Katzen roch, in ein sehr großes, ganz mit Büchern angefülltes Zimmer. Bei dem unsicheren Licht einer großen, mit einem grünen Schirm[55] bedeckten Lampe kam er mir zwar bleich, aber nicht wie ein ernstlich Kranker vor. Er trug polnische Kleidung und das machte ihn mir fremd.

Er schien sehr erregt und als ringe er vergebens nach Worten. Einige Augenblicke herrschte ein peinliches Schweigen, dem ich ein Ende machte, indem ich ihn nach seinem Befinden fragte. Er antwortete nicht gleich, führte mich an das Sofa, auf dem ich Platz nahm, während er vor mir stehen blieb. Endlich sagte er:

»Sie sehen, in welchen Zustand mich Ihr Besuch gesetzt hat. Ich bin kaum fähig, Ihnen dafür zu danken.«

»Dann will ich lieber wieder gehen,« erwiderte ich lächelnd.

»O,« machte er, kniete vor mich hin, und die Hände wie im Gebet gefaltet, sah er zu mir auf.

»Aber wie jung Sie sind,« rief er, »und wie reizend! Ganz anders als ich erwartet hatte. Wie hätte ich auch nach Ihren ernsten strengen Briefen ein so zartes Mädchenantlitz erwarten dürfen! Welch eine entzückende Überraschung!«

Er hatte mir unterdes die Hände genommen, die Handschuhe abgezogen und hielt sie jetzt in den seinen fest, zuweilen einen Kuß darauf drückend. Ich frug ihn wieder nach seinem Befinden, und er erzählte mir mit vielen Details seine Krankheitsgeschichte, aus der ich entnahm, daß die »Lungenentzündung« ein starker Schnupfen gewesen. Als ich ihn so ernst und feierlich darüber sprechen hörte, hatte ich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken.

Ich war bei ihm auf Übertreibungen gefaßt, aber fest entschlossen, ihnen in unserem Verkehr so wenig Platz als möglich zu lassen – ich fühlte, wie gefährlich sie[56] uns beiden werden könnten, wenn es ihnen gelänge, in die Wirklichkeit einzugreifen.

Er schien ein wenig enttäuscht, sah mich aufmerksam an, als forschte er in meinen Zügen nach etwas, und sagte dann:

»Ja, so sind Sie auch in Ihren Briefen. In Ihren Augen find ich all die klugen und klaren Gedanken wieder, die mich dort überwältigt haben und mir den Glauben beibrachten, ich hätte es mit einer nicht mehr ganz jungen, erfahrenen Frau zu tun.« –

Ich blieb beinahe zwei Stunden bei ihm, und als ich ihn verließ, war es mit einem ganzen Aufruhr von Gedanken im Kopf und bangem, schweren Herzen. Während wir zusammen gesprochen, hatte ich mich bemüht, ihn zu erkennen, und in dem, was er mir sagte, in dem, was zwischen uns war, Wahrheit und Dichtung auseinander zu halten, aber beides hatte sich jetzt ineinander verwebt und mich eingesponnen, daß ich keinen Ausweg mehr sah.

Er hatte mir in derselben überschwenglichen Weise, die mich schon in seinen Briefen beunruhigte, seine Liebe erklärt, und da er mich unglücklich verheiratet glaubte, beschworen, alles aufzubieten, was in meiner Macht stehe, um die Scheidung zu verlangen. Man würde dann schon Mittel finden zur Heirat. Er sagte, er könne mir zwar keine Reichtümer anbieten, und ich würde an seiner Seite vielleicht manchen Luxus entbehren, an den ich gewöhnt sei, aber wenn ich in seiner großen Liebe für mich Ersatz dafür finden wolle und inneres Glück äußerem Glanze vorziehe, dann würde sein ganzes Streben nur noch dahin gehen, mein Leben schön und freudvoll zu gestalten. Er[57] sagte auch, er habe mich geliebt, noch ehe er mich kannte, und daß eine Liebe, die auf so rein geistigen Grundlagen beruhe, die sicherste Garantie für dauerndes Glück sei; er werde immer nur das sein, was die Frau, die er liebe, und in deren Hände er sich gegeben, aus ihm mache, und in welchen Händen wäre er besser, als in den meinen; er glaube, daß seine Mutter segnend über ihm schwebe, während er das sage; sein persönliches Glück und seine Zukunft als Schriftsteller hänge allein noch von mir ab.

So sprach er, und seine Worte unterstützten den Ausdruck seines Gesichts und seiner Augen, die voll Liebe und voll Angst auf mich schauten. Ich war tief bewegt und mußte mir Gewalt antun, um meine Vernunft zu behalten, ihm nicht sofort die ganze Wahrheit zu gestehen, und mich ihm, was ich bereits beschlossen hatte, rückhaltlos hinzugeben. Ich tat es nicht, weil ich mir sagte, eine solche Hingabe würde ihm als das erscheinen, was sie wirklich gewesen wäre, ein Akt der Dankbarkeit, und das hätte in seinen Augen den Wert meines Besitzes und dadurch sein Glück verringert. Ich mußte mit seinem phantastischen Geiste rechnen: die Schwierigkeiten, die, wie er glaubte, zu überwinden waren, ehe er mich erringen konnte, waren zu seinem Glücke wahrscheinlich sehr nötig. Ich zweifelte nicht an seiner Liebe, auch nicht an der Größe, wohl aber an der Einfachheit seines Herzens.

Seltsam berührte mich bei ihm sein ergebenes, unterwürfiges Wesen, das zu sagen schien: »Ich bin nichts, du bist alles ..... sieh, hier lieg' ich zu deinen Füßen, schreite über mich hinweg und ich werde glücklich sein, wenn nur dein Fuß mich berührt.« Es lag darin eine solche Huldigung an das Weib, die, von einem so bedeutenden Manne ausgehend, auf jede Frau eine starke Wirkung[58] machen mußte. Das war es wohl, was Frau Frischauer das »Faszinierende« seines Wesens nannte.

Und wie vernünftig wußte er über unvernünftige Dinge zu sprechen und dadurch dem Zweifelhaftesten, Unhaltbarsten ein einfaches und sicheres Ansehen zu geben! Ich fühlte mich ganz unter der Herrschaft seines Geistes, der, wie ein frischer Quell dürres Land, meine im Elend verkommene Seele erquickte. Er öffnete eine neue Welt vor mir, eine Welt voll Licht und Glanz, in der Arbeit Kunst war und Erfolg, Ruhm und Gewinn einbrachte. In diese Welt wollte er mich führen aus der Nacht, in der ich bisher gelebt hatte, sie sollte in Zukunft meine Welt sein.


Von nun an sah ich Sacher-Masoch zwei- bis dreimal in der Woche, und immer in seiner Wohnung, da er noch lange nicht auszugehen wagte.

Er erzählte mir aus seinem Leben, Reisen und Arbeiten. Er zeigte mir die Briefe mit Anträgen, die er erhalten, sagte mir, was sich im Druck befinde, was eben erschienen und nächstens erscheinen würde. Auch von seiner Familie erzählte er mir; von seiner Mutter, die er abgöttisch geliebt, von seinen verstorbenen Geschwistern, von seinem Bruder Karl, von dem herzlichen Verhältnis, das zwischen ihnen herrsche, und dann von seinem Vater. Vor dem alten Herrn schien seine Familienliebe Halt zu machen, denn er war kein zärtlicher Vater für seine Kinder, noch ein guter Gatte für seine geliebte Mutter gewesen.

Ich fand Sacher-Masoch in allem, was er mir sagte, gut und edel, voll Mitleid mit den Armen oder Unglücklichen,[59] und voll Nachsicht mit den Fehlern und Schwächen anderer. Was mir aber, besonders in der ersten Zeit, unbeschreiblich peinlich war, war die unbegreiflich naive Art, in der er mir von seinen früheren Liebschaften erzählte. Er schien von dem Unpassenden dieser Mitteilungen gar keine Ahnung zu haben und anzunehmen, daß es mir ebensoviel Vergnügen mache, zuzuhören, als es ihn erfreute, in seinen Erinnerungen zu schwelgen.

»Ein Mann wie Sacher-Masoch kann nicht mit demselben Maße gemessen werden wie andere Menschen,« hatte Frau Frischauer von ihm gesagt .... daran dachte ich jetzt – und daran sollte ich noch oft denken.


Es war Winter geworden und kalt, ich aber ging immer noch in meinem kleinen Jäckchen und fror. Das mußte bei einer »eleganten, an Luxus gewöhnten Dame«, die ich sein sollte, seltsam erscheinen. Sacher-Masoch hatte mich gleich nach unserer persönlichen Bekanntschaft gebeten, mir den Bedarf an Pelzen besorgen zu dürfen. Ich kannte ja seine Leidenschaft für Pelze, und da ich sie in der Form von Hausjacken – seine geliebten Kazabaikas –, wenn ich bei ihm war, tragen sollte, hatte ich nichts dagegen. Jetzt, da es kalt war, schlüpfte ich sogar sehr gern in eine dieser Jacken, die er in verschiedenen Farben hatte.

Eines Tages überraschte er mich mit einem prachtvollen Straßenpelz in schwarzem Samt, mit Blaufuchs besetzt.

Als ich, angetan mit dem schönen Pelz, zu meiner Mutter in unser armseliges Zimmer trat, blieb sie starr[60] vor Staunen. Kam sie doch in der letzten Zeit aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.


Wir sahen uns fast täglich. Ich hatte Sacher-Masoch gesagt, daß ich die Scheidung verlangt, meinen Mann verlassen habe und bei meiner Mutter lebe. Er freute sich und dankte mir dafür. Der Gedanke an unser künftiges Zusammenleben beschäftigte ihn immer; unablässig stellte er Berechnungen an über die Summen, die er verdienen könne, und verglich sie mit denen, die er in den letzten Jahren verdient hatte. Alle diese Berechnungen und Überschläge führten ihn zu der Annahme, daß er leicht jährliche Einnahmen von sechstausend Gulden erzielen könne, und er frug mich, ob ich glaube, daß diese Summe für unser Leben genüge.

Wie ich innerlich lachte über diese Frage!

Er meinte auch, wir sollten, sobald die Scheidung ausgesprochen, ins Ausland gehen und dort abwarten, bis wir zur Heirat Mittel und Wege gefunden haben würden. Oder wir könnten direkt nach England gehen, denn da gäbe es für eine zweite Heirat fast gar kein Hindernis.

Ich war mit allem, was er sagte, einverstanden, denn ich glaubte nicht an diese Heirat .... ich wünschte sie nicht einmal. Ich glaubte nicht daran, denn, so sehr ich auch von der Aufrichtigkeit seiner Liebe zu mir überzeugt war, so zweifelte ich doch sehr an deren Beständigkeit. Er war zu oft verlobt gewesen und hatte seine Bräute wahrscheinlich ebenso geliebt als mich, und es war doch zu nichts gekommen. Ehrlich und gewissenhaft in seinem Geiste, traute er sich mehr zu als sein Temperament[61] und seine Phantasie halten konnten. Seine augenblickliche Leidenschaft für mich dazu auszunützen, um ihn Hals über Kopf in eine Heirat zu jagen, das war weit entfernt von mir. Ich war entschlossen, mich ihm hinzugeben, aber ich wollte in seinem Leben nur eine schöne Episode sein. Ich liebte ihn mit einer anderen Liebe als er mich .... was er ersehnte, fürchtete ich. Vielleicht kam mir auch das zu Hilfe, wenn ich den Gedanken einer Heirat nicht festhalten wollte.

Darum hielt ich das Märchen von meiner Ehe aufrecht: die Scheidung, die Schwierigkeiten einer neuen Heirat, das war gewiß eine Probezeit, die er nicht bestehen würde, die ihm aber zu einem ehrenvollen Rückzug die Möglichkeit bot. –

So aber, wie die Situation jetzt war, war sie unhaltbar. Das stundenlange Zusammensein war mit geheimer Qual für ihn verbunden; das wurde mir wieder peinlich, und ich beschloß, dem ein Ende zu machen.

Ich schlug ihm vor, am 15. November, seinem Namenstag, unsere »Hochzeit« zu begehen. Es sollte unsere eigentliche, richtige Hochzeit, und die, die später kommen würde, wenn es die Umstände erlaubten, nur eine Formalität sein. Der Gedanke entzückte ihn; das Vertrauen, das ich ihm damit bewies, versetzte ihn in Begeisterung. Er sagte, wenn der Papst selbst unsere Ehe einsegnen würde, würde er sie nicht für bindender und heiliger halten, als durch das Vertrauen, das ich in ihn setzte. –

Es war eine stille, aber glückliche Hochzeit, die wir hatten. Ich fand ihn an dem Tage im Frack und weißer Binde; ich trug wie immer mein schwarzes Seidenkleid. Als Hochzeitsgeschenk bekam ich einen »Schlafpelz«, den ich natürlich sofort anziehen mußte.[62]

Wir wechselten Ringe, hielten uns an den Händen, sahen uns in die Augen und versprachen uns, getreulich zueinander zu halten fürs ganze Leben. Damit war der Trauungsakt zu Ende.


Kurz nach unserer »Vermählung« erschien in der Revue des deux mondes eine Novelle von Sacher-Masoch. Er war darüber vor Freude halb närrisch. Ich kannte damals die berühmte Zeitschrift nicht einmal dem Namen nach; Leopold erklärte mir ihre Bedeutung, und daß es der höchste Ehrgeiz aller französischen Schriftsteller sei, darin zu erscheinen; daß man in Frankreich auf ihn aufmerksam geworden, ihn zu übersetzen anfange und noch dazu in der größten Revue der Welt, das war die schönste Genugtuung, die er während seiner ganzen literarischen Laufbahn erfahren.

Die Übersetzerin war eine Frau Therese Bentzon.

Wir fanden es seltsam, daß man ihn von Paris aus nicht davon unterrichtet und seine Autorisation verlangt hatte.

Doch meinte er schließlich, das sei ganz nebensächlich, die Hauptsache sei, von den Franzosen gelesen zu werden, damit sei ihm der Weltruf gesichert; auch werde es einen sehr glücklichen Rückschlag auf Deutschland ausüben, sein Ansehen und seine Honorare steigern.

Weihnachten war gekommen. Leopold hatte mir einen Weihnachtsbaum bereitet, unter dem reiche Geschenke für mich lagen. Selbstverständlich befand sich darunter wieder ein Pelz.

Wie viele, viele dunkle Jahre lagen zwischen diesem und dem letzten Weihnachtsbaum, der für mich angezündet[63] worden war! Ich war so gerührt, so glücklich und so traurig, daß ich Mühe hatte, nicht zu weinen. Wie voll Güte war Leopold für mich; und wie freute er sich, wenn er sah, daß er mir Vergnügen gemacht.


Ich wurde schwanger. Der Gedanke, ein Kind zu bekommen, erfüllte mich mit unbeschreiblichem Glück. Wenn ich früher an Liebe und Ehe dachte, war es immer das Kind, in dem sich all mein Sehnen und Wünschen einte.

Mein Verhältnis zu Leopold wurde dadurch ein anderes. Mein Gefühl für ihn war bis dahin ein rein intellektuelles, und ich empfand deshalb die physische Hingabe wie ein Opfer – das ich ihm freudig brachte. Daher kam es, daß er mir, trotz unseres vertrauten Umgangs, tief innerlich fremd geblieben war – und das quälte mich und störte mein Glück, weil es mir wie ein Unrecht, eine Undankbarkeit meinerseits erschien.

Nun war es anders. Ich fühlte mich eins mit ihm, ganz so, wie man sich eins fühlt mit seinen nächsten teuersten Angehörigen.

Er selbst war über das zu Erwartende hoch erfreut, und bat mich nur, es möglich zu machen, daß wir zusammen leben konnten, denn, sagte er, es sei ihm ein Bedürfnis, mich immer um sich zu haben, um mir jede Minute sagen zu können, wie sehr er mich liebe und wie glücklich er mit mir sei.

Schneller als er erwartete, fügten sich die Umstände, in der Weise, daß sie unser Zusammenleben bedingten.

Von Wien aus kam der Antrag, an einem dort eben gegründeten großen Blatte mitzuarbeiten. Man bot ihm ein großes Gehalt, knüpfte aber die Bedingung daran,[64] seinen Wohnsitz in Wien zu nehmen. Leopold glaubte das Anerbieten annehmen zu müssen, weil ein sichere Einkommen, wenn man für Frau und Kind zu sorgen habe, sehr wichtig sei. Er gestand mir bei dieser Gelegenheit, daß er noch von früher Schulden habe, die ihn zwar keine Sorgen machten, allein eine solche Stellung würde ihm die Mittel geben, sich rasch davon zu befreien. Alles hinge jedoch von mir ab: sei ich entschlossen, mit ihm zu gehen, dann nehme er die Stellung an, wenn nicht, so verzichte er auf sie.

Nichts konnte mir erwünschter sein, als jetzt Graz zu verlassen. Für das Leben meiner Mutter konnte ich sorgen, und da mich sonst nichts zurückhielt, sagte ich ihm, ich würde mit ihm gehen, und er nahm die Stellung an.


Wir bezogen in der Kohlmessergasse zwei möblierte Zimmer für den Preis von hundertundfünfzig Gulden monatlich. Der Eigentümer der Wohnung war Arzt, Dr. Fried, der mit seiner Frau aufs Land gezogen war, um während der Ausstellung durch die Vermietung eines Teils der Wohnung ein schönes Geschäft zu machen. Er war sogar so klug, Leopold Wechsel für sechs Monate Miete unterschreiben zu lassen, und dieser war so unbefangen, es zu tun. Noch in anderer Weise zeigte uns Dr. Fried seine geschäftliche Überlegenheit: als wir die beiden Zimmer besichtigten und mieteten, waren sie sehr hübsch möbliert, als wir aber kamen, um sie zu beziehen, waren die hübschen Möbel verschwunden und durch den ordinärsten Kram ersetzt worden. Diese gemeine Betrügerei[65] ärgerte Leopold gewaltig, allein er nahm sie hin, um Aufregung und Verdrießlichkeiten zu vermeiden.

Leopold arbeitete viel. In seinen freien Stunden gingen wir zusammen aus. Er zeigte mir Wien, das er genau kannte. Diese Stunden waren für mich gleichsam historische und künstlerische Vorträge, denn er zeigte mir nicht nur, er erklärte mir auch und belehrte mich dadurch.

Wir wohnten auch der Aufführung eines seiner Stücke »Der Mann ohne Vorurteile« bei. Fräulein Clairmont spielte darin die Hauptrolle. Diese schöne, aber ganz talentlose Schauspielerin war die Geliebte Sacher-Masochs gewesen und hatte von ihm ein Kind. Sie ahnte wohl nicht, mit welchen Gefühlen ich auf sie blickte und welche Gedanken mich bewegten .... wie ich sie im Stillen bat, mich nicht zu beneiden um den flüchtigen Glanz, der so unerwartet auf mein dunkles Leben gefallen .... und wie ich mich schon vorbereitete, daß die Reihe, zu den »Verlassenen« zu gehören, nächstens an mich kommen werde.


Am ersten Mai wurde die Ausstellung eröffnet. Leopold mußte für das Blatt hingehen und den Tumult mitmachen, während ich glücklich war, in Ruhe und Stille daheim bleiben zu können, und nur vom Fenster aus dem tollen Treiben zusah.

Drei Tage nach der Eröffnung der Ausstellung kam der »Krach«. Das Zeitungsunternehmen, das Leopold engagiert hatte, war eines der ersten, das mit verkrachte.

Er hatte schon in der kurzen Zeit seiner Tätigkeit gesehen, daß es ihn zu sehr in Anspruch nahm und keine[66] Zeit mehr für ernstes Arbeiten lasse, deshalb traf ihr der Schlag nicht sehr hart. Für den Augenblick aber waren wir nicht in einer sehr glücklichen Lage. Wir hatten für die Reise und den ersten Aufenthalt im Hotel alles vorrätige Geld ausgegeben, und mußten uns nur auf das äußerste einschränken, um einige Wochen durchzukommen, bis wieder das Eingehen von Honoraren zu erwarten war.

Wir beschlossen, nicht mehr im Restaurant zu essen; ich installierte mich in der Küche, auf deren Benutzung ich als Köchin ein Recht hatte.

Die schwerste Last war uns die teure Wohnung, die wir, dank der unterschriebenen Wechsel, in jedem Falle bezahlen mußten. Leopold arbeitete fleißig und verdiente mit rasch geschriebenen und rasch, meist in Wien selbst verwerteten Feuilletons immer kleine Summen, die uns über Wasser hielten. Trotzdem gab es manchmal recht magere Tage, die mich den Weg ins Wiener Leihhaus kennen lehrten.

Sehr peinlich waren uns in jener Zeit die Besuche, die fortwährend kamen. Es waren meist Personen, die zur Ausstellung gereist waren, gehört hatten, daß Sacher-Masoch in Wien war, und ihn aufsuchten; sie waren uns peinlich, weil sie viel Zeit kosteten, nicht zuletzt auch wegen der schlecht möblierten Wohnung, in der es kaum einen anständigen Sitz gab. Nur zwei Personen gehörten damals zu unseren ständigen Besuchern: der Dichter Baron Reichenbach und Graf Hendl.

Beide jungen Männer waren Offiziere gewesen und hatten den Dienst verlassen müssen: Baron Reichenbach wegen seiner kranken Lungen, Graf Hendl wegen seiner kranken Finanzen. Letzterer machte uns ziemlich Sorgen.[67]

Er war direkt von seinem Regiment weg und ganz mittellos nach Wien gekommen, in der festen Überzeugung, Freund Sacher-Masoch würde da leicht eine Stellung für ihn finden. Es war aber eine schlechte Zeit für Stellungsuchende und, so sehr sich Leopold auch bemühte, er fand nichts.

In seiner Verzweiflung wurde Hendl Inseratenagent, der nichts weiter einbrachte als zerrissene Sohlen und einen schauderhaft hungernden Magen. Selbst in sehr gedrängter Lage, konnten wir so viel wie nichts für ihn tun, nur unser Essen teilten wir mit ihm; leider war eine Aufnahme in unser Heim ausgeschlossen, und ich fürchte, der arme Graf hat damals nicht jede Nacht ein Dach über sich gehabt.

Er war ein bildhübscher Mensch und erst 26 Jahre alt. Die Bekanntschaft der beiden Freunde war auf seltsame Weise entstanden. Graf Hendl war in Meran in Garnison und dort hielt sich im Winter auch Sacher-Masoch auf. Im Hotel lernte dieser eine hübsche junge Frau, auch eine »Geschiedene«, kennen, Frau v.P..., die später das Modell zur »Venus im Pelz« wurde. Er machte ihr sehr lebhaft den Hof, hatte aber dabei Graf Hendl zum Konkurrenten. Der junge elegante Offizier tat so, als wolle er den neuen Mitbewerber keinen Zoll breit Terrain gewinnen lassen, was Leopold zwar nicht weiter genierte, die Frau aber sehr zu amüsieren schien. Da, gerade in dem Augenblick wo Sacher-Masoch glaubte, der Moment sei gekommen, um nach den Waffen zu greifen, suchte Hendl seinen Gegner auf und erklärte ihm, freiwillig auf das Streitobjekt zu verzichten und den Kampfplatz zu verlassen. Sacher-Masoch rührte dieser Opfermut, und aus den Nebenbuhlern wurden warme Freunde.[68]

Ein furchtbar heißer Sommer war gekommen und mit ihm die Cholera. Zuerst war das Sterben nur gering, aber bald wurde es grauenhaft. Wer nur immer die Stadt verlassen konnte, floh. Leopold kam aus Schrecken und Angst nicht mehr heraus, und kein Tag verging, an dem er nicht die ersten Anzeichen der Krankheit an sich bemerkte. Für Furchtsame war es eine schreckliche Zeit. Den ganzen Tag fuhren die Wagen mit den Toten durch die Straßen. Die Geschäfte in unserer Nachbarschaft waren nach und nach alle geschlossen, weil die Besitzer samt ihren Familien weggestorben waren. Ein fünfstöckiges Haus ganz in unserer Nähe wurde verschlossen und versiegelt, denn von allen Bewohnern war kein einziger mehr am Leben. Das war wohl geeignet, auch bei den Starken und Festen Angst und Furcht zu erregen; Sacher-Masoch aber gehörte in solchen Dingen nicht zu diesen. Immer war ich damit beschäftigt, ihm seine Furcht als unbegründet zu beweisen und ihn durch Geplauder davon abzubringen, denn er hatte nur Furcht, wenn er an die Gefahr dachte; es galt also, ihn davon abzulenken. Ich dankte Gott, daß Hendl da war. Wenn ich mich den ganzen Tag mit meinem »Dichter« abgemüht hatte, war ich, wenn der Abend kam, so erschöpft und abgespannt, daß ich voll Sehnsucht den Augenblick erwartete, wo er kommen sollte. Wenn er dann mit seinem, trotz seiner desperaten Lage fröhlichen und immer zu Scherzen bereiten Humor ins Zimmer trat, und beim Anblick des jammervollen Gesichts seines Freundes in herzliches Lachen ausbrach, dann mußte der Cholerakranke mitlachen, und Furcht und Angst waren vergessen. War es aber gar arg, dann wußte Hendl allerhand prächtige[69] Hausmittel, wie heiße Fußbäder, starken Branntwein und dergleichen, die in keinem Falle schaden konnten, Leopold aber, der sie mit fanatischem Glauben hinnahm, die Überzeugung beibrachten, daß er wieder einmal seine »Rettung« ihnen danke. Dafür und für sein stets bereites praktisches Zugreifen, wenn er damit helfen konnte, war ich Hendl um so dankbarer, als ich mit all den kleinen Leiden, die mein Zustand mit sich brachte, zu kämpfen hatte und mir, nur von Männern umgeben, der Rat und Beistand einer erfahrenen Frau fehlte.

Eines Tages blieb Hendl aus. Da er nicht eigentlich »wohnte«, hatten wir keine Adresse von ihm und konnten uns nicht nach ihm erkundigen. Einige Tage später erschien er wieder, bleich und herabgekommen, und erzählte mit einem Lächeln, das ihm diesmal nicht recht gelingen wollte, »sie« habe ihm einen kurzen Besuch gemacht, er habe »sie« aber sofort energisch zur Tür hinausgeworfen. Wie und wo mag der Arme die Krankheit überwunden haben? Mir imponierte dieser junge Graf, der bereit gewesen wäre, Lastträger zu werden, um sein Brot ehrlich zu verdienen, der Krankheit und bitterste Armut nicht nur ohne Klage, sondern auch mit heiterem Mut ertrug. Leopold sagte, er habe eine rauhe, harte Natur; das war gewiß wahr, allein, da er rauh und hart gegen sich selbst war, aber gut und freundlich gegen andere, wie hätte man ihm daraus einen Vorwurf machen können?

Interessant war es mir, zu beobachten, wie die beiden Freunde in ihrem Gedanken- und Gefühlsleben nicht nur nichts Gemeinsames hatten, sondern die entschiedensten Gegensätze darstellten. Leopold sah die Welt und alles in ihr nur mit den Augen seiner Phantasie, während Hendl sich nicht einmal begnügte, die Dinge so zu sehen wie sie waren,[70] sondern ihnen auch noch das Mäntelchen abriß, das ihnen Anstand und Konvenienz umgehängt. Dieser junge Aristokrat war der praktische Verstand in Person; eine beinahe fröstelnde Klugheit ging von ihm aus, gegen die ich mich um so mehr zu wehren suchte, als ich mir eingestehen mußte, daß diese kalte, nüchterne Auffassung des Lebens mich in beängstigender Weise anlockte, weil ich in ihr die einzige Sicherheit gegen viele Leiden und Schmerzen sah.

Wenn Hendl und Leopold abends nach Tisch zusammensaßen und oft in sehr heftiger Weise über die verschiedensten Dinge sprachen, kam es zu Reibungen, die Funken gaben, in deren Licht ich die Wahrheit zu erkennen glaubte. –


Der »Figaro« kam mir zu Hilfe, die Cholerafurcht fast eine Woche lang zu verscheuchen. Das Blatt brachte einen großen Artikel, der über eine Begegnung des deutschen Kaisers mit Sacher-Masoch in der Ausstellungsrotunde berichtete. Leopold galt damals für einen großen Deutschenhasser, und darauf baute der Pariser Journalist seinen Artikel. Die Begegnung war lang und breit und mit so vielen Details erzählt, daß nur wenige eine Täuschung vermutet haben mögen. Der Ausstellungsbesuch war immer mit Kosten verbunden, die uns schon lange unerschwinglich waren, selbst wenn Hitze und Cholera uns die Lust daran nicht verdorben hätten; es war also jedes Wort in diesem Artikel Erfindung, was uns jedoch nicht verhinderte, die Kühnheit, Geschicklichkeit und Verlogenheit des französischen Reporters zu bewundern und darüber zu lachen.

Hitze, Geldsorgen, der immerwährende Schrecken und[71] die beständige Besorgnis um die Gesundheit Leopolds mögen zusammengewirkt haben, daß ich einen Monat vor der Zeit niederkam. Ich war denn auch ganz unvorbereitet. Unser Geldmangel hatte mir nicht erlaubt, das Nötige für das Kind anzuschaffen, und als es jetzt so plötzlich da war, mußte man es in Taschentücher und Ähnliches wickeln. Man hatte eine Hebamme aus der Nachbarschaft geholt, Frau Z ..., die mich trotz ihres hohen Alters aufopfernd und liebevoll wie eine Mutter pflegte. Leopold war über seine Vaterschaft ganz närrisch geworden und konnte sich vor Stolz und Freude gar nicht fassen. Es war ein Knabe, und er sprach schon jetzt von seinem »Sohn« als von einer sehr gewichtigen Persönlichkeit.

Ich lag still in meinem Bett und schaute, ohne müde zu werden, auf das kleine Wunder an meiner Seite, das mit seinem Erscheinen alle Unklarheit, Verwirrung und Beängstigung meines Lebens in Klarheit, Harmonie und Ruhe umgewandelt hatte.

Als Doktor Fried zu seiner Ordinationsstunde kam und von dem Ereignis hörte, trat er ungerufen ein, sah mich und das Kind an, fand alles in Ordnung und ging wieder. Das tat er auch die folgenden Tage; wir hielten es für eine Artigkeit seinen Mietern gegenüber, wurden aber arg enttäuscht, als wir später auf seiner ärztlichen Rechnung diese ungebetenen Besuche mit je fünf Gulden angeschrieben fanden.

Am sechsten Tag nach meiner Entbindung ging Leopold für den ganzen Tag mit Graf Hendl in die Ausstellung. Ganz allein in dem traurigen, dunklen Zimmer, gequält von der unerträglichen Hitze, und mich nach Luft und Licht sehnend, stand ich auf, nahm das Kleine und setzte mich[72] in das andere, auf den Franz-Josephs-Quai gehende Zimmer ans Fenster. Hier im hellen Licht sah ich, daß das Kind nicht wohl war. Auch Nahrung nahm es nicht mehr. Und ich war ganz einsam und hilflos noch für lange Stunden! Am Abend, als Frau Z ... kam, erklärte sie, das Kind habe Krämpfe und man müsse sofort einen Arzt holen. Glücklicherweise kamen eben Leopold und Hendl heim, und als sie hörten, um was es sich handelte, gingen sie gleich wieder weg, um nach einem Arzt zu suchen. Aber, wo sie auch anklopften, sie fanden nur verschlossene Türen: alle Ärzte waren auf dem Lande, und die von der Cholera verseuchte Stadt blieb nachts so gut wie ohne Arzt. Es war lange Mitternacht vorüber, als Hendl mit Hilfe der Polizei einen Arzt auftrieb. Mit welcher Roheit behandelte der Mann das sterbende Kind! Es war an keine Hilfe mehr zu denken. Unwirsch sprach er über den kleinen zuckenden Körper das Todesurteil. Ich glaubte vor Weh sterben zu müssen.

Nachdem der Arzt gegangen war, warf sich Leopold auf das Sofa und brach in ein seinen ganzen Leib erschütterndes Schluchzen aus. Meinen eigenen Schmerz unterdrückend, suchte ich ihm durch ruhiges, vernünftiges Zureden Mut zu geben und ihn aufzurichten.

Frau Z. mahnte uns, das Kind noch schnell taufen zu lassen, da wir sonst Schwierigkeiten mit der Behörde haben würden. Graf Hendl, der noch immer da war, ging, ohne ein Wort zu sagen, in die nahe Stefanskirche und kam bald darauf mit einem jungen Kaplan zurück.

Dieser vollzog die Nottaufe und, nachdem das getan war, trat er an mein Bett, kniete hin, sprach mit sanfter, warmer Stimme ein kurzes Gebet über mich, bekreuzigte und segnete mich. Er tat es so einfach und schlicht, wie[73] nur die reinste Überzeugung es kann, und machte dadurch einen um so wehmütigeren Eindruck auf mich, als er mich an die Zeit erinnerte, wo auch mein Glaube, wie der seine, einfach und schlicht war.

Der religiöse Akt schien Leopold etwas beruhigt zu haben. Ich bat ihn zu Bett zu gehen und sich auszuruhen. Er tat es, und bald hörte ich an seinen ruhigen Atemzügen, daß er fest schlief.

Das Kind an meiner Seite fing an, leise zu röcheln; das Nachtlicht flackerte auf und große, unheimliche Schatten tanzten an den Wänden, dann sank es zuckend wieder zusammen, als wolle es verlöschen. Ich hatte gehofft, mich in der Stille der Nacht ausweinen zu können, aber jetzt kamen keine Tränen in meine heißen Augen. Meine Gedanken irrten verworren auf einer unendlich grauen Fläche, ich empfand jene angstvolle Erregtheit, die das Fieber mit sich bringt und die mir noch neu war.

Am Morgen lag eine kleine Leiche neben mir.

Noch ehe Leopold aufgestanden war, war Graf Hendl schon gekommen. Ich sagte ihm, daß es mir lieb wäre, wenn er wieder für den ganzen Tag mit Leopold in die Ausstellung ginge, damit er sich zerstreue; der Anblick des toten Kindes und all die Vorbereitungen zu seiner Beerdigung würden ihn zu sehr aufregen, und es wäre das beste, daß er gar nichts damit zu tun habe. Hendl war gern dazu bereit, und sobald Leopold angezogen war, gingen beide weg.

War mir jetzt der Kopf auf Augenblicke frei, so dachte ich nur an eine Sache: Leopold alles zu sagen, dem Versteckenspielen ein Ende zu machen. Angesichts des Todes, der bereits eins von uns hinweggeholt hatte und den ich jetzt in meiner Nähe fühlte, erschien mir der[74] Roman, in dem wir lebten, frivol und unserer nicht würdig. Wenn ich sterben sollte, wollte ich mit keiner Lüge von ihm gehen, und wenn ich am Leben bliebe, sollte es sich zeigen, ob seine Liebe stark genug war, die Wahrheit zu ertragen, und wenn sie es nicht war, dann war es das beste, sich zu trennen.

Voll Ungeduld wartete ich auf seine Rückkehr. Es war schon Nacht, als er kam. Er sprach draußen, und ich erkannte an seiner Stimme, daß er heiter und guter Laune war; doch mußte ihm Frau Z. gleich gesagt haben, wie es mit mir stand, denn als er zu mir hereinkam, blickte er mich sehr ernst und besorgt an.

Bald waren wir wieder allein, und da ich keine Zeit verlieren wollte, bat ich ihn, sich zu mir zu setzen, denn ich hätte ihm Wichtiges zu sagen.

Er setzte sich auf den Bettrand, blickte voll Spannung auf mich, und ich erzählte ihm mein Leben.

Noch während ich sprach, glitt er vom Bett herunter auf die Knie, sein Mund bebte, wie immer, wenn er sehr erregt war, und große Tränen rannen ihm das bleiche Gesicht herab. Nachdem ich geendet, legte er den Kopf auf mein Kissen und ich fühlte, wie es in ihm arbeitete. Es dauerte eine Weile, ehe er sprechen konnte, dann sagte er:

»So also hast du gelebt, du Arme! Daß du mir das verschweigen konntest! Wieviel Sorgen und Kummer hättest du mir erspart, wenn du besser von meiner Liebe gedacht hättest. Das war's gerade was mich immer quälte, zu denken, daß du ein reiches Heim verlassen hast, um mir zu folgen, daß du bei mir entbehrtest, an was du gewöhnt warst, das drückte mich ganz nieder, und ich schämte mich vor dir. Und nun sagst du, daß du arm[75] bist und eröffnest mir damit die Möglichkeit, dir durch meine Arbeit ein schönes und behagliches Leben zu bereiten. Ich sollte eigentlich böse auf dich sein, weil du mich so falsch beurteilt hast, aber ich bin zu glücklich über diese Wendung. Ich werde jetzt mit ganz anderer Lust an die Arbeit gehen, und wie wirst du's gut haben bei mir! Immer war es meine Idee, ein armes Mädchen zu heiraten. Was könnte ich einer reichen Frau bieten, was sie nicht selbst hat, dagegen eine arme gleichsam durch mich reich wird. Das zu denken, hat mir immer Freude gemacht.«

So sprach er lange. In den nächsten Tagen sollte eine größere Geldsumme eingehen, bis dahin würde ich gesund sein, dann wollten wir Wien verlassen und in einen kleinen Ort in den steirischen Bergen gehen, wo wir vor der Cholera so gut wie sicher wären und ich mich schnell wieder kräftigen würde.

»Mir ist ein Stein vom Herzen,« wiederholte er immer wieder, »werde nur recht schnell gesund, damit wir von hier fortkommen und Mann und Frau werden!«

Aber ich wurde nicht gesund, sondern ernstlich krank.


Es war anfangs August, als ich so weit war, daß mir der Arzt die Reise gestattete.

Wir gingen vorläufig nach Bruck an der Mur und wollten dann sehen, ob wir dort bleiben oder weiter gehen würden.

Schon als wir über den Semmering fuhren und die hohen dunklen Berge in ihrer ruhigen Majestät auf uns niedersahen, wurde uns froh und leicht. Nachdem wir aber erst in dem reizenden Bruck angekommen waren und[76] die reine, köstliche Luft atmeten, da fühlten wir uns ganz glücklich über die Wahl, die wir getroffen, und es schien uns von Anfang an, daß es das beste wäre, hier zu bleiben.

Wir nahmen in dem kleinen Bräuhaus »Barbolani«, das zugleich Gasthof war, Wohnung. Obgleich wir beide noch sehr niedergeschlagen waren von den schmerzlichen Vorfällen der letzten Wochen, wirkte der Aufenthalt in dem ruhigen, mitten in einer wunderbar schönen Natur gelegenen Städtchen so wohltuend auf uns, daß wir nach kaum einer Woche wie verwandelt waren, Leopold hatte alle seine Krankheiten vergessen und war so lebensfreudig, wie ich es seither gar nicht für möglich gehalten hätte. Ich selbst hatte mich ganz erholt und sah wieder so gesund und frisch aus, daß Personen, die mich bei meiner Ankunft gesehen hatten, und mich im letzten Stadium der Schwindsucht glaubten, mich wie ein Wunder anstarrten. Leopold arbeitete morgens, die Nachmittage verbrachten wir auf Spaziergängen, die sich immer mehr ausdehnten, je kräftiger ich wurde. In diesem ruhigen Dahinwandeln durch die Einsamkeit der Wälder, durch stille, lauschige Täler und über sonnige Höhen mit weiter Fernsicht sprachen wir uns leichter aus als in dem Trubel des Wiener Lebens, wir nahmen gleichsam erst Besitz voneinander. Ich sollte ja binnen kurzem das Weib des Mannes werden, der da an meiner Seite ging, ihm durchs Gesetz fürs ganze Leben verbunden, wie sollte mir nicht daran liegen, ihn zu erforschen, zu erkennen, um zu wissen, wie ich sein Glück am besten machen würde. Denn ich war nicht sicher, ob ich auch die Frau war, die ihn ganz befriedigen konnte, ja, ich hatte sogar manchmal Zweifel darüber. Oft, wenn er sich im Gespräch[77] gehen ließ, hatte ich Gelegenheit gehabt, einen flüchtigen Blick in die dunkle Seite seines Wesens zu tun, dort, wo das »böse Ideal« hauste, und was ich dort noch mehr ahnte als sah, erschreckte mich. – Zuweilen sagte er mir, zwar scherzend, aber hinter diesem Scherz fühlte ich wie ein drohendes Gespenst die Wahrheit, daß auch in meiner Natur etwas Dämonisches liege, und daß ich vielleicht ebensoviel von seinem edlen wie von seinem bösen Ideal an mir habe.

Ich war zu sicher, daß er sich irrte, daß kein Schatten davon in mir war, und dieser Überzeugung entsprang die Furcht, unsere Heirat könne für uns beide zu einem grausamen Irrtum werden. – Dieser Gedanke durchfuhr mich oft wie ein heißer Schreck, und ich mußte all meine Vernunft, all meine Vorsätze zusammenfassen, um Mut und Vertrauen aufrecht zu halten. Doch überfiel mich solcher Kleinmut nur selten; meist war ich ruhig und zuversichtlich.


Der Entschluß, in Bruck wohnen zu bleiben, stand bald bei uns fest. Viel trug dazu das freundliche Entgegenkommen der dortigen Bewohner bei. Sobald Leopolds Name unter den Bürgern bekannt geworden, wetteiferten sie förmlich, uns angenehm zu sein. Herr Lippmann, der angesehenste unter ihnen, bot uns in seinem Hause, der sogenannten »Tillschen Mühle«, die von Herrn Till, seinem Schwiegersohn, geleitet wurde, eine leerstehende Wohnung an, und war bereit, uns diese kostenlos zu möblieren, bis wir unsere eigenen Möbel von Graz kommen ließen. Das Haus lag am Eingang der Stadt, am Ufer der Mur, mit schöner Aussicht nach allen Seiten,[78] und von dem Mühlengeschäft nur wenig berührt; die Wohnung gefiel uns, wir mieteten sie, und Herr Lippmann sandte uns die Möbel. Diesen fügte seine liebenswürdige Frau, mit der Fürsorglichkeit einer Mutter, als in einem Haushalt unentbehrlichen Kleinigkeiten bei, so daß wir bald in einem behaglichen Heim saßen.

Alles zu unserer Heirat Nötige war bereit, und wir warteten nur das Eingehen eines bedeutenden Honorars ab, um nach Graz zu reisen, dort Möbel zu kaufen und uns trauen zu lassen.

Darüber vergingen August und September. Ich glaube, es war die ruhigste und glücklichste Zeit meines Lebens.

Ende September gab es jedoch zwei Vorfälle, die mich aus meiner Ruhe aufscheuchten.

Wir hatten auf unseren Ausgängen häufig vor dem Laden eines Kornhändlers, auf einem Sack in der Sonne liegend, ein kleines graues Kätzchen gesehen, das sehr niedlich war und deshalb von Leopold, der Katzen so gern hatte, stets geliebkost wurde. Der Ladenbesitzer hatte es bemerkt und bot ihm eines Tages das Kätzchen zum Geschenk an. Leopold war glücklich; er nahm den teuren Schatz sofort mit sich nach Hause, und von dem Augenblick an drehte sich unser ganzes Leben nur noch um diese Katze. Obgleich wir über ihr Geschlecht im Dunkel waren, wurde sie »Peterl« genannt, schlief nachts im Bett ihres Herrn und lag tagsüber, in einem Körbchen weich gebettet, auf seinem Schreibtisch; er wollte sie stets vor Augen haben. Unsere langen Spaziergänge wurden aufgegeben; man konnte unmöglich Peterl so lange allein lassen. Das Tier war an so viel Zärtlichkeit offenbar nicht gewöhnt, denn sie bekam ihm nicht. Es wurde[79] melancholisch, verlor den Appetit und die Lust, mit seinem Herrn zu spielen. In einer Nacht erwachte ich, und da stand Leopold an meinem Bett und schluchzte. Voll Schrecken fuhr ich auf und frug, was es gäbe. Kaum fähig zu sprechen und immer von Schluchzen unterbrochen, erzählte er mir, daß Peterl gestorben sei. Es war so rührend und so traurig, wie das arme Tierchen in seinen Händen den Geist aufgab. Er habe dabei an unser Kind denken müssen, und wie das auch so zuckend dagelegen, und es sei ihm gewesen, als ob die Seele des Kindes in dem Tier zu ihm gekommen sei, um nochmals von ihm Abschied zu nehmen. Er hätte nicht gewagt, das sterbende Peterl zu verlassen, sonst wäre er schon früher gekommen und hätte mich gerufen.

Ich stand auf und ging mit ihm hinüber in sein Schlafzimmer, das am andern Ende der Wohnung lag, sah die Leiche, und wir setzten uns hin und hielten Totenwache. Leopold konnte sich gar nicht fassen und hörte nicht auf, zu weinen. Erst nach und nach gelang es mir, ihn zu beruhigen, und als der Morgen kam, und die Sonne hell und siegreich ins Zimmer schien und die tote Katze beleuchtete, da, glaube ich, begriff er, daß diese und unser verstorbenes Kind nicht dasselbe sei, ja, es schien mir, als ob er sich etwas schämte.

Peterl erhielt nichtsdestoweniger zwischen drei hohen schönen Pappeln, die auf der Anhöhe vor unserem Hause standen, eine ernste und würdevolle Grabstätte.

Ein anderer Vorgang war von anderer Tragik.

Es hatte am Morgen stark geregnet, und obgleich am Nachmittag die Sonne hell schien, war doch draußen alles zu sehr durchnäßt, um ein Ausgehen zu ermöglichen. Wir beschlossen also, zu Hause zu bleiben; Leopold wollte[80] fleißig arbeiten, dafür sollte der nächste Tag ganz einem Ausfluge gewidmet werden. Er liebte es, daß ich bei ihm blieb, wenn er schrieb, und so saß ich auch an diesem Nachmittag ihm gegenüber lesend am Fenster. Die Sonne war schon im Begriff, hinter den waldigen Höhen zu versinken, als es mir schien, daß Leopold unruhig wurde; er legte wiederholt die Feder hin, sah mit starren Blicken ins Leere, schien sich dann wieder gewaltsam aufzurütteln und fing wieder an, zu schreiben. Ich dachte, er fühle sich nicht ganz wohl, und wollte ihm eben raten, mit der Arbeit aufzuhören, als er plötzlich aufstand und mit großen Schritten im Zimmer auf- und abzugehen anfing. Da ich keine Ahnung hatte, was es sein konnte, fand ich es am besten, zu warten, bis er selbst darüber sprechen würde.

Endlich warf er sich wie gebrochen in die Sofaecke und sagte:

»Wanda, komm, setz' dich zu mir, ich habe dir etwas furchtbar Ernstes und Trauriges zu sagen.«

Sein aschgraues Gesicht war wie verfallen, aus seinen tief in den Kopf zurückgesunkenen Augen blickte Angst und Entsetzen.

Nachdem ich mich zu ihm gesetzt hatte, zog er mich ganz an sich heran und umklammerte mich mit seinen Armen, als wollte er sich bei mir vor einer Gefahr schützen. Dann sprach er, schwer und langsam, gepreßt, gleichsam als ob jedes Wort sich erst von einer wunden, schmerzenden Stelle in der Brust losreiße:

»Du mußt jetzt all deinen Mut zusammennehmen und zeigen, daß du das starke, feste Weib bist, für das ich dich immer hielt, denn, was ich dir zu sagen habe, ist so schrecklich, daß ich lange zögerte, ehe ich mich dazu entschließen[81] konnte. Aber was würde es nützen, wenn ich auch jetzt noch, wo ich Gewißheit habe, schweigen würde? – Es ist besser, daß dich das Furchtbare nicht ganz unerwartet trifft. – Ich kann es auch allein nicht länger tragen .... du mußt mir helfen .... beistehen .... bis zum letzten grauenhaften Ende ....«

Er konnte nicht weiter; die Aufregung erstickte ihn. Mir stand das Herz still. Ich nahm alle meine Kraft zusammen, um ruhig zu bleiben, obgleich die Gedanken in rasender Jagd in meinem Kopf stürmten. Um mich nicht zu verraten, schwieg ich, und er fuhr fort:

»Schon seit einiger Zeit bemerke ich, daß mir oft beim Sprechen das richtige Wort fehle und daß ich ein anderes, ähnliches, aber nicht gleichen Sinnes, ausspreche. Auch beim Schreiben geschieht es mir, nicht das richtige Wort zu finden. Erst achtete ich nicht darauf, dann aber wurde es zu auffallend, und heute nachmittag kam ich zu der Überzeugung, daß meine Beobachtungen die Folge einer Gehirnerkrankung sind, wahrscheinlich beginnender Gehirnerweichung, – das heißt Irrsinn in allernächster Zeit. Du mußt es doch auch bemerkt haben, und du würdest gut tun, es offen zu sagen, damit wir uns mit einem Arzt besprechen können – Rettung ist keine mehr möglich ... aber vielleicht kann man das Ärgste noch hinausschieben.«

Ehe er noch zu Ende gesprochen hatte, riß ich mich gewaltsam von ihm los, und obgleich ich in diesem Augenblick alles glaubte, was er gesagt, so war ich doch überzeugt, daß alles von meiner Haltung abhänge, und darin fand ich die Kraft, Entsetzen und Furcht zu überwinden, um halb lachend, halb ärgerlich zu sagen:

»Aber das ist ja purer Unsinn! Wärst du nicht so[82] aufgeregt, würde ich das Ganze für einen schlechten Scherz halten. Lies doch, was du in den letzten Monaten geschrieben hast, und wenn du darin einen einzigen Satz, eine Wendung, einen Gedanken findest, der nicht ganz klar und rein ist, dann will ich dir deine Gehirnerweichung und alles, was du willst, glauben. Und was das Aussprechen oder Schreiben unrichtiger Worte betrifft, wenn das sichere Zeichen beginnenden Irrsinns sind, dann mußt du mich sofort ins Irrenhaus schaffen lassen, denn an diesem Wahnsinn leide ich schon, solange ich denken kann, und ich glaube, zwei Drittel der Menschheit mit mir.«

Während ich ihn auf diese Weise zu beruhigen suchte, beruhigte ich mich selbst, und jetzt glaubte ich kein Wort mehr von all dem, was er gesagt.

Als ich zu sprechen angefangen, war es Komödie, jetzt konnte ich aufrichtig und aus vollem Herzen lachen und Spott mit ihm treiben. Er sah mich ganz betroffen an; diesen Eindruck hatte er gewiß nicht erwartet. Vielleicht hat er sogar ein wenig bedauert, daß die Geschichte keine tragische Wendung genommen hatte, andrerseits aber, da es ihm ja doch entsetzlich ernst war, war er freudig überrascht, daß ich sie so einfach hinweglachte. Ich sah, wie Spannung und Schrecken aus seinem Gesicht schwanden und freudigem Erstaunen Platz machten.

»Um Gotteswillen, Wanda,« sagte er, »bist du auch aufrichtig? Du weißt, wie groß mein Vertrauen zu dir ist – wenn du in diesem Augenblick wirklich lachen kannst und meine Besorgnisse bespötteln, dann muß ich glauben, daß ich mich irre und daß ich wirklich zu ängstlich war.«

Aber ich ließ mich auf eine ernste Verhandlung darüber gar nicht mehr ein. Um aus dem bereits dämmerigen Zimmer alle Gespenster zu verscheuchen, zündete ich die[83] Lampe an, nahm das Schachbrett und lud ihn ein, eine Partie zu machen. Zehn Minuten nachher war er so in das Spiel vertieft, daß ich gewiß war, daß kein Schatten der vorhergegangenen Erschütterung mehr in ihm nachzitterte. Ich ließ ihn die Partie gewinnen und sagte ihm dann, daß er für einen angehenden Verrückten noch ziemlich gut spiele. Er lachte, und von Gehirnerweichung war nicht mehr die Rede.


In den ersten Oktobertagen reisten wir nach Graz.

Wir wohnten bei meiner Mutter, die uns das Zimmer abtrat und sich in der Küche einrichtete. Wir sollten den kommenden Sonntag einmal für dreimal verkündet und an einem der darauffolgenden Wochentage getraut werden. Die Zeit bis dahin verbrachten wir mit Einkäufen und Besuchen. Das große Ereignis dieser Tage war meine Einführung bei Leopolds Vater.

Der Hofrat war mit der Verlobung seines Lieblingssohnes Karl nicht zufrieden.

Leopolds Bruder Karl hatte sich kürzlich verlobt. Seine Braut wohnte in demselben Hause und war die Tochter einer an Kindern reich gesegneten Frau; sie war arm, hatte keine besondere Erziehung erhalten – und kurz und gut, der Herr Hofrat fand, daß sein Lieblingssohn Karl Besseres verdient hätte. In seiner rücksichtslosen Art beschuldigte der alte Herr Frau Guttmann, die Mutter der Braut, sie habe es von jeher auf seine Söhne abgesehen für ihre Töchter. Leopold hatte dieselbe Ansicht, denn er war, wie er sagte, einmal sehr nahe daran, Helene, der ältesten von den Schwestern, »ins Garn zu gehen.«[84] Seit der Zeit, meinte er, sehe ihn die Familie Guttmann mit schiefen Augen an.

Der Herr Hofrat empfing mich sehr höflich aber kalt. Auch ich war nicht die Schwiegertochter nach seinem Geschmack. Er ärgerte sich um so mehr über die Wahl seiner Söhne, als er ein Mädchen unter der Hand hatte, das ganz so war, wie er sich seine Schwiegertochter wünschte, und stets gehofft hatte, daß sie es eines Tages auch werden würde. Als unmittelbare Nachbarinnen hatte der Hofrat die Baronin X ... und ihre Tochter. Die Baronin war Witwe, sehr vornehm und sehr arm.

Leopold stellte mich auch der Baronin vor, und da sah ich das junge Mädchen, eine feine schlanke Erscheinung mit sanftem, blassem Antlitz und jenem resignierten Ausdruck, der in jungen Gesichtern so traurig berührt. Ich konnte wohl begreifen, daß dem Hofrat dieses Mädchen mit seinem weltgewandten sicheren Wesen, den vollendeten Umgangsformen, wie man sie nur in den höchsten Kreisen antrifft, eine liebe und hauptsächlich eine standesgemäße Schwiegertochter gewesen wäre. Ich frug Leopold, warum er den Willen des Vaters nicht erfüllt und um die Baronesse geworben habe. Er gab mir zur Antwort: »Weil ich kalte Pasteten nicht liebe!«

»Und Karl?« frug ich weiter.

»Derselbe Grund.«

Er erzählte mir auch von dem »glänzenden Elend«, in dem die beiden Frauen lebten; und wie oft sein Vater, wenn er durch die Indiskretion seiner Haushälterin erfahren, daß drüben bei der Baronin schon seit einigen Tagen nicht mehr gekocht werde, einen Vorwand gefunden habe, um ein feines Diner zu geben, zu dem er seine Nachbarinnen bat; und wie dann, wenn der Geruch der[85] guten Speisen aus der Hofratsküche durch das Haus zog, die immer hungrigen Kinder der Frau Guttmann die Nasen zu den Türen heraussteckten, und wenn sie erst merkten, was los war, den richtigen Moment ablauerten und in das Speisezimmer des Vaters einbrachen, um einen guten Bissen zu erschnappen. Der Hofrat, der in seinem Auftreten ganz Grandseigneur war und noch an den Traditionen polnischer Gastlichkeit festhielt, soweit es seine Mittel erlaubten, ließ sich diese Invasion gern gefallen, obgleich er die Guttmannsche Jugend wegen ihrer ungeschliffenen Art nicht liebte.

Der alte Herr schloß sich jetzt noch mehr an seine beiden Nachbarinnen an, als wollte er ihnen dadurch zeigen, daß er über die »Dummheiten« seiner Söhne genau so denke wie sie selbst.

Ich machte auch meiner zukünftigen Schwägerin einen Besuch. Dort aber wurde ich direkt unfreundlich empfangen. Sie war erst siebzehn Jahre alt und hatte mir viel zu verzeihen. Zuerst war ich im Begriff, den Platz einzunehmen, den ihre Familie ihrer Schwester Helene bestimmt hatte; dann war das Haus in der Jahngasse gar sehr adelsstolz; es wohnten hier fast nur Adelige und war ein richtiges »Adelsnest«. Meine kleine Schwägerin war zwar auch nicht von Adel, aber sie hatte so viele Bekannte und Verwandte, die es waren, und das war schon etwas – ich aber war nicht einmal »von Familie«, das Ärgste aber endlich war, daß ich mit Sacher-Masoch als seine »Maitresse« nach Wien gegangen ... Nun, da mußte man schon seine Röcke zusammennehmen, um sie nicht zu beschmutzen.

Unsere Trauung fand am 12. Oktober 1873 in der Pfarrkirche zum »Heiligen Blut« statt. Zwei ehemalige[86] Bekannte von mir und meiner Mutter, die Herren Kassendirektor Biber und Staatsanwalt Sanchez de la Cerda, waren meine Beistände; ein Onkel Leopolds, der damalige Brigadegeneral in Graz, Baron Kövöcs, mein »Brautführer«. Meine Mutter und Bruder Karl waren auch zugegen.

Wir hatten an dem Tage beim Hofrat gegessen, auch den Nachmittag mit ihm verbracht und gingen von dort direkt in die Kirche, Leopold im Gehrock und ich in einer schwarzen Straßentoilette. In der Sakristei fanden wir bereits meine Zeugen im Frack, und General Kövöcs in goldstrotzender Galauniform. Ich sah mich nach meiner Mutter um und entdeckte sie im Schatten eines großen Schranks.

Die Trauung war für 5 Uhr angesagt, aber schon eine Stunde vorher soll die Kirche gedrängt voll Menschen gewesen sein.

Um Geld zu sparen und in Übereinstimmung mit unsern Ideen wollten wir keine »Hochzeit« haben und hatten auch für die Trauung nur die niedrigste Taxe bezahlt, und dafür das erhalten, was die Kirchenleute eine »arme Trauung« nennen, das heißt, einen ganz schmucklosen Altar, auf dem nur zwei Kerzen brannten, deren trübseliges Licht die Dunkelheit noch dunkler machte, und einen Priester, der auf einer Seite etwas gelähmt war, sich nur schwer bewegte und noch schwerer sprach. Er machte die Sache kurz und das war das Beste, was er tun konnte. Wir hatten die Absicht, nach der Trauung einen Spaziergang von einer Stunde zu machen, um meiner Mutter Zeit zu geben, das Essen zu bereiten. Durch ein Hinterpförtchen verließen wir die Kirche, gingen durch den Bischofshof hinaus auf die Ringstraße, um durch das Paulustor zurückzukehren.[87]

Es war finstre Nacht, die ein starker Nebel, der sich schwer und feucht auf alles legte, noch verdichtete. Leopold hielt sich fest an mich, denn der Boden war schlüpfrig und er fürchtete, zu fallen; er hatte sich sein Foulard um den Hals gebunden, den Rockkragen hinaufgezogen und hielt sich sein Taschentuch vor den Mund, wenn er sprach. Er war sehr heiter, sehr glücklich und sehr befriedigt, als wäre er erst jetzt meines Besitzes ganz sicher. Ich bemerkte, daß ihm die religiöse Seite der Trauung Eindruck gemacht, und das erstaunte mich. Er sprach von seiner Liebe zu mir und breitete einen ganzen Himmel voll Glück und Sonnenschein vor mir aus.

Als ich mich ihm vor einem Jahre freiwillig vermählt hatte, tat ich es mit frohem, freudigem Herzen, nur von dem einen Gedanken geleitet, dem Manne, dem ich so viel dankte, soviel Glück zu geben, als in meiner Macht stand. Als wir aber jetzt dieselben Ringe, die wir damals in so heiterer Stimmung gewechselt, uns vor dem Altar neuerdings an die Finger steckten, der Priester unsre Hände ineinanderlegte und Leopolds kaltfeuchte Hand die meine fest umschlang, da war nichts Freudiges in mir, nur das erkaltende Bewußtsein, daß unser Leben jetzt für immer aneinander geschmiedet war, daß das stolze schöne Verhältnis freiwilligen Gebens und Nehmens, das bisher zwischen uns war, aufgehört hatte. Jetzt war mein Leben nicht mehr mein und alles, was ich ihm zu geben bereit war, kein Geschenk mehr, sondern meine Pflicht.


Bei meiner Mutter trafen wir ein junges Mädchen, Adele Strohmeier, deren Bekanntschaft sie während meiner[88] Abwesenheit gemacht hatte. Die Schwestern Strohmeier waren wegen ihrer Schönheit in Graz allgemein gekannt; Adele war gewiß die Schönste von allen. Sie war groß und trotz ihrer Jugend voll entwickelt. Meine Mutter hatte mir schon vorher erzählt und ich freute mich jetzt, diese Schönheit in Ruhe anschauen zu können. Dies Vergnügen wurde durch die unbefangene, fast kindliche Art ihres Wesens und die harmlose Freude, die sie über die Bewunderung, die ihre Schönheit erregte, zu empfinden schien, noch erhöht. Meine Mutter liebte sie sehr, und das junge Mädchen hatte sich der alten einsamen Frau angeschlossen und so gleichsam ein wenig meine Stelle bei ihr eingenommen.

Sie war übrigens seit Wochen bei Verwandten abwesend gewesen. Eben zurückgekehrt, stand sie im Begriff, meine Mutter zu besuchen; ihr Weg führte sie an der Kirche vorbei, wo, wie sie sah, eine Trauung stattfand; neugierig war sie eingetreten und hatte gesehen, wer getraut wurde. Da sie meine Mutter allein nach Hause gehen sah, hatte sie sich ihr angeschlossen.

Meine Mutter flüsterte mir zu, ich möchte Adele doch zum Essen behalten, es würde ihr gewiß viel Freude machen. Ich tat es gern.

Als Leopold beim Eintritt in das Zimmer Adele erblickte, starrte er sie erst eine Weile sprachlos an; darüber brach das Mädchen in ein lustiges Lachen aus, in das ich und meine Mutter unwillkürlich mit einstimmten. Dann lachte auch er und sagte ihr, sie müsse ihm sein dummes Betragen verzeihen, denn über ihre Schönheit sei ihm der Verstand still gestanden.

Adele war gerade im Begriff, den Tisch für uns zu decken, als wir kamen; Leopold bot ihr jetzt an, ihr dabei[89] zu helfen, und da sie damit einverstanden war, bat er sie, doch einen Pelz anzuziehen und ihm dann zu befehlen, was er zu tun habe, es würde ihm dann vorkommen, als sei sie eine schöne Sultanin und er ihr Sklave. Das war Adele ganz recht und, nachdem er ihr aus meinen Pelzjacken eine in violettem Samt, die zu ihrer blonden Schönheit sehr gut stand, ausgewählt hatte, zog sie sie an und das Spiel begann.

Wir saßen bald unter fröhlichem Geplauder um den Tisch. Leopold saß Adele gegenüber und hatte nicht Augen genug, um sie anzuschauen. Sie hatte etwas Träges, das ihr reizend stand. Zuweilen legte sie Messer und Gabel hin und lehnte sich zurück in dem Stuhl wie ein Kind, das sich müde gespielt und sich jetzt mit glücklichem Lächeln ausruht. Ihre übermäßig erweiterten Pupillen, die nur ein schmaler blauer Ring umgab, ließen ihre Augen ganz dunkel erscheinen und hoben die blütenhafte Zartheit ihrer Haut noch mehr. Leopold frug sie, ob ihre Schwestern auch so schön seien wie sie, und da erzählte sie voll Eifer, daß ihre vor einem Jahr verstorbene Schwester noch viel schöner gewesen und eine andre, die jetzt an der Schwindsucht zu Hause liege, noch vor wenigen Monaten die blühendste von allen gewesen sei. Dann fügte sie leise und angstvoll hinzu, daß sie und alle ihre Geschwister an der Schwindsucht sterben müßten, noch ehe sie ihr fünfundzwanzigstes Jahr erreichten, und wenn ihre jetzt kranke Schwester tot sein werde, die Reihe an sie käme. Während sie das sagte, bemerkte ich, wie alle Farbe aus ihrem Antlitz gewichen war und ihre Haut sich schauernd zusammenzog.

Wir schwiegen alle. Des Todes kalter Hauch hatte uns berührt und unsere Blicke nach jenem Abgrund hingezogen,[90] in dem mühseliges Alter wie blühende Jugend für ewig versinken. Leopold war erdfahl geworden und stierte mit groß aufgerissenen starren Augen ins Leere; auch er hatte drei Geschwister an derselben Krankheit und in demselben jugendlichen Alter verloren.

Meine Mutter brachte eine Flasche Champagner; und in dem schäumenden Wein ertränkten wir das Grauen.

Adele trug ihr reiches goldblondes Haar am Hinterkopf in einem länglichen Knoten gewunden, der ihr zum Teil in den Nacken hing und nur mit einer einzigen großen Nadel in Form eines Pfeiles gehalten war. Indem meine Mutter ein Glas über Adelens Kopf hinweg Leopold reichte, blieb sie mit den Spitzen ihres Ärmels an dem Pfeil hängen und zog ihn heraus. Ehe das Mädchen es noch verhindern konnte, fiel die goldige Flut herab, sie samt dem Stuhl, auf dem sie saß, einhüllend, daß nur noch ihr frisches Gesicht mit den glücklichen, lachenden Kinderaugen aus den weichen glänzenden Wellen hervorsah. Sie wollte das Haar wieder zusammenfassen, aber wir baten sie, noch so zu bleiben, um das Vergnügen ihres Anblicks zu verlängern. Sie tat es in der ihr eigenen harmlosen Freudigkeit und ohne eine Spur von Koketterie.

Es war fast Mitternacht, als sich Adele von uns verabschiedete. Sie wollte mir danken, aber ich legte ihr den Finger auf den Mund, umarmte und küßte sie, und in diese Bewegung legte ich all die warme Dankbarkeit, die ich nicht aussprechen konnte aber tief empfand, dafür, daß sie mit ihrer Gegenwart, ihrer Jugend und Schönheit, am meisten aber mit ihrer einfachen Treuherzigkeit meinen so düster begonnenen Hochzeitsabend erhellt und erfreut hatte.
[91]

Am Morgen nach unsrer Heirat zeigte mir Leopold die »Tagespost« mit einer Notiz in der es hieß, Sacher-Masoch habe sich gestern in der Stadtpfarrkirche mit der Baronesse von Rümelin vermählt. Rot vor Scham über diese lügenhafte Standeserhöhung frug ich ihn, wer es getan habe, und er lachte und gestand, daß er es sei und daß er sich freue, die Grazer damit ärgern zu können.

Das war nicht nur unwahr, es war auch nicht klug, denn in Graz gab es schließlich Leute genug, die mich kannten und wußten, daß ich keine Baronesse war.

Viele Jahre später las ich in einem Brief Turgenjews an den Berliner Journalisten Pietsch, in welchem er seinem ganzen Haß gegen Sacher-Masoch die Zügel schießen läßt, bei diesem fange das Weib erst bei der Baronin an.

Und doch hatte der Russe unrecht, denn bei Sacher-Masoch ging diese Eitelkeit nicht tief, wie hätte er sonst mich, ein ganz armes Mädchen und nicht von »Familie«, wie meine Schwägerin sagte, zu seiner Frau gemacht; er war vielmehr ein lustiger Flunkerer, der hinterher über die Genarrten lachte. Allein der Schein war gegen ihn und Turgenjew hatte nach diesem geurteilt.

Am Abend dieses Tages gab es im »Thaliatheater« aus Anlaß eines berühmten Gastes eine besonders glänzende Vorstellung, die wir besuchten.

Mein Mann hatte mich gebeten, meinen hellroten, bis an die Erde reichenden, ganz mit Hermelin gefütterten und reich ausgeschlagenen Pelz anzuziehen, dazu einen weißen Spitzenschleier um den Kopf zu schlingen. Als ich so angetan in unsrer Loge erschien, wandten sich in dem gedrängt vollen Saal alle Augen nach mir. Sie hatten ja alle die Notiz über unsre Heirat gelesen und freuten sich, jetzt über die »Baronesse« und ihren exotischen Putz[92] lachen zu können. Während eines Aktes kam General Kövöcs in unsre Loge; er grüßte mich kalt und warf einen strengen Blick auf meine Toilette. Auch er! dachte ich, und er wußte doch ganz genau, wer mich so angezogen hatte.

Leopold empfand das Aufsehen, das wir gemacht, wie einen Triumph. »Du hast Sensation gemacht«, wiederholte er immer wieder auf dem Heimweg.

Am nächsten Tage kehrten wir nach Bruck zurück und zwei Tage später folgte uns meine Mutter dahin nach.


Die nächste Zeit beschäftigten wir uns fast ausschließlich mit der Einrichtung unsrer Wohnung.

Nachdem die Möbel gestellt, die Bücher eingeordnet waren, die Bilder an ihrem Platz hingen, begann er seine Photographien auszupacken. Da kamen sie alle zum Vorschein, eine nach der andern, seine vergangenen Liebschaften, und er garnierte damit seinen Arbeitstisch in derselben sorglosen, unbefangenen Weise, in der er mir von ihnen erzählt hatte. Es waren ihrer viele, genug, um für das Leben mehrerer Männer auszureichen. Ich saß bei ihm während er sie aufstellte, was er mit viel Überlegung und großer Sorgfalt tat. Die bedeutendsten zunächst so, daß er, wenn er beim Schreiben aufblickte, sie sah, dann in gehörigem Abstand die andern, die sein Herz nur flüchtig bewegt hatten. Zu denen, die in erster Reihe standen, gehörte Frau v.P..., um deren Gunst er einst mit Graf Hendl konkurrierte. Ehe er sie hinstellte reichte er sie mir, damit ich sie ansähe und bewundre.
[93]

Ich hatte von Graz ein junges Dienstmädchen mitgebracht. Sie war vom Lande, die Tochter eines Chirurgen und hielt sich für »gebildet«, weil sie je vous baise la main sagen konnte, sonst aber war sie durchaus nicht albern, hatte einen frischen muntern Geist und drallen Körper. Auf dem Dorfe muß sie für eine Schönheit gegolten haben, Leopold meinte sogar, sie hätte etwas von einer »Brunhilde« an sich, aber dazu war sie doch zu kurz geraten. Jedenfalls war er über den »glücklichen Wurf«, den wir mit ihr getan, sehr zufrieden.

Während die Wohnung eingerichtet wurde, half Marie, so hieß das Mädchen, Leopold beim Aufstellen seiner Bücher und Aufhängen der Bilder. Da er Furcht hatte, auf eine Leiter zu steigen, war's Marie, die die Nägel einschlug und die Bilder aufhängte, was mit viel Gelächter und Späßen geschah. Nachdem aber in der Wohnung alles an seinem Platz war, gab es für Marie viel freie Stunden und um diese auszufüllen, versorgte Leopold sie mit Romanen. Doch Marie las nicht allein die Bücher die er ihr gab, sie kritisierte sie auch. Als ich darüber lachte, wurde er beinahe böse und sagte, Marie präsentiere ihm den gesunden Volksgeist, daß jeder Schriftsteller gut tun würde, einfache Menschen um ihre Meinung zu fragen und sich darnach zu richten, denn daran könne jeder lernen. Und dann erzählte er mir, wie Molière alle seine Stücke seiner Haushälterin vorgelesen und ihr Urteil stets als richtig erkannt habe. Es gab jetzt in der Küche lange literarische Gespräche, die Leopold die Spaziergänge, die er sonst machte, ersetzten. Marie war die wichtigste Person im Hause, alles was sie gesagt, wiederholte er mir, so bedeutend kam es ihm vor.

Die Abende waren schon lang, und um sie zu verkürzen,[94] arrangierte Leopold »Räuberspiele«. Ich und Marie waren die Räuber und er der Verfolgte. Ich mußte Marie eine meiner Pelzjacken geben und selbst eine anziehen, denn ohne diese würden wir nicht wie Räuber ausgesehen haben. Das war ein Laufen, Jagen, Verstecken und Suchen in der großen Wohnung, bis wir den Verfolgten eingefangen hatten. Dann mußte er mit Stricken an einen Baum gebunden werden, und wir, die Räuber, hielten Gericht. Natürlich wurde er zum Tode verurteilt, ohne daß wir auf sein Flehen um Gnade achteten ...

Bis dahin war es Spiel, von da an aber gab Leopold der Sache einen ernsteren und mir sehr peinlichen Anstrich. Er wollte wirklich eine Strafe er leiden, die ihm Schmerz verursachte, und da wir ihn ja nicht ermorden konnten, so sollten wir ihn wenigstens schlagen und zwar mit Stricken, die er dazu bereitgelegt.

Ich wollte darauf nicht eingehen, aber er gab nicht nach, fand meine Weigerung kindisch und sagte, wenn ich es nicht täte, würde er sich von Marie allein peitschen lassen, denn er sehe an ihren Augen, daß sie dazu große Lust habe.

Um das zu vermeiden, versetzte ich ihm einige leichte Streiche. Er war damit nicht zufrieden, und da ich erklärte, daß ich nicht stärker schlagen könne, sagte er, er wolle absolut geschlagen werden und mit ganzer Kraft, Marie würde das besser machen als ich.

Ich ging aus dem Zimmer. Ich glaubte, damit würde die Sache aufhören, aber das war nicht der Fall. Marie schlug ihn wie er es wünschte, mit ganzer Kraft, denn ich hörte noch im zweiten Zimmer, wie die Hiebe auf seinen Rücken niederfielen.

Minuten wurden mir zu Ewigkeiten. Endlich hörte[95] die Qual auf. Unbefangen, freundlich kam er zu mir herein und sagte:

»Na, die hat mich ordentlich durchgehaut. Mein Rücken muß voll Striemen sein. Du hast keine Idee, was das Mädel Kraft in den Armen hat. Mit jedem Hieb glaubte ich, das Fleisch würde mir zerrissen.«

Ich wollte auf diesen Ton nicht eingehen und schwieg. Er sah mich an und jetzt merkte er, daß ich nicht scherzhafter Stimmung war.

»Was hast du?« frug er. »Ist dir was nicht rechte?«

»Es ist mir nicht recht, daß du dich von der Magd schlagen läßt.«

»Ja, siehst du denn darin etwas? dann ist es natürlich was andres. Aber wie hätte ich nur denken können, daß du auf das dumme Mädel, die Marie, eifersüchtig sein könntest.«

»Es paßt sich nicht daß die Magd den Herrn schlägt. Wir kommen dadurch alle drei in eine schiefe Stellung. Und dann mußt du von Marie nicht erwarten, daß sie darüber schweigt; lustig und übermütig wie sie ist, wird sie es allen erzählen, mit denen sie zusammenkommt. Was wird man im Ort von uns denken, wenn das bekannt wird?«

»Aber man könnte ihr ja verbieten, es zu sagen.«

»Der Magd, die dich geschlagen, kannst du nichts mehr verbieten. Und wenn du es tätest, dann gibst du der Sache erst recht eine verdächtige Färbung. Marie muß sofort aus dem Hause. Damit ist dem Skandal wenigstens hier ein Ende gemacht.«

»Du hast recht. Ich habe nicht so weit gedacht. Ja,[96] schicke sie nur fort, sobald als möglich. Am besten wär's, sie ginge noch heute Abend.«

Mit dem ersten Zug, der am andern Morgen nach Graz fuhr, reiste Marie ab. Ich ersetzte sie durch eine vierzigjährige, ganz reizlose Person.


Anfangs November erhielten wir von Graf Hendl einen ganz verzweifelten Brief. Seine Lage war schrecklicher als je.

Wir baten ihn zu uns zu kommen und hier abzuwarten, bis sich was für ihn fände.

Zwei Tage später kam Hendl an. Es war gut, daß es schon Nacht war, als der Zug einfuhr, denn der Arme sah nicht sehr präsentabel aus. Er schien auch krank zu sein, und war es wirklich. Am andern Morgen konnte er nicht mehr aufstehen, und als der Arzt kam, erklärte er, eine Operation würde nötig sein.

Zu Weihnachten ging es ihm wieder gut und um ihm eine Freude zu machen, luden wir für die Feiertage seinen Bruder Ludwig, der Zögling der Neustädter Akademie war, ein, und da ging's denn bei uns recht lebhaft zu. Eine fröhliche, glückliche Stimmung beherrschte alle; Hendl hatte mit seiner Gesundheit auch seinen köstlichen Humor wiedergefunden und gab damit oft genug Anlaß zu schallendem Gelächter.

So liebte Leopold zu leben. Je mehr Gäste im Hause waren und an seinem Tisch saßen, je reichlicher dieser besetzt war, um so behaglicher fühlte er sich.

In dieser Zeit lernte ich noch einen andern Freund meines Mannes kennen, der auch bald mein Freund wurde.

Schon als wir im August nach Bruck gekommen waren,[97] hatte man uns gesagt, daß der Baron Ferdinand Staudenheim mit seiner Frau und seinem Kinde hier wohne. Für Leopold war es eine freudige Überraschung, denn der Baron war ein lieber Jugendfreund, den er schon viele Jahre nicht mehr gesehen hatte. Im Oktober war die Baronin mit dem Kinde zurückgekehrt, während Staudenheim noch bei Freunden zur Jagd bleiben sollte und erst später nachkommen würde.

Jetzt war er gekommen und sein erster Gang galt uns. Die beiden Freunde staunten sich gegenseitig an, und konnten sich gar nicht darüber beruhigen, daß sie sich nach so langen Jahren der Trennung hier in diesem einsamen, abgelegenen Städtchen als verheiratete Männer wiedersahen.

Staudenheim mußte jedem gefallen der ihn sah; er war eine schöne männliche Erscheinung, voll Kraft und Geschmeidigkeit, wie sie Sportsleuten eigen ist; etwas Gesundes, Frisches ging von ihm aus, das sofort für ihn einnahm, dazu stimmte auch sein hübsches, offenes, einfaches Gesicht, ich meine ein Gesicht, das nicht beunruhigte, hinter dem man nichts zu suchen und nichts zu fürchten brauchte. Und wie strahlte er von Lebensfreudigkeit! Wenn er lachte, war es mir, als ob sich eine warme Hand auf mein Herz legte.

Staudenheim sagte uns gleich bei seinem ersten Besuch, daß er mit seiner Frau nicht harmoniere und es ihm lieber wäre, wenn wir mit ihr nicht bekannt würden, weil ihm sonst die Freude an unserm Verkehr verkürzt würde. Wir waren ganz damit einverstanden und damit war das abgetan.

Weihnachten brachte uns allen reiche Geschenke – reicher als es unserer Kasse angemessen gewesen wäre,[98] allein Leopold hatte bei den Kaufleuten in Bruck unbeschränkten Kredit gefunden und benutzt, um Weihnachten nach seinem Herzen zu halten.

Die Glücklichste im Hause war aber gewiß Lisi, unsere Magd. Erst sollte sie nur ein schwarzes Kleid erhalten, aber da erzählte irgend jemand bei uns, daß sie neun Kinder gehabt habe, die alle bald nach der Geburt gestorben, ohne krank gewesen zu sein, und daß in der Stadt die Meinung verbreitet sei, Lisi habe Engelmacherei getrieben. Von dem Augenblick an fand sie Leopold »interessant« und suchte sie öfter in der Küche auf, um mit ihr zu reden. »Sie hat böse Augen,« sagte er dann, »und man könnte ihr schon Grausamkeiten zutrauen.«

Dank ihrer bösen Augen bekam sie zu dem Kleide noch einen schönen Pelz.


Im Jänner 1874 fanden wir für Graf Hendl eine Stellung bei dem Grundbesitzer und Kaufmann Krändl. Er verließ unser Haus, da mit seiner Stellung volle Verpflegung verbunden war.

Jetzt wurde es wieder still bei uns. Leopold arbeitete wieder fleißig, und das war nötig, denn wir hatten beinahe kein Geld im Hause und lebten fast nur auf Kredit. Wir hatten gehofft, Madame Therese Bentzon, die mit erstaunlichem Eifer fortfuhr, die besten Novellen Sacher-Masochs für die Revue des deux mondes zu übersetzen, würde sich endlich entschließen, dem Autor irgendeinen bescheidenen Anteil an dem Honorar, das sie erhielt, zukommen zu lassen. Sie tat es nicht, und da Leopold endlich anfing die Geduld zu verlieren und ihr einen zarten Wink gab, hatte sie die Kühnheit, zu antworten,[99] Buloz zahle an junge Schriftsteller keine Honorare, diese fänden sich durch die Auszeichnung, in der ersten Revue der Welt mitzuarbeiten, reichlich entschädigt. Das schien uns damals schon nicht sehr wahrscheinlich und stellte sich später, als Sacher-Masoch direkt mit Buloz verhandelte, als eine freche Lüge heraus. Als Entschädigung für das Honorar sandte Madame Bentzon an Leopold ihr Bild.

Im Februar schneite es eine Woche lang, und dann lag der Schnee so hoch, daß voraussichtlich für lange Zeit an Spazierengehen nicht zu denken war. Um sich aber doch etwas Bewegung und Zerstreuung zu verschaffen, schlug Leopold vor, mich das Billardspiel zu lehren. Ich war gern dazu bereit, und wir gingen nun jeden Tag in das uns gegenüberliegende einzige Kaffeehaus in Bruck, zu der Stunde, wo es stets leer war. Staudenheim kam gleichfalls hin und einige Offiziere des 9. Jägerbataillons, das in der Stadt in Garnison lag, und die wir durch Staudenheim und Hendl kennen gelernt hatten. Die Herren unterstützten meinen Mann beim Unterricht und bemühten sich alle, mir ihre versteckten Kunstgriffe beim Spiel beizubringen. Bei so vielen Lehrmeistern machte ich rasch Fortschritte und spielte bald erträglich. Auch Fechten lehrte mich mein Mann, und das gefiel mir noch besser als das Billardspiel. Selbstverständlich mußte ich bei dem einen wie bei dem andern immer eine Pelzjacke anhaben, denn dadurch erhielt das Vergnügen für Leopold erst seine Würze.

Am liebsten waren mir die Abende. Dann schrieb Leopold in seinem Zimmer, und ich und Staudenheim saßen im Salon beim Schach. Wir hatten die Türen des Salons, die häßlich waren, wegnehmen und durch Portieren[100] ersetzen lassen. Da meine Mutter die Gewohnheit hatte, gleich nach dem Abendessen zu Bett zu gehen, und auch Lisi jeden Abend für einige Stunden unsichtbar wurde, herrschte im Hause tiefe Stille, die nur unterbrochen wurde von dem knisternden Geräusch des Papiers, wenn Leopold ein Blatt vollgeschrieben hatte und es weglegte, oder dem leisen Anschlagen der Figuren auf das Brett.

Ich und Staudenheim waren gute Kameraden geworden und verkehrten als solche in ungezwungener, natürlicher Weise. Seine frische, glückliche Natur wirkte wohltuend auf mich; in seiner Gegenwart fühlte ich mich leichter, freier, die Spannung, in der mich meine neue Lebenslage beständig hielt, ließ nach, und ich empfand das Leben einfacher und natürlicher. Wenn Leopold in seiner Arbeit eine Pause machte, kam er zu uns herein und besah sich das Spiel. Manchmal geschah es, daß es ihn so sehr fesselte, daß er dablieb, bis es zu Ende war, worüber es zuweilen Mitternacht wurde.

Eines Abends kam er wieder so herein, um nach der Partie zu sehen. Ich war sehr in der Enge, und mein Gegner hatte mich bald mit ein paar Zügen matt gesetzt. Da sagte mein Mann zu Staudenheim: »Ich bin erstaunt, mit welcher Ruhe du mit meiner Frau spielst und fast stets gewinnst. Ich bin ihr im Schach entschieden überlegen, und doch verliere ich mit ihr fast jede Partie.«

»Wieso?«

»Du weißt, was sie für schöne Hände hat. Wenn sie nun so dasitzt, über ihren Zug nachdenkt und dabei ihre weiße Hand mit den beseelten Fingern über den Figuren schwebt, dann ist es mir, als ob diese Hand im[101] nächsten Augenblick nach meinem Herzen greifen würde ... ich bekomme Angst ... verliere die Geistesgegenwart ... und das Spiel. Mit Frauen Schach spielen, ist für Männer immer eine gewagte Sache – und nun erst, wenn man in seine Gegnerin verliebt ist, wie ich in Wanda.«

Staudenheim hatte erst überrascht zugehört; offenbar wußte er nicht recht, wo das hinaus sollte. Dann wurde er einen Augenblick verlegen, faßte sich aber rasch wieder und zog die Sache ins Scherzhafte, indem er sagte:

»Gnädige Frau, wenn Sie Lust haben, nach meinem Herzen zu greifen, dann tun Sie's nur, es wird Ihnen auf halbem Wege entgegenkommen.« Und dann, sich an Leopold wendend, fuhr er fort: »Nein, mein lieber Dichter, schöne Frauenhände machen mir nicht Angst; selbst diese nicht,« und er zeigte unter den Tisch, wo ich meine Hände versteckt hielt, »obgleich es die schönsten sind, die ich je gesehen.«

Einige Tage vorher hatte ich beim Billardspiel Leopold zu einem der Offiziere sagen hören, es sei zu bedauern, daß sich die Frauen nicht mehr am Billardspiel beteiligten, weil es ihnen, wie kein anderes Spiel, Gelegenheit gäbe, durch graziöse Bewegungen ihre schönen Körperformen vorteilhaft zu zeigen. Ich war seit dem Tage nicht mehr hingegangen und hatte einen guten Vorwand dazu: ich war wieder schwanger und sagte, die starken Bewegungen beim Spiel würden mir nicht gut tun. –

Ich fürchtete, daß die Äußerung meines Mannes meine Beziehungen zu Staudenheim trüben würden; es war nicht so. Es war, als ob zwischen mir und ihm ein geheimes, stummes Einverständnis bestände, uns die Freude des Beisammenseins nicht stören zu lassen. Diese abweisende[102] Ruhe und Sicherheit fußte auf der Reinheit und Rechtschaffenheit unseres Verkehrs.


Ostern war herangekommen und sollte uns den Besuch Schwager Karls bringen.

Unter den Sachen, die mein Mann von seinem Vater mitgebracht, befanden sich einige Kisten, die seine »Armeen« enthielten. Die beiden Brüder hatten als Knaben leidenschaftlich Soldaten gespielt; die Freude an diesem Spiel wuchs mit ihnen groß, und als sie Männer waren, lieferten sie sich Schlachten, deren Entwurf, Ausführung und Resultat gewiß von keinem Berufsheerführer hätte ernster genommen werden können. Die lange Abwesenheit Leopolds von Graz hatte eine lange Friedensperiode zur Folge, die dem kriegerischen Geist, der die beiden beseelte und nach Betätigung verlangte, nicht zusagte. Jetzt, in den Osterfeiertagen, sollte das Versäumte nachgeholt und eine Schlacht geliefert werden, wie sie in keinen Kriegsanalen noch verzeichnet war.

Vor allem galt es, eine Revision der Truppen vorzunehmen, die Regimenter zu vervollständigen, die fehlenden Mannschaften einzuberufen und Munition und Waffen anzuschaffen.

Die Schriftstellern wurde vorläufig auf den Nagel gehängt, und es ging ans Kistenauspacken. Ich durfte beim Inspizieren der Truppen helfen, das heißt, die gleichmäßigen blauen Schachteln, in welchen die Soldaten ihre Friedensjahre verbracht hatten, aus den Kisten nehmen und nach den Aufschriften in Regimenter ordnen. Es war keine mühevolle Arbeit, und wenn alle Armeen sich in so musterhafter Ordnung befinden, dann ist die Aufstellung[103] eines Kriegskorps keine erdrückende Aufgabe. Die blauen Schachteln enthielten zwei Armeen, die deutsche und die österreichische; sie waren aus Bilderbogen ausgeschnitten und schön auf kleine Holzklötzchen geklebt. Das österreichische Heer stand unter der Führung Leopolds, während Karl das deutsche kommandierte. Mein Schwager war nämlich, obwohl in Lemberg von polnischen Eltern geboren und bis zu seinem zwölften Jahre kein Wort deutsch sprechend, ganz deutsch gesinnt, während mein Mann bis in seinen letzten Blutstropfen Slave war – von der echtesten schwarzgelben Färbung.

Unter solchen Verhältnissen war es begreiflich, daß es zwischen Deutschland und Österreich häufig zu Konflikten kam, die auf dem Schlachtfelde ausgetragen werden mußten.

Die Truppenschau wurde für Leopold zu einer aufregenden Freude, weil sie ihm Gelegenheit gab, mir all die Helden seiner Armee persönlich vorzustellen, wobei er mir erzählte, wo und wie sie sich ausgezeichnet hatten.

Auf diese Weise machte ich mit allen in der österreichischen Armee bekannten Namen Bekanntschaft, sowie denen der Freunde und Verwandten meines Mannes, die im Militärdienst standen.

Der Entwurf des Feldzugsplanes verlangte ernstes Nachdenken und nahm Leopolds ganze Aufmerksamkeit und Zeit in Anspruch. Er besah sich sehr eingehend unsere Wohnung und fand, daß sie sich vorzüglich zu einer großen Schlacht eigne. Das Zusammentreffen der feindlichen Armeen sollte im Salon, der zwischen dem Speise- und meinem Schlafzimmer lag, stattfinden. Die Österreicher würden die an mein Zimmer stoßende Hälfte besetzen, während die andere Hälfte mit dem Speisezimmer dem[104] deutschen Heer überlassen sein sollte. In meinem Schlafzimmer und auf der anderen Seite im Speisezimmer würden die Reservetruppen Aufstellung nehmen.

Am Auferstehungstage, mittags, kam Karl an, und gleich nach Tisch wurde mit dem strategischen Aufmarsch der Truppen begonnen. Damit sich dabei die beiden Feldherren nicht beobachten konnten, wurde der Salon durch Betttücher, die auf einem Strick hingen, in der Mitte abgeschlossen. Die Möbel boten die Terrainschwierigkeiten, die überwunden oder ausgenutzt werden mußten. Ich hatte Bücher und anderes Material zum Schanzen- und Brückenbau herbeizuschleppen und für Munition zu sorgen.

Am Sonntag morgen begann die Schlacht. Sie dauerte drei Tage und endete mit einem kolossalen Sieg der Österreicher.

Ein solches Ereignis konnte natürlich den Bewohnern von Bruck nicht verborgen bleiben. Kriegsgerüchte, von Staudenheim in Umlauf gesetzt, waren in Offizierskreise gedrungen und hatten Spannung erregt. Einige der Herren ließen bitten, dem Verlauf der Schlacht zusehen zu dürfen, was ihnen unter der Bedingung, daß sie keine Spionage trieben, gestattet wurde.

Sie kamen, und als sie sich das erstemal dem Schlachtfeld näherten und die Heerführer gegenüberstehen sahen, das Kindergewehr, bei dem das hölzerne Ladestöckchen zugleich Geschoß ist, in den Händen fleißig losknallend, brachen sie trotz dem Ernst der Situation in schallendes Gelächter aus. Allein ihre Heiterkeit dauerte nicht lange, das Vorgehen der Truppen, die sichere Taktik der beiden Befehlshaber, die auf tiefes strategisches Wissen schließen ließ, weckte bald den soldatischen Geist in ihnen, und sie[105] schauten mäuschenstill auf das wechselnde Kriegsglück der beiden Armeen.

Wenn dann von Zeit zu Zeit die weiße Fahne aufgesteckt wurde und ich auf österreichischer, meine Mutter auf deutscher Seite das Schlachtfeld begingen, um die Verwundeten und Gefallenen wegzuschaffen, trafen sich die Herren im Vorsaal, der als neutrales Terrain galt, und da gab es dann sehr animierte Diskussionen über Kriegskunst. Daß die zwei »Zivilisten«, die nie im Leben eine Uniform auf dem Leibe gehabt, ebensoviel davon verstanden oder verstehen wollten, als sie, die Berufssoldaten, das stieg den Offizieren gewaltig in die Nase. Doch als Leopold behauptete, eine papierne Armee sei viel schwerer zu führen, als eine aus Fleisch und Blut, hielt ihr Ärger nicht mehr stand.

Man sagt, Kriegsjahre zählen doppelt – ich hoffe, daß mir dieser Feldzug auch doppelt angeschrieben wird. Es war eine schwere Zeit. Das ganze Haus war drunter und drüber. Da das Speisezimmer Kriegsschauplatz war, mußten wir im Fremdenzimmer speisen, das nur mangelhaft möbliert und deshalb recht ungemütlich war. Aber das Essen war gut und à la guerre comme à la guerre, wie Karl sagte.

Wenn ich mich nachts zur wohlverdienten Ruhe hinlegen wollte, fand ich Husaren auf meinem Bett kampieren, die ich erst ausquartieren mußte, ehe ich unter die Decke schlüpfen konnte.


Es war an einem heißen Tag. Ich stand im Speisezimmer mit Ausbügeln von Spitzen beschäftigt und hatte der Hitze wegen ein leichtes, den Hals ganz freilassendes[106] Hauskleid an. Mir gegenüber saßen plaudernd mein Mann und Staudenheim. Ein Schwalbenpaar, das auf dem breiten Rahmen eines Bildes sein Nest gebaut hatte, schwirrte fortwährend über unsere Köpfe, während es durch die offenen Fenster aus- und einflog. Die Sonne lag in breiten Flecken auf dem Fußboden und erfüllte das Zimmer mit ihrem glänzenden Licht.

»Sieh dir doch deine Frau an,« sagte Staudenheim zu Leopold, »wie siegreich sie da in der Sonne steht! Wie viele Frauen gibt es, die das wagen dürfen? Je mehr Licht auf sie fällt, um so blühender sieht sie aus.«

»Ha, das ist nicht schlecht,« sagte mein Mann, »daß du meiner Frau in meiner Gegenwart den Hof machst.«

»Natürlich in deiner Gegenwart,« gab Staudenheim etwas ungeduldig zur Antwort. »Und wär sie nicht deine Frau, würde ich ihr nur unter vier Augen den Hof machen. Beklagst dich noch! anstatt daß du mich für meine Ehrlichkeit belohnst.«

»Wie soll ich dich denn belohnen?«

»Indem du mir erlaubst, ihr einen Kuß zu geben ... da hinters Ohr.«

Er war aufgestanden und wies mit dem Finger auf die bezeichnete Stelle. Er war dabei so unwiderstehlich komisch, daß wir alle lachen mußten. »Na, willst du?«

»Küß sie nur,« sagte Leopold. »Aber schau, daß du vorher ihre Hände fest bekommst, sonst stehe ich für nichts.«

Staudenheim trat von rückwärts an mich heran, und ehe ich noch Zeit gehabt, das heiße Eisen wegzustellen, hatte er meine Arme gepackt und mir einen kräftigen, aber ehrlichen Kuß gegeben.

»So, nun können Sie ruhig weiterbügeln,« sagte er dann.[107]

Ich blickte meinen Mann an. Er schien nicht nur belustigt, sondern ganz freudig erregt. Mit leuchtenden Augen sah er bald mich, bald Staudenheim an. Dieser hatte dasselbe bemerkt und sagte:

»Du weißt, ich bin gleich bereit, wieder anzufangen, wenn es dir ein besonderes Vergnügen macht.«

Leopold wurde verlegen, sah aber Staudenheim fest an, ohne jedoch zu antworten.

Ich ging aus dem Zimmer.

Ziemlich lange nachher hörte ich Staudenheim weggehen, und gleich darauf kam mein Mann zu mir herein. Er schien ganz exaltiert und fing gleich an:

»Weißt du, Wanda, Staudenheim ist rasend in dich verliebt. Das ist auch ganz natürlich. Ein Mann kann nicht Tag für Tag mit einer Frau wie du verkehren, ohne Feuer zu fangen. Er hat es ja gestanden .... Er ist nur zu ehrlich .... seine Freundschaft für mich verhindert ihn, es dir zu sagen.«

»Welch ein schönes Paar ihr wärt! Es war ein entzückend schönes Bild, als er so hinter dir stand und dich küßte .... Er ist groß und stark, und hat etwas so Ritterliches in seinem Wesen, während du neben ihm fast kein und so zart aussahst wie eine erschreckte Taube .... Nachdem du fort warst, meinte er, du seist gewiß böse auf ihn, und er bat mich, dir zu sagen, daß es ihm furchtbar leid tue, du möchtest ihm seinen dummen Spaß verzeihen. Ich sagte ihm: ›Sei doch nicht kindisch! Warum soll sie denn das so übel nehmen ... was ist denn so Schreckliches dabei, daß du sie geküßt hast? ... Es hat ihr gewiß auch Spaß gemacht. Hatte ich nicht recht?‹«

»Nein, du hattest unrecht, das zu sagen.«[108]

»Das ist doch merkwürdig, daß keine Frau ehrlich sein kann! Du wirst doch nicht behaupten wollen, daß es dir nicht mehr Vergnügen macht, von einem schönen Mann wie Staudenheim geküßt zu werden, als von mir? Abgesehen davon, daß schon der Reiz des Unerlaubten allein genügt, um den Widerstand einer Frau zu überwinden.«

»Wo willst du denn hinaus?«

»Ich möchte, daß du den Mut hast, deiner Natur zu folgen.«

»Meiner Natur? ....«

»Ja. Raff dich doch auf, entschließe dich, aufrichtig zu sein, und gestehe, daß dir der Kuß von Staudenheim nicht unangenehm war.«

»Es war ein Scherz, der nichts zu bedeuten hat. Ich bin überzeugt, daß Staudenheim sich gar nichts dabei gedacht hat.«

»Das glaubst du! Du glaubst, daß ein Mann eine Frau küßt, ohne dabei etwas zu denken! Bist du wirklich so naiv oder verstellst du dich?«

»Was gibt dir das Recht, so zu mir zu sprechen?«

»Ach, hör mir auf! Du hast wahrscheinlich auch nicht bemerkt, daß Staudenheim sich in dich verliebt hat, gleich als er dich das erstemal sah? Mit euch Frauen ist nichts anzufangen .... Ihr seid immer bereit, einen Mann zu betrügen, aber ehrlich eingestehen, wenn ihr Lust zu einer Untreue habt, dazu seid ihr nicht zu bewegen.«

»Du hast nicht das Recht, so zu mir zu sprechen,« rief ich nochmals, und ich fühlte, wie mir die Tränen in die Augen kamen.

Er kniete vor mich hin, nahm meine Hände in die seinen, küßte sie und sagte:[109]

»Aber Wanda, mein geliebtes Weib, weine nicht, sei nicht kleinlich und schwach wie gewöhnliche Frauen. Mit einer Frau von deinem Verstand kann ein Mann alles besprechen. Und wenn du dir nur die Mühe geben wolltest, meinen Gedanken zu folgen, so würdest du bald begreifen, daß du keinen Grund zu Tränen hast – im Gegenteil. Ich will dir ein für allemal klar machen, daß du das Recht hast – nicht nur das natürliche Recht, das sich für jeden vernünftigen Menschen ja von selbst versteht, aber auch das dir von deinem Manne freiwillig eingeräumte Recht – deine Neigung jedem Manne zu schenken, der dir gefällt, ohne die geringste Rücksicht auf mich zu nehmen. Tue deinem Herzen keinen Zwang an und glaube ja nicht, daß ich dich deshalb weniger achten werde. Frauen, die, wie du, jung, schön und gesund sind, verlangen mehr als einen Mann – das wirst du zugeben, wenn du ehrlich bist – wenn du das starke ehrliche Weib bist, für das ich dich halte.«

»Du räumst selbstverständlich dem Manne dasselbe Recht ein?«

»Nicht in allen Fällen.«

»Ich verstehe nicht.«

»Nimm zum Beispiel unseren Fall. Du bist in mich nicht verliebt, ich aber in dich. Du gleichst in allem dem Ideal, das ich von der Frau habe: welches Recht hätte ich, dir untreu zu sein? Anders du: das geistige Interesse, das du an mir nimmst, die Befriedigung, die du darin findest, die Frau eines berühmten Schriftstellers zu sein, kann dir, so wertvoll es dir auch sein mag, doch nicht Ersatz bieten für die unbefriedigten Wünsche deines Herzens. Um mir treu zu bleiben, müßtest du deiner Natur Gewalt antun – und das werde ich nie zugeben.«[110]

»Du hast mir aber doch bei unserer ersten Begegnung gesagt, daß du nichts so sehr wünschtest, als eine brave, treue Frau zu bekommen.«

»Gewiß. Aber bist du deshalb weniger brav und treu, weil du hier und da einer sinnlichen Laune folgst?«

»Wer solche Ideen hat, sollte sich nie verheiraten.«

»Ach, du verstehst mich noch immer nicht. Warum hätte ich dich nicht heiraten sollen? Ich bin wahnsinnig in dich verliebt, ich würde auf der ganzen Welt nicht eine zweite Frau finden, die so alle Eigenschaften, die ich am Weibe liebe, vereinigt wie du .... ich konnte doch nichts klügeres tun, als dieses Wesen, das mein ganzes Glück ausmacht, für immer an mich zu fesseln. Aber dieses seltene und unerwartete Glück, das mir zuteil wurde, gibt es mir etwa das Recht, dich ganz für mich allein zu behalten? Kann ich von dir verlangen, daß du deshalb, weil ich dich liebe, auf alle Freuden und Vergnügungen verzichtest, die dich beglücken würden? Mach dir meine Situation dir gegenüber klar! Ich liege zu deinen Füßen und bete dich an ... ich bin schon namenlos glücklich, daß du mir das gestattest ... daß du meine Liebe duldest .... Aber eben, weil ich dich so sehr liebe, möchte ich dich ganz glücklich sehen. Du warst es bis jetzt nicht, hast dein ganzes Leben in Not und Armut verbracht ... genieße doch jetzt, was dir das Leben bietet .... benütze den Vorteil, einen Mann zu haben, der keiner deiner Launen etwas in den Weg legen wird, der dir in allem volle Freiheit gibt ... gib den spießbürgerlichen, dummen, deiner ganz unwürdigen Gedanken auf, daß es Unrecht ist, die Ehe zu brechen, und nimm dir so viel Liebhaber, als du nur willst.«[111]

»Und du wirst gar nicht eifersüchtig sein?«

»Aber ich bin furchtbar eifersüchtig! In dem Augenblick, als dich Staudenheim küßte, glaubte ich, mein Herz würde stillstehen .... Es war ein furchtbarer Moment für mich .... eine unbeschreibliche Qual; aber in dieser Qual lag zugleich ein Genuß, wie ich ihn noch nie im Leben gehabt. Man muß eine Frau bis zur Verrücktheit lieben, wie ich dich, um durch ihre Untreue eine so wonnevolle Marter zu empfinden, wie ich sie empfinden werde, wenn ich dich in den Armen eines anderen Mannes sehen werde.« –

Ich hatte wenige Tage vor diesem Gespräch eine Kritik über Sacher-Masoch gelesen, in der gesagt war, seine Schriften durchwehe ein frischer, freier Geist, sie seien auf der Basis einer weiten, in der menschlichen Natur begründeten Philosophie aufgebaut, sie wirkten befreiend und eröffneten weite Horizonte. Daran mußte ich denken, während er sprach, und wähnte, daß meine Begriffe von Liebe und Ehe kleinlich, spießbürgerlich und dumm waren. Ich war ganz verwirrt. Ich sah alle meine Pläne für sein Glück in einen Abgrund von Wahrheit und Irrtum versinken.

Wie grausam irrte er sich in mir! Ich erwartete ein Kind von ihm, und sollte mit verlangenden Augen auf Staudenheim blicken! Wenn er mich so verkannte, war es nicht möglich, daß er über sich selbst auch im Irrtum war? Wenn das nur Phantastereien waren, die vor der Wirklichkeit verschwinden würden? So sann ich, aber eine Beruhigung fand ich nicht.

Den folgenden Tag war Staudenheim abgereist. Er schrieb uns, sein Vater habe ihn telegraphisch nach Graz[112] berufen und er würde von dort seine Sommerreise antreten.

Mir war ein Stein vom Herzen.


Nach einer beinahe schlaflos verbrachten Nacht stand ich frühzeitig auf, öffnete weit mein Fenster und setzte mich, wie ich es als Kind immer getan, mitten in das hereinflutende Sonnenlicht; der morgenstille Frieden, der zugleich mit ihm hereinkam, tat mir wohl und ebenso der Blick auf die mir schon vertrauten Berge.

Durchdrungen von Licht und Wärme, fühlte ich die ersten schwachen Bewegungen meines Kindes. Ich mußte an das andere denken, das ich verloren hatte, wahrscheinlich infolge der seelischen Erregungen, denen ich damals ausgesetzt war, dann an das Gespräch von gestern, die bange Gegenwart, die drohende Zukunft – und die Furcht, auch dieses zu verlieren, packte mich mit kaltem Schrecken. Nein, das sollte nicht sein. Mir wurde plötzlich klar, daß ich, wenn ich es behalten wollte, alles von mir fern halten müsse, was sein Gedeihen stören könne, daß ich jetzt einzig nur dafür zu leben und zu sorgen hatte, und daß es meine Pflicht sei, in allem, was auch kommen möge, mich nur durch diese eine Rücksicht leiten zu lassen. Mein Kind war mein, ich mußte es schon jetzt beschützen und bewahren, damit es lebensfähig werde.

Mit diesem Entschluß wurde ich wieder ruhig und gefaßt. Und als ich später beim Kaffee meinem Manne gegenübersaß und sein verdutztes Gesicht sah, während er den Brief Staudenheims las, da mußte ich innerlich lächeln; ich freute mich, daß die Gefahr, die ich gestern so nahe[113] glaubte und die mir eine sorgenvolle Nacht bereitete, so rasch in nichts zerflossen war.


Es gab jemanden, dem die Abreise Staudenheims sehr ungelegen kam. Schon vor einigen Wochen war der Schriftsteller A. Mels mit Frau und Kindern nach Bruck gekommen, um, wie er sagte, den Sommer in Gesellschaft Sacher-Masochs zu verbringen. Seine kleine dicke Frau hatte in den letzten Wochen in der Überzeugung gelebt, daß zwischen ihr und dem »Baron« ein Flirt bestehe, der sich nächstens zu einem interessanten Roman entwickeln würde und sie für die Untreue ihres Mannes schadlos halten sollte. Denn daß ihr Mann sie betrog und seine häufigen Reisen bald dahin, bald dorthin, unter dem Vorwande literarischer Geschäfte, nur den Zweck hatten, mit seiner Geliebten, einer Schauspielerin, zusammenzukommen, das hatte sie mir schon erzählt. Ich war also benachrichtigt, und wenn sie jetzt die Absicht hatte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, brauchte ich nicht mehr erstaunt zu sein. Dennoch war ich erstaunt, denn Frau Mels nährte ein kaum einige Monate altes Kind, und wenn sie, wie eine Bruthenne mit ihren Küchlein, mit ihren Kindern daherkam, sah sie so gar nicht aus wie eine Frau, die Lust hat, verbotene Wege zu gehen.

Aber trotz dem Ärger über die »Flucht« ihres Verehrers fühlte sie sich doch geschmeichelt; denn, wäre er geflohen, wenn seine Liebe zu ihr nur eine mäßige gewesen, und es ihm leicht erschienen wäre, sie zu bewältigen oder zu befriedigen? Auch war sie entschlossen, um jeden Preis an ihrem Manne Wiedervergeltung zu üben; nachdem sie jetzt auf Staudenheim nicht zählen konnte, hatte sie sofort Ersatz zur Hand.[114]

Es lebte nämlich in Bruck ein vielumworbener Mann, ein Herr F ...., den sie für alle Fälle schon lange in petto gehabt haben mochte.

Ich muß über Herrn F .... etwas ausführlich sein, er verdient es, denn er war kein gewöhnlicher Mensch. Er war das Damoklesschwert, das fortwährend über der Moral der guten Stadt Bruck hing; eine beständige Gefahr für die Männer, und eine immerwährende Sehnsucht für die Frauen, kurz, er war ein schöner Mann. Von jener tadellosen Schönheit, wie man sie auf Schokolade- und Zigarrenschachteln findet, »gefühlvoll und fein.« Er war zwar nur Forstbeamter, kleidete sich aber immer sehr elegant und hätte gewiß ebensogut ein »Baron« sein können wie Staudenheim, und daß er es nicht war, war vielleicht der einzige Grund, weshalb letzterer dem Herzen der Frau Mels näher gestanden als er. Herr F .... war sozusagen ihr Nachbar, er wohnte ihr gegenüber; das war auch ein Vorzug, denn es war bequem, und kleine dicke Frauen lieben die Bequemlichkeit.

Das Haus, in dem Herr F .... wohnte, gehörte einem Spezereihändler, dessen Frau Zimmer an »ledige Herren« vermietete. Herr F .... konnte jedoch auf das »ledig« keinen vollen Anspruch machen. Man erzählte von ihm, daß er verheiratet gewesen, sich aber von seiner Frau habe scheiden lassen, was jedenfalls das beste war, was er tun konnte, denn seine natürlichen Anlagen neigten entschieden mehr zum Don Juan, als zum Ehemann. Es gingen viel Geschichten über ihn um, die vielleicht weniger wahr als amüsant waren. Eine will ich erzählen, weil sie der Wahrheit am ähnlichsten sah und ebensowohl Tränen als Lachen hervorrufen konnte.

Die Hausfrau des schönen Herrn F .... hatte zwei[115] Töchter, die eine hübsch und geistig normal, die andere taubstumm und blöd. Eines Tages wurde das hübsche und kluge Mädchen auf der Schießstätte, wo es kochen lernte, während es im Garten hinter der Scheibe Salat schnitt, von einem ungeschickten Schützen erschossen .... Die Mutter war über den tragischen Tod ihres intelligenten Kindes so verzweifelt, daß sie eine Art Widerwillen gegen die ihr gebliebene Blödsinnige faßte und es kaum über sich gewann, sich noch mit ihr zu beschäftigen. Damit diese nicht ganz sich selbst überlassen bliebe, nahm sie ihr zur Gesellschaft gleichfalls eine taubstumme Blödsinnige, einen richtigen »Trottel,« wie sie in der schönen Steiermark so herrlich gedeihen.

Das ging einige Zeit ganz gut. Die beiden Blöden lebten in einem Teil des Hauses für sich und kamen mit den anderen Bewohnern desselben in keine Berührung. So glaubte die Frau, bis sie eines Tages bemerkte, daß die Gesellschafterin ihrer Tochter auffallend rund auszusehen anfing, und nun anderer Ansicht wurde. Es war gar kein Zweifel möglich, das Geschöpf war mit einem der Bewohner des Hauses, einem der Zimmerherrn natürlich, in »Berührung« gekommen, aber mit welchem? Eine furchtbare Angst bemächtigte sich der Frau; wenn das möglich war, dann war auch ihre Tochter in Gefahr. Am peinlichsten war ihr, daß sie sich mit dem Trottel nicht verständigen konnte, um den Schuldigen zu finden. Da kam sie auf die Idee, am nächsten Sonntag alle ihre Herrn zu einem Kaffee zu laden, dann, im richtigen Moment, die Blöde hereinkommen zu lassen, die sich beim Anblick des Geliebten gewiß verraten würde.

Und so geschah es. Die Herren waren ganz damit beschäftigt, dem guten Kaffee und feinen »Gugelhupf«[116] ihrer Hausfrau gerecht zu werden, als die Türe aufging und das Trottel hereintorkelte. Beim Anblick des Herrn F. verbreitete sich ein glückseliges Grinsen über ihr Gesicht, und ohne auf die übrige Gesellschaft zu achten, warf sie sich auf ihn und »tätschelte« ihn ab. Herr F., der gewiß weit davon entfernt war, eine Falle zu vermuten, wurde trotzdem etwas verlegen, denn wenn er auch an Huldigungen von seiten der Frauen gewöhnt war, so hörte seine Eitelkeit doch da auf, wo zierliche Dummheit in entschiedene Trottelhaftigkeit übergeht, und eine Liebesbezeugung coram populo von »so einer« war ihm gewiß nicht angenehm.

Die Frau aber wußte jetzt, woran sie war. Nun hätte sie wohl Herrn F. zur Rede stellen und die Türe weisen können, allein, einen pünktlich zahlenden Zimmerherrn muß man nachsichtig behandeln; sie fand es einfacher, die Verführte auf die Straße zu werfen.

Diese ging, ein mageres Bündel in der Hand, seitwärts, wo der Wald am dunkelsten und der Berg am höchsten war, denn es war ja Sommer, und dort oben war das Leben leicht und einfach. Sie muß dort auch Schutz gefunden haben, denn nach einigen Monaten sah man sie wieder in der Stadt, mit einem Pack Kienholz auf dem Rücken und einem kleinen Kinde in den Armen. Wenn sie dann in den Straßen Herrn F. begegnete, wollte sie sich stets in einem Anfall wütender Zärtlichkeit auf ihn stürzen, er aber brauchte ihr nur mit dem Stock zu drohen, und sie verstand, daß es für sie bei ihm nichts zu holen gab – als Hiebe.

Mit Kienholz kam sie auch zu uns. Mir fiel der hübsche Knabe auf, den sie immer mit sich hatte und der damals 3–4 Jahr alt sein konnte. Da er ihr gar[117] nicht ähnlich sah, sie aber doch Mutter nannte, erkundigte ich mich, wer denn da gesündigt habe, und erfuhr die Geschichte.

Gleich in den ersten Tagen nach unserer Ankunft in Bruck, während wir bei »Borbolani« wohnten, war es Herr F., den wir überall sahen. Leopold, der für schöne Männer ein ebenso aufmerksames Auge hatte, wie für schöne Frauen, machte mich noch zum Überfluß auf ihn aufmerksam. Er meinte, der Mann müsse in einem orientalischen Kostüm hinreißend schön aussehen. Von dieser Zeit an, während der ganzen Dauer unseres Aufenthalts in Bruck, verfolgte mich die Schönheit dieses Mannes, und ich hatte ununterbrochen mit den dämonischen Mächten an meiner Seite zu kämpfen, um die Zahl seiner Opfer nicht um eines zu vermehren.

Infolgedessen hatte sich im Lauf der Jahre eine Menge Haß gegen ihn in mir angehäuft, den er eigentlich nicht verdiente; denn er selbst hat sich nie an mich herangedrängt und ist mir persönlich niemals lästig geworden.


Das größte Vergnügen machten mir in diesem beginnenden Sommer die Spaziergänge mit Leopold. Ich habe die Natur stets geliebt, er aber lehrte mich erst, sie verstehen; denn er empfand sie wahr und tief.

Zwei dieser Ausflüge machten mir einen besonderen Eindruck; der eine, weil er mir meinen Mann von einer neuen Seite zeigte; der andere wegen eines mystischen Vorfalls, der mir in jenem Augenblick wie der Hinweis auf eine andere Welt erschien.

Wir waren schon seit einigen Stunden durch den Wald bergauf gegangen, als wir merkten, daß wir vom rechten Wege abgekommen waren. Wir fanden uns zwar[118] wieder zurecht, waren aber von dem langen Herumirren sehr ermüdet, hungrig und durstig geworden. In einem am Wege liegenden Bauernhause hielten wir an. Ein junges, blasses Weib, mit einem Neugeborenen Arm, stand auf der Schwelle.

»Frau,« sagte Leopold, »Sie geben uns wohl zu essen und zu trinken?«

»Brot und Milch, wenn's Ihnen recht ist?«

»Keine Eier?«

»Drei Eier sind da, nicht mehr,« sagte die Frau die sich offenbar nicht gern von ihren Eiern trennte.

»Na, dann machen Sie mir nur recht schnell eine gute Eierspeise,« rief Leopold fröhlich, und sich dann zu mir wendend, setzte er hinzu: »Schade, daß sie nur drei Eier hat, du hättest gewiß auch gern eine Eierspeise gegessen.«

Ein Kind würde seinen Egoismus nicht harmloser haben aussprechen können. Ich war auch weder ärgerlich noch verletzt, nur erstaunt. Ich trank Milch und aß Brot dazu, und es schmeckte mir gewiß ebensogut, als ihm seine Eier.

Die Bäuerin stand da und schaute uns lächelnd zu während wir aßen.

»Sind Sie das ganze Jahr hier oben?« frug ich sie.

»Das ganze Jahr.«

»Es muß auch im Winter schön sein.«

Sie sah mich erstaunt an.

»Schön?« sagte sie dann nachdenklich. »'s wär's schon, wenn's nur nicht so weit zur Kirchen wär. Drei Stunden hin und vier zurück. Im Winter, wenn der Pfad verschneit ist, vergehen oft drei Monat, ohne daß man in die Kirchen kommt.«[119]

Ich sah auf den tiefblauen Himmel, der sich wie ein ungeheurer Dom über den sonnenbeschienenen Höhen wölbte, und unwillkürlich kam mir die Frage:

»Müssen Sie denn zur Kirche gehen?«

»Ja, wo soll man denn beten? Und Meß und Predigt hört ma ja a nur in der Kirchen.«

Sie steigt ins Tal hinunter, dachte ich, mischt sich unter die bedrängte und beladene Menschheit, um ihren Gott zu finden, und ist doch hier dem Himmel so nahe.


Es waren schwüle Tage. Leopold fühlte sich ermattet und konnte nur mit Mühe arbeiten. Er sagte, er brauche Zerstreuung, und wir wollten gegen Abend nach Leoben fahren, dort zu Nacht essen und dann bei Mondlicht heimkehren.

So geschah es.

Als wir zwischen reifen Kornfeldern durch das stille Tal auf der einsamen Landstraße dahinfuhren, war die Sonne bereits im Untergehen. Ein leiser Windhauch strich manchmal über die vollen Ähren längs des Weges und machte sie erbeben. Leopold zeigte mir zwei schwarze Punkte, die hoch über dem Wald zu stehen schienen – ein Geierpaar, das dem Hochwald zuflog.

Ich saß stumm in meiner Wagenecke, die ruhige Schönheit dieser Stunde genießend und mich ganz in das Glück versenkend, das mich erwartete.

Etwas hatte sich in dem Verhältnis zu meinem Manne verändert. Als ich mein erstes Kind bekommen sollte, brachte mich das ihm näher – jetzt zog ich mich instinktiv von ihm zurück, wie vor etwas feindlichem. Ich verschloß gleichsam mein Selbst, und wie einer, der einen geheimnisvollen[120] Schatz hütet, wurde ich mißtrauisch und abweisend gegen alles, was sich mir nahte. –

Jetzt legte ich die ganze Kraft meiner Seele in den einen heißen Wunsch, dieses Kind möge in nichts seinem Vater gleichen. Und auf das mich umgebende Bild schauend, erwachte in mir ein glühendes Verlangen, etwas von seiner Schönheit, Klarheit und Harmonie möchte in die Seele meines Kindes übergehen.

Ich war mit dem Blick der hinter den Bergen versinkenden Sonne gefolgt, und da sah ich in ihren letzten glänzenden Strahlen dieselbe Erscheinung, die ich schon als Kind gehabt, weit entfernt und doch nahe; dieselben Augen schauten auf mich, als wollten sie mir etwas sagen, so sprechend und so vertraut, als wären's meine eigenen Augen.

Die Sonne sank und mit ihr das schöne Bild.

Noch ganz erregt und mit mächtig klopfendem Herzen saß ich da, als zwei Bergakademiker unserm Wagen entgegenkamen. Die jungen Leute zogen ihre Mützen, und der eine von ihnen, der einen großen Strauß Feldblumen trug, warf diesen im Vorübergehen auf mich in den Wagen. Ich wandte mich aus diesem Regen von Blumen nach ihnen um, und da standen sie noch, fröhlich lachend die Mützen nach uns schwenkend.

Leopold war entzückt. »Ja, ja,« sagte er, »du hast etwas an dir, das alle Männer anzieht, und wenn du wolltest, könntest du jeden Mann zu deinen Füßen sehen.«

Wie weit war ich in diesem Augenblick von solchen Gedanken entfernt.

Doch schien mir der Vorfall ein gutes und glückliches Zeichen für die Wünsche, die mich eben bewegt hatten.
[121]

Jetzt kündigte uns die Baronin Kövöcs ihren Besuch an. Der General, der auf einer Inspektionsreise auch nach Bruck gekommen und bei uns zu Gast gewesen war, hatte uns gesagt, er habe Grund, zu glauben, daß sein Aufenthalt in Graz nicht von langer Dauer sein werde, deshalb habe er auch Frau und Tochter in Wien zurückgelassen und nur seinen Sohn Albin nach Graz mitgenommen; auch habe die Generalin einen sehr angenehmen Kreis in Wien, den sie ohne besonders wichtigen Anlaß nicht gern verlassen hätte.

Die Baronin kam also nicht von Graz, sondern von Wien.

Ich war damals mit den Sitten der vornehmen Welt noch nicht vertraut, daher erstaunt über die einfache Art, wie diese Leute ihre intimen Angelegenheiten regeln. Leopold meinte, dahinter müsse etwas »stecken«. Tante Melitta, sagte er, habe immer für eine sehr schöne Frau gegolten, und es sei wohl möglich, daß in dem »Kreis«, der sie in Wien zurückhält, ihr Herz gefangen sitzt.

Ich war sehr neugierig, die schöne »Tante« meines Mannes kennen zu lernen.

Sie kam, und ich fand, daß sie ihren Ruf verdiente: sie war wahrhaftig eine schöne Frau. Sie war noch mehr, sie war auch eine elegante und heitere Frau, ganz grande dame, und ich hatte noch nie eine solche so recht in der Nähe gesehen.

Einen so vornehmen Gast konnte ich unmöglich in unser einfaches Fremdenzimmer einlogieren; ich tat also, was ich schon kurz vorher für meinen Schwiegervater getan hatte, als er auf der Durchreise nach Bad Steinerhof einige Tage bei uns weilte, ich trat ihr mein Schlafzimmer ab und bezog selbst das Fremdenzimmer. Sie[122] nahm es als etwas Selbstverständliches an, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Nun begann sie ihre Koffer auszupacken. Leopold half ihr dabei. Sie saß an dem offenen Koffer, denn sie war sehr müde von der Reise, nahm die Dinge heraus und reichte sie ihrem Neffen. Dieser nahm die aus feinem durchsichtigen Stoff, mit Spitzen und Bändern reich geputzten Wäschestücke, ließ sie auseinanderfallen, starrte sie mit ehrfurchtsvollen Schauern an und breitete sie vorsichtig auf Bett und Chaiselongue aus.

»Du in deinem Zustand kannst mir ja doch nicht helfen, liebe Wanda,« sagte sie zu mir und sah mich voll Mitleid an, »und so mußt du schon erlauben, daß dein Mann mir hilft, denn ich bin so sehr müde.«

»Wie lieb das von dir ist, Melitta, daß du meine Frau nicht in Anspruch nehmen willst. Sie ist jetzt wirklich in einer Verfassung, wo sie vollständige Ruhe braucht – sie hat vollauf mit sich selbst zu tun.«

Während der Hofrat bei uns war, hatte er meinem Manne öfter Vorwürfe gemacht, daß er mich dies und jenes tun lasse und nicht sorglicher auf meinen Zustand achte, worauf dieser erwidert hatte:

»Der Vater soll sich nur um Wanda nicht beunruhigen; die ist ja so frisch und munter, der schadet gar nichts.«

Mit der Anwesenheit Melittas änderte sich das; jetzt mußte ich geschont werden. Die Rücksicht meines Mannes ging so weit, daß er abends die Türe, die aus seinem Zimmer in das meine führte, mit dem Schlüssel abschloß, damit ich, wenn er noch arbeitete, dadurch im Schlafe nicht gestört werde. Und doch war ich noch die letzten Abende, wie immer, bei ihm aufgesessen, obgleich mir die Augen vor Schlaflust zufielen.[123]

Erstaunt und neugierig, wohin das führen würde, sah ich den Dingen zu.

Tante und Neffe gingen jetzt jeden Tag zusammen aus. Und kamen sie am Abend in glücklicher Stimmung heim, dann wechselte Melitta Toilette und Leopold half ihr dabei. Erschien sie wieder im Salon, war sie in einem reizenden Deshabiller, das sehr oft nur aus einem Rock bestand, zu dem ihr Leopold eine meiner Pelzjacken angezogen hatte. So saßen sie sich gegenüber, plauderten und scherzten und, glitt zuweilen im Eifer des Gesprächs der Pelz auseinander, dann schlug sie ihn wieder zusammen, wobei alles zu sehen war, was sie an schönen Resten noch besaß.


Ganz nahe bei Bruck, aber in einsamer, unbewohnter Lage, wie angelehnt an einen bewaldeten Berg, stand ein Schlößchen, das so still und stumm dalag, als berge es ein Geheimnis. Und es barg auch eins. Das Schlößchen gehörte einem Grafen Bellegarde, von dem man erzählte, es habe ihn ein großes Leid getroffen, das ihn hierher in die Einsamkeit getrieben. Man sah ihn fast nie in der Stadt; ein Diener besorgte seinen Haushalt. Einen Tag in der Woche aber kamen einige der älteren Offiziere zu ihm zum Whist.

Schön Melitta war mit dem Grafen Bellegarde verwandt, und hatte ihm geschrieben, daß sie da sei und sich freuen würde, ihn zu sehen. Noch denselben Tag reiste der Graf ab. Er hinterließ ihr aber einen sehr hübschen Brief voll Bedauern über seine notwendige Abreise.

Das ärgerte die schöne Frau gewaltig. Sie hatte sich einen hübschen Plan ausgedacht, zu dessen Ausführung sie den Grafen gebraucht hätte. Es nahte sich nämlich[124] der 18. August, des Kaisers Geburtstag. An dem Tage ist es in so kleinen Garnisonen Brauch, sagte sie, daß morgens ein feierlicher Gottesdienst stattfinde, und am Abend ein Diner beim Kommandanten. Major Horvath vom 9. Jägerbataillon hatte aber eine sehr kranke Frau, die deshalb aller gesellschaftlichen Pflichten enthoben war. Das Diner sollte also im Hotel »Bernauer« stattfinden. Der Plan Melittas war, durch den Grafen Bellegarde dem Major nahe legen zu lassen, daß er die Abwesenheit der Frau seines Generals dazu benützen sollte, sie zu bitten, bei dem Diner die Honneurs zu machen. Das wäre eine Gelegenheit gewesen, von all den Herren Huldigungen zu empfangen, und danach hatte sie großes Verlangen. Nun war's nichts damit, weil ihr Verwandter feige die Flucht ergriffen.

In ihrer offiziellen Stellung mußte sie dem Gottesdienst beiwohnen, was sie zwar mit sehr guter Miene, aber innerlich sehr schlechter Laune tat. Da sie nicht gut mit Leopold in die Kirche gehen konnte oder wollte, wurde meine »Schonzeit« für diese Gelegenheit aufgehoben, und ich hatte die Ehre, die Frau Generalin ins Hochamt zu begleiten. Wir kleideten uns der ernsten Feier gemäß in starrende schwarze Seide und zogen, bewundert und angestaunt von allen Gassen, nach der Kirche.

Melitta machte Aufsehen, und damit kehrte ihre gute Laune zurück. Sie war auch eine prächtige Frau, eine jener unverwüstlichen Schönheiten, wie sie kein anderes Land als Österreich in solcher Menge hat. Sie war wohl um mehr als einen Kopf größer als ich und herrlich gebaut, zugleich kraftvoll und anmutig und weich. Die Offiziere schauten nur sie an, und als wir aus der Kirche gingen, bildeten sie Spalier.[125]

Am Nachmittag desselben Tages beschlossen Neffe und Tante, dem Hofrat in Steinerhof einen Besuch zu machen. Sie sagten, sie wollten zu Fuße hingehen, und da ich wieder in die »Schonzeit« zurückversetzt worden war, war von mir dabei nicht die Rede. Sie gingen also allein. Als ich ihnen aber nachblickte, sah ich, daß sie nicht die Straße hinaufgingen, sondern an die Bahn abbogen, also den Zug nahmen.

Ich hatte Frau Mels, die wieder einmal Strohwitwe war, durch all die Besuche, die wir gehabt, in der letzten Zeit etwas vernachlässigt, und ging jetzt, um ihr bei »Borbolani« einen Besuch zu machen.

Ich fand sie am Fenster sitzend, ihr Kind stillend und fleißig auf ein anderes Fenster gegenüber blickend.

Wir verbrachten einige Stunden zusammen, und als ich sie eben verlassen wollte, hörte ich von der Straße herauf meinen Namen rufen. Ich trat ans Fenster und da stand Leopold Arm in Arm mit Melitta, fest aneinandergedrückt, lachend und glücklich. Sie waren zu Hause gewesen, und da sie mich nicht gefunden, hungrig waren und essen wollten, waren sie mich holen gekommen.

Und Arm in Arm, lachend und schäkernd, gingen sie vor mir her, und ich folgte ihnen mühselig und traurig, das Herz voll bitteren Wehs.

Zu Hause erzählten sie mir, was für einen köstlichen Nachmittag sie verbracht. Sie waren zuerst beim Hofrat gewesen, hatten mit ihm Kaffee getrunken, und waren dann in den Wald gegangen, Erdbeeren pflücken, und das war herrlich! Melitta sagte:

»Ach, Wanda, daß du nicht mit warst! Wie köstlich hättest du dich unterhalten. Leopold war charmant, mit[126] ihm kann man sich nicht langweilen; du hast keine Idee, wie reizend er mit mir war!«

Sie will dir das Messer ins Herz stoßen; denk an dein Kind und bleib ruhig, sagte ich mir, und ich fand die Kraft, ihr zuzulächeln. Aber meine Ruhe reizte sie nur zu immer neuen Ausfällen, und als sie auch damit keinen Erfolg erzielte, tat sie, als ob ihr etwas unter den Tisch gefallen wäre, neigte sich herab, und dabei glitt ihr der weite Pelz und unter diesem das tief ausgeschnittene Hemd von den Schultern. – Leopold starrte sie ganz trunken an. Ich ging aus dem Zimmer – er merkte es nicht. Ich legte mich zu Bett, schlafen aber konnte ich nicht, und so mußte ich hören, was drüben vorging.

Am andern Morgen, als mein Mann zum Frühstück ins Speisezimmer kam, – durch das Schlafzimmer Melittas, die noch im Bett lag, in das er ihr bereits den Kaffee gebracht hatte – sagte ich zu ihm, auf die Uhr weisend:

»Schau, es ist jetzt neun Uhr. Um ein halb zwölf Uhr kommt der Eilzug nach Wien durch, wenn Melitta diesen Zug nicht nimmt, um abzufahren, weise ich sie aus dem Hause. Richte dich danach.«

Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen und offenem Munde an, ohne ein Wort zu erwidern. Ich ließ ihn sitzen und sperrte mich in mein Zimmer ein.

Eine Weile blieb alles still. Dann hörte ich lebhafte Bewegung, und wie mein Mann die Magd wegsandte, einen Mann zu holen, der die Koffer zur Bahn bringen sollte. Sie geht! dachte ich und freute mich, daß ich den Mut und die Kraft gehabt, diese Qual abzuschütteln.

Nun wußte ich, was ich von seiner großen Liebe zu mir zu halten hatte – und das hatte auch sein Gutes.[127]

Jetzt hieß es nur, das Leben zusammenhalten, nach außen korrekt, mag es im Innern noch so voll Wirren sein, und das Beste und Liebste hochhalten, damit es keinen Schaden nähme und nicht beschmutzt werde. –


Während einiger Tage wehte eine kühle Luft zwischen mir und meinem Manne. Mir tat sie wohl, sie reinigte etwas die schon gar zu schwül gewesene Atmosphäre, und ich ruhte in ihr aus, denn ich war an Körper und Seele erschöpft. Doch schlug der Wind bald wieder um: Leopold kroch zu Kreuz und tat Abbitte, behauptete aber dabei, zwischen ihm und Melitta sei nichts Unrechtes vorgefallen.

»Darum habe ich dich nicht gefragt,« erwiderte ich ihm. »Was in meiner Gegenwart vorgefallen ist, war Unrecht genug gegen mich, um das, was ich getan, zu rechtfertigen.«

»Ja, natürlich. Du tatest ganz recht. Sie hat sich wirklich frech dir gegenüber benommen. Mir hat es sehr gut gefallen, daß du so viel Energie gezeigt hast. Aber du müßtest auch mich strafen, denn ein wenig war ich doch daran schuld. Tu mir doch etwas an, räche dich, schlag mich; erfinde eine Pein für mich; ich habe förmlich das Verlangen, von dir gezüchtigt zu werden.«

O, wie ich mich innerlich von ihm abwandte. Daß er nicht ahnte, nicht begreifen konnte, wie mir das widerlich war!

General Kövöcs hatte, als er bei uns war, bemerkt, er wisse nicht, was er mit seinem Sohn Albin während der Ferien anfangen solle, worauf ihm Leopold sagte, er möge ihn zu uns senden. Der General war damit sehr einverstanden, und kaum war Melitta weg, kam Albin an.[128] Er war ein sehr hübscher Junge von 16–17 Jahren, aber blutarm und matt wie ein bleichsüchtiges Mädchen.

In dieser Zeit war es, daß eines Tages ein wie eine Arbeiterin angezogenes Weib kam und nach dem Herrn Doktor fragte. Man führte sie in sein Zimmer und sie blieb dort sehr lange, dann rief mich mein Mann. Als ich kam, hatten beide verlegene Gesichter. Nach langem Herumreden erfuhr ich, daß die Person aus Klagenfurt gekommen, und die Kostfrau des Kindes war, das Leopold mit der Schauspielerin Clairmont gehabt; daß das Kostgeld nicht regelmäßig bezahlt wurde und die Frau das Kind, das Linerl, nicht mehr behalten wolle. Es handelte sich jetzt darum, zu entscheiden, was mit dem Kinde geschehen solle.

»Laß es herbringen,« sagte ich, »es ist hier Platz genug.«

Überrascht schauten sie beide auf mich. Ich hatte wohl gemerkt, daß das Weib aus der peinlichen Situation meines Mannes Vorteil ziehen wollte und eine drohende Miene angenommen hatte. Jetzt war sie entwaffnet. Die Sache war rasch abgemacht. Ich holte mein Wirtschaftsgeld, bezahlte, was die Frau zu fordern hatte, und es wurde beschlossen, daß meine Mutter schon den nächsten Tag nach Klagenfurt fahren sollte, um die kleine Lina zu holen. Da ich dem Weib auch die Reise ersetzte und zu essen und zu trinken gab, ging sie in besserer Stimmung als sie gekommen war.

Leopold war nicht ganz sicher, wie ich das mit dem Kinde meinte, und frug, nachdem wir wieder allein waren, etwas unsicher:

»Du hast doch nicht die Absicht, das Kind ganz im Hause zu behalten?«[129]

»Warum nicht?«

»Du wirst doch selbst Kinder haben.«

»Eben deshalb. Da kommt es auf eins mehr nicht mehr an.«

Er dankte mir und sagte, ich hätte ihm damit eine lästige Sorge abgenommen.

Die Frau hatte gesagt, das Kind hätte nur noch Lumpen am Leibe. Ich machte rasch ein Kleidchen und das nötigste zurecht und am nächsten Tage reiste meine Mutter damit nach Klagenfurt und kehrte noch denselben Tag mit Lina zurück.

Das Kind war in einem jammervollen Zustand. »Schlechte und mangelhafte Nahrung, schlechte Luft und Unsauberkeit haben ihr einen schönen Skrofelbauch gegeben,« sagte Doktor Schmit, der es untersuchte.

Ich schaute auf meinen Mann, der verlegen und kleinmütig dastand. Und dabei war das kleine Mädchen trotz seiner grünlichen Blässe, und trotzdem es seinem Vater auffallend glich, schön. Mit ihren großen dunklen Augen – seinen Augen – sah sie voll Scheu und Schrecken auf den fremden Mann, der von ihr verlangte, sie solle »Papa« zu ihm sagen.


Am 7. September kam ich nieder.

Zwei Tage später brachte man den bereits sterbenden Hofrat von Steinerhof zu uns.

Bis zum Morgen dauerte das Sterben. Dann wurde es still.

Wie nahe nebeneinander lagen jetzt Geburt und Tod. Dort der alte abgestorbene Stamm und hier das neue[130] junge Leben – Fleisch von seinem Fleisch. Und das ist alles, was wir von der Unsterblichkeit wissen.

Die Nacht hatte mir lang geschienen; das Röcheln war so grauenhaft anzuhören und wollte kein Ende nehmen. Warum sterben die Menschen nicht wie sie geboren werden, ohne es zu wissen?

Einmal war Leopold hereingekommen und sagte:

»Der Vater stirbt. Soll ich nicht nach einem Geistlichen senden?«

»Laß ihn ruhig sterben.«

»Aber vielleicht sehnt er sich danach.«

»Nein. Er denkt gewiß nicht daran. Wenn er sich nach etwas sehnt, so ist es der Atem, der ihm fehlt.«

Mein Mann ertrug den Tod seines Vaters mit viel Ruhe. Er sagte, es täte ihm wohl leid um ihn, allein er habe jetzt in seinem Herzen keinen Raum für andere Gefühle, als Freude über sein Kind.

Nach dem Begräbnis saßen Doktor Schmit, Graf Hendl, Schwager Karl und mein Mann im Speisezimmer beim Kaffee; da im Salon keine Türen waren, hörte ich, was dort gesprochen wurde:

»Um welche Zeit ist denn der Vater eigentlich gestorben?« frug Karl.

»Es war genau fünf Uhr,« erwiderte mein Mann.

»Das ist merkwürdig. Als ich dein Telegramm mit der Todesnachricht erhielt, sah ich auf unsere Totenuhr – sie stand auf fünf.«

Einen Augenblick schwiegen sie; dann frug Dr. Schmit:

»Was ist's mit dieser Uhr?«

»Es ist eine kleine schwarze Stutzuhr,« erklärte Leopold, »die regelmäßig zu der Stunde stehen bleibt, wenn eins aus der Familie stirbt.«[131]

»Dazu hab ich einen Beitrag,« sagte der Arzt langsam und zögernd, als käme es ihm schwer an. »Sie wissen, daß ich um Mitternacht noch hier war beim Hofrat. Dann ging ich heim und legte mich sofort zu Bett. Morgens weckte mich meine Frau wie gewöhnlich, und ich sah wie gewöhnlich zuerst nach der Uhr, die auf ihrem Platz am Nachttisch lag – sie stand auf fünf. Ich erinnerte mich jetzt auch, daß ich im Schlaf jenen feinen Ton gehört habe, den man beim Zerspringen einer Uhrfeder hört, und nur halb erwacht sagte ich mir: das war in meiner Uhr, die Feder ist gebrochen. Ich sah jetzt nach und es war so, die Feder war entzwei.«

»Zufall!« sagte Graf Hendl. Erst nach einer Minute erwiderte der Doktor:

»Ja, freilich, was sonst? Wir haben ja keine andere Erklärung dafür.«

Nachdem die Herren gegangen waren, kam mein Mann zu mir und sagte:

»Du, hast gehört? Ich wollte es dem Doktor nicht sagen, denn es schien ihm ohnedies einen starken Eindruck zu machen, den ich nicht noch vergrößern wollte, aber Vater hat noch wenige Minuten, ehe er starb, seinen Namen genannt und das war das letzte Wort, das er gesprochen; wollte er, daß man Schmit wieder rufe, oder war's nur Dankbarkeit, weil er sich so aufopfernd gezeigt, das weiß ich nicht.«

Mein Mann war wohl sehr abergläubisch. Er würde in keinem Zimmer geblieben sein, in dem drei Lichter angezündet waren; er trug stets drei Roßkastanien in seiner Tasche gegen Schwindel, und wenn es einmal vorkam, daß er seine Kastanien zu Hause gelassen hatte, dann kehrte er um und holte sie, wo er auch war; er[132] spuckte dreimal aus, wenn er von seiner oder der Gesundheit irgend eines Menschen sprach, und begegnete er, wenn er ausging, zuerst einem alten Weibe, dann ging er sofort wieder heim; was aber sein ganzes Leben gleichsam dirigierte und alle seine Entschlüsse entscheidend beeinflußte, das war sein Traumbuch. O, wie viele qual- und sorgenvolle Stunden hat mir dieses Traumbuch bereitet! Um was es sich auch handelte, ohne sein teures Orakel zu befragen, wurde nichts unternommen, nichts beschlossen.

»Ich werde heute nacht auf meine Träume aufpassen, und morgen sehen, was das Traumbuch dazu sagt,« so hieß es stets, ob Wichtiges oder Unwichtiges bevorstand. Und dieses schmutzige, alte, zerblätterte Buch hatte immer Recht, immer das letzte Wort. Denn wenn seine Aussprüche mit den Tatsachen nicht stimmten, oder diesen direkt entgegen waren, dann war es gewiß nicht das Buch, das sich geirrt, sondern er, Leopold, hatte es nicht richtig verstanden, seine geheimnisvollen Winke richtig auszulegen. Es war ihm etwas Heiliges, das ist das richtige Wort, und ich würde nie gewagt haben, dagegen zu räsonnieren oder etwa gar darüber zu scherzen – denn dann würde es zwischen uns zu einem ernsten und nie wieder gut zu machenden Zerwürfnis gekommen sein.

Wäre mir daher nur von ihm die Mitteilung über das, was beim Tode des Vaters vorgefallen, gekommen, so hätte ich gewiß nicht viel darauf gegeben; allein ich hatte gehört, was Dr. Schmit und Karl darüber erzählt hatten, und ich wußte, daß sowohl der Jurist als der Arzt ganz nüchterne Menschen waren.


Es war höchste Zeit, daß unser Ansehen bei den Bewohnern von Bruck durch das »schöne und ehrenvolle[133] Begräbnis« des Hofrats wieder etwas gehoben wurde, denn es war in der letzten Zeit arg im Abnehmen gewesen.

Anfangs, als wir eben die »Tillsche Mühle« bezogen, wußten die guten Brucker nicht recht, was sie eigentlich aus uns machen sollten. Staudenheim erzählte uns einmal in seiner lustigen Weise, wie er beim Eisschießen zwei von ihnen über uns hatte sprechen hören:

»Wer san denn die neuen Leit' in der ›Tillschen Mühl'‹?«

»Der Herr is a Doktor.«

»Macht er Prozeß?«

»Na, ka Prozeßdoktor is er net.«

»Kuriert er die Kranken?«

»Na, a solcher Doktor is er a net.«

»Ja, was doktert er denn hernach?«

»Er schreibt Bücher.«

»Ja wia denn des?«

»Er hat a Menge, da schreibt er ab und macht neue draus.«

»Jesses! San das so g'scheidte Leit?«

Da ihnen unser Name nicht recht »handsam« auszusprechen war, blieben wir für sie die »g'scheidten Leit.«

Ja, damals standen wir im hohen Ansehen bei ihnen, aber das änderte sich bald. Es waren ihnen da allerhand Gerüchte über unsere innere Angelegenheit zu Ohren gekommen, die sie stark irritierten. Besonders unzufrieden waren sie mit der »Gnädigen.« Ging sie nicht im Sommer in der größten Hitze in einem langen dicken Pelz daher, wenn sie nicht gar als »eiserner Ritter« in Helm und Panzer sich mit ihrem Mann mit Säbeln schlug? Und daß sie wie ein Mann Billard spielte, das konnte jeder sehen. Übrigens bekam auch Leopold seinen Teil ab.[134] Denn daß ein »Doktor« mit Papiersoldaten spielte, das ging über ihre Begriffe. Sie drückten ihre Mißachtung dadurch aus, daß sie uns nicht mehr die g'scheiten, ab nur noch die »narrischen Leit« nannten. Die vornehme Besuche, die wir erhielten, der Tod des Hofrats und sehr schönes Begräbnis milderten zwar etwas ihre üble Meinung über uns, konnten aber an unserer Narrheit nicht ändern, und wir waren und blieben für sie die »narrische Leit!«


Recht sorgenvolle Zeiten brachen für mich an. Es war kein Geld im Hause, dagegen ganze Haufen unbezahlte Rechnungen.

Ich ließ mich nicht zu sehr dadurch verstimmen. Leopold sollte in nächster Zeit etwa tausend Gulden erhalten und das würde wenigstens augenblicklich Ordnung schaffen.

Doch statt des Geldes kamen eines Tages mehrere Kisten mit Toiletten für mich von einem großen Wiener Modenhause an. Es war eine »Überraschung« meines Mannes. Und das war es wahrhaftig! Was waren das für schöne Kleider. Ein schwarzes Samtkleid stand allein für vierhundert Gulden auf der bezahlten Rechnung. Und dann war da ein Theatermantel – ich brauchte einen solchen ganz besonders nötig – aus orientalischem Stoff; eine Tolman in weißem Atlas mit schwarzem Fuchs besetzt; ein blaß-lila und ein weißes Seidenkleid, von so ausgesuchter Eleganz, daß ich ganz überwältigt und wortlos all diese Pracht anstaunte.

Ich mußte die Toiletten eine nach der anderen probieren, und am liebsten wäre es Leopold gewesen, ich wäre auch gleich mit jeder durch die vier Straßen von[135] Bruck gegangen, um sie der »Welt« zu zeigen. Er war so glücklich über all das Herrliche, das ich jetzt hatte, daß mir der Mut fehlte, ihn merken zu lassen, wie mir's ums Herz war.

Eine so großartige Sendung von Toiletten war in Bruck bald bekannt geworden, und das Resultat war, daß die Leute, die uns so lange Kredit gegeben, sehr höflich, aber auch sehr dringend um Zahlung baten. Wie gern hätte ich die schönen Dinge wieder verkauft, um nur etwas von dem Gelde, das sie gekostet, zurückzubekommen. Doch daran war nicht zu denken, ich hätte Leopold damit zu unglücklich gemacht.

So durfte es nicht länger gehen, wir würden immer tiefer in Schulden geraten und die Verlegenheiten kein Ende nehmen. Meinem Manne zerfloß das Geld in den Händen. Nicht nur daß er das, was er besaß, in der unüberlegtesten Weise verschwendete, sondern auch das, das er erst erwartete und dessen er oft nicht einmal sicher war, gab er aus, indem er darauf Schulden machte.

Einen Augenblick dachte ich daran, wieder zu schreiben, um auch etwas zu verdienen, aber ich gab den Gedanken bald wieder auf. Ich hatte einen Mann, Haushalt und Kinder, das waren ernste Pflichten, die mir nahe gingen, das Herz warm und den Geist wach erhielten. Das bischen Geld, das ich hätte verdienen können, stand in keinem Verhältnis zu den großen Nachteilen, die unser Familienleben erlitten, wenn ich ihm meine Zeit entzogen hätte. Und daß ich die Schriftstellerei so leicht aufgegeben, war mir auch ein Beweis, daß es mit meinem Talent nicht weit her war.

Nachdem sich die erste Freude über die schönen Kleider etwas gekühlt hatte, sprach ich mit Leopold über unsere[136] Lage. Ich suchte ihm begreiflich zu machen, daß wir jetzt, in Rücksicht auf die Kinder, daran denken müßten, in geordnete Verhältnisse zu kommen, da es uns sonst unmöglich sein würde, ihnen eine angemessene Erziehung zu geben. Auch würden diese fortwährenden Geldverlegenheiten schließlich seinem Ansehen als Schriftsteller schädlich werden; er sei es sich selbst schuldig, sich frei zu machen und das sei nicht schwer, da er ja genug Geld verdiene, um schön und behaglich zu leben, es sei nur Ordnung nötig.

Er gab mir ganz Recht und schlug mir vor, ich möge von nun an selbst die Kasse führen, sein ganzes Geld verwahren und ihm nur so viel geben, um die alten Schulden zu bezahlen und mir von Zeit zu Zeit einen Pelz zu kaufen.

Das war abgemacht. Seine Schulden sollte er bezahlen, und daß für Pelze so wenig Geld als möglich übrig bleiben sollte, dafür wollte ich schon sorgen.

Er sagte mir dann noch, er täte das sogar sehr gern, weil er sich mit Geld nicht gern befasse und weil es auch einen großen Reiz für ihn habe, ganz von mir abhängig zu sein. Deshalb sollte ich ein schriftliches Abkommen mit ihm treffen, das er unterzeichnen würde und in welchem er mir das alleinige Recht auf sein ganzes Einkommen zuerkenne. Darüber mußte ich wieder lachen, er aber nahm es sehr ernst und bat, daß ich den Vertrag sofort schreibe, und er sich ganz in meiner Hand fühle. Ich erkannte die Vorteile, die ich für unsere wirtschaftliche Lage daraus ziehen könnte, und war dazu bereit. Ich setzte mich also an den Schreibtisch, und er brachte mir einen schönen Bogen Kanzleipapier und sagte:[137]

»Du mußt aber einen Pelz anziehen, wenn du das schreibst, damit ich das Gefühl deiner Herrschaft bekomme.«

Ich zog den Pelz an und schrieb den Vertrag! Er stand abseits und sah mit Schrecken und Entzücken auf mich. Nachdem das Schriftstück fertig war, unterschrieb er es, indem er sagte:

»Bewahre es gut auf. Du bist jetzt meine Gebieterin und ich dein Sklave. Ich werde nur noch ›Herrin‹ zu dir sagen. Befehle mir und ich werde dir immer gehorchen.«

Ich fing die neue Ära damit an, daß ich aller häuslichen Verschwendung ein Ende machte. Den Geschäftsleuten wurde gesagt, daß sie nichts mehr ins Haus senden dürften, das nicht ausdrücklich bestellt war. Mit dem ersten Gelde, das einging, bezahlte ich alle kleinen Schulden, und nach einigen Monaten war ich von drückenden Verpflichtungen frei, ja ich hatte bereits eine kleine Summe auf der Seite.


Zwei Kritiken, die man uns zugesandt, gaben mir viel zu denken. Die eine war in den »Débats« und von Asher, dem damaligen Kritiker des Pariser Blattes, unterzeichnet. Die andere kam aus Deutschland, doch kann ich mich weder an den Namen des Blattes, noch den des Kritikers erinnern.

Was die »Débats« sagten, war so glänzend, daß Leopold vor Freude darüber förmlich erschrak. Asher begann damit zu erzählen, wie eben etwas ganz Seltsames in der literarischen Welt in Paris vorgehe: ein junger klein-russischer Schriftsteller, der bisher in Frankreich ganz unbekannt war, habe in unglaublich kurzer Zeit durch die Veröffentlichung einiger seiner Novellen[138] so viel Interesse und Sympathie erregt, daß den Parisern sein für französische Zungen geradezu unaussprechlicher Name geläufig geworden ist, und daß man in jedem Salon qui se pique d'être littéraire der Frage begegnet: »Haben Sie den ›Don Juan von Kolomea‹ von Sacher-Masoch gelesen?«

Das war mehr, als mein Mann brauchte, um in Ekstase zu geraten.

Die deutsche Kritik war weniger schmeichelhaft, dafür aber eingehender, und man fühlte aus ihr warmes und aufrichtiges Interesse für das Talent Sacher-Masochs. Mich machte sie nachdenklich, weil sie sagte, was ich selbst schon gedacht hatte, aber Leopold gegenüber nicht auszusprechen wagte: Daß die Frauen in seinen Novellen anfingen, sich auffallend ähnlich zu sehen; so interessant diese Frauen auch seien, bei Wiederholungen ermüdeten sie, und es sei Gefahr vorhanden, daß Sacher-Masoch dadurch monoton werde. Er müsse sich von diesem Frauentypus befreien, indem er dieses Weib aus seinem Leben streiche, auf die eine oder andre Art mit ihm fertig werden, damit es nicht mehr in seinen Büchern spuke. –

Nachdem die Freude über den Artikel in den »Débats« sich etwas gelegt hatte, frug ich ihn, was er zu der deutschen Kritik sage. Er hatte sie erst flüchtig angesehen. Jetzt las er sie aufmerksam, und darauf wurde auch er nachdenklich.

»Alles, was der Mann sagt, ist richtig,« versetzte er dann. »Nur in einem irrt er sich – in der Hauptsache. Wäre diese Frau, wie er meint, in meinem Leben, dann wäre sie nicht in meinen Büchern. Sie kommt hinein, weil ich den Geist voll von ihr habe. Sobald ich eine Frau schildern will, ist sie es, die mir in die Feder[139] kommt; gegen meinen Willen muß ich immer wieder sie beschreiben, und bin ich einmal dabei, dann kommt es wie ein Rausch über mich, und ich kann nicht aufhören, bis sie in ihrer ganzen teuflischen Schönheit gemalt ist ... Daß es die Leser schließlich langweilen wird, das fürchte ich selbst oft, aber was tun?«

»Solche Frauen waren doch schon in deinem Leben.«

»Du meinst die P ...?«

»Sie und andere.«

»Ach, alle wollten nur das sein, waren aber zu schwach dazu.«

»Natürlich. Wie willst du eine Gestalt deiner Phantasie genau so in der Wirklichkeit finden? Du verlangst zuviel. Du solltest deine Bedeutung als Schriftsteller nicht dadurch in Frage stellen. Die deutsche Kritik gibt dir einen gutgemeinten Wink, du solltest ihn verstehen und nicht warten, bis dir derselbe Vorwurf auch in Frankreich gemacht wird. Dir liegt doch so viel an dem Beifall der Franzosen, du siehst deine Zukunft in Frankreich – bedenke, was auf dem Spiele steht; faß einen Entschluß und wirf ein für allemal das ›böse Ideal‹ über den Haufen.«

Er sah mich sehr ernst an.

»Du hast wohl recht. Ich muß es aufgeben. Du könntest mir viel dabei helfen.«

»Wie das?«

»Indem du die Pelze trägst und die Peitsche schwingst.«

»Ich trage doch Pelze.«

»Ja, aber mit der Peitsche willst du dich nicht befreunden. Was auf dem Spiele steht – unsere Zukunft – muß dir ebensoviel wert sein, als mir. Wenn[140] ich ein Opfer bringe, dann kannst du auch eins bringen. Es ist mir ein Genuß, von meiner Frau malträtiert zu werden; also malträtiere mich, und ich gebe dir mein heiligstes Versprechen, mein Ehrenwort, daß von heute an keine grausamen Frauen in meinen Novellen mehr auftreten werden. Gehst du darauf ein?«

Ich überlegte nicht lange. Wenn er sein Wort hielt, woran ich nicht zweifelte, war alles gewonnen.

Von nun an verging kaum ein Tag, an dem ich meinen Mann nicht peitschte, ihm nicht beweisen mußte, daß es mir mit meinem Versprechen ernst war. – Anfangs kostete es mich viel Überwindung, aber nach und nach gewöhnte ich mich daran, obgleich ich es immer widerwillig und unter dem Zwange der Verhältnisse tat. Da er sah, daß ich mich darein gefunden hatte, war er erfinderisch, die Sache so schmerzlich als möglich zu machen. Er ließ nach seiner Angabe Peitschen fertigen, und unter diesen eine mit scharfen Nägeln durchzogene sechsschwänzige Knute. –

Nun hielt er sein Versprechen, und was er in den nächsten Jahren schrieb, war frei von Pelzen, Peitschen und Grausamkeiten.


In diesem Winter schrieb ein junges Mädchen aus Genf, Fräulein Kathrin Strebinger, und bat Leopold, ihr zu erlauben, seine Novellen übersetzen zu dürfen. Sie sagte, sie sei die Tochter eines Pastors in Morges, wohne aber in Genf, wo sie Rochefort auf die Novellen Sacher-Masochs aufmerksam gemacht habe. Sie habe in der Revue des deux mondes alles gelesen, was Frau Bentzon übersetzt, und würde gern unter denselben Bedingungen und[141] für dasselbe Blatt übersetzen, was sie, dank ihrer Beziehungen zu Rochefort, leicht könne.

Unter denselben Bedingungen, wie Frau Bentzon! Das waren allerdings günstige Bedingungen.

Leopold nahm das Anerbieten an und nannte als Bedingung die Hälfte des Honorars. Gleichzeitig sandte er ihr eine Novelle ein. Nicht lange nachher erschien diese wirklich in der Revue des deux mondes und als die Hälfte des Honorars erhielt er von Fräulein Strebinger mehr als er in Deutschland oder Österreich für ein Original bekam.


Mit dem Winter war auch Staudenheim wieder nach Bruck gekommen. Wie früher, saßen wir abends wieder zusammen beim Schach, während mein Mann schrieb.

Es gehörte zu den Manien meines Mannes, von Zeit zu Zeit Toiletten für mich zu »dichten«, die mich zur Verzweiflung brachten, eine Verzweiflung, die ich mich aber wohl hütete ihn merken zu lassen. So trug ich in jenem Winter ein spinatgrünes Kleid, dazu eine rote Tuchjacke mit schwarzen Samtaufschlägen, wie sie die Postillone tragen, und eine Dragonermütze, gleichfalls von schwarzem Samt und mit Hermelin besetzt.

Als ich das erste Mal so angetan ausgegangen war, mußte mich Staudenheim von seinem Fenster aus gesehen haben, denn er sagte abends zu mir:

»Gnädige Frau, aus welchem Modejournal ist denn die Toilette, die Sie heute anhatten?«

»Eine Erfindung meines Mannes.«

»Ist sie nicht reizend?« frug dieser, der dabeisaß. Staudenheim sah ihn von der Seite an.[142]

»Das schon,« sagte er, »nur schmeckt sie stark nach dem Zirkus. Für eine Kunstreiterin wäre sie das Ideal.«

Leopold, der Komplimente erwartet hatte, verbiß seinen Ärger und ging in sein Zimmer, um zu schreiben.

Und jetzt sprach Staudenheim zum ersten und letzten Mal mit mir allein – von mir.

»Sie sind nicht böse wegen meiner Bemerkung über Ihre Toilette?«

»Nein.«

»Aber, warum lassen Sie sich so herrichten?«

»Weil es ihn freut.«

Er sah mich an, so recht tief in die Augen wie er es sonst nicht oft tat, und sagte dann:

»Wissen Sie, was ich am meisten an Ihnen bewundere?«

Ich winkte ihm mit der Hand ab, er aber fuhr fort:

»Nein, Sie können hören was ich sagen will – er auch. Was ich am meisten an Ihnen bewundere, ist, was für ein guter Kamerad Sie Ihrem Mann sind. Ich glaube, darin liegt das Geheimnis aller glücklichen Ehen. Wie Sie immer mit guter Laune alle seine Marotten mitmachen ... das würde keine andere Frau tun .... nein, keine. Damit werden Sie ihn immer halten ... Komisch ist dabei, daß er Sie seine Herrin und sich Ihren Sklaven nennt.«

Ich dachte, wie mein Eingehen auf die Marotten meines Mannes diesen nicht verhindert hatten, mir mit Melitta untreu zu sein, und wie oft die klügsten Reden von der Wahrheit am weitesten entfernt sind. –


Hat dich der Teufel erst an einem Haar – so hat er dich auch ganz.[143]

So ging es mir, nachdem ich einmal aus Rücksicht auf seinen schriftstellerischen Ruf nachgegeben, und auf die Phantasien meines Mannes eingegangen war.

Jetzt trat er direkt mit dem Verlangen an mich heran, ihm untreu zu werden.

Zuerst hatte ich ihm mit einem entschiedenen »Nein« geantwortet. Er aber hatte eine immer siegreiche Art, meinen Widerstand zu brechen.

Meine Weigerung nahm er ruhig hin, ohne ein Wort zu erwidern, ja ohne auch nur den geringsten Ärger zu zeigen – aber er schrieb von dem Tage an keine Zeile mehr. Wochen, Monate vergingen. Ich sah den Tag kommen, an dem wir ohne Geld sein mußten und machte ihm Vorstellungen.

Er schien darauf gewartet zu haben.

»Du meinst wohl, ich könne Novellen schreiben, wie du Strümpfe strickst? Ich brauche zu meinen Arbeiten Stimmung, Anregung. Was mich anregt, weißt du. Wenn du willst, daß ich für dich und deine Kinder Brot verdiene, dann kannst du doch auch etwas dazu tun. Man möchte wahrlich glauben, daß ich etwas ganz Entsetzliches von dir verlange. Was es ist, kann dir doch nur ein Vergnügen sein, du aber tust, als ob ich das schwerste Opfer von dir forderte.«

Was sollte ich tun? Anderes als nachgeben?

Ich erwartete wieder ein Kind; mit Lina waren es dann drei. Und immer fehlte es an Geld im Hause. Ich mochte sparen, wie ich wollte, kaum hatte ich etwas auf die Seite gebracht, da kamen unvorhergesehene Ausgaben: ein drohender Prozeß wegen einer Schuld, ein Blatt oder ein Verleger, der nicht zahlte, kurz, es gab immer was, das mein Erspartes verschlang. Und hatte Leopold[144] irgendeinen kostspieligen Wunsch, kostspielig für unsre geringen Mittel – so fehlte es mir an Mut, ihm die Befriedigung desselben zu verweigern, in Rücksicht darauf, daß es ja sein Geld war.

Ich durchforschte und frug mich, warum ich seinen Wunsch nicht erfüllen wollte. Im Grunde war es, wie er richtig sagte, nichts Entsetzliches, sich von einem anderen, als seinem eigenen Mann lieben zu lassen. Moralische Gründe waren es nicht; oder doch, es waren moralische Gründe. Es ging nicht gegen meine Moralbegriffe, zu lieben und geliebt zu werden, wenn Herz und Sinne darnach verlangten.

Mein Mann, meine Kinder, mein Haus, das war eine kleine, aber so reiche Welt, daß ich volle Befriedigung in ihr fand. Auch handelte es sich hier gar nicht um mein, sondern um sein Verlangen. Das war's wo er meiner Natur Gewalt antun wollte, diese aber sich dagegen bäumte. –

Dazu kamen noch andre Bedenken. Seitdem ich mit Sacher-Masoch lebte, war ich entweder schwanger oder ich nährte ein Kind – die Pflichten, die mir das auferlegte, schienen mir wichtiger und lagen mir mehr am Herzen, als die Befriedigung seiner Begierden. Und falls ich nachgegeben und diese Nachgiebigkeit Folgen gehabt hätte? Da hatten wir bereits ein Kind, dessen Mutter ich nicht war, sollte ich welche ins Haus bringen, deren Vater er nicht sein würde? Das alles war so widerwärtig, so gefahrdrohend für unser aller Glück, daß ich mich mit Schrecken davon abwandte.

Soweit war ich jedoch schon, daß ich es nicht mehr wagte, ihm mit einem offenen »Nein« zu antworten, als er mir jetzt wieder von Herrn F. sprach. Eine erneuerte[145] »Arbeitseinstellung« mußte ich um jeden Preis vermeiden.

Er merkte mir aber doch an, daß ich über seinen Vorschlag nicht sehr erfreut war, und deshalb lobte er mir den »schönen Herrn F.« und versicherte mich, daß ich eine ganz falsche Meinung von ihm hätte, er sei ein sehr netter Mensch und ganz gewiß schon seit langem in mich verliebt. Er brachte ihn auch ins Haus. Aufgebracht über seine Anwesenheit, beleidigte ich ihn in Gegenwart meines Mannes und einiger Offiziere – Er kam nie wieder. Es tat mir dann leid, daß ich es getan hatte, denn er war nicht von selbst gekommen, aber ich hatte kein anderes Mittel, ihn für immer los zu werden.

Ich fürchtete, Leopold werde mir das übelnehmen und mir darüber Vorwürfe machen, als wir aber allein waren, lachte er und sagte:

»Das hast du wunderbar gemacht. Der arme F., er war wie aus den Wolken gefallen. Da hast du wieder einmal gezeigt, daß ich recht habe, wenn ich behaupte, daß du etwas von einer Sultanin, einer Monarchin in deinem Wesen hast; du könntest einem unbequemen Untertanen in aller Seelenruhe den Kopf vor die Füße legen lassen.«

Da Staudenheim und F. in dieser Richtung nichts mehr hoffen durften, sah sich mein Mann weiter um einen Liebhaber für mich um. Er kam bald zu der Überzeugung, daß es in Bruck keine große Auswahl gab. Ich sollte nach Graz gehen und dort so lange bleiben, bis ich den »Griechen« gefunden hätte. Er nannte meinen künftigen Geliebten stets den »Griechen«, weil in der »Venus im Pelz« deren Liebhaber ein Grieche ist, und der meinige dieselbe Rolle in dem zu erwartenden Drama spielen[146] sollte. Ich überlegte, wie ich es anstellen werde, um meinen Aufenthalt in Graz so kurz als möglich zu machen. Der Zufall half mir. Es sollte Geld für diesen Zweck eingehen; es kam auch, allein die Summe war lange nicht so groß als wir erwartet hatten, und erlaubte mir, höchstens acht Tage im Hotel zu leben. Diesmal segnete ich den sonst recht fatalen Zufall.

Leopold empfahl mir, in Graz jeden Abend ins Theater zu gehen, mich viel auf der Promenade herumzutreiben, hauptsächlich aber im Hotel die Augen offen zu halten; denn in den Hotels machten alleinreisende Frauen die interessantesten Bekanntschaften, er habe das selbst erfahren; die R ... wie die Frau P ... seien Hotelbekanntschaften gewesen.

Ich legte seine guten Ratschläge zu den stolzen und schönen Kleidern, die er in meinen Koffer packte, und brachte die einen wie die andern so sauber und unberührt, wie ich sie mitgenommen, wieder nach Hause, denn ich hatte keine Verwendung dafür gefunden. Ich war nur zwei Tage abwesend. Gleich nach meiner Ankunft in Graz schrieb ich an meinen Mann, ich hätte auf der Fahrt rasende Zahnschmerzen bekommen und würde, wenn es den nächsten Tag nicht besser ginge, wieder zurückkehren, denn krank im Hotel zu sitzen hätte keinen Sinn. Darauf erhielt ich einen Brief, der mir sagte: »Komm! du wirst mit offenen Armen empfangen sein, denn dein Mann vergeht in Sehnsucht nach dir.«

Eine Trennung war uns beiden unmöglich; mir wegen der Kinder, und ihm, weil er so gewöhnt war, mich jede Minute um sich zu haben, daß er mich nicht entbehren konnte.
[147]

Sacher-Masoch hatte eine sehr ausgebreitete Korrespondenz, die ihn freute, weil sie ihm ein Beweis seines großen Rufes war, andererseits aber auch wieder lästig wurde, weil sie ihm viel Zeit raubte. Er widmete ihr einen Tag in der Woche. Da er sich in seiner Arbeit durch die ankommenden Briefe nicht wollte stören lassen – vielleicht durch unangenehme eine gute Stimmung verlieren – war es ausgemacht, daß ich alle Postsachen an mich nahm und ihm erst nach Tisch vorlegte. Ebenso gingen alle Briefe, die er schrieb, sowie alle Manuskripte, die er versandte, durch meine Hände.

Zu den Frauen, mit welchen er in regelmäßigem Briefwechsel stand, gehörten eine in Schlesien lebende Gräfin X. und ein Fräulein v. Oberkamp in München. Wie alle andern gingen auch die Briefe an und von diesen Damen durch meine Hände.

Daß mein Mann mit Frauen korrespondierte, wußte ich also, und ich sah es sogar gern; für ihn war ein Briefwechsel mit einer geistreichen Frau gewiß eine Anregung, und an eine Gefahr dabei dachte ich nicht. Es war mir daher nie eingefallen, nach dem Inhalt dieser Briefe zu fragen oder danach zu forschen, obgleich ich das leicht hätte tun können. Manchmal erzählte mir mein Mann, was ihm diese oder jene geschrieben, manchmal auch, was er darauf geantwortet – das war alles.

Fräulein v. Oberkamp sandte ihm wiederholt ihre Photographie, und er zeigte sie mir: ein von Locken umwalltes Haupt, mit exaltiertem Ausdruck, wie es sich für eine Schriftstellerin paßt – denn das war sie. Sie war zudem furchtbar schreibwütig. Zuweilen, wenn mein Mann in meiner Gegenwart ihre Briefe öffnete und 4–5 Bogen herauskamen, sagte er:[148] »Ach, das verrückte Frauenzimmer, was hat sie nun wieder so viel zu schreiben?«

Es lag wieder so ein dicker Brief von Fräulein v. Oberkamp da, als mein Mann nach Tisch in den Salon kam. Er nahm ihn rasch an sich, öffnete und las ihn. Ich bemerkte, wie sein Gesicht dabei auffallend ernst wurde. Er hatte ihn noch nicht ganz zu Ende gelesen, als er plötzlich abgerufen wurde. Er warf die Blätter auf den Tisch und ging hinaus. Eins war dabei auf den Boden gefallen, ohne daß er es bemerkt hatte. Ich bückte mich und hob es auf. Unwillkürlich warf ich einen Blick darauf, während ich es zu den anderen legte, und da las ich: »Mein Geliebter und bald mein Mann!« Das war ein Anfang, der meine Neugierde reizen konnte, und das tat er auch. Ich las weiter. Aber, was las ich da! Fräulein v. Oberkamp schrieb an ihren »Geliebten und bald ihren Mann!« daß jetzt alles geordnet sei und ihrer Vereinigung nichts mehr im Weg stehe. Die letzten Formalitäten, die Herausgabe ihres Vermögens betreffend, seien erfüllt, und dieses stehe nun ganz zu ihrer Verfügung. Die Villa in – hier nannte sie einen Ort in der Umgebung Münchens – sei vollständig möbliert; seine Zimmer, besonders sein Arbeitszimmer, ganz so, wie er es wünschte; sie würde in einigen Tagen hinziehen, und dann nur noch die Stunden und die Minuten bis zu seiner Ankunft zählen.

Diese Tatsachen waren reich eingebettet in einen Überfluß schwülstiger Phrasen, wie: »Mein Blut siedet, wenn ich an dich denke und an die Seligkeiten, die ich in deinen Armen genießen werde.«

Ich war noch ganz vertieft in den interessanten Brief, als Leopold wieder hereinkam. Doch ehe er ihn mir aus[149] der Hand reißen konnte, was er beabsichtigte, hatte ich ihn an meiner Brust in Sicherheit gebracht. –

»Du wirst mich doch nicht für das verantwortlich machen wollen, was die Närrin schreibt?« sagte er unsicher.

»Die Narrheit dieser Närrin steht auf sehr soliden Füßen – ihr verfügbares Vermögen – die ohne deine ›Narrheit‹ nicht hätten entstehen können!«

»Ich kann dir nur sagen, daß ich absolut unschuldig an dem ganzen Gewäsch bin. Die Person hat mich vollständig mißverstanden; ich habe ihr nie in einer Weise geschrieben, um ihr solche Hoffnungen zu erwecken.«

»Laß gut sein. Diesen Brief werde ich beantworten – und damit werden die Mißverständnisse aufhören.«

Und noch in derselben Stunde schrieb ich an Fräulein v. Oberkamp einen kurzen aber kräftigen Brief, den sie auch, wie ich erwartete, sehr gut verstanden hat, denn sie ließ nie wieder etwas von sich hören.


Ich fing an, meine Lage und die Zukunft meiner Kinder in einer neuen Beleuchtung zu sehen. Daß mein Mann soweit gehen konnte mit einer Person, die er nie gesehen, berechtigte mich das Ärgste zu fürchten. Dennoch glaubte ich nicht, daß er es jetzt getan hätte – noch hielten ihn zwei zarte Kinderarme fest – aber für wie lange?

Ich hatte erhalten, was ich so heiß ersehnt hatte, einen idealschönen blonden Knaben, der seinem Vater in nichts glich. Vielleicht liebte ihn dieser gerade darum um so mehr, denn er trieb wahre Abgötterei mit ihm. Aber wie rasch und gründlich sich solche Abgötterei bei ihm in[150] vollständige Gleichgültigkeit verwandeln konnte, das hatte ich bei Lina gesehen. Dieses Kind, das er in den ersten Tagen mit seiner Liebe beinahe quälte, war jetzt für ihn so gut wie nicht vorhanden. Eine solche Wandlung konnte auch für mein Kind eintreten. Von welchen nichtigen Zufällen war sie abhängig? Und war eine Liebe aus seinem Herzen, so war sie auch aus seinem Leben gestrichen. Ich durfte mir keine Illusionen machen: Pflicht und Liebe waren bei ihm eins. Wo er nicht liebte, war für ihn keine Pflicht. So war es mit Lina, und so würde es mit uns sein. –

Mit Schrecken mußte ich erkennen, daß ich meine stärksten Hoffnungen auf Irrtümern gebaut hatte. Seine große Liebe zu mir, die Liebe zu seinen Kindern, sein häuslicher Sinn – Irrtümer. Nichts würde ihn halten, wenn ihm fern von uns Befriedigung seiner Phantasien winkte. – Und noch gestern sagte er zu mir:

»Weißt du, Wanda, manchmal denke ich mit Entsetzen, was aus mir würde, wenn ich das Unglück hätte, dich durch den Tod zu verlieren. Du bist so alles für mich geworden, die einzige Bedingung meines Lebens, daß es für mich bereits eine beschlossene Sache ist, mich und die Kinder zu erschießen, wenn du sterben solltest.«

Dabei hatte er wieder sein verfallenes bleiches Gesicht mit den vor Schreck starren Augen. Und in diesem Augenblick war das keine Lüge, nur ein Irrtum – sein Irrtum.


Ich habe schon gesagt, daß ich wieder schwanger war. Diese dritte Hoffnung hatte nichts freudiges für mich, ich fühlte sie wie ein Unrecht. Durfte ich in meiner Lage[151] Kinder zur Welt bringen, die höchstwahrscheinlich dazu bestimmt waren, Opfer unsrer unglücklichen Verhältnisse zu werden? Sollte sich meine Jugend, so voll Not und Elend und Scham und Bedrückung, die die Armut im Gefolge hat, bei meinen Kindern wiederholen? Angst und Schmerz drückten mich nieder, und ich weinte reuevolle, bittere Tränen darüber, daß ich ihnen das Dasein gegeben habe. Mein Leben konnte ich dem Manne opfern, aber durfte ich die Kinder in denselben Abgrund werfen, der mich verschlingen wird? –

Was meinen Geist noch dunkler und meine Furcht noch größer machte, war, daß mein Mann mir all die Zeit unaufhörlich wiederholte:

»Halt nur das eine fest: du magst jetzt noch so viele Kinder haben, und wenn es ein Dutzend wird, für mich wird keins mehr existieren. Ich werde nicht den kleinsten Teil meiner Liebe Sascha entziehen, um sie einem andern zu geben. Denn du mußt nicht vergessen, mit Sascha hast du ein Kind geboren, wie es keine Frau ein zweites Mal zur Welt bringt; es ist ein Wunder an Schönheit und Intelligenz, eines von jenen ganz seltenen Wesen, denen man alle Liebe, deren man fähig ist, geben muß. Dich kann ich neben ihm noch lieben, weil das eine andere Liebe ist, und selbst das kommt mir oft wie ein Raub an ihm vor.«

So sagte sich der Vater von dem noch ungeborenen Kinde los, und wenn Sacher-Masoch sonst nie sein Wort gehalten, dieses hielt er.


Am 25. November 1875 gebar ich wieder einen Knaben.[152]

Am Tage nach meiner Entbindung, ich lag erschöpft und teilnahmslos für alles mit geschlossenen Augen da, hörte ich, wie mein Mann zu meiner Hebamme, einem hübschen jungen Weibe sagte:

»Sie müssen sehr stark sein, Frau Zürbisegger?«

»O, das schon. Zu meinem Geschäft braucht man Kraft.«

»Glauben Sie, daß Sie stärker find als ich.«

»Vielleicht. Herr Doktor sind gewiß auch stark, aber nicht eingeübt.«

»Wollen wir probieren, wer stärker ist, Sie oder ich?«

»Warum nicht,« sagte die Frau lachend.

»Aber dann müssen Sie einen Pelz von meiner Frau anziehen.«

»Wird die Gnädige aber nicht bös werden?«

»Ach, sie würde nur lachen. Und jetzt schläft sie ja.«

Er zog ihr den Pelz an und sie gingen in sein Zimmer.

Ich hörte, wie sie rangen, ihren keuchenden Atem, ihr unterdrücktes Lachen und wie er sie oder sie ihn zu Boden warf. Heiß und erregt vom Kampf, kamen sie wieder in mein Zimmer. Ich schaute sie an.

»O, du bist wach! Haben wir dich geweckt? Denke, ich habe mit Frau Zürbisegger gerungen, um zu sehen, wer stärker ist, und sie hat mich wirklich überwältigt.«

»Ja, Herr Doktor, ich hätte Sie für stärker gehalten.«

»Ich bin auch stärker. Aber mit einer Frau ist es schwer ringen; man weiß nicht, wie man sie anfassen soll.«

»O, mich können Herr Doktor anfassen wie einen Mann, das macht mir gar nichts.«

»Gut, wir werden das morgen probieren, da werde[153] ich mich besser halten. Du hast doch nichts dagegen, Wanderl?«

Ich nickte »nein« und lächelte der Frau zu, sie sollte nicht glauben, daß etwas dahinter stecke.

Von jetzt an wiederholte sich die Kampfszene alle Tage, so lange Frau Zürbisegger erschien.

Am dritten Tage kam mein Mann aus dem Kaffeehaus atemlos in mein Zimmer gestürzt, ein Zeitungsblatt in der Hand schwenkend, und rief voll stürmischer Freude:

»Wanda, wir haben den Griechen!«

Er las mir ein Inserat im »Wiener Tagblatt«, in welchem ein schöner, reicher und energischer junger Mann die Bekanntschaft einer hübschen, eleganten jungen Frau sucht, um sich gemeinschaftlich zu amüsieren. »Du mußt sofort schreiben, denn eine so günstige Gelegenheit kommt nicht bald wieder. Schön und reich! Und einen energischen Charakter. Alles, was wir brauchen, vereint. Ich habe immer gewünscht, der Grieche sollte reich sein, da wir es nicht sind, und zu dem, was wir wollen, Geld nötig ist.«

Ich war nicht in der Lage, an Widerstand zu denken, noch irgendeinen Ausweg zu suchen. Nur als er mir sagte, ich müsse gleich auf das Inserat antworten, sah ich ihn erstaunt an. Ich war noch so schwach, daß meine Mutter mich wie ein Kind füttern mußte, und sah keine Möglichkeit, einen Brief zu schreiben. Er aber sagte:

»Beunruhige dich nicht, wir werden das sehr geschickt machen, ohne daß du dich dabei anzustrengen brauchst.«

Er hob mich auf, stützte mir den Rücken mit Kissen, legte mir das Schachbrett auf die Knie, brachte alles zum Schreiben Nötige, und dann führte er mir die Hand, und ich schrieb.[154]

Er legte dem Brief eine große Photographie von mir bei und trug ihn geschäftig selbst zur Post. Die Antwort kam – poste restante selbstverständlich – umgehend und auch ihr lag eine große Photographie bei. Sie stellt einen jungen schönen Mann in orientalischem Kostüme vor.

Leopold war wie elektrisiert.

»Der Grieche! der Grieche!« rief er unaufhörlich und konnte sich an dem Bilde nicht satt sehen.

Der Brief war Nikolaus Teitelbaum unterzeichnet und gab die Adresse des Schreibers an.

Wieder schrieb ich auf dieselbe Weise wie das erste Mal.

»Um Gotteswillen, Wanderl, werd' nur schnell gesund, damit es los gehen kann. Mein prächtiges, herrliches Weib! Ich wußte, daß mir das höchste Glück meines Lebens von dir kommen werde. Das ist das Wunderbare, mit seiner eigenen anständigen, braven Frau zu genießen, was man sonst nur bei leichtsinnigen Weibern oder gar Dirnen suchen muß. Wenn du mir das gegeben hast, dann wirst du erst sehen, wie ich dich lieben und wie ich dir dankbar sein werde.«

Er ging und kaufte feine Weine und junge Hühner, und meine Mutter hatte den ganzen Tag zu kochen und zu braten. In den Pausen zwischen den Mahlzeiten rührte er mir selbst Eier in warmer Milch, die ich jede Stunde trinken mußte, um rasch Kräfte zu bekommen.

Unterdes ging die Korrespondenz weiter. Es wurde ein Rendezvous in einem Hotel in Mürzzuschlag verabredet.

Am neunten Tage stand ich auf und morgen sollte ich nach Mürzzuschlag.

Mein Mann war wie verrückt vor Erwartung. Er[155] beschäftigte sich sehr eingehend mit meiner Toilette für die Reise. Er hatte mir kürzlich einen großen schwarzen Samtpelz machen lassen, so lang, daß er den Boden berührte, und so weit wie ein Kleid. Da er nicht nur mit Pelz besetzt, sondern ganz damit durchfüttert war, war er so schwer, daß mich die Schultern schmerzten, wenn ich ihn eine Zeitlang an hatte. Diesen sollte ich anziehen. Ich hatte nicht die Gestalt für solche Pelze, sie erdrückten mich und hemmten meine Bewegungen. Das taten sie, wenn ich gesund und frisch war; daß ich jetzt, so kraftlos, wie ich war, diese Last auf mich nehmen sollte, das allein machte mich schon bange. Und es war nicht alles. Denn ich sollte in Mürzzuschlag schon durch meine Toilette den »richtigen Eindruck« machen. Er hatte deshalb zu dem Pelz hohe Stiefel, wie sie damals Frauen zu Pferde trugen, und seine eigene große Astrachanmütze gelegt.

»Du wirst sehen,« sagte er, »wie reizend und originell du aussehen wirst. Das ist sehr wichtig. Teitelbaum wird gleich sehen, daß er es mit keiner gewöhnlichen Frau zu tun hat.«

Am Nachmittag dieses Tages ging er aus. Ich saß allein in meinem Zimmer, mein Kind in den Armen, dieses arme kleine braune Kind, das ihm so ähnlich war, auf das er noch keinen Blick geworfen hatte und das immer so still und ruhig dalag, als wüßte es, daß es sich im Hause nicht bemerkbar machen sollte. Ich dachte, daß es den kommenden Tag ohne mich sein würde, und wie wir beide das ertragen würden, und daß es furchtbar kalt draußen war, der Schnee so hoch lag, daß die Züge entweder gar nicht oder mit stundenlanger Verspätung verkehrten, und daß ich da hinaus mußte, und warum ich hinaus mußte. Mutlos und traurig fing ich zu weinen an.[156]

So fand mich meine Mutter. Die arme alte Frau war so fest überzeugt, daß ihr Schwiegersohn der beste, edelste Mensch und ihre Tochter die glücklichste Frau sei, daß sie vor meinen Tränen wie vor einem Rätsel stand.

»Was hast du? Was gibt es?«

Ich mußte sie ja in jedem Fall von meiner Reise unterrichten; ich tat es, indem ich hinzufügte, daß ich für das Kind besorgt wäre.

»Was willst du denn in Mürzzuschlag machen? Du kannst doch unmöglich, krank und schwach, wie du noch bist, und bei der Kälte, die herrscht, eine Reise unternehmen! Du kannst ja den Tod davon haben! Läßt dich denn dein Mann gehen?«

»Ja, natürlich.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Das darf nicht sein. Er weiß nicht, welche Gefahr für dich darin liegt. Ich werde mit ihm reden.«

»Nein, Mutter, sprich nicht mit ihm. Es muß sein.«

»Und was wird mit dem Kinde?«

»Du mußt es durchbringen den Tag über, so gut du kannst.«

»Mit Kuhmilch. Das wird schön werden. Das Kind sieht mir schon so nicht sehr munter aus.«

Am andern Morgen reiste ich ab. Um die »Originalität« meiner Toilette zu vervollständigen, gab mir Leopold zu den Stiefeln, dem Pelz und seiner Mütze noch eine große Hundepeitsche in die Hand. So brachte er mich an die Bahn. Die Leute dort, die wohl wußten, daß ich erst vor einigen Tagen niedergekommen war, sahen uns erstaunt an. Bis zum letzten Augenblick gab mir mein Mann Ratschläge, wie ich mich mit Teitelbaum benehmen sollte. Endlich ging der Zug ab. Kaum hatte[157] er die Station verlassen, warf ich die Peitsche zum Fenster hinaus, und gern hätte ich ihr auch Pelz und Mütze nachgeworfen, hätte ich nur sonst etwas Warmes gegen die Kälte gehabt.

Mir war so bang und schwer, ich sah so angstvoll der nächsten Stunde entgegen, daß ich wieder Lust zu weinen hatte. Aber ich ging zu einem Rendezvous, und wie lächerlich wäre es, da mit verweinten Augen anzukommen.

Wie wird der Mann sein, der mich erwartet? Ist er ein anständiger Mann, dann werde ich ihm die Wahrheit sagen und ihn um Verzeihung und Schonung bitten. Wie aber wird es mir gehen, wenn er ein lockerer Vogel ist, der ein pikantes Abenteuer erwartet und sich ärgert, wenn er sich in seinen Erwartungen getäuscht sieht? Ich war es ja, die zu ihm gekommen, in das Hotel, in eine mir fremde Umgebung und ich war in seiner Hand. –

So sann ich, während der Zug zwischen hochgetürmten Schneewänden langsam den Berg hinaufkeuchte.

Am Bahnhof in Mürzzuschlag erwartete mich Teitelbaum, den ich gleich nach seiner Photographie erkannte. Ich schaute ihn an und sah ein gutes Gesicht; das gab mir wieder Mut. Ein bereitstehender Schlitten brachte uns ins Hotel. Auf dem Wege dahin sagte mir Teitelbaum, daß er verzweifelt sei, weil die Zimmer, die er telegraphisch zu heizen befohlen, trotz dem großen Feuer, das man darin gemacht, nicht warm geworden wären.

Als ich in diese wirklich furchtbar kalten Zimmer eintrat, und er die Türe hinter uns schloß und ich mich mit ihm allein sah, wurde mir wieder angstvoll, und ich meinte, gleich sprechen zu müssen; denn so nur würde ich[158] wieder Mut bekommen. Aber schon bei meinen ersten Worten unterbrach er mich:

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich Sie unterbreche, allein, ehe Sie mir irgend etwas sagen, muß ich Ihnen ein Geständnis machen: ich weiß wer Sie sind.«

O, dachte ich, dann ist es um so besser, dann wird er gleich verstehen. Aber überrascht war ich doch. Er sah es und fuhr fort: »Einer jener Zufälle, die eigentlich nur in Romanen am Platze sind, ist daran schuld. Im Hause meiner Mutter in Wien wohnt nämlich die Baronin Kövöcs. Ich hatte im Auftrag meiner Mutter bei ihr zu tun und da sah ich in ihrem Salon dieselbe Photographie, die Sie mir zu senden die Güte hatten. Natürlich konnte ich nicht widerstehen, zu fragen, wer die Dame sei – und die Baronin befriedigte meine Neugierde.«

Jetzt sagte ich ihm alles. Er hatte die »Venus im Pelz« gelesen, ich brauchte ihm daher nicht viel zu erklären. Ich sagte ihm auch, daß ich eine Kranke sei, daß ich erst vor zehn Tagen ein Kind geboren habe, wie unruhig und sorgenvoll ich auf der Fahrt hierher war, und wie ich von ihm erbitte und erwarte, daß er die Schmerzen und Kümmernisse, die mir meine Verhältnisse aufbürdeten, nicht dadurch vermehren möchte, daß er »auf seinem Schein bestehe.«

Er hatte mir mit großer Aufmerksamkeit zugehört und mich dabei voll Teilnahme angeblickt. Als ich geendet, nahm er meine Hand, küßte sie und sagte:

»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, gnädige Frau, und bitte Sie, versichert zu sein, daß Sie in mir stets einen aufrichtigen Freund finden werden.«

Damit war das abgetan.[159]

Wir aßen dann zusammen. Er erzählte mir einiges von sich und seinem »home«, auf das er stolz zu sein schien. Mir war nicht sehr behaglich. Die Milch hatte sich so sehr in meiner Brust angesammelt, daß eine schmerzhafte Spannung entstand und ich die Arme kaum noch bewegen konnte. Ich fühlte, wie ich immer matter und matter wurde. Auch er sah es und bat mich, ein Glas Wein zu trinken. Ich tat es, und darauf ging es besser. Doch es mußten noch Stunden vergehen, ehe der Zug durchkam, der mich wieder heimbringen sollte. In dieser langen Zeit hatte Teitelbaum einen Anfall von Schwäche. Er war ein junger, kräftiger und wohl auch heißblütiger Mann und war so viele Stunden mit einer jungen Frau allein, die zu besitzen er hergekommen war. Aber wie kraftvoll und ehrlich kämpfte er dagegen, und wie zart und rücksichtsvoll war er gegen mich!

Mit warmem Händedruck trennten wir uns.


Auf der Heimfahrt sann ich darüber nach, wie ich Leopold erklären würde, daß aus der Sache nichts geworden.

Er empfing mich am Bahnhof in solcher Aufregung und mit so angstdurchwühltem Gesicht, daß ich zuerst glaubte, es gäbe zu Hause ein Unglück. Er aber sagte mir, er habe Todesqualen gelitten, während er auf mich wartete, denn er war überzeugt, ich hätte ihn bereits dem Griechen ausgeliefert. Da sagte ich ihm, daß es damit nichts sei, daß Teitelbaum, sobald er erfahren, um was es sich eigentlich handle, erklärt habe, er würde nie den Mut haben, die Rolle des Griechen zu spielen einem Manne gegenüber von der Bedeutung Sacher-Masochs, für[160] den er die größte Bewunderung habe; niemals würde er sich als Herrn und über ihm stehend fühlen können, lieber wolle er auf das Glück, mich zu besitzen, verzichten, als etwas unternehmen, das er nicht durchführen könnte und das ihn nur in seinen eigenen Augen lächerlich machen würde.

So verzuckert verschluckte mein Mann die bittere Pille und war schließlich noch ganz stolz, daß man so viel Ehrfurcht vor ihm habe.

Zu Hause frug er fortwährend nach allen Details, jedes Wort, das ich und Teitelbaum gesprochen, sollte ich ihm wiederholen. Da ich mit meinen Antworten vorsichtig sein mußte, um mich nicht zu verraten, war ich bald an Leib und Seele so müde, daß ich schon glaubte, in Schwäche zu vergehen, als die Ankunft Staudenheims mich von dieser Pein erlöste.

Leopold ging ihm entgegen und sagte ihm in dem heiteren Ton, in dem man eine angenehme Nachricht mitteilt:

»Meine Frau ist eben von Mürzzuschlag zurückgekommen.«

»Deine Frau ... Mürzzuschlag ...« sagte Staudenheim, ihn verständnislos anstarrend. »Ja, ist sie denn schon auf?«

»Sie stand schon gestern auf. Heute war sie den ganzen Tag verreist.«

»Warum denn?«

»Ach, es war etwas sehr Wichtiges, sie mußte absolut hin.«

»Natürlich – sonst würdest du wohl nicht ihr Leben damit riskiert haben.«

»Wieso riskiert?«[161]

»Na, hör' einmal; es sind 24 Grad Kälte draußen. Die Schulen sind geschlossen, Kinder und Frauen läßt man gar nicht mehr hinaus. Wer nicht muß, geht nicht vor die Tür; ich denke, das ist kein Wetter, um eine zarte Frau, die erst entbunden hat, auf Reisen zu schicken –«

»Ach, weil du immer meine Frau mit anderen Frauen vergleichst. Was eine andere hinwirft, macht ihr gar nichts.«

»Willst du Schach spielen?« –

Es lag in dem brüsken Abbrechen des Themas und in dem Ton dieser Frage etwas, das mein Herz mächtig ergriff. Es war mir einen Augenblick, als müßte ich alles wegwerfen und hinausgehen zu ihm, meinen müden Kopf an seine breite, starke Brust legen und ihn bitten, seine Arme schützend um mich zu schließen und mich wegzuführen ...

Von Gram und Weh überwältigt, sank ich vor meinem Bett zu Boden, und wie ich es als Kind getan, steckte ich meinen Kopf zwischen die Kissen und weinte ... weinte.


Am nächsten Tage war das Neugeborene an Dysenterie erkrankt. Ich selbst wurde so leidend, daß ich auf Anordnung des Arztes es aufgeben mußte, das Kind zu stillen, da es für uns beide gefährlich war. Trotz aller Sorge und Pflege wurde das Kind immer kränker. Am Weihnachtsabend, um Mitternacht, erklärte Dr. Schmit, den ich nochmals hatte bitten lassen, daß er alle Mittel angewandt, daß er nichts mehr wisse, daß ich mich gefaßt machen müsse, das Kind zu verlieren.

Verzweifelt sank ich hin. Eine lange schwere Minute[162] verging in hoffnungslosem Schweigen. Dann sagte der gute teilnehmende Arzt, und es schien mir, als ob auch in seiner Stimme Tränen zitterten, ich sollte doch noch nicht alle Hoffnung aufgeben, wir wollten es mit einem vollständigen Nahrungswechsel versuchen. Ich sollte reines, fett- und fasernfreies Fleisch in kleine Stücke schneiden und es mit Reis einige Stunden kochen; das würde eine milchige Flüssigkeit ergeben, die ich dem Kinde mit der Flasche reichen sollte. Ich tat es sofort, und nach einigen Stunden bekam das Kranke den ersten Trank, den es gern nahm. Darauf schlief es ein, und auch ich legte mich hin.

Als ich erwachte, war es Tag. Mein erster Gedanke war, daß das Kind tot sei; da ich mich aber über sein Bettchen neigte, sah ich, wie es still und fest schlief.

Also gerettet! Das sagte auch Dr. Schmit als er kam, und von dem Tage an war es wieder vollständig gesund. Die Fleischbrühe hatte das Wunder gewirkt.

Es war am zweiten Weihnachtstage, nachmittags, als ein Fremder kam und Sacher-Masoch zu sprechen wünschte. Im Sommer waren wir gewöhnt, Fremde, die auf der Durchreise waren und sich in Bruck aufhielten, um meinen Mann kennen zu lernen, zu empfangen; allein im Winter waren diese Besuche bisher ganz ausgeblieben. Dieser erstaunte uns daher nicht wenig.

Noch zu sehr mit meinem eben dem Tode abgerungenen Kinde beschäftigt, hatte ich keine Lust, mich am Empfang des Fremden zu beteiligen und blieb in meinem Zimmer.

Ich hörte, wie mein Mann nur wenige Worte mit dem Fremden im Salon wechselte, diesen dann in sein Zimmer führte und die Türen vorsichtig verschloß. Es mochten wohl zwei Stunden vergangen sein, als der Besucher[163] wieder ging. Leopold kam dann mit einem verstörten und geheimnisvollen Lächeln zu mir und starrte mich eine Weile an, wie er immer tat, wenn er mir etwas mitteilen wollte und nicht im klaren darüber war, wie er beginnen sollte. Endlich fing er an:

»Du, da ist mir eine schöne Geschichte auf den Rücken gefallen.«

»Was?«

»Du weißt, die Gräfin .... mit der ich so lange in Korrespondenz stand und die in den letzten Monaten nichts mehr von sich hören ließ?«

»Was ist's mit ihr?«

»Sie hat sich mit dem Herrn verlobt, der eben hier war. Er ist Badearzt in Gräfenberg – Dr. A .... Das heißt, sie möchte sich mit ihm verloben – wenn ich ihr keine Schwierigkeiten mache.«

»Welche Schwierigkeiten könntest du ihr denn machen?«

»Ihr ihre Briefe nicht zurückgeben. Dr. A .... ist nur deshalb hergereist, um mich dazu zu bewegen. Er sagt, die Gräfin halte es für eine Ehrensache, sich nicht zu verloben, so lange ihre Briefe in meinen Händen sind.«

»So gib sie ihr zurück.«

»Aber sie hat ja auch meine.«

»Laß sie dir auch zurückgeben. Über eine so einfache Sache hast du so lange mit dem Manne verhandelt?«

»Die Sache ist nicht so einfach als du glaubst. Wäre sie das, würde sich Dr. A .... die Reise jetzt im Winter wohl erspart haben.«

»Weil deine Briefe an sie für dich ebenso kompromittierend sind wie die ihrigen für sie. Daß dahinter mehr[164] steckt, als du mir sagst, ist ja klar. Warum aber sprichst du mir überhaupt davon? Ich brauche es nicht zu wissen. Du zettelst immer Intriguen hinter meinem Rücken an, und gehen die Dinge schief, dann kommt mir der ganze Schmutz ins Haus. Daß du nicht begreifen kannst, daß ein Mann in deiner Stellung in seiner Korrespondenz vorsichtig sein muß! Was riskieren diese Frauen? So viel wie nichts; niemand kennt sie und sie sind frei; du aber hast einen bekannten Namen und bist noch dazu verheiratet. Von der jämmerlichen Rolle, die ich dabei spiele, will ich gar nicht reden. Mach', was du willst. Wenn mir deine Geschichten zu nahe an den Leib rücken, breche ich ihnen einfach das Genick – das hast du erfahren.«

»Jetzt bist du wieder zornig. Aber denke doch, daß ich keine Zerstreuung habe.«

»Und wenn es dir Zerstreuung machen sollte, auf meinem Rücken Steine zu klopfen, dann müßte ich wohl auch stillhalten?«

Er sah mich ganz verdutzt, aber doch zufrieden an. Er liebte es, wenn ich so zu ihm sprach. Ich hatte mir schon gesagt: wenn ich schon die »Herrin« spielen soll, dann will ich es wenigstens dazu benützen, ihn auf den rechten Weg zu bringen, wenn seine Streiche unsere Existenz in Gefahr brächten.

Dr. A .... kam noch einmal, und es gab wieder eine lange Konferenz; dann reiste er ab.


Wir verkehrten in Bruck ziemlich viel mit einem jungen Ehepaar, Herrn und Frau X ... Mich interessierte besonders die Frau, weil sie mir lange Zeit ein Rätsel[165] war. Sie war erst 22 Jahre alt, von schöner Gestalt, zwar nicht schönem, aber doch angenehmem Gesicht. Seltsam waren ihre Augen. Sie waren klein und lagen weit zurück, und von dort leuchteten sie und zogen den Blick an, wie zwei Flammen in einem dunklen Abgrund ... man beugt sich über seine Tiefe, nach dem Geheimnis suchend, das sie zu bewachen scheinen. Diese rätselhaften Augen bildeten einen eigentümlichen Kontrast mit ihrem sonst ganz ruhigen Gesicht.

Sie hatte bereits zwei Kinder, und ihr Mann schien sie sehr zu lieben. Doch weder ihr Mann, noch ihre Kinder, noch ihr Haus hatten ihre Seele berührt. Wie eine Fremde lebte sie zwischen ihnen und wie eine solche schaute sie auf sie sanft und freundlich, aber fremd. Ich ahnte, daß unter dieser kühlen, immer ruhigen Oberfläche ein heißes Leben glühte – das Geheimnis, das die zwei Augen hüteten – und verrieten.

Eine Verwandte ihres Mannes führte ihren Haushalt und pflegte die Kinder; sie selbst verbrachte ihre Zeit mit Musik und Lektüre.

Bei dieser leitete sie ein glücklicher Instinkt, so daß sie nur gute Sachen las. Von der Welt wußte sie nichts, und außer uns hatte sie fast keinen Umgang. Sie sprach wenig und niemals von Dingen, von welchen sonst junge Frauen zu sprechen pflegen: Mann, Kinder, Haushalt, Toiletten und noch weniger von Vergnügungen. Auch mit mir sprach sie nicht viel, und wenn sie's doch tat, dann war's von mir, aber da mußten wir allein sein. In Gegenwart anderer, selbst ihres Mannes, saß sie nur still da; wenn es anging, nahm sie meine Hand, küßte sie zärtlich und hielt sie dann in der ihren fest, mich dabei immer mit ihren geheimnisvollen Augen anblickend.[166] Alles, was mich anging, war ihr von Interesse; ich sah sie meine Kinder viel inniger küssen, als ihre eigenen. Einmal machte ich ihr darüber scherzend einen Vorwurf, und sie erwiderte darauf in ihrer ruhigen, stillen Weise:

»Ach, meine Kinder ...«

»Es sind doch Ihre Kinder.«

»Das ist Zufall ... sie könnten ebensogut die Kinder einer anderen sein.«

»Das könnte ich auch von den meinen sagen.«

»Nein. Diese Kinder konnten nur Sie haben und keine andere Frau.«

Im Frühjahr ging sie oft stundenlang am Waldsaum suchend hin, um mir die ersten Veilchen zu bringen, und in mondhellen Nächten, deren schwermütige Schönheit dort in den Bergen so mächtig wirkt, bat sie mich, ehe ich zu Bett ginge, zu einer gewissen Stunde in die mondbeschienene Landschaft hinauszuschauen, sie würde dasselbe tun und dabei an mich denken. Ich mußte erkennen, daß sie mich leidenschaftlich liebte und daß diese Liebe für sie viel mehr ein Schmerz als ein Glück war. Fand sie in meiner Umgebung jemanden, Mann oder Frau, dann sah ich, wie die Qualen der Eifersucht sie zermarterten. Dabei bestand zwischen uns durchaus kein vertrauter Verkehr, nicht das, was man Freundschaft nennt. Trotz jahrelangen Umganges waren wir uns nicht nahe gekommen, haben nie ein vertrautes Wort zusammen gewechselt. Mich rührte diese Liebe wohl, aber ich begriff sie nicht.

Eines Tages bekam ich die Lösung des Rätsels.

Die Bergakademiker in Leoben gaben ihren alljährlichen Ball und hatten uns eine Einladung geschickt. Leopold wollte, daß wir hingingen, und da auch[167] Herr und Frau X ... das Fest besuchen wollten, kamen wir überein, die Partie zusammen zu machen.

Wir hatten in dem Hotel, in dem der Ball stattfinden sollte, zwei Zimmer bestellt; in einem sollten die Herren, in dem anderen wir Frauen Toilette machen. Ich hielt mich nicht lange damit auf und überließ den Platz am Spiegel bald Frau X ...

Ich trug ein weißes Atlaskleid und saß wartend in einem niedrigen Fauteuil. Schon war ich im Begriff, in dem überhitzten Zimmer einzuschlummern, als mich ein brennend heißer Kuß auf meine Schulter aufschreckte. Ich sah mich überrascht um, und da stand Frau X ... in ihrem vollen Ballstaat, erschrocken und glücklich über ihre Kühnheit, deren Folgen erwartend.

»Waren Sie das?«

»Ja.«

»Was ist denn los?« Ihr Gesicht war ganz verändert. Die Ruhe war aus ihm verschwunden und ihre leidenschaftliche, schmerzvolle Liebe machte es beinahe schön.

»Ich konnte nicht widerstehen,« sagte sie in leisem, zitterndem Ton. »Ihre weißen, schönen Schultern, das weiße Kleid ... alles so weiß und zart ... wie die Schneekönigin im Märchen ... und so kalt wie sie.«

»Aber Frau X ..., was reden Sie denn da?« Sie war ganz bleich und ihre Augen lagen tiefer, als je. Sie trug ein meergrünes Mullkleid, und wie sie sich jetzt langsam zu Boden sinken ließ, bildete es eine schaumige Wolke um sie, in der sie seltsam anzusehen war. Mit gieriger Hast und am ganzen Körper bebend, bedeckte sie meine Hände, Arme und Schultern mit zugleich schüchternen und heißen Küssen.[168]

Die Situation begann unheimlich zu werden; da näherten sich Schritte, die Herren kamen herein, und der böse Spuk verflog. Während des Balles sah ich oft, wie die glühenden Augen aus ihrer dunkeln Tiefe nach mir schauten und mich verfolgten; ich aber wandte mich ab, denn jetzt machten sie mir Furcht.


Wir hatten eine Menagerie. »Tiere,« sagt mein Mann, »geben dem Hause so was Gemütliches.« »Ja,« sage ich, »und es riecht so schön.« »Ah bah!« sagt er, und so waren wir einig.

In der Zeit, da mein Schwiegervater Polizeidirektor in Prag war, flog eines Tages eine Turteltaube in das Zimmer meines Mannes, der damals ein kleiner Junge war. »Das bedeutet Glück,« sagte die Familie, und beeilte sich, das »Glück« in einem Käfig in Sicherheit zu bringen.

Es stellte sich heraus, daß die Taube ein Täuberich war. Tierfreundlich und human, wie die Familie Sacher-Masoch nun einmal war, wollte sie dem Gefangenen, der schon ein ziemlich bejahrter Herr zu sein schien, eine Gefährtin geben; sie kauften ein ganz jungfräuliches Turteltäubchen und setzten es zu ihm ins Gefängnis.

Der Täuberich befand sich dabei ganz wohl, sein junges Weibchen aber wurde schwermütig, und eines Tages legte es sich hin und starb. In der Familie meinte man, daß Turteltaubenweibchen zu zart angelegte Naturen seien, um das Gefängnisleben ertragen zu können, man müsse dem Tauber eine derbere Gattin wählen. Und er erhielt jetzt eine gewöhnliche weiße Taube zur Frau. Diese war wirklich dauerhafter, denn sie zog ihr Leben solange hin,[169] daß ich noch die Freude hatte, ihre Bekanntschaft zu machen und mich mit ihrem Wohlbefinden zu befassen.

Man erzählte mir, die beiden hätten eine zwar kinderlose, aber sehr glückliche Ehe geführt. Das konnte ich gern glauben, obgleich dieses Glück jetzt schon ein recht mühseliges war. Sie bewohnten einen wahren Palast von einem Käfig, mit mehreren Etagen, Erkern, Balkons und Türmchen; nur konnten sie von all der Pracht keinen Gebrauch mehr machen, denn zum »Flug ins Weite« fehlte es ihnen schon lange an Schwung, und an der Ausdehnung ihres Palastes konnte sich eigentlich nur der gründlich freuen, der ihn rein zu halten hatte: und das war ich. Altersschwäche drückte das Taubenpaar zu Boden, und dort saßen sie, ganz Philemon und Baucis, und krauten sich zum Zeitvertreib gegenseitig in den Federn. Zuweilen schienen den alten Ehegatten Liebesideen zu überfallen; dann blähte er den Kropf auf, so gut er konnte, und drehte sich mit einem heiseren Guru-guru, guru-guru um sein Frauchen, und die alte Dame tat so, als ob sie ganz derselben Ansicht wäre, legte das Köpfchen auf die Seite und blinzelte ihren Gemahl verliebt an. Weiter brachten sie es nicht, und das war schon jammervoll genug.

Dann kam ein Tag, an dem die weiße Taube ihre Seele aushauchte. Das war ein Tag großer Trauer für das ganze Haus. Ich legte eine hübsche Schachtel mit weißem Mull aus, und auf einer Unterlage von weicher Watte wurde die Tote gebettet und mit einem Kranz von Blumen umgeben. Leopold stellte dann den Sarg neben den Käfig, damit der trauernde Witwer den Anblick der »schönen Leiche« mitgenieße. Zweimal vierundzwanzig Stunden dauerte die »Aussetzung«, dann ging's an ein[170] feierliches Begräbnis. Der Leichenzug, an dem sich nicht nur die Familie, sondern auch die Freunde des Hauses beteiligten, bewegte sich in schönster Ordnung den Berg hinauf zu den »Drei Pappeln«, wo vor drei Jahren »Peterl« zur Ruhe bestattet wurde.

Aber zwei Tauben machen noch keine Menagerie. Wir hatten noch andere Tiere. Da war ein Kreuzschnabel, den Leopold ganz besonders hochschätzte. Das Alter dieses Vogels ging ins Fabelhafte. Die »ältesten Leute« der Familie hatten bereits unter dem Zeichen dieses Kreuzschnabels gelebt. Leopold hatte mich gleich darauf aufmerksam gemacht, daß der Schnabel dieser Vögel mit zunehmendem Alter immer mehr über Kreuz wachse, so daß sie gegen das Ende ihres Lebens nur noch mit viel Mühe die Körner aufpicken können und schließlich gleichsam Hungers sterben.

Es schien mir, als ob der unsrige schon stark im Stadium des Marasmus wäre, denn sein Schnabel war fast bis zur Hälfte übereinander gewachsen, und er sah auch sonst recht »zerzupft« aus. Ich sprach darüber mit Leopold. Er stimmte mir bei und sagte dann, ich könnte jeden Tag die Fortschritte des Hungertodes an dem Tiere beobachten. Ich dankte ihm für den Wink und versicherte ihm, daß ich in der Richtung gewiß nichts versäumen wollte. Das Studium wurde mir auch noch dadurch erleichtert, daß ich den Vogel zu füttern hatte; ich stellte ihm also jeden Tag sein Fressen hin, das er nicht mehr genießen konnte, sah, wie er immer struppiger wurde, sich abplagte, noch hier und da ein Körnchen zu verschlingen, dann anfing, an Hungerkrämpfen zu leiden, bis der Tod ihn von seinem Elend und mich von dem Anblick erlöste.[171]

Der Kreuzschnabel folgte der Katze und der Taube zu den »Drei Pappeln«.

Um die Gemütlichkeit des Hauses zu erhöhen, hatte sich mein Mann ein Eichkätzchen angeschafft, das ihm viel Spaß machte, obgleich es ihn jedesmal in die Finger biß, wenn er ihm nahe kam. Trotzdem das Tier ganz wild war, ließ er es oft aus seinem Hause und jagte es im Zimmer herum. Meist flüchtete es sich auf die Bücherschränke, wohin ihm der Jäger nicht leicht nach konnte. Bald aber überwand das Jagdvergnügen bei Leopold die Furcht, auf einen Stuhl zu steigen; nach einigen vorsichtigen Versuchen und nachdem er sich überzeugt hatte, daß auf einen Stuhl zu steigen noch kein lebensgefährliches Unternehmen ist, bewaffnete er sich mit einem guten Stock, und das Jagen ging erst recht los. Einmal kam das Tierchen auf einer solchen Jagd an den äußersten Rand eines Schrankes, und da es hier keinen Ausweg mehr fand, stürzte es herab und blieb unten mit zerbrochenem Kreuz liegen, war aber nicht tot.

Ich sprach vorsichtig die Meinung aus, daß es vielleicht das Beste wäre, das Tier zu töten, um es von seinen Schmerzen zu befreien, da es mit gebrochenem Rückgrat ja doch nicht leben könne. Aber da kam ich schön an. Leopold antwortete mir voll Entrüstung:

»Wenn du Lust zu Grausamkeiten hast, so befriedige sie an mir. Aber das kleine unschuldige Tierchen, das sich nicht wehren kann, liefere ich dir nicht aus.«

Drei Tage lebte es noch, aufmerksam und zärtlich von seinem Herrn gepflegt, der über das Unglück ganz kummervoll und angegriffen aussah.

Und dann machten wir wieder einen Ausflug nach den »Drei Pappeln«.[172]

Irgend jemand, wer, weiß ich nicht mehr, hatte mir ein Hündchen geschenkt. Es war ein allerliebstes Tier, nicht viel größer als eine Ratte, mit seidenweichem, glänzend schwarzem Fell und sehr klug. Alle Welt beneidete mich um das selten schöne winzige Hündchen. Mein Mann hatte ihn besonders in sein Herz geschlossen, denn das war »ein wahrer Dichter-Hund«. Es mußte für ihn bei Tisch, mit Ausnahme von Messer und Gabel, ganz so gedeckt werden, wie für uns, »denn ein so feiner, intelligenter Hund würde sich verletzt fühlen, wenn man ihm sein Essen auf den Boden stellte oder auf einem schon gebrauchten Teller gäbe«, sagte mein Mann; und da ich's schon wußte, wohin es führte, wenn ich in solchen Dingen meinem Sklaven nicht den Willen tat, speiste der Hund mit uns am Tisch, oder vielmehr auf demselben. Klein und flink, wie er war, spazierte er zwischen den Schüsseln herum, steckte seine Nase in alle Speisen, und schnappte sich die besten Bissen heraus, worüber die Kinder in Jubel ausbrachen, was das Vergnügen meines Mannes noch erhöhte.

Es stellte sich bald heraus, daß der Hund nicht anhänglich war; die Türe brauchte nur einen Augenblick offen zu sein, so war er weg, und wir hatten das Vergnügen, vom Fenster aus zu sehen, wie er zutunlich mit jedermann lief.

Manchmal war er verloren, und dann kam ganz Bruck in Aufruhr. »Der Hund von die narrischen Leit' is durchgangen«, hieß es, und es ging an ein allgemeines Suchen; denn daß der, der ihn zurückbrachte, ein fettes Trinkgeld erhielt, das war bekannt. Leopold kam dann stets in sehr schlechte Laune und behauptete, der Hund[173] gehe nur deshalb zu anderen Leuten, weil wir ihn schlecht behandelten.

Im Winter machte eine Fliege dem Hund seine Erfolge bei Tisch streitig. Sie war eine kleine, gewöhnliche Zimmerfliege und so matt, verstaubt und verhungert, als eine Fliege im Winter nur sein kann. Sowie die Suppe auf den Tisch kam, war sie da. Zuerst flog sie mir um den Kopf herum, als wolle sie mich von ihrer Anwesenheit benachrichtigen. Doch sie war trotz ihrer Schwäche sehr gerieben und boshaft, denn wenn ich nach ihr schlug, schlug ich immer ins Leere. Solange Leopold nicht bei Tisch war, hielt sie sich in sicherer Distanz von mir; saß er aber einmal auf seinem Platz, wurde sie unverschämt, als wüßte sie, daß ich in seiner Gegenwart nicht wagen durfte, ihr feindlich zu nahen. Eine Weile hielt sie sich über der Suppenschüssel in dem daraus entsteigenden Dunst; war die Suppe aber einmal ausgeteilt, dann flog sie direkt auf meines Mannes Tellerrand, panschte mit den Vorderfüßen und dem Kopf in die nahrhafte Flüssigkeit und genoß sie ohne jede Rücksicht auf Anstand. Manchmal, wenn Leopold gerade den Löffel an den Mund führen wollte, flog sie auf diesen, als ärgerte sie sich, daß er zu essen wagte, noch ehe sie satt war, und er verstand sie und wartete, bis sie genug hatte. Dann nahm er sie vorsichtig und setzte sie wieder auf den Tellerrand.

Sie kannte schon alle Gewohnheiten bei Tisch. Wenn die Magd kam, die Teller zu wechseln, setzte sie sich auf meines Mannes Weinglas oder flog ihm in die Haare; war aber die nächste Speise auf seinem Teller, dann war sie auch wieder da, um ihren Anteil davon zu haben.

»Es ist merkwürdig,« sagte mein Mann oft, »wie[174] mich die Tiere lieben. Diese Fliege! Warum geht sie zu keinem von euch? Wahrscheinlich weiß sie sehr gut, daß ihr ihr nach dem Leben trachtet, und ich der einzige bin, zu dem sie Vertrauen haben kann.«

Kam er ins Speisezimmer, so suchte sein Blick zuerst die Fliege, und wenn sie noch nicht da war, wartete er, bis sie kam, wenn auch das Essen darüber kalt wurde.

Machte ich eine Bemerkung, dann sagte er:

»Du bist nicht so feinfühlig, wie ich. Warum sollte ich das arme Tier, das mir so anhängt und dessen einziger Beschützer ich bin, kränken?«

Und dabei wußte er nicht einmal, daß ich fast jeden Tag, während er sein Nachmittagsschläfchen machte, ins Speisezimmer ging und dort mit dem Staubwedel herumfuchtelte, um die Fliege aufzuscheuchen und ihr den Garaus zu machen. Wie empört und zugleich erfreut wäre er über meine erfolglosen Mordanschläge gewesen! Doch einmal schien es mir, als hörte ich die Fliege summen, und das klang so höhnisch, daß ich zornig aufs Geradewohl den Staubwedel gegen den Plafond warf und auch richtig das Lampenglas traf, das klirrend in Stücke fiel. So vergingen Monate. Schon hatte ich angefangen, mich an die Fliege zu gewöhnen und mich nach ihr umzusehen, wie mein Mann, wenn ich ins Zimmer kam und sie noch nicht da war, als ein tragischer Vorfall ihrem Dasein ein Ende machte. Sie wollte sich auf dasselbe Stück Fleisch setzen, das der Hund bereits beäugelte; und da schnappte er nach ihr, bearbeitete sie zwischen den Zähnen und spie sie dann wieder aus, gerade vor Leopolds Teller. Da lag sie jetzt, ein winziges blutiges Etwas, grauenhaft anzuschauen. Mein Mann war entsetzt. Er wußte nicht, was er zuerst tun sollte: sich über den Hund ärgern,[175] oder die arme Fliege beklagen. Er zog sich aus dem Dilemma, indem er auf mich böse wurde, weil ich den Hund nicht rechtzeitig an seiner blutigen Tat gehindert hatte.

»Er hat mir eben vorher nichts von seinen Absichten mitgeteilt,« wagte ich schüchtern zu bemerken. Allein derlei Ausreden ließ Leopold nicht gelten. Er sagte, ich sei immer gegen die Tiere, und das sei ein häßlicher Zug in meinem Charakter.

»Soll sie auf dem Mist oder unter den ›Drei Pappeln‹ beerdigt werden?« frug ich, auf den feuchten Fleck vor seinem Teller weisend. Er aber warf Messer und Gabel hin und verließ wütend das Zimmer. An dem Tage aß er nicht zu Mittag.

Damit strafte er mich immer, wenn er ernstlich Grund hatte, auf mich böse zu sein.


Staudenheim sitzt bei uns und zeigt uns Photographien, die er im Sommer im Gebirge aufgenommen hat, und dabei erzählt er uns von seinen dortigen Erlebnissen.

»Und die Frauen?« fragt da plötzlich mein Mann.

»Ach, die Frauen! Sie sind gut und mildherzig, wo man sie findet, im Schloß wie in der Bauernhütte.«

»Nein, eine Kuhdirne zu lieben, das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Geh doch! Du würdest dich ganz gut damit abfinden ... ein Dichter ... noch Kapital daraus schlagen.«

»Ha, so eine Brunhilde vom Dorf wäre vielleicht ganz interessant.«

»Siehst du, wie du schon auf den Geschmack kommst.«

»Aber sie würde mir keine Pelze anziehen.«[176]

»Warum denn nicht? Am Sonntag zum Kirchgang.«

»Ach, zum Kirchgang ...«

»Und am Nachmittag im Wirtshaus zum Tanz.«

Nachdem Staudenheim gegangen, sagte mein Mann:

»Das von der Kuhdirne habe ich nur gesagt, um ihn zu reizen. Ich habe selbst während einer Zeit daran gedacht, ein Bauernmädchen zu heiraten. Aus dem Gedanken ist ja das ›Märchen vom Glück‹ entstanden.«


Meine Mutter hat mich verlassen. Es hatten sich alte, längst verschollene Freunde wiedergefunden, die sie beschwatzten und endlich von mir weglockten. Welche Gründe meine Mutter vertrieben und warum sie bei mir nicht zufrieden war, darüber sprach sie nie, und ich habe es nie erfahren.

Da ich Grund hatte, um ihre Existenz besorgt zu sein, bemühte ich mich, ihr klar zu machen, in welche Gefahr sie ihr Entschluß bringen könne; ich sagte ihr, daß ich in der unsicheren Lage, in der ich selbst sei und die sie kenne, keine Verpflichtung für ihren Unterhalt übernehmen könne, dagegen wenn sie mit mir lebe, ich immer mit freudigem Herzen alles mit ihr teilen werde, was ich selbst habe.

Sie beharrte bei ihrem Entschluß und reiste ab.

So blieb ich allein mit meinem Mann und meinen Kindern.

Nachdem Leopold bisher der eingebildete Kranke war, der mit dem ganzen Reichtum seiner Phantasie sich nicht nur alle existierenden Krankheiten einredete, sondern auch noch ganz unbekannte für sich erfand, schien es seit einiger Zeit, als ob ein wirkliches Leiden vorhanden wäre, das[177] uns um so mehr beunruhigte, als es sich in ein geheimnisvolles Dunkel hüllte, und wir nicht herausfinden konnten, woher es kam und wo es seinen Sitz hatte. Die äußeren Zeichen dieses Leidens bestanden darin, daß ihn beim Schreiben oder im Gespräch mit fremden Personen eine wahre Todesangst überfiel, die, wenn die Anfälle stark waren, sich mit jeder Minute steigerte, bis er in wahrem Paroxismus in Tränen ausbrach, von mir und den Kindern Abschied nahm, überzeugt, er werde im nächsten Augenblick eine Leiche sein.

Ich weiß nicht, für wen die Qual größer war, für ihn im Leiden, oder für mich, ihn so leiden zu sehen.

Mit seinen eingebildeten Krankheiten war ich immer leicht fertig geworden, denn es war mir nie schwer, ihm zu beweisen, daß sie nur in seiner Phantasie bestanden. Hier aber war etwas, das sich nicht wegreden ließ. Trotzdem gelang es mir, ihm meine Angst zu verbergen und ihn glauben zu machen, daß es wohl nur nervöse Zufälle seien, die sein Beruf mit sich brächten und wohl bei den meisten Schriftstellern vorhanden wären. Er glaubte mir gern, und, war der Anfall vorüber, so war er auch vergessen. Beruhigend war mir dabei, daß Leopold trotz dieser Zustände immer kräftig und frisch war, ja sogar Fett anzusetzen begann.

So suchte ich mich zu beruhigen, ohne je ruhig zu sein.

Ich hatte dadurch, daß die Kinder nachts in meinem Zimmer schliefen, einen sehr leichten Schlaf bekommen, den das leiseste Geräusch unterbrechen konnte.

In einer Nacht weckte mich jenes eigene Geräusch, das man vernimmt, wenn ein Mann in seine Hosen[178] schlüpft. Mit einem Sprung war ich aus dem Bett und in Leopolds Zimmer.

»Was gibt es? Was tust du?« frug ich. Er sah mich überrascht und wie abwesend an und schwieg, als müsse er sich selbst erst bedenken, was er tun wollte. Dann schien er sich zu erinnern, und wie aus einem Traum erwachend, sagte er:

»Das ist aber sonderbar. Man ist zu mir gekommen und hat mir gesagt, das Haus brenne, und um nicht in meinem Bett zu verbrennen, zog ich rasch die Hosen an und wollte mich dann zum Fenster hinauswerfen.«

Ich saß den Rest der Nacht auf meinem Bett, nicht, weil ich fürchtete, wieder einzuschlafen, sondern um schneller bereit zu sein, falls der Sprung aus dem Fenster diese Nacht noch einmal drohen sollte.

Am Morgen sprachen wir von seinem Traum, und er sagte, er wäre ganz gewiß zum Fenster hinausgesprungen, wenn ich nicht gekommen wäre. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß, wenn ich nur etwas fester geschlafen hätte, das Unglück geschehen wäre.

Ich ließ mir von nun an jeden Abend eine Matratze vor sein Bett legen, und darauf schlief ich viele Monate.

Der Vorfall rief wieder alle meine Besorgnisse um seine Gesundheit wach, und seine Anfälle, an die ich mich bereits zu gewöhnen angefangen hatte, ängstigten mich mehr denn je.

Daß ich ihm unter diesen Umständen in allem seinen Willen tat, soweit ich das konnte, und mit nie ermüdender Geduld seine Gespräche anhörte, die immer dieselben waren, sich immer um meine zu erwartende Untreue drehten, denn sie war das einzige, das ihn zerstreute und seine Anfälle fernhielt, das ist leicht verständlich.[179]

Es gab Tage, an denen es gar arg mit ihm war und ich aus der Rolle der grausamen Herrin gar nicht herauskam, bis ich voll Ungeduld die Nacht herbeisehnte, die mir erlaubte, wieder ich selbst zu sein.

In all diesen Sorgen und Kümmernissen beruhigte mich eins: ich würde kein Kind mehr haben. Seit der Geburt meines letzten Kindes hatte ich beschlossen, daß, was auch die Folgen sein sollten, ich keinem Kinde mehr das Leben geben wollte.

Da ich meine wahren Gründe meinem Manne nicht angeben durfte, sagte ich ihm, eine Frau, die Liebhaber haben soll, darf nicht mit Schwangerschaften und Ernährung von Kindern geplagt werden. – Das begriff er und stimmte mir freudig bei.


Im August 1876 gingen wir mit den Kindern für einige Wochen in das Bad Frohnleiten. Wir wohnten außerhalb des Bades in einem ganz einsam liegenden alten Forsthause, nahe am Wald.

Hier kamen wir mit vielen Personen zusammen und wurden von ihnen in das rege Badeleben hineingezogen.

Eine angenehme Überraschung brachte hier meinem Mann die Wiederbegegnung mit dem Dichter Ferdinand von Saar.

Er kam jedes Jahr im »Hofstaat« der Frau Gomperz, die im Sommer das Schloß in Frohnleiten bewohnte. Er hatte im Park einen kleinen Pavillon für sich allein, und dort suchten wir ihn auf und ich fand ihn ganz so, wie ihn mir mein Mann geschildert hatte. Ein wenig schwermütig vielleicht, vielleicht nicht ganz zufrieden mit[180] seiner Stellung am »Hofe«, aber einfach und herzlich, und ein schöner und prächtiger Mann obendrein.

»Er hat ganz das Äußere zu dem Griechen,« sagte Leopold, als wir ihn verlassen, »allein er ist für diese Rolle viel zu sehr Poet.«

Frau Gomperz hatte ein Faktotum, ein ältliches, für ihren Beruf ganz besonders begabtes Fräulein, welches beständig auf der Jagd nach distinguiertem Wild war. Sie kam unfehlbar zu allen Zügen an die Bahn, beschnupperte die ankommenden Fremden auf ihre »Hoffähigkeit« hin, und wenn sie diese herausgerochen hatte, trieb sie sie dem Schloß zu, dessen Herrin einen unersättlichen Appetit auf Hochwild hatte. Eine Zeitlang waren wir der Gegenstand dieser Treibjagd. Das geplagte Fräulein aber erfuhr zu ihrem Erstaunen, daß es Menschen gab, die sich auch ohne Hofluft behelfen könnten, und daß wir zu diesen gehörten.

Frau Gomperz hielt sich noch nicht für geschlagen.

Sie sandte uns Saar mit einem verständlichen Wink. Der arme Dichter! Wie leid tat er mir, daß man ihn mit derlei plagte. Auch er konnte der Schloßfrau keinen befriedigenden Bescheid bringen. Das verdiente Strafe. Durch ihr Faktotum ließ Frau Gomperz Sacher-Masoch mitteilen, daß ihre Köchin eine eifrige Leserin seiner Werke sei, was den Saucen, die sie machte, sehr zu statten käme, denn sie wären fast ebenso pikant wie seine Novellen.

Wir hatten, was wir verdienten. Die liebste von all den neuen Bekannten war mir die Generalin Baronin Urban. Ich gewann sie sehr lieb, und ich glaube, daß sie mir das vergalt, denn es verband uns bald eine warme Freundschaft, die die Badebekanntschaft überdauerte. Sie[181] war eine kleine zierliche Erscheinung mit rötlich-blonden Haaren und Händen ... Oh, was hatte die Frau für Hände! Gewiß waren es die schönsten, die es je gegeben; Hände, die man nie satt wurde, anzuschauen; und wie verstand sie sie so schön auf dunklem Samt oder in schaumigen Wellen seiner Spitzen zu betten; wenn sie so dalagen, so weiß und zart, mit den rosigen Fingerspitzen, sahen sie aus wie eben vom Baum gefallene Apfelblüten.

Solche Hände waren zu weich und kraftlos, um irgend etwas festzuhalten, und als ihnen eines Tages auch unsere Freundschaft entfiel, als in diese eben ein wenig Schwere zu kommen drohte, wunderte ich mich nicht.

Manche Stunde saßen wir damals zusammen, und manches erzählte sie mir aus ihrem Leben, während ich über das meine – schwieg. Denn was hätte ich ihr erzählen können? Was dürfen?

Wie schmerzlich empfand ich es oft, daß ich für Vertrauen nicht auch Vertrauen bieten konnte.

Wie aller Welt, mag auch ihr vieles an mir seltsam erschienen sein. –

Wenn ich, dem Drängen meines Mannes nachgebend, in einer dekolletierten Pelzjacke im Kurhaus Billard spielte, mein Haar in zwei Zöpfen geflochten über den Rücken hängend trug, Zigaretten rauchte, mir den Hof machen ließ und leichtfertige Manieren annahm, war ich wohl mit Gleichmut gewappnet gegenüber den frechen Mienen der Männer und dem höhnischen Lächeln der Frauen –, wenn ich aber die ängstlich forschenden Augen der Baronin auf mich gerichtet sah, wollte mich meine Kraft schier verlassen.

In dieser Zeit schrieb mein Mann das Schönste und[182] Beste von all dem, was er in unserer zehnjährigen Ehe geschaffen. –

Auch von Paris kamen freudige Nachrichten, die ihn zu neuer Tätigkeit anregten. In der »Opinion nationale« erschien eben sein Roman »Die Ideale«, in der »République francaise« sein »Testament«; Meilhac und Halévy baten um die Autorisation, eine seiner Novellen für eine Operette bearbeiten zu dürfen; der »Univers Illustré« brachte eine Studie über ihn mit seinem Bilde; das »Journal de Genève« schrieb, das »Vermächtnis Kains« besprechend: »Die einzelnen Novellen derselben sind die Note einer großartigen Tragödie, deren Held die leidende Menschheit ist. Sacher-Masoch vereinigt das Temperament Lord Byrons mit der Form Mérimés.«

Nachdem Leopold seit einem Jahre mit Buloz etwas kühl gestanden, schrieb ihm dieser jetzt, er würde sich sehr glücklich schätzen, wenn er in der Revue des deux mondes einen Roman von ihm veröffentlichen könnte. Katherin Strebinger, die sich mit Henri Rochefort verlobt hatte, teilte uns mit, daß dieser zusammen mit Busnach aus dem »Emissär« ein Stück machen wolle, in dem Sarah Bernhard die Hauptrolle spielen sollte. Dann schrieb Katherin noch – wir waren unterdes mit ihr sehr intim geworden und duzten uns –, ihr Verlobter werde sicher eines Tages Präsident der Republik werden, dann möchten wir ganz nach Paris ziehen, sie und Rochefort wollten uns dort einen breiten Platz bereit halten. Der bisherige Leiter des Hallerschen Verlags in Bern, Frobern, hatte sich selbständig gemacht, in der Absicht, alle Werke Sacher-Masochs anzukaufen und nur ihn zu verlegen.

So öffnete sich vor mir eine glänzende Zukunft für meine Kinder: ich sah sie glücklich, reich, einen berühmten[183] Namen tragend; und wenn ich dieses Glück mit meinem eigenen erkaufte, so schien mir das so wenig, daß ich mich dabei nicht eine Sekunde lang aufhielt.


Im Oktober kehrten wir nach Bruck zurück; Leopold so wohl und frisch, so angeregt und arbeitsfreudig, wie schon lange nicht.

Im November trat plötzlich sehr rauhes Wetter ein, er erkältete sich, wurde heiser, und diese Heiserkeit wich erst, als das Frühjahr wieder kam.

Mein neues Leben, so voll kleiner und großer Sorgen, voll des Stolzen und Freudvollen, Niederdrückenden und Schamvollen, hatte mich so sehr in Anspruch genommen, daß ich an meine unglückliche Jugend fast nie mehr dachte, und wenn es doch geschah, dann sah ich sie nur in weiter, nebelhafter Ferne, ein losgetrenntes, verlorenes Stück meines Lebens, das mit mir nur noch durch einen dünnen Faden der Erinnerung zusammenhing.

In diesem Winter kam sie mir wieder lebhafter ins Gedächtnis. Mit Staunen erkannte ich, daß die Pein und die Kümmernisse jener Tage nur gering waren gegen das Seelenleiden und die Hoffnungslosigkeit der Gegenwart. Denn damals lag fast alles Traurige nur in den äußeren Verhältnissen, die den Geist weniger berührten. Jetzt war es anders. Das Elend, das jetzt über mich kam, floß aus der dunkelsten Tiefe der Menschennatur, und dieses Gewaltige, Häßliche unterjochte und erdrückte mich. –

Dr. Schmit verbot meinem Manne auszugehen und zu sprechen. Das setzte ihn in Schrecken, und da die Heiserkeit trotz aller angewandten Mittel nicht weichen[184] wollte, war er überzeugt, daß er an Luftröhrenschwindsucht leide – also das Ende. Wieviel Mühe gab ich mir, um ihm immer und immer wieder zu beweisen, daß ein Mann, der 8–9 Stunden jede Nacht ruhig schläft, einen immer frischen Appetit hat, stark und kräftig ist, denn er machte täglich Zimmergymnastik, ohne sich dadurch ermüdet zu fühlen, unmöglich so schwer krank sein konnte, als er sich glaubte.

Und das war meine feste Überzeugung.

Vom Schreiben war nicht mehr die Rede, kaum daß er die dringendsten Briefe erledigte. Seine nervösen Anfälle kamen jetzt viel öfter, am meisten dann, wenn er an sie dachte und ihr Kommen fürchtete. Gelang es mir aber, seine Gedanken davon abzulenken, so ging oft der ganze Tag ohne Anfall hin. Da ich sah, daß das Schweigen ihm schwer wurde und ihn geistig drückte, und da ich an den Ernst des Halsleidens nicht glaubte, ermutigte ich ihn, trotz des Verbotes des Arztes zu sprechen; und er folgte meinem Rat. Er fürchtete sich, allein zu bleiben, und ich kam nicht mehr von seiner Seite. Mein Haushalt ging, wie er ging, und es war ein Glück, daß Leopold die Kinder gern um sich sah, sonst hätte ich sie wohl kaum zu Gesicht bekommen. Ich ging nie mehr aus und empfing keine Besuche mehr. Staudenheim, der einzige, den ich gern gesehen hätte, weil seine Freundschaft mir sicher eine Stütze gewesen wäre, war diesen Winter gar nicht nach Bruck gekommen. So war ich denn allein mit meinem Kranken.

Seit mein Mann mir offen zugab, daß er erwarte, die »Venus im Pelz« mit mir noch einmal zu erleben, »schöner und herrlicher« als mit der P ..., sprach er mit mir, wenn wir allein waren, nur noch davon.[185]

Und jetzt, in seiner Krankheit, in der geistigen Depression, in der er sich befand, waren ihm diese Gespräche, das Ausmalen seiner künftigen Freuden, eine Abwehr gegen seine Beängstigungen und seine Todesfurcht. Ich höhlte meinen Kopf aus, um ihm all die Grausamkeiten zu schildern, die ich dann begehen würde; allein meine Phantasie ließ mich auf diesem Felde bald im Stich, dann kam er mir mit der seinen zu Hilfe, und ich folgte ihr, wohin sie mich führte.

Sie führte mich abwärts, auf dunkle, schmutzige Wege, die er mich Schritt für Schritt gehen lehrte.

Ich mußte den armen, an Körper und Seele kranken Mann mit ausgesuchten physischen und geistigen Qualen martern, und wenn mich Mitleid überfiel und erstickte Tränen mich am Lachen hinderten, dann hob er flehend die Hände zu mir auf und rief:

»Mehr! Mehr! Schlag zu ... hab kein Erbarmen mit mir ... Je mehr Schmerz du mir machst, je mehr ich durch dich leide, um so glücklicher bin ich.«

Auf diesem düsteren Hintergrund von Qual und Leiden erstand für ihn das höchste berauschendste Glück.

Ich habe ehrlich gegen meine eigene Natur gekämpft und ihm aus der mir fremden heraus so viel von diesem Glück gegeben, als ich konnte. Und wenn ich unter dem Kreuz, das ich mir aufgeladen hatte, zusammenbrechen wollte, dann brauchte ich nur an meine Kinder zu denken, und die Angst um ihre Zukunft jagte mich wieder auf, und ich ging den schweren Weg weiter.

Monate vergingen, dann wurde es so arg, daß ich mit Entsetzen den Ausbruch vollen Wahnsinns nahe sah. Ich war unerfahren auf sexuellem Gebiete, hielt für Irrsinn, was ich nicht anders deuten konnte, und war der[186] Verzweiflung nahe. Ich wandte mich an Dr. Schmit. Ich fand einen Vorwand auszugehen, suchte ihn auf und sagte ihm alles.

Ebenso erstaunt und überrascht als teilnahmsvoll hörte er meine traurige Erzählung an. Er glaubte nicht an eine geistige Störung, schien aber in anderer Richtung Besorgnisse zu haben, ohne mir jedoch etwas darüber zu sagen. Er meinte, ich solle fortfahren, durch ein scheinbares Eingehen auf die Phantasie meines Mannes sein Vertrauen zu erhalten, und auf diesem Umweg auf seine Vernunft einzuwirken suchen, was vielleicht am ehesten zu erreichen wäre, wenn ich ihm die Sache vom Ehrenstandpunkt darstellte; in keinem Falle aber durfte ich sein Verlangen erfüllen, denn das würde unser aller Unglück sein.

Gedrückt und kummervoll, wie ich ausgegangen, kehrte ich heim. Leopold war jetzt nicht Vernunft- und Ehrengründen zugänglich; ich mußte damit warten, bis er ruhiger wurde.

Einige Zeit nachher erkrankte unser ältester Knabe an Bronchitis. Es war ein zartes Kind, und der Arzt fürchtete, es könne eine Lungenentzündung daraus entstehen. Um diese zu verhüten, sollte dem Kinde alle zehn Minuten eine kalmierende Flüssigkeit eingeflößt werden; käme es die Nacht zu keinem Hustenanfall, wäre die Gefahr überwunden.

Als Leopold sah, daß sein Liebling, sein schönes, angebetetes Kind, ernstlich krank war, war er wie umgewandelt. Er selbst war kein Kranker mehr, und alles, was uns beide in diesem traurigen Winter gefoltert hatte, war nicht mehr da. Voll Energie setzte er sich an das Bettchen des Kleinen und erklärte, er werde die Nacht[187] bei ihm wachen und ihn nicht verlassen, bis er wieder ganz wohl sei.

So leid es mir um das Kind tat, freute ich mich beinahe über seine Krankheit, weil sie bei meinem Manne eine Art Krisis in seinem eigenen Zustand hervorgerufen.

So saßen wir denn zusammen bei unserem Kinde, die Uhr in der Hand, aufmerksam und ängstlich den Vorschriften des Arztes nachkommend.

Leopold schaute auf das Kind, das ohne Fieber war und ruhig schlief, und dessen reiches blondes Haar auf den Kissen ausgebreitet lag, das rosige Gesichtchen mit einem goldigen Schein umgebend. Lange sah er es an und da bemerkte ich, wie seine Augen feucht wurden und sein Gesicht jenen schmerzverzerrten Ausdruck bekam, den ich nicht sehen konnte, ohne tiefes Mitleid mit ihm zu empfinden.

»Wenn mir dieses Kind entrissen würde,« sagte er dann wie zu sich selbst, »könnte ich keine Stunde mehr leben, denn was mir dieses Kind ist, das kann ich nicht sagen. Es hat so wenig Irdisches und so viel Himmlisches an sich, daß es mir wie ein Wesen aus einer anderen Welt vorkommt. Wie wird es ihm im Leben gehen?«

»Ja, wie? Wie wird es diesen Kindern gehen? Daran denke ich jetzt oft. Für sie liegt viel Gefahr in dem, was kommen soll –«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine, daß ich mich um Haus und Kinder nicht mehr werde kümmern können, vielleicht auch nicht wollen, wenn ich ›Venus im Pelz‹ bin. Du auch nicht, da ich dich höchstwahrscheinlich meinem Liebhaber als Sklaven schenken werde. – Dann bleiben die Kinder eben einer Magd überlassen. Hast du daran nie gedacht?«[188]

»Nein. Aber man könnte wohl eine Person finden, der man die Kinder anvertrauen kann.«

»Vielleicht. Doch selbst wenn wir sie finden, haben wir nicht die Mittel sie zu bezahlen. Solche Personen sind teuer. Und würdest du wollen, daß eine Fremde dich im Herzen deines Sascha ersetze?«

»Mein Katzi wird nie aufhören seinen Papa zu lieben.«

»Natürlich nicht, so lange sein Papa täglich um ihn ist. Aber nimm den Fall – und das wünschest du doch – ich würde es mir einfallen lassen, dich meinem reichen vornehmen Liebhaber zu schenken und dieser nähme dich mit sich irgend wohin, für Wochen, Monate, vielleicht sogar für immer, du bist ja sein, er kann mit dir machen, was er will, wo bliebe in der Zeit Sascha?«

Er hatte mir erstaunt mit großen Augen zugehört.

»Ja, das sind allerdings Schwierigkeiten, über die man nachdenken und die man aus dem Weg zu räumen trachten muß.«

»Freilich, nur sehe ich nicht wie?«

»Man kann doch nicht verlangen, daß du, eine junge Frau, weil du ein paar Kinder hast, dein Leben nicht mehr genießen sollst.«

»Sag das nicht. Du weißt jetzt wohl, daß es sich dabei nicht um mein, sondern um dein Genießen handelt. Verschiebe nicht den Standpunkt, und ehrliches Spiel vor allem. Ich habe dir versprochen, dir deine Phantasie zu erfüllen, und ich werde mein Versprechen halten, wenn du darauf bestehst. Ich möchte aber, daß du auch an die Folgen denkst, die es für uns, am meisten für die Kinder haben kann. Ich verlange nichts, ich bin mit dir und den Kindern vollkommen glücklich. Ich bringe dir ein Opfer, wenn ich dir deinen Willen tue, und alle Verantwortung[189] für das, was daraus entsteht, hast du allein zu tragen, das sollst du bedenken –«

»Ach Gott, du nimmst das auch gar zu ernst! Als ob das immer gleich eine Tragödie werden müßte, wenn eine Frau einen Seitensprung macht. Du wirst Liebhaber haben und wir werden glücklich mit den Kindern zusammenleben wie jetzt.«

»Vielleicht hast du recht – vielleicht nicht. Wer kann sagen, wo die Kugel hinrollt, wenn sie einmal ins Rollen gekommen ist? – Nimm einmal an, ich würde zu meinem Liebhaber eine ernste Leidenschaft fassen und dich verlassen ...«

»Du! das tust du niemals. Das ist ja eben so köstlich, daß ich bei dir derartiges nicht zu fürchten habe; du bist eine viel zu treue und ehrliche Natur, um heilige Pflichten von dir zu werfen. Und warum solltest du es auch? Ich lasse dir doch volle Freiheit, alle deine Launen zu befriedigen; welchen Grund hättest du also, mich und die Kinder zu verlassen? Ich wünsche ja nichts so sehr, als dich recht verliebt in einen andern zu sehen, ich hoffe, daß es sein wird und erwarte reizende Wunder aus dieser Situation.«

»Und die Welt wird sagen, daß deine Frau ein liederliches Weib ist.«

»Meine liebe Wanda, so lange der Ehemann die Frau deckt, sagt die Welt nichts – und denken mag sie was sie will. Daß du mit solchen Einwänden kommst, überrascht mich. Du bist mir als Mädchen nach Wien gefolgt, ohne dich darum zu kümmern, was die Welt dazu sagen würde.«

»Ich war allein und hatte keine Rücksichten zu nehmen. Jetzt trage ich deinen Namen und habe Söhne.«

»Die Liebschaften der Frau rühren die Ehre des Mannes[190] nicht an. Und was deine Söhne betrifft, so wirst du sie so erziehen, daß sie über dem Urteil der Welt stehen. – Du bist bis jetzt allen Sonderbarkeiten meines Geistes mit dem feinsten Verständnis gefolgt, deshalb ist es mir geradezu unbegreiflich, warum du in dieser einen Sache solche Schwierigkeiten machst.«

»Vielleicht weil ich zu dir nicht dasselbe unbedingte Vertrauen haben kann wie du zu mir.«

»Was fürchtest du?«

»Mit der ersten Untreue, die ich begehe, habe ich mich vor dem Gesetz gegen dich vergangen ... du kannst dich von mir trennen ... mir die Kinder nehmen.«

»Obgleich du keinen Grund hast, mir eine solche Niederträchtigkeit zuzutrauen, so ist es mir doch lieb, daß du daran denkst. Ich werde dich auch in dieser Richtung sicher stellen. Das Beste und Einfachste ist, ich gebe dir eine schriftliche Erklärung, in der ich sage, daß alles, was du tust oder getan hast, mit meinem Wissen und Willen geschehen ist und daß ich deshalb kein Recht habe, dir einen Vorwurf zu machen, oder gar klagbar zu werden. Außerdem werde ich dir einige weiße Blätter geben, mit meiner Unterschrift, die kannst du jederzeit nach Belieben ausfüllen oder ausfüllen lassen – damit bin ich ganz in deiner Hand und du hast kein Recht mehr zum Mißtrauen.«

Wir hatten ganz leise gesprochen, um das schlafende Kind nicht zu wecken, das süß in seinen Träumen lächelte.

Leopold ging in sein Zimmer und brachte mir bald nachher die »Erklärung« und die weißen Blätter mit seinem Namen. Er sah so glücklich aus, als stehe jetzt die Erfüllung seiner Wünsche ganz nahe.

Es war Mitternacht und ich drängte ihn, zu Bett zu gehen, was er auch tat.[191]

Ich war froh, allein zu bleiben. Ich fühlte mich so matt, wie ausgesogen, und hoffnungsloser als je.

Ich ging ans Fenster und sah hinaus. Wie die kleine Stadt unter ihrer Schneedecke dalag, so traumhaft still, wie in einem Märchen. Ich stand und wartete, daß die Nacht verging, aber es schien, als ob auch die Zeit eingeschlummert wäre und kein Tag mehr für mich anbrechen sollte.

Da lagen die Papiere auf dem Tisch, die »Erklärung« und die weißen Blätter mit seinem Namenszug unten – und heute, da ich dies schreibe, nach beinahe siebenundzwanzig Jahren, liegen sie wieder vor mir, alt und vergilbt, mit verblaßter Schrift und – ungebraucht.

Ich wandte mich ab von all der Düsterkeit, dahin, woher mir bis jetzt auch in den schwersten Stunden Kraft gekommen war, zu meinem Kinde. Ich berührte sein weich und warm auf der Decke liegendes Händchen vorsichtig mit meinen Lippen, um den Traum nicht zu zerstören, den freundliche Geister seiner kleinen Seele vorgaukelten.


Die Nacht war ohne Hustenanfall vergangen, die Gefahr vorüber und in einigen Tagen war das Kind wieder ganz wohl. Auch mit meinem Manne ging es von dem Tage an besser. Zuerst die Angst um den Kranken, dann die Freude über den endlich genesenen Abgott hatten ihn aufgerüttelt und sich selbst vergessen machen. Dazu kamen schöne sonnige Tage, die den nahenden Frühling ankündigten und den beiden Rekonvaleszenten erlaubten, in der Mittagsstunde in die Sonne zu gehen. Diese Stunde täglich im Freien wirkte Wunder; die Heiserkeit nahm sichtlich ab, und Vertrauen und Hoffnung kam[192] wieder in den so lange gemarterten und gequälten Geist meines Mannes. Und als ein schönes und zeitiges Frühjahr angebrochen war, schwanden die Schrecken dieses Winters wie Schatten dahin.

Dr. Schmit hatte schon wiederholt erklärt, das Klima in Bruck sei zu rauh für meinen Mann und er würde gut tun, nicht da zu bleiben. Obwohl ich nicht derselben Ansicht war, und der Gedanke, das reizende Bruck zu verlassen, mich ganz traurig stimmte, wagte ich doch nichts dagegen zu sagen; und es ward beschlossene Sache, daß wir nach Graz übersiedeln sollten – sobald wir das nötige Geld dazu haben würden.


Das nötige Geld! Wird es auch nur für die Übersiedelung reichen? Und dann? Mit geheimem Schrecken sah ich unsrer finanziellen Lage in der nächsten Zukunft entgegen. Den ganzen Winter hatte Leopold nichts geschrieben, das heißt, nichts verdient. Mit den immer verspätet eingehenden Honoraren hatten wir bisher gelebt. Die arbeitslosen Wintermonate mußten uns nun im kommenden Sommer schwer fühlbar werden. Ich wollte meinen Mann nicht mutlos machen und behielt meine Befürchtungen für mich. Darüber verging der Mai.

Mit der Aussicht auf ein ödes Stadtleben in den nächsten Jahren wollte ich die letzte Zeit meines Aufenthalts in Bruck noch recht genießen. Leopold fand sich darein, vormittags, während er schrieb, allein zu bleiben, und ich nahm meine Kinder und ging mit ihnen an irgend eine geschützte Stelle, meist am Waldsaum, und da ließen wir uns nieder und verbrachten köstliche Stunden. Die Kinder so frisch und schön, auch Lina war ein liebes reizendes[193] Kind, jauchzten mit den Vögeln um die Wette und griffen mit den Händen nach ihnen, die hoch oben im blauen Äther schwammen. Aus dem Walde kam der Ruf des Kuckucks, aber ich zählte seine Rufe nicht, ich wollte keine Frage an das Schicksal stellen, denn hier vergaß ich alle Sorgen, alle Qualen, alle Schmerzen und war nur glücklich, nichts als glücklich.

Am Nachmittag beginnt dasselbe Spiel, aber dann ist Leopold bei uns und die Magd auch, und wir gehen weiter die Berge hinauf, denn er will sich Bewegung machen. Geschieht es, daß die kleinen Beinchen ermüden, dann tragen wir die Kleinen abwechselnd oder ruhen eine Weile aus, bis sie wieder laufen können. Auch mein Mann ist glücklich. Wenn ich ihn so sehe, wie er mit den Kindern spielt, kindischer als diese, mit ihnen nach Schmetterlingen jagt und dann wieder abgehetzt, aber vor Glück leuchtend, zu mir zurückkehrt, die Arme um mich schlingt, mich auf die Wange küßt mit einem: »O du mein liebes, herziges Weib!« dann denke ich mir, warum kann er sich nicht mit diesem einfachen aber wahren Glück begnügen? Ich konnte es beklagen; aber ihm einen Vorwurf daraus machen, wäre mir ebenso ungerecht erschienen, als würde ich einem Schiefgewachsenen seine schiefe Haltung zum Vorwurf machen. – All das Häßliche, Abstoßende, Grausige und Wahnsinnige, das ich diesen Winter erlebt, hat tiefes Mitleid mit dem Unglücklichen in mir erregt, aus dem heraus eine Liebe wuchs, die jetzt stark und fest in meinem Herzen wurzelte. Und wie hätte es auch anders sein können, wo ich ihn in Augenblicken so voll furchtbar seelischer Qualen sah, die nach Erbarmen schrien, und bei deren Anblick wohl kein Mensch mitleidlos hätte bleiben können.

So sammelte ich schon jetzt meinen Mut, um, wenn[194] das Unvermeidliche hereinbrechen würde, gefaßt und sicher nicht vom rechten Wege abzukommen. –

Im Juni 1877 übersiedelten wir nach Graz.


Wir mieteten vorläufig eine Landwohnung am Rosenberg, welche aus zwei Zimmern und einem Kabinett bestand, und ließen von unsern aus Bruck mitgebrachten Sachen nur das Allernötigste zur Möblierung hinbringen.

Es war ein schöner Garten und Wald dicht am Hause, so daß die Kinder den ganzen Tag, und ich und Leopold, sobald er die Feder hinlegte, im Freien waren.

Dieser sonst so glückliche Aufenthalt wurde uns durch die drückendsten Nahrungssorgen verleidet.

Nach den arbeitslosen Wintermonaten konnten jetzt keine Honorare eingehen und, so fleißig Leopold auch wieder arbeitete, für den Moment half es nichts.

Nur von Paris und Genf kam noch Geld für Übersetzungen, allein es war nicht viel und reichte nicht weit. Obgleich wir unsere Ausgaben auf das äußerste einschränkten und nie mehr ausgingen, nur um nicht in die Lage zu kommen, Geld ausgeben zu müssen, und mein Mann keine Briefe mehr zu schreiben wagte, um das Porto zu sparen, mußten wir alle unsre Wertsachen verpfänden und einen Teil unserer Möbel verkaufen, ohne daß es uns viel half. Schließlich wurde es so arg, daß wir gar keinen Ausweg mehr wußten. Ich sah mit Entsetzen den Tag kommen, da ich meinen Kindern kein Brot mehr würde kaufen können.

In meiner Angst gab ich Leopold den Gedanken ein, die Schillerstiftung um ein Darlehen zu ersuchen, das er leicht und sicher zurückzahlen konnte von dem Honorar[195] eines großen Romans, den »Über Land und Meer« angenommen hatte, der aber erst in einigen Monaten erscheinen und honoriert werden sollte.

Lange zögerte mein Mann, den ihm sehr peinlichen Schritt zu tun, tat ihn aber, durch die Not gedrängt, endlich doch – und erhielt einige Wochen nachher einen abschlägigen Bescheid.

»Diese Demütigung hätte ich mir ersparen können, wenn ich deinem Rat nicht gefolgt wäre,« sagte er mir ärgerlich, und ich selbst bereute, ihn dazu verleitet zu haben.

Wenn Sorgen und Unannehmlichkeiten kommen, dann kommen sie gleich scharenweise und nisten sich förmlich ein.

Wo die Kost schmal ist, da sitzt der Hunger groß und breit bei Tisch. Und nirgends ist sein Anblick so ergreifend, als wenn er aus Kinderaugen schaut.

Es war nach einem solchen mageren Essen, nach dem die Kinder bald wieder nach Brot verlangt hatten, als ich saß und überlegte, ob ich nicht die Magd entlassen sollte, um einen Mund weniger zu ernähren. Das Mädchen diente schon einige Jahre bei uns, war treu und ehrlich und sehr verläßlich bei den Kindern; auch sah ich nicht, wie ich ohne Magd durchkommen sollte, da ich meinem Manne nicht von der Seite durfte, drei kleine Kinder aber Aufsicht brauchen.

So kämpfte ich grade mit meinem Entschluß, als Leopold mit einem Brief in der Hand zu mir trat. Er hatte jenes mir schon zu bekannte erregte Gesicht, hinter dem er stets seine Verlegenheit zu verbergen suchte, wenn er mir etwas mitteilen wollte, von dem er wußte, daß es mich nicht gerade erfreuen würde.

»Da geschieht wieder ein schöner Unsinn,« rief er.[196] »Kapf schreibt mir, daß er seine Stellung aufgegeben und den Tag nach Absendung dieses Briefes nach Graz abreise.«

Schon seit einiger Zeit hatte mein Mann von einem jungen Menschen, Otto Kapf, der Verkäufer in einer Buchhandlung in Berlin war, Briefe voll Schmeicheleien empfangen und – Schmeicheleien gegenüber war er stets widerstandslos – beantwortet. Nach den Schmeicheleien kamen Klagen: der junge Mann fühlte sich nicht an seinem Platz hinter dem Ladentisch, er strebte nach Höherem und kam schließlich mit dem Ersuchen, Sacher-Masoch möge ihn als Sekretär zu sich nehmen. Leopold vertröstete ihn auf später. Soviel hatte er mir von der Sache mitgeteilt.

Starr vor Schrecken schaute ich ihn jetzt an.

»Gibt es kein Mittel, ihn zurückzuhalten?« frug ich.

»Er ist ja unterwegs.«

Ich schwieg. Es war eine Taktik meines Mannes, mir Dinge, von welchen er annahm, daß ich sie nicht billigen würde, die er aber durchsetzen wollte, erst dann mitzuteilen, wenn sie ein fait accompli waren und ich nichts mehr dagegen tun konnte. Das war hier wieder der Fall.

Ich sprach kein Wort und suchte nur meinen aufsteigenden Ärger zu bewältigen.

»Was wirst du tun?« frug er dann.

»Das, was du hättest tun sollen – ihm reinen Wein einschenken, um ihn zur Rückkehr zu veranlassen.«

»Du vergißt, daß ich ihm ja doch Hoffnungen für die Zukunft gemacht habe.«

»Das war gewiß unüberlegt von dir, berechtigt ihn aber nicht, diese Hoffnungen durch einen Gewaltstreich in Wirklichkeit zu verwandeln. Er hat eine Unvorsichtigkeit[197] begangen und muß deren Folgen tragen – er – nicht wir.«

»Aber wir können den armen Menschen doch nicht gleich wieder wegschicken.«

»Warum nicht, da er ungerufen kommt?« Trotz dem Verdruß, der in mir grollte, freute es mich, Leopold so in der Klemme zu sehen.

»Übrigens, wenn du ihn nicht zurückschicken willst, behalte ihn. Wieviel Gehalt hast du ihm denn versprochen?«

»Aber ich bitte dich! Ich habe ihm ja geschrieben, daß von Gehalt vorläufig keine Rede sein kann, da ich infolge meiner langen Krankheit in eine schwierige Lage geraten bin. Er hat das auch sehr gut eingesehen und sich bereit erklärt, vorläufig mit freiem Aufenthalt zufrieden zu sein. Du siehst, der Mensch ist ja ganz bescheiden.«

»Brauchst du ihn sehr notwendig?«

»Ach! vorläufig brauche ich ihn ja gar nicht.«

»Dann wäre es doch das beste, wir schickten ihn ›vorläufig‹ wieder nach Berlin zurück. Hat die Reise viel gekostet?«

»Die Reise hat ihm gar nichts gekostet, da ich ihm freie Fahrt verschafft habe.«

»O, das ist ja um so besser. Da soll er nur gleich wieder umkehren.«

»Nein, das geht doch nicht. Das wäre eine Blamage für mich. Ich werde dir einen Vorschlag machen: wir behalten ihn einige Tage hier. Er wird selbst sehen, wie es mit uns steht, wie unsre Lage ist. Ich werde dann auch leichter mit ihm sprechen ... ihm vorschlagen, sich irgendeine Stelle zu suchen, in der er abwarten kann,[198] bis meine Verhältnisse sich gebessert haben. Bist du damit einverstanden?«

Da es mir nichts genützt hätte, nicht einverstanden zu sein, war ich es. Auch mußte ich Streit und Szenen vermeiden, um ihn nicht aus seiner arbeitsfrohen Stimmung zu bringen.

Am nächsten Tage kam der »Sekretär« an. Zu den rein materiellen Gründen, die ich gegen ihn hatte, kamen jetzt noch persönliche.

Er war von abstoßender Häßlichkeit und ebenso abstoßend war sein Benehmen und seine ganze Art. Seine kurze, knappe, gleichsam zerhackte berlinische Sprechweise war mir unleidlich; seine großen schwulstigen Lippen, mit der ganz zerquetschten Nase darüber und die kleinen verzwickten, stark kurzsichtigen Augen, die sich hinter scharfen Brillen versteckten, von denen einem, wenn man den Blick suchte, nur zwei kleine glänzende Punkte in den Gläsern wie zwei Nadelspitzen entgegenstarrten, und über diesen Augen eine stumpfsinnige Stirn, machten ein Gesicht, in das man nur mit Widerwillen schaute. Zu Arbeiten war er nicht zu brauchen, denn er schrieb eine Hand, die kein vernünftiger Mensch lesen konnte. Da saß er denn da, wenn er nicht spazieren ging, Stunden und Tage, ohne den Mund aufzutun. Selbst mein Mann, der immer gern geneigt war, Leute, die ihn bewunderten, für ausgezeichnete Menschen zu halten, erklärte, daß sein »Sekretär« der ödeste und langweiligste Mensch sei, den es geben könne.

Von einer andern Stellung für ihn oder irgendeiner Art, ihn abzuschütteln, war nicht mehr die Rede. Er blieb also bei uns, ohne uns in irgendeiner Weise nützlich sein zu können, als Müßiger und Überflüssiger, und obgleich er sehr wohl sah, mit welch bittren Nahrungssorgen wir[199] zu kämpfen hatten, wäre er bis an das Ende seiner Tage dageblieben, hätte ich nicht später in einem Augenblick verzweifelter Not den Mut gefunden, durch einen ebensolchen Gewaltstreich wie der, mit dem er sich uns aufgedrängt hatte, uns diese Last vom Halse zu schaffen.


Trotz unserer peinigenden Geldverlegenheiten war Leopold sehr wohl, heiter und arbeitslustig. Ich bewunderte ihn deshalb, denn mich drückte diese Lage tief nieder, und ich mußte mir fortwährend Gewalt antun und mich streng beobachten, um ihn meine düstere Stimmung nicht merken zu lassen. Auch tat es mir leid, daß er so rasch und so viel arbeiten mußte, nur um schnell Geld zu verdienen; das konnte nichts Gutes werden, und ward's auch nicht.

Seine Bedürfnislosigkeit rührte mich oft; er trank nicht, rauchte kaum und war in seinen Kleidern beinahe zu anspruchslos. Daher kam es, daß, wenn Geld einging und er einen Wunsch äußerte, ich nicht den Mut hatte, dagegen zu sein, waren doch auch diese Wünsche sehr bescheidene; meist bestanden sie in einem Ausflug, einer Freude, die er den Kindern machen wollte, und ein oder zweimal im Jahr in einer Kazabaika für mich. Nie hatte er einen Kreuzer in der Tasche; all das Geld, das er verdiente, gab er mir, und ich wirtschaftete damit, wie ich wollte. Wenn ich sage, all sein Geld, so meine ich das, was nach Abzug dessen, was er zur Zahlung alter Schulden zurückbehielt, blieb – und das war gar oft recht wenig. Diese alten Schulden waren ein Abgrund, der gewiß die Hälfte unseres Einkommens verschlang. Was das eigentlich für Schulden waren, wofür das viele Geld gezahlt wurde, habe ich nie erfahren. Karl hatte die[200] Sache in den Händen, an ihn ging das Geld und er zahlte.

Seine Zerstreuung war, wie immer, das Durchsprechen des alten Themas mit mir.

Ich hatte dieses Spiel seiner Phantasie nach und nach wie eine Notwendigkeit meines Lebens anzusehen begonnen, und mich wie in jede Notwendigkeit darein gefunden. Meine Hauptsorge war, daß nichts geschah, das seine Ehre in Gefahr brachte. Daß ich mich dabei kompromittieren würde, war unvermeidlich, allein das war das kleinere Übel und ich hatte es gewählt.

Gleich in der ersten Zeit unseres Aufenthalts auf dem Rosenberg hatte Leopold ein Inserat in die »Tagespost« gegeben, nach welchem eine hübsche junge Frau die Bekanntschaft eines energischen Mannes suchte.

Als Antwort darauf kam ein Brief von einem Grafen Attems – welchem, weiß ich nicht, es gibt ihrer ja so viele in Graz. Ich mußte ihm ein Rendezvous geben und zwar in dem zu dem Pachthof, in dem wir wohnten, gehörigen Wald; denn mein Mann wollte uns dort versteckt beobachten, »um die Qualen der Eifersucht zu empfinden«. Ich fand den Grafen an der bezeichneten Stelle im Wald.

Er hatte mein Kommen nicht bemerkt, so sehr war er damit beschäftigt, ein Monokel ins Auge zu drücken, das davon nichts wissen wollte. Endlich saß es, und jetzt sah er auf, gewahrte mich und sofort fiel es ihm vor Schreck wieder herunter. Er wußte nun gar nicht, was er tun sollte, mich begrüßen oder das widerspenstige Glas feststecken.

»Lassen Sie's, Sie sind ohne das viel schöner,« sagte ich, und da ließ er es.

Er war klein und sah durchaus nicht »energisch« aus,[201] mit seinem verwaschenen Gesicht und seiner pappigen Sprache. Ich hätte ihn am liebsten gleich wieder dahingeschickt, woher er gekommen, aber ich dachte an meinen Mann, der uns irgendwo belauerte, und wollte diesem den Genuß der Qualen der Eifersucht nicht zu sehr verkürzen.

Während wir so unter geistreicher Unterhaltung in dem Wald hingingen, stolperte mein Graf über eine Baumwurzel und lag auch gleich der Länge nach da. Er hatte sich weiter keinen Schaden getan, nur seine schöne Hose hatte gelitten und das Monokel war entzwei gegangen.

Nach diesem Schlußeffekt empfahl er sich, nachdem ich ihm noch vorher versprochen hatte, ihm zu schreiben, wann und wo wir uns wiedersehen würden.

Gleich darauf kam mir mein Herr Gemahl im Wald entgegen. Die erlittenen Qualen der Eifersucht schienen ihm sehr gut bekommen zu sein, denn er war in ganz ausgelassener Stimmung.

»Ach, was bist du für eine reizende Frau,« sagte er. »Immer wieder zeigst du neue Seiten deines Wesens, die mich entzücken. Wie köstlich warst du in deinem heitern Spott.«

»Hast du denn gehört, was wir sprachen?«

»O, jedes Wort.«

»Ja, was meinst du, wenn ich dir diesen angetrotelten Grafen zum Gebieter geben würde? Das wäre eine raffinierte Grausamkeit, die du dir gewiß nicht hast träumen lassen.«

Er lachte.

»Das darfst du nicht, das wäre gegen unsern Vertrag.«

»Welchen Vertrag? Du kannst doch meinem Geschmack nicht Gewalt antun wollen? Da du die Sache deinerseits einmal als Opfer hingestellt hast, mußt du dieses Opfer[202] auch so bringen, wie es mir paßt – darfst mich also nur einem schönen und geistvollen Herrn geben. Ja, aber es ist da noch ein anderer Vertrag – ein schriftlicher – in welchem du mir das Recht zugestehst, alles zu tun, was ich will. Gib wenigstens zu, daß es unvorsichtig war, mir einen solchen Vertrag zu geben.«

»Bei jeder anderen Frau ja, aber nicht bei dir. Du bist zu klug und zu anständig, um etwas zu tun, das meine Ehre und unser Glück in Gefahr bringen könnte.«

»Willst du, daß wir den Vertrag zerreißen und daß von der ganzen Sache nicht mehr die Rede ist?«

»Nein! Selbst wenn du den größten Mißbrauch damit treiben wolltest, sollst du ihn behalten. Das Gefühl, daß ich so ganz in deiner Gewalt bin, daß du mit mir tun kannst, was du willst, daß ich dich fürchten, vor dir zittern muß, das macht mir gerade den größten Genuß.«


Der Sommer war vergangen und der Herbst kam. Die Nächte waren schon kalt und morgens war alles weiß bereift, als wir endlich genug Geld bekamen, um, was wir hier den Leuten schuldeten, zu bezahlen und nach der Stadt überzusiedeln.

Wir hatten den dritten Stock eines Hauses in der Normalschulgasse gemietet. Die Wohnung bestand aus zwei großen und zwei kleinen Zimmern. Sie wäre für uns groß genug und sogar behaglich gewesen, hätten wir nicht Kapf auf dem Rücken gehabt. Nach der Lage der Zimmer mußte ich ihm eins der großen geben, das zugleich als Speisezimmer dienen mußte.

Wir hatten unsern Salon verkaufen müssen, und mußten jetzt mein Zimmer, das zweitgrößte, zum Empfangszimmer[203] machen. Um in dieses zu gelangen, mußte man durch das Speisezimmer; da Kapf aber dort schlief, war es abends und morgens unpassierbar; wollte ich hinaus, dann mußte ich durch das Zimmer meines Mannes und das der Kinder.

Doch das war nur eine Unbequemlichkeit, die zu ertragen gewesen wäre. Dagegen war ein Schlafgast im Speisezimmer unsauber und unappetitlich. Ich mußte täglich alle meine Geduld zusammennehmen, um das zu ertragen. Und wegen dieses Gastes mußten alle Kinder mit der Magd in einem kleinen luft- und lichtlosen Hinterzimmer schlafen.


Es war in den ersten Novembertagen, als mein Mann folgenden Brief erhielt:

»Wie viel vom ›neuen Plato‹ nennst du noch dein? Was vermag dein Herz zu bieten? Liebe um Liebe? Wenn deine Sehnsucht nicht Lüge war, ist, was du suchst, gefunden.

Ich bin weil ich muß dein

Anatol.«


Der Brief kam aus Ischl, gab aber eine poste restante- Adresse in einem andern Ort an, ich glaube Salzburg.

Leopold kam darüber in einen furchtbaren Zustand von Aufregung und Neugierde. Der Brief spielte auf eine seiner Novellen aus dem Vermächtnis Kains, »Die Liebe des Plato«, an. Er wies auf eine vornehme Hand. Wer konnte das sein? Wars ein Mann? eine Frau? Das war daraus nicht ersichtlich. Jedenfalls war es ein interessantes Abenteuer, das man nicht vorübergehen lassen durfte.[204]

Ganz zitternd vor Erregung antwortete Leopold:


»Anatol!


Deine Zeilen haben meine Seele aufgeregt, wie der Sturm das Meer, es wirft seine Wellen bis zu den Sternen – ohne Not – denn ein Stern ist ja zu ihm herabgekommen.

Wir haben eine wunderbare Sage in Galizien. So oft ein Stern fällt, wird er, in dem Augenblick, wo er die Erde berührt, zu einem Menschen von fremdartiger, zauberhafter Schönheit, dessen Engelsantlitz goldrotes Haar dämonisch umwallt. – Dieses Wesen, Mann oder Weib, dem kein Sterblicher widerstehen kann, ist ein Dämon, der die Menschen, die ihn lieben, die ihm verfallen sind, mordet, indem er ihnen küssend die Seele aus den Lippen saugt. Du, Anatol, bist so ein Stern, der in eine Menschenseele gefallen ist! Wer hat Dir diese Macht über mich gegeben? Ob Du ein Engel, ob Du ein Dämon bist, ich bin Dein, sobald Du es nur willst.

Du fragst, wieviel vom ›neuen Plato‹ ich noch mein nenne?

Alles, Anatol, alles und noch mehr, als ich in der Geschichte des neuen Plato zu schildern vermochte. Denn es gibt eine Liebe, es gibt Empfindungen, Träume, göttliche Eingebungen der Seele, welche wiederzugeben jede Feder zu arm ist.

Deine Frage beweist mir, daß Du an mir zweifelst.

Ich werde so oft falsch beurteilt, und nur, weil ich in vielen meiner Dichtungen die Welt, das Leben so niedrig und abstoßend geschildert habe, und es nur wenige gibt, die verstehen, daß es der Schmerz, die[205] Verzweiflung einer idealen Seele über die moralische Häßlichkeit der Menschen ist, welche mir so bittere Worte, so düstere Bilder auf das Papier geworfen hat. Wo ich ideale Naturen schilderte, habe ich fast nur aus mir geschöpft, vor allem im neuen Plato.

Was mein Herz noch zu bieten vermag?

Alles, dessen ein Menschenherz fähig ist und ein Dichterherz.

Freundschaft um Freundschaft, Liebe um Liebe!

Soll ich noch überlegen, wenn Du mir sagst, daß ich gefunden habe, was meine heilige Sehnsucht an sonnigen Tagen und in dem geisterhaften Dunkel der Nacht, wenn mir Anatol im Traum erschien, um mir die Ruhe, den Schlaf zu rauben?

Bist Du Anatol, dann bin ich Dein, nimm mich hin!

Von ganzer Seele

Dein Leopold.«


Mein Mann verbrachte die Tage, bis Antwort kam, in unbeschreiblicher Spannung. Endlich kam sie und lautete:


»Leopold!


Hast Du nie geweint nach innen?

Da sitze ich trockenen Auges und fühle Träne um Träne im Herzen. Ein Schauer durchschüttelt mich, und meine Seele ringt, als wollte sie sich gewaltsam befreien aus der Haft des Körpers.

Mein ganzes Wesen füllst Du!

Man gab mir eben Deinen Brief, und seit ich ihn las, weiß ich nichts mehr, als daß ich Dich grenzenlos[206] liebe, wie – wie nur Du geliebt werden kannst, wie nur Anatol lieben kann.

Alles, was Gutes, Edles, Ideales in mir ist, alles soll Dein sein, den Funken Göttlichkeit, der in jedem Menschen liegt, will ich in mir zur Flamme anfachen, Dir geweiht – und wenn diese reine, geistige, heilige Liebe mich nicht zu Deinem Anatol macht, dann bin ich es nicht.

Und nun weinen auch die Augen – Tränen der Liebe, des Entzückens. Ich muß es doch wohl sein, meinst Du nicht, Leopold? Ist der Himmel zur Erde gesunken? Seine Wonnen durchzittern mich.

Ich soll Dein Glück sein? Könnte ich Dir all das wiedergeben, was Du mir geschenkt hast!

Sieh, in den wenigen Zeilen, die ich Dir gesandt, liegt ein ganzes Buch, das mein Herz dazu geschrieben, und Du hast es gelesen!

Muß ich nicht Dein sein?

Ich sollte Dir mißtrauen, da Du Dich edelsinnig in aller Herrlichkeit Deines Herzens zeigst? – Allein ich will nichts anderes für Dich sein, als Anatol, kein anderer Gedanke soll mich Dir verkörpern. Auch kein anderer Name. Jetzt weiß ich, was die Liebe ist, und jubelnd tönt es in mir: Du hast recht:

›Die Liebe ist die geistige Hingabe an eine andre Persönlichkeit. Man gibt seine Seele hin für eine Seele.‹

Gib mir Deine Seele! – Ich bin kein Dämon, Leopold – ich selbst gehorche einer anderen unbekannten Gewalt, über die ich nichts vermag. Und wenn es auch wahr ist, daß noch jeder mich lieben mußte,[207] von dem ich es wollte: jene Hingebung, die ich von Dir fordere, kann mir niemand sonst gewähren – ich will sie auch von keinem andern, so wie ich sie nur Dir erwidern kann.

Ich bin ja Anatol, Dein Anatol! Welch Kind ich war, daran zu zweifeln, zu sündigen an dem geheimnisvollen Wunder, das sich an uns erfüllt. Jetzt ist es mir erschreckend klar, daß wir einander verfallen sind für die Ewigkeit. Leopold, mich durchschauerts! Es ist das Erhabenste, was ich je gedacht. Dein für alle Ewigkeit, ohne Aufhören – ohne Ende! – Oder glaubst Du, daß solche Liebe mit uns sterben könne! – Das also ist meines Lebens Zweck, deshalb mußte ich zur Erde! Dein Sehnen zu erfüllen, Dich, Du stolzer, reiner Geist an mich zu fesseln – unauflöslich! Das ist groß, das ist göttlich!

Meinst Du, ich wußte nicht, was Du mir schreibst, daß Du alles Ideale in Deinen Schöpfungen aus Dir selber hast! – So viele, die Dich bewundern, mehr, die Dich tadeln, und keiner, der Dich versteht. Wozu auch? Was brauchst Du die Anderen, hast Du nicht mich, bin ich nicht Dein Alles? Und ich hätte an Dir gezweifelt? Wenn ich zauderte, meinen Brief an Dich zu senden, wenn ich fragte, was noch Dein sei von Glaube, Liebe und Jugendmut, so war es nur, weil ich nicht wissen konnte, ob Du nicht ermüdet seiest im Kampf mit dem Gewöhnlichen, ob Du nicht – eine neue Enttäuschung fürchtend – Antwort versagen würdest. Aber Du hast geschrieben, und nun möchte ich Dir immer aufs Neue sagen: All mein Wesen füllst Du! Das muß Dich ermüden, und ich kann nichts andres denken.[208]

Jede Empfindung, jeder Atemzug gehört Dir. Für alles Übrige bin ich fühllos. Wenn dieser Zustand so unendlich ist, wie die Leidenschaft, die ihn hervorrief dann erliege ich!

Leben oder sterben – was liegt daran?

Im Traum ist doch stets bei Dir

Dein Anatol.«


Das war exzentrisch, aber es war doch gut; es brachte »Stimmung« in das Dichterheim. So etwas brauchte Leopold. Und wenn ein schönes Kunstwerk aus Überspanntheit oder Unwahrheit heraus entsteht, ist es deshalb weniger schön?

Darum war ich fest entschlossen, »mitzutun«, so weit ich überhaupt dabei in Frage kam. –

Interessant war es mir dabei, Leopold zu beobachten. Als er diese Briefe schrieb, hielt er sich auch ganz bestimmt für den idealen Menschen, für den er sich gab, und er konnte dabei ganz gerührt werden über sich selbst. Waren sie aber einmal abgegangen, dann legte er den Idealismus ein wenig beiseite und fing an, die Geschichte auch von der praktischen Seite zu betrachten. Denn wenn die Schwärmerei des anderen ganz den Eindruck der Wahrheit machte, so wußte er, mein Mann, doch ganz gut, daß die seine nicht echt war und er sich nur hineinkünstelte, wenn er sich das auch nicht selbst eingestand. Und dann war »Die Liebe des Plato« durchaus nicht sein Fall, und der, der als Anatol schrieb, mußte sehr wenig von Sacher-Masoch wissen, um das anzunehmen. –

Leopold glaubte und hoffte ganz entschieden, daß es eine Frau war, da er aber fürchtete, daß es dann Konflikte[209] mit mir gäbe, gab er sich den Anschein, als glaubte und hoffte er das Gegenteil. In beiden Fällen aber war das, um was es sich dabei handelte, ein rein geistiges Verhältnis, eine Lüge seinerseits. Eine jener Lügen, an die er sich eisenfest klammerte und die er nie als solche erkannt haben würde, mochten sie noch so klar von dem Licht der Wahrheit durchleuchtet sein, denn auf ihnen ruhte sein Glaube an sich selbst, an seinen moralischen Wert: und ohne diesen Glauben hätte er nicht leben können. –

Mir tat es schon jetzt leid um den Schwärmer Anatol, der blind, wie ein Kind oder wie ein verliebtes junges Weib seine Seele auslieferte, wenn für ihn der Augenblick der Enttäuschung kommen würde. Denn von dem Menschen Sacher-Masoch schien er gar nichts zu wissen, keine Ahnung zu haben von den Verhältnissen, unter welchen dieser lebte; nicht ein Wort davon, daß er verheiratet war. Ein verheirateter Plato! Das hatte Anatol gewiß nicht geträumt.

Die Korrespondenz ging weiter. Da die Briefe nie von demselben Ort kamen und ebenso an verschiedene gingen, nahm sie viel Zeit in Anspruch. Es kamen solche von Salzburg, Wien, Brüssel, Paris und London. Es war augenscheinlich, daß Anatol seine Person ängstlich verbarg.

Leopold aber drang auf persönlichen Verkehr, ohne jedoch ein Erkennen zu verlangen. Er schrieb:


»›Er glaubte, eine Seele lebe

Mit ihm geheim in Sympathie,

Die sehnsuchtsschmerzlich nach ihm strebe,

Doch sie kennt ihn nicht, noch er sie!‹
[210]

Anatol! In diesen schönen Versen Puschkins kannst Du mein ganzes Schicksal lesen, wie es bisher war. Ach! ich war so einsam, und in dieser Einsamkeit doch nie allein, es wehte mich zu Zeiten an wie holde Himmelsluft, wie der sanfte Flügelschlag einer mir seit Ewigkeit befreundeten Seele, ich ahnte, ich fühlte, ich ersehnte sie, aber sie blieb mir doch ewig fern. Nun habe ich sie gefunden, Du bist mein geliebter Anatol! Ich fühle es, um noch einmal Puschkin für mich sprechen zu lassen – ›für Dich allein bin ich geboren‹, fühlst Du anders, daß Du Dich noch weiter in Geheimnis hüllst? Daß Du sogar daran denkst, mir körperlich fern zu bleiben? Wie soll ich das fassen?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Du bist ja mein Glück, mein Stern, zu dem ich jetzt noch aufblicke in heiligen Schauern, der aber bald zu mir herabkommen wird, ein Gott in schöner Menschengestalt, denn Du bist schön, Anatol, ich weiß es, vielleicht nicht, was die Menschen schön nennen, aber von jener übersinnlichen Schönheit, mit der die Seele allein ein Menschenantlitz zu verklären vermag. Du bist zu gleicher Zeit schön wie das Märchen, wie die Flamme des Prometheus, wie die Musik der Sphären, wie das verschleierte Bild zu Sais.


In heiliger Liebe

Dein Leopold.«


Das irritierte Anatol. Warum persönlichen Verkehr bei geistiger Liebe? Er suchte auszuweichen, war aber der Beredsamkeit Leopolds nicht gewachsen. Dieser trieb ihn immer mehr in die Enge, und endlich nach langem[211] Zögern und beinahe mit einem Schrei der Verzweiflung willigte Anatol in eine Zusammenkunft, und nur unter der Bedingung, daß sich Leopold verpflichtete, auf das Pünktlichste allen Vorschriften zu folgen, die er ihm geben würde. Es war augenscheinlich, daß der Briefschreiber von einer Indiskretion viel zu fürchten hatte – und sie fürchtete.

Selbstverständlich nahm Leopold jede Bedingung an.

Die Begegnung sollte in Bruck stattfinden.

Die Wahl des Ortes, in dem wir so lange gelebt, den wir erst kürzlich verlassen, in dem Sacher-Masoch von jedermann gekannt war, wo ihm ein Zufall, für den er nicht hätte verantwortlich gemacht werden können, die Person seines Freundes hätte verraten können, war mir ein Beweis mehr, daß Anatol von unseren Verhältnissen nichts wußte. –


An einem furchtbar kalten Dezembertag reiste mein Mann ab. Es war ihm der Zug angegeben worden, den er nehmen sollte; im Hotel »Bernauer« sollte er wohnen. In einem vollständig dunklen Zimmer mit verhängten Fenstern und mit gewissenhaft verbundenen Augen warten, bis um Mitternacht drei Schläge an seiner Türe vernehmbar werden; erst auf den dritten Schlag solle er »Herein!« rufen, jedoch ohne sich vom Platze zu rühren.

Solche Vorsichtsmaßregeln waren nur bei einer Frau verständlich; bei einem Manne würden sie lächerlich erschienen sein.

So nahm denn mein Mann zärtlich Abschied von mir – in der festen Überzeugung, daß er die folgende Nacht mit einer schönen Frau verbringen werde.[212]

Ich schlief diese selbe Nacht merkwürdig ruhig.

Ich glaubte nicht das Recht zu haben, meinem Manne ein so schönes und interessantes Abenteuer durch kleinliche Bedenken zu verleiden. Einmal so weit, hatte ich auch die Kraft, alle weiteren Reflektionen darüber zu unterdrücken. Und dann war Leopold in dieser Sache, das Geschlecht seiner neuen Bekanntschaft ausgenommen, ganz ehrlich mit mir gewesen – ein sehr mildernder Umstand für das, was jetzt in Bruck vorging.

Am folgenden Tag kam er wieder heim – noch ebenso irritiert, ebenso im Unklaren über die Person Anatols, wie bei seiner Abreise.

Er erzählte mir darüber folgendes:

Er war nach seiner Ankunft in Bruck gleich in das Hotel »Bernauer« gegangen, hatte zu Nacht gegessen, sich dann ein Zimmer geben lassen und da gewartet. Bald brachte man ihm einen Brief Anatols: drei eng beschriebene Bogen: ein Angstschrei wegen des Schrittes, den er zu tun im Begriffe war, die zitternde Freude vor der Zusammenkunft und die bleiche Furcht vor ihren Folgen.

Die letzten Zweifel, die Leopold über das Geschlecht der Person, die er erwartete, noch haben konnte, schwanden vor diesem Brief dahin. So schrieb nur ein Weib, und zwar ein hochstehendes Weib, das die geringste Indiskretion in eine furchtbare Lage bringen konnte. Der Brief war so flehend, so verzweifelt, es schien so vieles und Ernstes in Gefahr zu sein, daß Leopold einen Augenblick, von Mitleid ergriffen, zugleich auch vor der Verantwortung erschreckend, daran dachte, sich zurückzuziehen, und bedauerte, daß er Anatol von diesem Wunsche nicht benachrichtigen konnte, da er, seiner Verpflichtung gemäß,[213] nicht nach ihm fragen durfte. So blieb ihm nichts übrig, als die Dinge herankommen zu lassen. In den langen Stunden des Wartens schwächte sich auch dieser Eindruck wieder ab, die Lust nach der schönen Unbekannten überwog das Mitleid, und als Mitternacht herannahte und er die Vorhänge schloß, sich die Augen verband und in höchster Spannung die letzten Minuten verrinnen sah, war's mit dem festen Entschluß, das Glück, das ihm das Schicksal in den Schoß warf, zu ergreifen und festzuhalten. –

Nachdem der letzte Schlag der zwölften Stunde verklungen war, hörte Leopold schwere Schritte, die die Treppe heraufkamen und sich seinem Zimmer näherten. Überzeugt, daß ihm ein Hotelbediensteter wieder eine Nachricht bringe, und zwar eine, die seinen Erwartungen entgegen sei, war er schon im Begriff, die Binde von den Augen zu nehmen, als die drei leisen, vorsichtigen Schläge an der Türe erklangen, genau so, wie sie ihm angezeigt worden waren.

Er rief »Herein!«, vernahm, wie die Türe aufging und dieselben schweren Schritte ins Zimmer kamen.

Also doch ein Mann!

Während mein Mann ein Gefühl der Enttäuschung zu überwinden suchte, sagte eine wunderbar klangvolle, aber von tiefer Bewegung bebende Stimme:

»Leopold, wo bist du? Führe mich, ich sehe nichts.«

Mein Mann nahm seine Hand und führte ihn an den Diwan, auf dem sie beide Platz nahmen.

»Gestehe,« sagte dieselbe Stimme, »daß du ein Weib erwartet hast?«

Die Verwirrung, die im Geiste Leopolds durch die nicht mehr erwartete Erscheinung eines Mannes entstanden[214] war, war rasch wieder verschwunden; er hatte die Möglichkeit, daß es ein Mann sei, genau erwogen, und hatte für beide Fälle feststehende Pläne: war's eine Frau, dann war sie die Venus im Pelz war's ein Mann, dann war es der Grieche. – Und obgleich es ihm in der ersten Sekunde wirklich leid tat, daß es keine Frau war, weil seine Phantasie sich nur noch mit einer solchen beschäftigte, so war es ihm jetzt doch fast lieber, endlich den so lang gesuchten Griechen gefunden zu haben. – Er antwortete auf die Frage Anatols:

»Nach deinem letzten Brief mußte ich es fürchten; du hüllst dich förmlich in Geheimnisse!«

»Fürchten? So wärst du nicht enttäuscht?«

Bis um vier Uhr morgens saßen die beiden Männer beisammen; Anatol nur von geistiger, körperloser Liebe sprechend, daß er noch kein Weib berührt und rein an Leib und Seele sei.

Aber der, der da neben Leopold saß, war kein Knabe mehr, ein noch junger Mann, ja, aber ein Mann, größer und stärker als Leopold – und noch kein Weib berührt? Was war das?

Mein Mann besaß eine gefährliche Rednergabe, die hinriß – ohne zu überzeugen, und wer ihr unbewaffnet gegenüberstand, der war verloren.

So erging es Anatol. Er war noch dazu sehr befangen und blieb es während der ganzen Dauer der Unterredung.

Leicht bemächtigte sich Leopold seines Geistes und drängte ihn Schritt für Schritt dahin, wo er ihn haben wollte. Er sagte ihm, daß er verheiratet sei, eine reizende Frau und ein engelschönes Kind habe, und wie entzückend es sei, nach fünfjähriger Ehe noch in seine[215] Frau verliebt zu sein. Darauf sagte der andere gerührt und fast demütig:

»O, ich danke dir, du hast eine große Angst von mir genommen.« –

»Bist du schön?« frug ihn Leopold.

»Ich weiß es nicht.«

»Giltst du für schön?«

»Ich bin ein Mann, wer sollte es mir sagen?«

»Du selbst. Du bist schön, ich fühle es. Wer eine Stimme hat, wie du, muß schön sein.«

»Vielleicht würde ich dir doch nicht gefallen.«

»Du! Du bist mein Herr, mein König. Aber wenn du das fürchtest, zeige dich zuerst Wanda, meiner Frau, sie kennt mich – wenn sie mir sagt, daß ich dich sehen darf, dann ist's gewiß wahr.«

So drängte der eine und wehrte der andere ab. Die Stunde des Abschieds kam.

»Lebe wohl!« klang es von beiden. In diesem Augenblick brannte ein heißer Kuß auf meines Mannes Hand.

So schieden sie.

Mit dem ersten Zug, der nach Graz fuhr, kam Leopold zurück.

Wieder kamen und gingen Briefe. Jetzt wurde ich mit hineingezogen. Leopold sandte ihm unsere Bilder und bat um das seine. Wir wurden aber nur immer hingehalten.

Ein Briefwechsel auf so langen Umwegen ist ermüdend. Und solche Ausflüge in das grenzenlose Reich des Phantastischen sind gut für die Reichen und Müßigen; wer mit der Not des Lebens zu kämpfen hat, den reißt die Wirklichkeit bald wieder mit starkem schmerzhaftem Ruck zurück in die Welt der Sorgen und Arbeit. Selbst[216] meines Mannes Interesse an der Sache fing an zu ermatten. Er empfand, wie diese fortwährenden Liebesversicherungen mit gleichzeitigen Beweisen von Mißtrauen verletzend für uns seien. Zwar war Mißtrauen Sacher-Masoch gegenüber sehr begreiflich, obwohl er gerade hier von der gewissenhaftesten Diskretion war; allein die Geschichte konnte doch nicht ewig so fortgehen; wir drehten uns immer in demselben Kreis herum, mir wurde schon ganz schwindlig davon. So schrieb ich Anatol in diesem Sinne: ein Entweder-Oder. Darauf kam die Entscheidung: ein Abschiedsbrief.

Ein viele Bogen langer Abschied, voll Schmerz und Trauer.


»Leopold!


Den Frieden meiner Seele, der Freundschaft stilles Glück, den heiteren Genuß des Lebens und die Freude an der ganzen übrigen Welt habe ich hingegeben für die berückende Hoffnung, an Deinem Herzen liegen zu dürfen. Und was wurde mir? – Eine Glut, eine Pein, die mich verzehrt und die Qualen der eigenen Sehnsucht ins Unendliche gesteigert, durch Deine sinnlosen Vorwürfe.

Nach langem Ringen habe ich mich aufgemacht zur schwersten, zur einzigen Tat meines Lebens. Ein heißer Schrecken überfällt mich, wenn ich daran denke, wie Du diesen Brief auffassen wirst.

Ich habe Wandas Brief gelesen, und jeder Satz hat mich durchleuchtet: ›Soll ich an die Wahrheit Deiner Liebe glauben, dann handle, handle wie ein Mann!‹

Zwei Tage lang kämpfte ich mit meiner Selbstsucht – ich habe überwunden. Zum letztenmal spreche ich zu[217] Dir, nenne Dich Leopold, meinen Geliebten, mein höchstes, heiligstes Gut – denn Anatol sagt Dir Lebewohl.

Meine Verbindungen mit der Post sind abgebrochen, ich erhalte keine Briefe mehr, nachdem Du diesen gelesen – Du schreibst umsonst. Und nun laß Dir erklären, wie ich dazu kam.

Dein Wunsch, mich bei Dir zu haben, ist unerfüllbar. Das würde Dich immerfort peinigen, und um mir nicht wehe zu tun, würdest Du stumm leiden. Du um mich – es ist doch möglich, daß ich es nicht verdiente. – Vielleicht auch käme es, wie Wanda meint, daß Du endlich Dich losreißen würdest, dann wären wir einander verloren. So aber, wenn ich es bin, der für jetzt endet, habe ich die Gewißheit, die volle Überzeugung, daß Du mich immer lieben wirst, so wie ich Dich. Ja, Leopold, wie ich Dich! Denn ewig bin ich Dein. Und unser kurzes Glückt? – Nimm es als einen schönen Traum, einen Traum vom Himmel, eine herrliche Verheißung endloser Seligkeit.

In dieser Welt der Körper gibt es keine geistige Liebe – Du selbst bist es, der sie nicht ertragen kann – vielleicht auch ich.

Ich will ein Mann sein; das Recht, das die Welt an mich hat, soll ihr werden, meine Aufgabe, meine Pflichten werde ich erfüllen, und dieses Leben wird vorübergehen. Was aber kann mich dann hindern, an Deiner Seite alle Seligkeit zu genießen? Halte mich nicht für einen krankhaften Schwärmer, ich bin es nicht; aber könnte ich Dich denn lassen, ohne einen Hoffnungsstrahl, ohne Aussicht auf die Ewigkeit?

So vieles möchte ich Dir noch sagen, daß Du mich ganz verstündest. Es ist ja zum letzten Male! Aber es[218] gehört alles Dir, mein Denken, mein Empfinden, die süßen Worte der Liebe, die mir von nun an im Herzen liegen werden, ein Schatz, den keine Hand heben kann, als die Deine. Kraft und Mut glaube ich zu besitzen, und ich bin so weich, viel zu weich für einen Mann und für so großes Entsagen.

Du kannst, Du darfst mich nicht vergessen, Leopold, nicht vergessen, daß Du mir gehörst, mein Eigentum bist, ganz und gar. Aber ich beschwöre Dich, laß den Schmerz über diese Trennung nicht Meister werden, nicht Dein großes herrliches Gemüt umdüstern, damit ich nicht umsonst so qualvoll gerungen habe. Denke, glaube, daß Wandas Prophezeiung eingetroffen wäre, und Du, abgespannt, ermüdet durch das körperliche Fernsein bei geistigem Verkehr, Dich von mir gewendet hättest.

Ich wollte Dich mir retten, darum habe ich jetzt entsagt.

Und nun behüt Dich Gott! Sei glücklich! Du hast ja Wanda, Deine Kinder, Du kannst es sein. – Ich bin allein! ... – Und dennoch schmerzhaft selig in dem Bewußtsein, Dich gefunden zu haben, Dich zu besitzen, und einst ungehindert mich Deiner Liebe freuen zu dürfen.

Und wenn Dir manchmal recht wohl ist, wenn eine süße Wehmut, eine heilige Sehnsucht Dich durchschauert, so denke, daß bei Dir ist in ewiger Liebe

Dein Anatol.«
[219]

Einige Monate vergingen, dann kam folgender Brief:


»Leopold!


Mag es werden, wie immer, ich weiß, daß ich Dich nicht lassen will, nicht lassen kann. – Der dumme Buchhändler hat mir ein Buch von Dir geschickt, es kam mir mitten in dem Kampf zwischen Entsagen, Liebe und Verzweiflung.

Mag es werden, wie immer, ich bin Dein, Du bist mein; Du sollst mich auch bei Dir haben, nur jetzt noch nicht. Einige Monate habe noch Geduld, dann gehe ich zu Dir – für immer. Ich kann alles hingeben, alles leiden für Dich. Liebst Du mich noch? Glaubst Du noch an

Deinen

Anatol?

Tausend Küsse an Wanda.«


Und das alte Spiel mit Zögern, Unentschlossenheit und Hinhalten begann von neuem. Es war auch ein falsches Spiel: Mißtrauen von der einen und Unwahrheit von der anderen Seite.

Mein Mann, der nur an den Griechen dachte, kam aus Spannung und Aufregung nicht heraus. Jetzt, wo ich wußte, wohin die Geschichte führen sollte, war mir leid, daß ich »mitgetan«; ich war froh gewesen, als der Bruch erfolgt war, und bedauerte jetzt, daß die Sache von neuem begann, weil ich fürchtete, sie werde ein häßliches Ende nehmen. –

Es war im Mai. Im »Thalia-Theater« fand aus einem Anlaß, dessen ich mich nicht mehr erinnere, eine besondere Vorstellung statt, als wir von Anatol ein Billett[220] erhielten, das uns sagte, er würde das Theater besuchen, und wünsche, uns dort zu sehen.

Wir wußten nicht, daß er in Graz war.

Leopold wurde gleich ganz aufgeregt. Sascha müßte mit, Anatol sollte unser schönes Kind sehen. Die offenen Logen des Thalia-Theaters eigneten sich sehr gut zum Gesehenwerden. Anatol, den wir nicht kannten, hatte den Vorteil, uns nach unseren Bildern zu erkennen, während wir in dem dicht gefüllten Hause an ein Erkennen eines nie Gesehenen gar nicht denken konnten.

Anatol hatte einmal geschrieben, daß er dem jungen Lord Byron ähnlich sehe, und Leopold glaubte, am Eingang des Theaters, hinter einer Säule versteckt, einen Augenblick einen solchen Mann gesehen zu haben, wollte aber keinen indiskreten Blick auf ihn werfen, und ließ sich gern vom Gedränge wegschieben.

Ein seltsames Gefühl ist es, stundenlang so dazusitzen und zu wissen, daß zwei brennende Augen, die man selbst nicht sieht, unausgesetzt auf einem ruhen und jeden Zug des Gesichts mit fiebernder Neugier durchforschen.

In dieser seelischen Spionage war kein großmütiger Zug von unserem Anatol. Aber Menschen, die immer in den Wolken schweben, haben wohl nur für göttliche, aber nicht menschliche Größe Verständnis.

Ich war froh, als das Theater und damit unsere Ausstellung zu Ende war.

Am nächsten Tage kam wieder ein Brief von Anatol, der uns diesmal in das Hotel zum »Elefanten« bestellte. Dort sollten wir im Speisesaal auf Nachricht warten, denn diesmal wollte er uns sprechen.

Gehorsam der Aufforderung saßen wir abends im Speisesaal des »Elefanten«, und bald kam auch ein Diener,[221] der Leopold bat, ihm zu dem Herrn zu folgen, der ihn erwarte.

Er blieb nicht lange weg und sagte mir, als er wiederkam, Anatol bitte mich, hinauf zu ihm zu kommen, der Diener warte draußen, um mich zu führen.

Ich ging mit dem festen Vorsatz, dem Spiel ein Ende zu machen.

Der Diener, der kein Kellner war und sehr viel »Stil« hatte, führte mich eine Treppe hinauf, durch mehrere Gänge, in einen erhellten eleganten Salon, und von da in einen anderen, der gänzlich dunkel war. Der Diener ging, und ich stand im Finstern.

»O, bitte, Wanda, komm hierher,« sagte eine weiche, zarte Stimme aus dem Dunkel.

»Bist du es, Anatol?«

»Ja.«

»Du mußt mich holen, denn ich sehe nichts.« Einen Augenblick Schweigen. Dann kamen langsam zögernde Schritte zu mir her, eine Hand suchte die meine und führte mich an einen Diwan.

Ich war sprachlos vor Überraschung!

Die Person, die an mich herangekommen war und jetzt neben mir saß, war ganz entschieden nicht der Anatol, den Leopold in Bruck gesprochen hatte; denn dieser hier war klein und, wie ich trotz der Dunkelheit wahrnehmen konnte, verwachsen, auch seine Stimme hatte den fast kindlichen Klang, wie ihn Bucklige haben, nicht tief und voll, wie die, die meinen Mann an Anatol so entzückt hatte.

Wer war nun das wieder?

Ich sprach zu ihm, aber der Arme war so befangen, daß er kaum antworten konnte.[222]

Aus Mitleid ging ich bald wieder.

Als ich Leopold erzählte, wie ich meinen Anatol gefunden, begriff auch er nichts mehr. Der, den er vor mir gesprochen, war derselbe, wie der in Bruck: derselbe große starke Mann, dieselbe schöne tiefe Stimme.

Ich war ärgerlich, und zu Hause angekommen, schrieb ich sofort an Anatol. Ich ließ ihn glauben, daß wir von dem Austausch nichts gemerkt, und sagte, daß ich jetzt den wahren Grund seiner Weigerung, sich uns zu zeigen, kenne, daß er in seinem Äußeren läge, daß es mir leid täte, daß er nicht fühle, wie solches Mißtrauen uns verletzen müsse ... kurz, ich schrieb in diesem Sinne und sandte den Brief noch denselben Abend zur Post.

Am folgenden Tage, wir saßen nach dem Mittagessen noch alle im Speisezimmer, als es läutete und die Magd mir einen Brief brachte und sagte, ein Herr warte draußen auf Antwort.

Das Billett kam von Anatol – nein – von dem Unglücklichen, mit der ich gestern im »Elefanten« gesprochen, und bat mich, ihn allein zu empfangen.

Da Mann, Kinder und Kapf im Speisezimmer waren, mußte ich den Besucher durch die Küche, das Kinder- und das Arbeitszimmer Leopolds in mein Zimmer führen lassen, das, wie ich schon gesagt, auch zugleich unser Empfangszimmer war.

Als ich da hinein kam, trat durch die andere Tür ein junger, kleiner, verwachsener Mann mit rötlich-blonden Haaren und jenem sanften, blassen und traurigen Gesicht, das man bei Mißgestalteten so häufig findet.

Jetzt zitterte in ihm eine unbeschreiblich schmerzliche Erregung, die seelenvollen ernsten Augen blickten mich so flehend und so angstvoll an, daß ich, von tiefem Mitleid[223] ergriffen, auf ihn zueilte und, seine beiden Hände fassend, warme, herzliche Worte zu ihm sprach. Da fiel er vor mir auf die Knie, barg sein Gesicht in meinem Schoß, und den armen verkrüppelten Körper erschütterte ein gewaltsam zurückgehaltenes Schluchzen.

Ich legte ihm die Hände beruhigend auf das Haupt; ich weiß nicht mehr, was ich ihm sagte, aber es war gewiß gut und ehrlich, denn er tat mir in seinem maßlosen Schmerz furchtbar leid. Als er dann sein von Tränen überströmtes Antlitz wieder zu mir aufhob, lag auf ihm ein glückliches und dankbares Lächeln.

»Du verzeihst mir, Wanda, den Betrug und die Lüge, die ich an dir begangen?« frug er mit leiser Stimme, in der die Erregung noch nachzitterte.

»Ich habe dir nichts zu verzeihen – wir waren alle unehrlich.«

»Nicht du, Wanda.«

»Doch – auch ich. Wir waren es alle, und das rächt sich an uns. Wir sind eben nicht für den Himmel geschaffen, kleben zu sehr an der Erde, von der wir nicht loskommen, solange wir ihr nicht zurückgegeben, was sie uns geliehen – dann erst wird die Zeit kommen für jene Liebe, von der Anatol träumt.«

Traurig ließ er den Kopf sinken.

Eine Weile schwiegen wir beide; dann nahm er meine Hände, küßte sie und sagte:

»Ich danke dir, Wanda, daß du mir erlaubt hast, Abschied von dir zu nehmen. Ich bin in diesem Augenblick zugleich der glücklichste und unglücklichste Mensch, den die Erde trägt: mein Herz jubelt, weil es dich gefunden, und es blutet, weil es dich verlassen muß. Doch so reich war diese Minute für mich, daß ich mein ganzes[224] künftiges Leben von diesem Reichtum zehren werde. Ich reise heute nacht mit dem 11-Uhr-Zug ab. Willst du mir die Gnade tun und mit Leopold heute in das Landes-Theater kommen, damit ich euch noch bis zuletzt sehen, dieselbe Luft mit euch atmen kann? Und nach der Vorstellung werde ich in meinem Wagen im Schatten der Domkirche auf euch warten in der Hoffnung, daß ihr mir das Almosen eines letzten Händedrucks, eines Abschiedskusses nicht versagen werdet.«

Er ging, wie er gekommen.

Am Abend waren wir im Theater und nach der Vorstellung fanden wir den Wagen im Schatten der Domkirche. Bei unserer Annäherung erschien in dem herabgelassenen Fenster ein hinter einer Halblarve verborgenes Gesicht, zwei Arme streckten sich heraus, umfaßten Leopold, zogen ihn an sich, und die beiden Männer küßten sich. Darauf griffen dieselben Arme nach meinen Händen, auf denen ich heiße Lippen fühlte. Dann fiel der Maskierte schwer auf seinen Sitz zurück, das Fenster schloß sich, und der Wagen rollte weg.

Kein Wort war während der Szene gesprochen worden, und sprachlos standen wir noch da und schauten dem Rätsel nach, das dort in der dunkeln Nacht verschwand.

Wer war es? Anatol oder der Mißgestaltete? Wir wußten nichts.


Es kam wieder ein Abschiedsbrief, der in der Klage auslief, daß wir nicht verstanden hätten, geistig zu lieben, wodurch wir den Zauber zerstört – und Ähnliches. Alles in diesem Brief war dunkel, unverständlich; vielleicht war[225] es absichtlich so, obwohl der Schreiber behauptete, sich klar und ehrlich ausgesprochen zu haben.

Wir antworteten nicht mehr.

Einige Monate nachher erhielten wir von unbekannter Hand, und ich erinnere mich auch nicht mehr von wo, ein dickes Manuskript, das das Erlebte novellenartig darstellte. Briefe von Anatol und uns waren darin, auch viel Wahres neben mancherlei Falschem.

Es war offenbar aus jenem Mißtrauen heraus geschrieben, das Anatol stets geleitet hat, und in der Absicht, uns abzulenken, auf falsche Fährte zu bringen, falls wir forschen sollten.

Wenn er das gewollt hatte, so war es nicht sehr schlau gemacht.

Die Darstellung darin war folgende: Zwei Freunde, der eine schön, reich und vornehm, der andere mißgestaltet und arm, haben die Novellen Sacher-Masochs, »Die Liebe des Plato« und »Die Ästhetik des Häßlichen«, gelesen. Der schöne und vornehme, Anatol, der von sich sagt: »Sein Gemüt war rein – ein Heiligtum von seltener wunderbarer Hoheit; er war schön: wenn er lächelte, hätte man weinen mögen vor Entzücken, und wer ihm ins Auge sehen durfte, dem war ein Blick in den Himmel vergönnt; niemand konnte ihm widerstehen, und wo er geliebt sein wollte, wurde er es.« Und an einer anderen Stelle: »Noch hatte ihn kein Weib geküßt, als seine Mutter. Er war angebetet worden und kalt geblieben; er haßte die Knechtschaft der Sinne und wollte nur mit der Seele lieben ... Sein Leben war ein unerfülltes Sehnen ...« Er war hingerissen von der »Liebe des Plato«. Den andern, den armen und mißgestalteten Paul, entzückte die »Ästhetik des Häßlichen«. Sie schrieben abwechselnd an Sacher-Masoch,[226] und wenn dieser zu dringend nach einer Zusammenkunft verlangte, dann mußte Paul als Anatol auftreten; denn dieser wollte um keinen Preis gesehen werden.

So entstand der Betrug und wuchs groß, bis darüber der schöne Traum in Trümmer ging.

Auf einer nächtlichen Fahrt im Mondlicht im Gebirge sprechen die beiden Freunde von uns. Paul ermahnt Anatol, seine übertriebenen Forderungen an Freundschaft und Liebe aufzugeben und in einfacher, herzlicher Freundschaft mit uns zu verkehren, was uns alle glücklich machen würde. Darauf erwidert Anatol mit den ungeduldigen, ahnungsvollen Worten:

»Reizend! Ich werde einen roten Hermelinpelz anziehen und weiße Atlashosen, und Leopold wird zu meinen Füßen liegen und mich anstaunen; ich werde ihn quälen, während er mich anbetet. Den Journalisten, die ihn besuchen kommen, werde ich ›gezeigt‹ in Samt und Seide und schwellendem Pelzwerk, auf einem Diwan ruhend, und sie werden hingehen und geistreichelnde Essays schreiben. Ich werde mich ohne Zweifel in Wanda verlieben, und sie in mich, wir werden die lustigsten Komödien haben, und die blöde Welt, die nur an das Gemeine glaubt, wird von mir sagen: Er ist der Liebhaber von Mann und Frau. – Ein wunderbares Leben – nur darf ich nicht vergessen, vorerst das unbefleckte Siegel meines Vaters zu zerschlagen und meinen Stammbaum zu zerreißen.« –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wo bleibt da die stille, klare Harmonie des Geistes, das sanfte, tiefselige Genießen der übersinnlichen Schönheit[227] des anderen, die allein ein wahres, unsterbliches Glück gewähren kann?

Wir forschten nicht nach Anatol, wir dachten nicht einmal daran. Leopold hatte alles Interesse an ihm in dem Augenblick verloren, da er in ihm nicht mehr den Griechen sehen konnte. Und dann war unser Leben viel zu bewegt, vielleicht auch häuslich zu glücklich, vor allem zu voll, als daß es für müßige Neugierde Raum gelassen hätte.

Ein Zufall brachte uns nach Jahren beinahe Gewißheit über die Person Anatols.

Im Jahre 1881 verbrachten wir einen Teil des Sommers auf dem Dorfe Heubach in der Umgebung von Passau. Dort lernten wir Dr. Grandauer kennen. Er war Arzt, praktizierte jedoch nicht, war aber am Hoftheater in München als Regisseur angestellt. Er war ein großer Kunstkenner und Forscher, und wir verbrachten viele angenehme Stunden mit dem geist- und gemütvollen Mann.

Eines Tages in einem Gespräch über Kunst erzählte er uns, was alles in den bayrischen Königsschlössern vorhanden ist, kam dabei auf die Kunstrichtung des Königs Ludwig II., von da auf die Seltsamkeiten desselben, die er vom Standpunkt des Arztes beurteilte, sprach von dem Verhältnis des Königs zu Richard Wagner, von ihrem seltsamen Briefwechsel, der Scheu des Königs vor dem Verkehr mit Menschen, seiner Abkehr von den Frauen, dem Suchen der Einsamkeit, dem leidenschaftlichen, nie befriedigten Sehnen nach einer idealeren Ausgestaltung des Lebens.

Wir lauschten gespannt auf alles, was Dr. Grandauer erzählte –, es klang uns so bekannt – wir[228] schauten uns an, und ein Name schwebte auf unseren Lippen: Anatol.

Als der Doktor eine Pause machte, frug ich auf gut Glück:

»Und wer ist der kleine verwachsene Mann, der, wie man erzählt, der Freund des Königs ist?«

»Ach, Sie meinen wohl den Prinzen Alexander von Oranien, den ältesten Sohn des Königs von Holland? Ein armer Schlucker, der.«

Paul!

Wieder nach Jahren, als ich in Paris lebte, verkehrte ich dort mit Personen, die den Bruder des Prinzen von Oranien, den »Prinz Citron«, der in Paris seiner Armut wegen diesen Spottnamen hatte, genau gekannt haben; von diesen erfuhr ich, daß der holländische Thronerbe ein ganz einsames, abgeschiedenes Leben geführt, sich nur mit Kunst und Literatur beschäftigt habe, und einsam, verlassen und vergessen gestorben sei.

Der einsam Verstorbene – Paul – und der königliche Schwärmer, der auf der Suche nach dem Ideal auf Irrwege geraten, die ihn in den Starnberger See geführt haben – Anatol. »Das Leben wird vorübergehen ... was liegt daran, leben oder sterben ...«


Ich machte eine interessante Bekanntschaft: die der Dichterin Margarethe Halm.

Leopold hatte mir schon viel von ihr erzählt, wie er sie durch Briefwechsel kennen gelernt, wie zwischen ihnen von Liebe die Rede war, und wie dann nichts, oder so viel wie nichts daraus geworden. Ich fühlte kein großes Verlangen nach dieser Bekanntschaft; doch seit wir in der[229] Stadt wohnten und Kapf öfter mit Büchern zu ihr geschickt worden war, ließ sie uns durch diesen wiederholt bitten, sie zu besuchen; sie selbst, ließ sie sagen, wäre schon gekommen, aber sie gehe im Winter nicht aus. Ich wollte nicht, daß sie glauben sollte, ich hätte besondere Gründe, sie nicht kennen zu lernen, und so ging ich eines Tages mit Leopold zu ihr.

Margarethe Halm führte ein seltsames Leben: im Sommer ging sie nicht aus, weil es zu heiß, im Herbst, weil es zu kühl, und im Winter, weil es zu kalt war – auch macht die Kälte häßlich. Der »Empfang« fand in ihrem Schlafzimmer statt, das recht eng und in dem das mit weißen Mullvorhängen verhüllte Bett gleichsam die pièce de résistance war. Die kleine rundliche Frau sah trotz ihrer 44 Jahre noch frisch und hübsch genug aus. Sie trug ein schwarzes Samtkleid, das gewiß einmal in seinen jungen Tagen ein Hofkleid gewesen sein mußte, denn es hatte eine ungeheure Schleppe, die sich in dem kleinen Zimmer recht beengt und gar nicht an ihrem Platz fühlen mochte. Ihr schwarzes Haar, das drei Tage in der Woche in Wickeln schmachten mußte, war jetzt frei und »flutete« ihr in graziösen Wellen über den Rücken; darüber hatte sie ein Stück von einem alten weißen Vorhang in der Art gesteckt, wie man es bei Römerinnen auf Bildern sieht; das sah interessant und äußerst stilvoll aus.

Man sprach von Liebe, ein Thema, das die Dichterin wunderbar beherrschte. Sie hatte darüber weltbewegende Ideen, die wir mit Staunen vernahmen. So sagte sie:

»Die Menschheit von heute ist pertiert, es muß ein neues Geschlecht kommen, ein menschlich-göttliches, und das kann nur entstehen durch die Verbindung eines reinen[230] Weibes mit einem reinen Manne. Ich werde die Stammutter dieser neuen Menschheit sein. Mein lieber Sacher, Sie haben keine Ahnung, was für erhabene, göttliche Dinge sich in diesem kleinen Zimmer, in dem Sie jetzt sitzen, erfüllen werden.«

»Oh!« machte Leopold erschüttert.

»Seit zehn Jahren bereite ich mich durch ein reines, entsagungsvolles Leben auf das große Werk vor. Christus in die Wüste gegangen, um sich durch Fasten und Gebet zu reinigen und zu erheben, so habe ich diese zehn Jahre in Keuschheit und geistiger Sammlung gelebt. Eine Wiedergeburt hat sich in mir vollzogen; wie die Jungfrau Maria erwarte ich in heiliger Keuschheit das Erscheinen des reinen Jünglings, der mit mir den ersten Gott-Menschen zeugen wird.«

Ganz überwältigt schaute ich auf die Stammutter des neuen Menschengeschlechts, und auch sie blickte mich mit ihren unruhigen dunklen Augen an. Plötzlich sagte sie zu mir:

»Glauben Sie ... ist Kapf rein?«

»Reinlich, meinen Sie?« frug ich. Sie wandte sich von mir ab und meinem Manne zu.

»Manchmal frage ich mich, ob Kapf der Auserwählte ist? Er sagt zwar, er habe noch keinen Umgang mit Frauen gehabt – und das kann ich beinahe glauben, nach der Art, wie er sich benimmt. Was halten sie von ihm? Halten Sie ihn für eine göttliche Mission geeignet?«

»O ja,« sagte mein Mann. »So was steckt in ihm.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Na, das sieht doch jeder gleich, daß das kein gewöhnlicher Mensch ist. Einer genialen Frau, wie Sie,[231] wird es leicht gelingen, alles, was in ihm schlummert, zur Reife zu bringen.«

»Ja, nicht wahr?« Sie wurde aber doch etwas nachdenklich.

Dann entwickelte sie uns ihre Pläne über das, was sie »die Menschwerdung des göttlichen Funkens« nannte, und wir kamen aus dem Erstaunen nicht heraus.

Wir bereuten den Besuch nicht; er war lehrreich und brachte uns über manches Aufklärung.

Letzteres betraf Kapf. Mein Mann hatte die Wahrheit gesagt, wenn er zu Frau Halm meinte, jeder müsse Kapf gleich ansehen, daß er kein gewöhnlicher Mensch sei. Er war es schon seit einiger Zeit nicht mehr. Als der junge Buchhändler von Berlin zu uns kam, sah er in seinem Äußeren ganz vernünftig aus; bald aber änderte sich das. Er ließ sich sein Haar, das er bisher kurz geschnitten getragen, wachsen, bis es ihm, wie bei der Dichterin, über den Rücken »flutete«. Da es aber nicht fein und weich, sondern hart und struppig war, stand es ihm vom Kopfe ab, was ihm ein ebenso lächerliches wie verrücktes Aussehen gab. Er trug nur noch Krawatten von hellen, zarten Farben zu tief ausgeschnittenen Westen und stets eine Blume im Knopfloch.

Als der Sommer kam, fügte er zu diesem Aufputz noch Fächer und Sonnenschirm. Wenn er so angetan, ein winziges Hütchen auf den ungeheuren Haarbusch gedrückt, auf seinen langen Stelzbeinen durch die Straßen wackelte, war er das Entzücken der Gassenbuben, die mit Steinen nach ihm schmissen, und die Freude aller Vorübergehenden.

Dieses Bemühen, sich ein ästhetisches Aussehen zu geben, erklärte sich uns jetzt durch die hohe Aufgabe, die[232] ihm die Stammutter des neuen Menschengeschlechts zugedacht.

Dagegen wurde eine andre Eigentümlichkeit unsres Sekretärs durch seine Beziehungen zur Halm nicht aufgeklärt, ja gerade dadurch noch unklarer.

Kapf war ein Verehrer Schopenhauers und verabscheute die Frauen. Als ehrlicher und mutiger Mann machte er aus seinen Gefühlen für das Geschlecht mit den langen Haaren und dem kurzen Verstand kein Hehl, – und betrug sich danach. Selbstverständlich machte Frau Halm eine Ausnahme – von ihr sprach er nur mit angehaltenem Atem und zitternder Verehrung.

Aber da kam das Unverständliche. Er haßte die Weiber, und verehrte Frau Halm – im Zimmer aber neben dem Fenster, wo sein Tisch stand, hatte er sich eine Ecke eingerichtet, deren Wände dicht und hoch hinauf mit Photographien schöner Knaben bedeckt waren.


Es war, als ob wir aus den Beziehungen zu seltsamen Menschen gar nicht herauskommen sollten.

Ich suchte eine Französin zur Konversation. Unser Buchhändler empfahl mir eine Pariserin, Madame Marie, die dreimal die Woche kam. Sie hatte den echt französischen Typus: klein, lebhaft, graziös, mit gelbem trockenem Gesicht, prachtvollen Augen und dunklen Haaren. Sie war noch jung und stets mit jener ausgesuchten Einfachheit gekleidet, von der nur die Pariserin das Geheimnis kennt.

Wir lasen zusammen französische Romane und besprachen dann das Gelesene. Sie war ohne Bildung. Umso erstaunlicher war es, wie gut sie sich hielt. Ein Geheimnis[233] schien sie zu umgeben. Ich frug sie, wie sie nach Graz gekommen, und sie erzählte mir, daß sie sich während des Kommune-Aufstandes kompromittiert habe, und in Gefahr war, wie so viele Kommunards arretiert und deportiert zu werden, als sie ein deutscher Offizier rettete, dessen Frau sie später wurde. Ihr Mann, ein Adliger, dessen reiche Familie in Dresden wohne, mußte sich von ihr trennen, da er ganz von seiner Familie abhängig sei, diese aber von der Heirat mit der Französin nichts wissen wolle. Und dann sagte sie mir, daß sie seit zwei Jahren mit einem jungen Mädchen, das Verkäuferin in der Parfümerie »Lnyr« sei, zusammen lebe, daß sie sich sehr liebten und sehr glücklich seien. Etwas Warmes, beinahe Leidenschaftliches zitterte in ihrem Ton, als sie das sagte.

Bald merkte ich denselben warmen Ton, wenn sie zu mir sprach, und es wiederholte sich, was ich mit Frau X ... in Bruck erlebt hatte. Jetzt aber war ich gewarnt und richtete zwischen ihr und mir gewisse Schranken auf, die sie klug genug war zu respektieren. Dadurch blieb unser Verkehr nicht nur möglich, sondern er bekam auch etwas Belustigendes für mich, denn die kleine Französin war sehr drollig anzuschauen in ihrer Verliebtheit und in dem Zwang, den sie ihrer Lebhaftigkeit antun mußte, um nicht zu viel davon merken zu lassen. Ich zog die Sache ins Scherzhafte, was mir erlaubte, ihr meine Meinung darüber durchblicken zu lassen, worüber sie ganz trostlos zu sein schien.

Plötzlich blieb meine Französin zwei Lektionen weg. Dann kam sie ganz niedergeschlagen und verstört und erzählte mir, ihre Freundin, die wohlgemerkt habe, wie sehr sie mich liebe, habe aus Eifersucht einen Selbstmordversuch gemacht, der sie dem Tod nahe gebracht, sie liege[234] noch schwer krank darnieder und werde wahrscheinlich nie wieder ganz gesund werden. Sie sei nur gekommen, sagte sie, um sich von mir zu verabschieden, denn es täte ihr furchtbar leid um ihre Freundin, die sie doch so sehr liebe, und sie möchte ihr keinen so schweren Kummer mehr machen.

Sie war ganz zerknirscht und sagte das so einfach, so gut und treu, daß ich selbst ganz gerührt wurde und beinahe geneigt war, den beiden ihre seltsame Liebe zu verzeihen.


Noch ehe meine Beziehungen zu Madame Marie so tragisch endeten, hatten wir zwei neue Bekanntschaften ähnlicher Natur gemacht.

Zwei junge Mädchen, die eine Tochter eines hohen Justizbeamten, die andre die eines hohen Militärs, waren damals in Graz wegen der zärtlichen Freundschaft, die sie verband, in aller Munde. Noch während wir in Bruck lebten, hatten wir von ihnen gehört und jetzt trafen wir sie manchmal auf der Straße. Eines Tages schrieben sie an uns und baten, unsre Bekanntschaft machen zu dürfen. Leopold antwortete ihnen sehr freundlich und sie kamen.

Nora, die ältere von den beiden, war groß und stark. An ihrer Art sich zu kleiden sah man, daß sie bemüht war, sich ein männliches Aussehen zu geben, was ihr nicht recht gelang. Ihr reiches blondes Haar, das sie wohl kurz geschnitten trug, ihre vollen schönen Formen ließen keine Täuschung zu.

Die andere, Mignon, war ein Traum, ein lebendig gewordenes Märchen. Sie war viel kleiner als Nora,[235] zart und schön gebaut und voll Anmut. Über dem schlanken, von keinem Mieder eingeengten Leib, über der hohen jungfräulichen Brust, wiegte sich auf zartem Halse ein Kopf mit blassem, stillem, ernstem Gesicht, in dem zwei schöne dunkle Augen sich hinter halbgeschlossenen Lidern bargen. Alles an ihr war gedämpft, zurückgehalten: ein angstvolles Lauschen auf die Rätsel des Lebens.

Ein mächtiges Gefühlsleben schien in dem zarten Körper zu wogen und ihn aufzureiben.

Nora erzählte, ihre beiderseitigen Eltern hätten sie trennen wollen und es auch getan. Darauf erkrankte Mignon. Als die Eltern ihr Kind dem Tode nahe sahen, baten sie Nora, zu ihrer Freundin zu gehen, die sterbend nach ihr verlangt hatte.

Nora ging – und Mignon wurde gesund.

»Und deshalb,« schloß Nora ihre Erzählung, »gehört sie mir, denn mir verdankt sie ihr Leben.«

Da schlug Mignon ihre schönen Augen ganz auf und sah mit dem tiefen, ernsten Blick einer liebenden Frau und dem sanften glücklichen Lächeln eines Kindes auf die andere, die sie leidenschaftlich an sich zog und küßte.

Aber Nora war in ihrer Liebe nicht treu – vielleicht kam daher die sinnende Trauer in Mignons bleiches Antlitz.

Ein burleskes Drama, das Nora mit Margarethe Halm hatte und das sie uns selbst erzählte, war ein Beweis ihrer Flatterhaftigkeit. Sie hatte die Dichterin kennen gelernt und diese mit ihr von ihren Ideen über ein neues Menschengeschlecht gesprochen. Die Stammutter, die es drängte, ihr großes Werk zu erfüllen, hatte sich bald in die Idee verrannt, Nora sei der ihr von Gott gesandte Jüngling, mit dem sie die erlösende[236] Tat vorzunehmen habe. Ich glaube, daß Nora, halb aus Vergnügen an ihrer männlichen Rolle, halb zum Spaß, das Feuer geschürt haben mag, bis es ihr selbst zu heiß dabei wurde, und sie sich bei der armen Närrin nicht mehr blicken ließ.

Aber Nora hatte mit »Auserwählten« noch keine Erfahrungen gemacht, sie wußte noch nicht, wie zäh diese an ihrer »göttlichen Aufgabe« festhalten. Da sie nicht mehr zur Halm ging, kam diese zu ihr.

Eines Tages stürmten die Dienstleute aufgeregt herein und meldeten, eine Hochzeit sei im Hause, ein Hochzeitswagen stehe vor der Türe und die Braut käme eben die Treppen herauf. Man lief hinaus, um die Braut zu sehen, und sah sie auch. Sie stieg die Stufen hinauf – etwas mühselig und schnaufend, aber in schönem weißem Atlaskleid, Schleier und Myrten, einen Korb herrlicher Blumen in der Hand, die sie auf ihren Weg ausstreute.

Wo wird sie hingehen? An welcher Türe wird sie anhalten?

Nora wartete nicht, bis das entschieden war. Ihr ahnte etwas Furchtbares. Sie floh in die entfernteste, dunkelste Ecke der Wohnung, den Dienstleuten einschärfend, man solle sagen, wenn man nach ihr fragen würde, daß sie verreist, sehr weit verreist sei und nicht sobald zurückkommen werde. Draußen aber stand die »Braut« und läutete an der wieder fest verschlossenen Türe. Sie läutete mit einer rührenden Ausdauer. Und da sich unterdes, durch den Hochzeitswagen und die einsam aufsteigende Braut angezogen, noch mehr Hausbewohner eingefunden, hatten sich Treppen und Gänge mit einem Publikum gefüllt, das voll Spannung der Dinge harrte, die da kommen sollten. Endlich öffnete sich die Türe und ein[237] Diener erschien, der die Braut ungeschickt und roh abwies.

Traurig und enttäuscht kehrte die Stammutter heim; und mit der Erneuerung des Menschengeschlechts war's vorläufig noch nichts.


Die Mädchen kamen viel zu uns. Nora erklärte, Mignon möchte sich im Schriftstellern versuchen, habe aber keinen Mut. Leopold ermutigte sie und sagte ihr, er sei überzeugt, daß sie Talent habe, er wolle ihr helfen und ihre Sachen empfehlen. Das erinnerte mich an die Zeit, wo er dasselbe mir gesagt.

Mignon schrieb, er versandte das, was sie geschrieben, und es wurde gedruckt – genau so wie bei mir.

Das Mädchen war voll Freude.

Im Sommer machten wir Ausflüge mit den Mädchen. Wie gern wäre Kapf mit dabei gewesen. Er haßte zwar die Frauen, doch gegenüber der Lust, sich mit schönen, eleganten Mädchen in den Straßen zu zeigen, hielt sein Haß nicht stand. Er tat uns sehr leid, aber wir nahmen ihn doch nicht mit; es sah wahrhaftig zu lächerlich aus.

Nora, die wußte, daß er in der »Rosengruft«, so nannte die Halm ihr Zimmer, ihr Nachfolger geworden war, hieß ihn nur noch den »Götterjüngling« und das wurde er auch für uns. Er nahm es ruhig an und sah darin keinen Spott: er hatte sich unter dem Halmschen Einfluß wunderbar entwickelt. Etwas jedoch schadete ihm in seinem göttlichen Beruf: er wurde dick. Von Berlin war er schmal und lang wie ein Windhund gekommen, jetzt verschwand das Wenige das er von einer Nase hatte, völlig zwischen den aufgetriebenen Wangen. Das beschauliche[238] Leben behagte ihm, auch die österreichische Küche, zu der er sich auf langen Spaziergängen den Appetit holte. Er gab sogar selbst zu, daß ihm der Aufenthalt in Graz gut bekam; für ihn hatten schöne Promenaden, Lesen, Besuch der Theater viel Reiz, das war doch was andres, als in Berlin den ganzen Tag in der »Bude« stecken.

Wie mich das freute!


Trotz des lebhaften Verkehrs mit den Mädchen war das Verhältnis zwischen uns kein warmes. Ich hatte bald bemerkt, daß nicht Sympathie, sondern ein Spezialinteresse sie zu uns geführt: Mignon wollte in die Literatur »lanziert« werden; dazu war Sacher-Masoch gut. Sie waren mißtrauisch und wenn dieses Mißtrauen auch unter dem persönlichen Einfluß abgeschwächt wurde, so verschwand es doch nie ganz.

Ich war darüber weder erstaunt noch konnte ich es ihnen übel nehmen: Sacher-Masoch hatte von jeher dem Klatsch in der Stadt fleißig Stoff geliefert, und es geschahen gerade jetzt wieder Dinge, die zu Mißtrauen Anlaß gaben.

Denn was sollte man von mir denken, wenn man erfuhr, daß ich allein die Maskenbälle besuchte und poste restante-Briefe abholte, immer um den Griechen zu finden. Wir wohnten zu eng, als daß Kapf und die Magd nichts davon bemerkt hätten. Ich fühlte in der Luft, die mich umgab, Mißachtung – sah wie man den »lieben armen Herrn Doktor« bedauerte und in mir seine unwürdige und treulose Frau sah.

Um Kapfs Meinung kümmerte ich mich nicht viel, die meiner Magd ging mir näher. Sie war ein liebes[239] und treues Mädchen, eine aufopfernde Wärterin für die Kinder, ich hatte bis dahin nicht nur ihre Achtung, sondern auch ihre Liebe besessen, und gerade deshalb, weil sie sich in mir getäuscht zu haben glaubte, fing sie mich jetzt beinahe zu hassen an.

Ich mußte sie entlassen, so schmerzlich es mir auch war.

Als ich mit Tränen in den Augen am Fenster stand und ihr nachsah, wie sie neben ihrem Koffer die Straße hinunterging, nachdem sie noch vorher die Kinder unter Schluchzen zärtlich geküßt, von mir aber ohne mir die Hand zu reichen, ohne Gruß gegangen war, da dachte ich mir, wie viele gute und liebe Menschen werden sich noch so wie diese Magd von mir wenden, weil ich scheine, was ich nicht bin. –


Im April 1878 schrieb uns Kathrin Strebinger von Genf, aus ihrer Heirat mit Rochefort werde wahrscheinlich nichts werden, seine Freunde seien entsetzt darüber, daß er ein Mädchen deutscher Abstammung – ihr Vater war ein Bayer – zur Frau nehmen wolle, und hatten ihm vorgestellt, daß er in diesem Falle nicht nur den Gedanken, je Präsident der Republik zu werden, aufgeben müsse, sondern auch noch seine führende Stellung in seiner Partei verlieren werde. Sie begreife, schrieb sie, diese Gründe und da sie es vorziehe, lieber den Präsidenten Rochefort zum Freund zu haben, als den in Mißkredit gekommenen Journalisten Rochefort zum Mann, habe sie gegen die Auflösung ihrer Verlobung nichts. Sie würde aber dann nicht in Genf bleiben und es vorziehen, in unserer Nähe zu leben.[240]

Im Mai erhielten wir ein Telegramm, das uns ihre Ankunft anzeigte.

Wir standen auf dem Perron, den Zug erwartend, der sie bringen sollte, als ich etwas abseits italienische Auswanderer bemerkte und von ihrem lebhaften Treiben angezogen, mich ihnen näherte. Beim Hereinkommen des Zuges wollte ich wieder zu Leopold zurück, wurde aber von dem Strom der Ankommenden zurückgedrängt. Da sah ich, wie sich ein junges, schlankes, elegantes Mädchen kühn und sicher aus einem Wagen erster Klasse neigte, mit den Blicken jemanden zu suchen schien und dann mit einem freudigen »Ah« die Stufen herabsprang und auf Leopold zueilte, der ihr bereits entgegen ging. Sie reichte und schüttelte ihm beide Hände und küßte ihn auf den Mund.

Jetzt blieb ich absichtlich zurück, um zu beobachten was weiter geschehen würde.

Kathrin hatte einen Bahnbediensteten beauftragt, ihr Handgepäck aus dem Waggon zu holen und ihm ihren Gepäckschein gegeben, dann gingen sie, lebhaft sprechend, dem Ausgang zu. Durch ein Fenster im Wartesaal sah ich, wie sie in einen Wagen stiegen, wie das Gepäck auf einem andern verladen wurde und beide Wagen abfuhren.

Ich war entschieden nicht mehr vorhanden. Nicht ein einzigesmal sah sich mein Mann nach mir um – ich war für ihn in die dunkelsten Tiefen der Vergessenheit gesunken. So beeilte ich mich nicht sehr mit der Rückkehr nach Hause.

Als ich ins Zimmer trat, empfing mich Leopold mit dem Ruf:

»Ah, da bist du ja! Wo warst du denn? Wir haben dich überall gesucht.«

Die Begrüßung mit Kathrin ersparte es mir, ihm zu[241] antworten. Sie schüttelte mir die Hände und küßte mich, wie sie es mit ihm getan. Da sie wohl wußte, es war gelogen, daß sie mich gesucht, so kam es mir vor, als erwartete sie mit Vergnügen ein kleines Scharmützel zwischen mir und meinem Mann, ja sie ließ mir sogar im Gespräch Zeit dazu. Ich machte jedoch keinen Gebrauch davon. Das schien sie zu überraschen. –

Sie aß mit uns zu Nacht und fuhr erst gegen Mitternacht in ihr Hotel.

Da wir du zueinander sagten, waren wir gleich vertraut, auch gab sie sich einfach und zwanglos. Sie erzählte von Rochefort, seinen Kindern, seinem Leben im Exil, seinen politischen Freunden und was sie von ihm erwarteten. Sie bewunderte und bespöttelte ihn gleichzeitig. Von Liebe für ihn sah ich nichts, wohl aber von einer sehr richtigen Abschätzung seiner Bedeutung und der Vorteile, die es habe, ihm nahe zu stehen.

Sie war kürzlich einige Wochen in Paris gewesen, und hatte, von Rochefort empfohlen, die Direktoren der größten Blätter kennen gelernt; sie kannte die neue Literatur, alle literarischen Cliquen und Klatschereien. Buloz hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, den sie zurückgewiesen und den er seitdem brieflich wieder erneuert habe. Als ich ihr bemerkte, daß die Frau des Herausgebers der Revue des deux Mondes keine üble Stellung in Paris haben müsse, sagte sie, Buloz sein ein imbécile und sie würde nicht vierundzwanzig Stunden mit ihm leben können.

Sie gefiel mir sehr. Wie sie Dinge und Menschen beurteilte, zeugte von raffiniert modernem Geist – dem Geist Rocheforts, in reiche junge Erde gepflanzt.

Daß ein solches Mädchen ganz aus dem Rahmen herausging, in dem man diese sonst zu sehen gewohnt ist,[242] war natürlich. Sie hatte auch nichts Anerzogenes an sich sie war ganz sie selbst und gab sich ganz so wie sie war Dazu kam noch das Fesselnde ihrer Erscheinung, die zuerst durch ihre außerordentliche Eleganz auffiel. Aber auch diese Eleganz war keine erlernte, absichtliche, sie war in ihr, wie in einem jungen edlen Pferd, das sich nicht anders als schön halten und bewegen kann. Mit ihren schmalen Hüften und breiten Schultern war ihr Körper von so geschmeidiger Kraft, als habe sie nicht Knochen, sondern Stahl im Leibe.

Sie hatte sehr schönes dunkelblondes Haar und braune, nicht sehr große, aber lebhaft glänzende Augen und eine feine gerade Nase mit immer zuckenden Flügeln; ihr Mund mit der ein wenig vorgeschobenen Unterlippe war vielleicht etwas grob, aber auch in ihm lag Charakter wie in allem an ihr.

Sie trug an dem Tage ein graues Reisekleid, an dem ich nicht wußte was ich mehr bewundern sollte, seine Eleganz oder seine Einfachheit.

Am nächsten Tage trafen Nora und Mignon mit Kathrin bei uns zusammen.

Nora überlegte sich die Sache nicht lange und verliebte sich sofort in Kathrin. Diese war darüber sehr belustigt und kam ihrem neuen Kurmacher ermutigend entgegen.

Mignon aber saß ganz bleich und wie in Schmerz erstarrt da; stumm blickte sie durch ihre halbgeschlossenen Lider auf diese neue Untreue ihrer Freundin.

Kathrin wünschte ein oder zwei möblierte Zimmer in einem Privathause zu mieten und Nora half ihr sie suchen.

Der armen kleinen Mignon ging's heute, wie's mir gestern gegangen: sie war nicht mehr vorhanden.

Kathrin mietete bei Frau v.C..., Witwe eines[243] hohen Militärs, die mit ihren Töchtern und ihrem Sohne, der Hauptmann im Generalstab war, zusammen lebte, ein Zimmer und bezog es noch am selben Tage.

Nora half ihr sich in ihrem neuen Heim einrichten und verließ sie erst um Mitternacht.


Einige Tage nach der Ankunft Kathrins gab Leopold ihr zu Ehren ein großes Krebsenessen in Judendorf und wir wanderten alle, auch die Kinder, hinaus in den Wald.

Es war ein schöner glücklicher Tag. Mein Mann fühlte sich zwischen den drei schönen originellen Mädchen so frisch und munter wie ein Fisch im Wasser. Es war gewiß Mignon, die ihn am meisten interessierte, denn auf allen unsern gemeinschaftlichen Spaziergängen war sie es, mit der er sich am liebsten unterhielt, und das war ja natürlich, da er in ihr ein bedeutendes Talent entdeckt hatte, das er bilden und entwickeln wollte; wenn er also immer etwas abseits von uns anderen mit ihr ging oder saß, so war's, um in den ernsten Gesprächen, die er mit ihr führte, nicht gestört zu werden.

Ich merkte auch, daß er schon seit einiger Zeit weniger von dem alten Thema sprach, und diese Ruhepause in der mich sonst immer bedrängenden Qual tat mir wohl und ich glaubte, sie dem zerstreuenden Einfluß der Mädchen danken zu müssen.

Wenn ich die beiden jetzt auf den dunklen stillen Waldpfaden im ernsten Gespräch hingehen sah, Mignon in ihrer schwermütigen, reinen, züchtigen Schönheit und meinen Dichter mit einem Ausdruck beinahe erhabener Trauer im Gesicht, der mir an ihm ganz neu war, da freute ich mich, daß sie beide in der Literatur eine Ablenkung gefunden[244] hatten von ihren Verirrungen in anderer Richtung. –

Ein von diesen ganz verschiedenes Paar war Nora und Kathrin. Nora hatte an dem Tage ganz den Mann herausgekehrt und spielte so ernst und so meisterhaft den Galan, daß sie, ohne den fatalen Frauenrock, den sie trug und der sie lächerlich machte, ganz gut hätte für einen schönen Jüngling gelten können. Sie rauchte große dicke Zigarren während sie für Kathrin kleine feine Zigaretten drehte, sie trug ihr ihren Schirm und reichte ihr bei allen schwierigen Stellen am Wege die Hand, schlug mit ihrem Stock die Zweige von den Bäumen, die den Durchgang hinderten, oder lag der Länge nach hingestreckt auf dem Bauch und schwärmte die Angebetete an, die weich gebettet vor ihr im Moose saß.

Da ich sah, daß die große Welt, mit sich selbst beschäftigt wie sie war, mich entbehren konnte, wandte ich mich meiner kleinen zu, die, berauscht von der Waldluft, vor Freude wie toll geworden war.

Ich ließ ihnen einen Tisch in den Wald bringen, und da bekamen sie Milch, Pfannkuchen und große herrliche Erdbeeren mit süßem Rahm. Es war ein Fest für sie, wie sie noch keines erlebt hatten, und einer der schönsten Tage im Leben ihrer Mutter.

Nachdem die Kleinen abgefüttert waren, kam die Reihe an die Großen. Judendorf war berühmt durch die ungewöhnlich großen, köstlichen Krebse, die man dort aß, und es verdiente an dem Tage seinen Ruf mehr als je.

Kathrin machte große Augen; so schöne Krebse hatte sie noch nie gesehen, und noch in derselben Stunde ließ sie durch die Wirtin eine Kiste davon verpacken und nach Genf an Rochefort senden.[245]

In der prächtigsten Stimmung leerten wir eine Schüssel nach der andern; die Mädchen waren charmant, Leopold geistreich, kein Mißton störte das Vergnügen, das ebenso fröhlich endete als es begonnen hatte.

Um so erstaunter waren wir, in den folgenden Tagen weder Nora noch Mignon bei uns zu sehen. Kathrin kam zwar, aber auch nur für Augenblicke. Sie sagte, Nora sei immer bei ihr und sie könne gar nicht von ihr loskommen.

Das dauerte vielleicht eine Woche, dann hörte plötzlich aller Verkehr zwischen den beiden auf. Kathrin erklärte etwas übellaunig ihren Bruch mit Nora durch eine Erkrankung Mignons, die die Freundin nicht mehr von sich lasse. Sie liebte Mignon nicht, sie nannte sie »une poseuse«, sagte, sie sei sentimental, und sentimentale Leute seien dumme Leute.

Wir haben die beiden Mädchen nie wieder gesehen und nie erfahren, was ihr Verschwinden eigentlich veranlaßt hat. Der Verkehr mit Nora und Mignon hatte Sacher-Masoch zu seiner »Gottesmutter« angeregt. –

Lange Zeit nachher, in einem Augenblick, da Kathrin Grund zu haben glaubte, sich über meinen Mann zu ärgern und ich diesen zu entschuldigen suchte, sagte sie mir:

»Du hast keinen Anlaß ihn zu verteidigen, denn er ist auch gegen dich falsch genug.« Ich wollte wissen, wo sie hinzielte und erwiderte:

»Nein, das ist er nicht.« Da platzte sie heraus:

»So, er ist es nicht! Was ist es denn dann, wenn er an Mignon schreibt, daß er die tiefste und aufrichtigste Liebe für sie habe, mit dir sehr unglücklich sei, sich von dir trennen wolle, und ihr vorschlägt, mit ihm zu fliehen.[246] Sie würden nach Deutschland gehen, dort protestantisch werden und heiraten, nachdem er von dir geschieden worden. Ihre materielle Lage werde jedenfalls eine gesicherte sein, denn er werde dann eine Stellung, die man ihm angeboten, annehmen. Das findest du nicht falsch? Mit dir tut er, als ob er ohne dich keinen Tag leben könne, und dabei denkt er nur daran, dich zu verlassen. Nora hat mir die Briefe gezeigt, ich habe alles selbst gelesen – und das kann ich dir sagen, daß ihn die beiden Mädchen gründlich hassen.«

An dem was sie von der Stellung gesagt, erkannte ich, daß sie wahr sprach; denn wegen einer solchen Stellung war Leopold wirklich in Unterhandlung gewesen, und davon wußte nur er und ich.

Was sollte ich tun? Es war zu nichts gekommen, eine abgetane Sache, und ich wußte ja doch schon längst, wessen mein genialer Mann fähig war. Ich wollte mich darüber nicht mehr ärgern und auch ihm kein Wort sagen. Zu ändern war nichts, ich mußte ihn nehmen, wie er war, und im Grunde, sagte ich mir, ist er doch ein guter und braver Mann. All das sind Phantastereien, die aus dem Drang, das Leben romanhaft und dramatisch zu gestalten, entstehen, was bei seinem Beruf ganz natürlich ist; daß er aber das, was er in seinen Briefen an Frauen so leicht plante, auch wirklich ausführen, mich und die Kinder verlassen könnte, das glaubte ich nicht, und in dieser Überzeugung fand ich Kraft und Ruhe. –

Bitter empfand ich eigentlich nur, daß wir uns durch all den Unsinn fortwährend kompromittierten.

Daß mir Kathrin diese Mitteilung so spät und in einem Augenblick zorniger Aufwallung gegen Leopold machte, war mir ein Beweis, daß sie mich rücksichtsvoller behandelte[247] als andere; denn den Leuten unangenehme Dinge zu sagen, war ihr ein Vergnügen, das sie gern warm genoß.


Kathrin wohnte nicht lange bei Frau v.C... Sie war dort zu sehr en famille, was ihr nicht paßte. Sie mietete in der Beethovenstraße in der Villa der Baronin P ... zwei Parterrezimmer.

Kathrinens Auftreten, ihre elegante Erscheinung, ihr fremdartiges Wesen, mußte in Graz Aufsehen machen. Auch erweckte sie den Eindruck reich zu sein, war es vielleicht auch; jedenfalls war sie erst vor kurzem volljährig geworden, hatte das Vermögen ihrer verstorbenen Mutter ausgezahlt bekommen und verstand, ihr Geld mit viel Schick auszugeben.

Sie mietete sich einen eleganten zweisitzigen Landauer und wenn sie in diesem durch die Straßen fuhr, guckten die Leute neugierig und interessiert nach der feinen »Französin«. Erschien sie mit uns im Theater, flüsterten die Frauen, und die Männer richteten ihre Gläser nach unserer Loge.

Sie fand das sehr nach ihrem Geschmack, und tat alles, um das Interesse an ihr noch mehr anzuregen. So ließ sie sich manchmal selbstgekaufte Blumen oder selbstaufgegebene Telegramme ins Theater bringen, und sie spielte beim Empfange derselben so meisterlich die Erstaunte und überraschte, daß wir fest daran glaubten, bis sie uns eines Tages lachend gestand, woher die Sendungen kamen.

Sie nahm auch Reitunterricht und war bald so weit, ausreiten zu können.[248]

Prächtig sah sie aus zu Pferde; in ihrem eleganten Reitkleid mit dem runden Männerhut auf dem blonden Kopf, ihrer elastischen Gestalt, der schönen geraden Haltung, saß sie so fest und sicher im Sattel, als hätte sie nicht erst seit einigen Wochen, sondern ihr ganzes Leben Reitsport getrieben.

Oft begleitete sie Hauptmann C ... auf ihren Ausritten. Er war ein eleganter Offizier, trotz seiner Jugend bereits Hauptmann im Generalstab, also ein angemessenerer Begleiter für sie, als ihr Reitlehrer. Auch standen dem Hauptmann Pferde zur Verfügung, was ihre Ausritte ganz kostenlos für sie machte.

Ich staunte sie nur so an. Wie sie das Leben leicht nahm und, indem sie ihm eine Nase drehte, über alle seine Schwierigkeiten hinwegkam! Ebenso erstaunlich war es, wie sie alles Lügen- und Flausenhafte, Unwahre, Dumme und Gemeine rasch erkannte und mit ihrem Haß verfolgte – oder, wenn es ihr paßte, zu ihren Zwecken ausnützte.

Da war die Baronin P ..., die einen ausgelebten verschuldeten Sohn hatte, mit dem sie nichts anzufangen wußte: Wenn die Französin, die da unten ihre schlecht möblierten Zimmer zu einem unverschämt hohen Preis gemietet, vielleicht Lust hätte, Baronin zu werden, könnte man den Sohn an sie los werden. –

So kam es, daß Kathrin eines Tages die Ehre wurde, von der Frau Baronin zu einem Tee geladen zu werden – um sich auf den Zahn fühlen zu lassen. Aber der Zahn, den die alte Dame befühlen wollte, war klein und scharf und biß fest zu, sowie sie nur dran rührte.

Nein, die Baronin war noch nicht geboren, die bei[249] Kathrin Strebinger etwas herausfühlen konnte, das diese nicht fühlen lassen wollte.

Mutter und Sohn wurden ihr so lästig, daß sie sie beide nur noch »les punaises« nannte.


Wenn Kathrin guter Laune war, und das war sie stets wenn sie mit mir allein war, konnte sie ungemein amüsant sein. Sie sprach ziemlich gut deutsch; manchmal aber fehlten ihr doch Worte, dann fetzte sie französische an ihre Stelle, die den deutschen nicht immer entsprachen; oft auch mischte sie ihr Deutsch mit ganzen französischen Sätzen; eine besondere Vorliebe hatte sie für gewisse österreichische Volksausdrücke, deren sie sich bald zu bedienen wußte, die sie aber so drollig aussprach, daß man lachen mußte; und dann lachte sie lustig mit.

Sie ist seit langem tot. Rochefort erzählte mir in Paris, daß sie während einer Fahrt nach Amerika auf dem Schiffe gestorben und ins Meer versenkt wurde. Sie hatte sich von ihrer Familie ganz losgetrennt und niemanden hinterlassen, der ihr nahestand. – Wenn ich von ihr erzähle, wie sie war, sie in ihrer Originalität schildere, so vergehe ich mich gegen keinen, gegen sie aber am wenigsten. Denn wäre sie nicht gestorben und stünde sie jetzt hinter mir und läse, was ich über sie schreibe, so würde sie mir die Feder aus der Hand nehmen und sagen:

»Nein, du bist nicht wahr,« und sie würde sich hinsetzen und sich selbst mit den schwärzesten Farben malen, denn Kathrin Strebinger hat von ihren dunklen Seiten selbst das größte Aufheben gemacht – über ihre guten aber geschwiegen.

Wie soll man sich dieses seltsame Mädchen erklären?[250]

Ihr Vater war Schullehrer in Bayern gewesen, dann nach Morges gegangen, hatte dort eine Sekte gegründet in Verbindung mit einer Schule, die er leitete. Sein frommes Unternehmen brachte ihm gute Einnahmen und eine reiche, aber brustkranke Frau. Sie bekamen ein Kind, Kathrin, dann starb die Mutter.

Der Witwer sperrte sich in seine Kapelle, betete und fastete drei Tage und drei Nächte. Dann erschien er wieder und sah sich nach einer anderen Frau um. Er bekam auch bald eine und diese war noch reicher als die erste und nicht krank.

So wuchs Kathrin auf, zwischen einem frommen Vater und einer fremden Mutter, zwischen Schulstunden und Bibellesen, Predigten und Strafen. Bald glaubte der Vater zu bemerken, daß seine Tochter nicht auf dem Wege des Heils war. Um ihr den bösen Geist auszutreiben und sie Demut zu lehren, nahm er sie in strenge Zucht.

Sie rächte sich dafür, indem sie die tollsten Streiche beging, über die sich die ganze Gemeinde entsetzte, und die sein Erziehungssystem doch in Mißkredit zu bringen drohten.

Er veranstaltete in der Kapelle allgemeine Gebete zur Errettung seiner mißratenen Tochter, denen Kathrin beiwohnen mußte.

Der böse Geist aber wurde nicht nur nicht ausgetrieben, sondern er erstarkte immer mehr in Haß.

Mit neunzehn Jahren wurde sie volljährig, man mußte ihr das Vermögen ihrer Mutter ausliefern und sie verließ sofort das Vaterhaus und kehrte nie mehr dahin zurück.

Sie zog nach Genf, wohnte dort in einer eleganten Pension und trat jetzt alles mit Füßen, was man ihr[251] als Religion, Moral und Anstand durch Hunger, Schläge und Lieblosigkeiten aller Art eingezüchtigt hatte.

Da lernte sie Rochefort kennen. In seiner Schule bekam sie den letzten Schliff und bald war die Schülerin dem Meister überlegen. –

Gleich auf ihre erste Übersetzung hin bot ihr Buloz an, bei der Revue des deux Mondes eine feste Stellung als Übersetzerin anzunehmen. Sie aber folgte nur ihrer unersättlichen Gier nach den Genüssen des Lebens, ihrer sie immer treibenden Neugierde, von der sie sich ohne Rücksicht auf irgend etwas oder irgendwen führen ließ.

Was sie uns von ihren Streichen erzählte, war so arg, daß wir kein Wort davon glaubten – bis das, was sie gleichsam unter unsern Augen tat, für die Wahrheit des Erzählten eintrat. Sie log nie, aber war grausam boshaft. Es machte ihr zum Beispiel ein besonderes Vergnügen, den Leuten unangenehme Dinge zu sagen, allein diese Dinge waren immer wahr: mit einer Lüge jemanden zu ärgern, wäre ihr wie eine unwürdige Kampfweise erschienen.

Um den maßlosen Geiz ihres Vaters zu illustrieren, hatte sie erzählt, er trage seit mehr als zwanzig Jahren dasselbe Paar Pantoffeln; war eine Filzsohle abgetreten, dann nähte er selbst eine neue auf die alte, und so all die Jahre, die Kathrin im Hause lebte; schließlich wurden die Pantoffeln von all den Sohlen so hoch, daß er wie auf einem Kothurn einherging. Die Tinte für sich und seine Schule machte er aus Ruß und Wasser und diese Schmiere verkaufte er an die Kinder, die sich und ihre Schulsachen damit beschmutzten.

Ich glaubte es nicht, bis ich eines Tages einen Brief von Herrn Strebinger erhielt, dessen Adresse ganz verschmiert[252] aussah, und nach dessen Lesung es meine Hände auch waren.

Eine Geschichte, an die zu glauben ich mich entschieden weigerte, deren Bestätigung ich aber viele Jahre später erhielt, war folgende:

In der Pension, in der Kathrin in Genf lebte, wohnte auch ein junges russisches Ehepaar, Fürst X ... und seine Frau. Die junge Fürstin war wegen ihrer kranken Brust von den Ärzten für den Winter nach Montreux geschickt worden. Nachdem sie sich dort erholt hatte, kam das Paar, ehe es nach Rußland zurückkehrte, für einige Wochen nach Genf, wo Kathrin mit ihnen bekannt wurde. Man sprach in der Pension viel von den jungen Eheleuten wegen der rührenden und zärtlichen Liebe, die sie für einander hatten.

Diese Liebe reizte die Neugierde Kathrinens. Sollte es möglich sein, daß ein Mann seine Frau wirklich liebe, das heißt, im gegebenen Fall keine Untreue gegen sie begehen würde? Darüber wollte sie Gewißheit haben. Nach ihrer Meinung war nichts Gutes in der menschlichen Natur, und wo es sich zeigte, war es etwas Gekünsteltes, Angelerntes, das keine ernste Prüfung aushielt.

Sie machte das Experiment – und ihre Theorie siegte.

Der Russe gab auf dem See ein Nachtfest, zu dem auch Kathrin geladen war. Sie wußte so geschickt zu manövrieren, daß es ihr gelang, mit dem Fürsten in demselben Kahn zu fahren. Das war die Hauptsache: der Rest war für sie nur noch eine Spielerei.

Am nächsten Tage trafen sie sich in einem Hotel. Bei dieser Gelegenheit verlor Kathrin einen schönen originellen Kamm, den ihr Rochefort geschenkt hatte. Dummheit[253] oder Bosheit spielte denselben der Fürstin in die Hände mit der Angabe, wie und wo er gefunden wurde.

Die junge Frau kannte Kathrinens Kamm und konnte über das Vorgefallene keine Zweifel haben.

Rochefort saß und schrieb an seinem Artikel, als die Türe aufging, und die Fürstin, den Kamm in der Hand, und ganz entstellt vor Aufregung hereinkam. Sie öffnete den Mund und wollte sprechen, aber statt der Worte stürzte ihr ein Blutstrom über die Lippen und sie sank zu Boden.

Man legte sie auf Rocheforts Bett und da starb sie auch.

Das hatte Kathrin erzählt.

Lange Zeit nachher, nach einem Diner bei Rochefort, kam die Rede auf »Jenny«, so nannte er Kathrin, und um mir und Leopold zu zeigen, wie sehr »canaille« sie war, erzählte er uns die Geschichte, genau wie wir sie schon kannten.

Ich frug damals Kathrin, ob es ihr denn nicht nachträglich um die junge Frau leid getan habe. Sie sagte ja, es habe ihr leid getan und tue ihr noch leid, allein sie würde dasselbe doch wieder tun, weil sie keine Illusionen über Männer und Liebe haben will – jetzt habe sie keine mehr und diese Erfahrung sei mit dem etwas verfrühten Tod einer Schwindsüchtigen nicht zu teuer erkauft.

»Und dann,« setzte sie hinzu, »wenn du gesehen hättest, wie grauenhaft schön es war, als man die Leiche in die Pension brachte ... und dann die Szene mit Rochefort ... wie er mich eine Mörderin nannte ... Ich bin froh, das erlebt zu haben. Man muß das Leben immer peitschen, jagen, sonst rostet es ein, erstickt in Banalität.«
[254]

Sich stets nur von ihrer augenblicklichen Laune treiben lassend, führte Kathrin ein ganz regelloses Leben. Manchmal sprang sie nachts aus dem Bett, und im Hemd, wie sie war, fing sie an, an ihren Übersetzungen zu arbeiten. Wenn sie dann ihre schönen Sätze einen nach dem andern aufs Papier warf, packte sie die Freude über ihr Talent, so leicht und mühelos zu schreiben, die Arbeit wurde ihr zum Genuß, sie konnte sich nicht losreißen und hörte erst auf, wenn ihr vor Müdigkeit die Feder aus der Hand fiel.

Zu andern Zeiten vergingen Wochen, ja Monate, wo sie nicht ans Arbeiten dachte. Sie aß nicht, wenn sie Hunger hatte, sondern wenn es ihr gerade einfiel; zuweilen blieb sie den ganzen Tag ohne zu essen, oft absichtlich, um dann mehr Genuß daran zu haben. Von ihrer Gesundheit nahm sie keine Notiz, ihren Körper behandelte sie mit einer Rücksichtslosigkeit, die mich oft entsetzte; sie hatte keins von all den kleinen Leiden, die auch gesunden und kräftigen Frauen nicht erspart bleiben. Sie fürchtete nichts und war kühn und mutig wie ein Mann. Sie wollte keine Stunde, keine Minute vom Leben vorübergehen lassen, ohne es zu genießen, sich seiner bewußt zu sein. So war sie immer in Erregung, immer in Spannung, was der nächste Tag, die nächste Stunde bringen wird. Oft stürmte sie morgens mit der Frage in mein Zimmer:

»Wanda, was machen wir heute, um uns zu amüsieren?«

Wenn ich dann sagte, daß ich zum Amüsieren keine Zeit hätte, warf sie wie ein boshaftes Kind die Schultern hin und her.

Eines Tages kam sie wieder so und bat mich, mit ihr einen Ausflug zu Wagen zu machen, nach einem Ort[255] in der Umgebung der Stadt, von dem man ihr erzählt habe, daß er reizend sei, und daß es dort einen Gasthof gäbe, in dem man vorzüglich zu essen bekomme.

Da ich das Haus nicht für den ganzen Tag verlassen wollte, schlug ich es ihr ab. Sie rief Leopold zu ihrem Beistand, und da dieser es immer gern sah, wenn ich mit ihr ging, denn er erwartete, daß ich in ihrer Gesellschaft eines Tages dem Griechen begegnen würde, drang auch er in mich und ich mußte nachgeben.

Wir waren vielleicht schon zwei Stunden gefahren, als wir uns plötzlich einem reißenden Strome gegenüber befanden, der verheerend über Felder und Wiesen daherraste und uns den Weg abschnitt.

Es waren während der Nacht weit im Lande Wolkenbrüche niedergegangen, und was wir vor uns hatten, war der Abfluß der Wassermassen von dort. Auf der andern Seite des Wassers, wo die Straße bergan zu steigen begann, standen Männer, die uns abwinkten und etwas zuschrien, das wir aber wegen der großen Entfernung und dem Rauschen des Wassers nicht verstanden.

Kathrin war aufgesprungen und aufrecht im Wagen stehend, blickte sie mit leuchtenden Augen auf das unheimliche Bild.

»Wir müssen durch!« rief sie.

»Natürlich! Eine so schöne Gelegenheit, zu ertrinken, kann man nicht ungenützt vorübergehen lassen.«

Sie lachte.

Der Kutscher, der stehen geblieben war, und schon umkehren wollte, sah uns erstaunt an.

Es war ein junger »fescher« Kutscher, der trotz der Verantwortung, die er für die Pferde hatte, nicht weniger Mut zeigen wollte, als das junge Mädchen, und so[256] fuhr er denn in das brausende Wasser hinein. Die Männer drüben schrieen und gestikulierten wie besessen; wir aber saßen ruhig in unsern Wagenecken und warteten, was jetzt kommen würde.

Es dauerte nicht lange, da schien der Kutscher seine Kühnheit auch schon zu bereuen. Die Pferde waren in dem wilden Wasser und von den vielen Gegenständen, die es mit sich führte und die ihnen um die Füße schlugen, nervös geworden; die Gewalt des Wassers drohte den Wagen von der Straße, deren Richtung der Kutscher nur vermuten konnte, abzudrängen; es mußte auch auf der Straße bereits ausgewaschene Stellen geben, denn die Pferde sanken alle Augenblicke ein.

Vorwärts wagte sich der Kutscher nicht mehr und an ein Umkehren war nicht zu denken. Wir standen etwa in der Mitte des Stromes; das Wasser ging den Pferden fast an die Brust und drang in den Wagen.

Still wie Bildsäulen standen jetzt die Männer drüben und starrten zu uns herüber.

Ich hatte auf das Wasser geschaut, wie die Wellen so eilig dahinliefen, und war eben im Begriff, mich ihnen anzuschließen, als mich Kathrin heftig zurückriß und rief:

»Um Gottes willen, Wanda, schau nicht aufs Wasser, du wirst schwindlig. Schau in die Luft oder mach die Augen zu.« Und sie nahm mich in ihre Arme und zog mich an sich.

Es war ein angenehmes Gefühl, nachdem ich mich noch eben erst in der Schwebe befunden, so fest und sicher von diesen starken Armen gehalten zu sein.

Unterdes hatten die Männer drüben unsere gefahrvolle Lage erkannt und sich entschlossen, uns zu Hilfe zu[257] kommen. Es waren junge Müllerburschen in großen Wasserstiefeln.

Langsam wateten sie heran, mit großen Stangen vorsichtig den Boden vor jedem Schritt sondierend. Als sie uns schon nahe waren, schrien sie den Kutscher an und sagten, er müsse seine Pferde wohl gestohlen haben, daß er sie da hinein führe, wo sie sich jeden Augenblick die Beine brechen könnten. Neugierig und auch ein wenig zornig blickten sie auf uns: hatte sie doch unser Leichtsinn gezwungen, uns Hilfe zu leisten.

Kathrin lächelte ihnen zu und fing in ihrem mangelhaften Deutsch freundlich und lieb mit ihnen zu plaudern an. Im Augenblick hatte sie sie gewonnen; ihr Ärger schwand, und sie schauten bewundernd auf dieses fremde junge Mädchen, das da mitten in der Gefahr so heiter und furchtlos war.

Einer der Burschen führte die Pferde, zwei stellten sich auf den Wagentritt, um den Wagen gegen die Strömung zu halten. So kamen wir langsam jenseits des Wassers an.

Kathrin gab den Burschen ein reiches Trinkgeld, dankte ihnen und schüttelte ihnen herzlich die Hände. Ich glaube, sie hätten sich alle drei am liebsten gleich wieder für sie ins Wasser geworfen, so glücklich sahen sie aus. Noch lange standen sie da und sahen unserm Wagen nach, aus dem ihnen Kathrin noch zuwinkte. Sie selbst jauchzte förmlich vor Vergnügen: das war was für sie, jeder Tag hätte ihr derlei bringen sollen, denn das war Leben, und leben wollte sie ... leben ... leben ...

»Du allein,« sagte sie, »hast mir einen Augenblick Furcht gemacht, denn wenn du hinausgefallen wärst, wärst du in dem reißenden Wasser verloren gewesen!«[258]

Es freute sie, daß sie die Gefahr so gut bestanden, denn das war eine Probe für ihren Mut, ihre Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit – und ihre Verachtung des Lebens.

»Wenn ich mich selbst küssen könnte, würde ich es tun,« sagte sie, »so zufrieden bin ich mit mir.«

In einem reizend gelegenen Gasthof auf der Höhe aßen wir prächtig zu Mittag. Man hatte uns den Tisch auf einer Terrasse gedeckt, die über einer tiefen Schlucht hing und der gegenüber eine dunkle bewaldete Bergwand sich bis in den Himmel zu erheben schien.

Kathrin war lustig und ausgelassen wie ein kleiner Junge. Nach Stunden der reinsten harmlosesten Heiterkeit machten wir uns wieder auf den Heimweg.

Indessen hatte sich das Wasser verlaufen, und jetzt sahen wir erst so recht, in welcher Gefahr wir geschwebt, und wie viel wir der guten Führung der Müllerburschen zu danken hatten. Die Straße war voller Löcher, als hätte es Bomben darauf geregnet. Wir mußten aussteigen und ein großes Stück durch all die Verwüstung zu Fuße gehen.


Es mußte Wunder nehmen, daß Kathrin und Leopold sich nicht näherkamen. Dennoch war ich fest überzeugt, daß sie mit dem ganz bestimmten Plan, mit ihm ein Verhältnis zu haben, nach Graz gekommen war, und daß dieser Plan nur durch die Umstände modifiziert worden war.

Zu diesen Umständen gehörte ihr wärmeres Gefühl für mich nicht – dieses hätte sie nie abgehalten, mir meinen Mann zu nehmen, wenn sie Lust dazu gehabt[259] hätte oder es für ihr Interesse dringend nötig gewesen wäre.

Sie gefielen sich nicht.

Frauen, die Leopold interessieren konnten, mußten seine Phantasie anregen; er mußte alles in sie hineinlegen können, was er bei ihnen zu finden wünschte. Was hätte er mit einem Mädchen anfangen sollen, das in der Liebe nur das Vergnügen sah und mit höhnischer Verachtung alles abwies, was wie ein »Gefühl« aussah.

»Die Liebe nach deiner Auffassung,« sagte er einmal zu ihr, »ist mir ein Greuel. Ich möchte lieber ganz darauf verzichten, als sie ohne alle Poesie genießen. Ich begreife gar nicht, wie ein so junges Mädchen so nüchtern sein kann.«

»Mein Lieber,« erwiderte Kathrin mit köstlichem Spott, »daß du die Liebe, so wie sie die Natur uns gegeben hat, nicht genießen willst, beweist, daß du einen perversen Geschmack hast. Was du Poesie nennst, das ist die Lüge und das Falsche, das nie hätte hineinkommen sollen, weil es die, die daran glauben, nur unglücklich macht. Daß ich mit der Liebe da anfange, wo andere Frauen erst nach den schmerzlichsten Erfahrungen, und wenn die Jugend vorbei ist, hingelangen, das macht mich glücklich und stolz: weder die Liebe noch die Untreue eines Mannes wird je meinen Frieden stören.«

»Du erinnerst mich an die Baronin R ..., die mir in Salzburg sagte: kluge Leute laden sich gegenseitig zur Liebe ein, wie zu einem guten Diner, das nichts hinter sich läßt als eine angenehme Erinnerung.«

»Das ist auch meine Meinung. Es scheint mir schrecklich dumm, etwas so Einfaches, Natürliches wie die Liebe,[260] zu einer wichtigen Sache zu machen und ihr einen so großen Platz im Leben einzuräumen.«

Leopold war entrüstet. Er sagte mir später, Kathrin lasse ihn ganz kalt, denn sie sei ihm viel zu wenig Weib.

Ich mußte innerlich über seine Entrüstung lachen. Ich wußte damals schon, daß auch er eine solche Einladung der Baronin R ... in Salzburg erhalten und angenommen hatte, daß er viele Monate mit ihr »dinierte,« und daß ein großer Teil des Geldes, das jeden Monat an Karl ging, dazu diente, die nachträglich eingegangenen Rechnungen für diese Diners zu bezahlen.


Welch ein angstvolles Glück sind Kinder. Es ist gewiß keine Übertreibung, wenn ich sage, daß ich, seit ich Mutter wurde, keine ruhige Stunde mehr gehabt habe. Immer war ich bemüht, unser Leben so einzurichten, daß ich die Kinder so viel als möglich um mich hatte. Zu oft aber konnte das nicht sein, und das waren dann Augenblicke, Stunden oder Tage voll peinigender Unruhe für mich. Wenn mich mein Mann ausschickte, um mir einen Liebhaber zu suchen, sei es auf die Promenade, in die Theater oder gar auf Reisen, dann war wohl mein Leib abwesend, aber mit all meinen Gedanken war ich daheim bei den Kindern und auch bei dem Manne, der mich nicht mehr entbehren konnte, dem ich allein über seine Anfälle hinweghalf, der schon unruhig wurde, wenn ich nur aus dem Zimmer ging.

Mein ganzes Leben lag in meinen Kindern. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein Geschöpf für mich, meine Persönlichkeit war ganz untergegangen in der Liebe und[261] Sorge für sie; ich wünschte und hoffte, fürchtete und zitterte nur noch für sie.

Wünsche und Furcht waren gleich groß und hatten ihren Grund in den seltsamen Verhältnissen, unter welchen meine Kinder aufwuchsen, und denen gegenüber ich so gut wie machtlos war.

Leopold war dabei geblieben, nur ein Kind zu haben: Sascha, sein Kind. Ein Kind wie dieses – das war seine feste Überzeugung, war noch nie geboren worden. –

Oft, wenn die Kinder um ihn waren, er das »seinige« zärtlich in den Armen hielt, die andern etwas abseits standen, hörte ich, wie er zu seinem Liebling sagte, indem er auf Mitschi zeigte:

»Siehst du, wie schwarz der ist? Weißt du warum? Das kommt, weil ihn ein schwarzer Storch gebracht hat, und nachts, wenn es ganz finster war; und er hat ihn aus einem Teich herausgezogen, in dem das Wasser so schwarz war wie Tinte; seine Augen sind auch zwei Tintenklekse die nicht mehr weggehen, die Mama kann sie waschen so viel sie will. – Dich aber hat ein weißer Storch gebracht, am hellen Tage, wenn die Sonne schien, die dein Haar vergoldete, daß es so schön glänzt; und er hat dich aus einem See herausgezogen, dessen Wasser so blau war wie der Himmel, und dabei sind zwei Tropfen von dem Wasser in deine Augen gefallen und sind dort geblieben, und darum sind sie so tief wie der See und so blau wie der Himmel.«

Wenn ich sah, wie sich der empfangene Eindruck des Gehörten in den kleinen erstaunten Gesichtern widerspiegelte, zog sich mein Herz zusammen in ahnungsvoller Trauer.

Linas große, dunkle Augen gingen forschend von[262] Sascha zu Mitschi, und ein stilles, schmerzliches Lächeln spielte um ihren Mund. Ihr liebes Gesicht hatte dann etwas Nachdenkliches, Sinnendes. – Wo war sie hergekommen? Welcher Storch hatte wohl sie gebracht? Wie kam es, daß von ihrer Ankunft nie die Rede war?

Anders bei Mitschi.

Sein schmales, braunes Gesicht wurde noch ernster, noch düsterer als sonst, und die »Tintenklekse« schauten auf den Vater mit strengem Blick, als wollten sie ihn zur Verantwortung ziehen für seine geschwärzte Existenz.

Saschas schönes Gesicht aber leuchtete in stolzem, ruhigem Glück. Der kleine Gott fühlte seine Erhabenheit und sah voll sanften Mitleids auf die herab, die nicht, gleich ihm, göttlichen Ursprungs waren.

Es war gewiß ein engelhaftes Kind, aber doch nur ein Menschenkind. Wie hätte die Güte und Reinheit seines Herzens, bei so maß- und vernunftloser Anbetung, nicht leiden sollen? Er hörte es so oft, daß die beiden andern tief unter ihm stehende Wesen seien, die ihn im Grunde gar nichts angingen, die man nicht zu lieben brauchte, da sie nichts bedeuteten, bis er es glaubte und seine Geschwister danach behandelte, wenn sie in ihren Spielen sich erlaubten, sich auf die gliche Stufe mit ihm zu stellen.

Machte ich Leopold darüber Vorstellungen, dann wurde er böse, und wollte von nichts hören. Mehr erreichte ich mit dem Kinde selbst, das zu edel war, um, wenn ich es sanft auf sein Unrecht aufmerksam machte, dieses nicht zu bedauern. Das aber durfte ich nur, wenn der Vater nicht zugegen war.

Es war natürlich, daß das Kind, das von seinem Vater angebetet und vergöttert wurde, nur die liebevollsten und zärtlichsten Worte von ihm hörte, diesem auch mit[263] der rührendsten, innigsten Liebe anhing, dagegen die Mutter, die es zuweilen tadelte, trotz aller Zärtlichkeit, doch nicht in demselben Maße liebte. So weh mir das auch tat, so freute ich mich doch auch wieder darüber, denn nicht nur, daß die beiden in dieser Liebe zueinander das reinste und schönste Glück genossen, das Menschenherzen empfinden können, ich fand in ihr auch die stärkste Hoffnung, daß der Vater den Kindern erhalten bleibe, und daß ich vielleicht auch darin den Ausweg finden werde aus dem düstern Geheimnis unserer Ehe. –

Gleich wie die ewige Verherrlichung und Bewunderung den Geist des einen Knaben schlecht beeinflussen mußte, so mußte auch die immerwährende Herabsetzung und Lächerlichmachung das Gemüt des anderen verdüstern und verbittern.

Diese Verdüsterung zeigte sich weder in einer Animosität gegen den schönen vergötterten Bruder, noch in Ungehorsam gegen den Vater, wohl aber in einem stillen Abwenden von den beiden. Sein kleines übervolles Herz wandte sich dafür in leidenschaftlicher Liebe seiner Mutter zu. Und diese Liebe verbarg er wie einen teuren Schatz, der ihm von den anderen entrissen werden konnte. Mir selbst verriet er sie nur im Geheimen und Verborgenen, wenn er sich unbewacht glaubte, verstohlen nach meiner Hand haschte und sie mit heißen heftigen Küssen bedeckte, oder in stummer Seligkeit sein kleines Gesicht hineinbarg.

Aber lange blieb diese Leidenschaft nicht verborgen, und als sie Leopold erst entdeckt hatte, überschüttete er das Kind mit Spott und Hohn. Wegen seiner ernsten Miene nannte er ihn »Schopenhauer« oder »Pessimist« und suchte ihm stets begreiflich zu machen, daß eine so kleine schwarze Kröte keine Ansprüche an Mama habe.[264] Einmal sagte er zu mir, als ich im Begriff war, auszugehen:

»Gib acht, daß du nicht dem Wolf begegnest und er dich auffrißt, wie das Rotkäppchen.«

Da stürzte der Kleine mit einem Schreckensschrei auf mich, umklammerte meine Knie und bat unter verzweiflungsvollem Schluchzen, ich sollte daheim bleiben.

Von dem Tage an glaubte mich das Kind in steter Gefahr, von allen Schrecken der Märchenwelt bedroht. Und Leopold, der nicht duldete, daß in seiner Gegenwart eine Fliege getötet wurde, lachte und freute sich über die marternde Angst des Kindes, in der dessen Liebe zu mir, nicht wie die Saschas zu ihm, ein schönes lachendes Glück, sondern ein großer quälender Schmerz wurde.

Und wenn es eine Wahrheit ist, daß heftige Kindheitseindrücke sich nie mehr im Leben verwischen, so ist dies ein Beleg dafür: dieses Kind ist heute ein beinahe dreißigjähriger Mann; seine Liebe zu mir ist mit ihm gewachsen und groß und stark geworden – aber sie ist ein Schmerz geblieben. Nicht eine Stunde in all diesen Jahren hat er aufgehört, für seine Mutter zu zittern, nur daß an Stelle der Märchenschrecken die Schrecken des realen Lebens und die Furcht vor der unvermeidlichen ewigen Trennung getreten ist.


Daß Kathrin von den Kindern den »Pessimisten« am meisten liebte, war vielleicht nicht der letzte Grund, daß mein Mann sie nicht leiden mochte. Sie hatte mir oft gesagt, welch reizenden Eindruck ihr die drei Kinder gemacht, als sie sie zum erstenmal gesehen. Da es ihr Plan war, mit uns nach Paris zu gehen, sobald es die[265] Verhältnisse gestatteten, das heißt, sobald Rochefort wieder dort sein würde, wiederholte sie immer wieder:

»Ihr habt keine Idee, welchen Effekt eure Kinder auf den Boulevards und im Bois machen werden, wenn sie mit einer russisch angezogenen ›Nurse‹ da spazieren gehen werden. Man wird ihre Bilder in den Zeitungen bringen, ihre Photographien ausstellen und Artikel über sie schreiben. Ganz Paris wird von ihnen sprechen – sie werden die beste Reklame für euch sein.«

Einige Zeit nachher hatte Lesseps die Idee der Kinder-Reklame viele Jahre hindurch mit großem Erfolg in Paris durchgeführt. –

Der Gedanke, mit seinem Sascha in Paris Aufsehen zu erregen, hatte für meinen Mann sehr viel Verlockendes. Allein Kathrin verdarb ihm aus Bosheit die Freude dadurch, daß sie stets nur von Mitschi sprach, dessen zierliche Gestalt mit dem kleinen braunen Zigeunergesicht und den leidenschaftlichen Augen das originellste Kind sei, das sie je gesehen.

Bei Beginn des Winters ließ ich den Kindern Mäntel aus haarigem mönchbraunen Tuch machen und dazu große runde Hüte aus weichem haarigen Filz in derselben Farbe; sie sahen so nett aus, daß Kathrin sich gleich denselben Mantel und Hut machen ließ. Es war jetzt ihre größte Freude, genau so wie die Kinder angezogen mit diesen spazieren zu gehen oder zu fahren. Sie sahen zusammen so hübsch und originell aus, daß es ein Vergnügen war, sie zu sehen: Kathrin war die älteste Schwester der Kleinen – das machte ihr viel Spaß.

Um diese Zeit wurde der junge Straßmann, der Sohn des Burgtheater-Schauspielerpaares, in Graz engagiert. Er debutierte als Armand in der »Camelien-Dame«, und[266] wir wohnten dieser Vorstellung mit Kathrin bei. Der junge Mann war noch sehr Anfänger, aber er war schön, so ungewöhnlich schön, daß man über seiner Schönheit beinahe ein unfertiges Spiel vergessen konnte.

Kathrin sah ihn durch das Glas lange und aufmerksam an, dann wandte sie sich mit einem fröhlichen Lächeln zu mir und flüsterte mir zu:

»Der ist zu schön, den muß ich haben.«

Und sie hatte ihn. Schon nach einigen Tagen war er gewonnen.

Wie sie es anstellte, in solchen Fällen immer so rasch ihren Willen erfüllt zu sehen, darüber erzählte sie mir nichts; nur von den vollzogenen Tatsachen machte sie mir dann mit ausgelassenem Spott Mitteilung.

Mit diesem Spott verschonte sie am wenigsten sich selbst, und kaum hatte das Vergnügen begonnen, da wußte sie auch schon sein Ende vorauszusagen. Nach ihrer Überzeugung blieb kein Mann einer Frau treu, und um keinem Manne den Triumph zu lassen, sie hintergangen zu haben, betrog sie jeden, noch ehe er Zeit hatte, auch nur daran zu denken, das gleiche zu tun. Sie sagte mir einmal darüber:

»Wenn du wüßtest, mit welcher Seelenruhe man dem Betrug eines Mannes entgegensieht, wenn man seine Revanche schon im Vorhinein genommen hat.«

Straßmann betrog sie mit einem jungen Engländer, Mr. J ..., der damals mit seiner Mutter in Graz lebte und viel mit der dortigen Aristokratie verkehrte.

Indessen glaube ich, daß sie Straßmann während der ganzen Dauer seines Engagements in Graz behielt, einzig wegen seiner Schönheit, an der sie sich wie an einem Kunstwerk erfreute.
[267]

Während Kathrin so von einer Liebschaft zur andern ging und sich mit ziemlich nichtssagenden jungen Leuten die Zeit vertrieb, wurde sie von einem hochachtbaren Manne in sehr ernster Weise geliebt: Hauptmann v.C... hatte seit den Tagen, da sie Pensionärin bei seiner Mutter war, nicht aufgehört, um sie zu werben.

Sie ließ sich diese Werbung gefallen, weil sie ihr schmeichelte, weil sich ein Generalstabsoffizier im Kreise ihrer Courmacher sehr gut ausnahm, ohne jedoch nur eine Sekunde lang die Möglichkeit ins Auge zu fassen, seine Frau zu werden.

Hauptmann v.C... war nicht nur ein schöner und eleganter Mann, er war auch ein guter, jedem sympathischer Mensch. Für Kathrin schien er eine tiefe Leidenschaft zu haben, aber nicht den Mut, sie ihr auszusprechen.

Übrigens war die Heirat das letzte, an das Kathrin dachte; sie wußte zu gut, daß sie für die Ehe nicht geschaffen war. Jeder Zwang war ihr ein Greuel, die Liebe ein lustiger Spaß, die Ehe aber eine schmutzige Lüge.

Eine Heirat mit einem Manne von gleichen Lebensansichten, der ihr große soziale Vorteile brächte, wie Rochefort mit der Aussicht auf die Präsidentschaft, das begriff sie. Sie schüttelte sich aber vor Abscheu, wenn man ihr von einer gewöhnlichen Heirat sprach.

Leopold, der sich darin gefiel, bei jeder Gelegenheit sein eheliches Glück zu preisen, konnte konsequenterweise nicht anders, als für die Heirat eintreten. Um sie zu ärgern, sagte er einmal zu ihr:

»Du könntest Gott danken, wenn du einen Mann wie Hauptmann v.C... bekämst.«[268]

Wie von einer Natter gestochen, sprang sie auf. Aber schon hatte sie die boshafte Absicht bemerkt, und fing zu lachen an.

»Nein,« sagte sie. »Gott wird ihn nicht so sehr strafen und mich ihm zur Frau geben – ich verdiene ihn nicht.«

»Und er dich nicht.«

»Amen.«

In diesem Augenblick ließ die Magd einen Dienstmann ein, der Kathrin eben einen Brief von C ... brachte. Während sie ihn las, bemerkte ich, daß derselbe Mann schon öfter mit Aufträgen von Kathrin gekommen war, und daß er sie ganz eigentümlich ansah.

Er war ein schöner, vielleicht kaum dreißigjähriger Mann, mit kühnem und zugleich schüchternem Ausdruck.

Nachdem er wieder gegangen war, sagte ich zu Kathrin:

»Wie der dich angesehen hat!«

Eine spitzbübische Heiterkeit blitzte in ihrem Gesicht auf, als sie antwortete:

»Er hat seinen Stand an meiner Straßenecke, wenn ich einen Dienstmann brauche, nehme ich ihn. Er ist verliebt in mich ... wenn ich ihn ansehe, wird er blutrot. Neulich ließ ich ihn ins Zimmer kommen, um ihm einen Brief zu geben. Ich kam eben aus dem Bade und hatte nur mein Baignoire an ... wie ich aufstehe, fällt es auseinander ... Du hättest den armen Teufel sehen sollen!«

Ich wußte schon, welch besondere Geschicklichkeit sie besaß, mit der unschuldigsten Miene von der Welt Männer in Situationen zu bringen, die ihnen den Schweiß aus allen Poren trieben.[269]

»Weiter,« sagte ich.

»O, weiter ... weiter ... Weiter bin ich noch nicht.«

»Wenn ich den Mann wiedersehe, werde ich ihm raten, dich bei nächster Gelegenheit zu vergewaltigen,« sagte Leopold.

»Ach, er ist ja zu dumm! Aber wenn ich wieder nach dem Theater allein nach Hause komme und er ist noch in der Straße, nehme ich ihn mit herein ... Das wird ihm eine schöne Erinnerung für sein ganzes Leben sein.«

»Das ist unmoralisch,« spöttelte Leopold.

Sie lachte. Dann wurde sie ernst: ein Gedanke schien sie zu beschäftigen. Plötzlich schaute sie uns mit leuchtenden Augen an und sagte:

»Oft habe ich Lust, auf die Straße zu gehen und, wie die reichen und guten Menschen in den schönen Geschichten, die man den Kindern erzählt, ihre Goldstücke den Armen schenken, meinen Körper armen jungen Leuten zu geben, die das entbehren müssen, weil sie es nicht bezahlen können –«

Sie schwieg, neigte den Kopf und schien wieder Gedanken oder Erinnerungen nachzuhängen. Ich beobachtete, wie ihre Wangen sich dunkel färbten, ein seltsames Lächeln ihre Lippen öffnete und ihre kleinen funkelnden Zähne sichtbar wurden.

Mit einem Male machte sie eine Bewegung, als wollte sie sich von etwas befreien, sprang auf und, ihre Arme ausbreitend, stand sie glühend erregt da und rief:

»Ja, ich habe es schon getan ... ich habe mich ganz armen Männern ... Soldaten ... hingegeben ... aus Mitleid ...«[270]

Sprachlos starrten wir sie an.

»Ich habe Rochefort einmal diesen Gedanken ausgesprochen ... er hat mich verhöhnt und gesagt, ich würde es nie ausführen können. Das reizte mich. Ich schlug ihm eine Wette vor. Er ging darauf ein. Wir reisten nach Straßburg. Dort ging Rochefort in ein Haus, das fast nur von Soldaten besucht wurde ... er bezahlte die Besitzerin, damit sie mir erlaube, meine Wette zu gewinnen ... sie willigte ein ... Es war grauenhaft ...! Als die Soldaten erfuhren, daß eine junge Französin ... umsonst ... Sie standen in der Straße und warteten ... Rochefort auf der anderen Seite ... Dann die Wut der Mädchen, die ich um ihren Verdienst gebracht ...«

Sie schwieg. Langsam sanken ihre Arme herab. Die Erregung war vorbei, und wie erstarrt von den Bildern, die an ihrem Geist vorüberzogen, blieb sie eine Weile unbeweglich. Dann rüttelte sie sich wieder auf und ließ sich darauf in den Sessel fallen. Etwas, das ich in ihrem Gesicht noch nie gesehen hatte, ein leiser Schatten von Scham und Verlegenheit, zog darüber hin.

»Als ich von dort wegging,« fing sie wieder an, »und die Mädchen uns durch die Fenster die gemeinsten Schimpfworte nachschrien, überfiel mich ein solcher Haß gegen Rochefort, daß ich vor Verlangen, ihm etwas anzutun, zitterte. Da er eine entsetzliche Angst hatte, erkannt zu werden, sagte ich ihm, ich würde ihn an den nächsten Polizeimann verraten und verhaften lassen. ›Ha, wie würden die Deutschen sich freuen, dich zu bekommen! und was das in Paris für einen schönen Skandal machen wird!‹ zischte ich ihm vor Wut zu. Wie er erschrak! ›Du wärst es imstande,‹ sagte er, und lief, so schnell er[271] nur konnte, nach der Bahn. Er war so komisch in seiner Angst, daß ich lachen mußte; darüber verflog mein Zorn.«

Ich sah sie an. War das alles wahr? Ja, es war wahr, ich mußte es glauben. Sie war fähig, alles zu tun, im Hohen wie im Niedrigen, wenn es nur eine augenblickliche Tat war.

So verlangte sie aus ihrer unruhigen, kraftvollen Natur heraus, aus ihrem Überfluß an Energie, und wie trunken von ihrem heißen, nach Lebenstätigkeit durstenden Blute, in aufregenden Handlungen, gefahrvollen Taten Beruhigung und Sättigung. Vielleicht hatte Leopold auch nicht ganz unrecht, wenn er ihr sagte, daß derlei generöse Ideen am Genfersee heimisch seien, und daß sie dafür an Frau v. Warens ein leuchtendes Vorbild hätte. Das aber wollte sie nicht hören ... ihr Spiel sollte man nicht durchschauen, da wurde sie schlechter Laune.

Einmal sagte sie mir:

»Siehst du, ich würde in ein brennendes Haus stürzen, um einen Hund zu retten, so wenig halte ich vom Leben. Aber, so wie du, jeden Tag, jede Minute, im Kleinen, stückweise mein Selbst hingeben, nie mir gehören, immer anderen, und nur, damit diese es bequemer haben, dazu wäre ich nicht imstande. Sterben ja, für was oder für wen es auch sei – aber leben, das will ich für mich. Darum will und werde ich nie Kinder haben, ich würde sie zu sehr lieben – und ich will nur mich lieben.«

Es lebte damals in Graz ein Graf G ... Er stammte aus einem berühmten französischen Adelsgeschlecht. Ein Verwandter von ihm spielte am Hofe Eugenies eine große Rolle und hatte seine ganze Kraft eingesetzt, um Frankreich in den Krieg zu treiben. Er selbst hatte in der österreichischen Armee gedient und war Offizier gewesen,[272] mußte aber wegen Armut und trauriger Geschichten, die sie im Gefolge hatte, die Uniform ablegen. Damit hatte er allen Halt verloren; er sank ganz herab und fristete sein Leben nur noch von kleinen Diebereien.

Einmal war von ihm in Gegenwart Kathrinens die Rede. Sie hatte aufmerksam zugehört und dann geäußert, das wäre eine Partie für sie, sie hätte Lust, den Mann zu heiraten, ihm eine Pension von 100 Frcs. monatlich zu zahlen, unter der Bedingung, daß er irgendwo, so weit als möglich von ihr, leben solle und sich nie bei ihr blicken lasse.

»Denkt nur,« sagte sie, »was ich in Paris als authentische Gräfin G ... für eine Stellung hätte!«

Jetzt kam sie wieder darauf zurück:

»Die idealste Heirat für mich wäre die mit Graf G ... Ich wäre Frau, ohne Mann, und Gräfin par dessus le marché ... Das wäre wenigstens ein ehrlicher Handel ... jeder weiß, was er bekommt ... Aber! ... Er ahnt mich nicht einmal ... Ce serait tout simplement malhonnête –«


Während seines Aufenthaltes in Salzburg war mein Mann dort mit dem Grafen Sayn-Wittgenstein und dessen Frau bekannt geworden und seitdem mit ihnen in Korrespondenz geblieben.

Wir wußten, daß der Graf eine Oper komponiert hatte. Nun bat er Leopold, er möge ihm zu deren Aufführung in Graz behilflich sein.

Nur mit schwerer Mühe brachte mein Mann den Direktor des Grazer Theaters dazu, sich zur Annahme der Oper zu entschließen. Allein der Graf war mit dem[273] Intendanten der Wiener Oper, Fürsten Hohenlohe, verschwägert – das wirkte bestimmend auf den Direktor. Die Aufführung stand bevor, und Graf und Gräfin Sayn-Wittgenstein wurden zu den letzten Proben in Graz erwartet.

Gerade um diese Zeit geschah etwas scheinbar ganz Unmögliches: Kathrin erkrankte an einer heftigen Halsentzündung.

Wie jede Gefahr, die ihr nahte, behandelte sie auch die Krankheit mit Verachtung. Die Neuheit des Falles schien sie sogar zu interessieren, denn trotz ihrer Erkrankung war sie in sehr guter Laune, als ich sie besuchte, und sagte, es amüsiere sie ungeheuer, einmal krank zu sein.

Das Vergnügen dauerte jedoch nicht lange, denn schon nach einigen Tagen war sie wieder wohl.

Während ihrer Krankheit waren die Wittgensteins angekommen und hatten uns besucht. Es war beinahe Mitleid erregend, wie die beiden aufgeregt und besorgt um das Schicksal ihrer Oper waren.

Sie hatten in Graz in Adelskreisen viele Freunde, und auch diese sahen dem Ereignis mit großer Spannung entgegen. Eines Tages kam der Graf wieder zu uns, aber ohne seine Frau. Er schien in großer Verlegenheit, sagte, der Anlaß, der ihn diesmal zu uns führe, sei ein schrecklich peinlicher für ihn, indessen ziehe er es vor, die Sache lieber offen zu besprechen, als Mißverständnisse entstehen zu lassen.

Ich sollte nämlich nicht erstaunt sein, wenn seine Frau nicht mehr zu mir käme, denn es würden so furchtbare Dinge über Fräulein Strebinger erzählt, daß es ihr unangenehm wäre, mit ihr bei uns zusammenzutreffen. Die Frauen der Aristokratie seien ganz wütend auf sie,[274] und die Gräfin fürchte, wenn man erführe, daß sie mit Fräulein Strebinger verkehre, für den Erfolg der Oper, der doch größtenteils von der Aristokratie abhänge.

Leopold frug, was denn so Schreckliches über Kathrin erzählt würde.

Baron P ..., sagte der Graf, habe im »Elefanten« bei Tisch in Gegenwart noch anderer Herren erzählt, daß ein Mann um zwei Uhr nachts aus Kathrinens Wohnung gegangen sei; er, Baron P ..., habe ihn selbst weggehen sehen.

Doch Kathrin war krank; es mußte ein Irrtum sein.

Nein, sagte der Graf, ein Irrtum läge nicht vor; es wohne ja in dem Hause nur der Baron mit seiner Mutter und das Fräulein. Baron P ... habe den Mann auch um Mitternacht kommen, das Tor mit dem Schlüssel öffnen und in Kathrinens Wohnung treten sehen. Darauf habe Baron P ... sein Ehrenwort gegeben.

Mein Mann erwiderte, Fräulein Strebinger sei seine Übersetzerin und unsere Freundin; ihre Moral sei ihre Sache, sie sei volljährig und frei. – Anstößiges sei bisher nicht vorgefallen. Die Befürchtungen der Gräfin müsse er als für seine Frau beleidigend zurückweisen.

Der arme Graf war in einer schrecklichen Lage. Mit Sacher-Masoch durfte er es nicht verderben, das wäre eine noch größere Gefahr für seine Oper gewesen, als der Verkehr seiner Frau mit Kathrin.

»P ... hat doch sein Ehrenwort gegeben,« wiederholte er kleinlaut.

»Das Ehrenwort eines Mannes, der eine Frau ausspioniert .... mein lieber Graf, ich begreife Sie nicht.«
[275]

Hatte Kathrin wirklich etwas getan, das uns kompromittierte, dann hatte sie ausgespielt; – im anderen Falle mußte der Graf abbitten. Das war die Meinung meines Mannes.

Einige Tage nachher war Kathrin wieder gesund und durfte ausgehen. Ihr erster Gang war natürlich zu uns.

Als Leopold ihren Wagen anfahren hörte, kam er in Aufregung.

Sie sah noch etwas bleich und schmal aus. Leopold fing gleich an:

»Du weißt, Kathrin, daß ich mich nicht in deine Angelegenheiten mische, oder mich zum Richter über deine Moral aufwerfe, allein, wenn du Dinge tust, die meiner Ehre nahe treten, kann ich nicht ruhig darüber hinweggehen.«

»So, was tritt denn von dem, was ich tu, deiner Ehre nahe?« frug sie, nicht beunruhigt, nur neugierig.

Und Leopold sagte ihr, was im »Elefant« vorgefallen war, und fuhr dann fort:

»Du kannst dir vorstellen, welchen Eindruck das auf den Grafen Wittgenstein und seine Frau gemacht hat. Die Gräfin will nicht mehr zu uns kommen, um nicht mit dir zusammenzutreffen. Du begreifst, wie verletzend das für uns ist. Tu was du willst, aber richte dich so ein, daß deine Freunde in deine Geschichten nicht mit hineingezogen werden, – das bist du ihnen schuldig. Bei unserm intimen Verkehr wird kein Mensch glauben, daß wir von dem, was du tust, nichts wissen – welches Licht fällt dabei auf Wanda?«

»Assez! Tu es un muffle und dein Graf ist auch einer,« rief Kathrin und zuckte verächtlich die Schultern.[276]

Dann wandte sie sich zu mir und erklärte mir wie alles gekommen.

Sie fühlte sich in einer Nacht sehr schlecht und glaubte ersticken zu müssen. Flora, ihr Mädchen, schlief nicht bei ihr, sie kam morgens und ging abends weg. In dieser Nacht war sie bis nahe an Mitternacht geblieben. Kathrin wollte, daß sie den Arzt nochmals zu kommen bitte, und damit das Mädchen nicht wieder zurückkommen müsse, befahl sie ihr, den Hausschlüssel dem Arzt zu geben, er möge das Tor selbst öffnen.

Der Arzt kam und da er den Hals sehr schlecht fand und fortgesetztes Einpinseln für nötig hielt, aber sah, daß die Kranke allein war, blieb er da, um die Einpinselungen selbst zu machen. Gegen zwei Uhr war der Hals freier, Kathrin fühlte sich leichter, und der Arzt verließ sie.

Kathrin erzählte das nicht etwa, um sich zu rechtfertigen, oder als ob sie fühlte, daß sie uns eine Erklärung schuldig sei; das war von ihren Gedanken gewiß weit entfernt; sie sagte es, weil es ihr ein Vergnügen machte, uns zu zeigen, wie köstlich es sei, daß la punaise zufällig gerade die Nacht gelauert hatte, wo kein Liebhaber, sondern der Arzt bei ihr war, und wie sie dank diesem Zufall jetzt das Recht habe, den Baron für sein Geklatsch zu strafen.

Sie war zornig und belustigt zugleich; denn auch das war Leben.

Eigentlich war mein Mann über den Erfolg seines »energischen Vorgehens« bei Kathrin etwas enttäuscht.

Mich dagegen hatte er überrascht – ich hörte ihm mit Erstaunen zu ... ich erkannte ihn nicht wieder. Mit welchem Eifer er für seine Ehre und die seiner Frau eintrat! Dieselbe Ehre, von der er mir in Bruck gesagt[277] hatte, daß sie durch die Leichtfertigkeit der Frau nicht berührt werde, war jetzt durch Kathrinens Leichtfertigkeit in Gefahr? Ihre Liebhaber sollten meine Ehre gefährden, dieselbe Ehre, die nicht in Frage kam, wenn es sich um sein Vergnügen handelte? Wie kompliziert war doch der Geist dieses Mannes! Werde ich mich je in ihm zurechtfinden? –

Am Abend desselben Tages kam Kathrin wie ein Sturmwind zu uns hereingejagt und rief:

»Je l'ai cravaché! Je l'ai cravaché!«

Es war am Landestheater die Gewohnheit, daß die feine Herrenwelt vor Beginn der Vorstellung vor der Konditorei Meyer stand und dort die Ankommenden besah und bekrittelte. Auch Baron P ... fand sich da stets ein.

Kathrin wußte das und war, mit ihrer Reitgerte bewaffnet, dahingegangen, um ihren Verleumder zu strafen.

Er wollte sich eben von seinen Freunden trennen, als sie auf ihn zutrat und sagte:

»Vous avez dit du mal de moi, tenez ... et ... tenez ... crapule!!« und sie schlug ihn rechts und links mit der Peitsche ins Gesicht.

Sie hatte es rasch und geschickt gemacht und ging bereits wieder ruhig die Straße hinunter, als die Freunde sich um den Geschlagenen scharten.

Das gab einen schönen Skandal in der Stadt. Der Adel war entrüstet über die »Fremde«, die sich das erlaubt hatte, man sprach von »Ausweisung«, aber noch mehr davon, daß das allbekannte Lästermaul P ... die Züchtigung verdient habe und daß noch einige da wären, die ebenso behandelt werden sollten. –

Wittgenstein kam und entschuldigte sich, er habe nicht[278] gewußt, daß P ... ein so verlogener Mensch sei, er möchte auch von Fräulein Strebinger Verzeihung erbitten, denn es täte ihm sehr leid um sie.

Baron P ... sandte Graf Spaur mit noch einem Herrn, um Leopold zu fragen, ob er bereit sei, sich mit ihm zu schlagen.

Mein Mann antwortete den Herren, er sei verheiratet – würde er sich für Fräulein Strebinger schlagen, so könne es leicht falsch ausgelegt werden.

Hauptmann v.C... bat Kathrin, ihm zu erlauben, Baron P ... zu fordern; das wollte sie aber um keinen Preis. –

Die beiden »Wanzen« gingen für einige Zeit aufs Land, und damit war der Sieg Kathrinens vollständig.


Unterdes war der Tag der ersten Aufführung der Oper herangekommen.

Man konnte von Kathrin nicht erwarten, daß sie für den Komponisten oder sein Werk eine besondere Liebe habe. Sie wünschte sogar aufrichtig, die Oper möge durchfallen, und tat alles, um diesen Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen.

Das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Sie hatte für den Abend zwanzig Sitzplätze gekauft und ließ diese von ihrem Dienstmann unter seine Kollegen verteilen mit dem Auftrage, sobald im Hause applaudiert würde, aus voller Kraft zu pfeifen und zu zischen. Außerdem erhielt jeder Mann noch einen Gulden für seine Mühe.

Es war ein brillanter Saal; die Logen alle gedrängt voll, die Damen in besonders schönen Toiletten und alle[279] Welt in animierter Stimmung. Unsere Loge befand sich der des Grafen Wittgenstein gegenüber. Kathrin suchte ihre Kriegsleute: sie waren alle an ihren Plätzen. In ihren schönsten Kleidern saßen sie da, steif und würdevoll und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Nach dem ersten Akt gab es ein allgemeines sehr eifriges Beifallklatschen in den Logen. Kathrin horchte auf. Weder Zischen noch Pfeifen war zu hören – nichts als Beifall.

Wieder schaute sie auf ihre Krieger – und gerade diese warens, die mit ihren großen breiten Händen klatschten, als wären sie dafür bezahlt, und als läge ihnen daran, zu zeigen, daß sie den erhaltenen Lohn durch ihre Leistung auch verdienen wollten.

Kein Zweifel: die Leute hatten das schlechte Deutsch Kathrinens nicht verstanden und sich die Sache so zurechtgelegt, daß die feine junge Dame das »Stück«, das von einem Grafen gemacht war, beklatscht haben wollte. Also klatschten sie.

Kathrin fand das Mißverständnis so lustig, daß sie in lautes Lachen ausbrach und nun auch ihrerseits zu applaudieren begann; denn da ihr böser Plan nun einmal fehlgegangen war, entschloß sie sich rasch zu der schönern Rolle: dem Werk des Feindes Beifall zu zollen.


Seltsam und unbegreiflich war es mir, daß mein Mann ohne jede geistige Fühlung mit anderen Menschen blieb, selbst zwischen ihm und seinem Bruder bestand kein seelisches Band.

Ich war ernüchtert und von allen Illusionen über meine geträumte »schöne Aufgabe« zurückgekommen und[280] von dem ewigen Einerlei des Themas »Venus im Pelz« bis zur Erschöpfung ermüdet – er hatte nichts davon bemerkt.

Eine äußere Veränderung an mir würde er sofort wahrgenommen haben – für eine seelische war er blind.

Vieles aus seinem früheren Leben fiel wie ein Licht auf meine Gegenwart – vieles habe ich selbst erlebt und beobachtet, was mich mit zwingender Gewalt zur Erkenntnis meiner Lage drängte und mein Herz gegen den Mann erkaltete, dem ich physisch angehörte um den Preis, meine Kinder zu behalten und erziehen zu können. – Dennoch fühlte ich mich nicht unglücklich. Für das, wonach mein Mann nicht fragte, für alles, was mein Herz bewegte, fand ich bei meinen Kindern dankbare Verwendung. Und neben meinem reichen Heim lag da draußen noch die ganze Welt vor mir, das Leben, das zu erkennen ich mich stets bemühte und das zu beobachten ich nie müde wurde. –


Es war gewiß, daß Kathrin einen physischen Einfluß auf mich ausübte, dessen ich mir lange nicht bewußt wurde. Wenn sie ins Zimmer trat, wurde es gleichsam heller in mir, und wenn sie ging dunkler. Nicht daß ich mich nach ihr sehnte, wenn sie nicht da war; dann dachte ich kaum an sie; dazu hätte ich mich langweilen müssen, und das tat ich nie.

An einem Morgen kam sie früher als sonst zu mir und ließ sich von ihrem Friseur, den sie hierherbestellt hatte, frisieren. Ich saß dabei, während dies geschah, und sah zu, und da sah ich etwas, das mich beinahe in Schrecken setzte.

Der Mann löste ihr die Frisur und das Haar fiel ganz[281] schlaff herab; als er es aber kämmen wollte, fing es an, sich zu erheben und aufzubauschen; es schien, als ob es immer mehr würde, und wenn er den Kamm hindurch zog, hörte man ein leises knisterndes Geräusch; schließlich stand es beinahe horizontal um ihren Kopf.

»Aber was hast du für merkwürdiges Haar!« sagte ich, angstvoll auf das Phänomen schauend.

»Das Haar von Fräulein,« bemerkte der Friseur, »hat sehr viel Elektrizität in sich. Wenn es dunkel wäre, würde man gewiß beim Kämmen Funken sehen.« Kathrin lachte.

Seit meiner letzten Niederkunft litt ich an stets wiederkehrenden Kopfschmerzen, ein Leiden, das ich früher nicht gekannt. Meist dauerte es 2–3 Tage und war so heftig, daß ich vor Schmerz wie blödsinnig wurde.

An einem Tage, an dem ich den Kopfschmerz bereits kommen fühlte und eben dabei war, Vorbereitungen zu treffen, um den folgenden Tag im Bett bleiben zu können, kam Kathrin und bat mich, mit ihr ins Theater zu gehen. Ich sagte, daß ich nicht daran denken könne, daß das genügen würde, die Schmerzen gleich unerträglich zu steigern. Aber sie bat und bat, und da ich wohl sah, daß sie einen besonderen Grund haben müsse für den Theaterbesuch, gab ich endlich nach und wir gingen.

Man gab »Undine«. Ich saß mit halbgeschlossenen Augen, auf die Musik lauschend, Kathrin mir gegenüber. Mir wurde immer leichter und besser – bald hatte ich gar keine Schmerzen mehr und fühlte meinen Kopf ganz frei und klar.

Es war gewiß nicht die Musik, die mich von meinem Leiden befreite, auch nicht die Menschen oder die Gasflammen, und noch weniger die Theaterluft, denn in all dem[282] hatte ich schon öfter Gelegenheit gehabt, die Dauerhaftigkeit meiner Kopfschmerzen zu erproben, ja, ich hatte sie mir gerade im Theater geholt.

An einem Abend lag ich mit meinem alten Leiden bereits im Bett, als Kathrin kam.

Leopold schrieb in seinem Zimmer. Die Kinder schliefen schon; in dieser Ruhe fühlte ich meine Qual noch intensiver. Kathrin setzte sich ganz still und geräuschlos auf mein Bett und sagte leise:

»Du mußt nicht unruhig werden, wenn ich bei dir bleibe. Lieg nur ganz still, mach die Augen zu und sprich kein Wort. Laß mich allein reden, vielleicht zerstreut es dich.«

Und dann fing sie in gedämpftem, sanftem Ton, der von ihrer gewöhnlichen lebhaften lauten Art ganz verschieden war, von ihrer Kindheit zu erzählen an: von ihrer schönen Schweiz, ihrem geliebten See, seinem frischen blauen klaren Wasser, in das sie so gern hineintauchte, es durchschwamm, bis sie müde wurde, sich auf den Rücken legte und sich von ihm schaukelnd tragen ließ, während seine Wellen ihren jungen Leib liebkosten und ihr Blick sich an dem tiefen Blau des weiten Himmels über ihr festsog. Oder wie sie sich heimlich von Hause wegstahl und in die Berge flüchtete vor all der kalten Frömmigkeit, die sie daheim bedrängte, und wie sie nicht anhielt, bis sie auf dem höchsten Gipfel angekommen war und die Welt und all die Menschen, die sie so haßte, unter sich sah, und sich einbilden konnte, daß sie sie mit Füßen trat; und wie sie dann im Walde nächtigte, ohne Furcht und ohne Schrecken vor den Tieren, bis die Sonne durch die Bäume schimmerte und sie weckte; wie sie in den Weinbergen mit Trauben ihren Hunger stillte und Eidechsen mit der Hand fing,[283] nachdem sie sie durch Pfeifen aus dem Steingeröll gelockt hatte. Und dann die Heimkehr, die »Züchtigung« durch Hunger und Schläge, die sie stumm und tränenlos hinnahm, überzeugt, daß sie sich mit der erbarmungslosen Strafe das Recht zu neuen Streichen erkaufte.

So erzählte sie und ich hörte ihr zu. Ich folgte ihr auf allen ihren Wegen; ich ging mit ihr hinunter an den See und stand am Ufer und sah zu, wie sie sich in die blauen Fluten warf und hinausschwamm, so weit, daß ich sie nicht mehr sehen konnte und mich um sie ängstigte, bis ich ihr schönes, von der Sonne beleuchtetes Haar gleich einer glänzenden goldenen Welle auf mich zukommen sah. Ich stieg mit ihr die Berge hinauf, auf schmalen mühevollen Pfaden und schmiegte mich nachts angstvoll an ihre Seite, denn ich war nicht kühn und mutig wie sie und fürchtete die Tiere des Waldes. Und als der Morgen kam, fühlte ich, wie die Sonne durch meine geschlossenen Lider drang, und ihr warmes Licht die schmerzende Spannung meiner Nerven löste.

Als sie schwieg, neigte sie sich über mich und sah mich an; sie meinte wohl, ich schliefe, aber ich öffnete die Augen und blickte sie groß und klar an.

»Und dein Kopfschmerz?« frug sie. »Wo ist er?«

»Ich weiß es nicht. Im See oder im Wald – irgendwo habe ich ihn verloren, denn ich habe ihn nicht mehr.«


Ende April 1879 reisten wir nach Wien. Leopold war eingeladen worden, im Ringtheater Vorlesungen zu halten, und hatte mit Freuden angenommen. Kathrin begleitete uns.

Es waren unruhvolle, bewegte Tage. Mein Mann[284] suchte alte Bekannte auf oder solche ihn; er knüpfte neue Verbindungen an und da man ihn überall sehr gut empfing und ihm freundlich entgegenkam, war er in sehr guter Stimmung.

Am Abend nach der Vorlesung soupierten wir mit mehreren Herrn; unter diesen war Ferdinand v. Saar. Er saß neben Kathrin und ich habe allen Grund zu glauben, daß das arme Dichterherz in dieser Nachbarschaft recht unruhig geschlagen haben mochte.

Es war merkwürdig, daß Kathrin, die an Liebe im edlern Sinne nicht glaubte und der Hingabe an einen Mann gar keine Bedeutung beilegte, auf ernste Männer mit starken, tiefen Empfindungen stets einen überwältigenden Eindruck machte, während sie auf gewöhnliche, oder raffinierte, die ihr gleichsam geistig verwandt waren, nur wenig Anziehungskraft ausübte, oder sie ganz kalt ließ.

Hauptmann v.C... liebte sie gewiß aufrichtig, denn er hörte nicht auf, um sie zu werben, obgleich er wohl ahnen mußte, wie wenig Hoffnung er hatte, sie zu gewinnen.

Und jetzt blickte v. Saar auf sie, wie man in ein Paradies blickt, von dem man weiß, daß es sich wohl für andre, nie aber für uns öffnen wird. –

Am andern Tage sagte Leopold zu Kathrin:

»Du, Kathrin, Saar hat sich sterblich in dich verliebt. Willst du ihm keine Gnade erweisen?«

»Nein.« Ihr Gesicht wurde ganz ernst.

»Warum nicht? Dir liegt doch so wenig daran.«

»Ach, laß mich. Ich würde ihm ja ins Gesicht lachen, wenn er mich anschwärmen würde ... Es ist besser, er behält eine schöne Illusion von mir, als eine häßliche Enttäuschung.« –
[285]

An einem Abend war mein Mann in eine Herrengesellschaft gegangen. Auch Kathrin war den Abend mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, und so saß ich denn allein in meinem stillen Hotelzimmer, froh, mich ausruhen und für ein paar Stunden mir selbst angehören zu können.

Ich hatte mich umsonst gefreut. Besuch kam auf Besuch. Den Anfang machte Herr Goldbaum von der Neuen freien Presse, dann kam ein anderer, und wieder ein anderer. Was war das?

Ich befahl dem Kellner, niemanden mehr heraufzulassen und hatte endlich Ruhe.

Aber was war das?

Warum kamen all diese Herren gerade den Abend, wo ich allein dasaß?

Diese Frage stellte ich mir damals in aller Unschuld, und ich stellte sie mir später bei ähnlichen Gelegenheiten noch öfter, aber mit immer weniger Unschuld, bis ich endlich zur Erkenntnis gelangte, daß die Welt sich berechtigt glaubte, sich über die Frau des Sacher-Masoch »Ideen« machen zu dürfen. –

Mein Mann hatte mir gesagt, daß der Leichtsinn der Frau die Ehre des Mannes nicht berühre – ich hätte ihm jetzt antworten können, daß das Umgekehrte leider nicht der Fall ist, daß die Lebensführung des Mannes der Frau ein moralisches Gepräge aufdrückt.

Und die Welt wußte damals mehr von Sacher-Masoch als ich!

Dazu kam noch, daß ich in seiner Gegenwart immer ein Benehmen zur Schau tragen mußte, das die Männer anzog.

Gab er doch jetzt fast jeden Tag ein Inserat in das[286] »Wiener Tagblatt«, nur um einen Griechen zu finden; mußte ich doch jetzt in den Stadtpark zu den Rendezvous gehen, die er von weitem beobachtete.

Wie viele Legenden, wahre und falsche, waren über uns in Umlauf! War es zu erstaunen, daß mir Männer, die ich kaum kannte, dreiste Dinge zu sagen wagten, überzeugt, daß sie an der rechten Adresse waren, und Frauen mir von ihren Liebschaften erzählten, ganz sans gêne, waren wir doch »unter uns«? .....


Wir waren etwa drei Wochen in Wien geblieben, und während dieser ganzen Zeit hatte mein Mann nicht einen seiner Anfälle. Er schrieb jeden Morgen 2–3 Stunden und war den Rest des Tages und abends unermüdlich und frisch und munter bei allen Zerstreungen, die ihm da geboten wurden.

Die Zeitungen hatten über die Vorlesungen sehr gut berichtet, mit Ausnahme des »Wiener Tagblattes«, was Sacher-Masoch auf Rechnung Frischauers setzte. Er nahm sich vor, es ihm heimzuzahlen.

Ich weiß nicht, warum zwischen den beiden, die früher unzertrennlich waren, ein solcher Haß herrschte, aber Frischauer war während einiger Zeit das bête noire meines Mannes.

Frau Frischauer hatte einmal von Sacher-Masoch gesagt, er sei naiv wie ein Kind und boshaft wie ein Affe, und das war ein wahres Wort.

Seine Artikel im »Wiener Leben« machten ihm dann am meisten Vergnügen, wenn sie keine erfundenen Stoffe, sondern Personen und Verhältnisse behandelten, die er[287] kannte. Er liebte, wie Kathrin, die Bosheit um der Bosheit willen, ohne sich um die Person dabei zu kümmern.

Hatten diese Artikel für Graz ein besonderes Interesse, dann ließ sie der Herausgeber in der Stadt sehr auffällig affichieren – und Entrüstung und Absatz waren gleich groß

Um die Meinung, er sei der Verfasser der Artikel, irrezuführen, noch mehr aber, um sich einen Spaß zu machen, behandelte er auch uns selbst im »Wiener Leben« satirisch. Es erschien zuerst ein Gedicht auf Kathrin nach dem »Mädchen aus der Fremde«, das so anfing:


»In einer Stadt von Abderiten,

Erschien, es ist jetzt kaum ein Jahr,

Mit riesengroßen Rembrandthüten

Ein Mädchen hübsch – und sonderbar.«

usw.


Leopold hatte dafür gesorgt, daß das Gedicht in der Straße, in der Kathrin wohnte, in sehr schreienden Plakaten angekündigt wurde. Wie sie nur aus dem Hause trat, mußte sie es lesen.

Sie kam mit einem Satz zu uns, umarmte und küßte meinen Mann und war ganz toll vor Freude über die prächtige Reklame, die er ihr gemacht.

Acht Tage später kam ein Gedicht auf uns, oder vielmehr auf mich, nach dem »Kennst du das Land?«, das viel zu schmeichelhaft war, als daß es jemanden über seinen Verfasser im Unklaren ließ.

Die pekuniären Erfolge dieser Artikel waren es wohl, die einen Verleger in Graz veranlaßten, Sacher-Masoch den Vorschlag zu machen, satirische Wochenhefte erscheinen zu lassen. Dieser ging gern darauf ein, und bald erschienen[288] die »Schwarze Punkte« und machten böses Blut. –


Schon im Juni war ich mit Kathrin wieder in Wien.

Das »Wiener Tagblatt« hatte über Kathrin etwas gebracht, ich glaube die Affäre P ... betreffend, das der Wahrheit nicht entsprach. Darüber erbost, wollte sie sofort eine Berichtigung verlangen und um diese ohne Zeitverlust zu erreichen, hielt sie es für nötig, selbst nach Wien zu reisen. Sie hatte ja bereits unter den dortigen Journalisten Freunde, diese sollten ihr zur Hand gehen. Sie wünschte, daß ich sie begleite, mein Mann wünschte es auch, da ich gleichzeitig einige Geschäfte für ihn besorgen sollte.

Wir hatten auf den Bahnen freie Fahrt, die auch Kathrin zustatten kam, wogegen sie sich verpflichtete, die Hotelkosten allein zu tragen – der wichtigste Vorwand, den ich gehabt hätte, die Ausgaben der Reise zu vermeiden, fiel damit weg, und so mußte ich mit.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, welcher Anlaß es war, der uns mit dem Fürsten Camillo Starhemberg in Korrespondenz gebracht hatte, und wieso es kam, daß sich an ihr bald auch Kathrin beteiligte.

Wir fuhren mit dem Eilzug. Kaum hatte dieser den Bahnhof verlassen, als mir der Kondukteur eine Karte des Fürsten brachte, der mit demselben Zuge nach Wien fuhr, und mich bat, uns in Mürzzuschlag begrüßen zu dürfen.

Was war das wieder?

Fürst Starhemberg hatte mich nie gesehen, wie wußte er von meiner Reise? Wie hatte er mich erkannt?[289]

Ich sah Kathrin an – sie lachte.

»Was hast du denn vor? Willst du ihn denn der Strubel abwendig machen?«

Sie antwortete nicht, aber ich sah wohl, daß es so war. Sie brauchte von einem Manne nur zu wissen, daß er eine Frau liebe, und sie jagte nach seinem Besitz.

In Mürzzuschlag trafen wir mit dem Fürsten zusammen. Ich fand ihn ganz so einfach und liebenswürdig, wie ihn mir ein alter Freund seines Hauses, Oberst Engelhofer in Graz, oft geschildert hatte. Während wir plaudernd auf dem Perron auf und ab gingen, ahnte er wohl nicht, wieviel ich von ihm wußte und wie gut ich ihn kannte.

Bei unserer Ankunft in Wien besorgte er uns einen Wagen und unser Gepäck, und als er hörte, daß wir im »Erzherzog Karl« absteigen würden, sagte er, es freue ihn, unser Nachbar zu sein, denn er werde gegenüber im Hotel Munsch – ich glaube, so hieß es – wohnen, und sich erlauben, am anderen Tage nach unserem Befinden zu fragen.

Er kam auch und blieb in sehr anregendem Gespräch länger bei uns, als das sonst bei solchen Besuchen Brauch ist. Dann trafen wir ihn wieder im Speisesaal des Hotels, und am Abend kam er nochmals, um sich nach mir zu erkundigen, weil ich am Tage nicht ganz wohl war.

Zu den Journalisten, deren Bekanntschaft Kathrin gemacht und mit denen sie in Relation geblieben war, gehörte auch ein Herr Fuchs, ein kleines zierliches Männchen, den sie ihr »Füchschen« nannte, und dieser stand ihr bei, die Berichtigung in das »Wiener Tagblatt« zu bringen.

Diese erschien und befriedigte Kathrin vollständig.[290]

Wir blieben nur wenige Tage in Wien. Die Briefe, die mir mein Mann hierher schrieb, werden am besten unser gegenseitiges Verhältnis und unsere Lage beleuchten:


»Graz, 17. Juni 1879.


Liebe Wanda!


Ich habe mir gedacht, daß Kathrin nicht wegen der Tagblatt-Affaire nach Wien fährt. Weshalb hat sie denn das Rendezvous mit Starhemberg verschwiegen?

Wir sind Gottlob alle wohl.

Von der ›Heimath‹ kam ein Brief, die kleine Novelle ist angenommen, aber sie können erst am 1. Juli zahlen.

Geh doch gleich zu Emmer und bitte ihn, uns die achtzig Gulden gleich zu verschaffen.

Gestern kam ein sehr herzlicher Brief von Rochefort. Heute zeigt mir Busnach an, daß der ›Emissär‹ im Odeon-Theater fest angenommen ist. Der Direktor selbst aber will, daß das Stück aus Rücksicht für meinen Namen und die Erfolge meiner galizischen Romane nicht in Cuba, sondern doch in Galizien spielte, was Busnach angenommen hat.

Also doch Pelze!

Der Direktor des Odeon kommt im Sommer nach Wien und wird mich aufsuchen.

Gestern kam eine glänzende Kritik aus dem Londoner ›Spektator‹, vier Spalten über beide Teile des ›Vermächtnis Kains‹, die ›Ideale unserer Zeit‹ und den ›Neuen Hiob‹. Ich werde Turgenjew an die Seite gestellt. Die ›Hasara Raba‹ wird in ihrem Humor als geradezu unnachahmlich bezeichnet.[291]

Von Mauthner kam sehr lieber Brief. Von Paimann Geld erhalten und an Enterich geschickt.

Gestern abend unterhielt ich mich mit Deinem Hermelinpelz.

An den Haaren ist ein leichter Duft Deines Götterleibes zurückgeblieben, der mich entzückt hat.

Ich küsse Deine kleinen Füße.

Dein verliebter Sklave.«


»Graz, 18. Juni 1879.


Liebe Wanda!


Gestern schrieb ich poste restante. Du wirst wohl den Brief erhalten haben?

Gehe doch vormittag zehn Uhr zur Heimat und biete alles auf, die achtzig Gulden zu bekommen. Wir haben alles versetzt, um noch ein paar Tage leben zu können.

Mit den Vorlesungen steht es schlecht. Ich habe Träger geschrieben, daß ich ohne Garantie nicht lese. Unsere Lage ist nicht danach angetan, um auf Abenteuer auszugehen. Es ist besser, ich bleibe in Graz und arbeite die Operette und das Stück für Tewele, wenn dann noch ›Unsere Sklaven‹ im Ringtheater und der ›Emissär‹ in Paris dazu kommen, werden wir diesen Winter aus allen Sorgen heraus sein.

Für Kathrin sind bisher weder Briefe noch Geld gekommen.

Holzinger sagt mir, daß J ... und seine Mutter doch sehr graviert sind. Sie hat Geschäfte à la Spitzeder gemacht. Beide stehen unter Polizeiaufsicht. Alle Kinder[292] sind wohl und lieb. Daß ich glücklich wäre, wenigstens einen Fußtritt von Dir zu erhalten, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen.

Herzliche Grüße an Kathrin und die Wiener Freunde.

Dein

Leopold.«


»Graz, 19. Juni 1879.


Mein geliebtes Weib!


Dein Brief hat mich namenlos glücklich gemacht. Bis jetzt habe ich mir eingebildet, daß Du mich gar nicht liebst, und dies hat mich oft niedergedrückt und meine Tatkraft gelähmt. Jetzt, wo ich Deine Liebe habe, werde ich alles heiter ertragen, nicht den Mut verlieren und mit Passion arbeiten.

Wir kommen noch bis Samstag aus. Was aber dann?

Geh noch einmal zu Emmer, sage ihm offen, daß unsere Lage momentan eine sehr schlimme ist, und biete alles auf, die achtzig Gulden zu erhalten.

An ›Pester Lloyd‹ sandte ich ein neues Feuilleton und bat sehr dringend um die fünfzig Gulden für die beiden ersten.

Rochefort schreibt heute wieder sehr lieb und sendet eine Notiz aus dem ›Voltaire‹, der bereits die Annahme des ›Emissär‹ annonciert. Es ist also kein Zweifel mehr, daß das Stück im Herbst in Paris gegeben wird.

Gerade jetzt, wo ich weiß, daß Du mich liebst, wäre es für mich eine wollüstige Qual, wenn Du die ›Venus im Pelz‹ in Szene setzen wolltest.[293]

Wir sind alle gesund. Gestern war W ... da; er scheint in Kathrin sehr verliebt zu sein.

Ich küsse Dich tausendmal.

Leopold.«


Graz, 20. Juni 1879.


Liebe Wanda!


Die Berichtigung im Tagblatt macht sich sehr gut. Das Tagblatt ist durch dieselbe furchtbar blamiert, denn die Glossen, die Schembera beifügt, sind matt und nichtssagend.

Ich sehne mich sehr nach Dir.

Geh doch zur Heimath und trachte die achtzig Gulden zu erhalten.

Den Brief mit fünf Gulden von Mürzzuschlag erhielt ich. Ebenso heute die zweiten fünf Gulden.

Soeben erhalte ich einen Brief von Direktor Strampfer. Vom 15. Oktober bis 15. November spielen im Ringtheater die Meininger. Das ist sehr gut für mich, denn dadurch gewöhnt sich das Publikum wieder ins Ringtheater zu gehen, ehe mein Stück dran kommt.

Meine Bedingungen hat es angenommen.

Also von allen Seiten winkt das Glück, sei Du nur jetzt einmal stark, gib Dich nicht hin, sei mein treues, liebendes Weib und meine strenge Gebieterin, meine wollüstige, grausame »Venus im Pelz« zu gleicher Zeit. Löse dieses schwierige Problem, das für Dich so leicht ist, und wir gehen alle einer lachenden Zukunft entgegen.

Es küßt Dich tausendmal

Dein

Leopold.
[294]

»Graz, 21. Juni 1879.


Liebe Wanda!


Ich bin recht unglücklich, daß das Geld gestern doch nicht gekommen ist. Schon hoffte ich, Dich heute abend in Deinen Hermelinpelz schlüpfen zu sehen, mein gutes, schönes Weib mit Küssen zu bedecken, Deinen Fuß, angebetete Herrin meines Lebens, auf meinem Nacken zu fühlen, Dein Lachen über den verliebten Mann zu hören – nun heißt es wieder: warten.

Wir sind alle gesund; die Kinder küssen Mama und bitten sie, bald zu kommen.

Denke Dir meine Überraschung, als ich heute die Morgenpost zur Hand nehme und ein Feuilleton über Kathrin finde, in dem Zistler energisch ihre Partei ergreift und ihre ganze Berichtigung abdruckt. Es ist um so schöner von Zistler, da ich ihn seither nicht sprach, also nichts in der Sache tat. Er hat es ganz aus eigenem Antrieb getan.

Auch Holzinger nimmt mit vielem Feuer Kathrinens Partei.

Dein lieber Brief hat mich so glücklich gemacht, daß ich es gar nicht aussprechen kann.

Sei nur jetzt recht lieb mit mir und nimm Dir die Mühe, mich endlich einmal ganz zu unterjochen, ich will keinen Atemzug mehr ohne Deinen Willen tun. Sei recht zärtlich und recht grausam, ich bete Dich so schon an, dann werde ich wie ein Hund gehorsam und demütig zu Deinen Füßen liegen.

Es küßt Dich tausendmal

Dein Sklave

Leopold.«
[295]

Kathrin hatte schon seit Monaten ihre Beziehungen zu J ... ganz abgebrochen: er hatte sie gelangweilt, und sie gab ihm den Laufpaß. Noch vor unserer Abreise hörte sie von den Gerüchten, die über ihn und seine Mutter wegen Schwindeleien im Umlauf waren. Was mein Mann mir darüber nach Wien schrieb, bestätigten sie.

Gleich nach ihrer Rückkehr von Wien knüpfte Kathrin wieder mit J ... an. Wo es nur möglich war, zeigte sie sich mit ihm öffentlich, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß sie ihm auch die Mittel gab, Graz zu verlassen. –

Bei dieser Gelegenheit sagte ihr Leopold einmal:

»Höre, Kathrin, du solltest in deinem Verkehr mit J ... vorsichtiger sein. Er ist durch seine Mutter doch stark kompromittiert.«

Sie sah ihn voll Hohn an.

»Wenn du dich auf den Standpunkt der Muffles stellst, dann hast du Recht. Das ist aber mein Standpunkt nicht.«

»Es gibt aber Fälle ...«

»Hör' mir auf!« unterbrach sie ihn heftig.

»Es gibt Kinder, die nicht gefragt werden, von welchen Eltern sie zur Welt kommen wollen ... und es gibt Dummköpfe, die sie dann für alle Gemeinheiten der Eltern verantwortlich machen wollen. Wundert mich, daß du dich zu diesen schlägst. Glaubst du, daß, wenn wir uns unsere Eltern aussuchen könnten, wir nicht sehr oft eine andere Wahl getroffen hätten? Ich gewiß.« –

»Du kannst doch nicht wissen, ob J ... nicht mit die Hand im Spiele hatte bei den Schwindeleien seiner Mutter.«

»Das wäre ebensowenig erstaunlich, als es erstaunlich[296] wäre, wenn deine Buben dein Talent geerbt hätten. Das wäre für sie recht angenehm – aber ihr Verdienst wär's nicht. Wenn J ... ein Lump ist, dankt er es seinen Eltern. Leute mit physischen oder intellektuellen Defekten sollen keine Kinder haben.«

»Du hast sonderbare Ideen!«

»Jeder hat die Ideen, die aus seinen Lebenserfahrungen herauswachsen ... Ich hab's mit meinen Eltern schlecht getroffen.« –

»Wenn du selbst erst Kinder haben wirst, wirst du sie samt ihrer Fehler lieben.«

»Ach, bist du dumm! Wer spricht denn davon, ob man sie liebt oder nicht liebt, wenn sie einmal da sind. Haben soll man keine, darum handelt sich's. In meinen Augen ist es ein Verbrechen, Kinder in die Welt zu setzen, wenn man ihnen nicht die Grundbedingungen für ihr künftiges Wohl, Gesundheit, klaren Verstand und materielle Mittel mitgeben kann. Et encore ...«

»Nach solchen Grundsätzen würde die menschliche Rasse bald aussterben.«

»Et puis après! ...«

Ich war froh, daß das Thema angeregt worden war, und sagte jetzt:

»Kathrin hat recht. Unter neunzig von hundert Fällen ist es leichtsinnig und gewissenlos, Kinder zu haben.«

»Aber Wanda, wie kannst du das sagen!« rief mein Mann. »Du, die als Mutter so glücklich ist.«

»Wenn ich glücklich bin, so will das nicht heißen, daß es die Kinder auch sein werden. Und was ist das für ein Glück, diese ewige bleischwere Angst um ihre Zukunft! Nach dem, wie sich das Leben mir geoffenbart hat, durfte ich keine Kinder haben. Es schnürt sich mir[297] das Herz zusammen, wenn ich denke, welchen dummen und grausamen Zufällen sie ausgesetzt sein werden. Ich fühle mich so schuldig gegen sie, daß ich Tag und Nacht nur daran denke, wie ich es machen soll, um sie jetzt so glücklich als möglich zu machen, um sie wenigstens in etwas für das Unrecht zu entschädigen, das ich ihnen getan, indem ich ihnen das Leben gegeben.«

Mein Mann sah mich groß an.

»Ja, ja, sieh mich nur an. Es war unverantwortlich leichtsinnig von uns, Kinder zu haben.« –

Kathrin war gegangen. Es war spät in der Nacht, und wir saßen jetzt allein, die schlafenden Kinder um uns.

Eine Weile schwieg Leopold, dann sagte er:

»Um Gotteswillen, wie kannst du nur so traurige und trostlose Gedanken haben? Ich sehe die Zukunft unserer Kinder durchaus nicht so trübe wie du.«

»Weil du den Blick immer nur auf einen Punkt richtest: die ›Venus im Pelz‹, und kein Auge für das wirkliche Leben hast! In welcher Lage sind wir? Heute wissen wir nicht, ob wir morgen Brot haben werden. So sind Jahre hingegangen, und so werden sie weiter hingehen. Die Zukunft voll schöner Hoffnungen, und die Gegenwart voll bitterer Not. Hatten wir ein Recht, die Kinder dem auszusetzen?«

Ich zitterte vor Erregung und schwer verhaltenem Groll.

Erst kürzlich, ehe wir nach Wien zu den Vorlesungen reisten, hatte er zwei Monate vergehen lassen, ohne eine Zeile zu schreiben, weil ich mich geweigert hatte, einen schamlosen Brief an einen Abgeordneten in Berlin, den reichen Gutsbesitzer G ..., zu schreiben, in dem ich mich ihm anbieten sollte. Schon seit Jahren stand Leopold[298] mit G. im Briefwechsel, und dieser hatte durchblicken lassen, daß er eine Natur wie die des Griechen in der »Venus im Pelz« sei – darum sollte ich ihn zum Liebhaber nehmen. Und da ich auch dann noch bei meiner Weigerung blieb, als mir mein Mann drohte, er werde den Brief in meinem Namen schreiben, strafte er mich, indem er zu arbeiten aufhörte. Und wäre die Reise nicht dazwischen gekommen, es würde dabei geblieben sein, nicht zu arbeiten, bis mich die Not gebrochen und seinem Willen gefügig gemacht hätte. Ja, er hatte ein unfehlbares Mittel, mich zu beugen, und die »Energie«, es standhaft zu gebrauchen. –

Daran dachte ich jetzt, und von der grausigen Angst vor der Zukunft überwältigt, wollte ich ihm noch mehr sagen:

»Und mit deiner Leidenschaft für die ›Venus im Pelz‹ wirst du uns alle ins Unglück bringen.«

»Warum?«

»Weil du, wenn es sich darum handelt, alles Maß verlierst und nicht mehr weißt, was du von mir verlangst – und nicht ahnst, wohin uns deine Passion führen wird.«

Einen Augenblick war er betroffen. Dann aber sagte er:

»Ach, das sind ja wieder deine alten Bedenken. Alles, was in der ›Venus im Pelz‹ geschieht, liegt in deiner Hand. Ich bin dann doch wirklich nur dein Sklave und habe nichts zu sagen. Hat die Sache schlimme Folgen, so liegt die Schuld an dir, und nicht an mir.«

Es war nutzlos, mit ihm zu reden – nutzlos, ihm mein gequältes Herz zu zeigen ... er verstand es nicht. Um das zu können, hätte er mich mit einer anderen Liebe lieben müssen.[299]

Kathrin hatte noch mit einem anderen ihrer Verehrer Unglück; das aber war ein heiteres Unglück.

Straßmann hatte Graz verlassen. Sein Nachfolger, ein Herr W ..., übernahm nicht allein sein Rollenfach, sondern auch seine Wohnung.

Nachdem er so weit war, strebte er nach Höherem: er wollte seinen Vorgänger auch im Herzen Kathrinens ersetzen. Der Kulissenklatsch mußte ihn über die freigewordene Stelle unterrichtet haben, und er bewarb sich darum mit einer Miene, als habe er zweifellose, berechtigte Ansprüche auch auf diesen Besitz.

Um sich ihr zu nähern, machte er Sacher-Masoch nicht nur einen Besuch, sondern auch den Hof.

Mein Mann fand an Leuten, die ihn bewunderten, immer lobenswerte Eigenschaften, und so kam es, daß Herr W ... öfter zu uns kam, als es zu unserem Vergnügen gerade nötig gewesen wäre.

Er hatte ganz richtig kalkuliert, denn er traf Kathrin wirklich bei uns. Zu seinem Erstaunen mußte er aber wahrnehmen, daß die Sache nicht so leicht ging, als er erwartet hatte.

Kathrin nahm gar keine Notiz von ihm. Er war häßlich und hatte all die lächerlichen Seiten kleiner Komödianten; dadurch wurde er uns allen lästig. Er mußte sich zurückziehen, war aber wütend darüber, denn er mochte seinen Kollegen gegenüber wohl schon als Sieger aufgetreten sein.

Eines Tages entdeckte er im Ofen seines Zimmers einen ganzen Haufen Briefe Kathrinens an Straßmann. Ah! Jetzt würde er die Widerspenstige schon gefügig[300] machen! Er schrieb an sie, sagte ihr von seinem Fund und frug, was sie wünsche, daß damit geschehen soll.

Sie antwortete nicht.

Zwei Wochen wartete er, dann schrieb er an meinen Mann, bat ihn um eine Unterredung unter vier Augen, da er ihm eine sehr delikate Mitteilung zu machen habe.

Leopold freute sich auf den Besuch und empfing W ... in sehr heiterer Stimmung.

Die ernste, geheimnisvolle Miene, die sich dieser für die Gelegenheit zurechtgelegt hatte, veranlaßte meinen Mann, ihn zu fragen, ob er jetzt in das Fach der Intriganten übergegangen sei. Da fiel er gleich aus der Rolle. Verwirrt und verlegen packte er seine Geschichte mit den Briefen aus, und bat meinen Mann um seine Vermittelung, um von Fräulein Strebinger zu erfahren, was er mit seinem Fund zu tun habe.

»Sie haben sich in der Sache ja schon direkt an die Dame gewendet.«

»Ja, aber keine Antwort erhalten.«

»Das ist doch auch eine Antwort. – Sie legen Ihrem Fund offenbar mehr Wert bei, als Fräulein Strebinger.«

»Aber es muß doch etwas geschehen. Soll ich die Briefe behalten!«

»Ganz wie Sie wollen. Wissen Sie, was ich an Ihrer Stelle täte? Ich ließe sie in Goldschnitt binden und gäbe sie als die gesammelten Werke der Autorin heraus. Dabei könnten Sie noch ein gutes Geschäft machen.«

Jetzt stieg dem jungen Schauspieler die Galle auf und er sagte boshaft:

»Ja. Es gibt Leute genug, die die Briefe gewiß mit viel Interesse lesen würden. Hauptmann v.C... zum Beispiel ...«[301]

»Mein lieber W ..., es ist kein Zweifel, daß Ihnen Fräulein Strebinger die Briefe überläßt, und Sie damit machen können, was Sie wollen – nur mache ich Sie aufmerksam, daß sie eine sehr drastische Art hat, auf Gemeinheiten zu antworten ... Das können Sie bei Baron P ... erfragen.«

Das wirkte.

»Ich werde die Briefe dem Fräulein durch die Post zuschicken.«

»Da haben Sie eine gute Idee – damit hätten Sie eigentlich anfangen sollen.«


Von Rochefort war Kathrin der Geschmack für Antiquitäten gekommen, doch ging die Sache bei ihr nicht sehr tief. Es war mehr Snobismus, als sonst was.

Irgend jemand hat ihr gesagt, daß Sefer Pascha auf seinem Schloß Bertholdstein bei Gleichenberg eine prachtvolle Sammlung habe.

Sie schrieb an den Pascha, sagte ihm, wer sie sei, daß sie mit uns in Graz lebe, von seiner Sammlung gehört habe, und sehr glücklich wäre, sie zu sehen, um Rochefort darüber zu berichten.

Schon am nächsten Tage kam eine sehr warme Einladung von Sefer Pascha an uns und Kathrin, für einige Tage Gäste auf Bertholdstein zu sein.

Unterdes hatte Kathrin erfahren, daß Sefer Pascha eigentlich ein polnischer Graf war, der, nachdem er in Europa als Diplomat kein Glück gehabt, nach Ägypten gegangen, dort der Freund des Vizekönigs und bald dessen allmächtiger Minister geworden war.

In der letzten Zeit sei ihm aber der Boden dort zu[302] heiß geworden, weshalb er seine Schätze von Kairo in Bertholdstein in Sicherheit gebracht hätte; so hieß es.

So etwas paßte Kathrin – und noch viel mehr meinem Mann. Beide waren Feuer und Flamme für die Einladung. –

Kathrin ging sofort daran, sich eine Toilette machen zu lassen, die schön sein sollte wie ein Sommernachtstraum – und Leopold hielt Heerschau über meine Pelze. – Wenn's diesmal nicht der Grieche war, dann würde ich niemals einen finden. Halb ritterlicher Pole, halb despotischer Orientale – das Ideal eines Griechen.

Am Abend vor unsrer Abreise bekam Leopold Zahnweh. Am Morgen erklärte er, er könne mit Zahnschmerzen nicht mitreisen. Er wollte sich den Zahn ziehen lassen, doch solle der Zahnarzt ins Haus kommen. Narkotisiert wolle er nicht werden, ich aber solle eine Pelzjacke anziehen, mich vor ihn hinstellen und ihn mit grausamer Miene während der Operation ansehen, das würde ihm eine genußvolle Narkose sein.

Solche Komödien waren mir schon geläufig; ich spielte auch diese zu seiner Zufriedenheit und zum Erstaunen des Arztes. Dieser sagte dann, es sei um den Zahn eigentlich schade, denn er sei gar nicht schlecht gewesen. Leopold aber achtete nicht darauf und meinte, es war ihm ein solcher Genuß, daß er sich unter den gleichen Bedingungen mit Vergnügen alle seine Zähne wollte reißen lassen.

Wir sollten am Nachmittag reisen. Nach Tisch sagte Leopold, er zöge es vor, den nächsten Tag nachzukommen, da er sich jetzt doch von der Operation angegriffen und nervös fühle und ausruhen wolle; wir sollten allein reisen,[303] ihn bei Sefer Pascha entschuldigen und seine Ankunft für den nächsten Tag melden.

So fuhren wir also allein.

In Fürstenfeld erwarteten uns zwei Wagen, ein Fourgon und eine reizende, mit prächtigen Pferden bespannte Kalesche. Ganz großartig war die Art, wie uns die Diener, die nur französisch sprachen, empfingen.

»He, hat das Stil!« sagte ich zu Kathrin.

Diese Bemerkung hätte ich nicht machen sollen, das sah ich gleich an ihrem kalten, abweisenden Blick.

Wir hatten uns auf der ganzen Fahrt eifrig auf Vornehmtun eingeübt und waren in sehr eleganter Stimmung auf der Station angekommen – und da vergaß ich mich schon!

Es war eine schöne Fahrt, durch das liebliche Tal und dann den Berg hinauf nach dem Schloß, allein ich hatte keinen rechten Genuß davon. Ich sah nur den breiten Rücken des dicken englischen Kutschers, der da steif vor mir saß, und den kleinen zierlichen Franzosen neben ihm. Was hatte ich in diesem vornehmen Wagen zu tun? wohin fuhren wir? und wozu? Würde ich denn nie aus all dem Falschen und Unwahren herauskommen?

Daheim war mein Platz leer; immer wieder mußte ich mich von meinen Kindern trennen, warum? Ich wurde ärgerlich auf Kathrin, die mich dahinein gezogen hatte, und mißmutig und verstimmt kam ich in Bertholdstein an.

Sefer Pascha empfing uns sehr liebenswürdig, aber auch sehr als Grandseigneur.

Bertholdstein war eine halbverfallene Burg, als der Pascha sie für einen Pappenstiel kaufte und ausbauen ließ. Jetzt war sie angefüllt mit orientalischer Pracht, Pariser Luxus und seltenen Kunstschätzen. Es lag etwas[304] Beleidigendes in dieser Verschwendung, diesem Reichtum, der einen kalt und steif anstarrte wie die Augen seines Besitzers.

Nachdem wir ein wenig Toilette gemacht hatten, trafen wir mit Sefer Pascha im Schloßhof wieder zusammen, wo er unter einer alten herrlichen Linde saß.

Kathrin mochte sich in ihren Briefen an ihn wohl als große Reiterin aufgespielt haben, denn er ließ ihr gleich alle seine Reitpferde vorführen. Es waren gewiß sehr kostbare Tiere, deren Vorzüge die englischen Reitknechte geschickt ins richtige Licht zu stellen wußten.

Kathrin hatte den Kopf ganz voll von diesen Pferden, von denen man ihr schon soviel erzählt hatte, und war fest entschlossen, sich von Sefer Pascha eins schenken zu lassen. Jetzt traf sie gleichsam ihre Wahl und das mußte ihr nicht leicht fallen, denn jedes dieser Pferde wäre ein schönes Geschenk gewesen. Mit einem solchen Pferd in Graz auszureiten, Neid zu erregen, dieses Verlangen zitterte in ihr, während sie voll Entzücken die wunderbaren Tiere betrachtete. Ich sah ein schlaues Lächeln unter dem grauen Bart des alten Herrn, und dachte, es würde ihr nicht leicht werden, ihre Sehnsucht zu stillen, denn der war kein Neuling.

Diesen Abend dinierten wir mit dem Pascha allein. Von den beiden Dienern, die unter der Aufsicht des Kammerdieners servierten, war einer ein junger schöner Nubier mit ganz unheimlich glühenden Augen. Kathrin schaute ihn an und ich bemerkte, wie ihr ein warmes Rot in die Wangen stieg.

In einem kleinen Salon neben dem Schlafzimmer des Paschas wurde der Kaffee serviert. Der Kammerdiener, ein ältlicher Mann, überblickte noch die Anordnungen,[305] als wir eintraten. Im Vorbeigehen machte ihm Sefer Pascha eine Bemerkung in einem Ton so voll verhaltener Wut und Verachtung, daß mir ganz heiß wurde. Der Mann drückte sich an die Wand mit totbleichem Gesicht und ich sah, wie seine Hände zitterten.

Sefer Pascha, der den Eindruck, den das auf mich gemacht, bemerkt haben mußte, sagte, wie um sich zu entschuldigen, der Mann sei ein Dieb und verdiene wie ein solcher behandelt zu werden; er empfange 12000 Fcs. Gehalt und er stehle ihm noch 100000 Fcs. dazu, da er den ganzen Haushalt führe.

»Ich würde ihn in dem Fall wegschicken,« sagte ich.

»Und einen andern nehmen, der um kein Haar besser ist.«

Kathrin sprach von dem Nubier und Sefer Pascha erzählte, er habe der Kaiserin Elisabeth einen ebenso prächtigen geschenkt und sie sei mit ihm sehr zufrieden. Der seinige aber sei ein böser Kerl, die ganze Dienerschaft zittere vor ihm und fürchte, er werde ein mal einen Mord begehen. Dann sprach er vom Orient und wie man dort mißtrauisch werde gegen seine Umgebung, weil man nie wisse, von wem die Leute gekauft seien.

Mir wurde immer ungemütlicher, ich sehnte mich fort aus diesem kalten Reichtum nach dem warmen Lachen meiner Kinder.

Diener führten uns in unsre Zimmer, denn nie hätten wir den Weg dahin allein gefunden.

Es war eine lange und mühevolle Wanderung. Wir stiegen Treppen hinauf und Treppen hinab, kamen durch breite Galerien und enge Gänge, große Säle, die von Waffen und geharnischten Rittern starrten, und vorbei an kleinen reizenden Erkern, durch deren Fenster, schmal wie[306] Schießscharten, gespenstisch das Mondlicht fiel. Wir hielten betroffen in einem Turmzimmer an, durch dessen zerfallene Mauer der Nachtwind blies und das Rauschen des Waldes hörbar war, dessen Boden aber mit Schutt und den Trümmern einer herrlichen Vase bedeckt war, während aus dem breiten Goldrahmen eines Bildes die bemalte Leinwand in Fetzen hing. Der Blitz, sagten die Diener, habe vor einigen Tagen eingeschlagen und die Verheerungen angerichtet. Endlich kamen wir in einen großen Vorsaal mit vielen Türen, eine derselben führte in unsere Zimmer.

Das meine war hoch und breit wie eine Halle, mit zwei Betten – es sollte ja mein Mann mitkommen – und nur einem Fenster, das tief in der dicken Mauer steckte, wie das zurückgesunkene Auge eines Kranken.

»Meinst du, Kathrin, daß es behaglichere Schlafzimmer gibt als dieses? Hier hat die Angst Platz sich zu verstecken und nachts aus allen Winkeln zu kriechen und einen zu überfallen.«

»Hast du Furcht?«

»Hast du denn nicht gesehen, wie die zwei eisernen Ritter da draußen vor unsrer Tür sich zugewinkt haben, als wir vorüberkamen? Wenn sich's einer einfallen läßt, mir in der Nacht einen Besuch zu machen .....«

»Schicke ihn zu mir.«

»Es tut mir leid ... Das Winken hat aber diesmal entschieden mir gegolten.«

»O, Wanda, warum warst du den ganzen Abend so schlechter Laune?«

»Warum hast du mich hierher geschleppt zu diesem bösen alten Mann?«

Von meinem zu Kathrinens Zimmer mußte man wieder[307] einige Stufen hinab, und nachdem man einen schmalen, sich wie eine Schlange windenden Gang durchschritten, durch ein großes mit raffinierter Eleganz eingerichtetes Toilette-Zimmer gehen. Ihr Gemach war reizend, klein und behaglich und voll schöner Dinge.

Nach meiner Gewohnheit stand ich am andern Morgen früh auf und ging gleich ans Fenster und da sah ich erst, daß es eigentlich eine Türe war, die auf einen kleinen Balkon führte, von dem aus man eine schöne Fernsicht über das Tal und das Schloß Trauttmansdorff gegenüber hatte. Ich zog Kathrin aus dem Bett, um ihr meine Entdeckung zu zeigen.

Wir zogen uns rasch an, um ins Freie zu gehen. Kaum waren wir damit fertig, als uns das Kammermädchen, eine niedliche Französin, den Kaffee brachte.

Zugleich mit ihr raste eine ganze Meute Möpse ins Zimmer und jagte über die Betten und Möbel hin. Nachdem die Hunde die Gäste ihres Herrn auf diese stürmische Art begrüßt hatten, stellte die Französin sie uns vor. Zuerst »Sussi«, Sefers Pascha berühmte Möpsin, dann ihren Gemahl, ihre Kinder und Kindeskinder. Kathrin war ganz närrisch und wollte mit der Familie näher bekannt werden, aber da öffnete das Mädchen die Türe und die ganze Meute stürmte in derselben tollen Jagd wie sie gekommen war, wieder davon.

Bald gingen wir hinaus aus den düstern Mauern in den sonnigen Hain, der das Schloß auf einer Seite umgab und blieben dort bis kurz vor dem Diner.

Man sagte uns, daß Gäste gekommen seien und daß man auf uns warte.

Kathrin machte rasch Toilette und ich half ihr dabei. Sie zog ihren Sommernachtstraum an und war darin reizend[308] schön. Sie meinte, auch ich sollte ein hübscheres Kleid anziehen, aber ich fand, daß ich ganz gut war, so wie ich war, und wir gingen hinab in den großen Empfangssaal.

Wir fanden viele Gäste. Graf und Gräfin X ..., ein junges ungarisches Ehepaar, das für den Sommer ein Schloß in der Nachbarschaft gemietet hatte, Baronin Y ..., Prinzessin Z ... und einen eleganten Husarenrittmeister, der zwar Mayer hieß, was ihn jedoch nicht verhinderte ein schöner und feiner Mann zu sein.

Die Ungarn waren einfach und freundlich; die Baronin und noch mehr die Prinzessin nahmen kaum Notiz von uns. Ich glaube, es war der Sommernachtstraum und die frische Jugend, die er bekleidete, die den beiden Damen ihre Haltung diktierte, denn sie selbst waren wohl noch jung, sahen aber ganz so aus, als ob sie niemals frisch gewesen wären. Die Prinzessin war direkt häßlich: klein, mager und schlecht gebaut, mit strohgelben dünnen Haaren, die sie ganz gegen die Mode flach gekämmt und in ein bescheidenes Zöpfchen geflochten trug; ein mit Sonnenflecken bedecktes, fast blödsinniges Gesicht, über dem sich eine Stirn »wölbte«, wie sie Kinder haben, die am Wasserkopf leiden.

Sie mußte eine perfekte Sport-Woman sein, denn sie sprach fast nur von Pferden und Hunden. Sussi kannte sie sehr genau, so genau, daß ich und Kathrin uns anblickten – und verstanden.

Die Ungezogenheit der beiden Frauen ärgerte Kathrin. Ich selbst fand mich leicht darüber hinweg; wenn ich neue Gesichter sehe, beschäftigen sie mich, ich suche sie zu verstehen und darüber kann ich vieles vergessen. Auch nahm sich der Rittmeister meiner an; er erzählte mir,[309] daß er eben von Paris zurückgekommen, wo er die Ankündigung des Stückes meines Mannes gelesen; dann zeigte er mir die jüngste Photographie der Sarah Bernhardt, die dieselbe war, die sie meinem Manne in großem Format durch Rochefort hatte senden lassen.

Bei Tisch erhielt ich eine Depesche meines Mannes, die mir anzeigte, daß er leider seinen Besuch in Bertholdstein auf eine günstigere Zeit verschieben müsse, da sich nach der Operation eine Entzündung gezeigt, die ärztliche Behandlung beanspruche. Ich möge Se. Excellenz davon mit seinem aufrichtigen Bedauern in Kenntnis setzen. Ich reichte diesem die Depesche.

Es tat ihm furchtbar leid, Sacher-Masoch jetzt noch nicht kennen zu lernen.

Die Zahnschmerzen Leopolds kurz vor unserer Abreise, die Operation mit Pelz und Grausamkeit, die darauffolgende Entzündung – das war ein gut ausgedachter Plan.

Man nahm wieder den Kaffee in dem kleinen Salon und dann fuhren die Besuche ab.

Nachdem wir allein waren, zeigte uns Sefer Pascha eine große Photographie der Kaiserin Elisabeth mit einem Autograph, die er eben erst erhalten. Nachher führte er uns in die Säle, die seine Sammlungen enthielten und machte uns auf die schönsten Stücke aufmerksam.

Dann machten wir eine Ausfahrt nach Gleichenberg.

Sefer Pascha kutschierte selbst einen mit vier Pferden bespannten Break. Kathrin saß neben ihm auf dem Bock. Ich fuhr allein in einer kleinen Kalesche.

Vorher hatte uns der Pascha noch auf die Pferde, die er führte, aufmerksam gemacht; vier Isabellen, ein Geschenk der Kaiserin Elisabeth für den ihr gegebenen Nubier.[310] Es waren wunderbare Tiere mit zarten rosigen Köpfen, wie ich sie noch nie gesehen.

Vier so wertvolle und seltene Pferde für einen Negerknaben – das war auch ein »Pappenstiel«.

In Gleichenberg machte Sefer Pascha einen Besuch, während wir uns den Ort ansahen. Kathrin war jetzt, wie die Prinzessin Z ..., ganz Sports-Woman geworden, und sprach wie diese nur noch von Hunden und Pferden.

Ich war als ganz junges Mädchen mit meinem Vater einmal einige Wochen in Gleichenberg gewesen und erinnerte mich jetzt, daß in dem Fürst Turn und Taxisschen Jagdschlößchen »Hubertus-Haus« für die dahingegangenen Pferde des Fürsten ein stimmungsvoller Kirchhof angelegt war, der mir damals einen tiefen Eindruck gemacht. Ich sagte es Kathrin und erbot mich, sie dahin zu führen. Sie war erfreut darüber, und unter passenden Gesprächen über Pferde, Rennen und derlei kamen wir in weihevoller Stimmung an der berühmten Grabstätte an.

Hier lagen sie und schliefen den ewigen Schlaf, die edlen Tiere, die einst der Stolz und die Freude ihres Besitzers waren. Alte Ulmen rauschten über ihnen und nachts sangen ihnen die Nachtigallen gewiß ihre schönsten Lieder.

Kathrin las die schön gemeißelten Gedenktafeln, auf welchen Geburts- und Todestag sowie die Taten des Darunterliegenden gewissenhaft verzeichnet waren. Es waren lauter Berühmtheiten: auf allen Rennplätzen der Welt waren sie die flinksten gewesen, hatten ihrem Herrn Geld eingebracht, ihn und sich mit Ruhm bedeckt; besonders denen, die bei Ausübung ihres edlen Berufs ums Leben gekommen, hatte man tiefempfundene Worte über ihr tragisches Schicksal in den Stein hineingemeißelt.

Kathrin war ganz ergriffen. Wir setzten uns auf eine[311] Moosbank und blieben lange in ernsten Betrachtungen versunken.

Wir gingen dann noch in den Anlagen spazieren und Kathrin erzählte mir, daß unser Wirt wütend auf sie sei, weil sie nur von der Prinzessin gesprochen und immer wieder ausgerufen habe: »Dieu, qu'elle est laide! Dieu, quelle est laide!« Da er ihr sehr den Hof machte, habe ihn das so gereizt, daß er ganz rasend wurde und ihr gedroht habe, wenn sie nicht aufhöre ihn zu quälen, er sie auf die höchste Spitze des Berges fahren und dort umwerfen würde.

Zurückgekehrt tranken wir Tee und aßen prachtvolles Obst, und dann standen wieder andere Wagen und andere Pferde zu einer neuen Ausfahrt bereit.

In einem benachbarten Dorfe waren wandernde Schauspieler angekommen und hatten den Schloßherrn von Bertholdstein um seinen Besuch bitten lassen.

Dieses Theater, die Schauspieler, und wie sie spielten, das war so lächerlich-traurig, daß ich froh war, als wir bald wieder aufbrachen.

Lange konnte ich diese Nacht nicht schlafen. All diese Vergnügungen hatten mich zu sehr ermüdet, auch war ich mit meinem Verlangen weit fort von Bertholdstein.


Als ich am andern Morgen spät erwachte, stand Kathrin in einem weißen Baignoire in der Balkontüre, von der Sonne ganz durchschienen, so daß ich ihren schlanken kraftvollen Leib durch den feinen Stoff erkennen konnte.

Sie blickte zu mir hin und da sie sah, daß ich erwacht war, kam sie gleich zu mir:

»Ça y est?«[312]

»Sefer Pascha ...?«

»Ja.«

»O, warum hast du's getan!«

»Aus Wut gegen die Prinzessin.«

»Du hättest es nicht tun sollen. Er ist zu reich ... und hat über Frauen zu orientalische Ideen ... er ist überzeugt, daß er sich alle kaufen kann ... Sagtest du nicht, daß man erzählt, alle Frauen, die Bertholdstein besuchten, fügten sich ihm? Was bist du jetzt für ihn? Eine mehr ... nichts weiter. Und jetzt wird er glauben, daß auch ich nur da bin, um auf seinen Wink zu warten ...!«

»Nein, da irrst du dich,« sagte sie lebhaft. »Er glaubt dich sehr verliebt in deinen Mann und daß du dich nach ihm sehnst ... Moi aussi, je crois j'ai fait une bêtise.«

»Aber wie ist es passiert, du bist doch mit mir heraufgekommen?«

»O, das ist amüsant! Denk, er hat immer Furcht, ermordet zu werden, und damit man ihn wenigstens nicht im Schlaf überfallen kann, hat er die Türen seines Schlafzimmers so machen lassen, daß sie sich in die Wände hineinschieben, wenn sie offen sind; geschlossen aber von draußen gar nicht geöffnet werden können. Er sagte mir, eine solche Türe sei hinter seinem Bett verborgen und gehe auf eine in der Mauer befindliche kleine Treppe, die hinter meinem Bett an einer ebensolchen Tür ende, und er könne nachts wenn er wolle zu mir kommen. Ich glaubte es nicht. Da sagte er, er würde es mir noch diese Nacht beweisen – und er hat es getan.«

»Hattest du nicht Furcht?«

»Ach, Furcht! Neugierig war ich.«[313]

»Warum will man ihn denn ermorden?«

»Er sagt, er habe sehr viele Feinde.«

Wir schwiegen. Kathrin kauerte auf meinem Bett, die Füße auf einem Stuhl, die Ellbogen auf den Knieen, das Gesicht in den Händen und schien nachzusinnen.

»Ich möchte fort von hier,« sagte ich nach einer Weile.

»Ich auch. Aber wir sollten ja eine Woche bleiben.«

»Mein Mann ist krank; das gibt mir einen guten Vorwand, und allein kannst du nicht bleiben.«

»Wollen wir unsre Koffer machen?«

»Ja.«

Der Gedanke fortzukommen belebte uns beide. In einer halben Stunde waren wir bereit.

Ich ließ Sefer Pascha sagen, daß ich um meinen Mann besorgt wäre und abreisen wollte.

Er sandte mir seinen Kammerdiener mit der Bitte, noch zu Tisch zu bleiben; wir hätten am Nachmittag einen besseren Zug.

Da mußten wir also warten.

Bei diesem Essen waren keine anderen Gäste und Sefer Pascha liebenswürdiger als je.

Es war zum erstenmal, daß ich Kathrin mit einem Manne zusammensah, der ihr Liebhaber war. Sie erstaunten mich. Nicht das leiseste Zeichen von Vertrautheit war an ihr wahrzunehmen; sie war mit dem Pascha nach dieser Nacht genau so wie vorher, nicht weil sie sich so stellte, sondern weil es wirklich so war. So wenig war ihr die Hingabe an einen Mann, daß dieser sich in nichts für sie dadurch veränderte, er stand ihr nicht näher – sie gab ihm nichts von sich und nahm nichts von ihm.

Wie das das Leben vereinfacht, dachte ich. Und wir andern, die wir in der Hingabe so viel sehen, so viel[314] in sie hineinlegen ... das ganze Leben ... und so viel von ihr erwarten, was sie nicht geben kann.

Sefer Pascha sagte mir zum Abschied, er werde an Sacher-Masoch schreiben und ihn sehr ernst an sein Versprechen, nach Bertholdstein zu kommen, mahnen.

Endlich fuhren wir den Berg hinunter und wurden immer froher, je weiter das düstere Schloß hinter uns zurückblieb.


Ich brachte meinem Dichter wieder eine Enttäuschung nach Haufe; Kathrin hatte die Stelle eingenommen, die er mir in Bertholdstein zugedacht hatte.

Er war ärgerlich – aber doch voll Hoffnung. Er traute Kathrin nicht zu, einen Mann wie Sefer Pascha auf die Dauer zu fesseln, während ich ...

Warum er annahm, daß Kathrin Sefer Pascha, den er nie gesehen hatte, nicht sollte fesseln können, weiß ich nicht; daß ich aber jeden Mann fesseln konnte, ging ganz klar daraus hervor, daß ich ihn fesselte.

Mit welcher Zähigkeit hielt er, trotz immer erneuerten Fehlschlagens, an seinen Wünschen und Hoffnungen fest! Mit welcher Leichtigkeit baute er für seine Chimären immer wieder scheinbar solide Unterlagen! Mit welchem tiefen Ernst sprach er davon! Ihm seine Phantasie zu erfüllen, das wäre etwas Großes, Erschütterndes.

Nachdem er anfangs froh war, mich viel in Kathrinens Gesellschaft zu wissen, weil er meinte, ich würde da leichter den Griechen finden, fing er jetzt an über sie unwillig zu werden und fand, daß das Gegenteil der Fall war. Er sagte, sie sei eine zu leichte Eroberung, das ziehe die Männer zu ihr, während sie bei mir viel zu riskieren[315] glaubten, da ich einen Mann habe, und einen Mann, der Duelle gehabt, von dem man also wisse, daß er sich schlagen würde.

Sefer-Pascha hatte wirklich an Sacher-Masoch geschrieben, und ihn dringend eingeladen ihn zu besuchen. Er sagte, er würde sich so einrichten, daß kein anderer Besuch in der Zeit da sein werde, um das Vergnügen, mit ihm zu plaudern, ungeteilt genießen zu können.

Einige Tage ehe wir uns zu dieser zweiten Fahrt nach Bertholdstein aufmachten, begegneten ich und Kathrin im Stadtpark dem Grafen Spaur. Er sagte, er käme eben von einem Besuch bei Sefer Pascha, der ihn ersucht habe, ein Collier für Kathrin mit nach Graz zu nehmen; er werde ihr dasselbe noch den Abend senden.

Graf Spaur, ein nicht mehr ganz junger Mann, galt für einen gefährlichen Don Juan und für eine der bösesten Zungen in Graz.

Kathrin und er belauerten sich gegenseitig schon lange. Sie waren gewiß verwandte Seelen und trauten sich deshalb nicht. Sein Ruf als Viveur zog sie an und reizte sie; ihn lockte sie dadurch, daß sie die eleganteste und interessanteste Erscheinung in Graz war, allein er wußte von Straßmann und J ... und wollte nicht mit diesen »Buben« in einen Sack geworfen werden; daher war er vorsichtig. So umschlichen sie sich, wie die Katzen den heißen Brei, ohne daß eins den entscheidenden Schritt wagte.

Die Geschichte mit dem Collier, und wie er sie zu färben verstand, war Wasser auf seine Mühle. Er strahlte vor Vergnügen, Kathrin das bieten zu können.

Welchen Grund hatte Sefer Pascha, Kathrin in dieser Weise herunterzusetzen, gerade jetzt, wo er sie eben wieder mit uns eingeladen hatte?[316]

Nachdem wir uns genügend darüber aufgeregt hatten, kam das Collier an, und von dem ganzen Alarm blieb nichts übrig, als die Bosheit Spaur's; denn das Schmuckstück hatte nur einen rein archäologischen Wert, der jede beleidigende Absicht ausschloß.

Ich weiß nicht mehr wie es kam, daß ich und Kathrin wieder allein nach Bertholdstein fuhren und Leopold uns erst den nächsten Tag nachfolgte.

Diesmal sollte mir Sefer Pascha nicht entgehen.

Ich hatte nämlich eine »unfehlbare«, schwarze, mit Hermelin besetzte Samtjacke, diese, und nichts anderes, sollte ich während meines diesmaligen Aufenthaltes bei dem Pascha tragen – die Jacke würde ihre Schuldigkeit tun.

Sie tat es auch mehr als mir lieb war. Wir waren sowohl bei Tisch als den Rest des Abends allein mit dem Pascha. Er bemühte sich sehr um mich, während Kathrin neugierig und beobachtend dasaß. Sie war nicht schlechter Laune, kein Schatten von Bosheit oder Neid, ja nicht das kleinste Zeichen von Ungeduld merkte ich an ihr. Auf mich schaute sie freundlich und lieb, auf den Pascha spöttisch, und wenn ich je glaubte, daß sie mir gut sei, so war es in diesem Augenblick. –

Ich gab vor, von der Reise ermüdet zu sein, und wir zogen uns bald zurück.

Wir hatten dieselben Zimmer wie bei unserm ersten Besuch, aber diese Nacht schlief Kathrin bei mir in dem Bett, in dem morgen mein Mann schlafen sollte.

Wir verlöschten das Licht nicht, lagen da und plauderten ...

Kathrin erzählte wieder von ihrer Kindheit und kam dann auf die Kinder Rocheforts, und wie glücklich diese seien. Er habe die Ansicht, keine Erziehung sei die beste[317] Erziehung. Kinder müssen Raum haben, um sich zu entwickeln, und jede Erziehung sei beengend. Victor Hugo denke ebenso. Seine Enkelkinder George und Jeanne regierten unumschränkt im Hause, alles richte sich nach ihnen, am meisten der alte Großvater, der sie blind und leidenschaftlich liebe.

In der Lebhaftigkeit ihres Geplauders sprang sie aus dem Bett, um zu mir zu kommen. Da stieß sie plötzlich einen wilden Schrei aus. Sie war mit dem nackten Fuß auf eine jener großen dicken Nadeln getreten, mit denen Tapezierer Teppiche zusammennähen, und die in dem neuen Teppich wohl vergessen worden war.

Ich wollte gleichfalls aus dem Bett springen um ihr zu helfen, sie aber rief:

»Nein, nein, komm nicht her!« Und sie hüpfte auf einem Fuß bis an mein Bett, setzte sich darauf, zog den verwundeten Fuß auf das Knie des andern und betrachtete ihn ganz erstaunt und wie etwas besonders Angenehmes.

»Aber zieh doch die Nadel heraus!« rief ich ungeduldig.

»Nein. Du hast keine Idee, was das für ein entzückendes Gefühl ist, verwundet zu sein, die Nadel so in seinem Fleisch zu fühlen und zu denken, daß man sie herausziehen muß, und daß es vielleicht furchtbar weh tun wird.«

Ich sah sie an. Es war ihr Ernst. Ich überließ sie ihrem Entzücken und sie fing wieder an zu plaudern und zu erzählen.

Warum ist sie nicht die Frau Sacher-Masochs geworden? dachte ich. Wie gut würde sie zu ihm gepaßt haben, mit ihrem »Genuß im Schmerz« und all den sonderbaren Empfindungen, für die ich so wenig Verständnis hatte.

Sie blieb vielleicht noch eine Stunde mit der Nadel im[318] Fuß, dann zog sie sie mit einer raschen entschlossenen Bewegung heraus. Es kam kein Tropfen Blut – und sie lachte und schlang ihre Arme um ihren Kopf, als wollte sie sich selbst umarmen.

»Mach' dir einige kalte Umschläge, damit keine Entzündung dazukommt.«

»Ach was!« rief sie und sprang ins Bett. Bald darauf merkte ich, daß sie fest eingeschlafen war.

Am andern Morgen dachte sie nicht mehr an ihre Verwundung. Ich erinnerte sie daran und sie sagte, daß sie gar nichts fühle und alles gut sei.

Noch vor dem Essen kam Leopold an und wurde von Sefer Pascha ganz ausgezeichnet empfangen.

Am Nachmittag saßen die beiden Herren im Schloßhof unter der schönen Linde und sprachen von ihrer gemeinschaftlichen Heimat, Polen, und über Politik, während ich und Kathrin im Schloß selbst auf Abenteuer ausgingen, das heißt, unsere Nasen überall hineinsteckten und dabei um ein Haar ins »Burgverließ« gestürzt wären.

Kathrin litt nämlich an der fixen Idee, der Pascha halte einen Harem im Schloß verborgen, und den wollte sie ausschnüffeln; aber so gewissenhaft wir auch spionierten, wir entdeckten nicht den Schatten einer Haremsdame und nicht das kleinste Zipfelchen eines Eunuchen.

Leopold schlief noch, als wir am andern Morgen schon Kletterpartien auf dem steilen Felsen machten, der das Schloß umgab.

Anfangs taten wir es nur zu unserm Vergnügen, aber bald stellte sich der Hunger ein und wir suchten nach irgend etwas Eßbarem, doch waren zwei unreife Holzäpfel alles, was wir erbeuteten, und da ich meinen Hunger dem Genuß[319] dieses Obstes vorzog, aß sie Kathrin allein und schien davon sehr befriedigt.

Als wir dann bei Tisch die Schüsseln mit den feinen Speisen vor uns hatten, sahen wir uns an und lachten. Sefer Pascha merkte etwas und frug, was wir denn getrieben hätten, da wir den ganzen Morgen unsichtbar geblieben, und da erzählte Kathrin, daß wir halb verhungert ausgezogen seien, um zu fouragieren, aber die ganze Gegend abgegangen wären und nichts gefunden hätten als zwei saure Holzäpfel. Der Pascha meinte belustigt, die Schuld liege an uns, wir stünden zu früh auf; in Bertholdstein gehe kein Mensch vor zehn Uhr aus dem Bett; auch hätten wir im Schloß selbst fouragieren sollen, dann wäre der Erfolg befriedigend gewesen.

Den nächsten Tag reisten wir wieder ab. Sefer Pascha begleitete uns an die Station und sagte, er werde uns in Graz aufsuchen; auch möchte er bei seiner Anwesenheit dort meinen Mann mit dem Grafen Goluchowski bekannt machen, der in derselben Zeit dort sein würde.

Mein Mann war sehr befriedigt von Bertholdstein zurückgekommen, nur in einer, der Hauptsache nicht: Sefer Pascha war nicht mein Liebhaber geworden. Er würde in jeder Richtung so vorzüglich dafür gepaßt haben, aber er reiste ja schon in ganz nächster Zeit nach Kairo, es war also zu spät – für dieses Jahr.

Am wünschenswertesten wäre es, meinte er, wenn uns Sefer Pascha, nachdem er uns besucht, einladen würde, mit ihm für den Winter nach Ägypten zu gehen. Das wäre das Idealste für die »Venus im Pelz«; vielleicht täte er es, denn daß ich ihm gefallen habe, und daß er mich immer mit verlangenden Augen angesehen, dessen war er, Leopold, ganz gewiß. –
[320]

Gleich nach unserer Rückkehr von Bertholdstein fingen unsere Beziehungen zu Kathrin an sich zu trüben. Der geheime Groll, den mein Mann von jeher gegen sie hegte, war immer mehr angewachsen und hatte sich in der letzten Zeit beinahe bis zum Haß gesteigert. Obgleich er das nicht eingestand oder, wo er es tat, milderte und dafür Gründe vorschob, die nicht stichhaltig waren, glaubte ich, die wahren Ursachen erkannt zu haben.

Kathrin, die vor niemandem Respekt hatte, hatte auch vor ihm keinen: sein Talent bewunderte sie, seine Person aber fand sie lächerlich – und sagte es ihm.

Das vertrug er nicht. Er war ein guter, edler, ausgezeichneter Mensch, eine ideale Natur, und er hielt darauf, daß die Personen, mit denen er verkehrte, ihn nach seinem wahren Wert schätzten.

Auch hatte mein Mann die Eigentümlichkeit, wenn er sich in seinen Annahmen geirrt hatte, nicht sich, sondern die Personen, um die es sich handelte, für diesen Irrtum verantwortlich zu machen. Er hatte geglaubt, ich würde in Kathrinens Gesellschaft schnell einen Griechen finden; das war nicht der Fall, und daran war Kathrinens Bosheit schuld, die mir jeden Courmacher wegschnappte. Die »Venus im Pelz« war aber die wichtigste Angelegenheit seines Lebens, und immer trat Kathrin mit ihrem Leichtsinn dazwischen und zerstörte seine berechtigtsten Erwartungen. Wie sollte er sie da nicht hassen?

Sie hatte noch einen anderen großen Fehler: sie liebte die Kazabaikas nicht.

Er hatte ihr das einmal zum Vorwurf gemacht und den Wunsch ausgesprochen, sie bei uns in einer solchen Jacke zu sehen, worauf sie ihm hohnlachend erwiderte:[321]

»Niemals. Mir tut schon Wanda leid genug, daß sie ihre graziöse Art in so plumpes Zeug verstecken muß. Das fehlte noch, daß ich meine schlanke Taille in einer dicken Pelzjacke begrabe! Deine Kazabaikas! Wenn du wüßtest, wie lächerlich du damit bist!«

»Was? Du findest vielleicht, daß sie Wanda nicht gut stehen?«

»Ja, das finde ich. Schau sie doch an, die Arme, wie schwer ihr jede Bewegung darin wird, und wie dick sie das macht. Sie hat Unrecht, dir nachzugeben und sich damit zu verunstalten. Ein Mann könnte mir Millionen geben, ich würde ihm nicht das kleinste Eitelkeitsopfer bringen.«

Er sagte nichts mehr, aber ich sah ihm an, daß er mit Kathrin fertig war.

Und gerade damals fiel etwas vor, das wie ein Beweis der Richtigkeit seiner Beurteilung Kathrinens aussah.

Sie kam eines Tages und erzählte in der ihr eigenen humorvollen Art, in der sie sich selbst lächerlich machte, daß es endlich zwischen ihr und Graf Spaur zur Entscheidung gekommen sei und zwar dadurch, daß er zu ihr geäußert habe, ich sei eine Frau, in die sich zu verlieben ihm nicht schwer fallen würde. Damit hatte er seinen größten Trumpf ausgespielt und die Partie gewonnen.

Kathrin besaß sehr hübsche Schmucksachen, die ihr Rochefort gegeben hatte, sämtlich mehr geschmackvoll als wertvoll. Zufällig entdeckte sie, daß sie alle falsch waren. Das brachte sie furchtbar auf, und sie dachte nur noch an Rache. Sie behauptete, Dinge zu wissen, die, wenn sie sie an die richtige Adresse brächte, Rocheforts politische Stellung für immer untergraben würden. Sie zeigte mir auch einen Brief, den sie in der Sache an Gambetta[322] geschrieben, und einige Tage nachher dessen Antwort: nur wenige Zeilen auf seiner Karte, die sagten, daß er sich sehr freuen würde, sie in Paris zu sprechen.

Ich wußte, daß Rochefort, der damals noch kein Vermögen besaß, Kathrin wiederholt in sehr generöser Weise beigesprungen, wenn sie in momentaner Geldverlegenheit war, was bei ihren verschwenderischen Ausgaben manchmal vorkam, und ich riet ihr deshalb ab, an ihm Verrat zu begehen, denn eine solche Strafe stünde in keinem Verhältnis zu dem, was er getan, auch könne er leicht mit den Schmucksachen selbst getäuscht worden sein. Sie schien auch auf mich zu hören; wenigstens war von der Sache nicht mehr die Rede.

Schon in diesem Augenblick wollte mein Mann ganz mit Kathrin abbrechen: käme es zu einem Zerwürfnis zwischen ihr und Rochefort, dann sollte dieser nicht glauben, daß er, Leopold, auf seiten der Verräterin stehe. –

In jene Zeit fiel ein Prozeß, den mein Mann mit einem Verleger hatte. Er brachte ihm viel Verdruß und drückte ihn sehr nieder. In so gereizter Stimmung war ein Zusammenstoß mit Kathrin unvermeidlich.

Nach ihrer lieben Gewohnheit, alles Unangenehme, das sie über ihre Freunde hörte, diesen brühwarm wieder zu bringen, kam sie immer mittags, wenn wir bei Tisch saßen und packte ihren Vorrat von Neuigkeiten mit großem Vergnügen aus. Mein Mann, und was sie zu erzählen hatte, betraf fast immer ihn, wurde dann bleich vor verhaltener Wut. Sein im Zorn hinuntergewürgtes Essen schadete ihm, und er war für den Rest des Tages unwohl.

Schon im höchsten Grad aufgebracht über sie und in der geheimen Absicht, sich von ihr loszumachen, nahm er eine solche Gelegenheit wahr und sagte ihr, daß er ihr[323] verbiete, all den Klatsch, den sie zusammenklaube, ihm ins Haus zu bringen; er habe es satt, sich seine Mahlzeiten und sein Zusammensein mit seiner Familie durch ihr boshaftes Gewäsch stören zu lassen.

Kathrin ging und kam nicht wieder.

Wir erfuhren noch, daß sie wieder allein drei Tage in Bertholdstein gewesen war. Von dort zurückgekehrt, bezog sie zwei Zimmer im Hotel »Stadt Triest«.

»So ist's ganz gut,« sagte Leopold. »Ein junges Mädchen, das allein zu Sefer Pascha geht und allein in einem Hotel wohnt, ist kein Umgang für dich. Jedermann wird begreifen, daß wir uns von ihr zurückziehen.«

In dieser Zeit machte uns Sefer Pascha seinen Besuch.

Auch er war schlechter Laune: seine Angelegenheiten in Kairo gingen durchaus nicht nach seinem Wunsch.

Aber wir waren mit Kathrin noch nicht fertig.

Hauptmann v.C... trat jetzt für sie ein. Er ließ uns wissen, daß er es unverantwortlich fände, daß wir Fräulein Strebinger so fallen ließen und sie dadurch gleichsam zu unvorsichtigen Schritten drängten.

Leopold wurde stutzig. Er sagte:

»Ich müßte vielleicht doch ehrenhalber v.C... über Kathrin einen Wink geben, ihm so weit die Augen öffnen, daß er dann allein weiter sehen kann.«

»Das könnte doch nur in Frage kommen, wenn bei ihr die Absicht bestände, ihn zu heiraten, aber wir wissen doch, daß sie das um keinen Preis will. Hauptmann v.C... ist also in gar keiner Gefahr. Aber wenn es selbst der Fall wäre, hättest du, nach meiner Ansicht, nicht das Recht, einzugreifen. Er ist kein grüner Junge mehr, und Kathrin hat sich nie viel Mühe gegeben, zu verheimlichen, was sie getan. Daß er allein nicht gesehen hat, worüber[324] die ganze Stadt klatscht, ist rätselhaft – geht uns aber nichts an. Es wäre sogar möglich, daß er deinen Wink sehr übel aufnähme, und die Sache dadurch statt besser nur ärger würde. Und dann wäre es auch ein Verrat an der Freundschaft. Hauptmann v.C... steht uns nicht nahe. Mit dem, was Kathrin getan, hat sie weder uns noch irgend jemandem ein Unrecht zugefügt. Sie ist frei und unabhängig und hat den Mut, nach ihren Überzeugungen zu leben – das ist ihr Recht,« sagte ich.

»Dir hat sie mit ihrer Liederlichkeit Unrecht zugefügt. Du warst ihr eine so treue und aufrichtige Freundin, daß sie aus Rücksicht für dich, um dich nicht zu kompromittieren, vorsichtiger hätte sein müssen.«

»Für wen sprichst du denn? Wir sind doch allein, es hört dich ja niemand, als ich. Mich kompromittieren! Was tun wir denn?«

»Das ist etwas ganz anderes. Du tust das nicht, wie Kathrin, aus Leichtsinn, sondern um deinem Mann eine Phantasie zu erfüllen.«

»Von diesen geheimen Ursachen weiß die Welt nichts – richtet sich also in ihrem Urteil nicht danach.«

»Du mußt den moralischen Mut haben, dich darüber hinwegzusetzen, und nicht dabei beharren, der Sache eine niedere Auffassung zu geben. Es gab schon vor dir Frauen von Schriftstellern oder Künstlern, die ihren Männern Opfer gebracht haben. Die Frau des Dichters St ... hat sich in seiner Gegenwart zum Fenster hinausgeworfen, bloß weil ihr Mann sich beklagte, daß kein tragisches Ereignis sein Leben bewege und ihm Stimmung zu seinen Arbeiten gebe. Was verlange ich von dir? Daß du dir einen Liebhaber nimmst. Wahrlich, eine große Sache!«

So endeten alle derartigen Gespräche; mit einem Hinweis[325] auf mein geringes Verständnis für dichterische Art wurde ich zum Schweigen gebracht.

Es war noch die Rede, daß Hauptmann v.C... die Absicht habe, Sacher-Masoch zu fordern, wegen der Haltung, die wir Fräulein Strebinger gegenüber angenommen hatten.

Da machte die plötzliche Abreise Kathrinens all dem Unfrieden ein Ende.


Gegen Ende Oktober lud mich die Baronin Urban ein, für einige Wochen nach Tischnowitz zu kommen, wo sie auf dem Gute ihres Bruders weilte.

So sehr mich diese Einladung auch freute, so wenig dachte ich ihr zu folgen. Zuerst wußte ich zu gut, daß ich eine so lange Trennung von den Kindern nur schwer ertragen würde, und dann waren wir wieder so in Geldnot, daß, obgleich die Reise mich nichts kostete, ich doch meine Anwesenheit zu Hause, wo ich allein es verstand, uns durch alle Verlegenheiten hindurchzuwinden, für zu notwendig hielt, um das Herz zu haben, Mann und Kinder in dieser Lage allein zu lassen.

Mein Mann war anderer Meinung.

Der Bruder der Baronin, Herr Bruno Bauer, Besitzer der Tischnowitzer Zuckerfabrik, war Husaren-Offizier gewesen – in ihm vermutete Leopold einen Griechen.

Ich sollte um jeden Preis hingehen.

Um etwas Geld im Hause zu wissen und selbst nicht ganz ohne Kreuzer auf die Reise zu gehen, schickte ich ein Kleid ins Pfandhaus, das einzige, das ich außer dem, das ich nach Tischnowitz mitnehmen wollte, noch besaß; die anderen waren schon vorher denselben Weg gegangen.[326]

Mit drei Gulden in der Tasche reiste ich in den letzten Oktobertagen ab.

Die Briefe meines Mannes sollen hier wieder an Stelle meiner Erzählung treten.


Graz, 30. Oktober 1879.


Liebe Wanda!


Wir sind alle wohl. Nur vorgestern Abend wurde mir einen Augenblick unwohl, und zwar nur, weil es mir so bange nach Dir war.

Ich tröste mich, indem ich fleißig schreibe, mit den Kindern spazieren gehe und herumhetze.

Danke der Baronin für das Telegramm; es hat mich ungemein gefreut, so rasch Nachricht von Deiner glücklichen Ankunft zu erhalten. Nun ich weiß, Du bist gut aufgehoben und bist sehr gern dort und ich gönne Dir, daß Du aus all diesen Scherereien herauskommst und einige angenehme Tage genießt.

Wenn nur Spitzer, der Lloyd und die Abendpost das Geld senden, dann kann ich alles Dringende zahlen.

Ich hoffe, Du amüsierst Dich und erholst Dich recht, und das entschädigt mich dafür, daß ich Dich so lange entbehren muß.

Mit tausend Küssen Dein Sklave

Leopold.


Die herzlichsten Grüße an die Baronin und ihren Bruder, sowie meine Gratulation zum Avancement des Generals.
[327]

Graz, 1. November 1879.


Liebe Wanda!


Alles ist wohl.

Wenn das Geld von Spitzer, Abendpost, Lloyd und Bran kommt, kann ich alles zahlen und bis zum 20. auskommen.

Da ich wünsche, daß Du einmal aller Sorgen ledig, Dich recht zerstreust und erholst, will ich Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich nach Dir sehne. Ich helfe mir durch allerhand Mittel. Täglich machen wir von elf bis ein Uhr einen großen Spaziergang, abends spielen wir Räuber, Rotkäppchen und ähnliche Spiele, wo ich recht hetzen kann.

Lauitschi ist Gottlob keine Betschwester, wie wir dachten, und stark wie ein Bär. Wenn Du »Venus im Pelz« spielen willst, wirst Du sie sehr gut brauchen können. (Lauitschi war unsere Magd. Erst nach meiner Rückkehr erfuhr ich, daß mein Mann ihr meine Pelzjacken anzog, sich von ihr peitschen ließ und mit ihr »herumhetzte«.)

Es freut mich, daß es Dir dort so gut gefällt, und hoffe ich, daß die Baronin nicht ernstlich krank ist. Ihre Grüße erwidere ich auf das Herzlichste.

Ich bin böse, daß Du weder in Mürzzuschlag noch in Wien ordentlich gegessen hast.

Die Kinder lassen die Mama küssen.

Mit tausend Küssen

Dein Leopold.
[328]

Graz, 2. November 1879.


Liebe Wanda!


Du meinst, ich sehne mich nicht nach Dir? Ich fühle mich trotz Arbeit und Kinder, die mich in Anspruch nehmen und ein wenig trösten, furchtbar einsam; aber wozu soll ich Dir klagen? Du hast so viel gelitten seit drei Jahren, daß ich glücklich bin, wenn Du dies alles vergißt und bei einer so edlen lieben Freundin, wie es die Baronin ist, Dich ein wenig erholst, deshalb möchte ich, daß Du so lange bleibst, als es Dir angenehm ist und die Baronin es wünscht.

Die Idee, daß die Baronin sich in eine blaue Kazabaika mit Hermelin schmiegen will, entzückt mich. Wenn ich sie nur sehen könnte!

Blau mit Hermelin wird zu ihrem blendenden Teint und blonden Haaren reizend stehen.

Ich schreibe der Baronin und bitte sie, mich einmal zu peitschen. Das erlaubst Du doch, nicht wahr?

Es freut mich, daß Du so gut in Tischnowitz lebst, Du hast es ja so lange entbehrt, armes Weiberl.

Wir leben sparsam, aber nicht schlecht. Durch drei Tage hatten wir Hirschschlegel, heute Risotto, morgen kommen die Ferncys zu einem Schöpsenschlegel.

Die Baronin soll sich zu der Kazabaika auch blaue Pantoffel mit Hermelin machen lassen. Ist die Kazabaika auch mit Hermelin gefüttert? Wie breit ist der Besatz? Ich bin sehr neugierig. Hat die Baronin auch eine Hundepeitsche für einen sehr großen Hund?

Es küßt Dir Hände und Füße

Dein Sklave

Leopold.
[329]

Graz, 5. November 1879.


Liebe Wanda!


Obwohl es mir recht bange um Dich ist, so ist es mir doch lieb, daß Du bis 11. bei der Baronin bleibst. Du hast in den letzten Jahren so viel Kummer gehabt, daß Dir diese Erholung und Luftveränderung sehr gut tun wird. Es berührt mich eigentümlich, daß Du mir gegen unsere Verabredung fast jedesmal über die Baronin schreibst und mitteilst, daß sie sich eine Kazabaika machen läßt, jetzt wieder ihren neuen Pelz schilderst, während Du über ihren Bruder schweigst. – Ich bin auf die Lösung dieses Rätsels sehr gespannt.

Der neue Pelz der Baronin muß prachtvoll sein, nur habe ich keine Vorliebe für Selskin. Ist er lang, und welchen Schnitt hat er? Ist die Baronin noch immer so reizend, fesch und pikant wie in Frohnleiten? Versteht sie es noch, die Leute von obenherab zu behandeln?


Graz, 6. November 1879.


Liebe Wanda!


Den Brief, den ich heute erhielt, hast Du offenbar in übler Laune geschrieben.

Du kümmerst Dich um alles, was zu Hause geschieht, wie sollst Du Dich da erholen? Du weißt doch, daß ich in bezug auf die Kinder noch viel aufmerksamer bin, als Du selbst, wie kannst Du also nur fragen, ob sie gebadet wurden, ob das Zimmer geheizt war usw.

Endlich, wie kannst Du glauben, daß ich nach Dir und neben Dir nur an ein anderes Weib denken könnte.[330] Das kränkt mich am meisten. Wenn man einen Mann sieben Jahre erprobt hat, wie Du mich, könnte man doch endlich jedes Mißtrauen beiseite lassen. In diesen ewigen Verdächtigungen spricht sich keine Liebe aus.

Ich liebe Dich wirklich, weil ich Dir vertraue.


Graz, 7. November 1879.


Liebe Wanda!


Gestern war ich recht böse auf Dich, heute ist wieder alles vergessen, und nur wieder jene unendliche Liebe und Sehnsucht da, die Du so wenig verdienst.

Wir leben sehr sparsam, brauchen in der Regel nur 1 fl. bis 1 fl. 50 Kr. für Küche, 38 Kr. für Milch und Brot, im ganzen 2 fl. per Tag, aber dennoch flieht das Geld.

Den 4. erhielt R. 10 fl., den 5. Karl 30 fl., Lukas 16 fl., für Auslösen des Winterrocks 5 fl. 50 Kr. Das waren in zwei Tagen gleich 61 fl., und ich habe noch kein Geld vom Lloyd, Abendpost und Bran.

Wie Du mir abgehst, kannst Du daraus ersehen, daß ich, seitdem Du fort bist, keine Zeile geschrieben.

Weißt Du, daß es mich eigentlich schmerzt, daß die Baronin so prachtvolle Pelze hat. Ich kenne keinen Neid, und der Baronin gönne ich alles Glück der Erde, aber es tut mir nur weh, daß Du nicht auch einen großen mit Rehrücken gefütterten Pelz und eine Kazabaika mit echtem Hermelin hast.

Wenn nur das Stück oder die Operette reüssiert, dann sollst Du sehen, wie ich Dich mit Luxus jeder Art umgeben will.
[331]

Ich habe in Tischnowitz in der Baronin dieselbe liebe und treue Freundin gefunden, wie ich sie in Frohnleiten kennen gelernt habe, und in ihrem Bruder, in den kurzen Augenblicken, da ich ihn bei den Mahlzeiten sah, einen stillen, ernsten Mann, der mir viel mehr von einem Künstler, als von einem Husaren zu haben schien; ich habe köstliche Stunden im herzlichen Geplauder mit der Baronin verlebt, und andere, in denen ich andächtig dem Gesang ihrer entzückend- schönen Stimme lauschte; ich fühlte mich so wohl in dem feinen Hause mit seinem behaglichen Reichtum, der so angenehm abstach von dem kalten, erdrückend schweren Luxus in Bertholdstein; ich habe hier nur Gutes und Freundliches erfahren – und all die Stunden und Tage dachte ich nur an die Rückkehr zu den Meinen, und fürchtete, daß sie in Not seien, sich nicht zu helfen wüßten und mich brauchten.

Noch ein anderes drückendes Gefühl drängte mich von der Baronin weg.

Schon in Frohnleiten empfand ich es schmerzlich, daß ich ihr so herzliches Entgegenkommen, das schöne Vertrauen, das sie mir schenkte, nicht in gleicher Weise erwidern konnte.

Ich konnte und durfte keine Freundin haben.

Nie fühlte ich mich so beschämt und zu Boden gedrückt von meiner schiefen und unwahren Stellung ihr gegenüber, als da sie einmal während meines Besuchs in so aufrichtig besorgter und liebevoller Weise zu mir über mich sprach. Ich hatte ihr von unserm Leben in Graz und den Bekannten dort erzählt, und das erweckte in ihr die Furcht, ich könne mich durch den Verkehr mit Männern[332] aus der Aristokratie verleiten lassen, in dem einen oder andern mehr zu sehen, als für mein Glück und meine Ruhe gut wäre. Sie warnte mich vor diesen Männern und sagte, keiner von ihnen sei wert, daß ich ihm auch nur eine Stunde meines schönen ehelichen Glückes opfere; ich solle doch nur nie vergessen, wie hoch mein Mann stehe, und welche Auszeichnung es für mich wäre, seine Frau zu sein, wie gut und lieb er zu mir und den Kindern sei, und wie ein so reines edles Glück wie das unsre so selten vorkomme.

Und ich war mit dem ganz bestimmten Auftrag nach Tischnowitz gekommen, ihren Bruder zu verführen.

Nein, ich durfte mich nicht der Gefahr aussetzen, in einem solchen Augenblick aus Verzweiflung in Tränen auszubrechen und alles zu gestehen.

Ich war kaum eine Woche in Tischnowitz gewesen, dann reiste ich wieder heim.


Vergebens suche ich in meinem Gedächtnisse, um den Zeitpunkt festzustellen, an dem ich die »Gewalttat« beging, die uns von Kapf befreite. Wenn ich zurückblicke in jene Zeit, sehe ich mich am Rosenberg das große schöne Zimmer, in dem bisher die Magd mit den Kindern geschlafen, für unsern »Sekretär« einrichten, und jene in ein schmales Kabinett, das an unser Schlafzimmer stieß, einquartieren; ich sehe Kapf mit uns in die Stadt ziehen und sich seine Ecke in unserm Speisezimmer dekorieren und dort am Fenster sitzend den ganzen Winter Gedichte lesen; im kommenden Sommer beobachte ich, wie er beginnt, sich langsam zum Ästhetiker zu entwickeln, und wie er sich zu seinen langen Promenaden Sonnenschirm und Fächer[333] anschafft; ich sehe die glänzenden scharfen Punkte seiner Brillen auf die schönen Mädchen gerichtet, die damals bei uns verkehrten, und wie seine wulstigen Lippen dabei behaglich schmunzelten; ich bin gewiß, daß er noch einen weitern Winter bei uns war, dann aber läßt mich mein Gedächtnis im Stich und ich kann nicht sagen, ob er auch noch einen dritten mit uns verbrachte, oder ob ich noch vor Beginn desselben »gewalttätig« gegen ihn wurde.

Wie es aber auch sei, einige Monate früher oder später, es war zu einer Zeit aufreibender Geldnot und in einem Moment, wo die »Anhänglichkeit« dieses jungen, uns gänzlich fremden Menschen und die Aussichtslosigkeit, ihn je selbst gehen zu sehen, mich zur Verzweiflung gebracht.

Der Kapellmeister des Grazer Theaters, Herr Angerer, hatte meinem Mann den Vorschlag gemacht, den Inhalt einer seiner Novellen zu einem Libretto umzugestalten, für das er eine Operettenmusik komponieren wollte. Leopold ging darauf sehr gern ein und machte sich auch gleich mit viel Vergnügen und Eifer an die Arbeit.

Fast gleichzeitig schrieb er ein anderes Libretto für Millöcker und ein Stück für Tewele. Das waren Hoffnungen – wir aber brauchten Einnahmen. Es gab wie der Stockungen in den Finanzen. Leopold schrieb zwar zwischendurch immer wieder Feuilletons, allein diese halfen nur kaum einige Tage weiter, und kamen auch manchmal rückständige größere Summen herein, so zerflossen sie wie Schneeflocken in der Sonne vor all den großen Zahlungen, die wir vor uns hatten, oder sie wurden von dem geheimnisvoll tiefen Abgrund verschlungen, der als »alte Schulden« auf unserm Budget verzeichnet stand. Da diese Situation noch lange dauern konnte und immer schlimmer werden mußte, beschlossen wir, unsre Ausgaben bis auf die[334] äußerste Möglichkeit einzuschränken, um bis zu der Zeit, wo eine der Operetten oder das Stück zur Aufführung kam, durchzuhalten.

Das war der Moment, wo Leopold sich entschloß, mit Kapf zu sprechen, ihm begreiflich zu machen, daß wir ihn unmöglich länger erhalten könnten, und daß er sich baldmöglichst ein andres Unterkommen suchen möge.

Kapf schien recht schmerzlich überrascht, er sagte, er habe immer gedacht, er würde sich nie von uns trennen, erklärte aber doch, daß er sich »umsehen« werde.

Unsre Lage allein würde meinen Mann kaum zu diesem Schritt veranlaßt haben, allein er hatte von seinem Sekretär schon seit langem genug und wollte ihn von sich abschütteln. Die immerwährende Anwesenheit dieses Fremden in der Enge seines Familienlebens, in das er so gar nicht hineinpaßte und dem er sich nie einfügen konnte, war Leopold unerträglich geworden, reizte und ärgerte ihn, er fing an, all die unangenehmen, ja unerträglichen Eigenschaften eines solchen Hausgenossen zu bemerken, und wenn er einmal einen Menschen nicht mehr mochte, war er ebenso ungeduldig das Verhältnis abzubrechen, wie er früher langmütig im Ertragen gewesen.

Es vergingen Monate. Unsre Lage wurde immer schrecklicher. Mit schwerem Herzen entschloß sich Leopold, einige seiner Bilder zu verkaufen. Feldzeugmeister Benedek kaufte zwei und ich glaube auch Graf v. Meran, wenigstens erinnere ich mich, daß er bei uns war, um die Bilder anzusehen.

Kapf hatte den Verkauf der Bilder, und wie schmerzlich dieser für meinen Mann war, mit angesehen – stumm und stumpf wie immer. Das brachte Leopold auf, und er wiederholte ihm, was er ihm schon einmal gesagt,[335] und Kapf gab darauf denselben Bescheid: er werde sich »umsehen«.

Mein Mann stand damals mit einer Verwandten des Grafen Sayn-Wittgenstein, der Prinzessin Rohan, die gleichfalls in Salzburg lebte, in ziemlich lebhaftem Briefwechsel. Kapf wußte davon, da mir Leopold öfter bei Tisch von den geistreichen Briefen der schönen jungen aber kränklichen Frau gesprochen; auch ihre Photographie, die sie Leopold gesandt, war Kapf bekannt.

Eines Tages erhielten wir eine Postanweisung über 200 Gulden: Als Absender war ein uns gänzlich unbekannter Name angegeben. Wir hatten keine Ahnung, wer das Geld gesandt haben könne.

Immer waren wir ängstlich bemüht gewesen, unsere finanziellen Schwierigkeiten vor der Welt zu verbergen, und brachten, um das zu erreichen, oft recht empfindliche Opfer. Niemand von unsern Bekannten und Freunden konnte wissen, wie unsre Lage war – nur Kapf. Die Geldsendung konnte nur die Folge einer Indiskretion seinerseits sein. Mein Mann nahm ihn ins Gebet und da gestand er auch gleich, und zwar mit einem gewissen Stolz, als handelte es sich um eine edle Tat, daß er von unsern schlechten Verhältnissen der Prinzessin Rohan geschrieben habe und die 200 Gulden wohl von ihr kämen.

Wie groß auch die Not bisher bei uns gewesen, und sie war manchmal arg genug, so war doch nie zwischen mir und Leopold die Rede, von unsern Freunden und Bekannten Geld zu leihen, obgleich die meisten reiche Leute und gewiß solche unter ihnen waren, die einem derartigen Ersuchen entsprochen hätten. Selbst bei Kathrin war es nie der Fall, trotzdem wir so intim mit ihr verkehrten und sie manche Annehmlichkeit durch uns genoß. Waren[336] wir in Geldverlegenheit, dann verpfändeten oder verkauften wir von unsern Sachen, oder liehen uns Geld von Leuten, die daraus ein Geschäft machten.

Kapf war es nicht gegeben, das zu erkennen – es schien sogar, als erwartete er von uns großen Dank für seine undelikate Handlung, und als glaube er, sich damit das Recht erworben zu haben, weiter auf unsre Kosten zu leben. –

Wieder vergingen Monate und es wurde noch schlimmer bei uns.

Unser Sekretär war wie gewöhnlich spazieren gegangen, ich aber saß da und sann darüber nach, wie ich es einrichten könnte, um mit dem wenigen Gelde, das ich noch hatte, 1–2 Tage durchzukommen, während Leopold in einer Lade nach ein paar alten Münzen kramte, die vielleicht verkäuflich waren. In diesem Augenblick brachte die Wäscherin die Wäsche Kapfs, die ich zu überzählen und zu bezahlen das Vergnügen hatte; denn obgleich er von seinen Eltern jeden Monat 25 Mark Taschengeld erhielt, zog er es doch vor, mir die Regelung dieser Ausgaben zu überlassen.

Nun hatte ich nicht mehr nötig, nachzusinnen, wie ich durchkommen würde – die Wäscherin nahm mir mit meinem Geld auch diese Sorge ab.

Jetzt aber sollte es ein Ende haben.

Sofort ließ ich durch den Hausmeister Kapfs Bett auf den Boden schaffen. Leopold rieb sich vergnügt die Hände.

»Na, der wird sich umsehen wenn er heimkommt,« sagte er freudig erregt, daß es nun endlich mit dieser Last vorbei sein werde.

Es war ein schöner Moment und einer, der uns für manchen Ärger entschädigte, als Kapf wie gewöhnlich[337] pünktlich zum Essen eintraf und sich zur Türe hereinschiebend gleich nach seinem Bett wandte, um Hut und Stock hinzulegen und dabei ins Leere griff; wie dann die kleinen Flämmchen in seinen Brillen wie Irrlichter im Zimmer herumfuhren, die Lösung des Rätsels suchend. Die Freude an dem Anblick hatten wir verdient und wir genossen ihn in aller Gewissensruhe. Nach einigen erläuternden Worten Leopolds begriff er endlich, daß es jetzt mit »umsehen« und derlei vorbei war, und er zur Tat schreiten müsse.

Noch am selben Tage hatten wir unser Heim wieder für uns allein, brauchten uns nicht jeden Augenblick zu erinnern, daß ein Fremder zugegen war und damit war die alte, so lange entbehrte Gemütlichkeit wieder bei uns eingekehrt. Aus Freude darüber hatten wir sogar für den Tag unsre Sorgen vergessen.


Nach der Abreise Kathrins war es bei uns still geworden. Ich bedauerte ihr Fernsein fast ebenso sehr, als es mir recht war. Sie hatte Unruhe und Verdruß ins Haus gebracht und uns oft zu Ausgaben verleitet, die wir ohne sie nie gemacht und die uns empfindlich waren. Andrerseits hatte ihre gesunde kraftvolle Natur erfrischend auf mich gewirkt. Das Leben, das mich erschreckte, machte sie lachen, und unwillkürlich war es auch mir in ihrer Gegenwart weniger ernst vorgekommen. Mit ihr war auch ein originelles, immer anregendes, geistiges Element von uns geschieden. Wir waren jetzt wieder auf uns selbst angewiesen, und das bedeutete für mich, daß das alte Pelzlied wieder mit voller Kraft einsetzen werde.

Es begann damit, daß mir mein Mann eine Pelzjacke[338] aus violettem Samt mit Hermelin gefüttert und besetzt machen ließ. Schon lange wünschte er, ich sollte rote, bis an das Knie reichende, mit Lammfell gefütterte Saffianstiefel haben; auch diese Phantasie gönnte er sich jetzt von der ersten größeren Summe, die einlief.

Er wollte die Freude mich so zu sehen nicht allein genießen, die ganze Stadt sollte daran teilnehmen. So führte er mich denn jetzt jeden Tag im Wagen durch die belebtesten Straßen. Es war im Winter und kalt, aber der Wagen mußte ein offener sein und ich mit gekreuzten Beinen drin sitzen, damit die schönen roten Stiefel zur Geltung kamen. In diesem Staat mußte ich einer russischen Bäuerin, die sich zu einer hochzeitlichen Schlittenfahrt herausgeputzt, sehr ähnlich gesehen haben.

Zu solchem Pelz und solchen Stiefeln gehörte ein Liebhaber. Es war unbegreiflich, daß ich keinen finden konnte! Ich war ja eine reizende Frau ... woran lag es? An den Männern natürlich. Man wagte sich nicht an mich heran, weil mein Gemahl den Ruf eines Kampfhahnes hatte! All die Duelle, die er gehabt ... und immer wegen Frauen!

Wie sollte man den Männern begreiflich machen, daß sie nichts zu fürchten hätten ...?

Er sprach gern von seinen »dreißig« Duellen. Besonders von einem, das für seinen Gegner tötlich endete.

Wieder gab es lange Unterhandlungen zwischen uns, darüber, wie wir es machen wollten, um endlich zu dem von ihm so heiß ersehnten Ziele zu gelangen.

Es war eine schwierige Sache.

»Die Männer sind so furchtbar dumm,« sagte mein Mann. »Eine Frau wie du möchte wohl jeder gern haben, sobald man aber von ihnen etwas verlangt, das die Geschichte[339] aus einer gemeinen Untreue zu einem poetischen Erlebnis gestalten würde, da werden sie stutzig, bekommen Furcht und alle möglichen Bedenken, und lassen lieber den Besitz einer schönen Frau fahren, als daß sie sich zu einer prächtigen heroischen Rolle entschließen können ... Je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr komme ich zur Überzeugung, daß es das beste wäre, die Sache mit einem Freunde zu unternehmen, der uns kennt, der weiß, daß du es nicht aus Liederlichkeit tust, sondern um deinem Mann eine Phantasie zu erfüllen und daß er von mir eben deshalb nichts zu fürchten hat. Und da komme ich immer wieder auf Staudenheim. Es hätte so viel für sich, wenn er der Grieche würde! ... Er ist ein schöner Mann, in dich verliebt, und er hat was Kühnes, Ritterliches ... Es besteht nur die Gefahr, daß er alles ins Komische zieht, und wo er ernst sein sollte – lacht.«

Solche Gespräche, bei welchen ich immer fest mit bei der Sache sein mußte, dauerten Stunden, ja sie waren das einzige und stete Thema unserer Unterhaltung. Da ich dabei immer Gefühle und Empfindungen zur Schau tragen mußte, die nicht die meinen waren, ermüdete und erschöpfte mich dieses Doppelleben derart, daß der utopische Gedanke und Wunsch in mir aufstieg, es möchte sich eine Frau finden, die jene Andre sein wollte, und ich nur meines Mannes Freundin, Hausfrau und Mutter seiner Kinder sein brauchte! Ich wußte wohl, daß das nicht möglich war, aber ich dachte doch immer wieder daran, etwa so, wie Arme davon träumen, sie würden einmal das große Los gewinnen, das ihrem Elend mit einem Schlage ein Ende machte, und die doch wissen, daß sie sich niemals auch nur den kleinsten Teil eines Loses werden kaufen können.

Da es bei mir feststand, daß Staudenheim niemals die[340] ihm von meinem Manne zugedachte Rolle spielen sollte und ich um keinen Preis die Scham auf mich nehmen wollte, ihm nur davon zu sprechen, erklärte ich Leopold, er möge tun wie er wolle, ich würde Staudenheim kein Wort darüber sagen.

Das sah er als eine Kinderei an und meinte, er würde selbst mit ihm darüber reden, ich sollte nur an ihn schreiben und ihn einladen nach Graz zu kommen, da wir ihm etwas sehr Amüsantes mitzuteilen hätten.

Auch diesen Brief zu schreiben weigerte ich mich. Ob ich aber nachträglich dem Drängen meines Mannes doch nachgegeben und ihm geschrieben habe, oder ob er ihm selbst schrieb, dessen bin ich nicht gewiß. Jedenfalls ging ein solcher Brief ab – und vierundzwanzig Stunden später trat unser alter Freund Staudenheim bei uns ein.

Es war ein peinliches Wiedersehen. Staudenheim war neugierig, aber auch mißtrauisch und unsicher: Gerüchte über uns mögen zu ihm gelangt sein, und jetzt fühlte ich seinen forschenden Blick auf mich gerichtet, mein Gesicht sollte ihm sagen, wie weit sie richtig waren.

Als er frug, warum wir ihn gerufen, lächelte Leopold verlegen und starrte ihn nur an, ohne ein Wort zu finden. Endlich sagte er etwas von einer sehr interessanten Sache, die aber noch nicht reif sei, und ob er nicht einige Tage hier bleiben könne, um abzuwarten, und derlei.

Staudenheim erriet sehr gut, um was es sich handelte, und daß Leopold nur der Mut fehlte, um mit seinem Anerbieten hervorzutreten. Das machte auch ihn verlegen, kurz, es war eine schamvolle Situation; und wie widerwärtig war meine Lage zwischen den beiden Männern, von denen mich der eine in Gedanken gab und der andre nahm.[341] Das war abermals verfehlt und mein armer Mann war darüber ganz niedergeschlagen.


Diesen Winter wurde Leopold Graz müde; er wollte wieder einmal andre Gesichter sehen, andre Luft atmen. Da traf es sich gut, daß man ihn einlud, in Budapest eine Vorlesung zu halten; zugleich sollte im dortigen deutschen Theater die von Angerer komponierte Operette »Die Wächter der Moral« zur Aufführung kommen. Wir würden zuerst allein hingehen und, ließen sich die Dinge dort gut an, die Kinder holen und ganz nach Ungarn übersiedeln.

Leopold liebte Ungarn, obgleich er nie dort gewesen; ein schönes, herrliches Land und eine edle ritterliche Nation. Auch war er für die Ungarn kein Fremder; seine Schriften waren fleißig übersetzt worden, und er hatte Verwandte dort, zwei Cousinen, Frau von Korsan und deren Schwester, Fräulein Rosa Sacher, alles Gründe, die für eine Übersiedlung sprachen. Man würde also sehen.

Gegen Ende Februar 1880 reisten wir nach Budapest.

Cousine Wanda (Frau v. Korsan,) hatte uns in der Nähe des Gymnasiums, deren Direktor ihr Mann war, zwei möblierte Zimmer gemietet, wodurch wir einen teuren Aufenthalt im Hotel vermieden. Die ganze Familie Korsan empfing uns sehr herzlich.

Die Zeitungen hatten über Sacher-Masochs Anwesenheit in Budapest sowie über die bevorstehende Vorlesung sehr schmeichelhafte Notizen gebracht; den ganzen Tag kamen Besuche, und Einladung folgte auf Einladung. Leopold hatte sich mit seinen »Judengeschichten« ganz Israel erobert, und jetzt reklamierte dieses seinen Schriftsteller.[342] Am liebsten hätte es ihn selbst zum Juden gemacht, aber das ging doch nicht gut, und so mußte es sich begnügen, ihn als christlichen Verteidiger seiner Rasse zu »verehren«. Daß die Juden ihn zu den ihrigen zählen wollten, freute und ärgerte Leopold zugleich. Es freute ihn, weil es ihm ein Beweis war, daß er den jüdischen Geist richtig erfaßt hatte, ärgerte ihn aber, weil er auf sein Herkommen, seine Familie hielt und wollte, daß die Welt wußte, aus welch angesehenem Hause er stammte.

Ein geistreicher junger Gelehrter, der zugleich ein vornehmer und reicher Mann war, Baron M ... schloß sich uns besonders an und lotste uns sozusagen durch die Budapester Gesellschaft. Mit ihm besuchten wir auch Jokai.

Eines Tages wurden wir durch den Besuch Liszt's überrascht. Ich war etwas erschreckt: der berühmte Musiker – und Liebhaber – wie würde er sein? Er war »bezaubernd«. Dennoch fand ich, daß seine liebenswürdige Einfachheit zu dekorativ war, zu großen Stil hatte für unser bescheidenes Zimmer und uns – so ganz stillose Menschen.

Zu den angenehmsten Bekanntschaften, die wir in jener Zeit machten, gehörte die Adolf Silbersteins und seiner Frau. Bei ihnen lernte ich noch etwas anderes kennen – das Glück! Es war ein einfaches Glück, das ganz in ihnen lag: in ihrer Liebe zueinander. Voll Wehmut schaute ich darauf. Erinnerungen an meine erste Jugend erwachten wieder in mir; von solchem Glück hatte auch ich einmal geträumt, es war vor mir gestanden wie eine vom ersten Morgenrot durchleuchtete Wolke und dann im hellen Tageslicht in nichts zerflossen. Und welch ein trauliches Heim die beiden hatten! Ihr Glück sollte es gut und[343] warm bei ihnen haben, sich zu Hause fühlen, damit es dabliebe, bis es zu einem alten Glück geworden war.

Aber es wurde nicht alt.

Eines Tages schrieb uns ein tief gebeugter Mann, daß die, die ihm alles war, ihn verlassen und alles Licht aus seinem Leben mit sich genommen habe. Er verlangte keinen Trost – wie hätten wir ihm auch einen solchen geben können –, nur um ein freundliches Erinnern bat er, an all den holden Reiz, der mit ihr dahingegangen.

Bei den Silbersteins trafen wir einmal mit Frau Alexander Strakosch zusammen. Was war das für eine brillante Frau! Sie war eben mit ihrem Manne von einer größeren Kunstreife zurückgekehrt, die ein einziger großer Triumphzug gewesen. So erzählte sie. Sacher-Masoch starrte sie nur so an. Er kannte sie von früher, von der Zeit her, da sie »Stütze« bei der ersten Frau ihres Mannes war, und er fand sie sehr verändert – sehr entwickelt – zu ihrem Vorteil natürlich. Er bewunderte sie, obgleich ein leiser Schatten auf ihre glänzende Erscheinung fiel; es war der Schatten einer zarten blaffen Frau, jener andern, deren Kinder diese jetzt »Mutter« nannten. Leopold hatte mir von ihr erzählt; er hatte sie in jener Zeit in ihrem Hause beobachtet, wie sie dort voll Gram umherging und überlegte, was besser sei, Sein oder Nichtsein; wie die Ungewißheit eines Tages zur Gewißheit wurde, sie belehrte, daß Nichtsein für sie das beste war, und wie sie dann voll Grauen und Furcht, aber doch auch wieder mutig, den letzten Schritt getan in das Dunkel, den Schritt, der Raum gab für die neue Gattin und Mutter.

An das mußte ich jetzt denken; Angst beklemmte mir das Herz ... wie etwas Feindliches, wie drohendes Unheil empfand ich die Gegenwart dieser Frau ...[344]

Nachdem Frau Strakosch die Größe ihres »Vortragsmeisters« in sichern kraftvollen Worten uns genügend vordemonstriert hatte, hielt sie Sacher-Masoch einen kritischen Vortrag über seine Werke. Sie sagte, das sei Kleinmalerei, Mosaikarbeit, es fehle ihm der Zug ins Große, Breite und derlei. Wie sie sprach! Ein Literaturprofessor würde von ihr haben lernen können. Wie sie die Worte so schön setzte und so ruhig und sicher war in der Festigkeit ihres Wissens. Mein armer Mann schrumpfte ganz ein und saß da wie ein abgekanzelter Schuljunge. Eine solche Frau hätte er haben müssen, wie sehr hätte sie ihm genützt ... Wieviel bin ich ihm schuldig geblieben.


Leopold war fest entschlossen, nach Ungarn zu übersiedeln. Wir kehrten also nur nach Graz zurück, um die Kinder zu holen, und schon gegen Ende März landeten wir wieder in Budapest.

Mein Mann war voll froher Hoffnungen. Er hatte in den letzten Wochen nur gute Träume gehabt, die alle auf glückliche Zeiten deuteten. In der Nacht vor unsrer Abreise träumte er, er habe auf dem ganzen Körper einen Ausschlag, und da das Traumbuch darüber sagte, es bedeute vorteilhafte Geschäfte und reiche Einnahmen, sah er die Zukunft im rosigsten Licht und war sehr guter Laune.

Mir war nicht so leicht zumute. Mit schwerem und traurigem Herzen sah ich dem Verkauf unserer Möbel, dem Auseinanderfallen unseres bescheidenen, aber trotz all der intimen Sorgen und fast konstanten Geldkalamitäten doch so glücklichen Heims zu. Würden wir je wieder die Mittel haben, uns einzurichten? Es sah nicht danach aus. Was also? Mit dem Manne, der so viele Pflege brauchte, drei[345] kleinen Kindern und dem Mädchen in Gasthöfen dritten Ranges oder zweifelhaften Fremdenwohnungen herumziehen? Ein teures, unbehagliches und ruheloses Leben erwartete uns.

Da ich nicht wie Leopold ein glückverheißendes Orakel mit mir in der Tasche trug, das mich über all die ernsten Bedenken hätte hinwegtäuschen können, waren es Angst und Bangigkeit, die mich auf dieser Reise begleiteten.

Wir wohnten diesmal bei Cousine Rosa, die uns zwei Zimmer ihrer Wohnung überlassen.

Cousine Rosa lebte nicht allein; sie teilte die Leiden und Freuden ihres Daseins mit einem ungewöhnlich großen schwarzen Kater von furchterregender Schönheit. Wollte der Teufel sich unter Menschen mischen, so würde er die Gestalt dieses Tieres annehmen. Die schwarze Intelligenz und Majestät dieses Katers schüchterte mich in der ersten Zeit sehr ein. Er besaß eine besondere Geschicklichkeit, die Türen zu öffnen. Saß man so recht gemütlich beisammen, ging plötzlich ganz geräuschlos, wie von Geisterhand, die Türe auf, und die schwarze Herrlichkeit stand mit hoch aufgerichtetem Schweif mitten im Zimmer.

Es war schon zwei Jahre, daß Rosas Vater gestorben war, aber noch immer sprang der Kater, sobald er ins Zimmer kam, auf das Bett, schob mit den Pfoten die Decke zur Seite und suchte unter derselben nach seinem verstorbenen Herrn. Rosa behauptete, ihr Kater sei intelligenter als viele Menschen und auch achtenswerter, und behandelte ihn danach; sie schliefen und aßen zusammen, und ich glaube, daß die Katze die bessern Bissen bekam. Immer waren sie zusammen; sie saßen auf demselben Stuhl und lasen aus demselben Buch; schlief die Cousine dabei ein, dann las er allein ruhig weiter, er blätterte zwar nicht[346] um, und das war auch nicht nötig, da ja doch auf allen Seiten dieselben Buchstaben standen; langweilte sie sich, dann schaffte er ihr Zerstreuung, indem er ihr Strickgarn um die Stuhl- und Tischbeine wickelte oder so lange die weißen Vorhänge auf und nieder kletterte, bis sie herunterfielen. So vertrieben sich beide die Zeit.

Aber so innig das Verhältnis Rosas mit dem Schwarzen auch war, ganz treu war ihr der Kater nicht. Manchmal blieb er 2–3 Tage und Nächte weg; erschien er dann wieder, war er so zerzaust, zerzupft, zerhackt und zerschlagen, daß sie sich seiner schämte. Sie brachte ihn dann eiligst in ihr Zimmer, schloß die Türe ab und da wusch, kämmte und bearbeitete sie ihm das Fell, bis es wieder glatt und glänzend war; sie gab ihm kräftigende Nahrung, und erst wenn er sich wieder komfortabel fühlte, machte sie ihm ernste Vorstellungen über seine Aufführung. Er ließ sie reden, ohne sie mit einem Wort zu unterbrechen, streckte nur seine kleine rote Zunge aus dem schwarzen Maul und kniff die gelben Augen lustig zu, als wälzte er sich innerlich vor Lachen über das alte Fräulein, das ihn über Dinge belehren wollte, von denen es nichts verstand.

Den Kindern war der schöne, imposante Kater ein Gegenstand der Ehrfurcht und Bewunderung. Nur von weitem staunten sie ihn an, und nie hätte eins gewagt, ihn zu berühren.

»Papa,« sagte Sascha einmal zu seinem Vater, »fürchten sich die Hausgeister nicht vor dem großen Kater?«

Den Hausgeistern war nämlich bei uns eine große erzieherische Rolle zugeteilt. Es gab einen guten und einen bösen; alle guten Gedanken und Handlungen kamen von dem ersteren ... mit ihm waren die Kinder ganz vertraut. Als wir von Graz wegzogen, waren sie sehr[347] bekümmert, was nun mit ihrem guten Hausgeist geschehen werde, man konnte ihn unmöglich in der leeren Wohnung allein lassen, und da ward beschlossen, daß er mit uns kommen sollte.

Jetzt war den Kindern bange, ob sich ihr guter Hausgeist nicht vor der diabolisch-schönen Katze erschrecken und sie vielleicht verlassen würde.

Wir beruhigten sie, indem wir ihnen sagten, das würde sich bald zeigen: solange sie gut und brav blieben, sei der Geist mit uns, sollten sie aber schlimm werden, hätte er uns verlassen. Damit waren sie zufrieden.


In dem Wesen Sacher-Masochs lag gleichsam die Bedingung, daß er fast zu allen Zeiten mit Personen in Verbindung stand, die an Bildung, Intelligenz und in ihrer sozialen Stellung weit unter ihm rangierten, ja oft recht anrüchige Leute waren. –

Da er im Umgang mit allen Menschen gleich liebenswürdig und einfach blieb und nie den Mut hatte, Annäherungen, selbst dann, wenn er überzeugt war, daß er es eigentlich müßte, zurückzuweisen, so war allen literarischen Spitzbuben und Gaunern gleichsam Tür und Tor geöffnet.

Er selbst nannte das seine Humanität und Menschenfreundlichkeit, was zum Teil stimmte. Es war aber noch mehr sein immer reges Verlangen nach Schmeicheleien, das bei dem ihn ausbeutenden Gesindel die reichlichste Befriedigung fand. Vielleicht kam auch sein starker Glaube an sich selbst ganz im Verborgenen manchmal ins Wanken – und fand dann in der Bewunderung dieser Leute wieder Halt und Gleichgewicht. –

Zu diesem literarischen Auswurf gehörte ein gewisser[348] Markus, Herausgeber des Revolverblattes »Cyankali«. Mit diesem zusammen gründete Sacher-Masoch die »Belletristischen Blätter«.

Das Unternehmen, das nur drei Monate dauerte, brachte Sacher-Masoch nichts ein, kostete ihm aber dagegen viele Sympathien. –


Eine jüdische Familie namens Ries, die wir kennen gelernt hatten, machte uns den Vorschlag, mit ihr für den ganzen Sommer nach Ecsed zu gehen, wo ein Verwandter von ihr Verwalter eines großen Gutes sei. Da die Familie gut und liebenswürdig, der Pensionspreis annehmbar war, gingen wir gern auf den Vorschlag ein, und schon Anfang Mai reisten wir mit unseren neuen Bekannten dahin ab.

Auf dieser Fahrt klagte mein Mann zum erstenmal über Furchtgefühl, das ihn überfallen, weil er sich in einem verschlossenen Raum befände. Mit Hilfe der herzigen und frohen Kinderschar, es war beinahe ein Dutzend, gelang es mir, diesmal den nervösen Anfall zu überwinden. Später hatte ich auf allen unseren Reisen mit diesem Furchtgefühl zu kämpfen.

In Hatwan mußten wir den Zug verlassen, und dort erwarteten uns Wagen, um uns nach Ecsed zu bringen.

Aber was waren das für Wagen! Sie mußten in irgend einem Winkel von einem vergangenen Jahrhundert vergessen worden sein, und jetzt hatte man sich ihrer erinnert und sie hervorgeholt, mit ihrem ausgedorrten, geborstenen, von Motten und Mäusen zerfressenen Leder und Kissen, ihren kraftlosen Federn, der ganzen verrosteten Herrlichkeit einer Generation, die längst zu Asche[349] geworden. Der Wagen, der mich aufnehmen sollte, der vornehmste unter seinen Kollegen, war mit sechs Pferden bespannt, die anderen mit vier oder zwei; aber kein Paar ging zusammen. Es waren da alle Arten von Pferden, große und kleine, junge und alte, fette und magere. Das Sattelzeug bestand aus alten, vielfach geknüpften Stricken; die Kutscher waren junge halbgewachsene Burschen mit nackten Füßen, unbedecktem Kopf, das weiße Hemd über die Leinenhosen gegürtet. Aber wenn es unserem Zuge auch an Eleganz fehlte, so mangelte es ihm doch nicht an Heiterkeit, und die altersschwachen Wagen mögen auch in ihren jüngsten und schönsten Tagen keine fröhlichere und glücklichere Fahrt gemacht haben.

Eine Weile fuhren wir auf der guten Landstraße, dann aber bogen die Kutscher ab, in die Felder hinein, auf eine Straße, die nie eine war, auf den vom letzten Regen noch ganz durchweichten Boden, durch kleine Seen, deren lehmiges Wasser die Sonne vergoldete. Bald senkten sich die Wagen rechts, bald links in ausgefahrene Stellen, dann schrien die Kinder vor Schrecken auf, um gleich wieder in helles, jubelndes Lachen auszubrechen, wenn der flüssige Kot über sie zusammenschlug und gleich wieder auf sie herunterfiel; wer am meisten davon bespritzt wurde, war der Glücklichste von allen.

Zu dieser allgemeinen Lustigkeit wollten auch die Pferde das ihrige beitragen: zog das eine links, dann zog das andere rechts; das wollten nun die Kutscher wieder nicht leiden, und schlugen und rissen im jugendlichen Eifer an Pferden und Stricken, bis letztere entzweigingen und Halt gemacht werden mußte, um den Schaden auszubessern. Sie sprachen dann ernst und würdevoll zu den Tieren, aber ich glaube, es waren keine Ehrentitel,[350] mit denen sie sie anredeten – allein das war nur eine Vermutung, denn ich verstand ja nicht ungarisch.

Leopold war von Glückseligkeit ganz gerührt: wie ihn das anheimelte! Er erinnerte sich solcher Fahrten durch die Steppe und fand, daß die verkrachte Eleganz polnischer Gutsbesitzer diesem »Einzug in Jerusalem« auf ein Haar glich.

Ich weiß nicht, wie lange wir fuhren, aber es schien mir eine kurze Fahrt gewesen zu sein im Vergleich zu dem Vergnügen, das sie uns bereitet hatte.

Erst beim Eintritt in das Dorf wurde die Geschichte ernst. Da war der Kot zu einem soliden dicken Brei zusammengefahren, der sich in schweren Klumpen an die Räder hängte und ihr Weiterkommen verhinderte. Jetzt wurde es mir auch auf einmal klar, warum man so viele Pferde an die Wagen gespannt, denn jetzt bekamen sie zu tun. Doch auch das wurde überwunden, und wir langten endlich an mit Kot bedeckt und wie berauscht von der langen Fahrt über die weite, freie Ebene.

Das Kastell lag auf einem Abhang. Wir kamen erst durch einen ungeheuer großen Vorhof mit den Stallungen und dem Häuschen der Dienstleute; über diesem, von einem Garten umgeben, war das Kastell, ein ebenerdiges Gebäude aus Stein mit einer offenen Galerie, von welcher aus man in die Zimmer gelangte. Haus und Garten sahen vernachlässigt aus, die Wohnräume waren nur sehr summarisch möbliert, aber wir brachten ja mit unserer Kinderschar so viel Gemütlichkeit und zarte Anmut mit, daß es bald behaglich genug war.

Die geringe Zahl der Zimmer und ihre Lage brachten es mit sich, daß wir gleichsam mit der Familie Ries zusammen wohnten.[351]

Ein großer Saal trennte unser Schlafzimmer. In diesem Saal schliefen unsere und einige Kinder der Frau Ries; auch mein Dienstmädchen schlief da. Es war das mehr ein Kampieren, als ein eigentliches Wohnen, aber wir hatten ja Sommer, der Garten war groß und für die Kinder von entzückender Wildheit. Den Mangel an Komfort im Hause ersetzte die Familie durch einfache, herzliche Liebenswürdigkeit. Und wie hätte man sich in einem Hause nicht wohl fühlen sollen, dem Frau Ries vorstand! Wieviel habe ich von dieser Frau gelernt, sowohl als Mutter wie als Gattin und Hausfrau; ohne große Bildung hatte sie die Klugheit und den Takt des Herzens. Und wie verehrten sie ihre Kinder! Diese Mutter nicht zu kränken, ihr keinen Ärger und Verdruß zu bereiten, war ihre stete Sorge, und nie gab es in diesem Hause Uneinigkeit oder Zank. Einst war Frau Ries eine große Schönheit gewesen, aber das schien sie vergessen zu haben – ihre Eitelkeit und ihr Stolz waren jetzt nur noch ihre Kinder.

Die Schwester von Frau Ries war an einen Herrn Suhr verheiratet, der eben Verwalter des Gutes war. Auch sie hatten drei Kinder. Nie hatte ich eine so große Menge Kinder beisammen gesehen, und sie zu beobachten wurde ich nicht müde. Köstlich war es zu sehen, wenn meine Kinder mit den Suhrschen spielten: die einen sprachen kein Wort ungarisch, die andern kein Wort deutsch, und doch verstanden sie sich. Manchmal aber stockte das deutsch-ungarische Geplauder ganz plötzlich: jetzt gab's eine Schwierigkeit, ein Nichtverstehen; das Spiel hörte auf, die kleinen Gesichter sahen sich mit angestrengter Aufmerksamkeit an, Aug in Aug, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung – da ... jetzt hatten sie sich verstanden; ein freudiges[352] Lächeln löste die gespannten Mienen, das Spiel wurde fortgesetzt.

So mögen die Tiere sich verstehen durch Gedankenlesen; eine Sprache fein und tief, nicht wie unsere groben Worte, die so selten imstande sind, unsere Gedanken so wiederzugeben, wie sie gedacht, wohl aber leichter zu gebrauchen sind, um sie zu verbergen oder zu verwirren.

Eine Eigentümlichkeit unserer Kinder fiel hier unter so vielen anderen ganz besonders auf: die beiden Knaben Sascha und Mitschi sprachen von sich und zu uns stets nur in der dritten Person. Wollte z.B. Sascha sagen: »Papa, erlaubst du, daß ich in den Garten gehe,« so sagte er: »Erlaubt der Papa ihm (Sascha), daß er (Sascha) in den Garten geht?« Dies machte auf alle, die es hörten, einen drolligen Effekt, und doch wurde es den Kindern nicht beigebracht, es kam ganz von selbst, als sie zu sprechen anfingen, und heute noch sagt mein Sohn zu mir, wenn er deutsch spricht, weder »Du« noch »Sie«, sondern »sie«. Ein Atavismus, der vom Vater kam, der auch zu seinen Eltern weder »Du« noch »Sie« sagte, sondern »Der Vater«, »Die Mutter«. Merkwürdigerweise hatte Lina von diesem polnischen Erbteil nichts abbekommen, sie nannte uns »Du«.


Bedrückend wirkte in der ersten Zeit die von einem seltsamen Duft erschwerte Luft auf mich. Es war mir, als ob ich ein Opiat eingenommen hätte: der Kopf zeigte sich benommen und der Atem beklemmt. Auch die Kinder waren davon beunruhigt: nachts schrien sie voll Schrecken auf und wehrten unter angstvollem Weinen traumhafte[353] Ungeheuer mit den Händen von sich ab; erst wenn sie wieder ganz erwacht waren und sich in unseren Armen sahen, beruhigten sie sich. Nur Leopold blieb davon ganz unberührt. Lange suchten wir nach einer Erklärung dafür, die uns auch endlich wurde.

Ganz nahe beim Hause, durch ein hohes dichtes Gesträuch gedeckt, befand sich der Brunnen. Eines Tages sah ich dort einige Männer in den Zweigen eifrig herumhantieren. Auf meine Frage, was sie da täten, sagten sie mir, sie hätten die »spanischen Fliegen« in der ganzen Gegend gekauft und seien nun gekommen, ihre Ernte einzusammeln. Und jetzt erst bemerkte ich, daß alle Blätter des Gesträuchs mit kleinen glänzend-grünen Käferchen bedeckt waren, die die Männer gewissenhaft abnahmen und in Gläsern verwahrten. Mit den Käfern war auch der süße, aber betäubende Duft verschwunden, der mich und die Kinder krank gemacht hatte.

Mit Liebe, Ehrfurcht und Bewunderung blickte das ganze Haus auf meinen Mann. Wie lieb, wie einfach war er, und wie herzensgut! Den Frauen sagte er angenehme Dinge, die Mädchen behandelte er mit achtungsvoller Zärtlichkeit, prophezeite ihnen eine schöne Zukunft und ließ sie ein geheimnisvolles Glück ahnen, das sie erwarte, und keiner konnte, wie er, so auf den kindlichen Geist eingehen und sich mit wärmerem Interesse an seinen Spielen beteiligen. Oft saß er mitten unter den Kleinen und erzählte ihnen so wunderbare Geschichten, daß sie regungslos, wie in einem Zauber befangen, um ihn standen und mit weit offenen Augen lauschend an seinen Lippen hingen.

So wirkte er anregend und belehrend auf alle, und[354] alle Herzen, die großen wie die kleinen, scharten sich in dankbarer Liebe um ihn.

Einmal plante er ein Kostümfest. Da saß er denn viele Tage mit den Frauen zusammen, um mit ihnen die für ihre Schönheit passendsten Kostüme zu wählen. Sie schleppten ihm dann alle ihre Kleider, Spitzen, Bänder und Schmucksachen herbei, und er besah alles, stellte zusammen und hielt Proben mit ihnen ab. Die Mittel waren nur geringe, aber er war erfinderisch und brachte es fertig, daß an dem bestimmten Tage das ganze Haus, alt und jung, kostümiert einherging.

Am liebsten war ihm aber doch das »Räuberspiel«, denn das gab Gelegenheit zu Grausamkeiten. Der große Garten war wie geschaffen dazu: da waren Berge, dunkle Schluchten, unheimliche Höhlen, tiefe Abgründe, lauter Orte, wo der harmlose Wanderer überfallen, ausgeraubt und verschleppt werden konnte. Dann wurden die Mädchen in meine Pelzjacken – das Symbol der Grausamkeit – gesteckt, schlichen in ihre Schlupfwinkel, und die Angst begann für den einsam dahinwandernden Mann. Kam er an eine abgelegene Stelle, so ertönte ein geheimnisvoller Pfiff, und plötzlich stürzten von allen Seiten die Pelzjacken auf ihn los. Wohl versuchte er sich zu verteidigen, zu fliehen, allein die vielen Pelze überwältigten ihn bald; er wurde an Händen und Füßen mit starken Stricken gefesselt und tief in den Urwald geschleppt, wo der Hauptmann der Bande – das war ich – über ihn Gericht halten sollte. Gern hätte er sich von den Mädchen strafen lassen, allein er wagte ein solches Verlangen nicht zu stellen, wußte auch zu gut, daß sie es nicht übers Herz gebracht hätten, ihrem geliebten »Herrn Doktor« ein Leid zuzufügen. –[355]

In warmen mondhellen Nächten saßen wir zuweilen bis Mitternacht im Garten, während drinnen Franzi, die älteste Tochter von Frau Ries, ein liebes siebzehnjähriges Mädchen, schöne ernste Musik machte. Schweigend saßen wir und lauschten. Hoch kalt und teilnahmlos zog der Mond über uns hin und verschwand dann hinter den Pappeln, die uns bald in ihre Schatten hüllten, bis nur noch die weiter abstehenden Birken in hellem Silberglanz leuchteten.

Feierlich klangen die Töne durch die stille Nacht; die Wirklichkeit sank zurück in graue neblichte Ferne; alte Träume wachten auf, und längst vergessenes Hoffen und Sehnen regte sich wieder. Aber all dies Erinnern war schlaff und matt, das letzte kraftlose Aufwachen einer Seele, die an keinen Widerstand mehr denkt, bereit ist, den Kopf zu neigen und die Wellen des Lebens über sich zusammenschlagen zu lassen. –

Immer tiefer sank der Mond, das Licht der Birken erlosch, und immer länger streckten sich die Schatten der Bäume, bis sie ganz ineinanderflossen, und alles zu einem unklaren, verworrenen Bild wurde – wie Menschenschicksal.


Ich fing wieder an zu schreiben. Ich hatte jetzt keinen Haushalt zu führen, und da ich die Stunden, die Leopold arbeitete, doch bei ihm im Zimmer sitzen mußte, konnte ich ebensogut schreiben und Geld verdienen. Ich verfaßte also jede Woche ein Feuilleton für das »Pester Journal«, das mir 10 fl. dafür bezahlte; auch für ein Berliner und ein Hamburger Blatt schrieb ich von Zeit zu Zeit kleine[356] Geschichten, so daß ich jeden Monat 40 bis 60 fl. verdiente.

Ich tat es gern und würde es noch lieber getan haben, hätte ich schreiben können, wie es mir gefiel; aber das durfte ich nicht. Meine Arbeit sollte meinem Manne zur Freude und zum Vergnügen werden, deshalb mußten es »grausame« Geschichten sein, die ich schrieb. Um mich in die richtige Stimmung zu bringen, war es nötig, daß ich eine Pelzjacke anzog und eine große Hundepeitsche vor mir auf dem Tisch lag.

So saß ich denn bei dreißig Grad Hitze schön warm in meinen Pelz gehüllt und zermarterte mir mein armes Gehirn, das gar nicht in dieser Richtung gehen wollte, um grausame Situationen zu erfinden. Aus solcher Zwangsarbeit konnte nur wertloses Zeug entstehen, und das war es auch. Ich schämte mich damals, als ich es schrieb, und ich schäme mich heute noch mehr als damals: über eine Frau, die solche Geschichten schreibt, hat das Publikum ein Recht, sich eine gewisse Meinung zu bilden – wie Professor Krafft-Ebing das Recht hatte, mich in seinem Buche über »Masochismus« in die Zahl jener Schriftsteller einzureihen, die ihm das Material lieferten zu seiner psychologischen Studie. –

Ende Mai erkrankte Sascha an der Diphtheritis. Ein Entsetzen ging durchs ganze Haus. Es waren ja so viele Kinder da, und Frau Ries hatte erst vor wenigen Monaten einen dreijährigen Knaben an dieser furchtbaren Krankheit verloren.

Ein Studienfreund meines Mannes, Dr. Schönfeld, lebte als praktischer Arzt in Gyangyos; er hatte durch die Zeitungen erfahren, daß Sacher-Masoch in Ecsed wohne, und war vor einigen Tagen gekommen, ihn zu besuchen.[357] Jetzt wurde ein reitender Bote nach ihm gesandt, allein es war wenig Hoffnung, daß er vor dem Abend kommen könne, vielleicht erst den folgenden Tag – und was bis dahin?

Bis dahin geschah folgendes:

Frau Ries zog rasch ihr Wollkleid aus und ein Leinenkleid an und empfahl mir, dasselbe zu tun. Unterdes hatte sie auch schon Befehl gegeben, alle Betten der Kinder wegzuschaffen in das am fernsten gelegene Zimmer, die Kinder selbst aber bis zur Schlafenszeit überhaupt nicht ins Haus zu lassen. Bleich und ernst, aber mit dem Mut, der Energie und Sicherheit eines erfahrenen Feldherrn, traf sie ihre Anordnungen zu der bevorstehenden Schlacht mit dem Tode.

Auch Leopold verwies sie aus dem Krankenzimmer, und in wenigen Augenblicken war sein Bett und Schreibtisch verschwunden. Frau Ries hatte eine kleine Hausapotheke von Pest mitgebracht; dieser entnahm sie alles für einen solchen Fall Nötige.

Nun ging es an ein energisches Einpinseln. Das Kind, das in meinem Bette lag, war sehr ängstlich, sehr empfindsam und erschreckt, schon wenn es den Mund öffnen sollte. Nur mit der größten Zärtlichkeit, und nur, weil sein Vater draußen stand und durch die Glastüre mit bittend erhobenen Händen seinen Liebling anflehte, sich behandeln zu lassen, damit er wieder gesund werde, denn sein Papa leide zu schrecklich, ihn so krank zu sehen, überwand er seine Furcht und ließ sich die Einpinselung gefallen. Ich hielt den Kranken in den Armen, und Frau Ries vollzog mit geschickter Hand die Operation. Wenn dann der Kranke hustete, uns mit seinem Auswurf bespritzte, kam mir wohl das Bedenken, ob ich denn die[358] Frau, die Mutter so vieler Kinder war, dem aussetzen durfte; aber die Angst um mein eignes Kind überwand die Bedenken, mein Egoismus nahm das Opfer an, das ich an ihrer Stelle vielleicht nicht zu bringen vermocht hätte. –

Leopold hatte sich draußen seinen Schreibtisch so gestellt, daß er während der Arbeit durch die Glastüre den Kranken sehen konnte. Er sandte ihm von dort her zärtliche Worte und Küsse, der Kleine aber, der nicht fassen konnte, daß sein geliebtes Papachen so weit von ihm blieb, blickte voll Sehnsucht nach ihm und verlangte mit seiner schmerzenden Stimme:

»Der Papa soll herein kommen.«

»Das regt das Kind auf,« sagte Frau Ries, »der Herr Doktor sollte sich lieber so setzen, daß ihn das Kind nicht sehen kann.«

Ich schrieb das auf einen Zettel und hielt diesen an die Glasscheibe. Auf dieselbe Weise antwortete er mir, er könne das nicht, es sei ihm zu schmerzlich, das Kind nicht zu sehen, er ziehe es vor, spazieren zu gehen.

Frau Ries und ich verließen das Zimmer nicht; in angstvollem Schweigen saßen wir viele Stunden den Kranken beobachtend. Trübe Erinnerungen mochten an dem Geist der Frau, die mir eigentlich eine Fremde war und sich jetzt wie die treueste Freundin benahm, vorüberziehen; oft sah ich, wie ihr Mund schmerzhaft zuckte und ihre Augen feucht wurden. Nie hatte sie mir von ihrem verstorbenen Knaben gesprochen, die Wunde blutete noch zu heftig, nur die Mädchen, besonders Franzi, hatten mir gesagt, sie dürften die Mutter nie allein lassen, denn dann denke sie gleich an den Verlorenen, und weine bis sie krank werde.

Mit welch peinigenden Gedanken mochte sie jetzt an[359] dem Bett meines Kindes sitzen, wieviel Kraft mochte sie aufwenden, um die Tränen zurückzuhalten, die mich erschreckt haben würden. Mit welchem Weh mochte sie das zerquälte Gesichtchen meines Sascha an die Leiden und die furchtbaren letzten Augenblicke ihres Dahingegangenen erinnern! Was war ich dieser Frau, daß sie mir in diesen Stunden lähmender Angst so mutig zur Seite stand? Wie würde ich ihr das je danken können!

Spät am Nachmittag kam Dr. Schönfeld und fast zugleich mit ihm auch mein Mann von seinem Spaziergang zurück.

Mit kurzen Worten erzählte Frau Ries dem Arzt was sie getan und, nachdem dieser das Kind untersucht, erklärte er, daß es wahrscheinlich dank ihrem raschen und energischen Eingreifen schon jetzt außer Gefahr sei. Zu unserer Beruhigung wolle er jedoch die Nacht dableiben.

Leopold hatte in angstvoller Spannung durch die Glasscheiben den Arzt beobachtet und gehört was er gesagt, und Tränen der Freude und Erlösung liefen ihm über das Gesicht. Als Frau Ries jetzt herauskam, um nach einem Bad und Kleiderwechsel wieder zu ihren Kindern zurückzukehren, die sie den ganzen Tag nicht gesehen, trat mein Mann vorsichtig zur Seite, sagte ihr aber, er werde sich von ihrem Manne die Erlaubnis erbitten, sie umarmen und küssen zu dürfen für die Güte und Liebe, die sie seinem Liebling erwiesen.

Ich blieb die Nacht allein mit dem Kinde, das schon viel leichter atmete und ziemlich ruhig schlief.

Schon nach einigen Tagen war das ganze Haus, groß und klein, dabei, dem Genesenen draußen in der Sonne ein weiches Lager aufzuschlagen. Und dann lag er dort in süßer Mattigkeit, ein seliges Lächeln in dem lieblichen,[360] jetzt etwas schmalen Gesichtchen, und blickte voll dankbarer Zärtlichkeit auf die, die sich um ihn in bewundernder Liebe scharten.

Und Frau Ries?

Viele Jahre sind seitdem verflossen; in allen diesen Jahren quälte und quält mich heute noch der Gedanke, daß ich der Frau für das, was sie mir getan, nicht so gedankt habe, wie ich es empfunden. Wenn es so ist, so sind wieder nur meine unseligen Verhältnisse daran schuld, die mich immer mehr und mehr scheu und verschlossen machten und mich drängten, jedes herzliche Näherkommen zu vermeiden.


Wir wurden mit einigen Nachbarn bekannt.

Als wir in Hatwan aus dem Zuge stiegen, stellte sich uns dort ein junger Mann, Alexander Groß, als Freund des jungen Garbiel v. Korsan vor. Er hatte unsre Ankunft erwartet und bemerkte, seine Eltern wohnten auf ihrem Gute in der Nähe und würden sich sehr freuen, uns kennen zu lernen. Er war auch mit der Familie Ries bekannt, begrüßte sie und meldete ihr seinen Besuch in Ecsed an.

Er kam ziemlich oft, so oft, daß man sich darüber zu wundern begann. Wir lernten auch seine Eltern kennen und seine Schwester Irma, ein sechzehnjähriges prachtvoll schönes Mädchen. Die ganze Familie war augenscheinlich sehr bemüht, ein distinguiertes Wesen zur Schau zu tragen und alles ängstlich zu vermeiden, was etwa an grobes Landleben hätte mahnen können. Aber ich glaube, sie hätten nichts riskiert, wenn sie diesen Anstrich, der ihnen etwas Geziertes gab, vermieden hätten; sie hatten innere Feinheit genug, um sich ganz so geben zu können, wie sie waren.[361]

Besonders innig schien mir das Verhältnis von Mutter und Sohn zu sein. Frau Groß war eine hochgewachsene, noch schöne Frau, die nur wenig sprach und oft zerstreut und traurig vor sich hinblickte, wie jemand, der geheimen Kummer hat. Wenn dann der Sohn, der noch um einen Kopf über sie hinausragte, auf sie heruntersah, ihre abwesende Miene bemerkte, kam auch in sein hübsches gutmütiges Gesicht ein ernster, sorgenvoller Ausdruck. Er mochte dann wohl wissen, wo die Gedanken seiner Mutter waren, und mit ihr leiden.


Wir lebten in Ecsed ganz das jüdische Leben, hielten den Sabbat, aßen Schalet und all die speziell jüdischen Speisen und wurden nach und nach mit allen Gebräuchen der Juden vertraut. Unten im Vorhof waren zwei Zimmer als »Tempel« eingerichtet, in denen jeden Samstag die Juden aus der Nachbarschaft und auch wandernde Händler verkehrten und Gottesdienst hielten. Es herrschte im Kastell eine weite Gastlichkeit und oft saßen fremde Juden mit am Tisch bei den Mahlzeiten, die wir alle gemeinschaftlich nahmen, und die sonst immer sehr gemütlich und heiter waren, nur dann nicht, wenn diese Fremden kamen, die gewiß in uns Nichtjuden vermuteten, was sie befangen und mißtrauisch machte.

Leopold war hier in seinem Element, er tauchte ganz unter in das jüdische Leben; nicht allein, weil es ihn als Schriftsteller interessierte, sondern weil ihn der jüdische Geist, so ursprünglich wie er ihn hier kennen lernte, amüsierte.

Wie die Gastlichkeit, so übte man im Kastell auch Wohltun: Schnorrer gingen fortwährend ein und aus. Frau[362] Ries gab allen, obgleich die meisten dieser Leute mehr wie Tagediebe als Unglückliche aussahen.

Ich wußte nicht, daß jüdische Bettler um das Almosen nicht bitten, sondern es verlangen, und erfuhr es erst, als ich eines Tages einen solchen, weil er mit dem Hut auf dem Kopfe vor der ihn beschenkenden Hausfrau stand, zurechtwies. Ähnliche Verstöße gegen jüdische Sitten begingen wir in der ersten Zeit oft genug; nach und nach aber lebten wir uns hinein und manchmal schien es mir, als seien wir selbst zu Juden geworden. Unbehaglich und belästigend wurden uns die jüdischen Sitten erst am »langen Tag«. Alle Juden aus der Gegend und alle, die sich um diese Zeit als »Reisende« da herumtrieben, lagerten am Abend vor dem großen Tag im Vorhof und Garten, und das war keine anziehende Gesellschaft. Die seltsamste Erscheinung unter ihnen war eine Art »Heiliger«, der von den andern mit außerordentlicher Ehrfurcht behandelt wurde. Es war ein schmächtiger noch nicht alter Mann mit beinahe schönem schwermütigen Kopf. Haar und Bart bildeten eine dunkle Wildnis, die niemals durch einen Kamm entweiht worden zu sein schien. Er trug zwei Kaftane von schwarzem Atlas, einen über dem andern, und beide so lang, daß er sie hinter sich herschleppte; der Mann und seine Kleidung starrten vor Schmutz; wie zwei Ballons bauschten sich die Säcke in seinen Kaftanen, in welchen große Melonen staken, die ihm beim Gehen um die Beine schlugen. Er schien ganz erschöpft und kroch viel mehr als er ging den Hügel herauf.

Man hatte Frau Ries von dem seltsamen Gast benachrichtigt; eilig kam sie herbei und sprach mit ihm in einer Art zärtlicher Ehrfurcht; sie bat ihn einzutreten, sich zu erfrischen und auszuruhen. Er aber weigerte sich und[363] wies sie zurück; langsam, müde blickte er um sich, schleppte sich in einen Winkel und kauerte sich ins Gras. Von tiefem Mitleid ergriffen stand Frau Ries da, und ich sah, wie weh es ihr tat, daß sie ihn nicht pflegen durfte.

So mag Christus auf seinem Leidenswege unter der Last des Kreuzes zusammengebrochen sein und so mag Veronika mit dem Schweißtuche vor ihm gestanden haben.

Es gab an diesem Tage ein sehr reiches Mahl, sollten sie doch vierundzwanzig Stunden ohne Nahrung bleiben. Als wir zu Tisch kamen, stand der »Heilige« mit seinem Gebetriemen angetan hinter der Türe und betete. Man hatte ihm Blumen an seinen Platz gestellt und einen bequemen Fauteuil, in dem er sich ausruhen sollte. Aber er aß kaum und trank nur Wasser; mit seinen schmutzigen Fingern, deren Nägel zu langen schwarzen Krallen ausgewachsen waren, zerriß er das Brot und schob es samt den Fliegen, die darauf saßen, in den Mund. Vielleicht war er wirklich ein Heiliger, aber gewiß ist, daß es diesen Abend an unserm Tisch nicht nach Heiligkeit roch, und daß ich mir einbildete, daß jeder Bissen, den ich aß, nach der Ausdünstung dieses Menschen schmeckte.

Anstatt sich für die Nacht in das reine frische Bett zu legen, das ihm Frau Ries hatte bereiten lassen, zog es der fremde Rabbi – denn er war ein solcher – vor, sich wie ein Hund unter den Tisch zu legen.

Meinen Mann freute die Anwesenheit dieses Gastes, und er bedauerte nur, mit ihm nicht reden zu können; dagegen ließ er sich von Herrn Ries genaue Auskunft über alles geben, was diese Art Heiligen betraf, und machte sich darüber eifrig Notizen.

So ängstlich wie man im Kastell alle jüdischen Bräuche beobachtete, ebenso ängstlich war die Familie Groß bemüht,[364] alles abzustreifen, was an ihre jüdische Abstammung hätte erinnern können. Das gelang ihnen so gut, daß sie sowohl in ihrem Äußern, wie in ihrer ganzen Art keine Spuren jüdischen Wesens mehr an sich hatten. So sehr auch alle unsre Hausgenossen sympathisch und aufrichtig bemüht waren, uns das gemeinsame Leben angenehm zu machen, fühlten wir ihre religiösen Vorschriften doch oft wie Fesseln; von diesem Zwang befreiten wir uns gern von Zeit zu Zeit durch einen Besuch bei Herrn Groß.


Ich erkenne meinen Dichter nicht mehr, er ist wie umgewandelt; die viele Jugend im Hause hat auch ihn wieder zum Jüngling gemacht. Er, der in der Stadt erklärt hatte, nicht mehr gehen zu können, wenn er mich nicht an seinem Arm fühle, tollt jetzt stundenlang mit den Kindern und Mädchen herum, ohne meiner zu bedürfen. Jeden Abend kommen die Zigeuner mit ihren Fiedeln, stellen sich in dem großen Zimmer um den Ofen und der Ball beginnt. Ich wußte nicht, daß mein Mann Czardas tanzen könne, und wie tanzt er ihn! Wie sicher und flink wirft er die Füße, wie luftig dreht er sich mit seiner Tänzerin! Und wenn die Jugend schon müde ist, dann ist er noch ganz frisch und holt sich eine der Mütter zum Tanze her. Ich selbst hatte wenig Sinn für dieses Vergnügen, und saß nur still in einer Ecke, der Lust der andern zuschauend.

Tanz und Gesang belebten auch tagsüber das Kastell.

Frau Suhr hatte eine Magd, Mortscha, die Leopold außerordentlich interessierte. Sie war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, hoch und schlank gebaut und trug den schönen Körper mit der stolzen freien Anmut einer Römerin. Ihr[365] Gesicht war nicht schön, aber es gefiel durch seinen klugen energischen Ausdruck.

Frau Ries' jüngstes Kind war ein allerliebstes Mädchen von kaum einem Jahr. Wenn Mortscha Zeit hatte, nahm sie das Kind, das bei ihrer Annäherung schon vor Freude aufschrie, stellte es auf ihre flache Hand, reichte ihm den Zeigefinger der anderen, an dem sich die Kleine festhielt, und tanzte dann singend mit ihr die Galerie hinauf und hinunter. Es war für das ganze Haus eine Lust, den beiden zuzusehen.

Bei einer solchen Gelegenheit sagte Leopold einmal: »Ha, wie würde ich tanzen, wenn sie mir nur aufspielen wollte!«

Man mußte ihr das wiedergesagt haben, denn von der Zeit an lächelte sie hochmütig und spöttisch auf ihn herab, wenn sie ihn ansah. Das war gerade die Art, die ihn reizte ... und immer folgten ihr seine verlangenden Augen. Dann geschah etwas, das dieses Verlangen zu heftigem Begehren anfachte.

Wir saßen beim Abendessen, als ein Schuß krachte, Glasscheiben klirrten und Geschrei von der Küche her hörbar wurde. Was gab's? Auf Mortscha hatte durch das Küchenfenster ein abgedankter Liebhaber einen Schuß abgefeuert. Die Kugel hatte ihr Ziel verfehlt. Mortscha stand hoch aufgerichtet in der erleuchteten Küche, dem draußen ein Spottlied in die Nacht hinaussingend. Dann nahm sie einen ihrer Unterröcke, hängte ihn vor das zerschlagene Fenster, und damit war für sie die Sache abgetan.

»Sie hat die Seele einer Katharina,« sagte Leopold begeistert. »Wie schade, daß sie eine Magd ist!«

Aber das war es nicht, was er dachte. Was er bedauerte, war nicht ihr Magdtum, sondern daß er sich mit[366] ihr nicht verständigen konnte. Denn hätte er ungarisch oder sie deutsch verstanden, dann wäre es zwischen ihnen wohl zu etwas gekommen, und das würde bei dem Charakter des Mädchens und ihrer mordlustigen Freunde leicht mit einem Drama haben enden können.

Ja, es wehte eine liebesheiße Luft in Ecsed. Wenn die von den Ausdünstungen spanischer Fliegen schwer gewordene Atmosphäre nachts meine Kinder aufschreien machte, wie sollten Erwachsene davon unberührt bleiben? Überall begegnete man heißen Augen und nach Küssen schmachtenden Lippen.

An Sonntagen gingen wir manchmal hinunter ins Dorf nach der Cârda, um dem Tanze zuzusehen. Um eine Riesenlinde war der Boden festgestampft und das war der Ballsaal. Die Tänzerinnen hatten ihren schönsten Staat angelegt, aber die Stiefel ausgezogen und die Hemden zu Hause gelassen. Die reich mit Bändern durchflochtenen Zöpfe der Mädchen peitschten im Tanze die Gesichter der Burschen, als wollten sie sie zu kühneren Taten antreiben.

Wild raste der Tanz; die Röcke flogen hoch auf und ließen die nackten, braunen, festen, wie aus Eichenholz geschnitzten Leiber der Dirnen bis an den Gürtel hinauf sehen; und die, die seitwärts standen, vom Tanze ausruhend, zeigten sich die Nacktheit mit beinahe unschuldigem Lachen. Es waren auch junge Frauen da, die ihre Zöpfe unter hübsche Hauben versteckt hatten und zwischen zwei Tänzen hingingen, um einem Säugling die schwellende Brust zu reichen, die zu bedecken sie nicht nötig fanden.

Wenn dann der Abend kam, die Geigen schwiegen, eine geheimnisvolle graue Dämmerung alles in unbestimmte Ferne rückte, dann zogen die Tänzer paarweise[367] stille einsame Wege, da wo der Weizen am höchsten stand oder Haselnußsträucher ein dunkles Plätzchen boten, um sich die vom Tanz und Wein erhitzten Herzen zu erleichtern.

So ist die Liebe in Ecsed: jung, stark, gesund und nackt – wie die Leiber der Tänzerinnen und die Brüste der jungen Mütter; sie hat kein Flitterchen von Moral oder Anstand und geht wie die Dirnen ohne Hemd zum Tanz.

Auch im Kastell fühlte ich heißes Liebeswehen um mich.


Wir waren alle in den Zwetschenwald gegangen. Daß es einen Wald, einen wirklichen ganzen Wald voll der herrlichsten Zwetschenbäume geben kann, das hätte ich nur in Märchen für möglich gehalten. Aber es gab einen, und wir waren dort, von jauchzender Kinderlust umgeben; wir lagen im Grase und sahen hinauf in die Bäume, wo flinke Bauernjungen nach den reifsten Stücken suchten und sie uns in den Schoß warfen. Und jeder Baum trug eine andre Sorte und jede neue Sorte war die beste und wurde mit Freudenrufen begrüßt.

Gewiß hat es nie glücklichere Kinder gegeben, als die unsrigen damals waren. Wenn ihre blonden oder dunklen Köpfe mit den zarten Gesichtern und den leuchtenden Augen über dem feinen hohen Grase sichtbar wurden, sahen sie aus wie wandelnde Blumen. Frau Ries hatte ein Mädchen im gleichen Alter mit meinem Knaben; es war ein entzückend schönes Kind, fein und zierlich, mit herrlichen dunklen Augen, ernst und sinnig und einem Lächeln von rührendem Reiz. Mit ihr spielte Sascha am liebsten; und wenn jetzt unser blonder Abgott mit seinem glückstrahlenden[368] Gesichtchen neben seiner schwarzäugigen Freundin stand und ihr die von ihm bereits angebissene Frucht reichte, weil sie so süß und saftig war, da boten die beiden kleinen Menschenkinder in ihrer ernsten Naschhaftigkeit einen Anblick voll Liebreiz. Es kann kein Glück auf Erden geben, das dem gleich käme, das ich in solchen Stunden, umgeben von meinen schönen, gesunden und glücklichen Kindern, empfand. Was mir das Leben auch sonst Schweres und Düsteres aufgebürdet, hier war ich so reich dafür entschädigt, daß alle Opfer, alle Schmerzen und alle Pein dahinflossen, als wären sie nie gewesen.

Ich kann es nicht oft genug wiederholen, was mir meine Kinder waren, denn nur, wenn man diese, mein ganzes Leben, all mein Denken und Fühlen beherrschende Macht solcher Liebe begreift, wird man das, was ich für sie getan, richtig beurteilen können. –

In solchen Stunden war auch Leopold reizend; da schwiegen seine begehrlichen Phantasien, er war einfach, harmlos, heiter, ein Kind mit Kindern.

Die Damen Suhr und Ries hatten uns nicht allein in den Zwetschenwald geschickt, um uns voll zu essen, sondern auch um gleichsam Ernte zu halten. Zu diesem Zweck hatten sie uns allen, je nach unsrer Größe und Kraft angemessene Körbe und Körbchen mitgegeben, die wir ehrlich gefüllt mit heimbringen sollten. Nun hieß es mit Ernst an die Arbeit gehen und die Körbe beladen. Mit welchem Eifer waren wir alle dabei! Jeder wollte die schönsten Pflaumen in seinem Korbe haben und da mußte man flink zusehen, um sie zu erhaschen, wenn sie von den Bäumen fielen.

Wir hatten zwei Dienstmädchen mitgenommen, die, nachdem sie sich nach Herzenslust an den Früchten satt gegessen,[369] jetzt auch gewissenhaft und brav große Körbe voll damit beluden.

Unterdes war die Sonne untergegangen und bald trieb uns die einbrechende Dunkelheit aus dem Walde.

Wir ordneten uns zu einem langen Zuge auf dem schmalen Fußpfad, der längs der Anhöhe nach Ecsed führte; die Mägde gingen an der Spitze, dann die größeren Mädchen, die kleinsten von den Kindern schlossen mit uns den Zug. Franzi fing an, ungarische Lieder zu singen, und bald stimmten alle mit ein.

Satte Ruhe lag auf dem Lande und ein hoher sternbesäter Himmel wölbte sich über uns.

Plötzlich hielten wir alle mit einem Schrei auf den Lippen an: ein großes Meteor zog, eine lange Feuerzunge hinter sich, quer durch den stillen Raum über uns.

»Jeder soll sich was wünschen!« rief Franzi. Aber die Erscheinung war verschwunden, noch ehe die Wünsche entstehen konnten.

»O, wir haben alle das Glück verpaßt,« sagte Franzi ärgerlich.

»Papa, was ist das: ›das Glück‹?« frug Sascha.

»Eine schöne Frau in rotem Hermelinpelz.«

»Die Mama?«

»Ja, die Mama; sie ist unser Glück.«

»Aber die brennende Kugel, die vorübergeflogen?«

»Das ist der Feuerwagen, in dem Gott durch den Weltenraum spazieren fährt.«

»Ist denn Gott so klein, daß er darin Platz hat?«

»Durch die große Entfernung sieht er nur so klein aus. In der Nähe ist der Wagen gewiß so groß wie ganz Ecsed.«[370]

»Aber verbrennt denn Gott nicht in dem feurigen Wagen?«

»Gott selbst ist ja das Licht ... und das Feuer kommt von ihm.«

»Gott ist das Licht ...« wiederholte das Kind leise und sah nachdenklich hinauf zu den hellen Spuren, die das Gestirn auf dem dunklen Himmel zurückgelassen.

Der Gesang war verstummt; still und sinnend setzten die kleinen Menschen ihren Weg fort.

Zu Hause erzählten die Kinder den staunend aufhorchenden Eltern, sie hätten Gott gesehen, der in einem feurigen Wagen an ihnen vorübergefahren.

Als ich an diesem Abend an das Bett der Kinder kam, um mit ihnen, wie gewöhnlich vor dem Einschlafen, ein Vaterunser zu beten, erkannte ich aus dem Ton ihrer Stimmen, daß sie es diesmal mit mehr Innigkeit taten als sonst; Gott war jetzt kein Fremder mehr für sie, sie hatten ihn gesehen, er war ihnen noch eben nahe gewesen.


Wie vielgestaltig war das Leben in Ecsed.

Wir waren in das Zigeunerdorf gegangen, das oben auf dem Hügel lag, abseits vom eigentlichen Dorf. Hoch mußten wir die Röcke aufnehmen, um uns vor Schmutz und Ungeziefer zu schützen, und tief mußten wir uns bücken, um in die halb in die Erde hineingegrabenen Hütten zu blicken, die nur einen Raum hatten, der Stall, Küche, Schlaf- und Wohnzimmer zugleich war. Da Herr Suhr viele der Zigeuner in seiner Landwirtschaft beschäftigte, wurden wir freundlich empfangen, was sonst vielleicht nicht der Fall gewesen wäre, meinte Frau Ries. Nackte[371] Kinder krabbelten überall herum, während häßliche, braune Weiber böse Blicke nach uns schossen.

Vergebens blickte ich mich um nach der Poesie des Zigeunerlebens, allein ich sah sie nicht – sie war den Tag gewiß auswärts auf Besuch, denn hier war sie sicher nicht. Die grausamste Enttäuschung erlebte ich aber mit dem »Zigeunerkönig«. Eigentlich war ich nur wegen dieser schwarzen Majestät hergekommen, und nun fand ich einen krummbeinigen blonden Tischlergesellen aus Budapest, der das Königsein unter den Zigeunern angenehmer fand, als die Arbeit in der Werkstatt. Aber ein guter Regent war er und seine Regierung ging wie auf dem Schnürchen. Er vermietete seine »Untertanen« den benachbarten Gutsbesitzern zur Arbeit und das brachte Geld in die Staatskasse; sonst plagte er die Leute nicht, kümmerte sich nicht um ihre inneren Angelegenheiten, so lange sie nur unter sich Frieden hielten und in Eintracht lebten, wie die Schweine im herrschaftlichen Stall. Aus finanziellem Interesse hatte er das Recht auf Diebstahl weder aufgehoben noch eingeschränkt, obgleich er selbst an dieser Rasseneigentümlichkeit nicht litt. Dennoch wurden Diebe aus »Staatsrücksichten« bestraft – wenn sie sich hatten erwischen lassen. Dieser kluge König war auch draußen auf der Tanja bei der Dreschmaschine Herrscher. Wir waren eines Tages hinausgegangen, um die Maschine arbeiten zu sehen, und fanden dort ein ganzes Lager. Hütten waren aufgeschlagen, in welchen Weiber kochten, Kinder wälzten sich schreiend im Stroh, große Getreidehaufen lagen hoch aufgetürmt, Knechte waren eben vom Gute her mit Brot und Wein, den sie in großen Gießkannen trugen, angekommen. In einem Nebel von Rauch, Dampf, Staub und Hitze hantierten halbnackte braune Männer,[372] denen der Schweiß in langen Rinnen vom Leibe lief, dazu summte die Maschine ihr immergleiches eintöniges Lied.

Von allem, was ich hier sah, empfing ich den Eindruck des Reichtums und Gesättigtseins. Hier war die Arbeit ohne Not und ohne Hunger; in keinem Gesicht bemerkte ich die nagende Sorge um das tägliche Brot, die schleichende Furcht vor dem kommenden Tag.

Von den Zigeunern zurückgekehrt, fanden wir vor dem Kastell zwei hübsche frische Burschen in Leinwandhosen und Hemden, das schwarze runde Hütchen kühn aufs Ohr gesetzt, die Frau Ries erwarteten.

Sie sprach ungarisch mit ihnen und ich verstand nicht, was es war, aber ich blieb doch dabei und hörte zu. Keine Sprache klingt so schön, so voll und stolz und kühn, wie die ungarische; ich liebte diese Sprache und lauschte auf sie, wo immer ich sie zu hören bekam.

Jetzt hielt mich noch etwas anderes fest: ich hatte beim Anblick der Burschen etwas wie Schrecken in dem lieben freundlichen Gesicht der Frau Ries bemerkt. Sie hatte sich aber bald wieder gefaßt und lud die beiden mit ihrem warmen schönen Lächeln ein, in die Galerie zu kommen. Dort ließ sie ihnen einen Tisch und Stühle bringen und ein reichliches Mahl mit Wein auftragen.

Es waren »arme Burschen«. So nannten sich die Räuber dort, wenn sie, vom Hunger getrieben, aus den Bergen der Tatra kommen, um die Gutsbesitzer zu brandschatzen. Sie stellen ihre Forderungen je nach dem Reichtum des Besitzers, den sie genau kennen; und wehe dem, der sie abweist! Der kann sicher sein, noch in derselben Nacht den »roten Hahn« auf dem Dache zu haben oder[373] aus einem sichern Versteck eine Kugel pfeifen zu hören, die ihr Ziel gewiß nicht verfehlt.

Von Frau Ries forderten sie nicht viel, einige Gulden, Brot, Schnaps und etwas Leinwand!

Jetzt verstand ich besser, warum der Kuhhirt jede Nacht in seinem Schafpelz, das Gewehr im Arm quer über unsrer Schwelle lag; und wenn wir bei Groß zu Besuch waren und der Sohn uns nachts heimfuhr, ihm sein Vater stets das scharf geladene Gewehr auf den Kutschbock hinaufreichte und ihn erst dann, wenn er dieses handgerecht zwischen den Knien hielt, abfahren ließ.


Die Hitze war unerträglich geworden. An diesem Tage war es heißer als je. Alle im Hause hatten sich hingelegt, um die heißesten Stunden des Nachmittags zu verschlafen. Ich wollte dasselbe tun, aber eine seltsame angstvolle Unruhe trieb mich wieder auf.

Ich lugte durch die Ritzen der geschlossenen Balken: auch das Dorf schien eingeschlafen, nichts regte, nichts bewegte sich; die Bäume standen starr und steif, als wären sie in die Luft hineingemalt; eine gleichmäßige milchige Fläche verbarg den Himmel und die Sonne schien ohne Glanz, schwer und dumpf drückte sie auf die Erde.

Ich fühlte mich so beklommen, so angstvoll, als ob ein Unglück über mich hereinbrechen sollte, und unwillkürlich blickte ich um mich, wie Hilfe suchend. Nein, besser war's noch hinauszugehen, mitten in die brütende Hitze hinein, als hier zwischen den schweratmenden Schläfern still zu sitzen und auf die immer unruhiger werdenden Schläge des eigenen Herzens zu horchen.

Ich schlich mich weg. Statt der heißen Luftwelle, die[374] ich erwartete, empfing mich ein scharfer Windhauch. Rasch trat ich in den Schatten der Bäume und da staunte ich, wie sich die Situation in den letzten Minuten geändert hatte. Der Himmel hatte eine dunklere Farbe angenommen und war gegen die Berge zu fast schwarz.

Endlich ein Gewitter!

Wieder ward die Atmosphäre still und schwer. Ich stand und wartete auf einen zweiten Luftzug. Da, ohne daß ich vorher das Aufleuchten eines Blitzes wahrgenommen hatte, krachte es plötzlich mit so furchtbarer Gewalt über mir, als berste der Himmel; es war nicht das dumpfe Rollen des Donners, sondern ein unheimliches Krachen und Knattern ganz dicht über meinem Kopf, ja es schien, als ob dieser selbst davon getroffen wäre. Betäubt stand ich da, bis ein heftiger Windstoß mich wieder zum Bewußtsein brachte.

Die Schläfer waren aufgewacht. Mein Mann rief nach mir. Ich fand ihn eilig und aufgeregt die Balken fester schließend und die Vorhänge dicht zuziehend, damit das Licht der zuckenden Blitze nicht hereinfallen konnte. Dann legte er sich wieder ins Bett, zog die Decke über den Kopf und sagte:

»Verlaß mich nicht ... Du weißt, wie mich Gewitter nervös machen.«

Ich blieb in dem ganz verdunkelten Zimmer. Aber kein zweiter Donnerschlag folgte dem ersten, nur ein heftiger Wind jagte um das Haus. Mich zog es hinaus, den Sturm zu sehen, und wieder schlich ich mich weg.

Noch immer schliefen die Kinder; in kleinen weißen Perlen rollte der Schweiß von ihren Gesichtern; ich öffnete vorsichtig die Fenster, die nicht nach der Windseite lagen,[375] damit die erstickend heiße Luft sich etwas abkühle. Dann trat ich wieder hinaus.

Schwer wälzten sich schwarze Wolken unter dem bleigrauen Himmel; in der Luft wirbelten Staub, Blätter und kleine Äste, die der Wind den Bäumen entrissen; die Pappeln rauschten und neigten ihre Wipfel tief herab, wie ergeben in das Unvermeidliche. Der Wind wurde zum Sturm, und dieser immer heftiger; in unheimlichem Wirrwarr türmten sich die Wolken aufeinander, lösten sich wieder und schienen, von anderen verfolgt, zu fliehen. In den Bäumen fing es an zu krachen, und immer zahlreicher und immer größer waren die Äste, die der wild dahinrasende Wind ihnen entführte.

Im Hause war's wieder still geworden; alle hatten sich in ihre Zimmer eingeschlossen, voll Angst das Kommende erwartend. Nur ich und Mortscha standen draußen in der Galerie und sahen stumm dem wilden Toben zu.

Seit der Sturm mit solcher Macht losgebrochen, war es in mir wieder ruhig und still geworden.

Und noch immer fiel kein Tropfen Regen. Daß solch Sturm noch zunehmen kann, schien mir unglaublich. Es kamen Windstöße von solcher Gewalt, daß man meinte, sie müßten alles vom Erdboden wegfegen. Ich sah, wie am anderen Ende der Galerie sich Mortscha an die Küchentüre klammerte, und ich selbst drückte mich in eine Mauerecke, um nicht weggeblasen zu werden.

Da plötzlich öffnete sich der Himmel, und mit klatschendem, ohrenbetäubendem Lärm stürzte der Regen nieder.

Die durch die lange Dürre vertrocknete Erde saugte das Naß gierig auf. Aber es kamen immer stärkere Wassermassen, daß es ihr bald zu viel wurde, und sie zurückgab, was sie nicht mehr aufnehmen konnte. Doch[376] das war nur der Anfang; mit einem Schlage, ohne Übergang, wurde der Regen zum Wolkenbruch. Bald wälzte sich ein ungeheurer schmutziger Strom den Berg herunter, an uns vorbei, hinab in den Vorhof, staute sich dort an der Einfassungsmauer und zwängte sich durch das offene Tor in das Dorf; nur die stärksten Bäume konnten widerstehen, alles andere trug er mit sich weg. Schon schien es mir, als ob das Haus zu schwanken begänne.

Ein seltsames dumpfes Rollen und Kollern erscholl hinter dem Hause. Was war es? Das war nicht der Lärm des Wassers allein – dort mußte etwas geschehen sein.

Mortscha war nicht mehr an ihrem Platz. Mich an Fenster und Türen klammernd, kämpfte ich mich durch den sich in die Galerie werfenden Sturm durch, bis zur Küche, denn in dieser befand sich das einzige Fenster an der Rückseite des Hauses. Und dort stand Mortscha, entsetzt, die beiden Hände zu Fäusten geballt auf den Mund gedrückt, mit stierenden Augen auf das Bild draußen blickend.

Und was war das für ein Bild!

Hinter der Küche lag zuerst der Gemüsegarten; diesen trennte eine niedere Mauer von der Straße; jenseits dieser war die von einem freien Platz umgebene Kirche, und hinter ihr stieg der Kirchhof die Anhöhe hinauf.

Die Wucht der von den Höhen niederstürzenden Wassermengen hatte Kreuze und Grabhügel weggefegt und die Gräber ausgeschwemmt. Die Erde war zu Schlamm geworden, und dieser trug Trümmer morscher Särge, zerbrochene Kreuze, einzelne menschliche Knochen und halbverweste und frische Leichen. Das alles rollte und kollerte in einem entsetzlichen Gewirr den Hügel herab, schlug[377] sich an den Zäunen und türmte sich an der Kirchenmauer zu einem grauenhaften Haufen.

Ich sah Mortscha an und sie mich. Sie weinte. Mit bebenden Lippen sagte sie etwas und wies mit der ausgestreckten Hand auf ein Kreuz, das im Strauchwerk hängen geblieben war; ich glaubte zu verstehen, daß sie in diesem das Kreuz vom Grabe ihrer Mutter erkannt haben wollte.

Ich zog sie vom Fenster weg und schloß den Balken desselben.

Der Regen hatte nachgelassen. Im Kastell wurde es wieder lebendig; langsam kamen die Furchtsamen aus ihren Betten und Zimmern gekrochen und starrten mit noch erschreckten und neugierigen Augen auf die Verwüstungen des vorbeigerasten Sturmes.


Ich habe mit Leopold eine ernste Unterredung gehabt über die Art, wie ich die Kinder erzogen sehen möchte. Ein ganz unbedeutender Vorfall gab Anlaß dazu.

Es kam öfter – zu oft für ihn – eine Speise auf den Tisch, die er nicht liebte; darüber hatte er sich bei mir in Gegenwart der Kinder beklagt. Eines Tages wurde diese Speise wieder aufgetragen; da er sich nicht beeilte, sich davon zu nehmen, frug ihn Frau Ries, ob er sie etwa nicht liebe, worauf er in der lebhaftesten Weise versicherte, daß er sie sehr gern habe, und sich von ihr ein schönes Teil geben ließ.

Ich bemerkte, wie in diesem Augenblick Sascha seinen Papa überrascht und nachdenklich ansah. – Papa hat eine Lüge gesagt! las ich in seinen Augen. Sein geliebter,[378] angebeteter Papa, der so hoch über allen anderen stand, hat eine Lüge gesagt ... wie kann das sein?

Ich merkte, wie das Kind davon beunruhigt war, und nahm mir vor, mit Leopold darüber zu reden, damit es nicht wieder vorkäme. Kinder können zwischen konventionellen Lügen und anderen keinen Unterschied machen; für sie ist Lüge Lüge. Die Lüge aus dem Mund der Eltern, derselben Eltern, die ihnen, den Kindern, das Lügen aufs strengste untersagen und es als eine niedrige, die Seele beschmutzende Sache darstellen ... wie soll sich der kindliche Geist darin zurechtfinden.

Leopold log. Ich meine nicht in dem, was unser gegenseitiges Verhältnis betraf – die Frau belügen alle Männer – er log überhaupt. Doch ist für Menschen, wie er, die immer unter dem Einfluß ihrer Phantasie stehen, das Wort Lüge eigentlich zu grob. Sie sehen die Dinge so – wie sie nicht sind; kann man mit solchen Menschen streng ins Gericht gehen?

Nur den Kindern gegenüber sollte er sich in acht nehmen. Er begriff das sehr rasch und teilte ganz meine Ansicht. Ja, er erschrak sogar, denn er fürchtete, Sascha könne vielleicht bereits etwas gemerkt haben, und um keinen Preis wollte er in den Augen seines angebeteten Kindes etwas von dem Glanze einbüßen, in dem er seinem Sascha erschien.

Einmal auf so gutem Wege wollte ich nicht stehen bleiben – ich hatte noch mehr auf dem Herzen.

Überzeugt von dem erziehenden Einfluß des Beispiels, das Kinder vor Augen haben, wünschte ich, daß in Gegenwart der unseren nichts gesprochen oder getan würde, das ihr Denken und Empfinden ungünstig beeinflussen[379] konnte. Das sagte ich meinem Manne. Er sah mich verwundert an und erwiderte:

»Bei uns kommt doch derartiges nicht vor.«

»Doch, es kommt vor. Wenn in dem Augenblick, wo du dich neulich mit der Magd gebalgt hast, nicht zufällig ich, sondern Sascha dazu gekommen wäre – es ist ein Wunder, daß es nicht so war –, welchen Eindruck würde das Kind von der Szene empfangen haben? Sein Papa, der ihm der Inbegriff alles Edlen und Hohen ist und sein soll, kugelt sich mit einer gemeinen Magd auf dem Bett und wird von ihr geprügelt. Er hört rohe, häßliche Worte, und sein Vater lacht dazu und gefällt sich dabei ...«

Er blickte stumm vor sich hin.

Wiederholt hatte er von mir verlangt, ich sollte ihn in Gegenwart Saschas schlagen, und nur im Scherz ließ ich mich verleiten, ihm einmal einen leichten Schlag auf die Schulter zu geben. Das Kind erbleichte, schlang mit lautem Schrei seine Arme schützend um den Vater und sah mich mit entsetzten Augen an. Leopold lachte, geschmeichelt und glücklich, so geliebt zu werden. Es war ein Scherz – und ein grausames Spiel mit dem Herzen des Kindes. Aus Eitelkeit wünschte er, dieses Spiel zu wiederholen. –

Darum fuhr ich fort:

»Du sollst auch nie mehr verlangen, daß ich dich im Beisein der Kinder schlage, ebenso wie du mich nicht immer vor ihnen herzlos und grausam nennen sollst. Wenn sie das immer und immer wieder hören, von ihrem Vater hören, der es ja wissen muß, wie sollen sie es nicht endlich glauben? Laß diese pikanten Spielereien abseits von den Kindern, die kein Verständnis dafür haben und dich schließlich um ihre Achtung und mich um ihre Liebe bringen werden. – Meinst du, daß es mir nicht weh tut, zu[380] sehen, wie sich die Kinder von mir abwenden – und doch könnte sie eine Mutter mehr lieben und mehr für sie zu tun bereit sein, als ich?«

Das war eine so schmerzliche Wahrheit, daß mir unwillkürlich die Augen feucht wurden und meine Stimme zitterte, während ich es sagte.

An seinem Erstaunen und seiner Bewegung erkannte ich, daß er daran nie gedacht hatte. Ich sprach von allen Kindern, obgleich es sich nur um Sascha handelte. Leopold war eifersüchtig auf die Liebe seines Kindes und hätte sie wohl am liebsten allein besessen. – So viel Grund ich auch hatte, mich über die Liebe beider zu freuen, so verursachte mir das Abwenden des Kindes von mir doch bitteres Leid. Allein ich hätte auch das ruhig ertragen, wäre es mir nicht wie eine Ahnung gewesen, daß die Erkaltung des Kindes gegen die Mutter seinem eigenen Wohl gefährlich werden konnte. –

»Du zeigst mir die Dinge in einer Beleuchtung, die mich erschrecken könnte, wenn ich annehmen müßte, daß sie wahr ist; aber ich glaube, daß du zu schwarz siehst. Bis jetzt wenigstens habe ich nicht bemerkt, daß sich die Kinder von dir zurückziehen. Daß Katzi mich mehr liebt als dich, ist möglich, und die ganz natürliche Folge davon, daß ich mich unaufhörlich mit ihm beschäftige. Aber er liebt dich doch zärtlich. Übrigens will ich von Grausamkeit und derlei nicht mehr vor den Kindern sprechen – denn darin könntest du doch Recht haben, daß es ihnen falsche Begriffe von mir und dir beibringt.«

Ich wußte nie, wie mein Mann es eigentlich mit der Religion hielt. Augenscheinlich war er Freigeist und er betonte diese Richtung gern; wenn ich aber dann wieder sah, wie er sich mit Priestern oder sonst frommen Personen,[381] an deren Meinung ihm gelegen war, benahm, kamen mir Bedenken; nicht daß er sich gerade als gläubiger Katholik aufspielte, allein, er war doch bemüht, seine sonst so freien, sich stets auf die Naturwissenschaft stützenden Ideen zu verhüllen. Auch sein Aberglaube ließ Glauben voraussetzen. Nie, um keinen Preis würde er zum Beispiel am Karfreitag oder Weihnachtsabend Fleisch gegessen haben; auch hatte ich ihn im Verdacht, daß er oft heimlich das Kreuz mache, wenn ihm vor etwas bange war.

Ich aber wollte keinen Formenkram, nichts Zerfahrenes, Unklares in das religiöse Empfinden meiner Kinder bringen. Damit sollten ihnen spätere Bedenken und quälende Zweifel erspart bleiben. Sie sollten an Gott, den Gott aller Menschen glauben und an den Himmel mit allen seinen Engeln. Dieser Gottesbegriff würde sich, wenn Vernunft und eigenes Denken kommen, leicht und harmonisch in den Begriff einer über uns stehenden geheimnisvollen Macht – in die Religion der Humanität und Menschenliebe verwandeln. Mit dem Glauben an Gott und den Himmel, an eine schönere und bessere Welt glaubte ich bei den Kindern auch die Poesie zu wecken und sie vor einer allzu nüchternen Auffassung des Lebens zu bewahren.

Ich hatte mit meinem Manne bisher darüber nicht gesprochen, weil ich dieselbe Auffassung bei ihm voraussetzte, auch nichts vorgefallen war, was dem widersprochen hätte. Erst wenige Tage vor dieser Auseinandersetzung unterhielt er sich mit einem Besucher über Atheismus. Er hielt dabei Sascha auf den Knien, der still zuhorchte. Wenn nun das Kind von dem Gespräch auch nichts verstand, so viel begriff es doch, daß über die Frage, ob es[382] einen Gott gäbe oder nicht, verhandelt wurde. Der Besucher war Atheist und sprach seine Überzeugung sehr scharf aus. Das mußte das Kind verletzen und verwirren. Ich lockte es weg und nahm mir vor, die Kinder bei solcher Gelegenheit zu entfernen. Als ich es Leopold jetzt sagte, war er auch darin mit mir einig und zugleich erstaunt, daß er selbst nicht darauf gekommen.

Edlen Regungen war er sehr leicht zugänglich, nur vergaß er sie ebenso leicht. Obgleich ich nicht hoffen durfte, daß es diesmal anders sei, daß seine augenblickliche Einsicht sich zu einem bestimmten Vorsatz, einer Lebensregel festigen werde, so war ich doch froh, daß wir uns darüber ausgesprochen und geeinigt hatten. Jetzt konnte ich ohne lange Erklärungen, wenn er sich vergaß, mit einem Wort, einem Wink ihn an unser Übereinkommen erinnern, und dann würde er auch seiner besseren Überzeugung gehorchen.

Es hatte noch einen anderen Vorteil. Nur schwer gelang es mir, jetzt manchmal die Langeweile und Ermüdung zu verbergen, die mir seine, sich immer gleichbleibenden Gespräche über die »Venus im Pelz« verursachten. Er selbst fand in seiner reichen Phantasie nichts Neues mehr darüber zu sagen, und so drehten wir uns immer in demselben Kreis herum. – Unsere Abmachung, den Kindern gegenüber vorsichtig zu sein, würde ihm einen gewissen Zwang auferlegen – und mir die Möglichkeit bieten, zuweilen von dieser geistigen Tortur ausruhen zu können. –


Trotz guter nachbarlicher Beziehungen bestand zwischen den Familien Ries und Groß kein eigentlicher Verkehr.[383] Diesen Sommer hatten Herr und Frau Groß im Kastell einen Besuch gemacht, und das war ein Ereignis. Oft luden diese uns ein, und zwei-, dreimal in der Woche kam ihr Sohn Alexander ins Kastell und blieb dann den Abend da, was früher nie der Fall war.

»Diese Besuche gelten dem Dichter,« sagte Frau Ries, und »diese Besuche gelten dir,« sagte mein Mann.

Diesmal schien er wirklich recht zu haben. Es war beim »Räuberspielen«, an dem sich Alexander sehr lebhaft beteiligte, daß ich es zu bemerken glaubte. Ich fand ihn immer in meiner Nähe. Auch war mein Mann stets darauf bedacht, ihm die Möglichkeit dazu zu geben ... Das benützte er, um mich einen Blick in sein Herz tun zu lassen. Ich bin nicht sicher, ob er wahrnahm, daß ihm mein Mann den Weg zu mir ebnete ... ihm das Tor ins Paradies selbst öffnete ... vielleicht war es der Fall, dann aber war er gewiß himmelweit von der Wahrheit entfernt, und sah darin nur die harmlose, allbekannte Herzensgüte des Dichters. Dafür war er ihm innig dankbar, liebte und verehrte ihn nur noch mehr. Nebenbei mochte es der Eitelkeit des jungen Mannes nicht wenig schmeicheln, dem berühmten Schriftsteller die Frau abzuringen, um über ihn zu triumphieren.

Alexander Groß war ein guter, netter Mensch, aber geistig so unreif, daß ich mit ihm nichts anzufangen wußte; daß er sich dennoch an mich wagte, schien mir spaßhaft, nichts weiter.

Da er jedoch standhaft dabei blieb, mir seine Gefühle in zwar diskreter und bescheidener, aber auch wieder ganz bestimmter Form erkennen zu geben, reifte nach und nach in mir ein Plan, zu dessen Ausführung ich ihn gerade[384] so, wie er war, sehr gut gebrauchen konnte – und ich fing an, mir seine Huldigungen gefallen zu lassen. –

Schon seit einiger Zeit war in meinem Manne der Verdacht aufgestiegen, daß, wenn ich noch keinen Liebhaber gefunden, es nicht an den Umständen, sondern an mir gelegen, ja daß ich ihn nicht finden wollte. Er zählte mir alle Männer auf, die ich schon hätte haben können, die zweifellos in mich verliebt gewesen und mit denen es doch zu nichts gekommen war – durch meine Schuld. Und er sagte:

»Wenn du dir noch weiter in den Kopf setzt, mir meine Phantasie nicht zu erfüllen, werde ich nicht weiter in dich dringen, allein ich werde bei nächster Gelegenheit es von einer anderen Frau verlangen, und du kannst sicher sein, daß ich keine Schwierigkeiten finden werde. – Nur gebe ich dir zu bedenken, daß möglicherweise daraus Folgen entstehen können, die dir wahrscheinlich nicht lieb sein werden.«

Das war sehr schlau und verfehlte seine Wirkung nicht.

Was die Folgen sein würden, wenn er sich in die Hände einer Frau mit dem Charakter, wie er ihn suchte, gäbe, darüber konnte ich keine Zweifel haben. – Ebenso sicher konnte ich sein, daß er seine Drohung ausführen würde, wenn ich mich weiter meiner Pflicht entziehen wollte.

Denn das war das Merkwürdige, daß das, was er anfangs kaum anzudeuten gewagt, um das er später bat und als ein Opfer meinerseits ansah, sich im Laufe der Jahre immer mehr in etwas verwandelte, das zu tun ich einfach schuldig war ... vielleicht noch immer ein Opfer, aber ein Opfer, das zugleich eine Pflicht ist, das[385] eine gewissenhafte Gattin und Mutter bringen muß, wenn ihr an dem Glück ihres Mannes, der Erhaltung des Familienlebens gelegen ist. – –

Das hatte ich so oft gehört, daß ich nach und nach begann, die Sache selbst in diesem Licht zu sehen. Immer mehr machte ich mich mit dem Gedanken vertraut, daß es keinen Ausweg für mich gäbe – oder nur den einen, mit dem er mir jetzt drohte und der wahrscheinlich unser aller Unglück herbeiführen würde.

Ich war also entschlossen, es zu tun. Alexander Groß sollte mein Partner bei dem Spiele sein.

Der harmlose junge Mensch war mir dazu lieber, als ein Freund wie Staudenheim, oder ein alter Wüstling wie Sefer Pascha. Groß stand mir fern und würde mir auch nachher fern bleiben – ebenso würde sich die Sache mit ihm rasch und leicht wieder lösen, für ihn aber – wie Kathrin in einem ähnlichen Fall gesagt – immer eine schöne Erinnerung sein. –

Um ganz sicher zu gehen, machte ich Leopold darauf aufmerksam, daß Groß nichts an sich habe, das dem Griechen in der »Venus im Pelz« glich, und daß er von ihm diese Rolle nicht erwarten dürfe. Darauf versicherte er mich, daß er das wohl wisse und schon lange darauf verzichtet habe; jetzt wolle er sich damit begnügen, daß ich ihm untreu werde.

»Und dann? Wenn ich es getan habe? Wirst du befriedigt sein und es nicht wieder von mir verlangen?«

»Ich habe dir immer gesagt, daß ich es einmal erleben möchte ... derlei kann gar nicht wiederholt werden ... das mußt du doch begreifen ...«

Trotz dieser Räsonnements hatte ich das ganz bestimmte Gefühl, daß mein Opfer nichts nützen würde, daß die[386] dämonische Macht in dem Manne nicht mir, sondern wir alle ihr unterliegen werden. –


Es war an einem nicht zu heißen Tage, da die Groß' uns ihren Wagen sandten mit der Bitte, samt den Kindern für den Nachmittag zu ihnen zu kommen. In diesem Augenblick kam Franzi eilig zu mir und bat mich leise, meinen Mann mit den Kindern allein fahren zu lassen; ich und sie wollten uns als Bäuerinnen anziehen und zu Fuß nachkommen.

Ich hatte Franzi sehr lieb; sie war ein reizendes, fein gebildetes Mädchen; in Vertretung ihrer Mutter eine herzige kleine Mama für ihre jüngeren Geschwister und eine allerliebste kleine Hausfrau für uns. Sie war so einfachen, reinen Herzens, daß es mir oft schien, als würde ich in ihrer Nähe selbst wieder zum Mädchen.

Mit Freuden ging ich auf ihren Plan ein. Mortscha und die Frau des Kuhhirten lieferten uns ihren Sonntagsstaat aus, und bald trabten zwei flinke Bauernmädchen, von neugierigen Augen verfolgt, aber unerkannt, durch das Dorf.

Wir fanden die Gesellschaft im Garten. Man sah uns schon, als wir den langen Weg zwischen den Erdbeerbeeten herunterkamen. Frau Groß wurde ärgerlich, daß man sie, wenn sie Besuch habe, im Garten belästige, und sandte uns ihren Sohn entgegen, mit der Weisung, wir sollen im Gutshof auf sie warten.

Alexander Groß erkannte uns erst, als er nur noch wenige Schritte von uns entfernt war. Es waren die Füße, die ihm zuerst verdächtig wurden – wir hatten dieses Detail vernachlässigt. Entzückt über unsere Maskerade wollte[387] er jetzt seine Mutter noch mehr zum Narren halten, und anstatt zu ihr zurückzukehren, promenierte er mit uns im Garten. Das war nun Frau Groß doch zu arg. Sie machte sich jetzt selbst auf, um uns Schicklichkeit zu lehren. Wir führten sie eine Weile in die Irre, und erst als sie purpurrot vor Zorn rief, wir sollten stehen bleiben, kehrten wir uns nach ihr um. Sie brachte uns nun zurück, und es gab Erstaunen, Überraschung und Lust und Lachen bei groß und klein.

Leopold schlug – immer in der bekannten Absicht – ein Wettlaufen vor. Alexander sollte am Ziel bleiben und durch Händeklatschen anzeigen, wann der Laufende eingetroffen.

Frau Groß war gegangen, um Näschereien als Preise für die Kinder zu holen.

Zuerst liefen die Kleinen, dann die Erwachsenen: Leopold, Irma, Franzi, zuletzt ich.

Als ich ans Ziel kam, fing Groß mich in seinen Armen auf, trug mich wie ein Kind hinter eine dichte Weinhecke und küßte mich.

Das Bauernkostüm hatte ihn kühn gemacht.

Als wir wieder zu den anderen kamen, las ich ein »Nun?« in den Augen meines Mannes. Auf diese Frage gab Alexander in seinem stolzen Glücksbewußtsein Antwort. – Jetzt war er beinahe zärtlich mit meinem Mann, und dieser spielte den ahnungslosen Gatten mit einer Natürlichkeit, die auch einen Erfahrenen getäuscht hätte.


Alexander Groß war vierundzwanzig Jahre alt, aber er war jünger als sein Alter. Die Freude an seiner Eroberung wäre ihm verkürzt worden, wenn die Welt nichts[388] davon gewußt hätte. Er trug jetzt ein ganz anderes Betragen zur Schau, ein stolzes, freies, und auf mich blickte er wie auf sein Eigentum. Ich meine, er würde am liebsten wie ein Hahn auf die äußerste Dachspitze geflogen sein, um sein Glück in die Welt hinauszukrähen. Dabei blieb er von so naiver Kühnheit und verblüffender Unbeholfenheit, daß es zum Erbarmen war.

Es wurde wieder getanzt. Ich hatte Kopfschmerzen und saß still in einer Sofaecke. Mein Verehrer forderte mich hartnäckig zum Tanz auf – Kopfschmerzen waren für ihn ein unbekanntes Land. Dieses Drängen, die Musik, die lärmende Lustigkeit, das immerwährende Drehen der Paare steigerte meine Leiden noch mehr; um Ruhe zu haben, ging ich in unser Schlafzimmer, in dem kein Licht brannte. Alexander folgte mir auf dem Fuße – ich konnte das doch nur absichtlich getan haben, um ihm Gelegenheit zu geben, mir in seiner wortlosen Art seine Liebe zu bezeugen. Erst als ich die Türe groß aufriß und ihn beinahe grob hinauswies, merkte er, daß ich »schlechter Laune« war.

Derartiges konnte im Hause nicht unbemerkt bleiben. Bald fühlte ich mich wieder von jener Atmosphäre des Mißtrauens umgeben, die mir von früher so wohl bekannt war. Die erste die sich von mir zurückzog war Franzi. Vielleicht folgte sie dabei nicht so sehr ihrem eigenen Herzen, als dem Wunsche ihrer Mutter. Ich mußte es ertragen; aber mit der Freude am Aufenthalt in Ecsed war's vorbei. Ich fing an mich wegzusehnen von all den neugierig forschenden Augen, die nach mir schauten und den kalten, verschlossenen Gesichtern, die mich umgaben. – Das Erntefest und die Weinlese gingen vorüber. Ich wurde immer reizbarer.[389]

»Was hast du denn?« sagte mein Mann zu mir. »Warum bist du denn so übler Laune? Macht es dir denn keine Freude, dich so geliebt zu sehen? Groß ist wahrhaft leidenschaftlich in dich verliebt; und ich habe dich nie so geliebt als jetzt, wo ich weiß, daß dich bald ein anderer besitzen wird.«

Um Ruhe zu haben schlich ich mich oft nachmittags, wenn er schlief, aus dem Kastell und ging auf der Straße oder am Waldsaum hin; oft saß ich auch stundenlang irgendwo unter einem Baum, fast gedankenlos die Stille und Einsamkeit genießend.

Ich mußte mir immer meinen Plan vor Augen halten, um der Last so vieler Liebe nicht zu erliegen.

»Wann?« flüsterte mir Groß zu, so oft er in meine Nähe kam, und »Ich halte es nicht mehr aus ... ich kann es nicht erwarten, dich in seinen Armen zu sehen,« sagte mir mein Mann unaufhörlich.

Dennoch gab er zu, daß es auf dem Lande unmöglich war; und voll Ungeduld drängte er nach Budapest.

Aber keinem lag mehr daran endlich ans Ziel zu gelangen, als mir selbst – das Ziel sollte ja das Ende sein.

Wie aber sollten wir nach der Stadt? Wir hatten dort keine Wohnung – und kein Geld, um in ein Hotel zu ziehen.

Um den letzten Monat die Pension an Frau Ries zu zahlen, mußten wir alle meine Schmucksachen durch die Vermittlung Dr. Schönfelds in Gyangyos verpfänden.

Leopold verdiente fast nichts mehr – alle seine Gedanken waren bei dem großen Ereignis, das er erwartete: zum Arbeiten fehlte ihm jede Stimmung. Am 2. Oktober 1880 schreibt er an Karl: »... beiliegend sende ich dir den Wechsel und bitte dich, die fünfzehn Gulden vorläufig[390] für mich zu bezahlen. Ich übersiedle übermorgen nach Budapest und habe nicht genug Geld, um dir heute die fünfzehn Gulden senden zu können.«

Gegen Ende September waren die beiden Groß, Vater und Sohn nach Budapest gefahren; letzterer sollte dort im Winter wieder seine juristischen Studien aufnehmen. Wir hatten sie gebeten, uns zwei bis drei möblierte Zimmer zu mieten, die wir gleich bei unsere Ankunft beziehen könnten. Sie hätten das bestens besorgt, versicherten sie uns nach ihrer Rückkehr und gaben uns die Adresse.

Am 4. Oktober reisten wir, wie wir gekommen zusammen mit der Familie Ries ab, und wie unser Einzug gestaltete sich auch unser Abgang. Es waren dieselben Schindmähren an dieselben prähistorischen Wagen gespannt; vielleicht waren's nicht mehr dieselben Stricke, die das Sattelzeug ersetzten, aber sie hätten's sein können ihrem verknoteten Aussehen nach. Ich und Frau Ries, die ihr kleinstes Mädchen auf den Knien hatte, saßen im »Staatswagen«, Leopold und die Jugend hatten in drei oder vier andern Wagen Platz genommen und die Fahrt konnte losgehen. Die Tore standen weit offen, die »Dienerschaft« machte »Spalier«, die Dorfleute hatten sich angesammelt, um das Schauspiel mit anzusehen; unser Kutscher, der den Zug eröffnete, knallte mit der Peitsche und riß an den Stricken. Aber hatte er nicht richtig gerissen, oder die Pferde nicht richtig verstanden, – jedenfalls dachten die Tiere anders als er, denn im Vorhof bogen sie vom graden Wege ab und sie setzten sich's in den Kopf, statt durch das Tor, durch die Mauer in den Kuhstall hineinzufahren.

Frau Ries schrie entsetzt auf: sie hatte den Sommer über so viele Almosen gegeben, kein Bettler war unbeschenkt[391] von ihrer Türe gegangen, und nun sah es ganz so aus, als wollte der undankbare Gott ihr und ihren Kindern doch noch Unheil senden.

Das energische Einschreiten des Kuhhirten hatte die Pferde bald wieder zur Vernunft – und die Rechnung mit dem Himmel in Ordnung gebracht.

Da wir auf unsrer Fahrt an dem Großschen Gute vorbei mußten, hatte uns Frau Groß eingeladen, bei ihr Halt zu machen und eine Jause einzunehmen.

Die Ankunft unserer Karawane versetzte die Hunde dort in furchtbare Aufregung. Mit wütendem Gebell gaben sie weithin das Signal, daß etwas Außergewöhnliches, Gefahrvolles im Anzug sei. Die Dienstleute kamen in Aufruhr. Weiber riefen eiligst ihre Kinder und stießen sie in ihre Hütten, die Türen mit viel Geräusch schließend, während aus den Ställen, Schuppen und Vorratskammern Männer mit Schaufeln, Dreschflegeln und Mistgabeln bewaffnet auftauchten. Aber es kam auch die Familie Groß aus dem Hause und das war ein Glück, denn die Situation sah drohend genug aus. Die Knechte legten zwar ihre Mordwerkzeuge ab, schlichen aber, nachdem wir die Wagen verlassen hatten, an diese heran, und machten sich gegenseitig auf die Eigentümlichkeiten derselben, wie auf die Gebresten der Pferde aufmerksam.

Wir nahmen die Jause im Garten. Das Wetter war herrlich; die frische klare Luft von der hellen Sonne angenehm durchwärmt, und in der ganzen Natur jene glückliche, tiefe Ruhe, wie sie schönen Herbsttagen eigen ist. Bei solchem Wetter kann man nicht anders als heiter sein, und wir waren es alle ohne Ausnahme.

An den Garten stieß ein kleiner Birkenhain und in dem war alles Gold.[392]

Der Boden war ein Teppich von rauschendem Golde; auf den Bäumen zitterte goldenes Laub; die Luft war goldiger Duft und goldene Vögel flatterten in ihr, ein Märchenland aus Gold und Glanz und Sonne mit dem blauesten Himmel als Decke darüber. Plötzlich erhob sich ein Windstoß und die ganze goldne Pracht kam in Bewegung, flatterte in Flocken auf uns nieder, wirbelte in springenden Funken um uns und senkte sich, müde geworden, als zierlicher goldener Schmuck auf unsere Kleider, in unser Haar.

Das war der letzte Tag, die letzten Stunden, in welchen ich, umgeben von meinen Kindern, ein reines holdes Glück genossen. Wie zu einer Schutzwehr hatte ich all die Zeit die Kinder um mich gesammelt, und so es durchgesetzt, daß nichts in meine Nähe kam, das mir mein glückliches Heute hätte verleiden können durch den Gedanken an das Morgen, das mir drohte. –

Als wir zur Abfahrt wieder in den Wirtschaftshof kamen, stand die elegante Equipage mit den schönen Pferden des Hauses für uns bereit.

»Sandor wird Sie fahren,« sagte uns Herr Groß mit freundlichem Stolz, denn er hielt viel auf sein schönes Fahrzeug – und die Kutschierkunst seines Sohnes.

Frau Groß küßte mich zum Abschied. Sie tat es so zärtlich und sah mir dabei so tief in die Augen, als wollte sie sagen: »Ich weiß es – und bin dir dankbar.«

Ich glaube Leopold bedauerte heimlich, daß er die Fahrt nach Hatwan in dem schönen Wagen und nicht mehr in dem elenden Karren fortsetzen mußte. In Zigeunerart über Land zu fahren belustigte ihn, und einen Unfall fürchtete er nicht, denn seine Träume hatten ihm nichts derartiges angekündigt. –[393]

Was sich wohl die beiden Groß gedacht haben mochten, als sie uns die Wohnung in der Stadt mieteten? Es war gar keine Wohnung, es waren Bodenräume, die zur Aufbewahrung von Akten gedient hatten, als das Haus, der ehemalige Südbahnhof, noch seinem Zweck diente. Auch jetzt waren im ersten und zweiten Stock Bureaus, unten aber im Parterre ein großes Restaurant. Und wie die Wohnung so waren die Möbel; Stühle und Tische wie sie in den Biergärten stehen; keine Vorhänge an den Fenstern, keine Spur eines Teppichs am Boden! Und die Fenster klein und hoch oben in der Mauer, wahre Gefängnisfenster; wollte man dahin gelangen, mußte man erst einen Stuhl auf einen Tisch stellen, und selbst dann sah man nur die Dächer der Häuser gegenüber.

Wir waren bei sonnigstem Wetter von Hatwan weggefahren und kamen in strömendem Regen in Budapest an. Kein Mensch erwartete uns, niemand leuchtete uns die dunkle Treppe hinauf. Nur als wir dann oben waren und Licht bekamen, und ich diese kahlen, öden, mehr leeren als möblierten Räume sah, da schnürte sich mir das Herz zusammen und ich hatte Mühe nicht zu weinen. Es war ein Glück, daß Leopold dafür keinen Sinn hatte; den Mangel an Vorhängen und Teppichen bemerkte er nicht einmal und ob ein Tisch aus weichem ungestrichenem Holz gezimmert oder in alter Eiche von Boule geschnitzt, das war ihm ganz gleichgültig, wenn's nur ein Tisch war. Zuerst hatte ich das als »edle Einfachheit« angesehen und war darüber gerührt; später aber, als er sich in der Ehe gehen ließ – und wie ließ er sich gehen! –, da fing ich an, seine Einfachheit viel mehr »kosakisch« als »edel« zu finden, und kam auf die Vermutung, er mochte unter seinennun als die roheste, niedrigste Sinnenlust, die in herzloser Selbstsucht sich ohne Zaudern auch an dem Heiligsten, der Mutter, vergreift. –

Ich dachte an die Kinder, aber auch in der Liebe zu ihnen fand ich in dieser Stunde weder Trost noch Mut.

Und jetzt beschlich mich zum erstenmal der grauenhafte Wunsch, eine Krankheit möchte mir die Kinder nehmen, damit ich ihnen im Tode folgen könne.


Es sollte die Schlußverhandlung im Frobenschen Prozeß in Wien stattfinden. Mein Mann fand es nötig, daß ich als Zeuge vernommen werde, ich sollte also hinfahren. Er selbst, die Aufregung einer solchen Verhandlung fürchtend, zog es vor, nicht dabei zu erscheinen.

Dr. Schneeberger, damals Kanzleichef bei Dr. Eirich, führte die Verteidigung Sacher-Masochs.

Mein Mann wurde zu acht Tagen Arrest verurteilt.

Über den Ausgang des Prozesses schreibt er an seinen Bruder Karl:

»Dieses Verdikt ist die glänzendste Genugtuung für meine durch Froben so hart angegriffene Ehre, und für ihn, wie Dr. Schneeberger meint, geradezu vernichtend. Meine Frau hat eine glänzende Rolle im Gerichtssaal gespielt, auf den Gerichtshof und die Geschworenen den günstigsten Eindruck gemacht und mir, wie Dr. Schneeberger schreibt, wesentlich genützt. Auch die Journale sprachen sich sehr liebenswürdig über sie aus. Der Präsident nahm freundlich für Wanda gegen den Vertreter Frobens, Dr. Rasch, Partei.«

Die Wahrheit ist, daß ich im Gerichtssaal keine »glänzende«,[397] sondern eine sehr bemitleidenswerte Rolle gespielt habe.

Vor meiner Abreise hatte mir Leopold alles was ich bereits über die Sache wußte, nochmals wiederholt, ich hatte alles ganz richtig verstanden und war, sein gutes Recht erkennend, ruhig ins Gericht gegangen.

Man nahm mir den Eid ab, und ich erzählte die Dinge, wie ich sie aus den Mitteilungen meines Mannes kannte.

Es war ganz still im Saal, während ich sprach. Ich stand dicht vor dem Präsidenten und dieser blickte mich unverwandt, aber freundlich und wohlwollend an. Darüber vergaß ich den Saal, ich sah nur noch ihn und es war mir, als spräche ich zu einem vertrauten Freunde.

Nachdem ich geendet, suchte er in den vor ihm liegenden Papieren, dann hielt er mir ein Blatt hin, bat mich, es genau anzusehen und ihm zu sagen, ob ich darauf die Schrift meines Mannes erkenne. Gewiß war es die Hand meines Mannes. Darüber war kein Zweifel möglich.

Nun las er den Inhalt des Briefes vor. Es war das strikte Gegenteil von all dem, was ich ausgesagt hatte.

Ganz heiß vor Scham und Schrecken stand ich vor den Richtern.

»Sie haben, gnädige Frau, Ihre Aussage wohl nur nach den Angaben Ihres Mannes gemacht ... das erklärt den Widerspruch,« sagte der Präsident.

Ich ging an meinen Platz zurück. Erst nach einer Weile wagte ich die Augen aufzuschlagen; aber ich sah kein spöttisches oder schadenfrohes Gesicht; alle blickten mich gut und teilnahmsvoll an.[398]

Jeden Tag zur selben Stunde kam Groß zu uns, und jeden Tag um diese Stunde ging mein Mann aus.

Er hätte ebensogut zu Hause bleiben können. Das Herz voll Gram und Bitterkeit, fehlte mir das Verständnis für die Gefühle, die Groß bewegten. Seine stumme Gegenwart, seine hilflose knabenhafte Verliebtheit reizte und erbitterte mich nur noch mehr und ich fühlte solches Mitleid mit mir selbst, daß ich hätte weinen können.

Ein schmerzliches Ereignis befreite mich von seinen lästigen Besuchen. Sascha erkrankte an Scharlach.

Schon seit Wochen konnten die Kinder nicht mehr ausgehen, weil sie keine Schuhe hatten. So blieben sie eingeschlossen in der Wohnung, in der stets, man mochte lüften so viel man wollte, eine merkwürdig übelriechende Luft herrschte. Sascha, das zarteste von den drei Kindern, war das erste Opfer dieser ungesunden Wohnung.

Die Leiden des Kindes, der Schrecken vor der Möglichkeit, es zu verlieren, die Furcht vor Ansteckung und die Sorge um das für die Krankheit nötige Geld gaben den Gedanken meines Mannes eine andre Richtung und er schrieb selbst an Groß, er möge seine Besuche einstellen.

Es wäre vielleicht angezeigt gewesen, die beiden anderen Kinder zu entfernen, allein das wäre mit für uns unerschwinglichen Kosten verbunden gewesen; wir hatten kaum Geld genug für die nötigsten Bedürfnisse des Tages.

Der Tod wäre ein Erlöser für uns alle gewesen.

Mein Mann und die beiden gefunden Kinder zogen hinüber in das kleine Zimmer und ich blieb mit dem Kranken allein. Der Arzt hatte mir gesagt, ich müßte sehr darauf achten, daß das Kind sich nicht abkühle, immer in derselben Temperatur liege. Bei Tage war keine Gefahr, da[399] ich nicht von ihm wich, und nachts schlief ich mit ihm in demselben Bett, hielt ihn in meinen Armen und wärmte ihn mit meinem Körper.

Angstvolle Wochen gingen hin. Manchmal kam mein Mann an die geschlossene Türe und sprach durch diese mit seinem kranken Liebling; auch Lina und Mitschi kamen und riefen der Mama Grüße zu; mein kleiner Schwarzer mit Tränen in der Stimme, weil er seine geliebte Mama eine so lange Ewigkeit schon nicht gesehen.

Dann kam die Zeit, wo der Genesende jeden Tag ein Bad nehmen sollte. Ich ließ aus der heißen Quelle im Stadtwald Wasser bringen; die Wirtin vom Restaurant, das im Hause war, lieh mir ein in der Hälfte durchsägtes Faß, und in dieser primitiven Badewanne nahm der Kleine genußreiche Bäder. Es war überhaupt eine köstliche Zeit für ihn; jeden Tag briet ich ihm auf dem eisernen Ofen im Zimmer ein Hähnchen, das er allein ganz verzehrte. Sah ich, mit welcher Gier er sich darüber hermachte und mir dabei voll dankbarer Freude zulächelte, da schwoll mir mein Herz und in einem unendlichen Glücksgefühl segnete ich den »Erlöser Tod«, daß er mir das teure Kind nicht genommen.


Da mein Mann fest entschlossen war, die Gefängnisstrafe von acht Tagen nicht abzumachen, ließ er von seinem Anwalt Dr. Eirich ein Gnadengesuch einreichen, und ich sollte nach Wien gehen, um beim Kaiser den Strafnachlaß noch persönlich zu erbitten.

Ich hatte das zur Audienz vorgeschriebene schwarze Seidenkleid nicht. Frau Laslo, die Tochter von Frau v. Korsan, lieh mir gern das ihrige und ich reiste ab.[400]

Der Vater meines Mannes war mit dem Chef des Privatkabinetts des Kaisers, Baron Braun, befreundet gewesen. Mit solchen Empfehlungen fand ich den Weg zum Kaiser leicht.

Als ich zur Audienz kam, hatte diese bereits begonnen. Eine lange Kette von Personen bildete einen Halbkreis in einem kleinen Saal; alle waren sichtlich bemüht ruhig auszusehen, was den wenigsten gelang. An den Fenstern standen Leibgardisten, prachtvolle Männer in weißen, von Gold starrenden Uniformen. Ich dankte Gott, daß mein Dichter sie nicht sah ... Das Herz wäre ihm gebrochen, unter diesen »Griechen« sich keinen herausholen dürfen! –

Es traf sich, daß der diensttuende Adjutant Graf Mondel war, auch einer aus dem »Adelsnest« in der Jahngasse in Graz, wo seine Mutter lange Jahre gewohnt. Seltsam kam mir der »Dienst« vor, den er, ich glaube, er war bereits Major, zu versehen hatte; er bestand darin, den Eintretenden die Türe zu öffnen, und, mit der Hand auf dem Türgriff, zu horchen, daß drinnen auch alles in Ordnung verlief.

Als die Reihe an mich kam, blickte er mich an und es schien mir, als ob ein diskreter Gruß in seinen Augen und ein freundliches Lächeln auf seinen Lippen wäre.

Aber da stand ich schon vor dem Kaiser.

Ich hatte mir schon seit Tagen zurechtgelegt, was ich sagen wollte, während des Wartens aber in all den ernsten gespannten Gesichtern, die mich umgaben, zu sehr nach ihrem Leben und Leiden, nach den Ursachen, die sie hergeführt, geforscht, auch die erregten, oft verzweifelten Mienen der Herauskommenden mit tiefer Bewegung beobachtet, so daß ich, als ich vor dem Monarchen stand, ganz aus[401] dem Text gekommen war. Und auch jetzt noch vagabondierte mein Geist, und anstatt meine Angelegenheit vorzutragen, schaute ich auf den Menschen, der vor mir stand, und suchte in seinem Gesicht nach den Spuren der Bestätigung dessen, was ich von ihm wußte, wie ich ihn mir dachte.

Es war nur ein Augenblick, aber viel kann ein Augenblick einschließen.

Ich weiß nicht, wie ich meine Sache vorbrachte, gewiß nicht »programmäßig«, allein da ich damit alles erreichte, was zu erreichen war, konnte ich zufrieden sein.

In seiner leutseligen Art sagte mir der Kaiser, er würde am liebsten meinem Manne die ganze Strafe schenken, allein er könne doch nicht »seine Richter« so ganz desavouieren; doch wolle er gleichwohl sehen, was sich machen ließe, ich sollte nur getrost heimkehren, meinen Mann beruhigen und ihm sagen, er solle die Sache nicht so ernst nehmen, ein paar Tage Arrest, daran müßten Schriftsteller und Journalisten sich gewöhnen; Entehrendes sei ja auch nichts dabei.

Ich wollte mich eben vor dem Kaiser verbeugen, als die Türe hinter mir geöffnet wurde und Graf Mondel mir in seiner stummen Höflichkeit zu verstehen gab, daß ich mich lange genug der allerhöchsten Gegenwart erfreut habe.

Draußen im Vorzimmer, um einen Tisch herum, auf dem ganze Haufen von Silber- und Kupfermünzen lagen, standen mehrere Lakaien in schönen bunten Kleidern, die so imposant aussahen, daß sie ebensogut Minister oder noch besser Leibgardisten hätten sein können. Einer dieser Herren hatte die Güte, mir meinen Mantel und Schirm zu reichen.

Schüchtern legte ich ihm einen Gulden hin. Das war[402] gewiß nicht viel für einen so prächtigen Menschen; allein in Anbetracht meiner mageren Börse schien es doch ein ungeheurer Leichtsinn von mir. Glücklicherweise nahm er weder von meiner Gabe noch meiner Verlegenheit Notiz. Mit dem nächsten Zuge reiste ich wieder heim.

Ich weiß nicht mehr, was die Veranlassung war, daß Leopold wünschte, ich solle Kapf in Wien aufsuchen.

Nachdem Margarethe Halm nach langem Zögern erkannt hatte, daß sich unser früherer Sekretär zum Reformator des Menschengeschlechts nicht eigne, hatte sie ihn in eine Coterie schriftstellernder Frauen lanciert. Eine derselben, Fräulein Blumenreich, die unter dem Namen Essenther als Schriftstellerin schon bekannt war, hatte ihn zum Manne erwählt. Das hatte seine Übersiedlung nach Wien veranlaßt.

Kapf als Ehemann zu sehen, hatte etwas Verlockendes für mich, und ich beeilte mich, meinen Auftrag auszuführen. Er nannte sich jetzt Kapf-Essenther, wohnte irgendwo in Hernals, war aber nicht leicht zu finden.

Müde von dem erfolglosen Suchen, wollte ich schon unterrichteter Sache nach Wien zurückkehren, als zwei Bäckerjungen auf mich zukamen. Es fuhr mir durch den Sinn, sie könnten vielleicht Brot zu dem jungen Ehepaar bringen, und ich hielt sie an. Mit dem Namen hatte ich kein Glück, sie kannten ihn nicht; da versuchte ich es mit einer Beschreibung von Kapfs äußerem Menschen, und gleich stießen sich die Buben lachend an und sagten:

»Das is ja das ›Perücken-Gigerl,‹ und führten mich bis an das Haus.

Es war Frau Kapf-Essenther selbst, die mir die Türe öffnete. Ich gab mich ihr zu erkennen, und sie war sehr liebenswürdig, was ich ihr um so höher anrechnete, als[403] sie mich ja nur aus den Schilderungen ihres Mannes kennen konnte.

Ich fand Kapf noch bedeutender als früher – er fühlte sich als der Mann seiner Frau, sonst aber trug er sein Glück mit Würde und dem Gleichmut eines Philosophen. Er überragte ganz entschieden seine Frau; diese mochte das auch fühlen, denn sie sprach so sanft, so liebevoll, beinahe unterwürfig zu ihm, und er antwortete ihr in seiner abgehackten, überlegenen Weise, die ich so gut kannte, und sie nahm es hin, wie etwas, das gar nicht anders sein könnte.

Gern würde ich länger bei dem interessanten Paar geblieben sein, allein ein Etwas in der Luft erinnerte mich zu peinlich an unser Speisezimmer in Graz; und sobald ich mich meines Auftrags entledigt, ging ich wieder.«


Ich war nur drei Tage von Hause weggewesen, fand aber die Meinen krank, als ich wiederkam. Es war eine seltsame, unerklärliche Krankheit, die sie ergriffen hatte: der Vater wie die Kinder hatten kleine Geschwüre an den Beinen. Daran war gewiß nur diese fluchwürdige Wohnung, in der fortwährend ein widerlicher Geruch herrschte, schuld, und die zu verlassen uns unsere Armut hinderte.

Ich behielt meine Gedanken für mich, um Leopold nicht zu erschrecken, aber wie ich mich hinaussehnte aus diesem verpesteten Kerker, wie ich Tag und Nacht nur darüber sann, woher ich die Mittel schaffen könnte, uns zu befreien!

Mir selbst ging es auch nicht gut. Das aber hatte seinen besonderen Grund. Ich war blühend gesund und[404] frisch von Ecsed zurückgekommen, doch das änderte sich bald.

Wir ließen unser Essen aus dem Gasthause holen, und da es nicht gerade billig war, nur das allernotwendigste. Es reichte kaum für den gefunden Appetit meines Mannes, der Kinder und der Magd. Ich saß bei diesen Mahlzeiten mit geheimer Todesangst im Herzen, es möchte eins meiner Lieben nicht gesättigt vom Tische aufstehen. Hätte ich schon deshalb nichts essen können, so hatte ich überdies noch einen Trick gefunden, mit dem ich meinen knurrenden Magen zum Schweigen brachte.

Eines Tages bemerkte Leopold während eines Spazierganges vor der Türe einer Krämerei ein Fäßchen mit grobem, schwerem Käse, wie ihn Bauern und Arbeiter essen. Er wünschte solchen Käse zu haben, und ich kaufte ein Fäßchen.

Ich brauchte eine Stunde vor dem Mittagessen nur ein klein wenig von diesem Käse zu essen, um mir den Magen vollständig zuzuschnüren und mich tatsächlich in die Unmöglichkeit zu versetzen, irgendwas zu genießen.

Hunger war mir ja ein gewohntes Gefühl, hatte ich mich doch schon im Mutterleibe darin üben können. Auch achtete mein Mann bei Tisch nicht auf andere, wenn er aber doch hier und da bemerkte, daß ich nichts aß, schützte ich mein altes Magenleiden vor, und damit gab er sich um so leichter zufrieden, als ich schlecht genug aussah.

Nachteiliger als auf meinen Körper, obgleich ich mich ziemlich kraftlos fühlte, wirkten diese Hungermonate auf meinen Geist. Ich war gedrückt und mutlos, und der Wunsch, wir möchten alle sterben, da das Leben so hart für uns war, verließ mich fast nie mehr.
[405]

Am 16. Jänner 1881 schrieb mein Mann an seinen Bruder:

»Aus London erhielt ich dieser Tage einige Bogen aus einem Werk über ausländische Literatur, in dem ich glänzend behandelt werde; aus Kopenhagen das Ersuchen, an der ersten dänischen Revue mitzuarbeiten, und zugleich die Mitteilung, daß mein ›Vermächtnis Kains‹ dänisch erschienen ist und großen Erfolg hatte; aus Belgrad die Nachricht, daß in kurzem mein ›Vermächtnis Kains‹ dort in serbischer Übersetzung von Body erscheinen wird.

Auch der italienische Literarhistoriker Gubernatis hat mich in seiner ›Bibliographie der Gegenwart‹ sehr anerkennend besprochen, und ebenso Glaser in der Pariser ›Biographie des Contemporains‹.

Ich wäre schon zufrieden, wenn ich etwas weniger Ehre und mehr Geld hätte.

Um einen neuen großen Roman zu schreiben, müßte ich mindestens ein halbes Jahr gedeckt sein, was ich leider nicht erreichen kann. Ich habe in den letzten Jahren durch den Konflikt mit Froben, die Bankrotte von Krüger, Hartknoch, Günther große Verluste erlitten, die ich heute noch fühle, auch bin ich nicht gesund genug, um immer so arbeiten zu können, wie ich möchte.

Das ist ja eben das Fatale, daß ich bei meiner Art Arbeit so sehr auf eine gute Stimmung angewiesen bin.«

Und später schreibt er:

»Wie mir die deutsche Zeitung in Porto Allegre schreibt, wird dort in Brasilien im August der erste Teil ›Vermächtnis Kains‹ erscheinen.

Im Herbst wird eine englische Übersetzung von Hastings[406] des zweiten Teils ›Vermächtnis Kains‹ und eine dänische meiner ›Judengeschichten‹ erscheinen.

Angerer schreibt mir, daß unsere Operette ›Die Wächter der Moral‹ noch im Juli in Karlsbad und im August in Prag gegeben wird. In Berlin hat das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater dieselbe angenommen und will sie im Herbst geben.

Aus der ›Illustratione‹ geht hervor, daß das ›Vermächtnis Kains‹ bereits erschienen ist.

Ich glaube aber jetzt schon an alles, nur an keine großen pekuniären Erfolge. An Ehre und Ruhm fehlt es mir wahrlich nicht, außer Goethe und Heine ist kein deutscher Autor bei allen Nationen so geschätzt und gelesen, wie ich, und dabei weiß ich oft nicht, wovon ich den nächsten Tag leben soll.

Vorzüglich ist an der Misere die deutsche Presse und der deutsche Buchhandel schuld: früher wurde der deutsche Autor nur schlecht gezahlt, jetzt wird er noch überdies bei jeder Gelegenheit geprellt.

Ich habe vor kurzem zwei Einladungen erhalten, die eine nach Schloß Tanneberg in Thüringen, die andere nach Ingolstadt. Die letztere kam von zwei Fürsten, Vettern des Grafen O'donell, mit dem wir in Budapest viel verkehrt.

Es wäre hübsch, wenn ich da oder dort ein Asyl für den Winter fände, ich könnte dann einige große Sachen schreiben und mich rangieren.«

Es war natürlich, daß wir in solcher Lage nicht nur neue Bekanntschaften vermieden, sondern auch unseren alten vorsichtig aus dem Wege gingen.

Ganz umgehen ließ sich dies trotz aller Vorsicht nicht, zu viele suchten sich uns zu nähern, und waren es[407] Personen, die Leopolds Neugierde und Interesse erregten, dann drängte er selbst danach, die Bekanntschaft zu machen. Zu diesen neuen Bekannten gehörten der Gelehrte Schwarcs Juley und Graf und Gräfin O'donell.


In einer Nacht hörte ich meinen Mann Licht machen.

»Was hast du?« frug ich in dem Glauben, er sei unwohl. Er saß aufrecht im Bett und blickte mit bleichem, schreckensstarrem Gesicht zu mir herüber. Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, wie er sich vergebens anstrengte, zu sprechen, aber keinen Laut hervorbrachte. Entsetzt sprang ich aus dem Bett und ging zu ihm.

»Um Gotteswillen, was ist dir?«

»Ich hatte einen furchtbaren Traum,« sagte er endlich. »Mir träumte, ich hätte einem Bischof gebeichtet ... das bedeutet Tod ... ich bin ganz sicher.«

Er blätterte in seinem Traumbuch und zeigte mir die Stelle.

Ja, da stand es: »Einem Bischof beichten, zeigt bevorstehenden Tod an.« Er starrte mich an. Offenbar erwartete er, daß ich, wie sonst bei solchen Gelegenheiten, mich gegen das Furchtbare wehrte, ihn überzeugte, daß ich nicht daran glaubte und ihn selbst dadurch wankend machte und Mut gab.

Nichts von dem konnte ich ihm mehr geben. Stumpf, gleichgültig saß ich da, nur mit dem einen bitteren Gefühl im Herzen, daß er es wahrlich genug sein lassen könnte mit der traurigen Wirklichkeit, und uns nicht noch mit seinen lächerlich-grauenhaften Phantasien zu quälen brauchte. Der Tod! hätte er nur ahnen können, wie ich ihn oft unter heißen Schmerzenstränen herbeiwünschte,[408] wie er meine einzige Hoffnung war, aus unser aller Leiden herauszukommen.

Wie hätte ich ihm den Trost geben können!

Da ich beharrlich schwieg, sagte er:

»Jeder Augenblick kann jetzt mein letzter sein ... ich darf keine Minute verlieren, um in meinen Papieren nur etwas Ordnung zu machen und Verfügungen aufzuschreiben, damit du nur halbwegs weißt, was du zu tun hast, wenn ich nicht mehr bin.«

Ich mußte ihm die Lampe anzünden, und er setzte sich an seinen Schreibtisch.

Lang war diese Nacht, und bleiern schlichen die Stunden hin. Manchmal unterbrach Leopold das Schweigen durch Bemerkungen über das, was ich nach seinem Tode tun sollte, seine Schriften betreffend, und an wen ich mich hilfesuchend wenden müßte.

Endlich kam der Tag, das Erwachen der Kinder, das Mädchen mit dem Frühstück, und das Leben nahm uns wieder auf.

Es schien, als ob das Abfassen der »letzten Verfügungen« die Todesgedanken selbst verdrängt hätten, denn mittags aß Leopold mit gutem Appetit; und obgleich er noch immer bleich und ernst war, so kam er mir doch viel ruhiger vor, als am Morgen.

Am Nachmittag drängte ich ihn, mit mir auszugehen, und er tat es. Da am Abend der Tod noch immer nicht gekommen war, traf ich Vorbereitungen, um uns eine ruhige Nacht zu sichern, indem ich unter dem Vorwande, daß ich mich schwach fühle vom Restaurant im Hause eine Flasche Wein und Kuchen holen ließ. Wir tranken alle davon, auch die Kinder bekamen einen Tropfen zu ihrem Kuchen, und darüber wurden sie so fröhlich, daß[409] sie Leopold verführten, mit ihnen zu spielen, was er bald so eifrig tat, als habe er völlig vergessen, daß er sterben sollte.

Als wir zu Bett gingen, lebte er noch, und am nächsten Morgen stand er noch immer lebend auf.

Das überraschte ihn. Sollte das Traumbuch sich geirrt haben?

Jedenfalls fing er an, seine Papiere wieder einzuräumen. Als er auch am kommenden Abend noch immer nicht tot war, wurde von der Sache nicht weiter gesprochen.

Von jener Zeit an wandte ich den Kopf oder ging zur Türe hinaus, wenn ich ihn mit seinem Traumbuch beschäftigt sah und merkte, daß er mich für die Orakelsprüche zu interessieren versuchen wollte.


Gräfin O'donell gab einen Kinderball und lud die unsrigen dazu ein. Es war nicht daran zu denken, alle drei dahin zu führen; allein mein Mann wäre zu unglücklich gewesen, wenn er seinem Sascha – und sich selbst – die Freude hätte versagen müssen.

Wir saßen und überlegten, wie wir es machen, wie hoch sich die Ausgaben dafür stellen würden. Ich hatte Seidenreste, aus denen ich leicht ein Kostüm herstellen konnte, dafür war also kein Geld nötig. Nur der Wagen zur Hin- und Rückfahrt mußte bezahlt werden, und das waren gewiß fünf Gulden. Fünf Gulden für einen Ball, das war nicht viel und doch in diesem Augenblick eine schier unerschwingliche Summe für unsere Kasse.

Ich mochte wohl ein recht bedenkliches Gesicht gemacht[410] haben, denn ich merkte, daß Leopold, der mich gespannt ansah und meine Entscheidung erwartete, schon die Hoffnung verlor und bereit schien, dem Vergnügen zu entsagen; da entschied ich, daß sie beide auf den Ball gehen sollten.

Ich tat es noch mehr um des Vaters als des Kindes willen, denn er brauchte wohl eine Freude und eine Zerstreuung, die ein wenig Sonnenschein in seinen von Arbeit und Sorgen gedrückten Geist brachte.

Ob wohl je ein junges Mädchen, das sich auf seinen ersten Ball begibt, glückstrahlender aussehen konnte als Leopold, als ihm die Magd sein reizend schönes Kind, in eine Pelzjacke von mir warm gehüllt, die Treppe hinunter zum Wagen trug?

Und was waren alle literarischen Triumphe gegen den, den er diese Nacht mit seinem Liebling erlebte! Fast bis zu Tränen bewegt, erzählte er mir, nachdem sie wieder heimgekommen, wie sein kleiner Prinz sich so ruhig und sicher unter all den aristokratischen Kindern bewegte, und wie dieses maßvolle Betragen mit seiner zarten Schönheit harmonierte und allgemein bewundert wurde.

Und als dann der Kleine, nach einem langen und gesunden Schlaf, seinen Geschwistern von all dem Herrlichen, das er erlebt, berichtete, diese ihn umstanden und aufmerksam zuhörten und die genossenen Freuden gleichsam nachgenossen, ohne eine Spur von Neid oder Bedauern, nicht mit dabei gewesen zu sein, da bekam auch ich meinen Anteil an der allgemeinen Freude, und so empfindlich mir auch der Abgang der fünf Gulden war, so schienen sie mir doch ein nur geringer Preis für so viel Glück.
[411]

Als Frau v. Korsan Leopold davon sprach, das Schwarcs Juley seine Bekanntschaft zu machen wünsche und eine Zusammenkunft verabredet wurde, hob sie zum Schluß den Finger gegen ihn auf und fügte lächelnd hinzu: »Aber du weißt, Leopold, du mußt dich darauf gefaßt machen, daß Schwarcs deiner Frau den Hof machen wird. Er verliebt sich in alle Frauen, die er kennt – aber große Gefahr ist dabei nicht; er ist ja so kurzsichtig, daß er nicht einmal weiß, wie die aussieht, die er grade anbetet.«

Schwarcs Juley war ein ältlicher Mann, von solchem Umfange, daß er sich nur schwer und immer schnaufend und schwitzend bewegte. Er war ganz kahlköpfig, und sein Gesicht so breit, rund und voll, daß seine kleinen öligen Augen ganz darin verschwanden; seine Kurzsichtigkeit zwang ihn, die Personen, mit welchen er sprach, immer ganz nahe anzusehen, was unverschämt aussah und belästigte. Frau v. Korsan hatte uns gesagt, daß er mit einer ungeheuer reichen Gräfin verheiratet war, die ihm, als sie starb, ihr ganzes Vermögen hinterlassen. Immer, wenn ich Schwarcs sah, mußte ich an die tote Gräfin denken, die ich mir nicht recht vorzustellen vermochte. –

Schwarcs kam öfter zu uns und einmal gingen wir zu ihm. Er hatte meinen Mann gebeten, einen Abend bei ihm zu verbringen, und ausdrücklich hinzugefügt, daß es ihn sehr freuen würde, wenn ich mitkäme.

Da er nur den Winter in der Stadt verbrachte, den Sommer aber auf seinen Gütern lebte, wohnte er im Hotel – der Bequemlichkeit halber, wie er sagte.[412]

Noch niemals war ich von einer Gesellschaft so krank und elend heimgekommen als von dieser.

Es war ein bescheidenes kleines Zimmer, in dem uns Schwarcs empfing, und voller Zigarrenrauch; denn es waren noch einige Herren da und alle rauchten. Wohl frug man mich, ob ich es gestatte, aber da rief mein Mann gleich:

»Aber ich bitte Sie! meine Frau raucht ja selbst.«

Ich ergab mich, obgleich ich wußte, daß es schlecht enden würde.

Man sprach sehr lebhaft, lachte viel und trank Wein dazu. Einer der Herren erzählte Geschichten von der Kaiserin Elisabeth, die er von seiner Nichte, Fräulein Ferency, wußte, die Vorleserin der Kaiserin war.

Es war eine Gemeinheit, derlei in Gegenwart einer Frau zu erzählen, und ich würde diese Ansicht wohl auch zu erkennen gegeben haben, wäre ich nicht schon halberstickt und wie gelähmt von all dem Rauch gewesen. Mit pochenden Schläfen, brennenden Augen, Krampf im Magen saß ich da und wagte nicht den Mund aufzutun aus Furcht, noch mehr Rauch einzuatmen.

Niemand merkte, wie elend es mir war, und Stunde auf Stunde verrann. Erst gegen Mitternacht endete die Qual, der ein Tag schwerer Kopfschmerzen folgte.


Es war ein kalter, aber sonniger Februartag. Ich hatte die Kinder gleich nach Tisch mit dem Mädchen ausgeschickt. Um selbst etwas frische Luft zu bekommen, hatte ich mir einen Stuhl auf den Tisch gestellt, war hinaufgestiegen, öffnete das Fenster und blieb dort sitzen, während Leopold auf seinem Bette lag und schlief. Zwar[413] kam kein Sonnenstrahl bis an mein Fenster, aber auf dem Dache gegenüber lag ein heller Streifen, an dem erfreute ich mich; bald verschwand auch dieser, die Freude war vorüber, die düstern Gedanken kamen wieder und die nagenden Sorgen.

Schon den zweiten Monat schuldeten wir Miete und Kost; in einigen Tagen sollte ich der Magd den Lohn zahlen, und ich hatte kaum Geld genug für die nötigsten täglichen Ausgaben.

Leopold ging nur noch aus, wenn es dunkel war, so heruntergekommen war er in seinen Kleidern; alles an ihm war schadhaft, zerfranst und fadenscheinig. Mir preßte es das Herz zusammen, wenn ich ihn so auf die Straße gehen sah, und ich war froh, als er endlich selbst fand, daß er lieber nur noch abends ausgehen werde.

»Komm doch von da herunter ... du wirst dich noch erkälten,« sagte mein Mann, der erwacht war.

»Nein, komm du lieber herauf, es ist eine gut Luft hier.«

Er zog seinen Winterrock an, wickelte sich ein Tuch um den Hals, setzte den Hut auf, hob einen Stuhl auf den Tisch und kletterte herauf.

Der Photograph Kâlma hatte eine Aufnahme von mir gemacht, die er uns diesen Morgen geschickt hatte.

Zuerst hatte ich mich auf den Bildern selbst nicht erkannt, und nur schwer konnte ich glauben, daß ich so aussehe – wie eine Schwindsüchtige.

Jetzt nahm Leopold diese Photographien wieder zur Hand, und sie betrachtend sagte er:

»Es ist merkwürdig, wie du abgemagert bist, seit wir in Budapest sind – die Stadtluft tut dir entschieden nicht gut ... Und diese verfluchte Wohnung! ... Wir[414] gehen hier noch alle zugrunde ... Wenn ich nur wüßte, wie wir aus dieser Lage herauskommen ... Da liegen für mehrere hundert Gulden druckfertige Manuskripte ... ich kann sie nicht anbringen ... nur Wertloses findet leicht Absatz ... Und ich sehne mich förmlich danach, wieder einmal eine Novelle für das ›Vermächtnis Kains‹ zu schreiben! ... Es schadet auch meinem Ruf, wenn so lange nichts von mir erscheint, das wieder Aufsehen macht ... und ich bin es auch müde, immer nur diese blöden Feuilletons zuschreiben. – Weißt du, ich habe an etwas gedacht ... wenn das gelingen könnte, wären wir für immer aus allen Kalamitäten heraus. Wenn von all den reichen Gutsbesitzern, die wir kennen gelernt haben, einer auf die Idee käme, uns für ein halbes Jahr zu sich einzuladen ... Ohne Geldsorgen würde ich Ruhe und Stimmung finden, könnte entweder einen großen Roman schreiben, der mir gleich eine bedeutende Summe einbrächte, oder an meinem ›Vermächtnis Kains‹ weiterarbeiten ... Denn so, wie es jetzt geht, kommen wir nicht heraus, aber immer tiefer hinein ins Elend ... Würden wir während sechs Monate alle Honorare, die eingehen, zurücklegen können, das heißt, nur die Schulden in Graz davon bezahlen, so könnten wir in die Lage kommen, wieder irgendwo, in schöner Gegend, in einer kleinen Stadt mit guten Schulen, einen festen Wohnsitz zu nehmen und uns nach und nach ganz zu rangieren ...«

»Wer soll uns einladen?«

»Ja, das ist's eben. Ich habe wohl jemanden im Auge, der es leicht könnte ... auch sehr dazu geneigt scheint ... es hinge nur von dir ab –«

»Wer?«

»Schwarcs Juley. Es ist zweifellos, daß er in dich[415] verliebt ist ... Er ist reich, Witwer, hat keine Kinder, also auf niemanden Rücksichten zu nehmen ... und würde sich alle Finger ablecken, wenn er dich bekäme ... und wenn das der Fall wäre, dann würde er es ja selbst wünschen, dich in seiner Nähe zu haben ... die Einladung wäre sicher ... Was meinst du?«

Ich »meinte«, daß er Recht habe und ich es tun sollte.

Ich war über seinen Plan weder sehr erstaunt, noch sehr entrüstet. Noch während Alexander Groß zu uns kam, hatte er von mir verlangt, ich solle diesen fragen, ob er uns nicht 200 Gulden leihen wolle.

Das und gewisse Reden, die er mir gehalten, hatten nach und nach den Verdacht in mir erregt, daß seine »Phantasien« diese Wendung nehmen würden. –

Ich hatte viel darüber nachgedacht und war zu einer ruhigen Auffassung und Erwägung meiner Lage gekommen.

»Wenn deine Söhne erwachsen sind, wirst du noch eine hübsche Mutter sein und sie lehren, was Liebe ist,« hatte er einmal zu mir gesagt.

Wie sollte ich mit dem Manne über Dinge streiten, welche er nicht ahnte?

Schon lange brütete ich über dem Gedanken, Sacher-Masoch mit den Kindern zu verlassen; wie sehr ich aber auch alles überlegte, ich sah die Möglichkeit, ihn auszuführen, nicht, ohne die Kinder dem größten Elend auszusetzen. Wollte ich meine Kinder nicht der Leib und Seele zerfressenden Armut preisgeben, in der ich meine eigene Jugend verbrachte – mußte ich bleiben, wo ich war.

Und wie hätte ich hoffen dürfen, daß er mir Sascha geben würde – die beiden anderen kamen für ihn nicht[416] in Betracht – und gerade dieses Kind war das zarteste von allen und der aufmerksamsten Pflege bedürftig!

Nachdem alle Illusionen abgetan waren, handelte es sich für mich nur noch um die Existenz der Kinder – und dafür war ich alles zu tun bereit.

Und warum hätte ich für die Existenz meiner Kinder nicht tun sollen, was ich für die Ausschweifungen meines Mannes bereits getan hatte?

Vielleicht hätte ich zu Gericht gehen und Schutz gegen den Mann verlangen können; vielleicht gibt es ein solches Gesetz – ich weiß es nicht –, wenn es der Fall ist und es hätte mich »geschützt«, so wäre gerade das der rascheste und sicherste Weg zu unser alle Untergang gewesen. –

Noch einen anderen Ausweg gab es: mich und die Kinder zu töten. Aber dazu hatte ich nicht das Herz – wenigstens so lange nicht, als ich noch ein Opfer für sie bringen konnte ... Vielleicht würde ich gerade in diesem letzten, schwersten Opfer den Mut dazu finden ...

... »und wer am meisten liebt, wird sich am tiefsten demütigen.«


Eine heftige Halsentzündung war das unmittelbare und blieb das einzige Resultat einer Zusammenkunft mit Schwarcs Juley.

Die Krankheit tat mir wohl.

Während ich so dalag und mein Mann mich angstvoll pflegte, sann ich über das Geschehene nach und suchte Milderungsgründe für seine Schuld.

Wenn es dafür überhaupt welche gab, fand ich sie auch.[417]

Sacher-Masoch war stets unermüdlich und freudig bei der Arbeit; er hatte für sich nur die bescheidensten Bedürfnisse; er verdiente auch ziemlich viel Geld, das aber zum großen Teil von alten Schulden verschlungen wurde; auch hingen sich stets Leute an ihn, eine Art literarischer Auswuchs, von welchen er sich halb aus Gutmütigkeit, halb aus Eitelkeit ausbeuten ließ; viele seiner Übersetzer betrogen ihn, ebenso Zeitungen und Verleger, was wieder zu Prozessen führte, deren Kosten weit über unsere Mittel gingen.

Ein merkwürdiges Mißgeschick verfolgte die Unternehmungen, auf welche er die meisten Hoffnungen gesetzt.

Am 11. Mai 1877 schrieb Kapellmeister Karl Millöcker an ihn:

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

»Wäre mir das Glück auch in bezug auf gute Librettos immer hold gewesen, so würde ich sogar eine ziemlich exklusive Stellung einnehmen. Dieses Glück zu suchen, erlaube ich mir, deshalb mich an Euer Wohlgeboren zu wenden, dessen Werke bereits Weltruf genießen, dessen Name einen Klang in der modernen deutschen Literatur besitzt wie kein zweiter, mit dem höflichen Ersuchen, ob Euer Wohlgeboren geneigt wären, mir ein Libretto zu verfassen.

Sollten Euer Wohlgeboren auf meinen höflichen Vorschlag eingehen, so würde ich in bezug auf den pekuniären Teil die weitgehendsten Zugeständnisse machen.« –

Mein Mann machte sich sofort an die Arbeit.

Es kam zu nichts, als zu Zeit- und Geldverlust. Als das Szenarium fertig war, wies Millöcker Sacher-Masoch damit an Direktor Steiner, dieser aber hatte eben Konkurs angesagt. –[418]

Auch für das Libretto zur Operette, die Angerer komponierte, erhielt Sacher-Masoch keinen Heller.

Ein anderer hätte den Mut verloren, er verlor ihn nicht. Ging ihm eine Hoffnung unter, tauchten dafür schon zwei andere wieder auf.

Daß er jetzt, wo wir im äußersten Elend waren, verzagte und sich nach Hilfe umsah, war nicht zu verwundern; daß er diese Hilfe von dort erwartete, wo er sie am wenigsten hätte suchen dürfen, das hing eben mit dem Fehlen jedes sittlichen Empfindens bei ihm zusammen. Kann man aber einen Menschen für diesen Mangel – diesen Geburtsfehler könnte man beinahe sagen – verantwortlich machen? Den gemeinen Mann wohl nicht – aber den, wie Sacher-Masoch, höchst gebildeten –?

»Alles verstehen, heißt alles verzeihen.« Verstehen konnt ich es, aber bis zur Verzeihung kam ich nicht.


Die Leiden dieses Winters schienen kein Ende nehmen zu wollen.

Der Kaiser hatte meinem Manne die Strafe von acht Tagen auf vier herabgesetzt. Auch diese wollte er nicht abbüßen. Nur der Gedanke daran regte ihn schon so auf, daß er wie verrückt herumlief.

Vor allem handelte es sich darum, zu wissen, ob Ungarn ihn an Österreich ausliefern würde, falls ein solches Verlangen gestellt werden sollte. Ich mußte direkt zum Justizminister gehen und danach fragen.

Ich ging also hin, wurde sehr freundlich empfangen und trug meine Sache vor.

Zuerst lächelte der Minister und meinte, Sacher-Masoch solle die Strafe lieber annehmen, so eine Art »Märtyrertum«[419] stehe politischen und literarischen Männern sehr gut an. Auch werde das »Gefängnis« den Betreffenden recht komfortabel gemacht. Dann wurde er etwas ernster und fügte hinzu, daß, falls eine Auslieferung verlangt würde – was höchst unwahrscheinlich sei –, er ihr Folge geben müsse, allein er sei überzeugt, daß Sacher-Masoch vorher davon er fahren würde, um dann in aller Ruhe Ungarn verlassen zu können – wenn er wirklich dabei bliebe, diese vier Tage nicht »brummen« zu wollen.

Danach hatte Leopold so gut wie nichts zu fürchten, trotzdem war er ganz unglücklich über den Bescheid.

Noch immer standen die vier Arresttage drohend am Horizont. Es gab nur ein Mittel, dem zu entgehen: Fort aus Österreich-Ungarn, ins Ausland!

Er hatte bereits einen Plan, um das nötige Geld dafür zu schaffen: ich sollte an Herrn Bruno Bauer nach Tischnowitz schreiben – er war doch in mich verliebt – und ihn bitten, uns 500 Gulden zu leihen, er, Sacher-Masoch, würde sie von dem Honorar seines nächsten großen Romans zurückzahlen.

Ich schrieb den Brief, und postwendend kam das Geld aus Tischnowitz.

Einige Tage später verließen wir Budapest.


Wir gingen nach Heubach, einem Dorfe bei Passau, dicht an der österreichischen Grenze. Dort mieteten wir in einer Mühle zwei Zimmer mit der Aussicht auf Wald, Feld und Wiesen – ein Paradies nach unserem winterlichen Gefängnis. Wenn wir einige Minuten den Bach hinauf über eine Brücke gingen, waren wir in Österreich; dort befand sich ein nettes Wirtshaus, in dem wir unsere[420] Mahlzeiten nahmen. So kam es, daß wir immer zwischen Österreich und Bayern hin und her gingen. Das amüsierte meinen Mann, aber es beunruhigte ihn auch. Die Furcht vor der »Gefangenschaft« saß ihm noch in den Nerven: wenn ihn die Gendarmen einmal beim Essen packen würden! An besonders nervösen Tagen sah er hinter jedem Baum eine Uniform, in der ein Mann steckte, der auf ihn lauerte; und ehe er einen Spaziergang antrat, erkundigte er sich genau nach der Grenzlinie, um mit keinem Fuß den gefahrvollen Boden zu berühren.

Wochen erquickender Ruhe kamen für mich. Mehrere Monate lagen vor mir ohne Nahrungssorgen; und das allein wirkte schon kräftigend auf mich. Erst jetzt wo ich ausruhte, erkannte ich, wie abgehetzt ich war, und erst jetzt, wo ich mich wieder satt essen konnte, wie sehr ich die vielen Monate gehungert hatte.

Aber jetzt war es ja vorbei – wenigstens für einige Zeit. –

Ich wünschte, diese Zeilen möchten Herrn Bruno Bauer unter die Augen kommen und er möchte die ganze Wärme meines Dankes für seine Freundschaft aus ihnen fühlen.

Meine Erlebnisse in Budapest wurden nach und nach zu Schatten, die dahinschwanden wie Gespenster im hellen Mittagslicht. Ich fühlte mich wieder stark und fest in mir selbst, als hätten jene schrecklichen Dinge meine Seele nie berührt. Es war, als ob das Leben mich von mir selbst immer mehr befreite, gleichsam mich über dasselbe emporhob.


Wir lebten jetzt wieder das einfache stille Dorfleben, das mir so sehr zusagte und das ich immer hätte leben[421] mögen. Auch meines Mannes begehrliche Phantasie kam jetzt etwas zur Ruhe – sie schrumpfte gleichsam ein, weil sie keine äußeren Anknüpfungspunkte fand. Allein an ein wahrhaftes Ausruhen war an seiner Seite nicht zu denken, und ich erwartete es auch nicht. Immer wieder versuchte er mir die Seele auszusaugen um sich zu bereichern. Nun aber war es anders geworden mit mir – ich wehrte mich gegen die Vergewaltigung und in diesem Kampf erstarkte ich. Es war jetzt etwas Verschwiegenes, Entlegenes in mir; ich war abseits, jenseits von ihm – und ein Abgrund zwischen uns, über den ihn keine Brücke zu mir führte; dort war ich allein im Zwiegespräch mit meiner Seele, die mir ihre Geheimnisse enthüllte. Davon merkte er nichts.

Nur eins fiel ihm auf und ärgerte ihn: ich interessierte mich nicht mehr für seine Arbeiten – ich las sie nicht mehr.

Auch bei Sascha fand er in diesen schönen Frühlingstagen mit seiner Art zu lieben kein Glück.

Schon lange hatte ich mit Schmerz beobachtet, wie die Liebe zwischen Vater und Kind immer krankhafter, ja überspannt wurde; Sacher-Masoch war nur glücklich, wenn er den Kleinen in Extase sah, wozu ihm meist seine eingebildeten Krankheiten, die eine stete angstvolle Sorge für das Kind waren, einen Vorwand gaben. Dann spiegelte sich seine Eitelkeit in dieser überschwänglichen Liebe und er blickte mit einer Art schadenfrohen Stolzes auf mich und die beiden andern Kinder, die wir von solcher höchsten Seligkeit ausgeschlossen waren.

Diese Gefühlsexzesse mußten seelisch und körperlich nachteilig auf das Kind wirken, und ich war sehr froh, als es jetzt in Heubach viele Stunden, ja halbe Tage lang, sich mit seinen Geschwistern draußen im Freien herumtrieb[422] und darüber vergaß, daß drinnen im Hause sein heißgeliebter Papa vielleicht von Todesfurcht gequält nach ihm ausschaute und die Ärmchen vermißte, die sich sonst in solchen Momenten so herzinnig um den Hals des eingebildeten Sterbenden legten und ihm unter zärtlichen Küssen und angstvollen Tränen die bösen Geister verscheuchten.

Einmal aus dieser schwülen Atmosphäre heraus, fand das Kind seinen natürlichen Frohsinn wieder und seine Gesundheit kräftigte sich zusehends.


Es kamen Regentage.

Es war bei den ganz durchweichten Wegen an Ausgehen nicht zu denken. Das waren immer schlimme Stunden für mich. Die Einsamkeit der Wohnung ertrug der Dämon an meiner Seite nur schwer; er verlangte nach Betätigung und fand er diese nicht, wie hier in der Abgeschiedenheit des Dorfes, dann mußte er sich wenigstens mit Reden Luft machen, in der Erwartung auf etwas Kommendes, oder in der Erinnerung an Vergangenes.

Gewöhnlich ließ ich ihn reden und dachte an anderes.

Diesmal horchte ich auf das was er sagte.

Er war in dem, was er mir bisher von seinen Beziehungen zu Frauen erzählt hatte, immer sehr vorsichtig gewesen und wußte seine Darstellung so einzurichten, daß er aus all den Geschichten als ein Opfer seines Vertrauens und Edelmuts hervorging.

In den ersten Jahren meiner Ehe glaubte ich alles was er mir sagte. – Was ich damals von ihm dachte, gründete sich nur auf Voraussetzungen, und die waren ihm alle günstig. – Jetzt hatte ich die Erfahrung für mich ...[423] das schärfte mein Gehör und ich hörte aus dem Gesagten mehr Wahrheit heraus als er ahnte – und als ihm lieb gewesen wäre.

Es war mir immer aufgefallen, daß mein Mann sehr selten und dann auch nur flüchtig von Frau v.K... sprach und gerade von ihr, deren Schönheit mich als Kind ganz trunken gemacht, hätte ich gern mehr gewußt – alles, was in der »Geschiedenen Frau« Wahrheit war.

Jetzt an diesem Regentage fing er plötzlich von ihr zu sprechen an.

Es war in der Zeit, da ihn die Macht ihrer Schönheit wie ein »Knutenschlag« getroffen und sie sich, verführt von dem beginnenden Ruf des jungen Dichters und der großen Zukunft, die man ihm prophezeite, bewegen ließ, Mann und Kinder zu verlassen, um ihm zu folgen.

Tag und Nacht dachte er nur daran, sie in die Lage zu bringen, ihm untreu zu werden – von seinen geheimen Wünschen aber wagte er ihr nichts zu sagen.

Sie war keine leidenschaftliche Frau und nahm das Verhältnis zu ihm sehr ernst. Er konnte also nur auf einen Zufall rechnen. –

»Warst du denn nicht eifersüchtig, da du sie so sehr liebtest?«

»Nein. Eifersüchtig war ich nie auf eine Frau die ich besaß. Hätte ich gesehen, daß ein anderer sie hatte und ich nicht, dann wäre ich wohl wütend gewesen. – Aber wenn Zwei sich aus derselben Schüssel gut und reichlich satt essen können, brauchen sie sich doch nicht zu beneiden. –«

Damals war Erzherzog Heinrich eben Brigadegeneral in Graz geworden. Wie allen Fremden war auch ihm die schöne Frau v.K... im Theater und auf der Promenade[424] aufgefallen und er hatte versucht, sich ihr zu nähern.

Sacher-Masoch war wie auf Kohlen. Ein Erzherzog! Einen solchen Griechen hätte er kaum zu träumen gewagt.

Jemand mußte dem Prinzen einen Wink gegeben haben, denn er zog sich bald wieder zurück. Sacher-Masoch hatte in Graz den Ruf eines sehr unbequemen Gegners, und so hohe Herren müssen in solchen Dingen Krakehl vermeiden.

Bald nachher trat der Prinz in Beziehungen zu der Sängerin Fräulein Hoffmann und war damit für die Pläne Sacher-Masochs aufgegeben.

Das Verhältnis hatte schon ein Jahr gedauert, als Sacher-Masoch einen polnischen Grafen kennen lernte, den er Frau v.K... vorstellte.

Hier wurde die Erzählung meines Mannes zwar etwas dunkel, allein dank meiner eigenen Erfahrungen war es mir nicht allzu schwer, mich zurecht zu finden.

Der polnische Graf hatte weniger Bedenken als der kaiserliche Prinz und nahm das ihm gleichsam Gebotene an. Auch war Frau v.K... im Laufe der Jahre immer mehr und mehr mit den Träumen Sacher-Masochs vertraut geworden – und hatte sich hineingefunden.

Zufällig befand sich Sacher-Masoch eines Tages im Bureau seines Vaters auf der Polizeidirektion, als diesem eben von einem Beamten ein Steckbrief vorgelesen wurde, der einem wegen Diebstahls aus Lemberg flüchtig gewordenen Apothekergehilfen, dessen Spuren nach Graz führten, nachgesandt worden war. Als »besondere Kennzeichen« gab der Steckbrief gewisse Merkmale einer bösen Krankheit an.[425]

Zug für Zug glaubte Sacher-Masoch in dem Gesuchten seinen polnischen Grafen zu erkennen.

Und Frau v.K... war bereits seit Wochen in ärztlicher Behandlung!

Entrüstet über solche Gemeinheit eilte Sacher-Masoch zu dem Polen um ihn zur Rede zu stellen, fand ihn aber nicht – er fand ihn überhaupt nie wieder.

Frau v.K... hatte sich in der Geschichte zu sehr kompromittiert ... und auch die Krankheit ... kurz, der Dichter fand, daß er am besten tue, das Verhältnis aufzulösen.

Dann schrieb er »Die geschiedene Frau«, die er auch »Die Passionsgeschichte eines Idealisten« nannte.


Nach Frau v.K... wurde das Experiment mit Frau v.P... erneuert. Der erste Versuch mit dem damaligen türkischen Gesandten in Wien ging fehl. Man reiste nach Italien; zuerst nach Venedig, dann nach Florenz, am liebsten wäre man gleich nach Konstantinopel gegangen; allein bis dahin reichte das Geld der Liebenden nicht; im Süden konnte man eher auf verständnisvolles Eingehen hoffen. Es ging auch viel besser – nicht ganz so wie er es geträumt hatte, aber darf man denn vom Leben eine volle Verwirklichung seiner Träume erwarten?

Um ganz in der Rolle eines Sklaven zu bleiben, wurde Sacher-Masoch für die Welt der Bediente der hübschen Frau, mit der er reiste. Er hatte sich aus seinem polnischen Nationalkostüm eine Livree zurecht gemacht, fuhr dritter Klasse wenn sie erste fuhr, schleppte das Gepäck von und zu den Wagen, saß neben dem Kutscher auf dem Bock, begleitete[426] seine Herrin bei ihren Besuchen und wartete auf sie im Vorzimmer mit den andern Dienern.

Frau v.P... hatte den Schauspieler Salvini zu ihrem Partner in der Partie erwählt. Es kam zu köstlichen Szenen zwischen den dreien. Salvini, der von den geheimen Beweggründen die ihn zu dem Spiel geladen, keine Ahnung hatte, meinte, das Ganze sei nichts weiter als ein galantes Abenteuer mehr in seinem Leben, fühlte sich aber durch die beständige Anwesenheit des sonderbaren Dieners der geliebten Frau sehr belästigt und ließ sich einmal, als dieser wieder gerade in einem interessanten Moment ins Zimmer kam, zu einem heftigen Ausfall gegen ihn hinreißen.

Sacher-Masoch war entzückt: gerade so wollte er ja den, der sein Herr werden sollte; und als dann der Schauspieler ging und er ihm im Vorzimmer in seinen Pelz half, beugte er sich rasch herab auf seine Hand und küßte sie. Ein anderes Mal: Frau v.P... saß wieder mit dem Italiener zusammen, als Sacher-Masoch ins Zimmer kam um Holz in den Kamin nachzulegen. Jetzt verlor Salvini die Geduld und frug Frau P ... französisch, zu was sie denn diesen polnischen Bauernlümmel da mit sich herumführe, es müßte ihr doch viel angenehmer sein, ein weibliche und geschulte Bedienung zu haben. Trotz seines Ärgers gab Salvini dem »polnischen Lümmel« fleißig Trinkgelder. –

Neben diesen glücklichen gab es in der Bedientenlaufbahn Sacher-Masochs auch peinliche Momente.

Es kam ein Tag, an dem ihn seine Gebieterin ausgeschickt hatte, um Öl und Milch einzukaufen. In einer Hand die Ölflasche, in der andern die Milchkanne, kam er die Straße herauf, als sein Studienfreund, der junge[427] Fürst Raoul Wonde auf ihn zukam und ihn erkennend ausrief:

»Na, Sacher, geht die Schriftstellerei nicht mehr und bist hier Laufbursche geworden?«

Sacher-Masoch rettete sich nur dadurch, daß er den Freund verständnislos anstarrte, was diesen an ein Verkennen glauben machen sollte.

Nachdem Salvini der Glücklichste von dreien gewesen, trat er eine Gastspielreise irgendwohin an.

Hier stockte die Erzählung meines Mannes wieder.

»Was kam dann?« frug ich.

»Dann packte ich meinen Koffer und reiste ab.«

»Warum das?«

»Ach, diese Frauen haben ja alle keinen Charakter ... nur Launen. Mich kann eine Frau zu Tode martern, das wird mich nur glücklich machen ... aber sekieren lasse ich mich nicht ... Ich hab sie einfach sitzen lassen.

Im dumpfen Schmerz zog sich mir das Herz zusammen.

So wird er auch dich eines Tages ›sitzen lassen‹, sagte mir eine innere Stimme.«


Der Sommer ging seinem Ende zu. Wir mußten daran denken, wohin wir uns den Winter wenden wollten, was geschehen sollte.

Am liebsten wären wir auf dem Lande geblieben, allein die Kinder brauchten jetzt Schulen, und da war es das beste, gleich in eine größere Stadt zu ziehen mit höheren Schulen und dort zu bleiben. Der Plan war gut, aber die Mittel zur Ausführung fehlten.

Sacher-Masoch hatte immer gewünscht, bei einem Blatte eine Stellung zu finden, die ihm sein Auskommen[428] sicherte und zugleich erlaubte, nebenher sein »Vermächtnis Kains« zu vollenden. Die Not des letzten Winters hatte den alten Wunsch wieder in den Vordergrund gedrängt. Eine derartige Stellung konnte er nur bei einer großen, ernsten Revue finden. Warum nicht selbst eine gründen? Ein Verleger dafür würde sich wohl finden lassen.

Es fand sich ein solcher in dem Eigentümer der Druckerei und des Verlags Greßner & Schramm (Dr. Lionel Baumgärtner) in Leipzig.

Anfangs September 1881 gingen wir nach Leipzig, und am 1. Oktober erschien das erste Heft von »Auf der Höhe«.

Das Unternehmen begann unter den glücklichsten Voraussetzungen. Dr. Baumgärtner war ein noch ganz junger Mann, der sich eben erst etabliert hatte. Er ging mit sehr viel Eifer und Lust an das Geschäft, und da er reich und bereit war, dem Unternehmen Opfer zu bringen, bot auch die Geldfrage keine Schwierigkeiten.

Ein schönes und endlich! auch sorgenfreies Leben, voll Arbeit, aber auch voll geistiger Anregung, begann jetzt für mich.

Zwischen uns und Dr. Baumgärtner hatte sich bald ein schönes freundschaftliches Verhältnis gebildet. Manchen Abend saß er bei uns im traulichen Geplauder. Er gehörte dem Leipziger Millionen-Clan an: wie alle, die zu uns kamen, meinte auch er, unsere enge Häuslichkeit schließe ein wahres und tiefes Glück ein. – Das wärmte sein dort etwas erkaltetes Herz, die Schatten, die bereits auf sein junges Leben gefallen waren, verblaßten, es wurde wieder licht hinter dem Dunkel – darin lag der Grund seiner Freundschaft mit uns.[429]

In den ersten Wochen unseres Aufenthaltes in Leipzig beschlich mich manchmal die Hoffnung, daß es vielleicht doch noch anders, besser werden würde zwischen mir und meinem Manne. Mit der Gründung der Revue war ihm ein lang gehegter heißer Wunsch erfüllt. Er hatte ein großes Organ für sich, das er ganz nach seinem Willen lenken, in dem er alle seine literarischen Pläne verwirklichen konnte. Von allen Seiten beglückwünschte man ihn zu dem Unternehmen, und die berühmtesten Namen auf allen Gebieten scharten sich als Mitarbeiter um ihn. Ja, ich hoffte, daß jetzt mit Hilfe der äußeren Umstände eine Zeit der Ruhe, des Aufatmens für mich gekommen sei, daß die neue und glückliche Lage, in der wir lebten, in dem Manne, der nun einmal, wie er mir einst schrieb, »mein Schicksal« geworden war, den bösen Geist bändigen werde.

Es war ein Irrtum.

Trotz seiner anstrengenden literarischen und redaktionellen Arbeiten hatte mein Mann Zeit gefunden, zu bemerken, daß Dr. Baumgärtner »rasend« in mich verliebt sei.

Dr. Baumgärtner hatte in seiner offenen vertrauenden Art zu meinem Manne einige Bemerkungen über mich gemacht, und diese waren an der unheilvollen Entdeckung schuld. Daß sie, dem Ehemann gemacht, jeden Hintergedanken ausschlossen – so feine Unterschiede machte Sacher-Masoch nicht.

Dr. Baumgärtner war in mich verliebt, und diese günstige Situation sollte ausgenützt werden.

Anfangs hörte ich gar nicht hin, wenn er mir davon sprach. Allein er ließ sehr bald durchblicken, daß das[430] Gedeihen der Revue von mir abhinge, das heißt, daß er nicht nur Arbeit, sondern auch Vergnügen dabei haben wolle, daß ich ihm dieses Vergnügen schaffen müsse, wenn mir an unserer Existenz wirklich etwas liege.

Obgleich ich ihn für fähig hielt, alles zu riskieren, um seinen Willen durchzusetzen, bekam er von mir auf alle derartigen Vorschläge ein kaltes und starres »Nein«.

Alle Freude an dem Umgang mit Dr. Baumgärtner war mir verdorben.

»Sie sollten sich verheiraten, Dr. Lionel,« sagte in einer abendlichen Plauderstunde mein Mann zu unserm Verleger. »Ein liebes, braves Weib, das ist doch das Glücklichste, was es geben kann ... da bekommt das Leben Inhalt ... und wenn dann erst Kinder kommen ... wie reich fühlt man sich ...«

Dr. Baumgärtner ging in die Falle.

In einfacher Herzlichkeit erwiderte er:

»Wenn ich eine Frau finden würde, wie die Ihre, ich würde es mir keine Sekunde überlegen, selbst wenn sie, wie jener Glückliche im Märchen, kein Hemd am Leibe hätte.«

Während er das sagte, hatte er sich zu mir gewandt und mich mit glücklichem Lächeln voll und fest angeblickt.

Eine tiefe, aber zugleich wehmütige Freude machte mein Herz schneller schlagen; wußte ich doch, daß der Tag kommen würde, wo ich auch diese Freundschaft, wie so vieles andere, verlieren würde. –

Kaum hatte sich diesen Abend die Türe hinter Dr. Baumgärtner geschlossen, als mein Mann in ein Triumphgeschrei ausbrach.

Durch die Revue waren wir in lebhaften Verkehr gekommen mit allen Geistesgrößen der Gegenwart. Von[431] unserer kleinen bescheidenen Wohnung gingen geistige Fäden aus, die in der ganzen zivilisierten Welt Anknüpfungspunkte fanden und uns immer wieder neue Gedanken und Ideen zuführten. So stand ich mitten in einem regen Geistesleben, das mir zum Segen wurde, weil es mir den Blick für die Geschicke der Menschheit, das Streben bedeutender Männer öffnete und dadurch wieder mich belehrte, wie wenig wichtig mein eigenes kleines Frauenschicksal sei.


Unter den vielen Angeboten, die wir für die Redaktion erhielten, befand sich ein Offert von einem Fräulein Hulda Meister aus Pasewalk. Sie bot sich als Übersetzerin an und zwar für mehrere Sprachen. Wir machten einen Versuch mit ihr, und da dieser gelang, wurde sie engagiert.

Sie war ein kleines, bereits stark verblühtes, aber wie es schien, noch recht anspruchsvolles Geschöpf. Ihre zimperlichen Manieren, ihr vornehm seinsollendes Getue, ihre aufdringliche Koketterie reizte zur Ungeduld. Aber sie war als Übersetzerin sehr zu gebrauchen, und das war die Hauptsache.

Es kamen damals auch viele Franzosen zu uns. Saint-Saëns war dagewesen, Professor Seailles, Madame Adam, die Herausgeberin der Nouvelle Revue und die Freundin Gambettas, hatte uns ihren Besuch von Petersburg aus, wo sie in politischer Mission weilte, angezeigt. Jetzt schrieb uns, es war anfangs Januar 1882, ein Herr Armand aus Nürnberg, er habe sich dort einer Dürer-Studie halber aufgehalten, möchte, ehe er nach Frankreich zurückkehre,[432] Sacher-Masoch seine Bewunderung aussprechen, und meldete uns seinen Besuch für die nächsten Tage an.

Herr Armand kam, und wir fanden in ihm einen ungewöhnlich sympathischen Menschen. Er war noch jung, aber schon sehr stark, was ihn älter aussehen machte und ihm eine gewisse Schwere gab. Er sprach ganz einfach, und alles, was er sagte, schien so grade weg vom Herzen zu kommen, daß man sich ganz warm von seinen Worten berührt fühlte. Von sich selbst sprach er nicht direkt, verstand es aber sehr geschickt, hier und da in die Unterhaltung Bemerkungen einzuschieben, die ihn beleuchten oder das andeuten sollten, was er über sich nicht aussprechen mochte.

Als er ging, frug er, ob er wiederkommen dürfe.

Leopold war von ihm entzückt.

»Was für ein reizender Mensch!« rief er. »Die Franzosen! Wie leicht man sich mit ihnen versteht!«

Als ich am andern Morgen in den Salon kam, stand dort ein großer Strauß wunderbarer Rosen, den mir Herr Armand gesandt hatte.

Herr Armand blieb in Leipzig, und Dr. Baumgärtner reiste ab. Er ließ uns nur sagen, Geschäfte riefen ihn für einige Wochen nach Wien, und ohne von uns weiter Abschied zu nehmen, war er abgefahren.

Er war in der letzten Zeit immer weniger zu uns gekommen und schließlich ganz weggeblieben.

Diese plötzliche Abreise, und für so lange Zeit, beunruhigte mich. Es mußte etwas vorgefallen sein.

Schon seit Wochen war mein Mann gegen mich verstimmt. Früher hatte er in solchen Momenten zu arbeiten aufgehört; das konnte er jetzt nicht. Mit der Revue hatte er Pflichten gegen Dritte übernommen und fremde Interessen[433] zu wahren, und wenn er mir auch andeutete, daß er die Lust daran bald verlieren werde, so mußte er doch weiter dafür tätig sein.

Hatte er vielleicht, was er mir so oft gedroht, getan, und Dr. Baumgärtner selbst eine Andeutung gemacht?

Das Blut stieg mir zu Kopf und ich zitterte vor Scham und Zorn bei dem Gedanken an diese Möglichkeit.

Wenn ich mir vorstellte, wie er so gar kein Verständnis für den ernsten und reinen Charakter Dr. Baumgärtners hatte, ganz blind war für das feine Empfindungsleben des jungen Mannes – dann mußte ich mir mit Entsetzen gestehen, daß er die Schmach vielleicht auf sich geladen, und fürchten, daß die plötzliche Abreise Baumgärtners einer Flucht vor der schmerzlichen und schamvollen Enttäuschung, die wir für ihn waren, gleichkam.

Denn wie hätte Dr. Baumgärtner vermuten können, daß ich nicht in geistiger Gemeinschaft mit meinem Manne lebe? –


An die Stelle des abwesenden Dr. Baumgärtners sollte jetzt Herr Armand treten. –

Ein Franzose! Das sei ein ganz anderer Geist. Der würde nicht vor Entsetzen aufschreien, wenn man ihm sagt, daß ein Dichter etwas Originalität in sein Verhältnis zum Weibe lege. Und dabei versicherte er mich seiner Liebe, »nie habe er mich mehr geliebt als jetzt«.

Eine andere Liebe umgab mich nun. Nicht in großen Worten drückte sie sich aus, sondern in unablässiger Fürsorge für mein Wohl. Mit dem Instinkt des Herzens erriet Armand meine Wünsche, noch ehe sie mir selbst zum Bewußtsein kamen, und erfüllte sie, wie sich die[434] Wunder im Märchen erfüllen. Oft sah ich diese Liebe im Geheimen leiden, weil sie in mein Leben nicht tiefer eindringen konnte, und doch ahnte, daß es da Rauhes und Schmerzliches gab, dem gegenüber sie machtlos war.

Und wenn dann zwei gute dunkle Augen angstvoll forschend und fragend auf mich schauten, da war es mir, wie es einem Wanderer sein mag, wenn er nach langem weiten Weg in Wind und Sturm und grausiger Nacht plötzlich in ein helles, warmes Heim tritt, in dem er von seinen Mühen ausruhen kann.

Das war mir neu und fremd. Lange wollte ich nicht daran glauben. Als ich es aber glauben mußte, da beklagte ich, daß diese Liebe so spät – zu spät – gekommen. Und grade weil sie mir so zukunftslos schien, gab ich mich ihr hin und freute mich ihrer, wie man sich im Winter eines flüchtigen Sonnenstrahls freut, von dem man weiß, daß ihm bald wieder Kälte und Dunkel folgen werden. –


Noch in anderer Richtung unterschied sich die Liebe Armands von der meines Mannes: dieser zog mich hinab in die Tiefe, wo seine Leidenschaften hausten; jener hob mich empor in lichte Höhen; für ihn war ich das Beste, Schönste, Heiligste, das ihm das Leben bieten konnte; ein teurer Schatz, den er angstvoll bewahren und hüten wollte.

Er ahnte nicht, wie sein Glaube an mich, seine reine und edle Liebe mich grade jetzt, wo ich so schwer gegen die schmachvollen Pläne meines Mannes kämpfen mußte, stützte und kräftigte.

Denn wenn mir auch die Meinung der Welt gleichgültig[435] war, die Meinung derer, die mir nahe standen, die ich selbst wertschätzte, war es mir nicht. Was Armand von mir hielt, war mir Trost und Freude – ebenso wie es mich quälte, daß Dr. Baumgärtner schlecht von mir denken mußte ... damals und noch lange Jahre nachher.


Und wie arg trieb es jetzt mein Mann! Er war wie besessen vom Bösen. Unablässig drängte er, doch endlich mit Armand »ernst« zu machen.

So besudelte er das Bild, das ich von Armands Liebe in mir trug, und machte mir jede Stunde zur marternden Pein.

Und kein Gedanke, keine Ahnung stieg in ihm auf, daß er an seinem eigenen Untergang arbeitete.

Da liegt ein Brief vor mir, den er am 8. Januar 1869 von Meran aus an seinen Bruder geschrieben hatte:


»Lieber Karl!


Je mehr der Novellen-Zyklus über die ›Liebe der Geschlechter‹ seinem Abschluß nahte, um so ungenügender erschien mir sein Titel ›Das Hohelied der Liebe.‹ Im Suchen nach einem Titel kam ich am 6. Dezember zu dem Gedanken, diesem Zyklus nicht bloß einen zweiten über das ›Eigentum‹ folgen zu lassen, sondern das ganze Menschendasein – so weit es dem Dichter möglich – in einem großen Novellen-Zyklus zur Darstellung zu bringen. Seitdem habe ich die Sache weiter ausgetragen; auf Spaziergängen, auf der malerischen Ruine der Zenoburg, in Dämmerstunden wuchsen Idee und Stoff heran. Mancher ältere Entwurf rankte sich von selbst in das neue Gebäude, manches ganz Neue schoß auf, manches auch blieb noch im Keime,[436] aber ich bin so weit fertig, daß ich Dir den Plan mitteilen kann. Nur sprich mit niemand davon, ich bin mißtrauisch, seitdem Kürnberger mich so vielfach bestohlen hat.

Ich teile Dir den Plan deshalb schon detailliert mit, weil ich im besten Falle drei bis vier Jahre zur Ausführung desselben brauche. Ist es mir nicht gegönnt, das groß angelegte Werk zu vollenden, so ist es ein Vermächtnis für Dich und Du kannst es in meinem Sinne zu Ende führen. Der ganze Novellen-Zyklus wird den Titel: ›Das Vermächtnis Kains‹ führen.

Als Prolog wird eine Novelle unter dem Titel ›Das Vermächtnis Kains‹ die Aufgabe haben, die Ideen des ganzen Werkes zu entwickeln. Als das Vermächtnis Kains erscheinen: Die Liebe der Geschlechter – Das Eigentum – Der Staat – Der Krieg – Die Arbeit – Der Tod. – Eine der Hauptideen dieses Zyklus ist, daß die Menschheit erst dann glücklich sein wird, wenn die sittlichen Gesetze der Gesellschaft auch im Staatsleben Geltung haben werden und sogenannte ›große Fürsten,‹ große Generale und große Diplomaten ebensogut wie heutzutage Mörder, Räuber, Fälscher und Betrüger auf dem Galgen oder im Zuchthaus enden werden.

Im Staat: das Elend und die Wirtschaft der absoluten Monarchie; die Lügenhaftigkeit des Konstitutionalismus; Rettung durch Demokratie, Vereinigte Staaten von Europa; gemeinsame Gesetzgebung.

Der Krieg: die Furcht vor dem Kriege, die Rekrutierung, das Elend der stehenden Heere, Brand, Plünderung, Notzucht, Hungersnot, Leichenraub. Die allgemeine[437] Wehrpflicht bereitet die allgemeine Entwaffnung vor.

Die Arbeit: sie ist ein freiwilliger Tribut an das Dasein, überwindet momentan dessen Gefahren und macht den Menschen dadurch froh. Der Reiche wird seine Bedürfnisse einschränken, um so wenig als möglich arbeiten zu müssen. Die Gesellschaft dagegen muß durch Ausrottung der Müßiggänger, jener, die auf Kosten anderer leben, durch gerechte Verteilung auf alle ihre Glieder dahin streben, die Arbeit einzelner Klassen und die Arbeit im allgemeinen zu vermindern.

Als Epilog schließt das Ganze eine Novelle: ›Die heilige Nacht.‹ Die Geburt Christi, Jesus Christus nicht der Sohn Gottes, sondern Jesus Christus der Mensch auf dem Kreuze bleibt das ewige Symbol der Erlösung durch die Entäußerung des Egoismus; die Menschenliebe, Christus der Mensch ohne Geschlechtsliebe, ohne Eigentum, ohne Vaterland, ohne Streit, ohne Arbeit, der freiwillig stirbt, personifiziert die Idee der Menschheit, und in diesem Sinne tönt jedem das mahnende Wort: ›Du sollst das Kreuz der Menschheit auf Dich nehmen.‹

Dies eine flüchtige Skizze. Der Plan selbst ist bereits weit gediehen, eine Fülle von Gedanken, Geschichten, Gestalten strömt zu. Sobald, was ich unter der Feder habe, beendet ist, gehe ich an die Ausführung des ›Vermächtnis Kains,‹ und unternehme nichts Neues, ehe es vollendet.

Wird es mir aber gegönnt sein, die großen Gedanken desselben, welche mich begeistern und erheben, auch auszuführen?[438]

Diese Frage beschäftigt mich immer wieder, aber sie bleibt auch ein ewiger Trieb zum Schaffen.«


Nur ein kleiner Teil des großen Plans wurde ausgeführt. Der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach. Seine moralische Kraft reichte nicht aus, um sein Talent bis ans Ende zu stützen, zu geleiten, und ohne ernste Moral können große Gedanken nicht zu Taten werden.


Das sonderbare Gebaren meines Mannes, der immer ging, wenn Armand kam, mußte diesem auffallen. Ich aber wollte keinen Schatten zwischen uns, und entschloß mich, Armand zu sagen, wie es zwischen mir und meinem Manne stand.

Er war starr. Das sollte er von Sacher-Masoch glauben? Plötzlich wurde er nachdenklich und sah mich mit gespannter Aufmerksamkeit an.

Eine lange – lange Minute verrann.

Dann setzte er sich zu mir, zog mich an sich, hob meinen in glühend heißer Scham tief herabgesunkenen Kopf auf, bedeckte ihn schützend mit seinen großen breiten Händen und sagte:

»Wanda, komm mit mir, willst du? Verlaß deinen Mann .... ich nehme dich mit allen deinen Kindern, und behalte dich das ganze Leben. Du sollst so glücklich sein, wie es noch nie eine Frau war .... ich will nichts anderes tun, als nur dich glücklich machen. Und die Kinder werde ich besser lieben als er, sie besser erziehen und besser für ihre Zukunft sorgen. Laß dich scheiden, damit wir heiraten können, und wenn das nicht geht, werden wir auch ohne Heirat glücklich sein – nur verlaß ihn und sei ganz mein.«[439]

Es gibt Augenblicke so voll unbeschreiblicher Glückseligkeit, daß sie Jahrhunderte von Leiden aufzuwiegen scheinen.

Dieser war ein solcher.


Nachdem Dr. Baumgärtner von seiner Reise zurückgekehrt war, schrieb er an Sacher-Masoch, daß er »Auf der Höhe« nicht mehr weiter verlegen wolle.

Schreckensbleich reichte mir mein Mann den Brief. Ich hatte es vorausgesehen, und doch schlug auch mir jetzt das Herz. Da lagen jetzt alle Hoffnungen auf eine schöne Zukunft zertrümmert im Kot. –

Da er mit Dr. Baumgärtner keinen Vertrag gemacht hatte, konnte er nichts dagegen tun. Ganz verzweifelt war er darüber, daß schon das nächste Heft der Revue nicht mehr bei Greßner & Schramm erscheinen sollte. Wie sollte er augenblicklich einen anderen Verleger dafür finden? Er war ganz verwirrt, und wie betäubt von dem Schlage starrte er mich nur immer an, als erwartete er von mir Hilfe. Aber ich hatte ihm nichts mehr zu geben. Wohl trug ich auch mein Teil an dem Unglück, aber ich trug es nicht mehr mit ihm; so trennte sich das einzige Gemeinsame, das zwischen uns war: unsere Sorgen; und jeder blieb mit seiner Last allein.

Als Armand am Abend kam, merkte er gleich, daß etwas Ernstes bei uns vorgefallen sein mußte. Sacher-Masoch ließ ihn nicht lange in Ungewißheit und zeigte ihm Dr. Baumgärtners Brief.

Es schien mir, als ob Armand mehr angenehm als peinlich von dieser Wendung berührt wäre.

Er hatte bei uns einen jungen Verleger, Ernst Morgenstern,[440] der einige Sachen meines Mannes verlegt hatte, kennen gelernt und sich mit ihm befreundet. Jetzt sagte er, wir sollten uns nicht weiter beunruhigen, er wolle gleich zu Morgenstern, sich mit ihm besprechen, sie würden zusammen die Revue übernehmen. Und er ging.

Daß Armand und Morgenstern die Revue übernehmen könnten, der Gedanke brachte bei meinem Manne einen vollständigen Stimmungswechsel hervor. Mit großen Schritten ging er im Zimmer hin und her, und sagte in ganz erhabenem Ton: »Daß ich daran nicht gedacht habe! Für die zwei jungen Leute ist es ja eine glänzende Zukunft: Morgenstern als Verleger, und Armand als Mitherausgeber einer so bedeutenden Revue! Es ist auch ganz natürlich, daß Armand Gelegenheit sucht, sich uns fester anzuschließen, denn er scheint dich in sehr ernster Weise zu lieben, und da muß ihm doch daran liegen, in unserer Nähe bleiben zu können. Jetzt werde ich aber einen festen bindenden Vertrag machen, denn das soll mir nicht mehr passieren, daß mich ein Verleger so einfach sitzen lassen kann wie Baumgärtner.«

Armand und Morgenstern übernahmen die Revue. Sacher-Masoch hatte sich noch günstigere Bedingungen ausgemacht, als sie Greßner & Schramm gewährten – und vertragsmäßig dazu.

Jetzt hatten sich die Umstände doch so gefügt, daß sein Plan in Erfüllung ging, und er in der Revue »machen konnte, was er wollte«.

Überzeugt, daß ich bereits die Geliebte Armands war, fühlte er sich ganz Herr der Situation – jetzt waren wir ganz in seiner Hand.

Er irrte sich. Ich war nicht Armands Geliebte – war es nie – nicht in seinem Sinne.[441]

Sacher-Masoch wünschte, ich, Armand und Morgenstern sollten im Interesse der Revue nach Berlin und Hamburg reisen. Von der Notwendigkeit dieser Reise nicht sehr überzeugt, wenigstens was meine Person betraf, weigerte ich mich, sie zu machen. Sacher-Masoch aber bestand auf seinem Willen und ich gab nach.

Es war Mitte März, als wir die Reise antraten.

Um die Kinder besorgt, hatte ich Fräulein Hulda Meister gebeten, während meiner Abwesenheit nach ihnen zu sehen und auch mich im Hause ein wenig zu vertreten. Sie versprach es.

Auf der Rückreise, wir waren nur acht Tage weg gewesen, kam im Coupé die Rede auf Fräulein Meister. Armand und Morgenstern konnten sie nicht ausstehen, und machten, wie immer wenn sie von ihr sprachen, ihrem Groll gegen sie Luft. »Sie ist giftig,« sagte Morgenstern, »man muß ihr nicht zu nahe kommen.« Und »wir müssen sie um jeden Preis los werden, sie muß aus der Redaktion hinaus,« fügte Armand bei.

Mein Mann hatte in der letzten Zeit sehr viel auf seine Übersetzerin gehalten und sie gegen ihre Ankläger verteidigt. Er nannte sie »seine rechte Hand« und versicherte, daß er ohne sie gar nicht zurechtkommen könnte. In Rücksicht darauf verteidigte ich sie. So tat ich auch jetzt. Das ärgerte die beiden und sie platzten heraus: ob ich denn blind sei, die Meister sei seit langem die Maitresse meines Mannes.

Was ich von der Treue meines Mannes zu halten hatte, wußte ich, aber daß er an diesem verwelkten, lächerlichen, altjüngferlichen Geschöpf Gefallen finden sollte, das machte mich lachen. –[442]

Jetzt bereuten die beiden Männer, es mir gesagt zu haben und schwiegen.

Aber da fiel es mir ein, daß mir mein Mann in einem seiner Briefe mitgeteilt hatte, Fräulein Meister habe einen prachtvollen Pelz bekommen.

Im März einen Pelz! dachte ich und vergaß es wieder.

Dieser Pelz war ein Verdachtsmoment. Aber das war ja zu dumm! Die Hulda Meister! Nein, ich wollte lieber nicht daran denken.

Zu Hause fand ich Sascha mit verbundenem Kopf im Bett. Voll Schrecken frug ich was es sei.

»Nichts,« sagte mein Mann, »er ist auf der Straße gefallen, es hat aber nichts zu bedeuten.«

Ich fühlte mich seltsam unbehaglich in meinem Hause, alles wehte mich frostig an; ich sah mich um, aber es war alles wie früher – und doch anders.

Ich hatte ein braves treues Mädchen, Zenzi, aus Passau mitgebracht. Ich machte ihr Vorwürfe, daß sie die Kinder auf die Straße gelassen, was sie, wie sie wohl wußte, nicht durfte. Sie antwortete nicht. Ich war ärgerlich und heftig. Nun gestand sie unter Tränen, was geschehen war.

Fräulein Meister hatte meine Bitte, mich zu vertreten, wörtlich genommen, sich in meinem Zimmer ganz eingerichtet, meine Wäsche und Kleider getragen, und nachts in meinem Bett neben meinem Mann geschlafen. Um tagsüber von den Kindern nicht gestört zu werden, wurden sie auf die Straße geschickt; so kam es zu dem Unfall.

Es war die Zeit, wo Fräulein Meister kommen sollte. Ich schloß die Türe, die vom Salon ins Schlafzimmer führte ab und steckte den Schlüssel zu mir.

Jetzt läutete es. Zierlich und fein tänzelte die Pasewalkerin[443] herein. Mein Mann, der etwas ahnen mochte, saß wie versteinert. Ich rief die Magd und ließ sie in Gegenwart beider wiederholen, was sie mir gesagt. Keiner wagte zu widersprechen. Nachdem ich das Mädchen hinausgelassen, verschloß ich die Salontüre, griff nach der Peitsche, die ich mir schon vorher zur Hand gelegt hatte, und schlug das Fräulein so stark und so lange, als meine Kräfte reichten. Sie sprang von einer Ecke des Zimmers in die andere, fortwährend schreiend: »Aber, Herr Doktor, verteidigen Sie mich doch! Aber, Herr Doktor, schützen Sie mich doch!« Doch diese Rufe fanden kein Echo im Herzen meines Mannes, er war und blieb versteinert.

Nachdem ich mich müde geschlagen, schloß ich die Türe auf und stieß meine »Vertreterin« hinaus.

Nun war ich auch mit meinem Manne fertig.

Noch in dieser Stunde ließ ich sein Bett und alle seine Sachen in ein anderes Zimmer schaffen und alle Pelzjacken und Peitschen dazu. –

Frei! Befreit von der zehnjährigen Qual ... wieder mir selbst angehören, ich selbst sein dürfen ... nie wieder eine Pelzjacke anziehen, nie mehr eine Peitsche zur Hand nehmen ... und kein Wort mehr von der »Venus im Pelz« sprechen hören!

Wie eine schwere Rüstung, die ich so viele Jahre getragen, die mich eingeengt, mich an jeder natürlichen Bewegung gehemmt, mich zu verkrüppeln gedroht, fiel die Last von mir und ich mußte mich einen Augenblick hinsetzen, um die Freude dieses Augenblicks, die Genugtuung, daß ich es getan hatte, ganz und in Ruhe genießen zu können.

Am andern Morgen schrieb Fräulein Meister an[444] Sacher-Masoch: »Leipzig, 22. 3. 82. Hochgeehrter Herr! Nachdem, was mir heute in Ihrem Hause widerfahren ist, werden Sie es begreiflich finden, wenn ich meine Stellung in der Redaktion aufgebe. Ich werde die Sachen, die ich für das Maiheft noch zu liefern habe, erst beenden und dann nach Hause zurückkehren oder nach Berlin und bitte ich Sie, das mir zuständige Honorar dorthin zu senden.

Von Berlin aus werde ich dann die nötigen Schritte tun, um mir auf gerichtlichem Wege Genugtuung für die mir widerfahrene Beleidigung zu verschaffen.

Hochachtungsvoll Hulda Meister.«

Auf die »gerichtlichen Schritte« warte ich noch heute.


Im April mieteten wir in der Nähe Leipzigs, in Knauthain, ein kleines Landhäuschen und zogen dahin.

Ich wußte wohl, daß Sacher-Masoch keinen Annäherungsversuch an mich wagen würde, allein ich hatte nicht mit seiner Bosheit und slawischen Tücke gerechnet.

Sein Verhältnis zu Fräulein Meister bestand weiter und gleichzeitig mit diesem hatte er eines mit einer in Leipzig sehr gekannten Frau Jenny Marr. Die beiden Damen arbeiteten nach demselben Ziele: ihn von mir zu trennen, um meine Stelle einzunehmen. Er würde es auch wohl getan haben, hätte er sich nicht sagen müssen, daß eine Trennung von mir auch eine Trennung von Armand bedeutete, das heißt, von einer reichlich fließenden Geldquelle. Er aber brauchte jetzt viel Geld, um all die Pelze anzuschaffen, die er für sein neues Liebesglück so dringend nötig hatte.

Um sich für diesen Zwang schadlos zu halten und vielleicht auch von meiner Ruhe und Gleichgültigkeit gereizt,[445] rächte er sich an mir, indem er mich in raffinierter Weise zu quälen suchte. Am liebsten setzte er mich in Gegenwart der Kinder herunter, denn hier war er ganz sicher mir Schmerz zu bereiten. Sascha entzog er mir vollständig. Oft nahm er das Kind mit nach Leipzig zu den Besuchen, die er seinen Maitressen machte. Ich mußte es geschehen lassen.

Auch Armand verfolgte er mit den ausgesuchtesten Chikanen. Wenn dieser nur die leiseste Bemerkung über die maßlosen Kosten der Revue zu machen wagte, drohte er ihm »Auf der Höhe« ganz aufzugeben und mit seiner Frau und den Kindern Leipzig zu verlassen; oder er deutete ihm an, daß er sich ruhig zu verhalten habe, sonst würde er von seinem ehelichen Rechte Gebrauch machen und ihm die Türe weisen. –


Im Winter bezogen wir in der Elsterstraße in Leipzig eine große Wohnung, die Armand schön hatte möblieren lassen.

Am 1. Januar 1883 feierte Sacher-Masoch sein 25jähriges Schriftstellerjubiläum. Armand hatte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um es so glänzend als möglich zu gestalten – und sich darüber in Schulden gestürzt.

Madame Adam schrieb mir, daß sie das Kreuz der Ehrenlegion für meinen Mann erhalten habe; noch von anderen Staaten erhielt er Orden, und das Haus war den Tag so voll von Geschenken und Gratulanten, daß mir ganz schwindlig wurde.

Am 27. Januar, dem Vorabend von Sacher-Masochs Geburtstag, fand bei uns ein großes Diner statt und am 29. Januar kam er morgens in mein Zimmer und teilte[446] mir mit, daß er eben seine Sachen habe fortbringen lassen, und auch die Saschas, denn sie zögen beide von mir weg. Übrigens könne ich noch zwischen ihm und Armand wählen – aber meinen Liebhaber dulde er nicht mehr.

Armand war in Geldschwierigkeiten gekommen und konnte die sich immer wieder erneuernden Geldforderungen Sacher-Masochs nicht mehr befriedigen.

Er hatte sich um Geld an seine Familie gewandt, und man hatte ihm versprochen, eine große Summe, ich glaube 100000 Frs. für die Revue hergeben zu wollen. Sein Vater war deshalb nach Leipzig gekommen und hatte das selbst Sacher-Masoch versichert. Dieser aber war ungeduldig, das Geld kam nicht schnell genug; und in einem Anfall schlechter Laune schrieb er an Armands Vater, daß er »Auf der Höhe« überhaupt aufgeben werde. Die Familie, die das Unternehmen für ein sehr ernstes und Sacher-Masoch für einen ganz reellen Mann gehalten, wurde stutzig und schloß ihr Geld wieder in ihre sicheren Kassen. Sacher-Masoch hatte sich in sein eigenes Fleisch gebissen – das sollten wir büßen.

Ich ließ ihn ziehen.

Ich zahlte meinen beiden Dienstboten den Lohn und bat sie, sofort das Haus zu verlassen.

Als Mitschi und Lina von der Schule heimkamen, war ich bereits allein. Sie sahen das halbgeleerte Zimmer, die Stelle, wo Saschas Bett gestanden, sein Spielzeug war nicht mehr da, und er selbst von der Schule nicht zurück, kein Dienstmädchen war im Hause und Mama stand selbst am Herd, um ihr Mittagessen zu kochen. Wie viele Warum? Wozu? mögen in ihren kleinen braven Herzen aufgestiegen sein, für die ihr Kinderverstand keine Antwort fand, und die doch so schmerzend tief in ihr junges[447] Leben eingriffen. Scheu und ängstlich schmiegten sie sich aneinander, als suchte eins beim andern Schutz vor unbekanntem Unheil, doch keine Frage wagten sie an mich zu richten, nur ihre Blicke folgten mir überallhin, wie die treuer Hunde, die die Spur ihres Herrn zu verlieren fürchten. Lina war zwölf Jahre alt – sie mochte wohl schon über Vieles Gedanken haben. Wie gern hätte ich diese gekannt, doch sie hat mir nie ihr Herz eröffnet, und ich habe nie verschlossene Türen eingedrückt.

An einem Tage kam auch Lina nicht mehr aus der Schule heim. –

Nun waren wir beide allein, ich und mein schwarzer Bub. Um ihn brauchte ich nicht besorgt zu sein: je mehr die andern von mir abfielen, um so fester klammerte er sich an mich und um so glücklicher war er, denn jetzt hatte er endlich seine Mama ganz für sich allein.

Einige Wochen nachher war Sascha erkrankt und sein Vater ließ mich fragen, ob ich ihn nehmen wollte.

Ob ich wollte!

Und als man mir dann das Kind brachte, schlang es seine Arme um mich, küßte mich mit seinen fieberheißen Lippen und sagte:

»O, mein Mütterchen!«


Der Kinder wegen mußte Ordnung in unsere Verhältnisse kommen. Ich ging zu dem Rechtsanwalt Dr. Broda und bat ihn, sich meiner anzunehmen. Er tat es gern und mit aufrichtiger Wärme. In einer Unterredung, die er mit Sacher-Masoch hatte, sah dieser sein Unrecht ein, versprach alles – und hielt nichts.

Ich mußte die große Wohnung, die nicht mehr bezahlt[448] wurde, verlassen. Sobald Sascha wieder gesund war, bezog ich mit den Kindern in Böhlitz-Ehrenberg eine kleine Sommerwohnung mit Garten.

Schon hoffte ich, daß sich die Dinge jetzt so gestalten würden, wie ich es am ehrlichsten wünschte, daß ich den Mann los geworden und die Kinder behalten konnte.

In furchtbarer Weise wurde ich aus meinem Irrtum gerissen.

Es war am Morgen, die Knaben spielten im Garten, ich nahm jeden Tag um diese Stunde ein kaltes Bad, als ich einen Wagen vorfahren hörte. In der Meinung, Armand sende mir eine Botschaft, lugte ich durch die Spalten der geschlossenen Fensterbalken. Ich sah, wie der Sekretär meines Mannes im Vorgarten Sascha seinem Vater über den Zaun hinüberreichte, nachsprang und alle drei auch schon wieder wegfuhren.

Die Füße verließen mich und ich knickte zusammen. Aber ich wollte nicht ohnmächtig werden, ich mußte meine Kraft behalten, um schnell handeln zu können.

Gewiß war die Frau, bei der ich wohnte, im Einverständnis, sonst würden die beiden für ihren Raub nicht gerade den Moment haben wählen können, wo ich im Bade war; als sie aber jetzt meinen wahnsinnigen Schrei hörte und mich vom Schreck gelähmt am Boden liegen fand, da, glaube ich, bedauerte sie den Streich, zu dem sie offenbar die Hand geboten.

Mit ihrer Hilfe zog ich mich an und fuhr zu Dr. Broda.

Doch wie ich ihm das Vorgefallene erzählen wollte, kamen mir statt Worte nur Tränen – Tränen.

Ich wußte im voraus, daß er nicht helfen konnte, daß es kein Gesetz gibt, das dem einen oder andern der Eltern erlaubt, die Kinder zu behalten, solange darüber nicht ein[449] Prozeß stattgefunden habe und ein richterliches Urteil gefällt worden.

Wenn es aber für eine Mutter in solcher Lage überhaupt einen Trost geben kann, so fand ich ihn in der warmen Anteilnahme meines Anwalts. –

Was mich völlig zerschmetterte, war das ganz bestimmte Gefühl, daß das Kind für mich verloren war.

Sacher-Masoch hatte es mir schon ein paarmal entführt und wiedergebracht; ich hätte das auch jetzt hoffen können, aber nicht der leiseste Lichtstrahl einer solchen Hoffnung fiel in meinen verzweifelten Geist; hätte ich mein geliebtes Kind im Sarge vor mir gesehen, würde ich nicht fester an seinen ewigen Verlust haben glauben können.

Ohne bewußten Willen, ohne zu denken, als ob meine Füße allein mich führten, schlug ich den Weg zu Armands Wohnung ein.

Doch brachte mir auch meine Zuflucht zu ihm keinen Trost und keine Hilfe. Wohl gab er mir mitleidige Tränen und Worte der Hoffnung und des Friedens, mein Herz aber, das nur nach meinem Kinde schrie, konnte jetzt nichts andres fassen, nichts begreifen; die Zukunft schien mir wie mit einer Mauer abgeschlossen und Frieden nur noch im Grabe möglich.

Da stachelte er meine in Schrecken und Gram erlahmte Energie dadurch wieder auf, daß er mir die Wahrscheinlichkeit nahe legte, Sacher-Masoch werde aus purer Lust, mir Leiden zu bereiten, mir auch noch Mitschi nehmen.

In der Verzweiflung um das verlorene hatte ich das mir gebliebene Kind vergessen.

In jagender Hast fuhren wir nach Böhlitz-Ehrenberg, gepeitscht von der Furcht, Mitschi nicht mehr zu finden.[450]

Er war noch da. Wir packten seine Sachen in den Wagen, und Armand, der ihn bei sich behalten wollte, fuhr mit ihm nach Leipzig.


Jeden Tag ging ich jetzt nach der Stadt, hin zur Schule, die Sascha besuchte. Was wollte ich da? Ich weiß es nicht. Vielleicht wollte ich nur die kurze Zeit, die ich noch in Leipzig sein würde – denn jetzt war es beschlossene Sache, nicht hier zu bleiben –, ihm so nahe als möglich sein. Vielleicht war es auch ein letzter schwacher Schimmer von Hoffnung, durch irgendeinen Zufall mein teures Kind wieder zu bekommen. Hinter einer Mauer verborgen, sah ich ihn kommen, immer vom Sekretär oder seinem Vater begleitet, lachend, plaudernd und glücklich. Zuweilen ging er ahnungslos so nahe an mir vorüber, daß ich meinte, er müsse das laute Schlagen meines Herzens hören, und ich erstaunt war, daß die heiße Liebe und Sehnsucht, die von mir zu ihm ging, ihn nicht erreichte, seine harmlose Heiterkeit nicht zu berühren vermochte. Ein unvernünftiges, egoistisches, aber schneidendes Weh trieb mir dann die Tränen in die Augen, daß ich ihn nicht mehr sehen konnte und nur noch sein frisches, klares Stimmchen wie ein Silberglöckchen in der Ferne verklingen hörte.

Lange Stunden ging ich um das Haus herum und suchte zu erraten, hinter welchen Fenstern sein Klassenzimmer war, und da überkam mich der Gedanke, hinaufzugehen, direkt in die Klasse, und mir zu holen, was mein war, mein Kind. Ich würde es wohl getan haben, hätte mich nicht die Furcht, daß mir sein Herz jetzt abgewandt sei und es der Mutter vielleicht nicht mehr folgen wolle, abgehalten. Ich aber hatte mir aus der Freiheit in der[451] Liebe ein Gesetz gemacht, das auch für meine Kinder zu Recht bestehen sollte – von einer Liebe, die Pflicht ist, sollten sie nie von mir hören.

Viel habe ich in meiner zehnjährigen Ehe mit Sacher-Masoch gelitten, aber was es auch war an äußeren Sorgen, innerer Knechtung und seelischer Sklaverei, es hat mich nicht gebrochen und zerfloß in nichts gegenüber dem maßlosen Schmerz, der mir von diesem heißgeliebten Kinde kam.

Ich ging und schloß mich ein mit meinem Gram.

Wohl gab es auch jetzt noch Augenblicke, wo sich meine Natur aufbäumte vor diesem Übermaß von Leiden, wo ich mich aufraffen, mich selbst wiederfinden wollte. Vergebens. Mein Leben wurzelte in der Liebe zu meinen Kindern – hatte ich diese nicht, war mein Lebensnerv durchschnitten.


Ich glaube, es war Mitte Juni, als ich mit Mitschi Leipzig verließ. Armand sollte uns den nächsten Tag folgen.

Wir machten in dem ersten französischen Städtchen in der Schweiz, Neuveville, das am Bielersee gelegen, Halt.

Es war spät in der Nacht, als wir ankamen. Früh am andern Morgen ging ich mit Mitschi hinunter an den See. Es war da etwas wie die Idee eines Parkes. Ein kleines Viereck, umgeben von alten schönen Bäumen, mit einigen Bänken.

Wenn Mitschi mit mir allein war, spielte er nie und sprach auch fast nicht. Es war, als ob er den Atem anhielt, um das selige Gefühl, bei der Mutter zu sein,[452] ganz zu genießen. So saß er auch jetzt stumm neben mir.

Es war hier dunkel, kühl und köstlich einsam. In gedankenlosem Genießen sah ich auf das anmutige Landschaftsbild, den leise atmenden See mit seinem sanften Wellenspiel, die grünen Ufer drüben von Erlach, die wie ein blühender Strauß aus dem See aufsteigende Insel Saint-Pierre, in der Ferne überragt von hohen dunkeln Bergen, und diese wieder von in der Sonne glänzenden Zacken und Spitzen, die vielleicht nur Wolkengebilde, vielleicht auch die Höhen der Berner Alpen waren.

Plötzlich stand Armand mit erregter Miene und feuchten Augen vor uns.

»Was ist?«

»Wie ich da her komme,« sagte er bewegt, »und dich mit dem Kinde habe sitzen sehen, so allein und still und so fremd in dieser Umgebung, da fühlte ich so recht deine Lage, wie verloren und verlassen du jetzt bist, und ihr beide tatet mir so leid ... furchtbar leid ... Da hab' ich mir geschworen, daß ich mein ganzes Leben daran setzen will, dich und das Kind glücklich zu machen ... Und schau, wie das sonderbar ist: so weh es mir tut, dich so zu sehen, so macht doch wieder dein Unglück mein Glück ... jetzt hast du keinen Menschen mehr, der sich um dich kümmert, als mich ... verstehst du, wie mich das glücklich macht: dich allein haben ...!«


Ruhig und still flossen die Tage hin; hier und da von Stürmen unterbrochen, veranlaßt von Armands Eifersuchtsanfällen. Sie kamen wie eine Krankheit, und wie an einer solchen litt er daran. Sie schufen nur Leiden und aufregende bittere Stunden. Er war eifersüchtig auf die[453] Sonne, die mich beschien, die Wand meines Zimmers, die mich anblickte. War ein solcher Anfall vorüber, dann bat er unter Weinen und Schluchzen, ihm zu verzeihen. Ich verzieh ihm auch, aber in solchen Augenblicken fühlte

ich mein Herz gegen ihn erkaltet; das blieb ihm nicht verborgen und vermehrte seine Reue und seinen Schmerz.

Anstatt wie sonst traulich zusammen zu sitzen, wichen wir uns aus.

O, das Zerfleischen dessen, was einem am teuersten ist, wie furchtbar rächt es sich am eigenen Glück!

Wieder machte ich die Erfahrung, daß es nicht wahr ist, daß Mann und Weib in der Liebe eins werden. Aus zwei Verschiedenen kann auch mit dem besten Willen kein Ganzes werden.

Und es ist gut, daß es so ist.

Die Einsamkeit unseres tiefinnersten Lebens soll uns heilig sein, kein andres soll über seine Schwelle; denn nur in dieser Einsamkeit findet und erhält sich das eigene Selbst – echt und stark – und das ist die Hauptsache: daß jeder bleibt, was er ist: ein ganzer Mensch.


Wir wohnten in Neuveville im »Falken«, einem ruhigen, stillen Gasthof, der von einer Witwe, Frau Keller, einer lieben, herzensguten Frau, musterhaft geführt wurde.

Armand beschäftigte sich viel und voll Eifer mit der Erziehung Mitschis, den er wie ein eigenes Kind liebte. Er machte mit ihm seine Schulaufgaben durch, lehrte ihn Französisch, vor allem aber ein Mann zu sein, über physische Schmerzen nie zu klagen, niemals Furcht zu zeigen, jeder Gefahr ruhig ins Gesicht zu sehen und immer wahr zu sein. Das Seelenleben des Kindes rein zu[454] erhalten, darauf richtete er unablässig seine Aufmerksamkeit, und dabei verfuhr er so zart und taktvoll wie eine Frau. Mitschi lohnte es ihm durch tiefe Zuneigung, beide waren bald die besten Kameraden, und da sie auch lustige Patrone waren, hatten sie stets die Köpfe voller Späße.

Nur wenn das Wort Mutter fiel, da wurden sie ernst. »Mutter« war für das Kind, als ob man »Gott« gesagt hätte. Alles trat zurück, wo die Mutter war. Die Mutter! Die Mutter! Wie erzitterte sein Kinderherz in Angst und Sorge um sie, wie forschend blickte er zuerst sie an, wenn er zur Türe hereinkam; war sie noch, wie er sie verlassen? Hatte ihr kein Windhauch ein Haar gekrümmt, während er nicht da war? Hatte man ihm nichts von ihr genommen? Ihr kein Weh zugefügt?

Oh, Mutter, Mutter! ... Welch schmerzhaft-seliges Glück! In der Qual dieser Liebe fanden sich die beiden. Oft nahm ihn Armand auf, legte ihn zärtlich an seine Brust und liebkoste ihn, als wolle er ihm danken für die Liebe, die er für mich hatte. Dann brachte er ihn mir und befahl ihm:

»Küß unsere Mutter!« Und der Mund des Kindes streifte meine Wange, heiß und flüchtig, wie in Schrecken.


Der Winter hatte eine solide Schneedecke über Stadt und Land gebreitet; früher schon still und leer, war der Ort jetzt wie eingeschlafen, nur wenn der leise Klang von Schlittenglocken von weit her kam, tauchten die Verschlafenen an den Fenstern auf, um zu sehen, was da komme.

Still war es auch um uns, aber nicht in uns.

Lange Stunden saß Armand bei mir und las mir[455] vor. In einer solchen Stunde hatte ich mich verloren, mich von meinen Erinnerungen übermannen lassen und darüber ihn und das Gelesene vergessen.

»Wanda, an was denkst du!« rief er mich plötzlich an. Und schon hatte er in eifersüchtiger Wut einen Stuhl ergriffen und ihn wie ein Spielzeug zerbrochen.

»Schau mir in die Augen – an was hast du eben gedacht?«

»Meine Gedanken sind mein.«

»Du kannst sie nicht ausdrücken – das ist's ... Manchmal hab ich Lust, dir mit einem Beil den Kopf zu spalten, nur um zu sehen, was darin ist ... um zu wissen, was in dir vorgeht, wenn du so abwesend vor dich hinstarrst ... um all das kennen zu lernen, was an dir nicht mein ist ... Wenn du ahnen könntest, was für eine Qual es für mich ist, zu denken, daß du eine Vergangenheit hast, in der ich nicht bin ... daß du Erinnerungen hast, die sich nicht an mich knüpfen ... eine ganze Welt in dir lebt, die mir fremd ist und fremd bleiben wird ... wenn du das ahnen könntest, würdest du Mitleid mit mir haben. Aber du kannst das nicht ahnen, weil du nicht weißt, wie ich dich liebe, was du für mich bist ... Was diese Liebe für eine Marter für mich ist! Manchmal bin ich ruhig, wenn ich dich so still und brav sehe ... dann plötzlich ziehen Schatten über dein Gesicht, dein Blick geht in die Weite ... wohin? ... Immer denke ich an dich. Ich spreche mit andern und ich denke an dich, und wenn ich ganz von dir voll bin, packt mich die Verzweiflung, daß ich deiner nicht wert bin, daß du mich nicht lieben kannst.«

So quälte er sich und mich.

Ich habe schon angedeutet, daß zwischen uns kein physischer Verkehr bestand. Was Tolstoi in seiner[456] »Kreuzer-Sonate« predigt, war in unseren Beziehungen zur Tatsache geworden. Ich glaube aber nicht, daß der große Russe Grund gehabt hätte, auf den Erfolg seiner Theorien stolz zu sein – denn moralische Gründe waren es kaum, die Armand dahin führten. – Oder waren es doch moralische?

Was aber auch die Ursachen waren, ich forschte nicht nach ihnen – zu glücklich, daß es so war, wie es war. Daß sie aber Unruhe und Qual in seine Liebe brachten, das tat mir leid. –


An der Table d'hote im »Falken« saßen nur wenig Gäste, zwei bis drei Handelsreisende, die immer wiederkehrten.

Es hatte in der Nacht wieder geschneit, und auf dem alten, bereits hart gewordenen Schnee lag am Morgen ein leichter weißer Flaum. Die Schneeflocken hatten einen feinen Spitzenschleier über meine Fenster gewebt, und draußen auf dem Sims lag der Schnee tief auf die Mauer hinabgeneigt, wie Schaum, der aus einer übervollen Schale geflossen.

Es mußte draußen sehr kalt sein. Die wenigen Menschen, die über die Straße gingen, taten es eilig und in gebückter Haltung, als ob sie sich gegen die Kälte wehren oder sie von sich wegstoßen wollten.

Als wir an diesem Tage zum Essen hinunterkamen, waren noch weniger Reisende da als sonst. Frau Keller stand, wie immer, während des Essens am Büfett, während ihr Töchterchen servierte.

Ich saß am oberen Ende des Tisches, der Türe gegenüber. Etwas zog meinen Blick nach der Tür, da ging[457] sie auf und ein schlanker Mann stand in ihr und sah zu mir, wie ich zu ihm. Es war ganz still im Saal gewesen; niemand hatte den Fremden die steile, immer knarrende Holztreppe heraufkommen hören, weshalb ihn alle überrascht ansahen. Auch hatte er etwas seltsam Fremdes, das hier auffiel. Sein Auge hatte nur eine Sekunde in das meine geblickt, meine Seele aber wie ein elektrischer Funke in heißem Schrecken berührt.

Mit der ruhigen Sicherheit eines vornehmen Mannes trat er auf Frau Keller zu und sprach zu ihr. Ich sah, wie etwas wie Erstaunen über ihr Gesicht flog, dann lächelte sie in ihrer lieben Weise und wies den Fremden an einen Seitentisch, der etwas hinter mir stand. Sie half ihm seinen Pelz ausziehen und bat ihn, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Dann ließ sie ihm servieren.

Am anderen Ende der Tafel, wieder mir gegenüber, befand sich der Kamin, und über diesem ein großer Spiegel. In ihm sah ich den Fremden – und er mich.

Eine unbeschreibliche Erregung hatte sich meiner bemächtigt; mein Herz schlug, alle Nerven zitterten in mir, und nur mit Mühe konnte ich noch atmen.

Die Tafel war lang, der Spiegel weit von mir entfernt, und doch sah ich das blasse, edle, tieftraurige Gesicht, als wäre es ganz nahe bei mir, und unsere Augen senkten sich ineinander, wie die Augen von Menschen, die sich gesucht, erwartet und viel zu sagen haben. Es war nichts Irdisches in dem durchgeistigten Antlitz, und in dem dunklen Blick eine solche Unendlichkeit von Leid, eine so hoffnungslose Ergebung, daß ich fühlte, wie mein Herz mit ihm weinte. Ich erkannte, daß alles, was aus diesem Gesicht an Schmerz und Gram zu mir kam, mir ein Wohlbekanntes war – die Angst und Qual, die in dem Unendlichen[458] mein Teil gewesen in der Vergangenheit – und sein wird in der Zukunft.

Das Essen war zu Ende, wir standen auf und gingen hinaus.

Einige Minuten später stand ich an meinem Fenster und sah hinaus. Ich hatte kein Gegenüber, nur Gärten und die Landstraße mit dem kleinen Gäßchen, das hier abbog zur Bahn.

Da ging er! Ich hatte ihn nicht kommen sehen, nun war er da. Und jetzt hob er den Hut und grüßte – mich. Ohne sich umzukehren, ohne den Kopf zu wenden, hatte er mich gegrüßt ... mich. Niemand war auf der Straße, niemand in den Gärten, nur mir konnte der Gruß gelten. Ich riß das Fenster auf, als wollte ich mich ihm nach hinunterstürzen – da war er verschwunden ... nicht weiter gegangen ... nicht in das Gäßchen abgebogen – verschwunden.

In einem wahren Tumult von Gedanken und Empfindungen, denen ich keine Worte geben kann, gingen Stunden hin.

Am späten Nachmittag saß Frau Keller gewöhnlich allein im Speisesaal, ihre Rechnungen ordnend. Ich ging zu ihr, ich mußte über den Fremden mit ihr sprechen.

Kaum hatte ich seiner erwähnt, da legte sie auch schon ihre Papiere hin und erzählte mir ganz ergriffen, was für ein seltsamer Gast das war. Sein Eintritt hatte sie schon sehr erstaunt, denn es gab um diese Zeit keinen Zug, auch hatte man keinen Wagen oder Schlitten anfahren hören; er war also zu Fuß gekommen; da aber hatte sie ihm auf die Füße geblickt, und an seinen feinen Schuhen nicht die leisesten Spuren von dem frischgefallenen Schnee entdeckt. Das war schon rätselhaft; ihr Erstaunen[459] aber wurde zu mitleidsvollem Schrecken, als sie der elegante Fremde bat, ihm zu essen zu geben; er habe Hunger, aber kein Geld, um zu bezahlen.

»Und keins hat ihn komme und keins gehe sehe,« sagte die gute Frau in ihrer Schweizer Mundart, »und ischt doch der Lohndiener alleweil unte an der Treppe.«

Nachdem der Fremde ihr für das Mahl gedankt – was, wie sie sagte, gar nicht nötig war, denn er hatte so viel wie nichts gegessen und den Wein nicht angerührt – und gegangen war, hatte sie ihm gleich den Lohndiener nachgeschickt, um zu sehen, wohin er ginge. Nirgends aber hatte dieser seine Spur entdeckt, nicht die Straße hinunter, nicht die Straße hinauf und auch nicht an der Bahn.

»Wo ischt er nu herkomme? Wo ischt er hingange? Der arme Herre,« schloß Frau Keller.


Ich wartete, bereit, den Schlag zu empfangen, den mir das Schicksal wieder zugedacht hatte.

In der zweiten Hälfte Februar träumte ich in einer Nacht, daß ich mühevoll einen steilen Berg hinauf gegangen. Ich war auf einer Hochebene, die sich in unendlicher Weite auszubreiten schien. Ich war allein, und es war finstere Nacht; kein Stern leuchtete am Himmel, und unten war kein Haus, kein Mensch, kein Tier, kein Baum, nichts als Finsternis und tiefes, schweres Schweigen um mich. Es war, als ob die Welt seit Jahrtausenden versunken und ich allein in der ewigen, einsamen Nacht zurückgeblieben wäre. Grauen, Furcht und Schrecken erstarrten mir das Blut; ich sank auf die Knie und betete so inbrünstig, so mit ganzer Seele, wie ich als[460] Kind gebetet, wenn mir das Herz recht schwer gewesen. Da erschien in der dunklen Ferne ein heller Schein, der immer mehr zunahm. In ihm erkannte ich Golgatha und Christus auf dem Kreuz. Der Gekreuzigte schaute auf mich mit demselben unsagbar traurigen Blick, mit dem der Fremde an jenem Mittag auf mich geschaut; das schmerzdurchfurchte Antlitz war dasselbe, das ich im Spiegel gesehen, und wie jenes war mir auch dieses nahe, obgleich es sich in unermeßlicher Ferne von mir befand. Ich hatte kein Bewußtsein von meinem gegenwärtigen Leben; ich fühlte mich als Kind, und wie ein solches hob ich voll Bangigkeit die Hände zu dem Heiland auf, als wollte ich ihn bitten, meine furchtbaren Leiden von mir zu nehmen.

Darüber erwachte ich.

Noch schrecklicher als der Traum war das Erwachen.

Ich lag in einer dunklen Tiefe als irgend etwas, ob Tier? ob Mensch? es war mir nicht deutlich. Wohl hatte ich die Empfindung, daß ich mich besinnen müßte, was oder wer ich war; ich machte die furchtbarste Anstrengung, um aus diesem grauenhaften Zustand herauszukommen, so daß ich darüber Schmerzen empfand. Endlich wurde mir klar, daß ich in einem Bett lag; aber wo war dieses Bett? in welchem Zimmer? und wer war ich denn? Ich schob und drängte gleichsam meinen Geist aus der Bewußtlosigkeit zum Bewußtsein ... langsam und schwer gelang es mir ... es kam und erlöste mich aus dem entsetzlichen Druck, der meine Seele umnachtete.

So mögen die Toten in ihren Gräbern erwachen; ohne Erinnerung an ihr vergangenes Leben, sich nur als eine starre Masse fühlend, irgendwo in ewiger Nacht und ewiger Einsamkeit.
[461]

An diesem Tage erhielt ich ein Telegramm aus Leipzig, das mir sagte, daß Sascha am Typhus erkrankt war.

Noch denselben Tag reiste ich ab.


Zwei blaue Kinderaugen haben sich für immer geschlossen.


Ich bin wieder in Neuveville, und das Leben geht weiter.

Vielleicht ist es nicht mehr ganz genau dasselbe wie früher, vielleicht hat sich der Kreis von Liebe, der mich umgibt, noch enger um mich geschlossen – ohne jedoch den Versuch zu machen, da einzudringen, wo ich allein sein will.

Dennoch versucht diese Liebe, leise, mit zarter Hand mich da heraus zu führen. –

Mein Tisch liegt noch voller als sonst mit Büchern, die man lesen muß; es ist Frühling geworden, alles steht in Blüte, und nie ist die Schweiz so schön, als in dieser Jahreszeit – man muß hinaus, um das zu sehen; es gibt so hübsche kleine Ausflüge in die Nähe, kurze Reisen, die an reizende Orte führen, die man gesehen haben muß.

So drängte die Liebe neben mir, die jetzt ganz Sanftmut und Güte war.


Wir lebten sehr einfach. Armand hatte von der Schwester seiner Mutter, die mit einem Herrn Goldschmidt, der Prokurist bei Rothschild in Wien war, verheiratet gewesen, 30000 Gulden geerbt, die zum größeren Teil[462] von »Auf der Höhe« verschlungen worden waren; der Rest aber hatte für die Verschwendung, die er in Leipzig getrieben, noch lange nicht gereicht, und er war noch in Schulden geraten. Jetzt hatte ihm die Familie den Brotkorb höher gehängt, aber doch nicht zu hoch, um ihn nicht noch ein ganz behagliches Leben führen zu lassen – nach meinen Begriffen. Er fand, daß es ein Hundeleben war.

Hauptsächlich ärgerte ihn diese Einschränkung, weil es ihn verhinderte, mir Luxus zu verschaffen; er aber wollte mich mit Luxus umgeben – er konnte sich eine Frau, eine geliebte Frau, gar nicht anders als im Luxus denken.

Die Familie hatte ihn unter Kuratel gestellt, und wenn er mehr haben wollte, als sie gab, hieß es arbeiten und selbst verdienen. Immer brütete er über dem Plan, nach Paris zu gehen und sich dort als Journalist eine Stellung zu machen.

Mir wäre es ganz recht gewesen, wenn er irgend eine Beschäftigung gewählt hätte, denn das träge Dasein, das er führte, war für ihn gewiß eine Gefahr. Zum Journalisten schien er auch am meisten befähigt.

Über Arbeit hatte er seine eigenen Begriffe. Wenn ich ihn drängte, doch etwas zu tun, nicht so müßig zu bleiben: der Mensch müsse arbeiten, die Arbeit adelt, und derlei schöne Dinge – da lachte er und sagte:

»Aber Wanderl, das glaubst du doch selbst nicht! Wenn die Arbeit nichts weiter ist, als Arbeit, adelt sie nicht, sondern erniedrigt. Wenn einer was im Bauch hat, arbeitet er schon ganz von selbst, weil's raus muß – und dann wird's auch was. Aber so, nur um die Zeit umzubringen, nein! Da schau ich doch lieber dich an,[463] studiere deine Augen, von denen ich noch immer nicht weiß, ob sie grau oder grün sind; oder ich höre auf das Rauschen deiner Kleider, das mir wie die köstlichste Musik vorkommt und mich zu Gedichten anregt ... die ich mache ... oder nicht ... in jedem Fall aber empfinde ich sie ... das ist dann eine Beschäftigung, die adelt, denn sie wird zum Glück.«

Und doch hatte ich sehr ernste Bedenken gegen einen Aufenthalt in Paris.

Armand war ein kranker Mann. Trotz seines prächtigen, kräftigen Aussehens war nichts Gesundes mehr an ihm. Wir hatten darüber nie gesprochen, aber wir wußten es beide. Er hatte in Deutschland die berühmtesten Ärzte aufgesucht, die sich zwar für den »Fall« interessierten, ihm aber nicht helfen konnten.

Zu der bereits vorhandenen Krankheit hatte sich in Leipzig noch die Gicht gesellt.

Paris mit dem aufreibenden Leben eines Journalisten, seinen Vergnügungen und seinen Restaurants erschien mir für ihn gefahrvoller, als die Untätigkeit in Neuveville.

Aber durfte ich in sein Leben eingreifen? Ihn verhindern, es so zu leben, wie er es verstand? Gewiß nicht. Ich konnte mich ja auch irren, die Dinge schwärzer sehen, als sie waren, und er trotz Paris, trotz seiner Krankheit alt werden.

Was sein wird, wird sein, dachte ich, und ließ den Dingen ihren Lauf.


Armand wollte, ehe er nach Paris ging, »porter un coup«, um sich dort gleich die gewünschte Position zu sichern. Er schrieb sein Buch »L'Allemagne telle qu'elle[464] est«, und der Coup war gemacht. Es war damals die Zeit der ärgsten Deutschenhetze in Paris, und wer auf Deutschland schlug, konnte sicher sein, sein Frankreich hinter sich zu haben.

Wir reisten nach Paris, und nur einige Tage nachher war Armand Redakteur am »Figaro«.

Nur mit schwerem Herzen hatte ich mich von Neuveville getrennt. Ein Wohnungswechsel war mir immer etwas Peinigendes. Ich lebte mich in die Räume und Dinge, die mich umgaben, so hinein, daß sie mir beinahe lebende Wesen wurden. Es war von meinem Leben, das ich ihnen gab, das sie mir so vertraut und die Trennung von ihnen mir geradezu zum Schmerz machte.

Mehr als von irgend einem anderen Ort wurde mir der Abschied von Neuveville schwer. Hier hatte ich mich zum erstenmal im Schutz eines Mannes gefühlt, frei von allen Sorgen, allen Lasten des täglichen Lebens. Hier war mir alles lieb und wert. Ich liebte mein Zimmer mit den altmodischen Möbeln, den vielen Fenstern mit dem herrlichen Ausblick auf den See und die Berge.

Hier waren wir allein zusammen gewesen, nichts Fremdes zwischen uns; hier fühlten wir jede Minute des Tages unser Leben, während das große, immer bewegte, wechselnde Leben der Welt uns wie eine Fata morgana weit draußen am Horizont erschienen war.

Nun standen wir mitten in diesem, von Armand so heiß ersehnten, von mir so gefürchteten und so wenig erwünschten Pariser Leben.


Armand hatte sein Buch Jacques Saint-Cère unterzeichnet und war unter diesem Namen bald eine gekannte Persönlichkeit in tout-Paris.[465]

Da er entschlossen war, nur dann zu arbeiten, wenn ihm die Arbeit viel Geld einbrachte, hatte er dem »Figaro« seine Bedingungen gemacht, und diese waren angenommen worden.

Ich war erstaunt, wie rasch er sich in seine neue Stellung fand, die bald eine beinahe dominierende wurde. Dabei kam ihm besonders die Vorliebe, die der damalige Chefredakteur des Blattes, Herr Francis Magnard, für ihn hatte, zu statten.

Eine ganz besondere Gabe hatte er – und es war gerade die, die ihm in seiner neuen Laufbahn das größte Glück brachte – die Dinge, die er wußte – es waren nicht allzu viele – so darzustellen, daß jeder, der ihn sah und hörte, bei sich dachte: Wenn der reden wollte! Was der wissen muß!

Um diesen Effekt hervorzubringen, wußte er, immer mit dem Schein größter Unabsichtlichkeit, geschickt alles zu verwerten, was ihm gleichsam unter die Hände kam, – auch seine Beziehungen zu Sacher-Masoch und dessen Frau – fürchte ich.

Er war zu klug, um nicht einzusehen, daß, wenn er auch die Stellung im »Figaro« durch diese nicht leicht faßbaren Mittel erreicht hatte, er, um sie festzuhalten, mit reelleren Dingen herausrücken mußte: es handelte sich also darum, sich in die Lage zu setzen, den Erwartungen, die das Blatt auf seinen neuen Redakteur setzte, entsprechen zu können. –

Ich kannte in Berlin eine angesehene reiche Dame, von der ich wußte, daß sie Beziehungen in Journalistenkreisen hatte. Ich schrieb an sie und frug sie, ob es ihr möglich wäre, unter ihren Bekannten einen dafür zu gewinnen, Armand Nachrichten zu liefern. Sie antwortete ja und[466] gab einen Herrn X ... an, der sich ganz besonders dafür eignete, da er Redakteur an einem offiziellen Blatte und zugleich Vertrauensperson eines der Regierung und dem Hofe sehr nahestehenden Mannes war.

Herr X ... war teuer. Aber da der »Figaro« in solchen Dingen vor keinen Ausgaben anhielt, kam die Verbindung zustande und dauerte so lange, als Jacques Saint-Cère Redakteur im »Figaro« war.

Er hielt sich gern und viel in der Redaktion auf. Alles, was in Paris einen Namen hatte, strömte da zusammen; zu diesen war er liebenswürdig, gefällig und einfach, und sie sagten: »quel charmant garçon ce Jacques St-Cère.« Hier bildete er sich seine künstlerische, literarische und politische Meinung des Tages, und hier bekam er Witterung von der, die morgen den höchsten Kurs haben werde. – Dabei manövrierte er so geschickt, daß die Leute, die er aushorchte, überzeugt waren, in ihm einen Mann vor sich zu haben, dem bei nächster Gelegenheit eine Machtstellung zufallen werde.

In wenigen Monaten hatte die Wirklichkeit seine kühnsten Hoffnungen und Erwartungen übertroffen: wie in einem Schwindel blickte er manchmal um sich, um sich selbst wieder zu erkennen.

In solchen Augenblicken sagte er dann zu mir:

»Nein, Wanderl, ist das Leben dumm! ... Kenntnisse ... ernstes Streben ... Glück muß man haben!«


Ich fand mich nicht leicht in das Pariser Leben, so voll hohler Geschäftigkeit und immerwährender Bewegung, das so ermüdend ist und in dem man sich so rasch selbst verliert.[467]

Doch war ich in der ersten Zeit neugierig, vieles regte mich an, besonders die Bekanntschaft von Personen, die ich nach ihrem Namen und Ruf schon früher gekannt.

Zu ihnen gehörte der Onkel Armands, der Bruder seiner Mutter, Monsignor Bauer. Er war der Beichtvater der Kaiserin Eugenie gewesen und hatte den Suez-Kanal eingeweiht.

Schon Sefer Pascha hatte mir in Bertholdstein mit den Bildern der Familie Lesseps auch die jenes »hohen Würdenträgers« im großen Ornat gezeigt.

Welche Enttäuschung war er für mich!

Er hatte nichts von jenem verführerischen Zauber, der von hohen katholischen Priestern ausgeht, nichts von jener aus Stolz und Demut gepaarten Hoheit, jener würdevollen Anmut und machtvollen Schönheit, die es ihnen so leicht macht, von den Gläubigen als die Repräsentanten Gottes angesehen zu werden.

Bernhard Bauer war als Jude in Budapest geboren. Mit neunzehn Jahren hatte er sich an der März-Revolution beteiligt; Kossuth hatte ihn als Vertreter der Wiener Akademischen Legion öffentlich umarmt und geküßt und ihn als Abgesandten an die Pariser Studenten geschickt. Nach Österreich wagte er sich nicht mehr zurück. Jahre blieb er für seine Familie ganz verschollen. In dieser Zeit soll er sich in Frankreich und Italien als Photograph herumgetrieben haben. In den sechziger Jahren machte ein Carmeliter Mönch, Pater Maria Bernhard vom allerheiligsten Sakrament, durch seine Predigten in der Provinz Aufsehen. Sein Ruf drang nach Paris und an den Hof. Die Kaiserin wurde neugierig und ließ ihn zu den Fastenpredigten nach Paris kommen. Schon mit der ersten Predigt eroberte er Eugenie, den Hof und damit ganz[468] Paris. Die Kaiserin machte ihn zu ihrem Beichtvater, und ihrem Beispiel folgte die ganze vornehme Pariser Damenwelt. Er wurde eine Macht. Die Curie ernannte ihn, um der Kaiserin gefällig zu sein, zum Bischof in partibus infidelium. Er war in die Mode gekommen, die Pariserinnen trieben Abgötterei mit ihm, seine elegante Wohnung in der Rue Florentin, wo er der Nachbar von Lesseps war, blieb stets von schönen Sünderinnen belagert, die ihm ihre Geheimnisse anvertrauen wollten und um ein Rendezvous im Beichtstuhl baten; er würde aus dem Beichtstuhl überhaupt nicht mehr herausgekommen sein, würde er allen den Willen getan haben; er traf also seine Wahl, und er traf sie gut. – Es war gar nicht denkbar, daß ein andrer als Monsignor Bauer den Suez-Kanal eingeweiht. Er reiste im Hofstaat der Kaiserin dahin, und nachdem er »vor einem Parterre von Königen« gepredigt hatte, kam er reich an Ehren und Geschenken wieder nach Paris. Dann brach der Krieg aus. Solange man noch an den Sieg glaubte, spielte Monsignor Bauer eine großartige Rolle im »Roten Kreuz«. In weißem, wallendem Gewand mit dem roten Kreuz auf der Brust, gefolgt von vornehmen freiwilligen Krankenpflegern, ritt er hoch zu Roß durch die Straßen von Paris, den sich ehrfurchtsvoll vor ihm beugenden Vorübergehenden den Segen spendend. Nachdem aber das Unglück Frankreichs besiegelt war, verschwand er aus der Öffentlichkeit. Er hatte gut daran getan; denn unter der Kommune hätte er für sein »segenvolles« Wirken leicht Undank ernten können. –

Ein zweiter Bruder von Armands Mutter hatte sich unterdes in Madrid als Bankier niedergelassen und war am dortigen Hofe persona grata geworden. Es mag für[469] ihn grade keine unangenehme Überraschung gewesen sein, in dem Beichtvater der Kaiserin von Frankreich seinen verlorenen Bruder wiedergefunden zu haben, und es ist auch anzunehmen, daß sie sich recht brüderlich in die Hände arbeiteten.

Noch während des Krieges, erzählte mir Armand, soll die Kaiserin durch Vermittlung ihres Beichtvaters ungeheure Summen bei dem Bankier Bauer in Madrid in Sicherheit gebracht haben. –

Als die Republik erklärt, Ruhe und Ordnung wieder hergestellt, und Paris wieder Paris war, tauchte auch Monsignor Bauer wieder auf, überall da, wo sich die Leute einzufinden pflegen, die gesehen werden wollen. Er war unterdes »aus der Kutte gesprungen,« und zugleich aus der katholischen Kirche, und stellte sich jetzt den Parisern als »Viveur« vor. Er hatte damit nicht viel Glück. Er war unter den Tollen der tollste und in so aufdringlicher Weise, so sehr mit der Absicht, bemerkt zu werden, so sehr bemüht zu zeigen, daß er mit seiner Priester- auch seine Menschenwürde abgelegt hatte, daß er allgemeinen Widerwillen erregte. Aber vorsichtig mußte man mit ihm gleichwohl sein ... mit all den Geheimnissen, die er wußte! Seine ehemaligen Beichtkinder erbleichten, wenn sie nur seinen Namen aussprechen hörten – jetzt, wo er durch das »secret professionel« nicht mehr gebunden war ... Und wie er sich jetzt zeigte!.. Man kam aus dem Zittern nicht heraus.

Er und General Gallifet gehörten zu den »Alten«, die man am öftesten im Foyer der Tänzerinnen, in der Großen Oper und auf dem Turf bemerkte; die Reporter der mondainen »Echos« versäumten nicht, von Zeit zu Zeit zu erzählen, wie General Gallifet und Monsignor[470] Bauer sich zu Pferde im Bois kreuzten, und wie der geistreiche General ironisch zu dem ehemaligen Priester sagte: »Ihren Segen, Hochwürden,« und wie dieser, auf den Scherz eingehend, mit seinen weißen feinen Händen die altgewohnte segnende Bewegung nach seinem Gegenüber machte.


»Onkel Bernhard« kam sehr viel zu uns. Es paßte ihm ungemein, daß sein Neffe Redakteur im »Figaro« war. Das gab freien Zutritt in alle Theater und was sonst irgendwie in Paris los war – und die billigsten Vergnügungen waren ihm die liebsten.

Bald nach seinem Eintritt in den »Figaro« kam Armand auch mit der »Vie Parisienne« in Verbindung. Er war mehrere Jahre von Paris abwesend gewesen und darum nicht mehr gut au courant des Pariser Lebens, – da half ihm Onkel Bernhard mit seinen alten und neuen Kenntnissen aus der Verlegenheit, und darum ertrug er ihn. Aber lange dauerte das gute Einvernehmen nicht, und bald wurde Monsignor bei uns nicht mehr gesehen.


Als Armand den Plan faßte, nach Paris zu gehen und sich als Journalist dort eine Stellung zu machen, brachte er ihn stets mit einem andern in Verbindung: Sacher-Masoch zu veranlassen, gleichfalls nach Paris zu ziehen.

Wie früher Kathrin, war auch er der Ansicht, daß es eine große Dummheit von Sacher-Masoch war, die Stellung, die ihm sein bedeutender Ruf in Paris gemacht, nicht einzunehmen und daraus die materiellen Vorteile[471] zu ziehen, die damit verbunden waren. Die Gelegenheit war nie so günstig als jetzt: Turgenjew war tot – Sacher-Masoch sollte an seinen Platz treten. Die Pariser müssen immer so einen exotischen Schriftsteller haben, und Sacher-Masoch kommt nicht einmal als Fremder, ganz Paris kennt ihn, man wird ihn mit offenen Armen empfangen.

So dachte Armand damals. In der Redaktion des »Figaro« war er mit allen hervorragenden literarischen Personen in Berührung gekommen und hatte sie in seiner geschickten Art über Sacher-Masoch ausgehorcht; was er hörte, bestätigte seine Ansicht. Nun nahm er mit um so größerer Lebhaftigkeit seinen alten Plan wieder auf.

Ich sollte an Sacher-Masoch schreiben, ihm die Situation klar machen und vorschlagen, mit uns in Paris zu leben.

Der Plan hatte nichts Verlockendes für mich; ich sagte das Armand, und wie wir alle drei durch ein solches Zusammenleben leiden würden. Er aber wollte davon nichts wissen; die Hauptsache war, daß Sacher-Masoch das Vermögen, das ihm in Paris sicher war, in Empfang nehme, ich mußte dem Sohne das Opfer bringen, denn es würde einst sein Vermögen sein. Ich sollte die Sache nicht von der sentimentalen, sondern von der praktischen Seite auffassen, und er schloß:

»Es wird eben eine mariage à trois mehr in Paris geben et puis après? Hat Turgenjew nicht mit den Viardots gelebt? Das wußte doch ganz Paris, in was hat es ihnen geschadet?«

Die Geldfrage war mir jetzt nicht mehr so gleichgültig wie früher; meinem Kinde ein Vermögen hinterlassen können, das ihm im Leben die Wege ebnete, war ein[472] Opfer wert; ich war also bereit, das Kreuz auf mich zu nehmen, und schrieb an Sacher-Masoch.


Dieser war in der Zwischenzeit von Leipzig weg nach Lindheim in Hessen gezogen, wo sich die Hulda Meister, mit der er jetzt zusammen lebte, ein Schlößchen gekauft hatte, in dem er, wie es schien, das »Asyl« gefunden hatte, das er seit vielen Jahren gesucht. – »Auf der Höhe« hatte er aufgegeben, und von sonstigen literarischen Erscheinungen hörte man nicht viel.

Er hatte mir seit dem Tode Saschas, als der gemeinsame Schmerz eine Art Versöhnung zwischen uns gebracht, sehr liebevolle Briefe geschrieben, voll Wehmut und Trauer, die schließlich in dem Vorschlag zur Scheidung gipfelten. Den Scheidungsgrund bot meine Untreue, die durch mein Zusammenleben mit Armand erwiesen war. Er würde auch dann, wenn ich in die Scheidung willige, bereit sein, für mich und Mitschi zu sorgen, weil er, wieder in geordneten Verhältnissen, mehr und besser arbeiten werde und mehr Geld verdiene.

Unterdes hatte ich von anderer Seite erfahren, daß ihm von der Meister in Leipzig ein Kind geboren war, ein zweites jetzt erwartet wurde, daß seine schmutzigen Geschichten weiter gingen, und selbst unmittelbar nach dem Tode seines Lieblings solche stattgefunden hatten. –

Ich war fest entschlossen, nicht in die Scheidung zu willigen. Da kam ein anderer Ton in seine Briefe.

»Wenn ich zu einer Verständigung (die Scheidung) geneigt bin,« schrieb er, »so ist es nur um unseres Kindes willen und weil ich mit Bangen an Deine Zukunft denke.[473] Mache mir nichts vor, Du weißt ebensogut wie ich, daß Du verloren bist, wenn Du Dich diesmal nicht mit mir verständigst. Dein Unglück ist, daß Du nicht begreifen willst, daß nur ein Rest von Gefühl für Dich und die Liebe zu dem Kinde, das Du mir entführt hast, mich allein bestimmen, Dir entgegenzukommen, daß Du jedesmal, wenn ich zu einer Verständigung bereit bin, Dir einbildest, daß Du mir imponierst, und daß ich mich vor Dir fürchte. Mein Gewissen ist rein. Wenn Du mir mit einer Strafanzeige drohst, so ist das Unsinn. Sag das andern, aber nicht mir.«

»Du hast die Geheimnisse unserer Ehe Fremden (meinem Rechtsanwalt, Dr. Broda) preisgegeben, meinen Feinden Waffen gegen mich gegeben, die mich jetzt mit einem Skandalprozeß bedrohen. Du vergißt dabei nur, daß die Welt immer geneigter ist, die Frau eher zu verurteilen als den Mann. Sobald Du das Geringste gegen mich unternimmst, werde ich nicht die mindeste Rücksicht auf Dich nehmen und mich nicht kümmern, was aus Dir wird, wenn Du zu alt bist, um noch Verehrer zu finden.«

»Du tust, als ob Dir durch meinen Vorschlag Unrecht geschehen sollte. Es soll nur legalisiert werden, was faktisch schon ist, was Du selbst getan hast. Du bist fortgezogen. Es soll so bleiben wie es ist, das ist alles.« –

Es waren keine Briefe mehr, es waren ganze Manuskripte, die er mir sandte, um mir in schön gesetzten Phrasen, der Kunst des Schriftstellers, zu beweisen, daß es in unserer Ehe nur einen Schuldigen gegeben hat, und daß der ich war, und daß ich, wenn ich nur noch eine Spur von Gewissen habe, die Gelegenheit, mein großes Unrecht gegen ihn, so weit es überhaupt möglich, wieder[474] gut zu machen, freudig ergreifen und in die Scheidung willigen müsse. Dann sei er bereit, nach Paris zu kommen, und es wäre der skandalöse Scheidungsprozeß aus der Welt geschafft. –

Das Zauberwort »Paris« tat auch in Lindheim seine Wirkung. Sacher-Masoch sagte sein Kommen für die allernächste Zeit zu.

Es galt nun, die vorbereitenden Schritte für seinen Empfang in Paris zu treffen. In diesen Dingen führte damals der »Figaro« das große Wort. Armand hatte seinerseits in der Redaktion dafür gesorgt, daß Sacher-Masoch gleichsam unter dem Schutz dieses mächtigen Blattes in Paris eingeführt werde, während ich Philipp Gille aufsuchte und ihn bat, sich für die Ankunft und den Plan Sacher-Masochs, in Paris seinen ständigen Aufenthalt zu nehmen, zu interessieren.

Im »Figaro,« wo man sehr gut wußte, daß ich mit Saint-Cère zusammenlebte, empfing mich Gille, freudig überrascht von meiner Anwesenheit in Paris; und als ich ihm mein Anliegen vortrug, gab er mir voll Eifer die Versicherung, daß Sacher-Masoch in der Rue Drouot empfangen werde, wie man dort gewohnt ist, Prinzen zu empfangen. Er sagte mir auch ungemein viel Schmeichelhaftes über das Talent Sacher-Masochs, und bat mich, diesem gleich mitzuteilen, daß der »Figaro« sich sehr freuen würde, einen großen Roman von ihm sobald als möglich zu veröffentlichen, und ihm dafür das Honorar anbiete, das nur die ersten französischen Schriftsteller erhalten, nämlich einen Franc die Zeile. Dann sagte er noch, der »Figaro« würde in seinen Festräumen einen Empfangsabend für Sacher-Masoch arrangieren, der ihn mit[475] einem Schlage in die literarische Welt in Paris einführen würde. Und plötzlich stellte er die Frage an mich:

»Nicht wahr, Ihr Mann ist doch sehr reich?«

Beinahe hätte ich meine Sicherheit verloren. Instinktiv fühlte ich, daß Sacher-Masoch hier reich sein müsse, sollte er nicht von seinem Ansehen einbüßen.

»Nun, Rothschild ist er wohl kaum,« sagte ich lächelnd.

»Nein, solche gibt's in der Literatur nicht,« rief Gille lachend.

Hätte ich den Mut gehabt, zu sagen, Sacher-Masoch sei ebenso reich, als Turgenjew es war oder Tolstoi ist, so hätte man ihm das Honorar von einem Franc vielleicht auf zwei erhöht. –


Ich weiß nicht mehr, ob ich oder Armand es war, der diese Nachrichten nach Lindheim sandte, aber wer es auch war, ihre Wirkung war jedenfalls die, daß die Reise nach Paris dort noch beschleunigt wurde.

Am 12. Dezember 1886 kam Sacher-Masoch in Paris an.

Wir hatten ihm in unserer Nähe, in der Rue Edinbourg in einer maison meublée, in der auch der Sohn Sarah Bernhards, Moritz Bernhard, wohnte, ein Zimmer gemietet. Essen sollte er bei uns.

Er sah in seinen Kleidern so vernachlässigt aus, daß nicht daran zu denken war, ihn so den Parisern zu zeigen. Da er so gut wie ohne Geld war, ließ ihm Armand sofort Kleider machen und stattete ihn mit Wäsche aus. Ich glaube, Armand hat dabei eine sanfte Freude empfunden, daß er, der von Sacher-Masoch so viel Geschmähte, nachdem er bereits seit drei Jahren dem berühmten Manne[476] Frau und Kind erhalten, jetzt auch noch seine eigene Erhaltung auf sich nehmen mußte.

Am Tage, nachdem sich Sacher-Masoch im »Figaro« vorgestellt hatte, brachte dieser einen article de fond über ihn, der so glänzend war, daß selbst er, der in dieser Richtung viel vertragen konnte, ganz gerührt darüber wurde.

Da war's jetzt gekommen, was ich einst für ihn und die Kinder erträumt hatte, Ehre und Ruhm und Reichtum. Zu spät! Mein Herz war erstarrt für solches Glück.

Er aber ging mit langen Schritten im Zimmer hin und her, machte große Bewegungen mit den Armen und sprach und deklamierte so laut, als wäre es vor einem zahlreichen Publikum, von der verdienten Ehrung, die ihm endlich wurde, von Frankreich, das er wie sein Vaterland liebe, dem klaren Geist der Franzosen, die allein ihn verstehen konnten, die nicht kleinlich und engherzig über jede Extravaganz eines bedeutenden Mannes die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und von Schande schrien.

Schande! Wie ein Peitschenhieb traf mich das Wort und rüttelte mich aus meiner Starrheit. Eine heiße Blutwelle schoß mir nach dem Kopf und jagte die Gedanken weit fort ... nach Budapest ... dorthin, wo an einem Abend eine schmächtige Frau in leichten und schon zerrissenen Schuhen durch den Schnee watete, den Kragen ihres kostbaren Pelzes hoch hinaufgeschlagen und einen dichten Schleier vor dem schmalen, vergrämten Antlitz. Große zornige Schneeflocken jagten ihr entgegen, wirbelten ihr ins Gesicht und einigten sich dort mit den Tränen, die sie noch rasch verstohlen weinte – ehe sie lächeln mußte. Sie geht durch Straßen, die sie nicht kennt, durch[477] die sie nie gegangen, und da plötzlich leuchtet ihr aus dieser Unkenntnis ein Hoffnungsstrahl: wenn sie sich verirrte ... wenn sie dort nie ankäme, wohin sie gehn mußte, nie an jenes Ziel gelangte ...

»Hier, gnädige Frau, hier,« sagt da eine fettige Stimme neben ihr, und ein kleiner, dicker, alter, häßlicher Mann tritt aus dem Schatten eines Tores.

Und die Schande, die sie hier erwartet, führt sie ruhig und sicher einen ihr fremden Weg; durch die tanzenden Schneeflocken, die ein weißes Spitzengewebe über ihren schwarzen Pelz ziehen, hinein in einen hellerleuchteten Flur, vorbei an neugierigen Kellneraugen ... und so kommt sie an, weiß und kalt, mit etwas Totem in der Brust.

Schande! Wie freudig würde ich dich aufsuchen und mich für immer in deinen Dienst stellen, könntest du mir zurückgeben, was jenes kleine Grab an Glück für mich einschließt ...

Aber auch du bist machtlos dem Schicksal gegenüber ... was du versprichst, kannst du nicht halten.

Vorbei! Vorbei!


Dem »Figaro« folgten die anderen Blätter, und alle feierten Sacher-Masoch. Unsere Tür war jetzt stets von Besuchern belagert. Da Sacher-Masoch in seinem Zimmer in der Rue Edinbourg Besuche nicht empfangen konnte, empfing er sie bei uns.

Sehr herzlich nahm Rochefort Sacher-Masoch auf. Da er durch Kathrin über unsere Geldverhältnisse aufgeklärt war, fürchtete er, Sacher-Masoch könne nicht die Mittel haben, seiner Stellung gemäß in Paris zu leben, und erbot[478] sich deshalb, ihm irgend einen alten übersetzten Roman abzunehmen: er würde ihn sofort an einen Verlag für 10000 Francs verkaufen.

Das war nicht schwer, denn ein, zwei Romane lagen immer bereit und werteten auf einen Verleger. Er war ganz gerührt über Rocheforts Güte und Freundschaft, denn damit war er plötzlich aller Geldsorgen für die nächste Zeit ledig.

Auch die Revue des deux mondes bestellte einen Roman bei ihm. Über einen so plötzlichen und glücklichen Wechsel seiner materiellen Lage erfaßte ihn Schwindel, obgleich er sich redlich abmühte, mich und Armand glauben zu machen, daß er mit seinem Aufenthalt in Paris uns ein Opfer bringe.

Aber Armand, der derartiges genug früher hatte hinunterwürgen müssen, war jetzt fest entschlossen, es sich nicht mehr bieten zu lassen, und sagte ihm bei solchen Gelegenheiten:

»Natürlich, wir werden Sie noch schön bitten müssen, 100000 Francs im Jahre einzustecken. Wenn Sie meinen, daß es sich in Lindheim unter der Beaufsichtigung der Meister bei Wurst und ›Kartoffelklößen‹ besser lebt, brauchen Sie nur an die Nordbahn zu gehen; die Züge gehen zweimal täglich nach Deutschland.«

Dann ließ er den Kopf hängen und schwieg und für einige Zeit wenigstens hatten wir vor seinem Getue Ruhe. Es wäre ihm wohl recht fatal gewesen, wenn er jetzt, da er das Pariser Leben zu kosten bekommen, wo jeder Tag Auszeichnungen und Vergnügungen für ihn brachte, wieder hätte nach Deutschland zurückkehren müssen, wo Vergessenheit und Armseligkeit seiner wartete.

Wie gierig griff er nach den Genüssen des Pariser[479] Lebens, wie funkelten die »fast blind geweinten Augen«, von denen so viel in seinen Briefen und auch in Zeitungen zu lesen war, wenn er bei Tisch von seinen Abenteuern, von seinen Erfolgen in der »Welt« erzählte.

Geradezu unerträglich wurden uns seine polnisch-russischen Gewohnheiten, an die wir nicht mehr gewöhnt waren und die uns seinen Aufenthalt in unserer Wohnung zur Pein machten.

»Wie kannst du an ein Zusammenleben mit ihm denken?« sagte ich zu Armand. »Ich weiß, daß wir es beide nicht mehr ertragen können.« Er aber erwiderte mir:

»Sei ruhig und laß mich machen. Mit Geld läßt sich vieles erträglich gestalten. Wir leben jetzt zu enge. Alles wird anders sein und gut, sobald wir eine große Wohnung haben. Hab Geduld und glaube mir.«


Ein komisches Erlebnis hatte ich in jener Zeit mit Rochefort. Er hatte uns, Sacher-Masoch, mich und Mitschi zum Dejeuner eingeladen. Wir trafen dort den Fürsten Talleyrand-Perigord, den Eigentümer des »Intransigeant« und die drei Kinder von Olivier Pein, die Rochefort auf seine Kosten erziehen ließ und die zur Gesellschaft Mitschis da waren. Kurz ehe wir zu Tisch gingen, kam noch eine junge Frau, die mir Rochefort vorstellte und die ich – den Namen hatte ich nicht verstanden – für seine Tochter hielt, die an einen Genfer Maler verheiratet war und, wie ich wußte, sich oft beim Vater in Paris aufhielt. Ich glaubte um so fester, daß es seine Tochter sei, da er zu ihr »Du« sagte, und sie in einem Hauskleide war, zu dem sie sogar rote Pantoffeln trug – was mir auffiel, für die Frau eines Künstlers aber wohl hingehen konnte.[480]

Einige Tage nach diesem Dejeuner kam Rochefort in den »Figaro« und erzählte Armand, daß Sacher-Masoch und seine Maitresse bei ihm gegessen haben. Armand wurde stutzig.

»Seine Maitresse? Das war ja seine Frau!«

Rochefort sah ihn starr an.

»Seine Frau? Ist er denn mit ihr hier? Um Gotteswillen, was ist das wieder für eine Dummheit! Hören Sie, Saint-Cère, da müssen Sie mich reinwaschen. Ich habe Sacher-Masoch ›et madame‹ eingeladen, im festen Glauben, daß er mit seiner Maitresse hier ist – ich denke, meine Maitresse ist so gut wie die seine ... sie können beide an meinem Tisch sitzen ... Sie sehen die ›Gaff‹ –«

Ich habe dann noch öfter bei Rochefort gegessen, die Dame mit den roten Pantoffeln aber nie wieder gesehen.

Durch Rochefort machte Sacher-Masoch viele und sehr vorteilhafte Bekanntschaften. Es war damals die Zeit des Boulanger-Taumels in Paris. Rochefort hatte für den schönen General leidenschaftlich Partei genommen und führte auch Sacher-Masoch zu ihm.

Als dieser von dem Besuch zurückkam, glaubte ich, er sei verrückt geworden. Hätte er Napoleon I. in seiner glanzvollsten Zeit gesehen, hätte er vor Begeisterung und Bewunderung nicht mehr überschäumen können. Dabei kam ihm noch seine Vorliebe für Soldatenspielerei und alles, was Uniform trägt, zu Hilfe: er war bezaubert, hingerissen, Boulanger war ein Held, der nur die Hand auszustrecken brauchte, um Frankreich die verlorenen Provinzen zurückzugeben; und jetzt sollte nur einer mit Frankreich Krieg anfangen – er würde in Stücke gehauen.

Man mußte ihn reden lassen, der kleinste Widerspruch würde ihn in Raserei versetzt haben.[481]

Rochefort bewohnte auf dem Boulevard Rochechuard ein kleines Hotel; dazu gehörte einer jener traurigen, zwischen hohen Häusern eingeschlossenen Gärten, die fast nie von einem Sonnenstrahl berührt werden; aber es war doch ein Garten, und dort spielte Mitschi oft mit den Kindern Oliviers Peins.

Rochefort liebte wie Sacher-Masoch die Katzen ganz besonders und hatte schöne Exemplare davon. Es war darunter eine, die ihrer Mutterschaft in der nächsten Zeit entgegensah, und da Mitschi sie am meisten bewunderte, sagte Rochefort einmal zu ihm:

»Sie wird Kleine haben. Wenn du brav bist, sollst du eine bekommen.«

Mit welcher sehnenden Ungeduld wurde dieses »Kleine« bei uns erwartet!

Da fuhr eines Tages ein Wagen vor, aus dem Rochefort sprang.

»Wo ist Mitschi?« rief er schon an der Tür, »ich bringe ihm ein Kätzchen,« dabei zog er eine winzige reizende Katze aus der Rocktasche.

Damals war Jules Ferry Minister – ein Grund, weshalb ihn Rochefort jeden Tag in seinem Artikel ausschlachtete. Um seiner Verachtung für den Staatsmann genug zu tun, nannte er die Katze, ohne sich um deren Geschlecht zu kümmern, Jules, und Mitschi mußte sich verpflichten, sie nie anders zu nennen. Jeden Sonntag Morgen mußte das Kind zu Rochefort gehen und ihm über das Befinden Jules' Bericht erstatten.


Besuche machen und empfangen, damit ging jetzt all meine Zeit hin. Waren wir nicht zu einem Essen geladen[482] oder gingen wir nicht in ein Theater, so hatten wir Gäste im Hause. Da ich für die Welt Sacher-Masochs Frau war, mußte ich mich auch vor ihr zu ihm halten.

Armand sah dem allen mit trüben Blicken zu.

Wir, Sacher-Masoch und ich, waren zu einem Ball bei Crémieux, dem Sohne des Ministers und Gründers der Alliance israëlite geladen. Vorher sollte Sacher-Masoch zum erstenmal das théâtre français besuchen. Man gab »Hamlet« mit Mounet-Sully in der Titelrolle. Claretie hatte uns seine Direktionsloge zur Verfügung gestellt. Nach dem ersten Akt kam er selbst in die Loge und bat Sacher-Masoch, ihm zu folgen, er wolle ihm die »honneurs de la maison« machen, ihm die Künstler vorstellen.

Armand, der mit im Theater war, aber nicht mit zum Ball kommen sollte, da er mit den Crémieux's nicht bekannt und deshalb nicht eingeladen war, saß verstimmt neben mir.

»Wanda, ich bin sehr unglücklich,« sagte er, als wir allein waren, und lehnte sich tief hinter meinem Stuhl zurück in das Dunkel der Loge.

»Du hast es so gewollt ... Häßlich und erniedrigend ist das Leben, das wir jetzt führen ... nichts als Lüge und Unwahrheit ... Wie hast du nur glauben können, daß aus solcher Abscheulichkeit Glück entstehen könne? Und wenn ich denke, daß es so bleiben soll! ...«

Er ließ den Kopf sinken.

»Versprich mir was, Wanda.«

»Was?«

»Bleib nicht länger als eine Stunde auf dem Ball.«

»Ja.«

»Und noch was: tanze nicht ... laß dich von keinem Manne anrühren ... und denk immer an mich.«[483]

»Ja, ich verspreche dir's

Es war nur ein schwacher Schatten seiner früheren Eifersucht. Was ihn unglücklich machte, war, daß ich von einem andern empfing, was nur er mir geben wollte: Ehrung, Auszeichnung, Vergnügungen. Das konnte er mir nicht bieten – jetzt noch nicht – und nach seinen Ideen mußte ihm das in meiner Liebe schaden. –

Als wir bei Crémieux aus dem Wagen stiegen, und er allein heimfahren sollte, hielt er einen Augenblick meine Hand fest, als wolle er mich an mein Versprechen erinnern.

Ja, er litt und es war gut so. Sollten wir wieder aus dieser unnatürlichen Lage herauskommen, würde es vielleicht am ehesten der Fall sein, wenn sich diese Leiden bis zur Unerträglichkeit steigerten.

Es war ein richtiger »Hausball« bei Crémieux. Aber waren auch die Räume beschränkt, die Gäste waren dafür alle von »qualité«. Da war keiner, der nicht »Jemand« war.

Zuerst der »schöne« Pierre Decourselle, der schon damals das literarische Erbe d'Ennris angetreten hatte, wie er später der Erbe seines großen Vermögens wurde. Er war ein Schulkamerad Armands und dieser hatte mir nicht ohne Neid erzählt, daß er mit seinen Stücken grausam viel Geld verdiene. Dann sah ich dort die Schwester der in Paris verunglückten berühmten Kunstreiterin Loisette, von der man erzählte, daß die Kaiserin von Österreich sie mit ihrer Freundschaft beehrte; sie war die Frau eines reichen Holzhändlers und nahm sich sehr menschenfreundlich auf dem Ball meiner Fremdheit an. Auch die Gräfin Martel war da, die als Schriftstellerin damals unter dem Namen »Gyp« en vogue war. Sie sah ganz nach ihren Büchern – und Abenteuern aus: eine 36jährige[484] schön gebaute Frau, das blonde Haar kurz geschnitten, ein überlegen-spöttisches Lächeln um den kleinen Mund und in jeder Falte ihres Kleides das Bewußtsein ihrer Bedeutung. Sie hatte eben das Porträt Rocheforts vollendet und dieses wurde noch feucht zur Bewunderung den Gästen herumgezeigt. Um Mitternacht ging eine Bewegung durch die Gesellschaft, der Tanz hielt an, man trat zur Seite und herein schwebte am Arm eines Mannes Madame G ..., die damals von ganz Paris gefeierte amerikanische Schönheit. Groß und schlank, erschien sie in einem knapp anliegenden weißen Atlaskleid ohne alle Garnierung – keine Linie dieses schönen Leibes sollte den Beschauern verloren gehen – das flach um die Schläfen liegende dunkelblonde Haar umrahmte ein schönes, kaltes, hochmütiges Gesicht; oben auf dem stolz getragenen Kopf stand ein Halbmond in schweren Diamanten; Diana, die Göttin war aus dem Olymp herabgekommen, um die Irdischen mit dem Anblick ihrer Schönheit zu beglücken. Und wie es sich für eine göttliche Erscheinung ziemt, hielt sie sich nicht auf; nur flüchtig begrüßte sie die Hausfrau, glitt dann durch die Räume und verschwand wieder so plötzlich wie sie gekommen war.

Auf dieselbe Weise besuchte Frau G ... jede Nacht fünf bis sechs Bälle. Wer einen Ball gab, lud sie ein, sie war gleichsam eine »Attraktion,« die den Gästen geboten wurde, und ich dachte im Geheimen, ob sie wohl auch ihr »cachet« für diesen Frondienst erhalte.

Rochefort sollte noch kommen und Sarah Bernhard, aber meine Stunde war um und ich verließ den Ball.

Zu Hause fand ich Armand, mich in Unruhe und Angst erwartend.
[485]

Wir bewohnten eine möblierte Parterrewohnung in der Rue Madrid. Es war zu Armands Glück unerläßlich, daß den ganzen Tag und die halbe Nacht ein Fiaker, vor der Türe auf ihn wartend, stehen mußte. Um zehn Uhr morgens kam der Wagen. Da Armand aber nicht vor Mittag aufstand und nicht vor vier Uhr ausfuhr, stand der Wagen, wenn Sacher-Masoch oder ich ihn nicht benutzte, immer vor unsern Fenstern. Der Kutscher hatte einen netten kleinen braunen Hund, mit dem er immer spielte, um sich die langen Stunden des Wartens zu vertreiben; oft stand ich am Fenster und sah den beiden zu, und da es mir schien, daß der Hund seinem Herrn sehr zugetan war, äußerte ich das einmal zu Armand. Gleich unterhandelte dieser mit dem Kutscher, um mir den Hund zu kaufen. Schwer war es dem Manne, sich von seinem Tier zu trennen, allein zwei schöne Goldstücke überwanden die Liebe, und man brachte mir den Hund. Ich war durch das Geschenk nicht gerade angenehm berührt: die Pariser Wohnungen sind nicht günstig für das Halten von Tieren; nun hatten wir schon Jules, der oder die zwar eine sehr wohlerzogene Katze war, allein auch die wohlerzogenste Katze bleibt immer eine Katze; und wie wird sie die Gegenwart des neuen Kostgängers ertragen? Wird sie ihn überhaupt dulden?

Das waren beunruhigende Fragen. Mitschi wollte zwar gern den Hund, war aber besorgt, daß sein Jules dann zurückgesetzt würde, und das durfte nicht sein. Natürlich dachte niemand daran, der Katze das Recht der Erstgeburt streitig zu machen. Trotzdem waren wir alle ängstlich, als der Moment kam, wo der Hund Jules vorgestellt werden sollte.

Wir hatten uns umsonst beunruhigt: es verlief alles[486] in der anständigsten Weise. Fühlte sich Jules so sicher in seiner Stellung, oder lag es in seinem Temperament, oder war er ein Philosoph, das ließ sich nicht leicht feststellen, genug, er benahm sich sehr ruhig und würdevoll, ja er schien sogar nicht abgeneigt, den neuen Kameraden willkommen zu heißen.

Der Hund aber achtete auf nichts; er lief nur fortwährend zur Tür und dann wieder ans Fenster, um hinaus auf seinen Herrn zu schauen, der, seinen Judaslohn in der Tasche, sich nicht nach ihm umsah.

Einige Tage vergingen in immerwährender Unruhe und Sorge, der Hund möchte durchgehen. Er wollte weder Nahrung noch Liebe von uns annehmen.

Sein Sehnen war, von uns fort zu seinem Herrn auf den Kutschbock zu kommen. War dieser vor der Türe, dann war der arme Hund wie verrückt, er weinte, bellte und sprang auf die Möbel, um sich ihm bemerkbar zu machen, und konnte nicht fassen, daß sein Herr von seinen Leiden keine Notiz nahm.

Es war nur ein Hund, aber um wie viel war er mehr wert als sein Herr, der Mensch.

Mir tat das Tier leid, und grade jetzt würde ich es um seiner treuen Liebe willen gern behalten haben, während ich andererseits, um ihn nicht länger unglücklich zu machen, schon entschlossen war, ihn zurückzugeben.

Da kam einer der jetzt so seltenen Abende, wo ich und Armand allein waren. Das Kind schlief, die Magd war in ihr Zimmer hinauf gegangen, und Armand saß am Piano und spielte. Nur am Instrument brannten zwei Kerzen; das Zimmer war dämmerig; ich saß in der Sofaecke und hörte zu.

Die Töne trugen mich weit fort; bald schwamm ich[487] tief unten im Rhein mit seinen Töchtern um den goldenen Schatz; bald saß ich neben Siegfried unter der Linde, und wir lauschten zusammen auf das Säuseln in den Blättern und das Gezwitscher der Vögel; dann folgte ich seiner Leiche nach Walhall.

Da entstand eine Bewegung neben mir, die mich in die Wirklichkeit zurückbrachte. Der Hund, der bisher merkwürdig ruhig zu meinen Füßen gesessen, war ganz leise und vorsichtig auf das Sofa gesprungen und hatte sich ganz dicht an mich herangeschmiegt, aber das alles mit solcher Rücksicht auf die Musik, wie nur ein Mensch es tun könnte, der weiß, wie schmerzhaft es für den Hörenden ist, gestört zu werden.

Ich legte meine Hand auf seinen Hals, und so saßen wir beide fest aneinander gedrängt, ohne uns zu rühren, ohne die leiseste Bewegung, und machten nun zusammen die Reise in das Märchenland der Töne.

Als Armand sich müde gespielt hatte, war es Mitternacht.

Von dieser Stunde an verließ mich der Hund nicht mehr; ob ich saß, stand oder ging, er war zu meinen Füßen. Wenn morgens der Kutscher kam, sah er ihn ruhig durch das Fenster an, ohne nach ihm zu verlangen, und wenn ich im Wagen ausfuhr, saß er an meiner Seite; versuchte der Kutscher ihn zu locken, dann sah er mich an und schien zu lächeln.

Es ist mehr in der Tierseele als wir ahnen. Ich habe in den Augen sterbender Hunde dieselben Tränen gesehen, die Menschen weinen, und dieselbe grausige Qual, wie sie Menschen vor dem Tode haben.

Instinkt. Aus Instinkt liebt das Kind die Mutter; aus sinnlicher Gier der Mann das Weib; warum liebt der[488] Hund den Herrn, der ihn schlägt und mit Fußtritten auf die Straße jagt? Warum würde er ihn, wenn er angegriffen würde, mit seinem Leben verteidigen?

Hundeliebe!

Warum nicht, wenn sie besser ist als Menschenliebe?


Sacher-Masoch und ich waren zu einem großen Diner bei Daudets geladen. Ich war angezogen und wartete, daß er käme. Er kam nicht. Ich hieß die Magd in den bereitstehenden Wagen springen und hinüber in die Rue Edinbourg fahren, um ihm sagen zu lassen, er möge sich beeilen; es sei höchste Zeit. Die Magd kam mit der Nachricht zurück, ich solle allein fahren, er habe keine Lust, und bleibe zu Hause; »et il y a une femme« schloß sie ihren Bericht mit jenem diskreten und doch so vielsagenden Lächeln, mit welchem französische Dienstboten solche Dinge begleiten.

Ich telegraphierte sofort an Madame Daudet, sagte, daß Sacher-Masoch plötzlich erkrankt; sie möge uns entschuldigen. –

Ich habe Sacher-Masoch niemals wiedergesehen.

Erst später wurden mir seine Gründe zu diesem plötzlichen Bruche klar. Der Maler Schlesinger machte damals sein Porträt für den Salon. Sacher-Masoch hatte sich mit der Familie Schlesinger eng befreundet und in die schöne junge Tochter des Hauses verliebt – und sie in ihn. Man verlobte die beiden, aber vorläufig nur im Geheimen, bekannt sollte die Verlobung erst werden, wenn die Scheidung von mir ausgesprochen war. –[489]

Während der Zeit dieser geheimen Verlobung wurde ihm von der Meister, die ihm nach Paris gefolgt war, in der Rue Cadet am 8. Juni 1887 ein zweites Kind geboren.

Damals hatte der Schriftsteller Hervieu Sacher-Masoch in der Rue Edinbourg aufgesucht und schrieb über diesen Besuch am 25. November 1895 im »Journal«:

... »Il m'est resté de cette visite une vision précise dans un nuage de surprise et de doute. La porte d'un petit appartement du quartier de l'Europe, auquel menait un escalier sombre, fut ouverte par une jeune personnage d'une séduction étrange, qui pouvait être un jeune garçon de quinze ans, mais qui plutôt devait être une femme. Il (?) était en culottes courte de velours noir, avec des bottes, une ceinture de soie rouge, et un veston aussi de velours noir. Elle (?) avait des cheveux longs et sur le front, étendus en bandeaux comme deux ailes de corbeau. Cette singulière creature, irreprochablement belle, d'expression de beauté non revélée encore, disparut soudain, sans rien dire, sans repondre, laissant le sénile entrebaille sur un pauvre antichambre parisienne, où elle venait d'évoquer je ne sais quel Orient, les mystères de la steppe et ce profond inconnu sans borne de quelque individu humain ...«

Dieses »tadellos schöne Geschöpf« ist heute eine glückliche Gattin und Mutter – mag sie es bleiben.

Während Sacher-Masoch mit mir und Armand verkehrte, auf Kosten dieses lebte, war der Scheidungsprozeß angehalten worden. Jetzt nahm er ihn wieder auf.[490]

Die Scheidung wurde wegen »ehelicher Untreue«, begangen mit Armand, gegen mich vom Reichsgericht in Leipzig ausgesprochen.


»Es erben sich Gesetz und Rechte

Wie eine ew'ge Krankheit fort:

Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte,

Und rücken sacht von Ort zu Ort.

Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;

Weh dir, daß du ein Enkel bist!

Vom Rechte, das mit dir geboren ist,

Von dem ist, leider! nie die Frage.«


Wenn ich und Sacher-Masoch, nachdem wir entschlossen waren, zusammen zu leben, anstatt in die Kirche, mit unserer Absicht zu einem Notar gegangen wären, wie es sonst Leute tun, die einem Übereinkommen gesetzliche Form geben wollen, hätten ihm auseinander gesetzt, was wir uns sein wollten, unter welchen Bedingungen wir beisammen bleiben oder auseinander gehen wollten; wie dann diese Trennung stattfinden sollte in der für uns und die Kinder schonendsten und besten Weise; wie sich meine und der Kinder Lage dann gestalten sollte – so wäre mir nicht nur die dumme und lächerliche Komödie der kirchlichen Trauung, sondern auch die scham- und qualvolle Prozedur der gerichtlichen Scheidung erspart geblieben.

Und nicht das allein.

Der materielle Vertrag hätte für mich und die Kinder besser vorgesehen, als es Staat und Kirche getan. Er hätte dem Manne nicht gestattet, nachdem ich ihm zehn Jahre – die besten, die eine Frau hat – gegeben, ihm[491] Kinder geboren, für ihn und diese ertragen und getan, was ich niemals für mich selbst ertragen und getan hätte, mir wie einer abgetanen Sache den Rücken zu kehren, ohne sich um mein und des Kindes Schicksal auch nur einen Augenblick zu beunruhigen.

Wie kommt es, daß die Frauenbewegung nicht hier einsetzt, das Übel nicht an der Wurzel anfaßt, und die ganze alte faule Institution der Ehe, die unserem modernen Denken und Empfinden ins Gesicht schlägt, wegfegt, oder wenn sie das nicht kann, sie ignoriert?

So lange die Frauen nicht den Mut haben, das, was sie allein angeht, ihr Verhältnis zum Manne, ohne die Einmischung von Staat oder Kirche zu regeln, werden sie nicht frei sein. Denn was die Bewegung auch bisher erreicht hat und noch erreichen wird, es können nur Notbehelfe sein, weil sie die Frau aus ihrer eigentlichen, ihr von der Natur angewiesenen Sphäre verdrängen, und weil alles Unnatürliche weder Dauer haben, noch glückbringend sein kann.

Ich hoffe und wünsche, der Tag möchte kommen, an welchem die Frauen erkennen würden, daß die Natur die höchste und schönste Macht in ihre Hände gelegt hat, die der Mutter und Erzieherin, und daß, wenn sie an ihrem häuslichen Herde das erhoffte Glück bis jetzt nicht gefunden haben, die Schuld an ihnen allein liegt, weil sie sich ihrer Macht nicht bewußt geworden oder sie nicht richtig gebraucht, nicht bedacht haben, daß sie ihre Söhne zu künftigen Gatten zu erziehen haben.

Dann aber soll es anders sein. Kein Gesetz soll Frau und Mann mehr binden, nichts als ihr Wille, ihre Liebe und Freundschaft zueinander; kein Gesetz soll mehr die Liebe der Frau zur Pflicht herabwürdigen, sie zum [492] Eigentum des Mannes machen. Als Freie sollen sie sich geben, freiwillig; und wenn die Bedingungen zu einem harmonischen Zusammenleben nicht mehr vorhanden sind, sich freiwillig trennen, ohne daß sie gezwungen sind, mit ihren intimsten Angelegenheiten von Gerichtshof zu Gerichtshof zu laufen, sie vor den Augen indolenter Advokaten, Beamten und Richter auszubreiten und in endlosen Aktenbündeln breittreten, verschieben und verwirren zu lassen.

Sie allein sollen Richter sein über das, was zwischen ihnen ist, wovon keiner, außer ihnen, etwas versteht, am meisten da, wo es die Frau betrifft; denn niemals wird sie das letzte Wort ihrer geheimen Leiden Männern sagen, auch wenn sie hundertmal weiß, daß diese die Macht haben, mit ihrem kalten, starren Gesetz, das sie für sich gemacht haben, ihr Leben wie mit Keulenschlägen zu zerschmettern.

Vor allem soll die Frau die Freiheit haben, ihrem moralisch gesunkenen Manne, der für sie und die Kinder eine Gefahr ist, verlassen zu können, ohne daß der Strafrichter sie dafür verfolgen kann oder ihre ganze Existenz

dadurch in Frage gestellt wird.

Und noch eins möchte ich wünschen: die Frauen sollten in ihrem Verhältnis zum Manne nicht allein ein persönliches Glück suchen und sehen, sondern die Bedeutung desselben für das Leben überhaupt, für das Glück der Allgemeinheit erkennen, dann würden sie auch eine tiefe und wahre Befriedigung darin finden, ihr Dasein harmonisch ausklingen zu sehen.

Sich lieben, das ist ja doch die Hauptsache; wie vieles würde anders und besser im Leben sein, wenn man sich besser lieben würde![493]

Und frei muß die Liebe sein von allen sozialen Fesseln, von jedem Zwang, damit sie sich in ihrer ganzen Schönheit entwickelt, und das gibt, was sie allein nur geben kann – edle Menschen.


Bald nachdem Sacher-Masoch bei uns unsichtbar geworden war, erkrankte ich. Mein Körper war diesem Übermaß von Zerstreuungen und Vergnügungen nicht gewachsen und brach unter ihm zusammen.

Armand hatte Wort gehalten; er hatte mich »glücklich« gemacht – so, wie er das Glück verstand.

O, daß keiner was vom andern weiß! Dieses Fremdbleiben zwischen denen, die sich am nächsten sind. Die man am treuesten liebt, für die allein man lebt – fremd!

Und kommt doch einmal der Tag, an dem sie sich erkannt, dann ist's zu spät; sie sind andere Wege gegangen, von welchen es kein Zurück mehr gibt.

Zu spät! Glücklich die, welchen die starre, lähmende Grausamkeit dieses Wortes erspart geblieben. –


Lange suchte ich die Pein, die mir diese Lebensweise verursachte, vor Armand zu verbergen. Es hätte ihn zu unglücklich gemacht, ja, ich glaube, er würde geringer von mir gedacht haben, wenn er gesehen hätte, wie wenig Verständnis ich für Freuden habe, die für ihn selbst der eigentliche Zweck des Daseins waren.

Meine Krankheit setzte ihn in Schrecken.

Ich war wohl ernstlich krank, weil es so still um mich wurde – aber es war doch köstlich so dazuliegen, an nichts mehr zu denken, nicht mehr Toilette machen, nicht mehr[494] ins Theater gehen zu müssen, nur immer stilliegen, abgespannt bis zur völligen Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit für die mich umgebende Welt.

Ich wurde wieder gesund. Aus Freude darüber hätte Armand beinahe den Verstand verloren.

»Nun hab' ich dich wieder,« sagte er, mich wie ein Kind im Zimmer herumtragend, »du mein liebes Ich.«

Ja, sein »Ich« war ich und so blieb es alle Zeit. – Und das ist das Schöne bei solcher Liebe – sie hat mit keinem Rausch begonnen und keine Ernüchterung folgt ihr, sie sieht mit immer gleichen Augen und liebt mit immer gleicher Liebe in jungen wie in alten Tagen.


Anfangs schrieb Armand im »Figaro« nur über Deutschland, bald aber übergab man ihm die ganze auswärtige Politik.

»Der Armand ist wirklich neugierig,« sagte er lachend zu mir, als er es mir mitteilte, »wie sich der Saint-Cère aus der Affaire ziehen wird. Auswärtige Politik! Ich weiß kein Wort davon. Macht nichts, nur immer drauf los, was mich tröstet, ist que les autres ne savent pas plus que moi!«

Und es ging vortrefflich. Bald galt Saint-Cère als eine Autorität in auswärtigen Angelegenheiten.

Bei ihm bewahrheitete sich das Proverb: »Mit dem Amt kommt der Verstand.«

Übrigens war's kein schweres Amt. In Dingen, die das Ausland betrifft, sind die Franzosen leicht zufrieden zu stellen. Dazu hatte Saint-Cère noch das voraus vor seinen »Amtsbrüdern«, daß er zwei fremde Sprachen, deutsch und englisch, gründlich verstand, auch etwas spanisch, diese Sprachen in den betreffenden Ländern erlernt[495] hatte, die dortigen Zeitungen also im Original lesen konnte, was nur wenig Pariser Journalisten von sich sagen können. Er war immer ein sehr eifriger Zeitungsleser gewesen, das kam ihm jetzt zu statten: er fand sich leicht zurecht. Und wo er mit Worten nicht weiter konnte, da trat ein bedeutungsvolles Schweigen ein – und das war noch effektvoller als Worte es sein können.

Es kam oft vor, daß ein Minister über irgend etwas aus der Fremde eingehend unterrichtet sein wollte, dann ließ er Saint-Cère vom »Figaro« rufen – und erhielt die gewünschten Details.

Es war ganz natürlich, daß Armand, an den alle Welt glaubte, schließlich auch selbst an sich zu glauben anfing. Zuerst hatte er sich über die andern und sich selbst lustig gemacht – jetzt stand er gleichsam mit dem Hute in der Hand vor sich selbst.

Dasselbe erwartete er von seiner nächsten Umgebung.


In Paris überzeugt nichts so sehr als der Erfolg – und den hatte Armand für sich.

Er hatte in Paris eine Vergangenheit, die ihm in seinem raschen Emporsteigen hätte hinderlich sein können.

Die, die ihn von früher kannten, standen unten in der Menge und schauten voll Überraschung auf den glänzenden Vogel, der mit seinen mächtigen Flügeln so sicher emporstieg ... vielleicht bis an die Wolken ... und sie waren nicht dumm genug, ihn an seinem Fluge zu hindern ... kann man wissen? –

Andere, mit schärferem Blick, wußten sehr wohl, daß der schöne Vogel nur ein Papierdrache war, daß er zwar hoch steigen könne, aber doch sicher wie der zur Erde herunter[496] mußte. Diese saßen still in ihren Redaktionen und lugten nur von Zeit zu Zeit durchs Fenster, um den Faden nicht aus den Augen zu verlieren, der den Drachen an die Erde band. –


Armand, der früher so sehr nach einem Zusammenleben mit Sacher-Masoch gedrängt hatte, war jetzt froh, daß dieser ganz abgetan war. Meist um Mitschis willen. Mit eifersüchtiger Angst hatte er das Kind überwacht, so lange dessen Vater ins Haus kam. Ich konnte oft die geheime Qual auf seinem Gesicht beobachten, wenn Sacher-Masoch manchmal so tat, als ob er sich für sein Kind interessierte, und bemerken wie dasselbe Gesicht in stolzem Glück aufleuchtete, wenn Mitschi in Gegenwart seines Vaters sich in seiner gewohnten Art an ihn schmiegte, ihn mon vieux nannte, und wie immer voll kindlicher Zärtlichkeit mit ihm spielte, auf Sacher-Masoch aber mit neugierigen oder fremden Augen schaute.

Ganz ruhig und glücklich war aber Armand erst, als wir drei wieder allein waren.

Ich habe schon gesagt, mit welcher Sorgfalt Armand das Kind erzog, mit dem richtigen Maß von Strenge und Milde, und wie er ihn vor allem lehrte, stets wahr zu sein.

Und doch – gern hätte mein Herz verschwiegen, was ich jetzt sagen muß – war Armand selbst ein großer Lügner.

Er log nicht nur, wenn er damit einen Zweck verfolgte, er log wie ein Dichter dichtet, weil er muß; wie diesem die Verse, kamen ihm die Lügen – er mußte sich von ihnen befreien, ihnen Leben geben, es war seine Begabung, gleichsam sein Beruf.[497]

Wie ermüdend war es für mich, aus diesem Gewirr von Lügen, mit dem er alles umgab, die Wahrheit herauszufinden. Manchmal aber interessierte es mich auch, den vielverzweigten Wegen seiner Phantasie nachzugehen. Nur nach seinen Handlungen konnte ich auf die Wirklichkeit schließen.

Und immer triumphierte die Lüge. Es war, als ob er den Leuten suggerierte, was er sie glauben machen wollte, und nur dadurch wird es verständlich, daß die Dummen wie die Klugen, die einfachen wie raffinierten Geister, gleichmäßig unter seiner Macht standen. Viel lag auch in seiner bestrickenden Persönlichkeit, in seiner einfachen herzlichen Art, vielleicht auch in seiner immer offenen Hand, die Geschenke wie Lügen gleich verschwenderisch austeilte.

Nur Mitschi gegenüber, nur in Gegenwart des Kindes schwieg der Lügengeist in ihm; um keinen Preis würde er vor ihm etwas gesagt haben, das der Knabe gleich oder später als Lüge hätte erkennen müssen. –

Man wird mit Recht fragen, warum ich mich einem so verlogenen Menschen anvertraute? Und ich werde antworten: weil ich ihn liebte, so verlogen wie er war. Ich liebte ihn, weil er nur mit dem Geiste log, sein Herz aber wahr und treu war; weil er der erste und einzige blieb, der gut zu mir gewesen; weil all seine Lüge dahinschwand vor der einen heiligen Wahrheit, die seine große und reine Liebe zu mir war.


Nun schwammen wir ganz in den Wogen des Pariser Lebens.

Armand hatte in der Chaussée-d'Antin neben dem berühmten[498] Restaurant Paillard und gegenüber dem »Vaudeville« eine große Wohnung gemietet und sie sehr schön ausstatten lassen. Am schönsten mein Zimmer. Er hatte mich immer sein »Prinzesserl« genannt, und jetzt würde ich's wie eine wirkliche Prinzessin haben. Doch sollte die Wohnung nie ganz fertiggestellt werden, denn, sagt ein arabisches Sprichwort: »Wenn das Haus fertig ist, tritt der Tod herein.«

Als mich Armand an der Hand nahm und in mein Zimmer führte, sagte er:

»Das ist jetzt dein Nest, Wanderl, hier sollst du glücklich sein. Bei meiner toten Mutter schwör ich dir, daß dich hier nichts erreichen soll, kein Kummer, keine Sorgen, nichts als meine unendliche Liebe.«

Wie er zu lieben verstand!

Wohl stand ich mitten drin in den Wogen des Pariser Lebens, aber mit einer dumpfen Sehnsucht nach Ruhe, dem geheimen Wunsch im Herzen, eine Welle möchte mich unbemerkt ans Ufer tragen und mich dort für immer absetzen. –

Die Welle war schon unterwegs.

Wo es nur immer ging, entzog ich mich den abendlichen Vergnügungen. So kam es, daß Armand oft allein ausging. Viele Stunden verbrachte er in der Redaktion, oft war er auch bei seinem Chef Françis Magnard zum Diner geladen, auch sonst bei Bekannten. So sagte er mir. Vielleicht war es nicht ganz so. Aber es war jedenfalls eine gute Form für sein Ausbleiben – und ich forschte nicht weiter, ich hütete mich wohl, nach jener dunklen Seite hinzublicken, die es im Leben jedes Mannes gibt. –

Obgleich die Wände meines Zimmers mit Atlas bedeckt waren, und ich in einem Bett lag, das eine Anhäufung[499] von Spitzen, Stickereien und Seide war, floh mich doch der Schlaf. Da mich das nutzlose Liegen im Bett ermattete, stand ich oft auf, schlug einen Mantel um mich, setzte mich ans offene Fenster und lauschte auf das Leben, das da draußen wogte.

Ohne Licht im Dunkel sitzend, wurde mir mein Fenster zur einsamen stillen Insel mitten in dem brausenden Ozean des Lebens.

Um besser zu sehen, schloß ich die Augen. Da kamen die Gedanken und führten mich weg, zurück in die Vergangenheit mit ihrem toten Glück und ihrem immer lebendigen Leid; in stille abgelegene Täler, wo andere ernste Wanderer sich zu mir gesellten, die alle das Zeichen der Suchenden, der Fremden auf Erden an sich trugen, jener, die das Leben an das Kreuz geschlagen, und anderes tauchte wieder auf, das längst im Strom der Zeit hinabgewirbelt – das ganze sinnlose Spiel des Daseins.

Dann drang ein heller Schein durch meine geschlossenen Lider: ein wenig, ach wie wenig! von dem milden und doch so schmerzenden Licht der Erkenntnis.

In diesem Licht sah ich das Wunderbare, das ich an mir selbst erlebt.

So saß ich da in dunkler Nacht, in der Einsamkeit meines Zimmers und weinte all die Tränen, die ich am Tag nicht weinen durfte.

Dann bewegte es sich zu meinen Füßen; mein Hund richtete sich auf und schaute mich an. Leise fuhr er mit seiner Pfote über meine Hände, als wollte er sie streicheln, und legte seinen kleinen Kopf zärtlich zwischen meine Knie.

Oft habe ich in späteren Jahren, wenn ich in der Fremde lebte, ohne Freunde, ohne Schutz, ohne eine Menschenseele,[500] die sich um mich kümmerte, an den kleinen Hund gedacht, der mir ein so zärtlicher, so treuer Freund gewesen.


Nie habe ich das Elend der Großstadt so furchtbar erkannt, als wenn ich in solchen schlaflosen Nächten an meinem Fenster saß und in die Straße hinabsah – und nie habe ich die Kluft, die mich geistig von Armand trennte, so schmerzlich gefühlt, als wenn ich mit ihm darüber sprach.

»Tout ça, c'est de la blague,« sagte er dann und damit waren für ihn alle sozialen Fragen abgetan.

Sah er aber, daß mir der Jammer das Herz beklemmte, und ich sein Interesse dafür anregen wollte, wurde er ernst und sagte:

»Schau, Wanda, du mußt von einem Menschen nicht mehr verlangen als er geben kann. Ich hab' das nun einmal nicht und kein Mensch kann aus seiner Haut heraus. Du könntest ein Jahrhundert lang von Menschenliebe in mich hineinreden, ich werd' doch nur dich lieben. Die, die mir am nächsten sind, die liebe ich ... wenn nur jeder dasselbe täte, wie viel Unglück würde dadurch schon aus der Welt geschafft. Dein Unglück schneidet mir ins Herz ... Du bist meine Menschheit ... und daß ich dir nicht das alles geben kann, was ich dir geben möchte, das macht mich manchmal ganz rasend.«

Gegenüber von unserm Hause befand sich die »Wiener Bäckerei«.

Den ganzen Tag umstanden Hungernde den Laden und starrten mit gierigen Augen auf die dort ausgelegten Brote.

So starrte einst meine Mutter auf das Brot in dem Bäckerladen, das sie sich nicht mehr kaufen konnte.

[501] »C'est de la blague.«

Und wenn nach Mitternacht die Theater endeten und es still auf den Boulevards geworden war, dann krochen im Schatten der Häuser die, die die Scham am Tage zurückhielt, heran, kauerten sich an die Kellerfenster hin, aus denen der warme Geruch des Brotes kam, und atmeten ihn ein.

So stand meine Mutter nachts von Hunger getrieben auf und ging vor die Türe, um sich am Geruch frischen Brotes zu sättigen.

De la blague!

Zehn Franks gab mir Armand jede Woche Taschengeld und es war sehr viel, da ich alles im Überfluß hatte und nichts zu kaufen brauchte – und doch wie schmerzlich wenig war es im Verhältnis zu der Verwendung, die ich dafür hatte.

Die Straßen von Paris waren mir verleidet und ich ging kaum mehr aus.

Wie leben mit solcher Qual im Herzen?

Und leben, umgeben von Luxus, Überfluß und Verschwendung.

Manchmal empfand ich seine große Liebe zu mir wie einen Diebstahl an der Menschheit.


Gegen zwei Uhr morgens hielt Armands Wagen vor dem Hause.

Ich hörte wie die Treppe unter seinem schweren Tritt ächzte, wie er leise aufschloß, Pelz und Hut ablegte und ins Speisezimmer ging, wo stets ein kalter Imbiß für ihn bereit stand.

Der Hund, der des Herrn Schritt erkannt hatte, hob[502] den Kopf und sah mich an. Mußten wir hinausgehen, ihn begrüßen? Nein. Mit einigen ruhigen Schlägen seines Schweifes auf dem Teppich gab er mir sein Einverständnis zu erkennen, legte den Kopf wieder auf meine Füße und atmete kaum, um mich nicht zu stören.

Ehe Armand aß, ging er in Mitschis Zimmer, das neben dem seinen lag, küßte ihn wach, schlug eine Decke um ihn und trug ihn ins Speisezimmer. Darüber war auch Jules erwacht, der zu den Füßen seines Herrn schlief, und nun begann zwischen den dreien ein lustiges Essen, aber mit nur gedämpften Scherzen und Lachen, um Mutti nicht zu wecken, die jetzt gewiß tief schlief.


So ging der Winter hin. Immer mehr wurden mir die Pariser Zerstreuungen zur Qual. Immer traf ich da dieselben Personen, immer dieselben, ich kannte sie schon alle, sie und ihre Geschichte – denn da hatte jeder eine – wie ich die meine – mit ihrer falschen Freude und ihrem falschen Glück ... ihrem falschen Lächeln und ihren falschen Worten ... wie hatte ich sie satt! Wie verlangte es mich nach Menschen unter diesen Figuranten des Pariser Lebens.

Im Mai vorher war Armand für den »Figaro« nach Berlin gegangen. Da er mit seinem Korrespondenten, Herrn X ... dort nicht zusammenkommen wollte, um keinen Verdacht zu erregen, aber doch gern mit einem bedeutenden Journalisten bekannt geworden wäre, um allerorten Zutritt zu erhalten, riet ich ihm, Paul Lindau aufzusuchen, der, gleichsam als Hausjournalist der Bismarcks, ihm am meisten nützen könne und ihn auch, als vom »Figaro« kommend, gewiß kordial empfangen würde.[503]

Er folgte meinem Rat und schrieb mir von Berlin:

»Hier wurde ich mit offenen Armen und Türen empfangen. Ich habe Dir schon von Bergmann erzählt. Heute um 6 Uhr bin ich von Herbert Bismarck empfangen. Der Fürst hat einen Hexenschuß, aber ich habe trotzdem nicht jede Hoffnung verloren, ihn zu sehen.

Ich habe gestern bei Lindau soupiert mit Schweninger. Ein unglaublicher Kopf ... gemein ... grob aber genial, ein wissenschaftlicher Lenbach. Lindau sehr liebenswürdig; seine Frau in Ems. Vor dem Souper war ich in ›Rosmersholm‹, einer von den größten Eindrücken meines Lebens. Es muß übersetzt werden. Aber gespielt wie die Schweine!

Heute esse ich Mittag bei X ... (der Dame, die ihn mit seinem Korrespondenten bekannt gemacht), abends bin ich zu Herbette (dem französischen Gesandten) geladen und nach dem Essen gehe ich mit dessen Sohn in eine Première, ›Gewissenswurm‹ von Anzengruber im deutschen Theater.

Ich schicke heute meine Unterredung mit Herbert Bismarck fort. Ich bin wirklich ›Jemand‹, und du kannst ruhig sein – ich habe Sachen erfahren, die niemand erfahren hat. Du wirst es lesen. Ich habe den Kaiser gesehen, der begräbt sie alle.«

Zum Begräbnis des alten Kaisers ging er wieder nach Berlin.

Als ginge es auf eine lange und gefahrvolle Reise, so traurig und bewegt nahm er von mir Abschied. Fest schloß er mich in seine Arme, küßte mich immer wieder und wiederholte immer wieder:

»Leb wohl mein liebes, liebes Weib! Acht Tage ohne dich! ... es ist mir, als könnte ich es nicht überleben.«

Am 14. März war mein Geburtstag.[504]

Als ich am Morgen noch im Bett meinem Mädchen läutete, öffnete dieses die Tür und trat mit einem großen Korb voll weißem Flieder und herrlichen Rosen herein.

Zwischen den Blumen lag ein Brief Armands. Er kam aus dem Hotel »Kaiserhof« in Berlin und trug das Datum des 12. März. Er schrieb:


»Man sagt: weit von den Augen, weit vom Herzen. Es ist nicht wahr. Ich bin recht weit von dir, aber ich will doch, daß Du weißt, daß ich von Herzen mit Dir bin, und diese Blumen, als erster Morgengruß, sollen dir meine ganze Liebe bringen und alle Wünsche, die ich für dein Glück habe. Du weißt, daß Du mein Alles auf der Welt bist und so lange ich lebe, lebe ich für Dich. Sei gesund und laß mich Dich glücklich machen.

Und mit Millionen Küssen von weitem glaube an

Deinen Armand.«


Zwei Tage nach diesem Brief kam Armand wieder in Paris an.

Er war nicht mehr derselbe.

Kalt begrüßte er mich und sprach kaum zu mir. Nie hatte ich ihn so gesehen.

Ich wollte ruhig bleiben und sagte mir: morgen wird sich's aufklären – schlief aber diese Nacht noch weniger als sonst.

Es klärte sich nicht auf.

Wir lebten nun wie Fremde nebeneinander; jedes in seinem Zimmer; hatten wir uns etwas zu sagen, geschah es durch die Dienstboten.

Und zwischen uns stand Mitschi stumm mit großen erstaunten Augen, angstvoll auf das Unfaßbare blickend.

Was war es?

Die Frühjahrssonne kam zu mir, aber sie brachte[505] mir keine Wärme und keine ihrer Strahlen drang in das Dunkel meiner Seele. Mit ahnungsvollem Grauen erwartete ich das Einstürzen des Zauberpalastes, den seine Liebe um uns gebaut.

Noch steht er still ... aber ich zittre und harre ... denn ich weiß, daß er einstürzen muß... und wir alle unter seinen Trümmern zerschmettert liegen werden.

Da trat er bei mir ein.

Wie sah er aus!

Den scheuen Blick verhehlten Schmerzes von mir abgewendet, wankte er an den Kamin, dort Halt suchend.

Aus Mitleid sehe ich ihn nicht an.

Ich wollte aufstehen, zu ihm gehen, ihm die Hand auf den Mund legen und und ihm sagen: »Sprich nicht, tu's nicht ... aus Barmherzigkeit für uns alle ... Du begehst ein Verbrechen ... einen Selbstmord an deinem Besten ... an dem einzigen was dich so hoch über andere gestellt ...« Aber ich war keiner Bewegung, keines Wortes fähig ... gelähmt vor Schreck und Angst wartete ich, wie der Verurteilte wartet unter dem Beil des Henkers.

Dann sprach er.

Aber das war auch nicht mehr seine Stimme ... nicht mehr die tiefe warme Stimme, die ich so sehr geliebt, die stets wie ein voller, schöner Glockenton in mein Herz geklungen, die mit dem sanften, treuen Blick seiner Augen sein Reichtum und mein Glück gewesen.

Es war ja gleichgültig, was er sagte.

Es war etwas von alten Schulden, die ihm auf den Rücken gefallen ... von einer Änderung seiner Laufbahn ... von Vorschlägen, die ihm Minister gemacht, die diplomatische Karriere zu ergreifen ... von einer Stellung in den Kolonien ...[506]

Lügen!

Ich war wieder ruhig geworden. Während er sprach, hatte ich nach dem Faden gesucht, der mich aus diesem Labyrinth von Lüge auf den Weg der Wahrheit führen sollte, ihn aber nicht gefunden.

Als er schwieg und Antwort von mir erwartete, sagte ich, auf den Spiegel zeigend, vor dem er stand:

»Sieh dich doch an, Armand. So sieht kein Mann aus, der die Wahrheit spricht. – Aber da du es wünschst, werde ich alles, was du gesagt, glauben. – Was soll nun geschehen?«

Es kamen die verworrensten Pläne.

Lügen!

»Wie es auch sein wird – was du auch beschließest – ich nehme es an. Du kannst uns aus deinem Leben streichen – aus deinem Herzen nie.«

Er weinte.

Diese Tränen waren keine Lüge.


Es gibt Stunden, die Jahrhunderte an tief einschneidender Erkenntnis in sich schließen – die, denen das Schicksal solche Stunden bringt, sollten sich nicht beklagen – im Leid nur reift die Seele.

Armand wollte sich von uns befreien – sein Leben anders gestalten – neue Pläne lockten ihn.

Nicht glücklich sein will die wahre Liebe, aber glücklich machen.

So hatte er mich geliebt, und so wollte ich ihn lieben. –

Diesem schmerzensreichen Tag folgte eine schwere Nacht. Sie ging vorbei, wie ja alles im Leben vorbei geht, das[507] Beste, wie das Schlimmste. – Als ich aber am Morgen vor meinen Spiegel trat, lag weißer Reif auf meinem Haar.


Es wurde ganz schweigsam um mich, als läge irgendwo eine Leiche; stumm schlichen die Dienstboten umher, und wenn sie sprachen, taten sie es flüsternd; Mitschi wagte sich nicht aus seinem Zimmer, und ein Leichengeruch zog durch das Haus.

Es dämmerte. Wie gewöhnlich saß ich am Fenster, müde vom Denken, mit stumpfen Sinnen dem sinkenden Tag folgend. Da ging ein leises Rauschen durch das Zimmer, ein flüchtiges Bewegen; wie ein Hauch schwebte es durch die Luft, wie der letzte ersterbende Seufzer eines verscheidenden Kindes.

Ich sprang auf und streckte die Arme verlangend nach den Geistern aus, von denen ich mich umgeben glaubte.

Da sah ich, was es war.

Dort in der Ecke, von den schweren Gardinen fast verborgen, stand noch der Blumenkorb von meinem Geburtstag her; von den verwelkten Rosen lösten sich die toten Blätter und flatterten leise zu Boden.

Es waren die letzten Blumen, die Armand mir gegeben. Nun waren sie abgestorben und tot, wie die schönen Gedanken und Gefühle, deren Botinnen sie gewesen. Ich hob einige der verblaßten Blätter vom Teppich auf, legte sie in den Brief, der sie, als sie frisch und duftend waren, bei mir eingeführt.

Vorbei!
[508]

In der zweiten Hälfte des April reiste ich mit dem Kinde nach der Schweiz.

Ich stand zwischen meinen gepackten Koffern, im stillen Abschied nehmend von allem, was ich hier zurückließ.

Da fuhr der Wagen vor. Die Leute trugen das Gepäck hinunter, es war nicht viel; wir folgten.

Armand hatte mich verstanden und mir das Abschiednehmen unter vier Augen erspart; ich war ihm dafür dankbar.

Der Wagen, der uns an die Bahn bringen sollte, war einer jener kleinen eleganten Omnibusse, wie sie die großen Kompanien für die Fremden zu den Fahrten von und nach den Bahnhöfen bereit halten.

Alles war in Ordnung, und wir stiegen ein.

Und jetzt kam es wieder zu einem jener unerklärlichen Vorgänge, die schon einige Male wie ein Lichtstrahl aus einer unsichtbaren Welt in mein Leben gefallen.

Es war sechs Uhr, die Zeit, in der an jener Stelle des Boulevard der Verkehr am lebhaftesten ist. Ein schöner Frühlingstag war im Verscheiden; auf den oberen Stockwerken der Häuser lagen noch die letzten Sonnenstrahlen.

Der Concierge hatte die Wagentüre geschlossen und stand, die Mütze in der Hand, am Trottoir, die Abfahrt erwartend. Der Kutscher hatte noch einmal das Sattelzeug untersucht, war dann auf den Bock gesprungen, hatte die Zügel erfaßt, schwang die Peitsche leicht über die Köpfe der Pferde, sie mit dem gewohnten Zuruf zum Gehen auffordernd.

Sie gingen nicht.[509]

Die Aufforderung mit Zügel, Peitsche und Zuruf wurde etwas kräftiger wiederholt.

Die Pferde rührten sich nicht.

Erneutes Antreiben des Kutschers.

Keine Muskel zuckte an ihnen. Sie standen wie aus Stein, als wären sie eins geworden mit der Erde, aus ihr herausgewachsen mit strammem Körper, hocherhobenen Köpfen und gesträubten Mähnen.

Der Concierge trat an sie heran, nahm sie am Halfter, klopfte ihnen auf die Schulter und suchte sie mit Zureden von der Stelle zu bringen.

Vergebens.

Jetzt schlug der Kutscher zornig auf sie ein und riß heftig an den Zügeln – die Pferde aber standen so unbeweglich wie früher.

Menschen hatten sich angesammelt, die Geschäftsleute traten aus ihren Läden, die Kellner von Paillard reckten die Hälse neugierig, die Kutscher von der Fiakerstation vor dem »Vaudeville« waren herangekommen und besahen mit ernsten Mienen die Pferde; immer mehr Neugierige kamen vom Boulevard her ... es war beinahe ein Auflauf.

Ich bemerkte, wie die Umstehenden erst die Pferde betrachteten, dann nach uns in den Wagen blickten, als suchten sie einen Zusammenhang zwischen dem Widerstand jener und uns.

Zwei Fiakerkutscher nahmen jeder eins der Pferde am Zaum und suchten sie mit äußerster Gewalt vom Platze zu bringen, während unser Kutscher in wilder Wut auf sie einhieb.

Aber weder Zerren noch Schläge brachte Leben in die erstarrten Tiere.[510]

Groß blickte ich auf Armand. Schreckensbleich saß er in der Ecke, mit zitternden Lippen und zitternden Händen.

»Die Pferde wollen dir dein Glück nicht entführen,« sagte ich. Es klang wie Hohn und war doch Wahrheit.

Etwas Triumphierendes, Siegreiches hob mir die Seele weit hinaus über allen Erdenjammer und menschliche Armseligkeit.

Wie fremd war er mir in diesem Augenblick, ganz losgetrennt von mir. –

Ein alter Mann mit weißen Haaren stand an der Wagentür und sagte durch das herabgelassene Fenster:

»Steigen Sie aus ... die Pferde werden dann gehen.«

Wir stiegen aus ... und die Pferde liefen den Boulevard hinunter. Wir folgten. Gegenüber dem Crédit Lyonnais, mitten in dem Wagengewirr, fuhr der Kutscher, der uns nicht aus den Augen verloren, an das Trottoir heran; wir stiegen rasch ein, und die Fahrt ging anstandslos weiter.


Ich war nach Lausanne gegangen und wohnte dort im Hotel »Bellevue«.

Im Anschauen der blauen Pracht, die sich vor mir ausbreitete, fand das noch allzu begehrliche Herz wieder Ruhe. Auch mußte ich mich ans Arbeiten machen, um für mich und das Kind Existenzmittel zu schaffen, und in der Arbeit fand ich die wohltuendste Ablenkung von meinem Leid.

Täglich kam ein Brief aus Paris. Aus diesen Briefen erfuhr ich, daß der Krieg mit Deutschland vor der Tür stehe, daß ich in Lausanne nicht mehr sicher sei und nach[511] Pau gehen solle, wo ich vielleicht von dem Kriegslärm verschont bleiben könnte. – Armand war einige Tage in Straßburg gewesen und schrieb, er habe dort so starke Dinge erfahren, daß er mit Goblet (Minister des Auswärtigen) über eine Stunde darüber verhandelt und dieser ihn um Gotteswillen gebeten habe, jetzt noch zu schweigen, daß er es vorläufig versprochen habe, aber zwischen dem 15. und 20. werde er doch die »Bombe« loslassen.

So lag das Schicksal Frankreichs und Deutschlands in den Händen Jaques Saint-Cères.

Damals glaubte ich, über solchen Größenwahn lächeln zu dürfen. Ich hatte Unrecht. Erst nach seinem »Sturz«, erst aus den Fußtritten, die man dem toten Esel versetzt, erfuhr ich, wie ernst er von den leitenden Politikern und Staatsmännern jener Zeit genommen worden war, und an welchen schwachen Fäden die Geschicke von Völkern hängen. –

Aus diesem Größenwahn heraus begann ich nach und nach den wahren Grund seiner Trennung von mir zu begreifen: seine Erfolge waren ihm zu Kopf gestiegen, er wollte in Paris eine Rolle spielen, spielte sie schon – und dazu war ich nicht die richtige Frau ... je ne faisais pas son affaire.

Da ich einmal dabei war, darüber zu grübeln, erkannte ich noch mehr.

Indem er sich von mir befreite, war ich selbst frei geworden. Nicht ganz frei, denn das kann nur der sein, der sein Herz vor Liebe und sein Gewissen vor Pflichten bewahrt hat; aber frei von jenem Zwang, den die Stellung und der Geschmack des Mannes der Frau auferlegt.

Ich schätzte diese Freiheit um so höher, als ich jetzt meinen Sohn so erziehen konnte, wie es mir im Sinne lag:[512] einfach und wahr, ohne den falschen Glanz des Pariser Lebens. –


Ich saß am frühen Morgen noch allein auf der Terrasse des Hotels, meine Zeitungen lesend, als mir eine Notiz unter die Augen kam, die von dem »neuesten Berliner Skandal« berichtete, daß Frau Paul Lindau ihren Mann verlassen habe, um Jaques Saint-Cère, einem Redakteur des »Figaro«, nach Paris zu folgen.

Denselben Abend reiste ich nach Paris.

Warum? Was ich dort eigentlich wollte? Ich wußte es in diesem Augenblick nicht. Wie ein vom Sturm gepeitschtes Blatt folgte ich dem Aufruhr im meinem Innern, ohne zu denken, ohne zu überlegen.

Die lange nächtliche einsame Fahrt brachte mir Ruhe und Klarheit.

Es war eine traumhaft schöne Mondnacht, ich habe eine schönere nie gesehen. Groß und voll stand der Mond unter dem blauen Sternenhimmel; noch lag es wie ein rosiger Hauch der untergegangenen Sonne auf den höchsten Alpenspitzen, während die Welt unten im bleichen Zauber des Mondlichts wie ein schöner Leichnam still und unbeweglich dalag.

Ich schaute auf zu den kleinen flackernden Funken, die Millionen ewig rollende Sonnen sind, und ich dachte an die Unermeßlichkeit des Alls, wie unsere Erde nur ein winziges Sandkorn in dem Weltenraum mit den sich immer bewegenden Gestirnen ist; wie uns Ewigkeiten scheinen, was in der Unendlichkeit kaum Augenblicke sind; wie wir in der unfaßbaren Größe kaum die Bedeutung eines Staubkörnchens haben, das eine Sekunde lang in einem Lichtstrahl[513] sichtbar wird, um dann für immer zu verschwinden. –

Bei solchen Betrachtungen versinkt das Leben mit seinen Erinnerungen und Erwartungen – da stellt man keine Fragen mehr, beugt nur das Haupt vor dem Unabänderlichen.

Unser Erdendasein, das Sehnen und Ringen nach Glück, der ermüdende und nie endende Kampf mit dem Leben – Nichts. Unsere Einsicht, unser vermeintliches Erkennen – Nichts.

Ein Staubkörnchen mit dem Ewigkeitstraum!

Gedanken, wie diese, können ein rebellisches Herz wohl zum Schweigen bringen. Klar und hell wird es in uns nach solchen Stunden – aber auch kalt.

Das Beste wollen und nach Kraft ringen, um es durchzuführen ... sich ergeben ... und vergeben.

Mit ganz anderen Vorsätzen, als ich am Abend von Lausanne abgereist war, kam ich am Morgen in Paris an.

Hatte ich überwunden? Nach außen, ja – in allen meinen Handlungen.

Hinter jedem Licht ist Dunkel, und jedem Tage folgt die Nacht.


Ich lebte jetzt ganz einsam; meine Arbeiten und die Erziehung des Kindes füllten all meine Zeit aus.

Von Armand hörte ich nur, was von ihm und über ihn in den Blättern stand.

Daraus ersah ich, daß er die Frau gefunden hatte, die er brauchte, daß er mehr als je gegen Deutschland schrieb und besser als je von den dortigen Vorgängen[514] und Personen unterrichtet war – und daß all das, was er schrieb, etwas nach der Hintertreppe schmeckte.

Daß er ein großes Haus machte, in seinem eigenen Wagen fuhr, und für eine der einflußreichsten und mächtigsten Personen in Paris galt, war selbstverständlich. Daß die Minister ihn nicht mehr rufen ließen, wenn sie ihn brauchten, sondern zu ihm gingen, und noch froh waren, wenn er Zeit für sie übrig hatte, daß er sie »cher ami« nannte, und sie ihm sehr dankbar waren, wenn er ihnen Winke für das, was sie tun sollten, gab. –

Niemals habe ich besser verstanden, welche Macht Armand auf die Geister hatte, als da mich eines Tages der Zufall mit dem damaligen Korrespondenten der »Frankfurter Zeitung« in Paris, Dr. Paul Goldmann, zusammenführte. In jener Zeit war der Chefredakteur des »Figaro«, Francis Magnard, schwer erkrankt.

Dr. Goldmann brachte die Rede darauf, und sagte bei dieser Gelegenheit, daß kein anderer als Saint-Cère, falls Magnard sterben sollte, an dessen Stelle treten würde.

Ich mußte dabei wohl etwas ungläubig ausgesehen haben, denn der so sanfte, so liebenswürdige und so liebenswerte Dr. Goldmann wurde etwas ärgerlich über mich und ließ mich fühlen, daß ich in meinem Urteil möglicherweise befangen war, er aber den erfahrenen Blick des Journalisten habe.

So hatte der Hexenmeister auch ihn behext.


Kann es ein interessanteres und schöneres Schauspiel geben, als das Aufwachen einer jungen Seele zu beobachten und mitzuerleben, sie mit dem eigenen Wissen vorsichtig stützend und haltend den Weg nach oben zu[515] geleiten, wo Freiheit und Wahrheit wohnt; sie ängstlich von dem Schlamm der Vorurteile, die uns denselben Weg so schwer gemacht, die unser eigenes junges Leben getrübt, rein zu erhalten; das ungewohnte Auge nach und nach an das Licht zu gewöhnen, damit es auf den Höhen nicht geblendet den rechten Pfad verliere; die Liebe in das junge Herz pflanzen, damit sie seine Religion werde, sein Glaube und seine Hoffnung; ihm die in selbstgeschmiedeten Ketten schmachtende Menschheit zeigen, und ihm sagen: »Hilf sie befreien, so weit deine Kraft reicht, es sind deine Brüder.«

Das ist ein schönes und interessantes Schauspiel für jeden Erzieher, für die Mutter aber ist es ein tiefes und ernstes Glück.

Während ich das dem Kinde gab, erkannte ich erst, wie reich das Leben mich gemacht; einst hatte ich ihn mit meinem Blute genährt, jetzt gab ich ihm das Beste aus meiner Seele.

Meine Welt war tiefer, mein Himmel weiter geworden und neue helle Sterne leuchteten droben. –


Jahre gingen hin. Ich war über die Mittagshöhe des Lebens gekommen, ohne es eigentlich so recht bemerkt zu haben.

Bergab geht man leichter; im Herzen ist es still geworden, man hat Werte umgewertet, Hoffnungen, Wünsche und Pläne als unnötigen Ballast über Bord geworfen; und wo uns Schmerz und Leid noch naht, tragen wir sie mit dem Egoismus des Alters leichter, oder schieben sie mit sanfter Hand ganz von uns, den Blick[516] nur noch aufs nahe Ziel der Wanderschaft gerichtet, die Seele voll von Ewigkeitsahnungen.

Das Alter – die letzten Lebensjahre – es ist eine weihevolle Zeit. Wir wissen nichts und ahnen doch so vieles ... jetzt können wir uns nicht mehr um des Tages Mühen kümmern ... jetzt heißt's die Seele frei und rein halten von allem Niedrigen, damit sie bereit sei, wenn der Ruf erschallt.

Ich arbeite vom Morgen bis zum Abend, und ich habe Nahrungssorgen. Es gibt wieder viele Tage im Monat, an denen ich mich nicht satt esse – aber noch kann ich Mitschi alles geben, was er braucht, und sogar vieles, das ihm Freude macht. So ahnt er nichts von Not im Hause, und seine Jugend ist eine glückliche.


Wenn die Frucht reif ist, fällt fie ab.

Das Kartenhaus von Armands Glück war eingestürzt.

Es war die Affäre Lebaudy, die ihm den Todesstoß gab.

Wie ein Donnerschlag traf die Nachricht Paris, daß Jaques Saint-Cère verhaftet worden.

Ich stand den Geschehnissen ganz fern und kannte ihren inneren Zusammenhang nicht; erst als kurz nachher Abel Hermant Saint-Cère zum Helden eines Dramas machte, und Maurice Talmayrs geistreiches Buch »Souvenirs de Journalisme« erschienen war, erkannte ich, von wie hoch der Unglückliche abgestürzt war, bekam ich den wahren Einblick in jenes verwegene, innerlich ganz hohle, von der rasenden Gier nach Geld, Genuß, Macht und Ansehen gehetzte Dasein, das in sich selbst alle Bedingungen zu schmachvollem Untergange trug.

Die treffende Schilderung Talmayrs zeigt den »rätselhaften,«[517] beinahe »mystischen« Saint-Cère, von dem unzählige unkontrollierbare »Geschichten«, die die Neugierde der Pariser in Atem hielt, im Umlauf waren; wie er hoch oben auf dem Seile tanzt und geschickt die Balancierstange handhabt, während unten das nach Sensation gierige Tout Paris mit atemloser Spannung allen seinen Bewegungen folgt. Die Aufregung, der Genuß des Schauspiels ist um so größer, als der Mann da oben einer aus ihrer Mitte ist, einer dem man noch soeben erst warm die Hand gedrückt, an dessen reichbesetztem Tisch man sich noch gestern mit den auserlesensten Speisen vollgestopft hat. Und man weiß, daß er fallen muß, denn man weiß, daß das Seil durchschnitten ist – daß es keine Rettung für ihn gibt. – –

Dann fiel er.

Befriedigt ging die elegante Menge auseinander.

Der Mann war abgetan – aber der »Fall Saint-Cère« bildete noch Wochen nachher ein anregendes Gesprächsthema auf den Boulevards.


Es fiel ein feiner Staubregen, und die feucht-schwüle Luft war schwer zu atmen, als ich hinauswanderte nach einer abgelegenen Avenue, deren Namen ich vergessen habe, um Armand das letzte Lebewohl zu sagen.

Er hatte seinen Sturz nicht lange überlebt. Eine sehr kurz gehaltene Notiz in den Blättern hatte mir seinen Tod angezeigt.

Der schon bereitstehende Leichenwagen zeigte mir das Haus, dessen Nummer ich nicht kannte.

Es waren einige Leute da, vielleicht fünfzehn oder[518] zwanzig; mehr gewiß nicht. Sie standen in zwei Reihen vor dem Tor. Ich blieb abseits.

Jetzt kam Bewegung unter sie. Die Träger traten mit dem Sarge aus dem Hause. Zwei Frauen in Trauer folgten.

Plötzlich stellten die Leute ihre Last zur Erde und eilten wieder ins Haus, gefolgt von den Frauen.

Es mußte etwas vergessen worden sein. Man sah sich überrascht an und flüsterte.

Ich benützte diesen Moment der Verwirrung, trat dicht an den Sarg heran und nahm von dem Darinliegenden Abschied.

Ich sah nicht mehr den Sarg, sah ihn selbst, sein bleiches Gesicht mit den dunklen Augen, die mich ansahen, wie sie mich immer angesehen hatten, weich und warm. Ruhigen Herzens, ohne Schmerz und ohne Betrübnis; mit der einfachen Wahrhaftigkeit des Gefühls, das uns einst verbunden, sagte ich ihm Lebewohl und Dank für alle Liebe.

Es kam wieder Ordnung in die Zeremonie. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung, und langsam glitt er die Avenue hinunter und verschwand in dem feinen weißen Nebel, der sich auf ihn heruntersenkte. – –


Meine Geschichte ist zu Ende.[519]

Quelle:
Sacher-Masoch, Wanda von: Meine Lebensbeichte. Memoiren, Berlin und Leipzig 1906, S. 5-395,397-520.
Erstdruck: Berlin und Leipzig (Schuster und Loeffler) 1906.
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