Eilftes Kapitel

[197] Es schien fast, als ob das Unangenehmste für mich vorteilhaft werden solle; selbst die Französische Revolution, die um diese Zeit sich immer weiter entwickelte, mußte mir es werden. Es wohnte nämlich bei meinem Gönner, dem Kaufmanne, der Vicomte de Serrang, einer von den Emigranten, von denen damals Aachen wimmelte. Durch die Empfehlung des Kaufmanns war ich so glücklich, bei dem Herrn Grafen einen Dienst zu bekommen, der mir außer freier Kost und andern schätzbaren Emolumenten monatlich drei Karolin eintrug, die ich ganz zurücklegen konnte.

Ich hatte einen außerordentlich guten, braven Herrn erhalten, welcher mich mit ungemeiner Güte behandelte, weshalb ich mir wünschte, ewig bei ihm bleiben zu können.

Schon am 13. Juni (1792) fingen die Emigranten an, Aachen zu verlassen und nach Koblenz zu reisen, wo sich gegen dreißigtausend Emigranten täglich in den Waffen übten und, wie es hieß, ehestens aufbrechen sollten. Niemals konnte man vielleicht mit mehrerer Gewißheit von einem Monate sagen, daß er die Vorbereitungszeit zu großen Auftritten sei, als von dem Juni dieses Jahres. Indem die österreichischen und preußischen Heere gegen die Franzosen heranzogen, ward es in Paris immer stürmischer. Die Armee des Marschalls Luckner war von Ryssel gegen Cortryk gezogen, hatte daselbst ein Detachement von achthundert Österreichern überwältigt, sich von Menin, Ypern und Furnes Meister gemacht und zog[197] gegen Gent, indessen ein starkes Korps Österreicher heranrückte, um eine Schlacht zu wagen.

Am 18. Juni hatten die Wahlbotschafter zu Frankfurt am Main die erste feierliche Zusammenkunft gehabt. Die Kaiserwahl war auf den 4. Julius und die Krönung auf den 14. bestimmt, zu welcher mein Herr gleichfalls am 8. Juli inkognito mit mir abreisete. Am 11. abends nach sechs Uhr trafen wir, eine Stunde später als der neuerwählte Kaiser mit seiner Gemahlin und dem Erzherzoge Joseph, zu Frankfurt ein. Am folgenden Tage wurde der Kaiser feierlich bewillkommt und beschwor darauf in dem kaiserlichen Wahl- und Krönungs-Stifte zum heiligen Bartholomäus die Wahlkapitulation. Sodann erfolgte am 14. die Krönung nach allen in der Goldenen Bulle vorgeschriebenen Feierlichkeiten und mit der erhabensten Pracht der Kurfürsten und der dazugehörigen hohen Personen. Die drei geistlichen Kurfürsten waren selbst gegenwärtig, die andern hatten ihre Wahlbotschafter gesandt, welche miteinander wetteiferten, den feierlichen Tag zu verherrlichen, während das Jubelgeschrei des versammelten Volks das Trompeten- und Paukengetön auf dem Zuge zur Krönung und von derselben zurück übertönten. Die Krönung geschah nach der gewöhnlichen zeremoniellen Weise und war nach ein Uhr vollendet, worauf die andern üblichen Formalitäten und Feierlichkeiten folgten.

Bemerkenswert ist es, daß Deutschland an eben dem Tage, am 14. Juli, sein Oberhaupt krönte, an welchem Frankreich vor drei Jahren seinen König entthronte.

Der Kaiser blieb noch bis zum 19. Juli in Frankfurt, wo von vielen Orten Fürsten und die vornehmsten Personen des Reichs sich eingefunden hatten, und reisete von da nach Mainz, zur Unterredung mit dem auf dem Wege nach Koblenz daselbst eintreffenden Könige von Preußen, Friedrich Wilhelm dem Zweiten. Mein Herr reisete mit mir auch dahin und wohnte abends der großen Cour-Assemblée und Tafel auf der Favorite, dem großen kurfürstlichen[198] Garten, bei Mainz bei, wo sich Tausende von Zuschauern eingefunden hatten, die sich immer stärker vermehrten, weshalb doppelte Wachen gestellt wurden, um niemanden mehr einzulassen. Nachdem mir mehrere Versuche, Einlaß zu erhalten, gemißglückt waren, bediente ich mich einer List, sprang auf einen ankommenden Staatswagen, auf welchem kein Bedienter stand, wickelte mich in meinen Mantel und kam so nicht nur ohne Anstoß hinein, sondern hatte obendrein das Vergnügen, mir von der Herrschaft, die ich aus dem Wagen hob, einen freundlichen Dank zu verdienen.

Ich erstaunte nicht wenig über die Menge von Herrschaften und Zuschauern, besonders aber über die große, mitten im Garten stehende, reich servierte Tafel, um welche an den Bäumen ein mit Gold und Silber garnierter Vorhang angebracht war. Als zur Tafel geblasen war und die Monarchen und Herrschaften Platz genommen hatten, war es den Zuschauern erlaubt, hungernd um die Tafel herumzugehen, bei welcher Gelegenheit ich unter andern auch den General Custine erblickte, der sich, vielleicht unter fremdem Namen, Zutritt zu verschaffen gewußt hatte, um zu erlauschen, welchen Kriegsoperationsplan die Monarchen vorhätten, die sich's hier bis um Mitternacht wohl sein und nicht träumen ließen, daß sie hier den Grund zu vieljährigem Unheil gelegt haben könnten. – Zur Feier dieser Zusammenkunft spielten die Wasserkünste im Garten; die Schiffe auf dem Rheine waren illuminiert und wurden zuletzt verbrannt; auch wurde zum Schluß ein großes Feuerwerk gegeben, bei dessen Anblick ich dachte: wozu hilft nun wohl all diese verschwenderische Pracht? ein so vorübergehendes Vergnügen? – es ist ja doch alles eitel! Um seine Gegenwart bemerklich zu machen, hatte Custine sei nen Namen in das Tafeltuch geschnitten.[199]

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 197-200.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der deutsche Gil Blas
Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers