Der Anstand.

[69] Die Summe alles dessen, was sich auf eine Herauskehrung der richtigen äußeren Formen bezieht, Anmut in Haltung, Geberde, Mienen, die Art der Sprache, die Bekleidung des Körpers, alles dieses nennt man Anstand. Er ist eine durch Erziehung und Bildung geförderte Fertigkeit zur Vermeidung alles dessen, was den inneren und äußeren Sinn beleidigt. Wir sehen bei Betrachtung dessen, daß der gebildete Geschmack der wahre und ständige Urquell des wahren Anstandes ist.

Anmut im Äußeren, Grazie der Bewegungen, überhaupt unsere ganze äußerliche Persönlichkeit werden auf den ersten Blick hin bemerkbar, noch ehe wir Anlaß und Gelegenheit hatten, sie mit anderen Seiten unseres Ichs bekannt zu machen. Und wenn es wahr ist, daß in einem schönen Leibe eine schöne Seele wohnt, und eine solche wieder auch in ihren geistigen Regungen gefällige, heitere und edle Eindrücke wachruft, so wird es auch berechtigt sein, zu allernächst Haltung, Stellung, Geberde in Betracht zu ziehen, sobald wir uns mit den Regeln des Wohlanstandes beschäftigen wollen.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 69.
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