Die Grundstellung.

[69] Die Grundstellung besteht darin, daß der Körper vom Kopf bis zu den Füßen eine gerade Richtung aufweist.

Die Füße müssen geschlossen, d.h. die Fersen einander genähert und die Fußspitzen schräg nach beiden Außenseiten[69] gewendet sein und soweit voneinander entfernt stehen, daß der Raum dazwischen die Länge eines Fußes beträgt. Die Füße dürfen nicht mehr auf den Zehen als auf den Fersen ruhen, sondern müssen den Boden mit ihren ganzen Flächen berühren, damit der Körper Festigkeit erhält.

Die Kniee dürfen nicht nach innen, sondern müssen auswärts gewendet sein und die seitliche Richtung nach den Fußspitzen nehmen.

Die Beine müssen gestreckt sein, die Kniekehlen dürfen einander nicht berühren.

Der Leib darf nicht zu weit vorgestreckt, auch nicht zu sehr eingezogen werden.

Die Taille soll zusammengezogen werden, wodurch der Oberkörper sich aufrichtet.

Die Schultern dürfen weder nach vorn, noch in die Höhe gezogen, noch heruntergepreßt werden. Sie müssen auch gleich hoch, leicht nach hinten gezogen und ungezwungen stehen.

Die Arme dürfen nicht im Ellenbogengelenke hoch aufgezogen auch nicht straff ausgestreckt sein, noch lahm hängen, nicht fest am Körper angepreßt sein oder zu weit abstehen, sondern leicht und bequem an beiden Seiten des Körpers herunterhängen.

Die Hände dürfen nicht lang ausgestreckt, auch nicht mit eingeschlagenem oder ausgestrecktem Daumen zur Faust geballt werden, sondern die geschlossene Hand muß nach aufwärts gezogen und der Daumen am Mittel- und Zeigefinger sich anlegen.

Das Handgelenk muß abwärts hängen, damit die Finger den Beinen zugewendet sind, die äußere Hand aber nach außen sieht.

Die Brust muß nach vorn gedrängt und gewölbt sein, sowie dies dem freien, kräftigen Atmen entspricht.

Der Hals darf nicht lang ausgestreckt werden. Seine Stellung sei eine leichte und ungezwungene.

Der Kopf darf nicht nach einer Seite, auch nicht vorn oder hinten überneigen.[70]

Der Mund darf nicht offenstehen. Die Lippen sollen nicht aufeinander gepreßt oder aufgeworfen werden, weder Ober- noch Unterlippe in den Mund gezogen, sondern leicht aufeinander gelegt und geschlossen sein. Der Blick soll heiter und freundlich sein.

Für die Stellung und Körperhaltung des Stehenden kommen die verschiedensten Umstände und Beziehungen zu seiner Umgebung in Betracht. Was hierin anständig ist dem vertrauten Freunde gegenüber, paßt nicht im Verkehr mit Damen, gleichen und ungleichen Standes. Überhaupt werden Standesverschiedenheiten unser Verhalten inbezug auf Haltung sehr beeinflussen.

Den Kopf gedankenlos hin und her zu werfen, den Oberkörper hin und her zu wiegen, zu dehnen, zu recken, ist Unsitte. Sich anzulehnen oder aufzustützen wird sich auch nicht immer gut ausnehmen, noch erlaubt sein. Wer sich umdreht, soll dies bedachtsam tun, ohne Wildheit.

Es wäre ferner im allgemeinen unstatthaft, die Arme auf der Brust zu verschränken, oder auf dem Rücken zu kreuzen, oder sehr heftig und ungestüm damit zu gestikulieren.

Die Beine übereinander zu schlagen oder auseinander zu stellen, ist unschicklich. Auf einem Bein zu stehen wäre lächerlich. Ebenso wäre es sehr unschicklich mit den Füßen zu trommeln, zu scharren, aufzustampfen oder den Takt zu treten.

Unpassend ist die Hände in die Seiten zu stellen, in die Taschen zu stecken oder in der Kleidung zu verbergen, mit den Händen und Fingern zu spielen, irgendwo an dem Sitze den Möbeln oder dem eigenen Gesicht, den eigenen Kleidern hin- und herfahren.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 69-71.
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