Schönheit.

[43] Der Begriff der Schönheit ist schwer definierbar; denn was dem einen schön erscheint, gefällt dem andern nicht. Es kann wiederum etwas, was dem einen gefällt, doch nicht schön im ästhetischen Sinne sein. Es liegt eben in der Natur der Sache, daß auch das Nichtschöne irgend jemandem gefallen muß.

Zur Schönheit gehören zunächst Regelmäßigkeit der Formen und ein richtig proportioniertes Verhältnis derselben. Jedoch machen scharf markierte Linien selbst bei regelmäßiger Form und richtigem Verhältnis nicht den Eindruck des Schönen. Vollkommene Ideale der Schönheit schafft die Natur nicht, und zwar geschieht dieses aus einem weisen Grunde. Die vollendete Schönheit, nicht vielleicht dem Geschmack des Einzelnen entsprechend, sondern das Schönheits-Ideal im ästhetischen Sinne, läßt uns kalt, weil solches nur im Zustande der Ruhe wahrnehmbar ist. Die kleinste Bewegung bringt eine Unregelmäßigkeit der Linien hervor und macht also die vollendete Schönheit als solche zunichte.

Da wir aber nur dem Leben einen Reiz abgewinnen können, so wird das Schönheits-Ideal auf uns immer den Eindruck des kalten, marmorartigen Modells machen und uns zwar zur Bewunderung, nie aber zur Liebe zwingen können.

Ein anderer Punkt, der bei der Schönheitslehre ins Auge gefaßt werden muß, ist der, daß die Schönheit dem einzelnen Individium angepaßt sein, und auf Eigenschaften schließen lassen muß, die man berechtigt ist, in den Charakter des Betreffenden hineinzulegen.

Demgemäß unterscheiden wir weibliche und männliche Schönheit, bei welcher auch die Altersklasse des Individiums zu berücksichtigen ist. – Die Schönheit des Kindes ist eine[43] andere als die des Jünglings oder der Jungfrau, und diese wiederum anders als die des Greises oder der Matrone.

Die weibliche Schönheit zeigt sich vor allen Dingen in Zierlichkeit der einzelnen Formen, der Weichheit des ganzen Gebildes und dem Verschwinden der Konturen.

Mehr oder minder sind auch diese Eigenschaften bei jedem weiblichen Wesen vorhanden. Wo die Natur eine derselben anscheinend nicht hineingelegt haben sollte, da dürfte es am Platze sein, durch ein geeignetes Benehmen andere Schönheiten in den Vordergrund zu stellen, um über den Mangel hinweg zu täuschen.

Die Koketterie ist die mehr oder minder deutlich, geschickt oder ungeschickt ausgesprochene Absicht, anderen zu gefallen. Da nun das Weib vornehmlich die Bestimmung anderen schön zu scheinen hat, so muß es auch darauf bedacht sein, diese zu erfüllen. Es würde von einem Mangel an Kenntnis der gesellschaftlichen Umgangsformen zeugen, wenn eine Dame nicht verstände oder verstehen wollte, ihr Äußeres möglichst vorteilhaft erscheinen zu lassen.

Es ist also nicht allein erlaubt, sondern sogar geboten, natürliche Schönheiten, die geeignet sind, Gefallen zu erregen, hervortreten zu lassen. Nie aber kann man es als erlaubt bezeichnen, Schönheiten durch kosmetische Mittel da erscheinen lassen zu wollen, wo solche nicht vorhanden sind.

Die eigentliche Koketterie liegt auch weniger in den Toilettegeheimnissen als im Benehmen selbst. Das wohlgefällige Betrachten des eigenen Händchens, das silberhelle Lachen, bei welchem zwei Reihen perlenweißer Zähne gezeigt werden, sie dürfen als erlaubt zu bezeichnen sein. Nötigt die Natur uns, falsches Haar und eingesetzte Zähne zu tragen, so kokettiere man wenigstens nicht mit diesen »fremden Federn«.

Zwei Eigenschaften sind es, die man besonders gern an jungen Mädchen wahrnimmt, es sind die Grazie und Anmut. Graziös in der Bewegung, anmutig in der Sprache und im Benehmen, das sind Eigenschaften die mehr als tiefe Bildung und ästhetische Feinheit für sich einnehmen und überall ihr Glück machen werden.[44]

Anders ist es mit der männlichen Schönheit. Kennzeichnet sich die weibliche durch Sanftheit, so muß der Mann Kraft und Energie verraten, um schön zu sein!

Nur das Bestimmte und Selbstbewußte macht den Mann schön. Darum hat die Natur ihn meist größer wachsen lassen als das Weib, hat ihm stärkere Muskeln und Sehnen gegeben und seinen Körper mit größerer Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse ausgestattet.

Der Wirkungskreis des Weibes ist der häusliche Herd, der des Mannes ist die ganze weite Welt!

Das Äußere soll diejenigen Eigenschaften verraten, die man von dem Individium zu fordern berechtigt ist, vom Manne Stärke, vom Weibe Zartheit; vom Manne Geist, vom Weibe Herz und Gemüt. Die hohe Stirn des Mannes verrät die größere Denkkraft, das große offene Auge den Geist. Das von einem Bart umrahmte Gesicht, welches stolz empor blickt, zeugt von der Würde des Herrn der Schöpfung.

Zierliche Bewegungen sehen beim Manne zimperlich aus, während beim Weibe die männlich-kräftigen Bewegungen einen unangenehmen Eindruck machen. Das Niederschlagen der Augen würde ein männliches Gesicht verunzieren, während ein weibliches Gesicht einen mehr als freien ja oft geradezu frechen Ausdruck gewinnt durch ein unbescheidenes Umherspähen. Leises bescheidenes Sprechen machen den Mann zum Weibe und laute, herrische Töne aus weiblichem Munde sind ebenso unvereinbar. Überall muß das Äußere dem Geschlecht angepaßt sein, um schön zu erscheinen.

Aber nicht allein dem Geschlecht, sondern auch dem Alter muß das Ganze entsprechen, um wohltuend auf Auge und Ohr zu wirken.

Ein Knabe, der mit einem Eifer, der eines späteren Zeitpunktes seiner Entwicklung würdig wäre, von Politik und Parteiwesen spricht, ist eine ebenso unsympathische Erscheinung, wie ein Jüngling, der sich noch garnichts Gesetztes, Mannbares angewöhnen kann. Ein Jüngling ferner, der mit der gemessenen Ruhe des Greises seine Jugendgenossen über ihre fröhliche Lebenslust kritisiert, ist ebenso zu bedauern, wie ein Greis der kindisch wird.[45]

Recht lange Kind bleiben, sieht beim weiblichen Geschlecht schon besser aus als beim männlichen, da die Unschuld eine der schönsten weiblichen Tugenden ist. Widerlich ist es, Mädchen, die noch die Schule besuchen, Liebesverhältnisse anknüpfen zu sehen, ebenso unangenehm berührt die erkünstelte Naivität. Auch sieht es z.B. nicht gerade schön aus, wenn sogenannte »Backfische« noch mit der Puppe spielen.

Jeder benehme sich also nach seinem Geschlecht und Alter, der Mann würdevoll, das Weib graziös und anmutig, die Jugend fröhlich und heiter, das Alter ernst und gemessen. Dadurch wird die Schönheit erst schön, das Edle erst edel und nur dadurch erreicht man das, wonach jeder streben soll, das Wohlgefallen und die Gunst der menschlichen Gesellschaft.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 43-46.
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