[145] Die Konversation ist eine Kunst, in der es darauf ankommt, zur rechten Zeit reden, zur rechten Zeit schweigen zu können.
Der richtige Zeitpunkt tritt ein, wenn ein angeregtes Thema nicht erschöpft werden und man infolge gründlicher Kenntnis desselben zur Weitererörterung beitragen kann, oder wenn der Unterhaltungsstoff auszugehen droht, und man durch Eröffnung eines neuen Themas die Unterhaltung wieder in Fluß bringt.
Sprechen kann jeder – unterhalten können wenige!
Nicht allein die Beherrschung der grammatischen Regeln macht die Sprache aus. Richtig aneinander gereihte Worte bilden noch lange keine Konversation, dazu gehört etwas mehr.
Es muß auch Sinn und Verstand in dem liegen, was man spricht; die Worte sollen kein leerer Schall, sondern vom Geiste belebt sein.
Alle können wir nun zwar nicht hochwissenschaftlich gebildet sein, aber wir können auf jener Bildungsstufe stehen, die uns berechtigt, an der Konversation teilzunehmen.
Wenn man nun Geist genug besitzt, etwas sprechen zu können, daß sich nicht als Schale ohne Kern er weist, so bringe man nicht seine ganze Weisheit mit einem Male ans Tageslicht.
Die Kunst der Unterhaltung besteht nicht allein darin, etwas Gehaltvolles, Geistreiches zu reden, sondern darin,[145] anderen auch zuhören zu können. Wer fortwährend redet, der unterhält nicht, nein, er wirkt ermüdend. Man soll keine Vorträge oder Vorlesungen halten, sondern sprechen und zuhören, man soll ein Gespräch führen.
Dieses kann ja nun tausendfach verschiedener Art sein, man kann da auf die mannigfachsten Themata kommen, und es muß jedem Einzelnen überlassen bleiben, das herauszufinden, was denn wohl zur Zeit der richtige Gegenstand eines Gespräches ist. – Daß man mit Damen über etwas anderes spricht, als mit Herren, mit jüngeren Personen andere Stoffe beredet als mit älteren, ist zu berücksichtigen.
Eine große Auswahl der Themata, über die man ein Gespräch führen könnte, bringt uns nun auch leicht in die Gefahr, ein unpassendes gewählt zu haben. Unsinnig wäre es, wollte jemand der diese Furcht hegt, lieber ganz einsilbig, wohl gar stumm bleiben.
Wer aber viel und gerne spricht, kommt leicht in Gefahr, jemandem in der Hitze des Gefechtes zu nahe zu treten. – Man hüte sich davor, denn es ist eine heikle Sache, ein einmal ausgesprochenes Wort wieder zurückzunehmen. – Vorteil hat es noch niemandem gebracht.
Gerade so wie man mit Damen nicht über Schönheit und Häßlichkeit anderer Damen reden soll, da diese leicht auf den Gedanken kommen könnte: »Was der Herr wohl über mich in meiner Abwesenheit sagt?« ebenso sollte man auch Politik und Religion nicht in die Gesellschaft hineinziehen.
»Ein politisch Lied, ein garstig Lied« sagt Goethe im Faust, lass man also die Politik da ruhen, wo sie nicht hingehört und bringe religiöse Haarspaltereien nicht in einen Kreis fröhlicher junger Leute hinein.
Überhaupt sollte man wissenschaftliche und andere Themata nur da einer Erörterung unterwerfen, wo man Verständnis dafür voraussetzen darf.
Setzt jemand voraus, daß wir ihm eine Auskunft geben könnten, so erwidere man nicht, daß das die anderen Mitglieder der Gesellschaft wohl nicht interessiere, sondern gebe eine höfliche, kurze, präzise Antwort, nicht wortschwülstig,[146] aber auch nicht in jener Kürze, die nur von Eingeweihten verstanden wird.
Was man nun auch spreche, jedenfalls halte man seine Zunge etwas im Zügel und widerspreche nicht in unartigen Ausdrücken. Sieht man sich veranlaßt, jemanden zu korrigieren, so geschehe dies nicht so, als ob man mit der Tür ins Haus fällt. Ausdrücke wie: »Das ist nicht wahr« sind schon höchst unartig. Die Bemerkung: »Sie lügen« ist eine Beleidigung, selbst wenn der Betreffende gelogen haben sollte. Man kommt auf höfliche und artige Weise durch das bescheidene: »Irren Sie sich auch nicht?« weiter und tritt niemandem zu nahe.
Das zu leise Sprechen, welches den Zuhörer verpflichtet, alle Augenblick ein »Wie beliebt?« oder: »Ich habe Sie leider nicht verstanden«, hervorzubringen, ist eine Rücksichtslosigkeit. Solche Konversation bietet keinen Genuß und man wird die erste beste Gelegenheit benutzen, die »Unterhaltung« abzubrechen.
Etwas Schreckliches aber ist es, ein immerwährendes Eigenlob anhören zu müssen.
Wenn nun Leute, die wirklich auf sich, ihren Rang und ihre Würden stolz sein können, so ein kleines Eigenlob durchblicken lassen, so verzeiht man das und entschuldigt es mit dem Sprichwort: »Große Geister haben kleine Schwächen«; wenn aber Flachköpfe, die nichts gelernt haben, uns mit dem Anhören ihrer Lobespsalmen, die sie sich selbst singen, quälen, so ist das mehr als man der Gesellschaft zumuten darf.
Das Talent dokumentiert sich am besten dadurch, daß sein Meister sich in Bescheidenheit einhüllt. Wenn nun ein Maler erzählt, er habe auf der jüngsten Kunstausstellung einen Preis bekommen, so mag darin ein berechtigter Stolz liegen, aber zu erklären, die Produkte eines Kunstgenossen oder Rivalen, je nachdem man es nennen will, seien Pfuscherarbeiten, oder die landläufige Redensart: »Das mache ich im Schlafe besser«, sind mindestens arrogant.
Peinlich aber wird es, wenn ein kerngesunder Mensch einem kränkelnden Schwachen gegenüber den außerordentlich günstigen Stand seiner Gesundheit rühmt, ihm erzählt, welche Strapazen[147] er, ohne irgend welche Unbequemlichkeiten zu fühlen, erleiden könne. Daß jedes Wort dem armen Kranken eine Folter ist, bedenkt er vielleicht nicht.
Noch peinlicher aber ist es, wenn nun dieser Kranke die Gesellschaft mit der genauen Erzählung und detaillierten Beschreibung seiner Krankheit »unterhält«.
Überhaupt ist es unschicklich, sich allzusehr mit eigenen Angelegenheiten in der Gesellschaft zu beschäftigen.
Was geht es die Gesellschaft an, ob ein Kaufmann beabsichtigt, seinem Geschäfte eine andere Wendung zu geben, daß er die Tranbranche aufzugeben, sich dafür auf die Petroleumbranche werfen will und neben dem Buchhalter noch einen Korrespondenten anzustellen beabsichtigt? Fragt jemand, so gebe man Auskunft, aber frage selbst auch niemanden etwas, worauf er uns am liebsten die Antwort verweigern möchte!
Noch andere gibt es, welche zur Gattung derer gehören, die es lieben das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen! Alles müssen sie bekritteln, alles unterwerfen sie einer Kritik. – Nun wohl, den fachmännisch gebildeten Kritiker, insbesondere einen solchen, der hierbei ehrlich und unparteiisch zu Werke geht, den ehre und achte man. Aber einen Menschen, dessen erster Grundsatz es ist, an allem, was ihm zu Gesicht kommt, seinen Neideszahn zu wetzen, seine Kritik-Wut auszulassen, und der dann noch unartig genug ist, diese seine Eigenschaft in eine Gesellschaft mit hineinzubringen, einen solchen möchte man kaum noch als salonfähig anerkennen; denn wenn er auch Anstand und Höflichkeit besitzt, – artig ist es nicht, überall Tadelnswertes zu finden.
Wahrhaft unverschämt sind diejenigen lästigen Frager, welche mit einer edlen Dreistigkeit, die ihres Gleichen sucht, jeden auszutragen bestrebt sind, sich in jedes Gespräch hineinmischen und unter Umständen auch uns ihre Meinung aufdrängen über Sachen, um welche sie nicht gefragt sind.
Trägt nun diese Neugierde einen beleidigenden Charakter, so wird sie unausstehlich. »Mein Fräulein, haben Sie das Mal schon lange auf der Backe?« »Hinken Sie immer oder nur heute?« Das sind Fragen, die dem Betreffenden das[148] Blut zu Kopfe steigen lassen können, alle anderen Teilnehmer der Gesellschaft aber peinlich berühren, denn niemand will gern darauf aufmerksam gemacht werden, daß er körperliche Fehler, Gebrechen oder sonst irgendwelche Schwächen besitzt, und die Artigkeit verbietet auch, solche Fragen zu stellen.
Nicht ganz so schlimm ist die Gattung der ungemein Redseligen.
Sie sprechen viel, gern und anhaltend, sind aber gewöhnlich harmlos.
Manchmal aber auch werden diese Menschen zu einer wahren Plage. Sie nehmen sich gewöhnlich irgend einen geduldigen Zuhörer aus der Gesellschaft aufs Korn und erzählen solange, bis ihr Gesprächsstoff erschöpft ist.
Jetzt gibt es noch eine Art, die besonders unter jungen Damen vertreten ist: es sind die Enfants terribles der Gesellschaft, die sogenannten Naseweisen.
Diese wissen alles und wiederum garnichts. Wird ein Gespräch geführt, so werfen sie Brocken dazwischen, die garnicht hineingehören und bringen manchmal Sprecher und Angeredete in Verlegenheit.
Hat man nun das Unglück gehabt, jemandem zu nahe zu treten, so suche man wenigstens den Schaden wieder gut zu machen. Wenngleich man sich dabei nicht gerade in einer beneidenswerten Lage befindet, so ist es immer besser, als wollte man versuchen, die ganze Sache totzuschweigen.
Größtenteils angenehme Gesellschafter sind diejenigen, welche im Besitze einer humoristischen Ader, die Anwesenden durch Scherze aller Art, Witz und Humor zu unterhalten verstehen.
Man unterscheidet zwischen einem sogenannten Mutterwitz und angelernten Witzen.
Schon mancher tat sich durch einen schlechten Witz einen Teil seiner Karriere verscherzt, und nicht jede Gesellschaft ist in der Stimmung, nichts übel zu nehmen!
Daß nun über einen guten Witz herzhaft gelacht wird, ist ja immerhin noch nichts Schlimmes; aber an vielem Lachen erkennt man den Narren und vorzüglich, wenn jemand seine eigenen Einfälle belacht![149]
Hat jemand das Bestreben, in Ermangelung eigenen Witzes die Anwesenden mit geistreichen Einfällen anderer zu unterhalten, so falle ihm nicht in die Rede, nimm ihm nicht die Pointe vorweg und sage nicht, ein erzählter Witz sei alt, sondern nimm mit dem fürlieb, was dir geboten wird!
Es sei noch auf eine Gattung von Menschen aufmerksam gemacht, vor denen man sich ebenfalls zu hüten hat. Es sind dieses die sogenannten Mantelträger, die jedem angenehm reden, den einen aushorchen und es dem andern hintertragen, die etwas darin suchen, über Abwesende unbarmherzig den Stab zu brechen. Ob sie sich dabei immer streng an der Wahrheit halten, bleibt ihnen gleichgiltig.
Wenn man einer derartigen Szene beiwohnt, so darf man für den Abwesenden wohl Partei nehmen und ihn rechtfertigen, wo er selbst nicht dazu im Stande ist, aber es geschehe in passender Weise, ohne daß man unartig wird. Manche glauben, ein Heldenstück auszuführen, wenn sie einem Menschen, der in wortverdreherischer Weise dem Tun und Lassen eines Abwesenden unedle Absichten unterschiebt, einmal »offen und ehrlich die Wahrheit sagen«; den Abwesenden kann man wohl rehabilitieren, darf dadurch aber auch keinen Anlaß zum Zwist geben.
Zum Schluß seien noch diejenigen Gesellschafter gekennzeichnet, die zwar einen Verstoß gegen die gute Sitte eigentlich nicht begehen, aber dennoch sich eines Fehlers schuldig machen.
Es sind diejenigen, welche in übermäßiger Weise im Laufe der Unterhaltung Fremdwörter anwenden.
Unsere deutsche Sprache ist wortreich genug, um alles was wir sagen wollen, auch deutsch ausdrücken zu können.
Die Anwendung von Fremdwörtern ist allerdings da zuzugestehen, wo man mit einem deutschen Worte in knapper, präziser Weise sich nicht ausdrücken kann. Manche Fremdwörter haben sich derartig eingebürgert, daß man sie kaum noch als solche betrachtet. Auch wenn man in einem Satze denselben Ausdruck mehrfach wiederholen müßte, dürfte es gestattet sein, ein Fremdwort einzuschieben.[150]
Wohl haben es Schriftsteller versucht, einzelne allgemeine Redensarten aufzustellen, die man als artig gelten lassen kann; aber das Leben ist zu reich an Wechselfällen, als daß man jeden Fall ins Auge fassen könnte. Würde sich also die Konversation auf die in besonderen Büchern aufgeführten Artigkeitsphrasen beschränken, so würden ja alle dieselben auswendig gelernten Redensarten nachsprechen und man würde sich in Redensarten bewegen, die ohne Geist, ohne Gehalt, ohne Wert wären.
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