Das Grüßen.

[84] So verschiedenartig die Volkscharaktere sind, ebenso vielseitig sind auch die Arten des Grußes. Im Orient drückt der Gruß tiefste Unterwerfung aus, und geht soweit, daß der Grüßende sich flach auf die Erde niederlegt, um seine Ergebenheit anzuzeigen. – Eine zweite Art des Grüßens ist die streng zeremonielle, umständliche. Man findet sie bei unkultivierten, sogenannten »wilden« Völkerstämmen. Der Sandwich-Insulaner kreuzt beide Hände über die Brust, verneigt sich tief, erhebt dann die rechte Hand zur Stirn, läßt sich auf beide Kniee nieder und neigt den Oberkörper, bis er mit dem rechten Ellenbogen den Erdboden berührt. Die dritte Art des Grüßens endlich ist eine solche, welche einfach einen Beweis von Höflichkeit gibt, ohne einerseits umständlich, andererseits sklavischer Natur zu sein. – Letztere Art ist in der ganzen zivilisierten Welt allerdings mit Variationen gebräuchlich, und wir wollen auch nur diese letztere Art eingehender behandeln.

Man könnte die bei uns in Anwendung gelangten Grüße in Pflicht-, Respekts-, Höflichkeits- und Freundschaftsgrüße einteilen.

Der Pflichtgruß interessiert uns am wenigsten. Er wird von Soldaten und Beamten ihren Vorgesetzten dargebracht und ist eine streng vorgeschriebene Formalität, an der nichts[84] geändert werden darf. Die Betreffenden werden genau instruiert, wann und wie sie zu grüßen haben. Durch die Unterlassung des Grußes verletzen sie keine Freundschaft, zeigen auch weder einen Mangel an Höflichkeit noch an Artigkeit, sondern sie begehen eine Pflichtverletzung, die eine Strafe, mindestens aber einen Verweis nach sich zieht.

Geradeso wie an der Haltung und dem Gange, erkennt man auch am Gruße den Menschen von Bildung.

Eine allgemein zu beachtende Grundregel bleibt die, daß die Herren durch Abnehmen der Kopfbedeckung und leichte Verneigung des Hauptes, die Damen nur durch letztere zu grüßen pflegen.

Das Abnehmen des Hutes darf nicht in kurzer, schneller Weise geschehen, was den Eindruck einer mechanisch erlernten bloßen Formalität machen würde, und dürfte nur dann gestattet sein, wenn man den zu Begrüßenden erst so spät bemerkt hätte, daß man in anderer Weise einen Gruß nicht mehr ausführen konnte.

Die Bewegung der Entblößung des Hauptes hat leicht und graziös zu geschehen, so daß sie eine gewisse Geschicklichkeit verrät, auch darf der Arm hierbei nicht steif ausgestreckt sein, sondern muß in eleganter Weise eine bogenartige Form annehmen.

Geht der zu Grüßende an einem rechts vorbei, so nimmt man mit der linken, im andern Falle mit der rechten Hand den Hut derartig ab, daß man weder durch diesen, noch durch den Arm das Gesicht verdeckt. Man erfaßt die Kopfbedeckung mit der ganzen Hand so, daß 4 Finger oberhalb des Randes, der Daumen unterhalb desselben sich befinden, und man den Hut in Schulterhöhe nach der dem Begrüßten entgegengesetzten Seite führt, wobei die Innenseite dem Erdboden zugewendet sein muß.

Anstatt mit den gestreckten 5 Fingern kann man sogenannte Schlapphüte auch am oberen Kopfteil anfassen, nur darf der Vorderarm, welcher überhaupt allein die Bewegung auszuführen hat, nicht nach oben geführt werden, auch nicht gerade hinunter, daß man sich mit dem Hut vors Knie schlägt,[85] auch nicht in gerader Linie seitwärts, sondern der Arm hat, wie bereits angedeutet, eine elegante Rundung anzunehmen.

Wenn man in einer Hand den Schirm oder Stock trägt, oder eine Dame am Arm führt, so mag es ausnahmsweise gestattet sein, mit der unrechten Hand zu grüßen, in keinem Falle darf aber die Kopfbedeckung dem zu Grüßenden entgegengeführt werden, sondern ist in leichtem Bogen abwärts der Brust zugewendet zu halten, auch muß die Innenseite des Hutes stets dem Körper zustreben.

Das Gesicht ist beim Gruß stets dem Begrüßten zu zuwenden, und hat man seinem Mienenspiel je nach Umständen einen respektvollen oder freundlichen Ausdruck zu geben; das bloße Anstarren des Betreffenden würde einen unangenehmen Eindruck machen; wie es auch von Geringschätzung zeugen würde, wollte man en passant nur den Hut abnehmend, vielleicht im Gespräch mit einem andern begriffen, auch während der kurzen Dauer des Grußes ruhig weiter sprechen.

Die durch den Gruß ausgedrückte größere oder geringere Hochachtung kann je nach der Art und Weise, wie sie dargebracht wird, variieren, und hat sich nach Rang und Bildung der zu grüßenden Person zu richten.

Grüßt man Personen von Rang und Würden, so bleibe man schon in der Entfernung von einigen Schritten ehrfurchtsvoll stehen, wobei man die Kopfbedeckung in der Hand behält, bis entweder die betreffende Person vorüber ist, oder man aufgefordert wird, sich zu bedecken. Will man noch höflicher sein, so kann man eine zweite Aufforderung abwarten, dieser aber leiste man unbedingt Folge.

Daß ferner die Art und Weise des den Gruß begleitenden Gesichtsausdruckes, die einfachere oder tiefere Verbeugung, die schnellere oder langsamere Ausführung derselben, dem Gruße einen zeremoniellen, Hochachtung darbringenden oder einfach höflichen Anstrich gibt, darf nicht außer Acht gelassen werden.

Respektshalber grüßt man Prediger, Lehrer, Vorgesetzte. Man beweise auch durch seine Haltung den Respekt und mache nicht Bewegungen und Mimik, die mit dem Respektsgruß in Widerspruch stehen.[86]

Die Höflichkeit gebietet uns, jeden zu grüßen, der uns bekannt ist, und es würde daher Unhöflichkeit, Schüchternheit oder sonstigen Mangel an Bildung verraten, wollte jemand beim Erblicken eines Bekannten sich schnell umdrehen und irgendwo anders hinsehen, um des Grußes überhoben zu sein.

Daß auf jede Höflichkeitsbezeugung eine Antwort gehört, ist selbstverständlich, und so hat man denn auf jeden empfangenen Gruß durch Gegengruß zu antworten; einen Schein von Dünkelhaftigkeit und lächerlicher Dummheit würde man durch Nichterwiderung des Grußes auf sich laden.

Wenn man allerdings von gewissen Personen nicht gegrüßt sein will, so kann man freilich einen Gruß unerwidert lassen, ja sogar seiner Meinung durch entsprechende Mimik Ausdruck geben. Man bedenke aber sehr wohl, ob man auch klug daran tut, so zu handeln; Berg und Tal begegnen sich nicht, aber Menschen finden sich wieder.

Auf der Straße und auf Spazierwegen pflegt man sich bei mehrfacher Begegnung nur das erste Mal zu grüßen, wohl aber hat man ebenso freundlich mit zu grüßen, wenn ein mit uns Gehender einem Daherkommenden einen Gruß darbringt, ob man nun den Betreffenden kennt oder nicht.

Ein Erfordernis der Höflichkeit ist es ferner, daß der Jüngere den Älteren, der Herr eine Dame zuerst grüßt, wie man denn überhaupt auch hierin des Guten nie zu viel tun kann und sich jedenfalls besser dabei steht, einen Unbekannten aus Versehen gegrüßt, als den Gruß bei einem Bekannten unterlassen zu haben, besonders wenn dieser, vielleicht vermöge seiner Stellung berechtigt war, mit dem eigenen Gruß erst auf den unsrigen zu warten.

Der Gruß, den die Freundschaft darbringt, hat nicht das Zeremonielle des Respektgrußes an sich, läßt aber die Gesetze der Höflichkeit nicht außer Acht. Es kommt also lediglich auf die freundliche Gesinnung ausdrückende Geste an.

Einen Freund kann man demnach wohl auch mit Worten grüßen. Ein freundliches »Guten Morgen« wird ebenso freundlich erwidert werden, auch kann man eine entsprechende Bewegung mit der Hand machen, oder, wie man so zu sagen pflegt: »Einen Gruß zuwinken!«[87]

Bei einem Freunde kann man wohl auch einen Augenblick auf der Straße stehen bleiben, um einige Worte mit ihm zu wechseln, einem näher Bekannten kann man freundschaftlich die Hand geben, oder in die dargebotene Rechte einschlagen, wobei man sie natürlich nicht drücken oder schütteln, auch nicht lange in der seinen behalten darf, – auch hier sei man vorsichtig!

Wie leicht wird es als Aufdringlichkeit ausgelegt werden, wollte man bei jedem einigermaßen Bekannten auf der Straße stehen bleiben, um ihn zu fragen, wie es ihm gehe, wollte man bei jedem, den man schon mehr als einmal gesehen hat, beim Grüßen eine Bewegung machen, die an das »Abwinken« der Offiziere erinnert oder wollte man endlich jedem seine Rechte darbieten.

Der Jüngere bietet dem Älteren nie zuerst die Hand, bleibe nie zuerst stehen, um ihn anzureden, sondern warte solches von dem anderen ab, überhaupt befrage jeder sein eigenes Taktgefühl, was er in jedem speziellen Falle zu tun habe, da es zu den Unmöglichkeiten gehört, eine Instruktion zu geben, die überall befolgt werden kann.

Kann man aber den Verhältnissen nach, dem anderen zuerst die Hand bieten, so gebe man auch die ganze Hand und halte nicht arroganter Weise nur einen oder mehrere Finger hin, und gebe sich nicht den Anschein gönnerhaften Wohlwollens, wenn man den Vorübergehenden einiger Worte würdigt.

Bringt uns ein allzuuntertänig – süßlicher Gruß in den Ruf eines heuchlerischen Schmeichlers, so wird uns die Herauskehrung einer stolzen Herablassung den Namen eines arroganten Gecken und eine gegen jeden angewendete Kordialität das Prädikat eines dummdreisten Menschen einbringen.

Herren können auf der Straße sich gegenseitig auch wohl grüßen ohne das Haupt zu entblößen.

Hat man im Sitzen zu grüßen, so wird man sich entweder vom Platz erheben, verneigen oder beides zugleich tun.

Grüßt man aus dem Wagen heraus, so bleibt man immer sitzen und macht nur eine Verneigung des Oberkörpers, die je nach Umständen langsamer, schneller, tiefer und einfacher ausfallen, oft nur im bloßen Zunicken bestehen kann. – Wenn[88] man selbst die Pferde lenkt, so senke man mit dem Oberkörper zugleich auch die Peitsche, aber nicht gegen die begrüßte Person, sondern nach den Pferden zu, indem man den zu Grüßenden ansieht. – Es sind manche der Ansicht, daß man entweder nur auf die Pferde oder auf das Grüßen Vorbeigehender achten könne und unterlassen daher lieber das letztere.

Aber noch andere Arten des Grußes gibt es. Der Schiffer grüßt ein vorübergehendes Schiff durch Aufziehen der Flagge, der Bergmann ruft uns ein »Glück auf!«, der Turner ein »Gut Heil!« zu; der Buchdrucker begrüßt seine Fachgenossen mit den Worten: »Gott grüß' die Kunst!« und der Freimaurer grüßt den Logenbruder auf eine ganz besondere Weise, die das Geheimnis der Mitglieder dieses Bundes ist; in südlichen Gegenden tönt uns ein »Grüß Gott!« statt des bei uns üblichen »Guten Tag!« entgegen, während man in katholischen Ländern mit den Worten: »Gelobt sei Jesus Christus!« grüßt und die Antwort: »In Ewigkeit Amen!« erhält. Auf den Alpen sendet man zum Gruß einen hellen Jauchzer in die Lüfte, und der Bauer ergreift nnsere Rechte, um sie, in seiner schwieligen Hand haltend, zum Gruße zu schütteln und zu drücken. Übelnehmen müssen wir ihm dieses ebensowenig wie dem Tiroler, der selbst einen Menschen, den er in seinem Leben noch niemals gesehen, mit dem vertraulichen »Du« anredet. Man sieht eben, daß jeder auf seine Weise grüßt und das sogar in unserem lieben deutschen Vaterlande mehrfach verschieden. In der Stadt grüßt man nur Bekannte, auf dem Lande aber fast jeden Vorühergehenden.

Daß man zu grüßen hat, weiß jeder. Ob man zeremoniell, höflich oder freundlich grüßen soll, ob man mit der Entblößung des Hauptes auskommt oder aber, z.B. bei der Rückkehr von einer längeren Reise, seinen Verwandten in die Arme eilt und sie uns mit einem herzhaften Kusse empfangen, alles das richtet sich je nach den Umständen, ebenso ob man als Versicherung seiner Treue und Freundschaft die Hand reichen, resp. in die dargebotene Rechte einschlagen soll, oder ob man die stärkste Form der Freundschaftsbezeugung, die Umarmung anzuwenden habe, um durch das Aneinanderrücken beider Körper symbolisch auszudrücken, wie nahe die[89] Seelen beider miteinander verwandt sind, und mit der Umarmung anzudeuten, wie innig die beiden Herzen einander umschlungen halten; – die Verhältnisse ergeben es von selbst, was zu tun ist.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 84-90.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

554 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon