Kuß und Handkuß.

[95] Der Kuß deutet symbolisch die Sympathie der Seelen an und zwar durch die Annäherung beider Körper aneinander.

Ein bei uns fast garnicht, in katholischen Gegenden zuweilen gegebener Kuß, ist der auf den Fuß oder das Kleid des Priesters, auch trifft der Kuß zuweilen nur den Saum des Kleides; er deutet Demut und Unterwürfigkeit, wenn nicht gar Knechtschaft an und gilt übrigens mehr der durch die Person vertretenen Sache als dieser selbst.

Als Tribut der Hochachtung und Ehrfurcht küßt man die Hand, den Kuß der Achtung, Zufriedenheit und Belohnung gibt man auf die Stirn, die Freundschaft küßt die Wange und die reinste innige Liebe des Herzens zum Herzen küßt den Mund.

Der letztgenannte Kuß bildet allein die stumme Sprache, welche vom Herzen kommt und zum Herzen dringt.

Zum Handkusse sollte eigentlich nur die entblößte, nicht die behandschuhte Hand gereicht werden.[95]

Geschieht es aber dennoch, so gebe man den Kuß oberhalb des Handschuhes auf das Handgelenk. – Eine mit modernen Ballhandschuhen bekleidete Hand würde also überhaupt nicht geküßt werden können, da der Kuß in diesem Falle auf den Arm fallen müßte, das Küssen des Handschuhes aber etwas Unwürdiges ist.

Nimmt man eine Hand zum Kusse, so berühre man sie nur an den Fingerspitzen, ziehe sie nicht zu sich herauf, sondern beuge sich zu ihr hinab; überhaupt besteht der Handkuß nur darin, daß man die Hand mit den Lippen leise berührt, ein Geräusch darf hierbei nicht verursacht werden.

Früher war der Handkuß allgemein in Anwendung, heute ist er wohl nur noch beim Adel gebräuchlich. Bei dieser Gelegenheit sei noch eins erwähnt.

Es gibt nämlich Leute, welche die Angewohnheit haben, wohin sie kommen, die Kinder auf den Arm zu nehmen und zu küssen. Daß dieses nicht allein etwas Unappetitliches, sondern sogar unter Umständen der Gesundheit schädigendes ist, sehen die meisten von ihnen garnicht ein.

Wenn es nur einfach damit abgetan wäre, so ließe sich das Unangenehme an der Sache noch überwinden. Wie aber, wenn im Herbst sich der Witterungseinfluß bei Erwachsenen nur in Form eines leichten Hustens zeigt und die Keime desselben durch den Kuß auf den zarten Organismus übertragen werden und hier Diphtheritis, Bräune etc. erzeugen?

Eltern sollten ihren Bekannten einfach rundweg verbieten, die Kinder zu küssen, man lasse lieber die Freundschaft einen Riß bekommen, als daß Gesundheit und Leben der Kleinen aufs Spiel gesetzt werden.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 95-96.
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